Ein Krimi aus der nahen Zukunft
von Gerd Maximovic
Der Umfang dieses Buchs entspricht 165 Taschenbuchseiten.
Ein Bankraub in der nahen Zukunft. Niemand hat jemanden gesehen. Verwirrung herrscht in den Köpfen. Wie konnte es dem Täter gelingen, in das geheime Untergeschoß der Bank vorzudringen, ohne eine eindeutige Spur zu hinterlassen?
Die Spur führt Kommissar Holler zum nahegelegenen Raumfahrt-Zentrum, das sich unter anderem mit dem „Unsichtbarmachen“ von Fluggeräten beschäftigt. Besagte Technik pflegt über das Gigatron, einer gewaltigen, Gedanken steuernden Maschine, buchstäblich ins Gehirn einzugreifen. Ist also einer der Ingenieure der unsichtbare Täter?
Man beschließt, mit Hilfe des vom Täter offensichtlich geschickt gehandhabten Gigatrons zurückzuschlagen. Worin besteht seine Schwachstelle? Das durch das Gigatron verursachte höchst unangenehme Rauschen und Pfeifen in den Köpfen der Betroffenen verstärkt sich. Illusion und Wirklichkeit gehen ineinander über. Zeit zu handeln und den ganzen Spuk zu beenden...
Gerd Maximovics neuer Roman ist bewusst in der alten deutschen Rechtschreibung gehalten.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / Cover: Vladimir Nikolaevich, 2019
Bewusst in alter deutscher Rechtschreibung.
© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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"Und Sie haben wirklich nichts gesehen?"
Bankdirektor Nollinger runzelte höchst verärgert die Stirne. Das hätte er nicht geglaubt! Man konnte ja von den Leuten einiges erwarten. Gewiß, auch er, Nollinger, hatte seine Erfahrungen damit gesammelt. Da bestand überhaupt kein Zweifel. Doch so dreist angelogen zu werden, das ging denn doch zu weit. Nein, das war ungeheuerlich! Und ihm - und das mußte man sich einmal vorstellen - auch noch direkt ins Gesicht zu lügen, das war unvorstellbar.
"Nein, Herr Direktor, ich schwöre", beteuerte Hans Blechschmidt, Sachbearbeiter für die versiegelten und verschlossenen Schätze, also für den Tresorraum, in dem neben Bargeld allerhand Wertsachen aufbewahrt wurden.
"Ich, nein wir", berichtigte er sich, "haben nichts wahrgenommen!"
Und dabei hatte Karl Nollinger diesen Blechschmidt doch selbst angestellt. Das heißt, ihn eingestellt zu haben, das war natürlich übertrieben ausgedrückt. Aber er selbst, Nollinger, hatte jedenfalls einen Blick auf Blechschmidts Akte geworfen. Und deren Inhalt wirkte in Ordnung. Und dann hatte es auch noch ein kurzes Gespräch mit dem kommenden Sachbearbeiter gegeben. Sicher war sicher. Denn hier ging es um viel Geld und damit um das Vertrauen der Kunden.
Karl Nollinger, der Direktor des Europäischen Bankenverbundes, prustete empört. Unvorstellbar! Da wurde ihr eigenes Gewölbe frech ausgeraubt, nein, geplündert - ja, geplündert mußte man sagen. Und zwar gegen alle Sicherheistbestimmungen wie Kameras und Spürdetektoren überall. Oder lichtgesicherte Schranken. Und personenorientierte Abtastzellen. Mit anderen Worten, man kann sich gar nicht vorstellen, welcher Aufwand betrieben wurde, jeglichen Zugiff auf die heiligsten Bankgewölbe zu vermeiden! Und dann das!
Einer seiner wichtigsten Mitarbeiter, dieser Blechschmidt, dieser unzuverlässige Blechschmidt, mußte man genauer überlegen, behauptete, nichts, aber auch gar nichts von diesem dreisten Vorfall, dem dreistesten in der Geschichte des internationalen Bankwesens (sowohl auf der Erde wie auf den Planeten), mitbekommen zu haben.
Karl Nollinger schnaufte.
"Und Sie", herrschte er Magda Schnyder, eine der Blechschmidt unterstehenden Sachbearbeiterinnen, an, "was haben Sie davon mitbekommen, meine liebe Magda?"
Letzteres fügte Nollinger in grimmiger Höflichkeit hinzu. Denn im letzten Augenblick (bevor er vor Wut platzte) fiel ihm ein, wie man andere Leute - insbesondere weibliche Wesen - behandelt, um dann doch noch Informationen aus ihnen herauszubekommen.
"Bedaure, Herr Direktor", antwortete, trotz aller bereits stattgefundenen Einschüchterungsversuche, erstaunlich selbstbewußt die also für Sicherheit zuständige Dame, "ich habe selbst nicht das geringste gesehen."
"Nicht das geringste gesehen!" Karl Nollinger, der Direktor des Bankenverbundes, schnaufte.
Nicht wahr, na klar, das fiel ihm jetzt ein. Die beiden, Blechschmidt und die Schnyder, sie steckten unter einer Decke. Hatten sich heimlich abgesprochen. Und Geld, Gold, Juwelen, Wertpapiere und Gott weiß, was sonst noch, weggepackt. In Sicherheit gebracht.
Nicht wahr, sann Nollinger weiter, so macht man das. Man ist immer ehrlich, gewissermaßen als Tarnung. Bis dann der große Tag kommt. Dann läßt man die Maske fallen und schlägt zu. Und macht die große Beute. Dann hat sich das ganze Versteckspiel über all die Jahre gelohnt.
Waren die beiden eigentlich ineinander verliebt? fiel ihm, dem Direktor, da plötzlich ein.
Sehr gut möglich, überlegte er. Da hat der eine die andere (oder sie ihn) am Wickel. Und auch das nur so lange, bis die Sache über die Bühne gezogen und die Beute nicht nur in Sicherheit gebracht, sondern auch verwertet ist. Dann ist es aus mit der Liebe. Dann folgt, auf die eine oder auf die andere Weise, die Scheidung.
"Ja, was ist denn?"
Nollinger wandte sich empört zu Hofer, seinem Stellvertreter, um. Daß der ihn ausgerechnet jetzt stören mußte.
"Zwei Sachen, Herr Direktor", antwortete Hofer höflich.
"So, zwei Sachen", knurrte Nollinger.
Gleich zwei, dachte er bei sich, im übrigen irgendwie zerstreut. Als ob eine - wie der größte Bankraub des Jahrhunderts, nein, der Geschichte - nicht reichen würde.
"So, was denn?" fuhr er seinen Stellvertreter regelrecht an.
"Also, wir haben", Hofer schluckte, "das Gewölbe noch einmal genau inspiziert, Herr Direktor."
"Und? Haben Sie noch ein paar Diamanten gefunden, Rolf?" fragte Nollinger höhnisch.
