Genesis eines Kriegsendes

Die 1.Marine-Infanterie-Division

und das letzte Aufgebot

des Großadmirals Dönitz

am Ende des Zweiten Weltkriegs

- Neubearbeitung -

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Bölscher, Bernd:

An den Ufern der Oder - Neubearbeitung

4. Auflage – Norderstedt: Books on Demand GmbH, 2020

ISBN 978-3--7519-6387-9

© Bernd Bölscher, 2020

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags.

Inhaltsverzeichnis

  1. Landmarine und Küstenverteidigung
  2. „Marinesoldaten an die Ostfront!“
  3. An der Oder zwischen Schwedt und Zehden
  4. Folgen eines Frontbesuchs
  5. Um die Zugänge zur unteren Oder
  6. Brückenkopf Greifenhagen - Altdamm
  7. Das Sterben eines Brückenkopfes
  8. Wiederauffrischung und Umgliederung
  9. „Die Oder ist die HKL und wird gehalten!“
  10. In die Frontlücke bei Gartz
  11. Sinnlos geopfert
  12. Vor der Wotanstellung
  13. Durchbruch bei Prenzlau
  14. Das Ende in Mecklenburg
  15. Kriegsgefangen

Kartenverzeichnis

Karte 1. Aufstellungsraum der Marine-Schützen-Brigade Nord

Karte 2. Lage in der Nogat-Weichsel-Niederung am 24.Februar 1945

Karte 3. Lage der 1.Marine-Division im Brückenkopf Zehden am 22./23. Februar 1945

Karte 4. Eigene Lage im Raum Garden – Woltersdorf – Kortenhagen am 5.März 1945

Karte 5. Eigene Lage im Brückenkopf Greifenhagen – Altdamm am 8.März 1945

Karte 6. Lage bei der 1.Marine-Infanterie-Division am 23.März 1945

Karte 7. Lage bei der 1.Marine-Infanterie-Division am 14./15.04.1945

Karte 8. Ausschnitt aus der Feindlagekarte der Heeresgruppe Weichsel vom 25.04.1945

Karte 9. Einsatzraum und Rückzugsweg des I.Bataillons des Mar.Inf.Regt 4 am 26.-27.April 1945

Karte 10. Rückzugsweg des I. /Mar.Inf.Regt. 4 im östlichen Mecklenburg

Bildnachweis

S.→ Jachmannkaserne (priv.); - Fieguth: Marienburg; - Struckmann (priv.).

S.→ff. Standbilder aus dem Dokumentarfilm „1.Marine-Schützen-Division an der Oderfront“ (Gerhard Garms 1945). BArch, Film Nr. 21609.

S.→ Hartmann (priv.), - BArch Bildarchiv, Bild 146-1997-022-07A; - BArch Militärarchiv RH 7, Pers 6, HPA 28072; Pers 6, HPA 48845

S.→ Nötzold (priv.); - Schwanhäußer, MOV; - BArch, Miltärarchiv, RH 7, HPA11138; - Pers 6, HPA 28072.

S.→ Rudolph (priv.).; - Fink (priv.); - DRK-Listen.

S.→ Ortskampf in Pommern, BArch, Bildarchiv Bild 183-H26409/Scherl; - SZ-Foto 00398643/Scherl

S.→ DRK-Listen,

S.→ BArch Militärarchiv RH 7, Pers 6, HPA 35169; HPA 28072; - Panzerfaust (priv.).

S.→ BArch, Bild 146-1984-019-28/Wolff.; - BArch, Bild 146-1976-143-21/o.A.; BArch, Bild 146-1985-048-28/Emil Bieber; – von Bleßingh (priv.)

S.→ff. Dönitz an der Oderfront. Sämtlich BArch Bildarchiv, - Bild: 183-J2874; 146-2010-0068; 146-2010-0069; 146-2010-0071; 146-2010-0072; 146-2010-0070.

S.→ BArch, Bildarchiv. - Bild 101I-671-7482-08A/Lysiak.; - 101I-296-1688-25/Schwoon.

S.→ sämtlich BArch Militärarchiv, RH 7: dabei HPA Dill; - HPA von Waldow; - HPA Weiß; - HPA Ragnow.

S.→ BArch Militärarchiv, RH 7: HPA Bauschlicher; - HPA Knispel; Nachlass Becker-Gassen; Schlippenbach (priv.).

S.→ DRK-Listen; - Spaar (privat); Woosmann (privat); Meyer-Ranke (privat).

S.→ Jähnig u. Gerdes (privat), Fricke, Strickrodt u. Stoessel (Crew-Chronik), Mahlstedt (privat), Albrecht, Gericke u. Allmenröder (DRK-Liste).

S.→ Bilder von H.G. Meier (Sammlung Vorreiter).

S.→ BArch Bildarchiv, Bild 101I-152-1842-22; - 183-R63861; - 146-1979-064-03.

Vorwort

Im Frühjahr 2020 jähren sich zum 75-ten Male die blutigen Ereignisse, die den 2.Weltkrieg in Europa beendeten. Der Anteil, den an Land eingesetzte deutsche Marinesoldaten daran hatten, war bescheiden, nichtsdestoweniger verlustreich und tragisch. Hieran möchte ich durch diese grundlegende Neubearbeitung meines vor fünf Jahren erstmalig erschienenen Buches erinnern. Es befasst sich intensiv mit dem Werden und Vergehen der 1.Marine-Schützen-Division, der späteren 1.Marine-Infanterie-Division während der letzten Phase des 2.Weltkriegs in Pommern, der Uckermark und in Mecklenburg. Im Mittelpunkt steht das Schicksal junger Marinesoldaten, die gegen Ende des Krieges notdürftig auf einen Landeinsatz vorbereitet und dann an der Ostfront beiderseits der Oder - im Kampf gegen die Rote Armee auf verlorenem Posten stehend – rücksichtslos verheizt wurden. Nach Erscheinen der ersten Auflage im Herbst 2014 erhielt ich zahlreiche Zuschriften von Angehörigen verstorbener Marinesoldaten und zeitgeschichtlich Interessierten. Dabei wurden mir neue, bislang unbekannte Quellen – auch Bildquellen - zugänglich gemacht, so dass ich mich schlussendlich zu einer Überarbeitung und Neufassung des Buches entschloss. Die letzten Zeitzeugen von damals haben seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches ihre Gedenkveranstaltungen an den einstigen Orten des Geschehens eingestellt, und der Tod hat ihre Reihen unbarmherzig gelichtet.

In der Neubearbeitung habe ich auf die kapitelweise Auflistung der Quellennachweise verzichtet und sie in gekürzter Form durch fortlaufende Fußnoten ersetzt. Besonders hingewiesen wurde vor allem auf neue Quellen. Das Personen- und Ortsregister wurde erheblich gestrafft.

