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Impressum:

© 2019 Bernd Sternal

Herausgeber: Verlag Sternal Media, Gernrode

Gestaltung und Satz: Sternal Media, Gernrode

www.sternal-media.de

www.harz-urlaub.de

Umschlagsgestaltung: Sternal Media

Fotos & Abbildungen: Archiv B. Sternal oder siehe Bildlegenden

1. Auflage Oktober 2019

ISBN: 978-3-7504-6278-6

Herstellung und Verlag:

Books on Demand GmbH, Norderstedt

Einführung

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die alte, kleine Harzstadt Gernrode unter dem Namen „Jungmädelstadt“ bekannt.

Doch war diese 1830 entstandene Idee als Stadt der Töchterpensionate und Töchterschulen nur eine logische Weiterentwicklung einer schon fast tausendjährigen Entwicklung.

Das von Markgraf Gero 959 gegründete St. Cyriakus-Stift in Gernrode ist die Keimzelle der Stadtentwicklung. Die Stiftung war ein reichsunabhängiges Kanonissen-Stift. Als Kanonisse oder Stiftsdame wird eine Frau bezeichnet, die in einer kirchlichen Gemeinschaft lebt, ohne jedoch ein Ordensgelübde abzulegen. Bei den Frauen eines solchen Stifts handelte es sich um adlige Damen, die dort gemeinschaftlich wohnten und Unterhalt, Erziehung und Bildung genossen.

Das Stift St. Cyriakus in Gernrode war vom Stiftgründer, sowie in Folge von weiteren Stiftern, mit reichem Eigengut ausgestattet. Das weltliche Stift, in dem die Stiftsdamen große Freiheiten genossen, hatte den Status einer Reichsabtei und war nur dem König und dem Papst unterstellt. Der König sicherte dem Stift Immunität vor den regionalen Kirchenherren und Landesfürsten.

Geleitet wurde das Stift durch eine Äbtissin, die häufig aus den hochadeligen Geschlechtern der Billunger, Askanier, Wettiner und vergleichbarer Familien stammte. Die Äbtissin hatte ein umfangreiches Aufgabengebiet: Neben der Verwaltung des Eigenguts hatte sie auch Recht zu sprechen. Zudem zeichnete sie für die Aufnahme der Stiftsdamen und den damit einhergehenden Schenkungen verantwortlich.

Die adligen Stiftsdamen kamen in der Regel als junge Mädchen in das Stift. Sie wurden dort erzogen, ausgebildet und auf die Ehe vorbereitet. Viele von den jungen Damen verließen mit der Eheschließung das Stift wieder und kehrten in ihr altes weltliches Leben zurück. Wer jedoch keinen Ehemann fand, blieb oft sein Leben lang im Stift. Es kamen jedoch auch Stiftsdamen, die ihren Gatten bereits in jungen Jahren verloren hatten. Bis zu 24 Stiftsdamen lebten gleichzeitig im Gernröder Stift.

In besten Zeiten im Hochmittelalter soll das Stift 24 Dörfer, 21 Kirchen und 400 Hufen Land besessen haben. Doch der Reichtum ging zunehmend verloren. Die Fürsten von Anhalt, die Schutzvögte des Stifts waren, verleibten sich immer mehr Stiftseigentum ein. Zur Zeit der Reformation bestand das Stiftseigentum nur noch aus der kleinen Stadt Gernrode.

Für die Ausbildung und Erziehung der jungen adligen Damen war qualifiziertes Lehrpersonal nötig, das im Stiftsbezirk lebte. Innerhalb des Stiftbezirks gab es zudem ein größeres Spital sowie weitere soziale Einrichtungen; ihr Platz war am heutigen Spittelteich. Auch dort wurde gut ausgebildetes Personal benötigt, zumal auch im Spital ständig eine Ausbildung erfolgte.

Die Äbtissin, Elisabeth von Weida, tat jedoch wohl einen weiteren kleinen Schritt, der später dann die Idee der „Jungmädelstadt“ beflügelte. Sie führte zum einen im Ort und im Stift die Reformation ein, zum anderen begründete sie eine Volksschule (Elementarschule), die zu den ältesten in Deutschland zählt. Die Alte Elementarschule in Gernrode, die 1533 erbaut wurde, gilt als älteste erhaltene Volksschule in Deutschland.

Das Stift verlor dennoch ständig weiter an Bedeutung. Das Fürstenhaus Anhalt gliederte das Stift 1610/1614 in sein Territorium ein. Letzte Äbtissin war Sophie Elisabeth von Anhalt-Dessau. Durch Heirat wurde sie 1614 Herzogin von Liegnitz und trat aus dem Stift aus.

Es folgte der Dreißigjährige Krieg, der die Harzregion schwer beutelte und auch das 18. Jahrhundert brachte wenig Aufschwung. Gernrode war eine bedeutungslose Kleinstadt, die von Landwirtschaft, Handwerk und etwas Handel lebte. Inzwischen war das Amt Gernrode entstanden.

Ein merklicher Aufschwung setzte erst nach Ende der Befreiungskriege und mit der einsetzenden Industriellen Revolution ein.