Im übrigen in einer ihm überhaupt nicht gemäßen Ausdrucksweise. Dies zeigt aber, aufgebracht, nein, wie bestürzt er war wegen der ihm überbrachten Nachricht.
"Nein, haben wir nicht, Herr Direktor", lautete verschämt die Antwort.
"Aber?"
"Aber das Gewölbe ist wirklich leer geräumt, Herr Direktor."
"Wirklich leer geräumt?" polterte Nollinger. "Was heißt das?"
"Nun, wirklich leer, ich meine", ächzte nun auch Blechschmidt verlegen, "es ist wirklich leer."
Nicht wahr, das war wirklich unglaublich! Man muß sich das einmal vorstellen. Die Schließfächer, zu denen nur jeder Kunde einzeln Zutritt erlangt, lassen sich nur durch ihn mit einem Spezialschlüssel oder einer anderen, von ihm vorgeschlagenen Vorrichtung öffnen. Und das Ganze ist natürlich elektronisch abgesichert. Selbst wenn er, der Direktor, als einer der Eingeweihtesten die Fächer allesamt hätte ausplündern wollen, das wäre gar nicht so einfach gewesen.
Nein, überlegte Nollinger weiter, das wäre ganz unmöglich! So viele, insbesondere elektronische Täuschungen und Tarnungen, welche sich mit den Schlössern zu den Fächern verbanden, die konnte einer alleine gar nicht überwinden. Da bedurfte es ja eines ganzen Heeres, einer ganzen Armee von Geheimdienstexperten zur Entschlüsselung der verdeckten Passwörter sowie sonstiger digitaler Abwehrmechanismen.
Obwohl, das ließ dem Direktor Nollinger wirklich keine Ruhe, so genaue Abwehrtechniken - sie waren wohl möglich. Doch nicht jeder Kunde, nicht jede Klientin, nein, die wenigsten hätten die entsprechenden Mühe auf sich genommen.
Innerlich mußte er lachen. Die meisten hatten sich über von Experten in Windeseile zu entschlüsselnden Paßwörtern geschützt. PIN-Zahlen, Buchstaben-Kombinationen und dergleichen, welche sie dann auch noch niemals zu ändern pflegten. Wozu auch? Wozu diese Mühe, ging es doch bloß um ungeheure Barbestände oder um Gold, mit dem man ganze Planeten aufkaufen konnte? Hinzu trat die vermeintliche Sicherheit durch das Spar- und Einlagendepot.
Das Ganze war geheim, natürlich. Niemand wußte, also vor allem auch niemand von der Bank aus, was die Kunden in ihren Schließfächern im geheimen Gewölbe wirklich eingelagert hatten. Gewiß gab es Schätzungen von Seiten der Bank, sowie veranlaßt von Versicherungen, aber die ermittelten oder vielmehr unterstellten Summen fielen weit auseinander. Auf der anderen Seite, die Kosten für ein auch nur kleines Abteil im Tresorraum waren immens hoch. Ja, gewaltig.
Und wer, ich meine, welcher arme Schlucker, sann Nollinger weiter, würde es sich wohl überhaupt leisten können, ein solches Schließfach zu mieten? Vom entsprechenden Wunsch einmal ganz abgesehen.
Also, wer immer verantwortlich für den Raub und Diebstahl war - den raffiniertesten, den man sich nur vorstellen konnte -, er mußte jedenfalls um den Wert des Inhalts der Schließfächer gewußt haben.
Karl Nollinger schrak aus seinen Gedanken hoch (denn er nahm die Blicke der anderen wahr, die ungeduldig auf ihm hafteten, indes, sie wagten ihn, den hohen Herrn, nicht zu stören).
"Was sagen Sie da, Herr Blechschmidt?"
"Ausnahmslos ausgeräumt, Herr Direktor", beteuerte Blechschmidt regelrecht zuversichtlich.
"Wie zum Hohn", schloß Magda Schnyder sich dieser Auffassung in kühnem Gedankenfluge an.
"Ja, nicht wahr", stellte Hofer fest, "als ob uns da jemand einen Denkzettel verpassen wollte."
Daran hatte Karl Nollinger noch gar nicht gedacht. Einen Denkzettel. Denn, in der Tat, die zu entnehmenden Werte waren beträchtlich, hätte man auch nur ein Dutzend der besagten Fächer abgegriffen. Von der Schwierigkeit bei der Veräußerung bestimmter bekannter Schmuckstücke einmal abgesehen. Doch hier lag, dem ersten Anschein nach, die Lage anders. Man hatte, das erkannte er doch richtig, tatsächlich, wie Blechschmidt ganz treffend vorbrachte, buchstäblich alle Fächer entleert. Alle. Da war nichts von Wert übrig geblieben.
Und nichts von Unwert (wie der Direktor in einem Anflug von Belustigung dachte).
Doch diese Anwandlung verging sogleich wieder. Das, was man da vollzogen hatte, es war wie ein heimtückischer Dolchstoß ins Herz seiner Bank mit Namen Spar- und Einlagendepot. Einem harmlosen Namen, der dessen wirkliche Beschaffenheit an der Oberfläche schon verhüllte.
"Aber", Nollinger gurgelte, "um auch nur alle Fächer auszuräumen, dafür braucht man doch erhebliche Zeit. Nicht wahr?"
Er blickte wie erschrocken um sich.
"Selbst unter normalen Bedingungen", fuhr er fort, "dauert das, ich meine bezüglich von Einzelfächern, ohne daß man dafür durch Lichtschranken, Körperscanner, Lichtschranken und dergleichen Prüf- und Abtastmuster erheblich belästigt würde."
"Da waren Meister am Werke", versetzte Magda Schnyder, wie um ihrer im übrigen unangemessenen Bewunderung für die Einbrecher Ausdruck zu verleihen.
Karl Nollinger schnaufte.
"Na ja, jedenfalls ein findiger Kopf hat sich da betätigt", bemühte er sich, die Aussage der Assistentin Blechschmidts einzuschränken.
"Gellert!" brüllte er dann plötzlich zu ihrem EDV-Kabinett hinüber, dort, wo alle elektronischen Daten aufgezeichnet und ausgewertet wurden.
"Herr Direktor?"
Rudolf Gellert, ihr IT-Experte, streckte in der überspielten Aufnahme seinen Kopf aus einem Verhau von Computern und anderen flimmernden und flackernden Anzeigegeräten heraus.
"Was macht die Aufzeichnung des Vorgangs, Rudi?" herrschte Nollinger seinen Spezialisten an.
"Die Aufzeichnung?" Gellert schluckte.
"Wann können wir sie sehen?"
Sogleich, hätte Gellert am liebsten geantwortet. Konnte es aber nicht.
"Bald", stammelte er also in höchster Verlegenheit, aber auch wegen des unübersehbaren Zorns seines höchsten Vorgesetzten.