Dieses Buch widme ich dem Gedenken an die Toten und Verschollenen der 1.Marine-Infanterie-Division der ehemaligen Deutschen Kriegsmarine. Ebenso widme ich es dem verstorbenen Fregattenkapitän a.D. Hanns Vorreiter, Schönkirchen. Als er von meinem Projekt über die 1.Marine-Infanterie-Division erfuhr, überließ er mir in selbstloser Weise einen großen Teil seiner Dokumentensammlung. Ich danke allen Menschen, die mein Vorhaben auf die eine oder andere Art unterstützt haben, ganz besonders auch Piotr Brzezinski und Bartosz Suleja, Szczecin.

Recklinghausen, im April 2020

Prolog

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs wurden Zehntausende deutscher Marinesoldaten ohne Erdkampfausbildung in einen Landeinsatz geschickt. Sinnlose Verluste an jungen Menschenleben waren die Folge. Wie konnte es dazu kommen?

Nachdem im deutschen Kaiserreich eine eigenständige Marineinfanterie in verschiedenen Kolonialkriegen und auf Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs eine dem damaligen Verständnis entsprechende militärische Tradition entwickelt hatte, waren in der Weimarer Republik und nachfolgend im Dritten Reich die Aufgaben der Marine auf den Seekrieg beschränkt geblieben. Als Landtruppe gab es lediglich die Marineartillerie, die im Ernstfall mit ihren Küstenbatterien gegnerische Kriegsschiffe bekämpfen und mit einer marineeigenen Luftabwehr die Häfen gegen Fliegerangriffe schützen sollte. Erst spät, und zwar zeitgleich mit dem Beginn von Hitlers Politik gewaltsamer territorialer Revisionen im Frühjahr 1938 begann die deutsche Kriegsmarine, eine kleine Truppe mit infanteristischem Aufgabenschwerpunkt aufzustellen, deren Zweck es war, das Heer an einer Seefront zu unterstützen. Diese Marine-Stoßtrupp-Kompanie bestand aus gut ausgebildeten Erdkampfspezialisten. Von dort war es jedoch noch ein langer Weg bis zu den Marineregimentern und -divisionen des Jahres 1945. Die Marineführung unter den Großadmiralen Raeder und Dönitz war auf den Seekrieg als ihre ureigene Aufgabe fixiert und wurde letztendlich erst durch Hitler und seine Paladine im OKW zu einem Paradigmenwechsel genötigt. Eine entscheidende Zäsur sollte das Frühjahr des vierten Kriegsjahrs bringen, - eine Zeit also, als sich die Achsenmächte noch als die kommenden Sieger wähnten.

Großadmiral Erich Raeder war für den Abend des 13.April 1942 in das Führerhauptquartier befohlen worden. Hitler hatte der Kriegsmarine Versagen vorgeworfen, - Versagen bei der Abwehr eines britischen Kommandounternehmens gegen den deutschen Unterseeboots-Stützpunkt St. Nazaire. Der Oberbefehlshaber der Marine sollte dazu Rede und Antwort stehen.

Zwei Wochen vorher hatte die Royal Navy die Verwundbarkeit der Küstenverteidigung an der französischen Atlantikküste aufgezeigt. Fehlendes Gefahrenbewusstsein in einigen Marinestäben im Verbund mit einem Mangel an Kräften zur Aufklärung und frühzeitigen Bekämpfung gegnerischer Landungsversuche hatten es dahin kommen lassen, dass britische Kommandotruppen bei St.Nazaire an Land gesetzt und in das Hafengebiet eingedrungen waren. In erbitterten Kämpfen konnten sie durch Truppenteile der Marine und des Heeres schließlich aufgerieben und ihre Reste gefangen genommen werden.

Obwohl der Angriff somit letztendlich ohne Schaden für die Seekriegsführung abgewiesen worden war, hatte Hitler die Kriegsmarine mit dem Vorwurf der Nachlässigkeit und mangelnden Verteidigungsbereitschaft konfrontiert und noch am gleichen Tag die Schaffung einer Marinelandtruppe angeordnet. Der Wehrmachtführungsstab hatte dem OKM den Befehl erteilt, mit sofortiger Wirkung eine Marine-Festungsbrigade zur Sicherung der Bretagneküste aufzustellen. Das Oberkommando der 7.Armee war angewiesen worden, schleunigst zu melden, wo erste Teile dieser Marinebrigade eingesetzt werden sollten. Die Seekriegsleitung ließ konkrete Vorschläge für die Bereitstellung des erforderlichen Personals ausarbeiten. Zu diesem Zweck sollten die Marinedienststellen in Frankreich entbehrliche Offiziere und Mannschaften abgeben.1

Einige Tage später hatte die Seekriegsleitung bereits konkrete Eckdaten für die Aufstellung der Marinelandtruppe festgelegt. Mit einer Gesamtstärke von mehr als sechstausend Mann sollten aufgestellt werden ein Brigadestab, zwei Regimentsstäbe, fünf Infanteriebataillone, fünf Batterien leichte Artillerie, zwei Pak-Kompanien, eine Pionierkompanie und eine Sanitäts-Einheit.2 Zu der Besprechung im Führerhauptquartier nahm Raeder den Vizeadmiral Theodor Krancke mit, der als Chef des Quartiermeisteramts der Seekriegsleitung sein Fachmann für Organisationsfragen war. Nachdem dieser die Überlegungen der Marine über die Aufstellung von Marinebrigaden nüchtern und sachkundig vorgetragen hatte, gab sich Hitler konziliant. In der anschließenden Aussprache forderte er, dass die wichtigsten Marinestützpunkte in Frankreich so stark zu sichern seien, dass gegnerische Kommandounternehmen scheitern müssten. Sache der Marine wäre vor allem der Schutz der Inseln vor der Küste. Neben Verteidigungskräften müsse auch eine bewegliche Kampfgruppe vorhanden sein, die gelandete Fallschirmjäger und ähnliches angriffsweise 'erledigen könne'. Vordringlich hätten die Marinelandtruppenteile jegliches Festsetzen des Gegners auf den Inseln zu verhindern; sie wären aber auch als vorgeschobene Sicherungen in die Küstenverteidigung einzugliedern. Anders gesagt, sollte diese Truppe über die taktischen Fähigkeiten für die Gefechtsaufgaben Sicherung, Verteidigung und örtlicher Gegenangriff verfügen.