Das Jahr 1830 brachte eine Idee hervor, die zu einer Initialzündung für Gernrode führen und die über 100 Jahre andauern sollte. Die Kleinstadt Gernrode konnte einen regen Bevölkerungszuwachs verzeichnen. Es gab 1830 etwa 296 Höfe und 2.036 Einwohner. Die Schülerzahlen stiegen an und es wurden mehr Schulräume benötigt: Für Mädchen in der Burgstraße 5, für Jungen in der Burgstraße 7. Die Alte Elementarschule blieb das Schulzentrum.

In dieser Zeit war die Familie Moldenhauer eine der prägendsten und bedeutendsten Familien in Gernrode. Johann Ernst Carl (1766 - 1843) war Kaufmann und Bürgermeister von Gernrode. Er war verheiratet mit Katharina Karoline Auguste geb. Brinkmann (1767 - 1809), einer Tochter des Nordhäuser Ratsherrn Georg Brinkmann. [Anm. des Verfassers: unterstrichener Name ist der Rufname]

Das Ehepaar hatte 7 Kinder: Erstgeborene war Friederike Sophie Karoline (1793 - 1856). Es folge Dorothea Wilhelmine Christiane Auguste (1795 - 1853). Drittes Kind des Paares und der erste Sohn war Karl Friedrich August (1797 - 1866). Friedrich Moldenhauer studierte Naturwissenschaften, promovierte und wurde Chemieprofessor. Er war einer der Erfinder der Phosphorzündhölzer und animierte seinen jüngeren Bruder Carl sowie seinen Schwager 1834 zur Gründung der ersten Zündholzfabrik in Gernrode und zu einer der ersten in Deutschland.

Heinrich Friedrich Christian Carl wurde 1801 geboren, er verstarb 1876. Zuvor erblickte noch das vierte Kind der Moldenhauers das Licht der Welt: Ernestine Henriette Christiane Luise (1799 - 1878).

Die beiden „Nachzügler“ waren die Töchter Sophie Juliana Charlotte (1803 - 1857) und Christine Auguste Therese (1806 - 1807).

In meinen folgenden Ausführungen sollen die weiteren Familienmitglieder der Moldenhauers keine Rolle mehr spielen, obwohl sie an der Idee und Ausführung durch ihre Schwester Karoline sicherlich Anteile hatten.

Die Ausbildung von Karoline Moldenhauer war nicht zu klären. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Auguste war ausgebildete Handarbeitslehrerin und leitete in Bernburg ein Töchterpensionat. Als Karoline die Arbeit ihrer Schwester kennengelernt hatte, sah sie den wachsenden Bedarf an solchen Instituten. Zudem erkannte sie in Verbindung mit ihrer eigenen inneren Einstellung, dass den jungen Mädchen nach der Schule eine gezielte Starthilfe gegeben werden musste, um den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern. Leider war diese Förderung jedoch nicht für alle jungen Mädchen angedacht, sondern nur für jene aus wohlhabendem Hause.

Hervorgehend aus den mittelalterlichen Klosterschulen bildeten sich nach der Reformation erst Lateinschulen, aus denen heraus sich höhere Schulen entwickelten, die Gymnasien genannt wurden. Jedoch waren diese Bildungssysteme für Jungen angelegt. Die höhere Mädchenbildung blieb Privatangelegenheit der Familie und hinzu gezogener Privatlehrer.

Mit dem stark aufstrebenden Bürgertum und dem Wohlstand in diesen Gesellschaftsschichten entstand ein Bedarf, den wir heute „Marktlücke“ nennen würden. Karoline Moldenhauer war in diesen gesellschaftlichen Strukturen beheimatet und verankert, sie erkannte diesen Bedarf.

Zu jener Zeit begannen die ersten Frauenrechtsbewegungen. Dennoch war es für Frauen nicht ohne weiteres möglich, unternehmerisch tätig zu werden. Zwar war es Frauen gestattet, künstlerisch oder schriftstellerisch tätig zu sein, jedoch ein Wirtschaftsunternehmen zu gründen und zu leiten war von der Zustimmung des Ehemannes oder Vaters abhängig.

Somit muss Karoline Moldenhauer wohl kräftige finanzielle Unterstützung für ihre Ideen aus ihrer Familie bekommen haben und ihre Schwester Auguste wird sie sicherlich inhaltlich unterstützt haben. Im Jahr 1830 gründete sie in der heutigen Steinbergstraße 22 – damals Friedrichstraße - das erste Töchterpensionat mit dem Namen „Daheim“. Es stand wohl ein durchdachtes Konzept dahinter. Junge Mädchen – heute würden wir diese als junge Frauen bezeichnen – zwischen 16 und 22 Jahren wurden dort ausgebildet.

Es war damals noch nicht üblich, dass Frauen Berufe erlernen. Die jungen Frauen aus gutem Hause sollten jedoch auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter vorbereitet werden, zudem sollten sie kulturell gebildet sein. Dementsprechend sah die Ausbildung aus. Damit die jungen Frauen möglichst wenig in die Verlegenheit kamen mit jungen Männern zusammenzutreffen, wurden die ersten Töchterpensionate weit außerhalb der Stadt erbaut.

Töchterpensionat Haus „Edelweiß“,