"Bald?" Dem Direktor platzte nicht nur die Geduld, sondern beinahe platzten auch die geschwollenen Adern an seinem Halse.
Rolf Hofer, Nollingers Stellvertreter, griff ein.
"Worauf beruht die Verzögerung, Rudi?" verlangte er zu wissen. "Ich denke, Ihr solltet bloß ein Filmchen abspulen. Ich meine, zunächst reichen auch einmal die standardmäßigen Aufnahmen, die wie immer von den Kontrollkameras aufgenommen werden."
"Das ist es ja eben, Rolf", gab Gellert gequält Antwort.
"Das ist es, Rudi? Ich verstehe nicht", brummmte Hofer (er war nicht der einzige, der nicht verstand).
"Alles wird elektronisch verarbeitet und ausgewertet", stellte Gellert fest, als ob er sich rechtfertigen müsse.
Nollinger, wieder das Wort ergreifend, herrschte seinen Daten-Experten an: "Na und? Dann zeigt uns doch mal das Filmchen von dem Einbruch!"
"Ja, das geht nicht so einfach, Herr Direktor", stammelte erneut Gellert.
"Das geht nicht so einfach? Ist das Ihr Ernst, Gellert?"
"Ja, Sie müssen wissen, Herr Direktor", wehrte sich der IT-Experte, "das ist kein normaler Film, über den wir hier verfügen."
"Nein, kein normaler Film, Rudi?" fragte Nollinger, ungeachtet gewisser bereits vorhandener Kenntnisse, drohend.
"Nein, Herr Direktor."
"Und was ist es dann, verdammt noch mal?"
"Nun ja, wie alles, was wir elektronisch bewegen, Herr Direktor, es sind also binäre Impulse, wenn ich mich so ausdrücken darf."
"Binäre Impulse?" Der Direktor staunte, gegen seinen Willen.
Darauf wäre er - jedenfalls in diesem Zusammenhang - noch gar nicht gekommen. Aber er kannte sich mit den Grundlagen der elektronischen Datenverarbeitung aua.
"Also, Sie meinen Eins und Null?"
"Ja, genau, Herr Direktor."
"Und damit werden alle Informationen, welche Sie überwachen oder über welche Sie überhaupt verfügen, verarbeitet?"
"Ja, so ist es, Herr Direktor."
"Auch das Filmchen von der Überwachungskamera während des Einbruchs?"
"Von mehreren Kameras aufgenommen, Herr Direktor", berichtigte Gellert stolz seinen höchsten Vorgesetzten (als ob der Hinweis auf eine Vielzahl entsprechender Aunfnahmeobjektive etwas nützen würde).
"Ja, mehrere Kameras", schnaufte Nollinger. "Na und? Haben die alle versagt, oder wie verstehe ich das?"
Seine Augen verengten sich, Mißtrauen zog in ihm ein - selbst seinen engsten Mitarbeitern gegenüber.
"Wo bleibt der Film, Rudi?" polterte er weiter. "Warum wird er nicht gesendet? Oder müssen wir erst warten, bis die Polizei kommt, um uns bei der Verarbeitung des Materials zu helfen?"
"Ach die Polizei", knurrte Nollinger, sich zu seinem Stellvertreter, dem Vize-Direktor, umwendend, "wo bleibt sie, Rolf?"
"Sie ist unterwegs, Herr Direktor", versicherte Hofer, "sie muß gleich hier sein."
"Also, Rudolf", sagte der Direktor zu seinem Cyber-Experten, "was ist mit dem Film? Es wird doch alles fortwährend aufgezeichnet. Jedenfalls, das Kellergewölbe betreffend. Wann können wir ihn in Augenschein nehmen?"
"Ja, sehen Sie, Herr Direktor", antwortete Rudolf Gellert, allerdings halb verzweifelt.
Denn so etwas hatte es selbst für ihn noch nicht gegeben, und er hatte insbesondere auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung ja schon einiger erlebt.
"Was sehe ich? Haben Sie den Film nun aufbereitet, oder haben Sie ihn nicht verfügbar?" herrschte Nollinger ihn wieder an.
"Also, wie ich schon erwähnte, das Ganze", versuchte Gellert, in die Ecke gedrängt, zu erklären, "das Ganze stützt sich auf Bits und dergleichen."
"Und, was ist damit?" verlangte Nollinger drohend zu wissen (der den rauschenden Salat im Hintergrund seines EDV-Experten auch über die derzeitige Bild-Übertragung sehr wohl wahrnahm).
Und tatsächlich, als ob Gellerts Worte bestätigt werden sollten, begann das unmittelbar gesendete Bild, das den IT-Experten zeigte, zu wackeln.
"Also, das ist kein wirklicher Film, Herr Direktor", bemerkte der Fachmann, als die Übertragung sich wieder aufklärte, "den wir da aufnehmen."
"Kein wirklicher Film?"
"Das wäre auch viel zu teuer."
"Ihr Film" (es war jetzt nicht mehr unser Film, wie Magda Schnyder vermutete, sondern jetzt war es nur noch Gellerts Film, der Streifen des EDV-Mannes), "besteht also bloß aus elektronischen Symbolen und Signalen?"
"Ja, so kann man es bezeichnen, Herr Direktor", bestätigte Gellert.
"Na und? Dann setzen Sie diese Punkte - oder was auch immer das ist - doch schlicht und einfach wieder zusammen. Wie Sie das früher ja auch schon getan haben. Das haben Sie doch früher auch schon getan, Herr Gellert?"
"Das ist nicht so einfach, Herr Direktor", widersprach der Experte.
"So, und warum nicht, Rudolf?"
"Weil... weil... wie soll ich sagen...", stammelte der Experte.
"Nun, warum, Herr Gellert?"
"Weil die elektronische Struktur gestört ist. Oder war. Oder immer noch ist, Herr Direktor."
"Noch immer ist, Herr Gellert?"
"Wie Sie an unserer derzeitigen Bildübertragung erkennen können, Herr Direktor."
"Ja, na und? Das Bild wackelt. Es hat schon oft gewackelt."
"Ja, aber die entsprechenden Regelverläufe auch im Gewölbe, sie waren angeschlagen."
"Hm", der Direktor prustete wieder, "Sie wollen damit andeuten, die Elektronik läuft nicht, wie sie sollte?"
"So könnte man es bezeichnen", lautete Gellerts vorsichtige Antwort.
"Aber die Elektronik", warf Hofer ein, der Vize-Direktor, "die hat doch etwas mit elektrischen Verläufen zu tun, oder nicht, Rudi?"
"Doch, das hat sie, Rolf."
"Na und?" Jetzt schien sich auch der Vize-Direktor, vielleicht um seinem Chef zu gefallen, aufzuspielen. "Da gab es also einen störenden Faktor, der auf die im Gewölbe wirkend Elektronik zugegriffen hat?"
"Ja, ganz genau das muß man vermuten."
"Wie", nun meldete Nollinger sich wieder, "wie, bitte stört man denn eine Elektronik?"