Für die Kriegsmarine bedeutete dies, dass sie keineswegs einen geschlossenen Großverband für einen Kampfeinsatz auf dem Festland aufstellen musste. Um in diesem Punkt sicher zu gehen, ließ Raeder sich diese seine Sichtweise vom OKW fernschriftlich bestätigen. Damit war der starre Befehl zur Aufstellung einer Marine-Festungsbrigade hinfällig. Im übrigen unterwarf sich die Marine bei der Ausbildung von Einheiten für Landkriegsaufgaben dem Primat des Heeres, bat aber um die Bereitstellung der dafür erforderlichen Waffen und Geräte sowie Ausbildungshilfe durch die Armee.3

Schon in der zweiten Aprilhälfte wurden auf fünf strategisch wichtigen Inseln vor der Bretagneküste sieben leichte Marine-Artillerie-Abteilungen (M.A.A.) neu aufgestellt. Jede Abteilung bestand aus mehreren Batterien, von denen eine oder zwei als leichte Schützenkompanien ausgerüstet waren. Die Mehrzahl der Einheiten war mit Geschützen leichten Kalibers bewaffnet.4

Mit den Offizieren und Unteroffizieren, die jetzt aus Artillerie-, Flak-, Ersatz- und Schiffsstamm-Abteilungen für die Aufstellung dieser Verbände abgezogen und mit Hilfe des Heeres für begrenzte Landkriegsaufgaben ausgebildet wurden, zog sich die Marine einen Personalkader heran, auf den sie zweieinhalb Jahre später zurückgreifen konnte, als die Frage des Schutzes der Küsten im Bereich der Deutschen Bucht akut wurde. Wie sich am Beispiel der M.A.A. 684 auf der Insel Noirmoutier vor der Loiremündung zeigen lässt, kamen die Batterie- und Kompaniechefs nicht nur von Marinebasen in Westfrankreich, sondern auch aus Garnisonen im Deutschen Reich: Oberleutnant (MA) Hermann Cramm erhielt im April seine Kommandierung von der Marine-Flak-Abteilung 807 in Lorient zu der neu aufzustellenden Abteilung. Kapitänleutnant Bruno von Schmidt wurde von der 10.Schiffsstamm-Abteilung (10.S.St.A.) in Wesermünde, wo er als Kompanieoffizier tätig gewesen war, an die Loiremündung in Marsch gesetzt. Oberleutnant (MA) Werner Grässle kam Ende April gleichfalls als Kompaniechef nach Noirmoutier.5

Zuvor hatten seit Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion bereits einige hundert Marinesoldaten an der Ostfront im Erdkampfeinsatz gestanden. Zunächst waren der Heeresgruppe Nord zwei Marine-Stoßtrupp-Abteilungen für die Verwendung in der Landfront an der Ostseeküste unterstellt worden. Später kamen weitere bataillonsstarke Verbände der Marineartillerie dazu. Die Marine-Stoßtrupp-Abteilung 'von Diest' war bald umbenannt worden in Marine-Artillerie-Abteilung 531 (M.A.A. 531). Ihre Offiziere und Unteroffiziere hatten eine gründliche Ausbildung für den Infanteriekampf durchgemacht, und sie waren in ihrer Kampfkraft den Infanterieverbänden des Heeres annähernd gleichwertig. Bei der blutigen Eroberung von Libau Ende Juni 1941 hatten diese Einheiten schwere Verluste erlitten. Beide Kommandeure waren gefallen.6

Vom Herbst 1942 an wurden in die Landfront in Russland jedoch mehr und mehr auch Wach- und Hafenkompanien eingegliedert, die lediglich über notdürftige Fähigkeiten für den Infanteriekampf verfügten. Zahlreiche Gefallene waren der Preis. Diese aus der Not geborene Maßnahme wurde durch die sowjetische Gegenoffensive im Südabschnitt der Ostfront ausgelöst und stellte auf Seiten der deutschen Marine eine Wende zu Behelfslösungen dar. Nicht nur an der Küste von Schwarzem Meer und Asowschem Meer, sondern auch im küstennahen Binnenland zwischen Don und Dnjepr wurden von nun an Soldaten der Kriegsmarine für Erdkampfaufgaben geopfert. Bei Maikop am Schwarzen Meer kamen drei Hafenkompanien zum Infanterieeinsatz, wurden schwer angeschlagen und im Januar/Februar 1943 aufgelöst. Weitere Hafenkompanien wurden bei der Abwehr russischer Seelandungen zeitweise in die Landfront des Heeres eingefügt und erlitten schwerste Verluste.

Als die Rote Armee im Spätsommer 1943 am Südflügel der Heeresgruppe Süd zur Gegenoffensive überging, wurden bald auch Marineeinheiten in die Kämpfe verwickelt. Nachdem Anfang September 1943 bei Jalta auf der Krim ein Landungsversuch schwacher sowjetischer Kräfte unter Einsatz der Wachkompanie des Seekommandanten Ukraine zerschlagen worden war, setzten sich kurz darauf sowjetische Landungstruppen in Bataillonsstärke überraschend im Hafengebiet von Noworossisk fest und schlossen eine Sicherungs- und Wachkompanie des Hafenkommandanten ein. Die versuchte Landung von zwei weiteren Angriffswellen brach im Abwehrfeuer der deutschen Artillerie zusammen. Unter Führung von Oberleutnant (MA) Hans Hossfeld führten andere Marineeinheiten während der nächsten drei Tage einen Gegenangriff, durch den ein großer Teil des Hafens zurückerobert wurde. Die Marinetruppen verloren mehr als hundert Tote und Verwundete.

Die sowjetische Großoffensive auf der Krim begann am 2.November 1943 mit der Landung starker Kräfte nördlich und südlich von Kertsch. Angesichts der akuten Bedrohung stellte der Admiral Schwarzes Meer im Laufe der nächsten zwei Tage dem Heer für den Erdkampfeinsatz an der Landenge eine Marine-Artillerie-Abteilung und ein paar Alarmkompanien zur Verfügung. Dazu kamen eine Anzahl von Geschützen ohne Bedienung und mehrere Lkw-Transportkolonnen. Alles in allem waren es etwa 1500 Mann, welche die Marine jetzt für den unmittelbaren Einsatz an der Landfront bereitstellte.7

Weiter nördlich in Nikolajew wurde im Herbst 1943 eine Landtruppe mit der Bezeichnung 'Einsatzabteilung Schwarzes Meer' aufgestellt und der 6.Armee für einen Einsatz an der Schwarzmeerküste zwischen Bug und Dnjepr unterstellt. Schon bald wurde es als Bataillon 'Eichstädt' bezeichnet. Bei den Rückzugskämpfen im Winter 1943/44 sollte dieses Bataillon tagelang als verschollen gelten. Nachdem Nikolajew Ende März 1944 geräumt worden war, befahl der Generalstab des Heeres, das Bataillon aus der Front herauszulösen und dem Admiral Schwarzes Meer zum Abtransport zur Verfügung zu stellen, - zu spät. Unter dem 18.April wurde im Kriegstagebuch der Seekriegsleitung vermerkt, dass "vom Bataillon Eichstädt seit der Räumung von Nikolajew keine Nachricht vorliege, so dass mit Verlust zu rechnen" wäre.8

Zur gleichen Zeit spielten Landtruppenteile der Marine auch bei den Endkämpfen auf der Krim eine aufopferungsvolle Rolle. Nach Beginn der sowjetischen Schlussoffensive auf der Halbinsel wurden drei Marine-Artillerie-Abteilungen sowie das Bataillon des inzwischen zum Kapitänleutnant beförderten Hossfeld dem Heer unterstellt. Die Stärke der Marinetruppen auf der Krim wurde zu diesem Zeitpunkt mit ungefähr dreizehn- bis vierzehntausend Mann beziffert. Als der fluchtartige Rückzug der deutschen 17.Armee auf die Festung Sewastopol begann, hielten das Bataillon 'Hossfeld' und die M.A.A. 613 zeitweise allein die Hauptkampflinie (HKL) vor dem Festungsbereich. Nach und nach waren sie schließlich in Sewastopol eingetroffen. In der Festung wurden aus überzähligem Personal zwei Marine-Alarmbataillone und eine weitere Marine-Artillerie-Abteilung gebildet. Als schwere Artillerie im Festungsbereich kamen jetzt die Geschütze der M.A.A. 601 zum Einsatz gegen Landziele. An der Perekop-Front sprengte die M.A.A. 614 ihre Geschütze, um danach mit einer Reststärke von zwei Offizieren und 65 Mann als Kampfreserve bei der 50.Infanterie-Division eingesetzt zu werden. Am Vormittag des 19.April war bis auf versprengte Teile das Gros aller Marinelandeinheiten auf der Krim in die Festung Sewastopol zurückgeführt worden. Das Bataillon 'Hossfeld' wurde umbenannt in Marine-Schützen-Bataillon 320 und erlitt zusammen mit dem Bataillon des Fregattenkapitäns Bauer während der folgenden Abwehrschlacht schwere Verluste. Mehrfach wurde es im Kriegstagebuch der Seekriegsleitung und der 17.Armee namentlich erwähnt. Der Kommandeur wurde mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichnet. Der Preis waren zahlreiche Tote, Verwundete und Vermisste. Zu den Personalverlusten der Landeinheiten zählten viele Verschollene, deren Schicksal auch sechzig Jahre nach Kriegsende immer noch ungeklärt war, - insgesamt mehr als zweihundert Mann.9

Nach der Räumung der Krim ließ Dönitz seine Bilanz des Landeinsatzes der Kriegsmarine an dieser Front im Kriegstagebuch der Seekriegsleitung niederlegen:10

Die MAA'en und anderen Marinelandeinheiten haben trotz ungenügender infanteristischer Ausbildung vorbildlich tapfer und verschiedentlich entscheidend für das Halten der Front im Landekopf gefochten und ihren Einsatz hoch mit Blut bezahlen müssen.

Damit war innerhalb der Marineführung ein heutzutage zynisch klingender Mythos geboren, - der Mythos von der eisernen Standfestigkeit von Marinetruppen im Erdkampfeinsatz, obwohl diese dafür nur ungenügend ausgebildet waren. Darüber, dass der katastrophale Ausgang der Schlacht vorhersehbar war, die Front nur vorübergehend gehalten wurde und Tausende von Soldaten für das Versagen der Führung, an dem Dönitz nicht unbeteiligt gewesen war, mit ihrem Leben bezahlen mussten, schwieg sich der Chronist der Seekriegsleitung schlichtweg aus. In der Sichtweise des Ob.d.M. war es offenbar vielmehr maßgeblich, dass die Marine ihre Standfestigkeit im Landkampf erfolgreich unter Beweis gestellt hatte, dass ihre Männer starben, ohne sich aufzulehnen, ohne aufzugeben oder davonzulaufen.

Mitte Mai 1944 war es jetzt, und es sollten nur noch wenige Wochen vergehen, bis die Frage des Landkriegseinsatzes von Marineeinheiten erneut aktuell werden sollte, diesmal im Westen und drängender denn je zuvor. Im Mittelpunkt vieler Überlegungen im OKW und im OKM hatte schon seit langem die Furcht vor einer massierten Seelandung der Westalliierten irgendwo an der langen Küstenlinie zwischen den Pyrenäen und der Nordspitze Jütlands gestanden. Als das OKW auf Geheiß Hitlers am 3.November 1943 die Führer-Weisung Nr .51 erlassen hatte, mit der den Wehrmachtteilen Richtlinien für die Vorbereitung auf eine Invasion der angelsächsischen Mächte im Westen erteilt wurden, hatte sich daraus für die Kriegsmarine als neue Hauptaufgabe neben dem eigentlichen Seekriegseinsatz die Mitwirkung bei der Bekämpfung feindlicher Landungstruppen ergeben.11 Hierzu war der "Einsatz sämtlicher für den Erdkampf geeigneter Soldaten von Schulen, Lehrgängen und sonstigen Landkommandos" so vorzubereiten, "dass sie zumindest für Sicherungsaufgaben herangezogen werden konnten". Schon Mitte November 1943 hatte die Seekriegsleitung eine Weisung an die untergeordneten Kommandostäbe herausgegeben, in der es hieß: 12

Für die Verstärkung der Küstenverteidigung des Westraumes, Dänemarks und Norwegens im Angriffsfall sind vorbereitend aus den betr. Räumen selbst und aus dem Heimatkriegsgebiet des MOK Nordsee und Ostsee Alarmeinheiten bereitzustellen. Hierzu sind aus Schulen, Lehrgängen und Dienststellen des rückwärtigen Dienstes Soldaten aller Dienstgrade mobmäßig zu designieren, innerhalb der einzelnen Kommandos und Dienststellen zu Teileinheiten zusammenzufassen und mit Bewaffnung und Ausrüstung für sofortigen Abruf und Abtransport bereitzuhalten... Die Alarmeinheiten aus dem Heimatkriegsgebiet MOK Nordsee und Ostsee sind für den Westraum und für Dänemark vorgesehen..."

Nicht einmal vier Monate sollten dann verstreichen, bis es am 26.Februar 1944 bei einer Aussprache auf dem Berghof bei Berchtesgaden zu einer Kontroverse zwischen Dönitz und Generaloberst Jodl vom OKW über die Verwendung von Landmarineteilen an der künftigen Landfront im Westen kam, die von Hitler aus einem Nebenraum mitgehört wurde, ohne dass er eingriff. Der Ob.d.M. vertrat die Auffassung, dass die Übernahme von Aufgaben des Heeres für die an Land befindlichen Ausbildungstruppenteile der Marine nicht in Frage komme, weil sonst die Besatzungen für fertig gestellte Schiffe fehlen würden. Jodl widersprach, doch Generalfeldmarschall Keitel stellte sich auf die Seite des Ob.d.M. Als Dönitz betonte, dass er es nicht dulden würde, wenn auch "nur ein einziger Mann seinen marineeigenen Aufgaben entzogen würde", gab Jodl schließlich widerstrebend nach, - jedoch nur vorläufig. Schon eine Woche später musste Dönitz einräumen, dass die Marine sich bei einer feindlichen Großlandung nicht weigern könne, dem Heer Alarm-Einheiten zur Verfügung zu stellen, ganz gleich ob es sich um Ersatz- oder Ausbildungstruppenteile handelte.13

Als am frühen Morgen des 6.Juni 1944 die Seekriegsleitung in ihrer Lagebeurteilung zu dem Schluss kam, dass es sich bei den gemeldeten Landungen in der Normandie um eine Invasion im großen Maßstab handelte, war sie auf einen kommenden Führerbefehl zum Landeinsatz ihrer Ausbildungs- und Ersatzabteilungen in Westeuropa vorbereitet und hatte bereits Maßnahmen in Gang gesetzt, die dem unauffällig entgegenwirkten. Zum Einen sollten, um für eine mögliche alliierte Landung im Skagerrak und Kattegatt gerüstet zu sein, keine Marineteile aus dem Ostseeraum abgezogen werden. Zum Anderen befahl der Ob.d.M., die Seestreitkräfte und die Verbände der Küstenverteidigung von der Ostsee bis zur Biskaya personell voll aufzufüllen.14 Die Folge war eine erhebliche Ausdünnung der Ersatz- und Ausbildungsverbände, auf die das OKW nach einer Invasion im Westen an sich zugreifen können sollte. Es würde das letzte Mal sein, dass Dönitz seine Seeleute vor einem Landkriegseinsatz bewahrte.