Doch wohl nicht, indem Sie mit der Hand an ein paar Tasten oder Schaltern herumspielen? dachte er bei sich. Verschwieg dies aber (um sich als Uneingeweihter in solche elektronischen Vorgänge nicht völlig lächerlich zu machen).
"Mit elektrischen Feldern, Herr Direktor", lautete die Antwort.
"Mit elektrischen Feldern?"
"Ja, mit elektrischen Feldern."
"Also, wenn ich da mit einer Taschenlampe hineinleuchte", warf die Schnyder ein, "dann geht die gesamte Elektronik zugrunde?"
Rudolf Gellert lächelte selbst über den nach wie vor allerdings nur leicht gestörten Bildschirm.
"Nein, Fräulein, eine Taschenlampe reicht dafür bei weitem nicht aus."
"Aber ein elektrischer Impuls, der tut es?" forschte Nollinger drohend.
Wo nur die Polizei blieb?
"Ja, ein elektrischer oder elektronischer Impuls, Herr Direktor", bestätigte Gellert.
"Und dergleichen hat da unten - im gesicherten Gewölbe - stattgefunden?"
"Ja, nur so kann man sich den Vorgang erklären, Herr Direktor."
"Und dabei sind die Kameras ausgefallen?"
"Ja, Herr Direktor."
"Also, man muß bloß einen elektronischen Strahl - oder was auch immer - auf unser unterirdisches Gewölbe lenken, und schon gerät es aus den Fugen?" fragte Nollinger.
Er besann sich auf die Diskussionen über die Sicherheitsvorkehrungen, welche man damals, als die Schatzkammer eingerichtet wurde, durchgeführt hatte. Da wurde nämlich ähnlich argumentiert. Doch niemand unter den Experten hatte es damals für möglich gehalten, daß jemals jemand einen elektrischen oder elektronischen Impuls - mit solch verheerender Wirkung - in die Eingeweide des Spar- und Einlagendepots lenken könnte.
"Hm", brummte Hofer, der Stellvertreter des Direktors.
"Rolf?" Der Leiter der Bank wandte sich hoffnungsvoll an seinen Vize, vielleicht würde der ihm ja weiter helfen, bis endlich die Polizei da war.
"Es wurden alle Fächer ausgeräumt?" erkundigte sich Hofer.
"Nein", wandte die Schnyder ein.
"Nein, mein Fräulein?"
"Nein. Es gibt wenigstens ein Schließfach, das ungeöffnet sein müßte."
"Ach", knurrte Nollinger, sich an Hans Blechschmidt wendend. "Würde es Ihnen sehr viel Mühe bereiten, dort einmal nachzusehen?"
"Wir wollten keine Spuren verwischen, Herr Direktor", rechtfertigte sich dieser.
Wie war das überhaupt so schnell aufgefallen, daß der Tresorraum weitgehend leer geräumt worden war? Eine Kundin, die Frau Mahnig da drüben, da stand sie ja noch, empört und verbittert und auf Rache beziehungsweise auf den Rechtsanwalt sinnend, hatte irgend ein Schmuckstück in ihr inzwischen geöffnetes Fach legen wollen. So war man darauf gekommen. Keine Alarmsignale, kein Klingeln, nichts dergleichen weckte die Aufmerksamkeit. Alles lief lautlos, völlig geräuschlos ab. Als ob ein unsichtbarer Geist da zugeschlagen - oder eben eher zugegriffen - hätte.
"Und welches Fach ist das, Fräulein?" erkundigte sich wiederum Hofer.
"Das mit so einem primitiven Einschub", erwiderte die Schnyder.
"Primitiv? Inwiefern?"
"Nun, nicht alle Leute vertrauen heutzutage auf die Elektronik. Oder sind überhaupt versiert genug, sie zu bedienen."
"Na, so schwer wird das ja nicht sein, ein Kennwort einzutippen oder auf einen Eingabeknopf zu drücken."
"Welches Fach wurde nicht aufgebrochen?" wollte nun auch Nollinger ungeduldig wissen.
"Da, das muß die Box Nummer 117 sein, da drüben", erklärte Gellert, dessen durch den Tresorraum fahrende Bildaufzeichnungen wieder funktionierten.
"Und was ist an dem so besonders?"
"Der Schlüssel", erklärte Hans Blechschmidt, der Sachbearbeiter im Schatzgewölbe.
"Der Schlüssel?"
"Ja, Herr Direktor. Sie hat darauf bestanden, daß man ihr persönliches Fach nur mit einem altmodischen, von ihr gelieferten und uns per Zweitanfertigung überlassenen Schlüssel öffnen könne."
"Sie? Wer ist sie?" knurrte der Direktor.
"Frau Demak", erkärte Blechschmidt, ganz, ganz rasch in seinen elektronischen Datenblättern nachschlagend (denn sein Chef konnte ganz böse werden, folgte man nicht unverzüglich seinen Wünschen oder Befehlen).
"Und dieses Fach - 117 - wurde nicht geöffnet?"
Karl Nollinger staunte erneut, wie die Bilder an ihm (und den anderen) vorüberglitten. Da besichtigte man die ganze Wand bis zu einer von Menschenhand greifbaren Höhe. Alle Schubladen waren geöffnet und entleert. Das Material, ersichtlich, aus ihnen verschwunden. Doch da unten, wohin die Kamera jetzt zielte, da war ein Fach - ach ja: 117 -, das schien ganz unversehrt zu sein. Nämlich geschlossen.
Nein, nicht ganz geschlossen.
"Können Sie einmal näher heranfahren, Herr Gellert?"
"Gewiß ja, Herr Direktor", beeilte sich der EDV-Experte zu versichern.
Und die Kamera - übrigens ohne irgendwelche Schwierigkeiten - schwenkte und fuhr dort unten heran und verhielt vor dem heil gebliebenen Schließfach. Das heißt, ganz so heil war es doch nicht. Sondern es zeigte Spuren - ja, von was? Von Gewaltanwendung?
"Was ist das?"
"Jemand hat sich an dem Fach zu schaffen gemacht, Herr Direktor."
"Ja, das sehe ich auch."
"Sehr wohl, Herr Direktor."
"Aber was ist das?" wiederholte Nollinger.
"Abdrücke im Zahngepräge", erklärte Blechschmidt nach einer kurzen Weile.
"Des Schlosses?"
"Ja, sieht so aus, Herr Direktor."
"Also hat da der Täter - oder die Täter, denn es müssen ja mehrere gewesen sein, alleine könnte einer einen solchen Coup doch nicht schaffen - sich selbst an dem altmodischen Schluß versucht? Ja?" fragte Nollinger, eine Spur von Zufriedenheit in seiner Stimme. "Und ist gescheitert?"
Aber es war wirklich nur eine Spur von Zufriedenheit zu vernehmen. Denn zu groß war der ringsum angerichtete Schaden.