Nachdem es der deutschen Heeresgruppe B nicht gelungen war, die Invasionstruppen am Strand zu besiegen und ins Meer zurückzuwerfen, war es wegen der alliierten Luftherrschaft nicht mehr möglich, die Truppen Eisenhowers und Montgomerys im Landesinneren der Normandie in beweglicher Kampfführung operativ zu schlagen. Im Gegenteil: Nach dem Scheitern der Gegenangriffe von Rommels Panzerdivisionen konnte die 1.US-Armee am 18.Juni die Halbinsel Cotentin vom Festland abschnüren. Von jetzt an sollte der Einsatz der Marinelandtruppen in Frankreich überwiegend aus Festungskämpfen bestehen. Die Ereignisse des Frühjahrs 1944 auf der Krim wiederholten sich mehrfach: Cherbourg, St. Malo und Brest waren Neuauflagen des zähen, Freund und Feind zermürbenden Rückzugs auf einen Festungsbereich und des verzweifelten Haltens der Stellung bis zur letzten Patrone, jetzt aber ohne jede Aussicht auf ein Entkommen. Da die Wehrmachtbefugnisse in den bedrohten oder eingeschlossenen Festungen zunächst durchweg von Heereskommandeuren ausgeübt wurden, hatte die Marine in der Regel jedweden Befehl zur Bereitstellung von Soldaten für den Infanterieeinsatz, zur Verwendung der Küstenartillerie für die Landzielbekämpfung und zur Abgabe von Waffen und Geräten, selbst von Transport-Lkws ohne Einschränkung zu befolgen. Die Gegensätzlichkeiten zwischen Heer und Marine werden in verschiedenen Berichten deutlich, aus denen Dönitz viele Wochen später in einem persönlichen Lagevortrag vor Hitler zitierte. Auf Befehl des Heeres waren einsatzfähige Schnellfeuer-Batterien der Marine gesprengt worden, um die Geschützbedienungen infanteristisch einsetzen zu können; auch waren Hafenschutzkompanien in den Landkampf eingereiht und ihre Boote stillgelegt worden.15

Im Verlauf des Endkampfes um die eingeschlossene Festung Cherbourg erwiesen sich einige Marineoffiziere als derart zähe und fanatische Führer eines letztlich aussichtslosen Widerstands gegen die Übermacht der angreifenden Gegner, dass sie mit hohen Orden dekoriert wurden: Konteradmiral Walter Hennecke, Seekommandant Normandie, erhielt das Ritterkreuz, Fregattenkapitän Hermann Witt, Hafenkommandant Cherbourg, das Deutsche Kreuz in Gold. Demgegenüber wog für den Kommandanten des Artilleriearsenals der Kriegsmarine, Kapitän z.S. August Kirgasser, die Verantwortung für das Leben seiner Soldaten höher als die sich aus seinem Fahneneid ergebende Pflicht zum Halten der Stellung bis zur letzten Patrone. Er übergab das ihm unterstehende Arsenal an die US-Truppen und löste damit vermutlich bei Dönitz dessen üblichen Reflex gegenüber 'Kapitulanten', 'Defaitisten' und 'Verrätern' aus: Der Oberbefehlshaber der Marinegruppe West, Vizeadmiral Krancke, musste gegen ihn ein kriegsgerichtliches Verfahren wegen Ungehorsams einleiten. Der Henker blieb Kirgasser erspart, weil er am 8.Juli 1944 in US-Kriegsgefangenschaft kam. Dort verstarb er im April 1945.16

Einen Monat nach dem Fall von Cherbourg durchbrachen die Panzerdivisionen der 1.US-Armee die deutsche Front im Süden der Normandie und stießen fächerförmig gegen die Bretagne vor. Für die deutsche Kriegsmarine zeichnete sich nunmehr eine akute Bedrohung ihrer Ubootsstützpunkte ab. Der Augenblick war erreicht, alles entbehrliche Marinepersonal dem OB West zur Verfügung zu stellen. Am kritischsten waren die Panzervorstöße der US-Truppen gegen die untere Loire und die Nordküste der Bretagne bei St. Malo. Es kam zum ersten Versuch an der Westfront, Marinelandtruppen in beweglicher Kampfführung einzusetzen.

Wie erinnerlich, waren seit dem Frühjahr 1942 sieben leichte M.A.A.-en auf strategisch wichtigen Inseln vor der französischen Atlantikküste stationiert, um die Ubootsstützpunke vor alliierten Angriffen zu schützen. Als Ende Juli 1944 mit einem baldigen Großangriff der US-Amerikaner gegen Westfrankreich zu rechnen war, forderte der OB West von der Marine die Freigabe dieser Truppen für den Einsatz in der Landfront. Dönitz hatte anfangs gezögert; ihm lag daran, dass seine Landeinheiten nur zum unmittelbaren Schutz der Kriegshäfen eingesetzt wurden. Letztlich musste er sich dem Druck des OKW beugen. Als der OB West Ende Juli Heeresverbände aus der Nordbretagne für den Einsatz in der bedrohten Normandiefront abzog, stellte die Marine dem Heer insgesamt 3600 Mann für den landseitigen Schutz von Brest, Lorient, St. Nazaire, La Rochelle und La Pallice zur Verfügung. Darunter waren auch die Infanterieteile der M.A.A. 686, wobei es dem Heer überlassen blieb, ob sie zur Sicherung eingesetzt wurden oder in der Kampffront.17 Damit war der weitere Ablauf vorgezeichnet. Innerhalb weniger Tage wurden sämtliche leichten M.A.A.-en von den Inseln abgezogen und dort durch Alarmeinheiten aus Besatzungen stillgelegter Schiffe, Werft- und Wachpersonal ersetzt. Insgesamt drei leichte M.A.A.-en sollten im Festungsbereich Lorient eingesetzt werden, während die M.A.A. 684, 686 und 687 Marschbefehl in den Raum Nantes - Rennes - Angers nördlich der Loire erhielten, um dort Einheiten der französischen Resistanće zu vernichten, die in Erwartung des Eintreffens US-amerikanischer Truppen mit offenem Widerstand begonnen hatten.18

Der Einsatz der drei M.A.A.-en gegen die französische Resistanće war übrigens nicht die erste Aktion zur 'Bandenbekämpfung', an der Landmarineteile mitwirkten. Schon seit dem Vorjahr waren Truppenteile der Kriegsmarine in der Adria und Ägäis sowie an der Küste des Finnischen Meerbusens westlich von Leningrad unter dem Befehl des Heeres auf Partisanenjagd gegangen, hatten dabei auch Siedlungen zerstört und Zivilpersonen festgesetzt.19 Über Einzelheiten dieses 'schmutzigen Krieges' der deutschen Marine ist bisher kaum etwas bekannt geworden.

Von dem Antipartisaneneinsatz der M.A.A. 686 in Nordwestfrankreich erhielt auch die Seekriegsleitung Kenntnis, wie ein Eintrag im Kriegstagebuch vom 7.August zeigt. Er belegt einen Vorfall, der mit erheblichen Verstößen gegen die Genfer Konventionen verbunden war.20

Am 6.8. nachmittags hat 1./686 in Zusammenarbeit mit Panzerjägergruppe Segré nordwestlich Angers im Kampf gegen Terroristen eingenommen und Ort befehlsgemäß niedergebrannt.

Dem Kriegstagebuchführer war wohl nicht bekannt, dass bei der Besetzung von Segré etwa sechzig Zivilpersonen als Geiseln festgenommen wurden, - eine eindeutige Verletzung des Kriegsvölkerrechts. Nur die mutigen Bemühungen von französischem Unterpräfekten, Bürgermeister und Pfarrer verhinderten nach den Recherchen des französischen Historikers Mechinaux, dass die Geiseln erschossen wurden. Andernfalls wäre es zu einem schweren Kriegsverbrechen mit Beteiligung deutscher Marinesoldaten gekommen, - der 6.August 1944 wäre zu einem Tag der Schande für die deutsche Marine geworden. Teile der M.A.A.686 gelangten bis in die südlichen Randbezirke von Rennes, während die M.A.A. 684 und das Gros der M.A.A. 687 gegen Angers marschierten. Letztere stand unter dem Befehl von Korvettenkapitän Louis Leisewitz, der bei den schweren Kämpfen fiel. Die überlegenen US-Truppen nahmen Angers ein.21 Die deutsche Kriegsmarine hatte ihren ersten größeren Einsatz im Bewegungskrieg an der Landfront im Westen gehabt, schwere Verluste erlitten und nirgends die Stellung halten können. Wenig später zogen sich die zerschlagenen Reste der Leichten M.A.A.-en auf das Südufer der Loire zurück.

Im Nordwesten Frankreichs standen in den folgenden Wochen die Kämpfe um St. Malo und die belagerten Atlantikfestungen Brest, St. Nazaire, Lorient und La Rochelle im Mittelpunkt des Geschehens. Insgesamt waren dort mehr als vierzigtausend Marinesoldaten in die Abwehrfront eingegliedert. St. Malo kapitulierte nach zehntägiger Belagerungsschlacht am 17.August. In der Festung Brest dauerten die erbitterten und blutigen Kämpfe bis zur Eroberung der letzten Stützpunkte durch US-Truppen gut einen Monat länger. Dabei kam es zu einer Kontroverse zwischen dem Seekommandanten, Konteradmiral Otto Kähler, und dem neu ernannten Festungskommandanten, Generalleutnant Bernhard Ramcke, über die innere Haltung der Marinesoldaten. Ramcke hatte den Vorwurf erhoben, dass das Marinekontingent in der Festung größtenteils ohne Kampfgeist, verweichlicht und unbrauchbar wäre. Er hob hervor, dass sogar Ubootsbesatzungen nach mehrtägigem Großangriff geschlossen desertierten, da ihnen die Härte des Infanteristen fehlte. Auf Ersuchen des Befehlshabers der Uboote (B.d.U.) sorgte Kähler für eine Klarstellung, welche die für Dönitz unerträglichen Pauschalvorwürfe gegen 'seine' Ubootmänner abmilderte. Er drang auch darauf, dass Ramcke mit Anerkennung für die Kriegsmarine im Festungskampf nicht sparte. Bereits beim Kampf um St.Malo hatte die Seekriegsleitung empfindlich auf eine Meldung reagiert, dass vierzig Matrosen zum Gegner übergegangen wären, und für eine Richtigstellung gesorgt.22

Die an der französischen Atlantikküste und am Ärmelkanal stationierten deutschen Seestreitkräfte hatten während und nach der Invasion bei Seegefechten und durch alliierte Luftangriffe schwere Verluste erlitten. Besonders die Sicherungsstreitkräfte, waren fortlaufend dezimiert worden. Als nach dem Fall von St. Malo die Einschließung der Atlantikfestungen sowie der baldige Verlust von Le Havre, Dieppe und Boulogne unausweichlich geworden waren, befahl Dönitz die Außerdienststellung aller nicht mehr benötigten Schiffe und Boote an Frankreichs Küsten. Soweit die Besatzungen für die weitere Seekriegführung benötigt wurden, waren sie im Landmarsch gemeinsam mit dem Heer nach Deutschland zurückzuführen. Von den Stützpunkten am Ärmelkanal gelang noch die Verlegung einiger Flottillen in die Nordsee. An der Biskayaküste wurden in den nächsen Wochen sieben Minensuch-, zwei Vorposten- und zwei Sperrbrecherflottillen außer Dienst gestellt, am Ärmelkanal zwei Räumbootsflottillen und eine Minensuchflottille.23

Ein Teil der Schiffs- und Bootsbesatzungen wurde Ende August in die Landverteidigung der Biskayafestungen eingegliedert, - insgesamt mehr als dreitausend Mann. Die meisten Marinesoldaten, die in das Heimatkriegsgebiet zurückgeführt wurden, mussten den langen Weg bis zum Oberrhein zu Fuß oder auf Pferdegespannen zurücklegen, denn auf Weisung des OKW hatte die Marine in Frankreich die Mehrzahl ihrer Kraftfahrzeuge abgeben müssen. Nach einer Meldung der Gruppe West befanden sich Ende August etwa fünfzehntausend Marineangehörige auf dem Rückmarsch von der Atlantikküste. Während Unteroffiziere und Mannschaften in mehreren Auffanglagern beiderseits des Oberrheins gesammelt wurden, sollten alle vom Marinepersonalamt benötigten Offiziere 'ausgesiebt' und zügig weiterbefördert werden. Von diesen wurden etliche ab Mitte September zum MOK Nordsee nach Sengwarden bei Wilhelmshaven abkommandiert, wo sie sich zur weiteren Verfügung bereit halten sollten. Nicht wenige waren zuvor als 2.Flottilleningenieure auf Minensuch- oder Räumbooten gefahren. Andere wurden zunächst zu Marine-Ersatz-Abteilungen kommandiert.24