"So", sagte Frau Mahnig von unten, die das Prozedere geduldig über sich hatte ergehen lassen, "holt mich da vielleicht jemand irgendwann wieder heraus?"
"Pforte ist verschlossen, Hans?"
"Ja, Herr Direktor. Wir hielten es aus Gründen der Spurensicherung für besser, die Pforte vorübergehend gesperrt zu halten."
"Ja, öffnen Sie, damit die verehrte Kundin da heraus kann."
"Sehr wohl, Herr Direktor."
Unten und drüben heulten mittlerweile die Sirenen. Diesmal die der Polizei. Sie befand sich im Anmarsch. Endlich. Ganze Straßenzüge hatte man im Vorlauf bereits abgesperrt, um eine mögliche, wenn auch höchst unwahrscheinliche Flucht der Täter auch durch die Kanalisation zu verhindern. Nicht wahr, solche Leute kommen ja auf Ideen, die ein normaler Mensch niemals fassen würde.
"Sie sind der Direktor dieser Institution?" fragte Holler, der Kommissar, der den Bankchef nur oberflächlich, vom Sehen her, kannte.
"Der bin ich. Nollinger. Karl Nollinger", bestätigte dieser.
Sie schüttelten sich die Hände.
"Ich werden einen Rechtsanwalt einschalten", verkündete die Frau Mahnig, die gleich neben ihnen in der Empfangshalle stand.
"Und wer ist diese Dame?" erkundigte sich Holler.
"Ihr verdanken wir die rasche Aufdeckung des Vorfalls", erklärte Nollinger, sich ungemütlich am Inneren seines Kragens fassend.
"Sie bleiben bitte noch für einen Moment hier, meine Dame", sagte der Kommissar zu der Mahnig.
"Ich werde meinen Rechtsanwalt anrufen", erwiderte diese.
"Sie können auch gerne mit Ihrem Rechtsanwalt warten", erwiderte Holler in einem Anflug von Humor (der ihm, schon gar nicht in Anbetracht der Lage) nicht zustand.
"Ich bin ausgeraubt worden", empörte sich die Frau Mahnig, "und in diesem Gebäude wollte ich auch noch Wertsachen ablegen."
"Ja, Sie warten bitte einen Augenblick, damit wir alle Zeugenaussagen zusammenfassen können."
"Wo kann ich meinen Rechtsanwalt anrufen?"
"Hat sie denn kein Mobiltelefon?" erkundigte sich Blechschmidt im Hintergrunde vertraulich, aber heiser.
"Nein", beschied ihn, nach erstem, oberflächlichem Eindruck, die Schnyder.
"Da drüben ist eine Telefonzelle", erbot sich Nollinger. "Sie können aber auch eins unserer Mobilgeräte benutzen."
"So", sagte der Kommissar, nachdem die Frau sich zwecks Gesprächs hinter einen Bankschalter begeben hatte, "und, bitte, was, genau, ist geschehen, Herr Direktor?"
"Ja", versetzte Nollinger und schluckte. "Ob wir uns nicht besser in den Tresorrraum begeben sollten, Herr Inspektor?"
"Natürlich."
Eine ganze Gruppe von Zuständigen, aber auch von Neugierigen brach in den hinteren Teil des Gebäudes auf. Dorthin, wo der Abstieg in den Schatzraum begann. Tatsächlich hatte man die entsprechenden Räumlichkeiten unter die Erde verlegt. Aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Der Zugang von allen Seiten wurde dadurch erschwert. Man dachte dabei an Einbrecher, die sich an die Schatzkammer heranbohren könnten. Aber auch die elektronische Überwachung erschien auf Grund der beengten Verhältnisse so einfacher (was sich im übrigen als Fehldeutung heraugestellt hatte).
Kommissar Holler, schon an der mittlerweile also freigegebenen Eingangstüre innehaltend, lachte.
"Haben Sie das selbst gemacht?" erkundigte er sich betont ungebührlich.
"Wie, bitte, Herr Inspektor?"
Holler streckte raumgreifend, umfassend eine Hand aus.
"Alles leer", versetzte er.
"Alles geöffnet", unterstützte ihn eifrig sein Assistent, Leutnant Schneider vom 1. Innenstadtrevier.
"Nun, ich meine", bemerkte Holler, vorsichtig vorwärts tretend (als könne er mit jedem unbedachten Schritt irgend etwas zerstören), "das wurde doch alles tüchtig ausgeräumt. Umfassend sozusagen", fügte er, seiner Verwunderung Ausdruck verleihend, hinzu.
"In welcher Zeit?" fragte er dann, die wütenden Blicke des Bankdirektors sowie seiner gehorsam nachäffenden Untergebenen ignorierend.
"Wann ist die Frau Mahnig da eingetreten?" fragte Nollinger, sich zügelnd, seinen Stellvertreter.
"Warten Sie bitte, Herr Direktor", bat Hofer, hastig in elektronischen Unterlagen blätternd.
"Um 10 Uhr 22", erklärte er dann, stolz, die automatische Aufzeichnung aufgespürt zu haben.
"Und da waren die Fächer schon entleert?"
"Ja, da hatte sich der Vorfall bereits ereignet, Herr Inspektor."
"Wie, genau, bekamen Sie Notiz davon, Herr Direktor?"
"Durch den Schrei, den die Frau Mahnig ausstieß, Herr Inspektor", berichtete Nollinger wahrheitsgemäß, sich auf die insofern bereits erteilten Angaben seiner Mitarbeiter beziehend.
Der Kommissar stand da. Er hatte wie geistesabwesend in eins der - leeren - Fächer gegriffen. Das wirklich leer war.
Er drehte sich zum Bankchef um.
"Ist das Ihr Ernst, Herr Direktor?" verlangte er dann fast grob zu wissen.
"Wie meinen Sie das, Herr Inspektor?" fragte dieser bestürzt, denn er ahnte sehr wohl, worauf sich der Kriminalbeamte bezog.
"Nun, ich meine", erklärte prompt dieser, "es muß hier doch Sicherheitsvorkehrungen geben. Die gibt es doch?"
"Ja, natürlich gibt es solche", versicherte der Direktor.
"Und?" fragte Holler wiederum geradezu anzüglich, "hat da nichts geläutet, gelärmt, geklingelt?"
"Ja, Alarmklingeln", setzte sein Assistent, Leutnant Schneider, hinzu.
Peinlich. Was sollte man darauf erwidern? Das Zentralgebäude des Spar- und Einlagendepots war bis aufs Feinste und Raffinierteste mit allen nur erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet. Und doch war man in diesem Ernstfall auf Frau Mahnig und ihre Schreie angewiesen. Um den Bankraub des Jahrhunderts - nein, des Jahrtausends, so würden es die sensationslüsternen Zeitungen schreiben - überhaupt erst zu entdecken.