Neben Seeleuten durften auch Offiziere der Marine-Artillerie nach Deutschland zurückkehren. Dies scheint auf den ersten Blick verwunderlich: Man hätte erwarten können, dass Artilleristen ausnahmslos in die Landverteidigung eingegliedert würden. Bei der Betrachtung von Einzelfällen wird klar, dass es sich um Spezialisten handelte.25 Aus Bordeaux kehrte z.B. Oberleutnant (MA) Kurt Magdanz nach Deutschland zurück, der zuvor im Marine-Arsenal tätig gewesen war, also als Waffenspezialist galt. Von der Marine-Flak-Abteilung 703 in St.Nazaire kam Leutnant (MA) Gustav-Adolf Matthes zur Führerreserve der 4.Marine-Ersatz-Abteilung. Als Flak-Spezialist war er offenbar gleichfalls für eine Rückführung in das Heimatkriegsgebiet 'privilegiert'. Auch Teile der nördlich der Loire zerschlagenen leichten M.A.A.-en wurden jetzt in den Rückzug des deutschen Westheeres eingegliedert und gelangten in den nächsten Wochen in das Reichsgebiet. Auf diesem Wege erreichten auch mehrere Offiziere solcher Verbände deutschen Boden, um sich beim MOK Nordsee zu melden. Zeitgleich mit dem Rückmarsch aus Westfrankreich begann auch der Rücktransport Tausender von Marinesoldaten aus Südosteuropa quer durch den Balkan.26 Im Laufe des Frühherbstes trafen sie in verschiedenen Auffanglagern ein, um dort auf eine Weiterverwendung zu warten.

Und so war im Spätsommer 1944 die Bühne vorbereitet: Es ging jetzt darum, ob die Kriegsmarine demnächst massenhaft Personal an das Heer abzugeben hatte oder ob das Oberkommando der Marine Mittel und Wege finden würde, überzählige Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften ohne Ansehensverlust bei Hitler und dem OKW für Marineaufgaben zurückzuhalten. Hierfür bot sich angesichts der Schiffsverluste der letzten Monate in erster Linie die Übernahme erweiterter Aufgaben bei der Küstenverteidigung an Nord- und Ostsee an. In der Gedankenwelt des Großadmirals Dönitz hatte sich offenbar eine Idee eingenistet: Die Idee von der Marine als zuverlässiger Landkampftruppe.


1 Kriegstagebuch der Seekriegsleitung, 28.3.1942 (Rahn/Schreiber, Bd. 31, S. 519 ff.). Das Kriegstagebuch der Seekriegsleitung wird im Folgenden grundsätzlich zitiert unter den Autorennamen Rahn/Schreiber.

2 Rahn/Schreiber, Bd. 32, S. 107.

3 Wagner, Lagevorträge, S. 375, 380.

4 M.A.A. 681 auf der Ile de Groix vor Lorient; M.A.A. 686 auf Ile de Ré und M.A.A. 687 auf Olerón vor La Rochelle bzw. La Pallice; M.A.A. 682 und M.A.A. 683 auf Belle Ile, M.A.A. 684 und M.A.A. 685 auf Noirmoutier und Ile d’ Yeu vor der Loiremündung. (Lohmann/Hildebrand, II).

5 Marinepersonalamt: Verwendungskartei der Marineoffiziere (BArch, RM 17). (MPA-Kartei: Alle Personalangaben zu Marineoffizieren beziehen sich auf diese Quelle, sofern nicht ausdrücklich eine andere genannt wird).

6 Einzelheiten hierzu bei: Benz, Deutsche Marineinfanterie. - Kapitänleutnant Gerhard von Diest, gefallen am 25.6.1941 bei Libau; Kapitänleutnant Richard Bigler gefallen am 25.6.1941 bei Prekuln.

7 Siehe hierzu die Kriegstagebücher der Seekriegsleitung für 1942 und 1943.

8 Rahn/Schreiber, Bd. 56, S. 190. Zum Marine-Bataillon Eichstädt siehe auch die DRK-Vermisstenbildliste MA 445

9 Rahn/Schreiber, Bd. 56; siehe auch die DRK-Vermisstenlisten MA 541, 541 a, 541 +, 545 +, 546 a, 547 a +, 548 +, 560 +, 560a +, 560 b, 566 +, 566 a, MB 156, 156 a, 156 +, MB 299 a+, MB 396+, 396 a+, 396 b+.

10 Rahn/Schreiber, Bd. 57, S. 263.

11 Führer-Weisung Nr. 51, OKW/WFSt/Op Nr. 662656/43 g.Kdos., Chefs. vom 3.11.1943 (Schramm, Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, S. 1530 ff.).

12 Rahn/Schreiber, Bd. 51, S. 158.

13 Wagner, Lagevorträge, S. 577; - Rahn/Schreiber, Bd. 55, S. 80.

14 Rahn/Schreiber, Bd. 58/I, S.93 ff., S. 99 f., S.103 ff., S. 133.

15 Wagner, Lagevorträge, S. 608.

16 Rahn/Schreiber, Bd. 58/II, S.596, S. 733, S.754, S. 772 ff., S. 833.

17 Rahn/Schreiber, Bd. 59/II, S. 693, S.701.

18 Rahn/Schreiber, Bd. 60/I, S. 87, S. 134.

19 Rahn/Schreiber, Bd. 50, S. 495; Bd. 52, S. 207; Bd. 53, S. 107, 277; Bd. 54, S. 153; 413, 459, 583, Bd. 59/I, S. 320; Bd. 59/II, S. 524. - Benz, Deutsche Marineinfanterie, S. 168, 177.

20 Rahn/Schreiber, Bd. 60/I, S. 164.

21 Rahn/Schreiber, Bd. 60/I, S. 165); - Lohmann/Hildebrand III, 291/203.

22 Rahn/Schreiber, Bd. 60/I, und II.

23 Rahn/Schreiber, Bd. 60/II, S. 490, 496. - Zusammenfassung bei Ostertag, Deutsche Minensucher, S. 109-112.

24 Rahn/Schreiber, Bd. 60/II). Rahn/Schreiber, Bd. 61/I. Die Verwendungskartei der Marineoffiziere (MPA-Kartei) im Bundesarchiv wurde vom Verfasser als wichtige Quelle zu Personalangaben von Marineoffizieren benutzt. Auf diese wird im weiteren Verlauf dieser Darstellung nicht mehr Bezug genommen.