"Die Elektronik, Herr Kommissar", mischte sich Cyber-Spezialist Gellert, im übrigen peinlich berührt, daß gerade er das vortragen mußte, ein, "hat versagt."
"Das würde ich auch vermuten, Herr..."
"Gellert, Herr Kommissar. Gellert ist mein Name."
"Sie sind Sachverständiger in diesen Dingen hier?"
"Das bin ich, Herr Kommissar."
"Und, was würden sie sagen?" fragte der Kommissar, sich mit dem Rücken wie gemütlich an eine der geöffneten Wände lehnend.
"Zur Überwindung unserer elektronischen Sicherheit, Herr Kommissar?"
"Ja, und dazu, wie es gelingen konnte, in so kurzer Zeit auch alle Schließfächer zu überwinden. Ach", Holler wandte sich wieder Karl Nollinger zu.
"Herr Inspektor?"
"Was den Zeitablauf betrifft, Herr Direktor."
"Herr Inspektor?"
"Also, um 10 Uhr 22 hat der Schrei der Kundin Sie aufgeschreckt?"
"Ja, genau, Herr Inspektor. Also, meine Kolleginnen und Kollegen. Ich selbst residiere oben im Verwaltungsturm. Es ist mir darum unmöglich, Schreie aus dem Gewölbe zu vernehmen."
"Verstehe. Und die automatischen Aufzeichnungen", Holler drehte sich erneut zu dem Cyber-Spezialisten um, "wie weit reicht die letzte gesicherte Aufnahme zurück? Ich nehme doch an", fügte er, ohne eine Antwort abzuwarten, schroff hinzu, "Sie verfügen über gespeichertes Material von früher, also von davor, ich meine, bevor der Schrei der Kundin irgend jemanden alarmierte?"
"Haben wir, Herr Inspektor", versicherte Gellert.
"Und dieses auch durchgesehen?"
"Ja, soweit das in der knappen Zeit möglich war, Herr Kommissar."
"Und? Ergebnis?" Holler runzelte die Stirne.
"Sie meinen, wie weit zuverlässige Unterlagen zurückreichen, den Schließraum betreffend?"
"Ja, ganz genau, Herr Gellert. Nun?"
"Bis 8 Uhr 12 reichen unsere zuverlässigen Momente, Herr Kommissar."
"Bis 8 Uhr 12, Herr Gellert?"
"Bis 8 Uhr 12, Herr Kommissar", versicherte der Cyber-Spezialist treuherzig.
"Und dann? Ich meine, nach 8 Uhr 12? Was geschieht dann, mein Lieber?"
"Dann", stammelte Gellert verlegen, als ob er selbst dafür verantwortlich wäre, "brechen die gesicherten Datensätze ab, Herr Kommissar."
"Brechen ab, Herr Gellert?"
"Ja, Herr Kommissar", bestätigte dieser.
"So einfach? Nichts mehr aufzuspüren?" Der Kriminalist wollte es nicht glauben.
"Da ist eine Leerstelle, Herr Kommissar", erklärte nun Hofer, des Bankdirektors Stellvertreter, der in diese speziellen Unterlagen auch schon Einblick genommen hatte.
"Wie verstehe ich das, Herr Hofer?"
"Nun, ein Loch, eine Lücke, ein Riß. Oder", murmelte Hofer, immer noch selbst verwundert, "ein Rauschen. Ja, ein Rauschen. So würde ich das bezeichnen."
"Gut, gleich", brummte Holler. "Wir können doch diesen Riß oder diese unausgefüllte Sektion sofort studieren, Herr Gellert?"
"Können wir, Herr Kommissar", bestätigte dieser.
"Also von 8 Uhr 12. Bis", Holler warf einen Blick auf den von ihm mitgeführten und beschrifteten, an einem ganzen Block hängenden Zettel, "bis 10 Uhr 22 ergibt sich eine Lücke in den Aufzeichnungen. Oder eine Leerstelle", fügte er sinnend hinzu, "oder ein Rauschen."
"Nein, Herr Inspektor", warf Nollinger da ein, der ebenfalls teilweise schon Einblick in bestimmte Einzelheiten des Vorgangs genommen hatte.
"Ich bin im übrigen nicht Inspektor", erwiderte Holler.
"Verzeihung, Herr Kommissar", äußerte wunschgemäß der Bankchef.
"Nein, Herr Direktor?"
"10 Uhr 12", versetzte Nollinger.
"10 Uhr 12, Herr Direktor? Würden Sie die unendliche Güte haben, dies näher zu erläutern?" drängte Holler.
"Der Riß in der elektronischen Verarbeitung geht bis 10 Uhr 12, Herr Kommissar", bemerkte Gellert.
"Ah, und dann erkennt man wieder, was dort, in dem Gewölbe, vor sich geht? Ich meine, dann funktioniert die Aufzeichnung wieder?"
"Ja, ganz genau, Herr Kommissar."
"Also, kurz bevor, die Frau..."
"Mahnig, Herr Kommissar."
"Ja, da steht es ja. Also die Frau Mahnig. Kurz bevor sie den Schrei ausstößt, läuft die elektronische Aufzeichnung wieder?"
"Es waren mehrere Schreie, Herr Kommissar", bermerkte Hofer, der stellvertretende Direktor.
"Halten wir also fest", brummte Holler, ohne sich durch die nebensächlichen Einschübe beirren zu lassen, "es besteht eine elektronische Lücke von", er blickte vorsichtshalber einmal mehr auf den Zettel in seiner Hand, "8 Uhr 12 bis 10 Uhr 12. Das ist doch richtig?"
"Das ist ganz genau richtig", bestätigte, sich allerdings unwohl in seiner Haut fühlend, Gellert.
"Von zwei Stunden", fuhr der Kriminalist fort.
"Zeit genug", ergänzte sein Assistent Schneider ganz trocken, "nicht bloß das entsprechende Kellergewölbe auszuräumen."
"Wie, wenn ich das nochmals erfahren darf, erklären Sie sich einen solchen elektronischen Ausfall? Gleich von zwei Stunden?" fragte der Kriminalist den Cyber-Experten. "Und dann auch noch in einer so hoch gesicherten, äußerst heiklen, empfindlichen Lage?"
Der Cyber-Mann schluckte. Er erklärte sich das nämlich gar nicht. Außer als völliges Versagen.
"Ein Funkschatten?" fuhr Holler grimmig fort. "Gibt es so etwas in Ihren Bereichen? Ich meine, etwa der Lage des Tresorraums unter der Erde geschuldet?"
"Elektronische Störungen kommen schon mal vor, Herr Kommissar", erwidere der EDV-Experte nach kurzem Besinnen.
"Wodurch etwa?"
"Beispielsweise durch Sonneneruptionen."
"Gab es denn um diese Zeit eine solche Sonneneruption?"
"Nicht, daß ich wüßte", erwiderte treuherzig Gellert.
Und einige, vor allem unter den Polizisten, dachten: eine Sonneneruption, die genau so lange anhält, bis die Fächer leer geräumt sind?
"Also muß von anderer Seite her ein Zugriff auf Ihr elektronisches Sicherheitssystem erfolgt sein?"
"So sieht es aus, Herr Kommissar."
"Wie greift man denn auf solche Anlagen zu?"
"Tja, intern oder extern", überlegte, wie versonnen, der IT-Spezialist.
"Würden Sie dies bitte einem unbedarften Menschen wie mir näher erläutern, Herr Kollege?"
"Nun ganz einfach, Herr Kommissar", erwiderte Gellert. "Entweder Sie sind mit dem System elektronisch verbunden. Dann können Sie von innen heraus wirken. Oder Sie sind es nicht. Dann bleibt nur ein Zugriff von außen."
"Verstehe." Ludwig Holler überlegte.
"Was die innere Kontaktaufnahme betrifft, Sie hängen also am allgemeinen Stromnetz?" fragte er dann weiter.
"Ja, unvermeidlich."
"Und ein Eingriff in dasselbe könnte Ihre Sicherheitsvorkehrungen ebenfalls beeinflussen?"
"Nein, Herr Kommissar. Oder", berichtigte sich Gellert, "nur in geringem Ausmaß."
"Was heißt das?" forschte Holler.
"Nun, es lassen sich auf diesem Wege - ich meine per Zugriff auf das allgemeine Elektrizitätsnetz - unter Umständen Stromschwankungen herbeiführen."
"Das Licht geht aus?"
"Ja, in etwa."
"Und bald wieder an?"
"Ja, natürlich. Aber das Licht geht dann nicht nur bei uns, und zwar auch noch speziell im unterirdischen Bankgewölbe, aus, sondern überall im Institut, und darüber hinaus gewiß auch in der Umgebung, zumindest im Stadtteil."
"Und dergleichen, also weiter greifender Einfluß, wurde nicht verzeichnet?"
"Nein."
"Der Schaden betrifft nur und ausschließlich den Tresorraum?"
"Ja, ganz genau, Herr Kommissar. Nur den Tresorraum."
"Und des weiteren", forschte Holler, "für internen Zugriff, also auch, um die Sicherheitsanlage zu überwinden, benötigt man Paßwörter und dergleichen?"
"Ja, natürlich."
"Der Personenkreis, der über solche Möglichkeiten verfügt, ist eng begrenzt?"
"Äußerst beschränkt, Herr Kommissar."
"Und läßt sich in kurzer Zeit überprüfen?" überlegte Holler halblaut, für sich selber.
"Ist teilweise schon geschehen", warf Schneider, der Assistent, trotzdem ein.
"Wir können also zunächst einmal eine interne Einflußnahme auf diesen gesamten Vorgang ausschließen?" erkundigte sich Holler.
Und dachte bei sich: sonst wäre ja möglicherweise die gesamte Bank an diesem Verfahren beteiligt. Unwahrscheinlich! Und selbst wenn, das würden so viele einbezogene Leute doch nie für sich behalten können.
"Das können Sie gerne", pflichtete Karl Nollinger, auf den Ruf seines Instituts bedacht, erfreut bei.
"Bliebe der Zugriff von außen", sann der Kriminalist.
Unwahrscheinlich. Alle Fächer geöffnet. Bis auf eines. Und unbekannte Wertgegenstände entnommen. Geheimhaltung. Die Leute, die über Geld verfügen - also hier Gold, Schmuck und dergleichen - verbergen diese Schätze selbst vor den Bankmitarbeitern.
"Es darf immer nur einer alleine in das Gewölbe?" erkundigte sich Holler.
"Sie meinen beim Zutritt zu den Schließfächern, Herr Kommissar?" fragte Nollinger.
"Ja, Herr Direktor."
"Ja, nur einer. Strengste Geheimhaltung. Privatsphäre. Sie verstehen, was ich meine. Die Privatsphäre muß unbedingt geschützt werden."
"Ja, ich verstehe schon", murmelte Holler.
"Und gab es sonst irgend welche auffälligen elektromagnetischen Erscheinungen, welche sich mit diesem Einbruch in Zusammenhang bringen lassen?"
Diese Frage des Kriminalisten ging an seinen Assistenten Schneider.
"Nichts dergleichen, Herr Kommissar", erwiderte der Leutnant, "soweit wir dies bis jetzt in Erfahrung bringen konnten."
"Und, wie ich schon sagte", warf Nollinger ein, "wenn dergleichen vorgefallen wäre, so hätte sich das ja auch in weiteren Bereichen der Bank oder des Stadtviertels bemerkbar machen müssen, nicht wahr."
"Ja, das wurde schon erwähnt, Herr Direktor."
Da meldete sich der Cyber-Experte. "Wir sind so weit, Herr Direktor."
"Herr Gellert?"
"Ja, Herr Kommissar."
"Womit?" fragte Nollinger, dessen Gedanken augenscheinlich abschweiften.
Denn da war der Kommissar. Ihn hatte er - wie ihm, dem Bankchef, da bestürzt einfiel - wiederholt mit Inspektor angesprochen. Irre. So etwas war ihm, dem Direktor, noch nie passiert. Zumal gerade er auf Etikette Wert zu legen pflegte.
"Na, mit der Rekonstruktion des Vorfalls", erwiderte der EDV-Mann ungeduldig.
"Wie?" fragte, höchst interessiert, Holler. "Sie können da etwas rekonstruieren, Herr Gellert?"
"Ja", erwiderte Hofer, der Vize-Direktor, der sich zwischenzeitlich neben dem EDV-Chef in den für solche Tätigkeiten abgeschotteten Raum begeben hatte.
"Und was?" forschte der Polizist weiter. "Ich denke, daß alle Aufzeichnungen gelöscht oder beschädigt wurden? Ich meine die, welche die Überwachungskameras aufgenommen haben?"
"Das betrifft nur die strukturierten Bilder, Herr Kommissar", antwortete Gellert.
"Die strukturierten Bilder, Herr Gellert? Würden sie die unendliche Güte aufbringen, mir - oder vielmehr uns - diesen Begriff zu erklären?" verlangte Holler ungeduldig.
"Nun", brummte der Spezialist wohlgefällig, sich in seinem Fachwissen sonnend.
Denn es ist eine ausgemachte Sache, wenn einem von allen Seiten, und gerade in einem solch komplexen Falle, die Wichtigkeit der eigenen Person bestätigt wird.
"Also, die stattgefundene elektrische Störung hat auf die Bits und Bytes und dergleichen zugegriffen."
"Das sagten Sie schon, Verehrter."
"Das heißt aber nicht, daß nicht doch strukturelle Überreste des Informationsflusses vorhanden wären."
"Nein, also Restbestände wären noch vorhanden?"
"Ja, aber es bedarf einiger Überlegenheit, aus dem - sagen wir mal - elektronischen Schrott oder Rauschen, wenn Ihnen dieser Ausdruck lieber ist, die nötigen Informationen herauszufiltern", verkündete der Fachmann, stolz auf sein Wissen.
"Also, sind jetzt Daten des Einbruchs verfügbar oder nicht?" verlangte Holler von dem Computer-Experten ungeduldig zu wissen.
"Ja und nein, Herr Kommissar", beschied ihn, nachdem er erst einmal Hoffnungen geweckt hatte, eher abschlägig dieser.
"Und was heißt das jetzt schon wieder?"
"Nun, man kann, wie ich schon erwähnte, alle elektronischen Spuren verwirbeln oder überdecken, aber endgültig nicht wirklich löschen."
"Also, wenn Sie meine Begriffsstutzigkeit verzeihen wollen, es sind elementare Grundbestandteile der Informationen, wie die Überwachungskamers sie geliefert haben, immer noch vorhanden?"
"Ja, genau, Herr Kommissar."
"Aha, und es gilt, den wirklichen Vorfall aus diesen Elementen herauszufiltern?"
"Ja, genau, Herr Kommissar."
"Aber das braucht Zeit, Herr Gellert?"
"Ja, Herr Kommissar."
"Und jetzt sind Sie so weit, Herr Gellert, Sie und Ihre Mitarbeiter?"
"Also, auf Grund der uns von Seiten der Bank zugestandenen beschränkten Mittel verfüge ich nur über eine Assistentin, das Fräulein Jarusch, das sich um diese Vorgänge kümmert."
"Wäre es nach den Anforderungen des Aufsichtsrates gegangen", warf Karl Nollinger ergrimmmt ein, "dann hätten wir diesen Cyber-Posten mit nur einer Person besetzen können. Oder", fügte er wägend hinzu, "er wäre ganz gestrichen worden."
"Fräulein Jarusch?"
Der Kriminalist seufzte, als das Bild der entsprechenden Cyber-Mitarbeiterin, ebenfalls aus den seitlichen Kellergewölben aufgenommen, auf den ihnen allen zur Verfügung stehenden Schirmen auftauchte.
"Herr Inspektor?"
"Kommissar, mein Fräulein", berichtigte Holler sie, "ist die Anrede oder mein Titel."
"Ja, natürlich. Verzeihung. Ich dachte nur, weil unser aller Chef sich so äußerte."
"Schon gut, Fräulein Jarusch. Also, was den Film betrifft, ich meine den von dem Einbruch, kann er jetzt abgerufen werden?"
"Ja, Herr Inspektor, nein, Verzeihung, Herr Kommissar, so kann man es nicht nennen."
"Was nicht nennen?"
"Nun, den Film abzurufen, Herr Inspektor, Herr Kommissar."
"So, warum nicht, mein Fräulein?"
Nicht wahr, das war fast zum Verzweifeln. Als ob sich eine unsichtbare Wand zwischen sie alle schieben würde. Alles zu verzögern. Zu verschleppen. Zu verhindern. Dachte Ludwig Holler.
Dabei (und nun schweiften auch seine eigenen Gedanken ab) war das Fräulein - wie hieß sie gleich nochmals? - ach ja, ein Blick auf den Zettel in seiner Hand: Jarusch hieß sie. Also, dabei war das Fräulein Jarusch ausgesprochen hübsch. Ja, eine wirklich reizende, attraktive Person war sie. Ob er mit ihr - nebenbei, unauffällig, versteht sich - nicht irgend einen privaten Termin etwa zum Essen ausmachen sollte? Dann würde man weiter sehen.
Ludwig Holler biß sich auf die Lippen.
Der Film, der Film, besann er sich. Oder die Schnipsel von demselben.
"Nun, wie schon erläutert, man kann ihn, den Restfilm, wenn Sie so wollen, nur bitmäßig wieder zusammensetzen."
"Was heißt das? Kann man sich den Film nun anschauen oder nicht?" Der Kommissar wurde ungeduldig.
Der IT-Experte Gellert schaltete sich wieder ein. "Sie wissen doch, Herr Inspektor..."
"Kommissar..."
"Ja, Verzeihung, Sie wissen doch, Herr Inspektor, daß all diese kostengünstig zu erlangenden Informationen also aus Bits und Bytes zusammengesetzt sind?"
"Ja, das haben Sie bereits hinreichend erklärt. Mit dem Ergebnis, daß wir in den Schnipseln nur Schrott oder Rauschen gewärtigen würden. Na und?"
"Je nun", verkündete Gellert stolz (und mit roten Ohren), "immer dann, wenn noch etwas vorhanden ist, kann man diese Restbestände auch verwerten."
"Das sagten Sie im Grunde schon, mein Lieber", knurrte Holler (die Hoffnung auf ein sichtbares Ergebnis stieg wieder).
"Und zwar nur unter Mithilfe meiner Assistentin", betonte Gellert.
"Fräulein Jarusch", stellte Leutnant Schneider, seinem Chef beispringend, ergeben fest.
"Also", der Hauptkriminalist, wegen der Hinhaltetaktik genervt, seufzte, "können wir jetzt das besichtigen, was Ihnen oder Ihrem Fräulein ausfindig zu machen gelungen ist?"
"Ja, Herr Gellert und mein Fräulein", schaltete sich ebenfalls Karl Nollinger ein, "das würde mich auch einmal interessieren, was wir für unser Geld da bekommen."
"Gut, aber wir haben Sie gewarnt", räumte Fräulein Jarusch ein.
"Wir erwarten ja wirklich keine gestochen scharfen Bilder", sagte Roman Schneider.
Und sah zu, wie sein eigener Chef sich mit einem geblümten Taschentuch den Mund abwischte (den unersetzlichen Notizblock legte er so lange beiseite).
"Nun, was ist das?" knurrte Kommissar Holler und legte das geblümte Taschentuch beiseite.
"Einen Augenblick, bitte, Herr Inspektor."
Ein seltsames Gefühl erfüllte den Polizisten. Er fühlte sich bedrängt. Nicht nur, weil sie seinen Titel ständig falsch aussprachen oder unrichtig benannten. Das klang fast wie Absicht, wie ein Anschlag auf seine Persönlichkeit, auf sein Urteilsvermögen. Und irgendwie so, als ob sie - die sich falsch äußerten - sich allesamt verbündet hätten. Ja, als würden Augen von überall her auf ihn starren.
Ludwig Holler lachte innerlich (wenn auch etwas gequält). War er jetzt auch schon verrückt geworden? Nein, das war er nicht. Das Taschentuch in seiner Hand (das jetzt allerdings in einer Außentasche seiner Jacke steckte und von dort keck hervorragte) war geblümt. Daran bestand kein Zweifel. Und auch nicht über die Örtlichkeit, an der sie sich befanden. Dies war das hiesige Spar- und Einlagendepot, und man hatte sie um Hilfe gerufen. Das ließ sich nicht bestreiten.