25 Zur marineeigenen Definition des Begriffes 'Spezialist' siehe insbesondere Rahn/Schreiber, Bd. 61/I, S. 136.

26 Rahn/Schreiber, Bd. 60/II, S. 830 und Bd. 61/I, S. 150.

I. Landmarine und Küstenverteidigung

(25. September 1944 bis 1. Februar 1945)

Anfang September 1944 befand sich die deutsche Wehrmacht in Nordbelgien und Holland auf dem Rückzug. Nur das Scheitern des Rheinübergangs der Alliierten bei Arnheim verhinderte wahrscheinlich einen raschen Zusammenbruch des Nordflügels der Westfront. Als der Herbst begann, standen die Briten und US-Amerikaner an den Grenzen des Deutschen Reiches. Eine Seelandung an den Küsten der Nordsee war nicht mehr auszuschließen. Die Einsatzplanungen für die Verteidigung der Flussmündungen, Inseln und des küstennahen Hinterlandes bekamen jetzt hohe Aktualität, nicht zuletzt bei der Kriegsmarine. Seit Ende Februar war dem Oberkommando bekannt, dass die Verteidigungsbereitschaft der Küstenartillerie und der Marineflak an der deutschen Nordseeküste völlig unbefriedigend war, dass es viel zu wenige Handwaffen gab und die Landmarineteile für einen infanteristischen Einsatz kaum geeignet waren. Im Nordseebereich waren zwar vierzehn Marine-Schützen-Bataillone am grünen Tisch aufgestellt und organisatorisch vorbereitet worden, doch nur fünf davon waren für Aufgaben der Küstenverteidigung wirklich einsatzbereit.27

Ende September schlug Vizeadmiral Erich Förste, der Oberbefehlshaber des MOK Nordsee, dem OKM vor, dass ihm die Alarmeinheiten des Nordseebereiches zur Bildung sogenannter 'Kampfeinheiten' zur Verfügung gestellt würden. Darüber hinaus beantragte er die Aufstellung von vier leichten Marine-Artillerie-Abteilungen, für die ausgebildetes Personal der Marineartillerie benötigt würde. Fehlende Waffen und Munition sollten aus den Depots des Ostseebereiches ergänzt werden. Dönitz stimmte den meisten Vorschlägen zu; die Aufstellung der leichten M.A.A.-en lehnte er ab,. Kritischer Faktor waren die Waffen. Für die Alarmeinheiten waren der Zahl nach genügend Handwaffen vorhanden, doch handelte es sich überwiegend um Beutewaffen mit unterschiedlichen Geschosskalibern. Für bestimmte Kaliber war die Munition dermaßen knapp, dass es pro Gewehr nur dreißig Schuss gab. Heer und Luftwaffe hatten in sehr begrenztem Umfang Geschütze für die Küstenverteidigung geliefert: Für eine Küstenlinie von rund zweihundert Kilometern sechzig russische Beutewaffen vom Kaliber 7,6 cm und fünfzehn Panzerabwehrkanonen 7,5 cm. Eine Schwerpunktbildung war mit diesen Mitteln nicht möglich.28

Inzwischen füllten sich die Auffanglager in Süd- und Norddeutschland mit Marinesoldaten aus Frankreich und Südosteuropa. Von dort aus wurden sie zunächst an die Marine-Ersatz-Abteilungen in Norddeutschland weitergereicht. Zahlreiche Offiziere trafen beim MOK Nordsee ein und warteten auf eine neue Kommandierung. Zu ihnen stießen von Ende September an auch Offiziere der Seestreitkräfte aus Norwegen, für die es dort keine Verwendung mehr gab.

Schon am 30.September 1944 hatte das MOK Nordsee seine Planungen für die Bildung von Kampfeinheiten abgeschlossen und erließ an die untergeordneten Dienststellen (Admiral Deutsche Bucht, 2.Admiral der Nordsee) einen grundlegenden Befehl zur Neugliederung der infanteristischen Kampfkräfte der Marine im Nordseeküstenbereich. Neu aufgestellt werden sollten der Stab für eine Marine-Schützen-Brigade, die Stäbe für vier Marine-Schützen-Regimenter, vier voll ausgerüstete Marine-Schützen-Bataillone, weiterhin zunächst vier Marine-Ersatzbataillone, vier Marine-Schützen-Bataillone zur Verstärkung der Inseln, Geschützbatterien zur Bekämpfung von Landungen sowie Ausbildungsabteilungen für Rekruten. Die Seekriegsleitung erteilte ihr Einverständnis.29 Wie erinnerlich, waren Anfang 1944 aus der Vorgängerorganisation bereits fünf Marine-Schützen-Bataillone einsatzbereit gemeldet worden.

Als Stammtruppenteile für dieses Aufstellungskontingent kamen vier verschiedene Gruppen von Verbänden der marineeigenen Ausbildungs- und Ersatzorganisation in Betracht. Da waren erstens die Schiffsstamm-Abteilungen als bataillonsstarke Formationen für die Durchführung der militärischen Grundausbildung; zweitens die Lehr-Abteilungen, in denen Lehrgänge, z.B. für den Unteroffiziersnachwuchs durchgeführt wurden; drittens die Schulen, an denen Spezialisten ausgebildet wurden, so etwa für Waffen, Maschinen, Nachrichtentechnik; viertens auch noch die Ersatz-Abteilungen, in denen Genesende, Absolventen von Lehrgängen und zeitweise überzähliges Marinepersonal zusammengefasst wurden, um sie auf einen neuen Einsatz vorzubereiten.

Die Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften dieser Truppenteile gehörten unterschiedlichen Laufbahnen an: Im wesentlichen musste unterschieden werden zwischen Seeleuten, Maschinen- bzw. Waffenpersonal von Schiffen, Nachrichten- und Funkspezialisten sowie Marine-Artilleristen. Fronterfahrung auf Kriegsschiffen hatten etliche von ihnen. Doch das war für einen Erdkampfeinsatz praktisch ohne Bedeutung. Fronterfahrung im Landkampf hatten fast nur Marine-Artilleristen, aber auch von diesen nur ein kleiner Teil. Soweit es sich bei den Kommandeuren, Kompaniechefs und Unteroffiziersdienstgraden der Ausbildungs- und Ersatz-Abteilungen um Marine-Artilleristen handelte, hatten die meisten von ihnen die letzten Jahre in der Etappe verbracht und waren folglich als professionelle Ausbilder und Führer für einen infanteristischen Einsatz fachlich ebenso wenig geeignet wie Ingenieur- oder Seeoffiziere.

Für die Aufstellung einsatzfähiger Kampfeinheiten zur Abwehr gegnerischer Seelandungen hätte es demnach einer sehr gezielten Personalauswahl bedurft, um die Führer- und Unterführerstellen mit geeigneten Leuten besetzen zu können. Ideal wäre es gewesen, wenn möglichst viele Dienstposten mit solchen Marineartilleristen besetzt worden wären, die im Landkampfeinsatz an der Ost- oder Westfront gestanden hatten. Doch die gab es nur in geringer Zahl in einigen Lehr-, Schiffsstamm- und Ersatz-Abteilungen. Wie eine Durchsicht der Verwendungskartei der Marineoffiziere gezeigt hat, wurde selbst dieses Potenzial nicht hinreichend ausgeschöpft.

Zur Organisation und Befehlsführung der Küstenverteidigung an der schleswigholsteinischen Nordseeküste wurde Anfang Oktober 1944 in Schwabstedt bei Husum an der nordfriesischen Küste der Stab des Marine-Schützen-Regiments 1 aufgestellt.30 Kommandeur wurde Kapitän zur See Axel von Bleßingh, ein Seefliegeroffizier, der erst zwei Monate zuvor von der Luftwaffe zur Marine zurückversetzt worden war. Zu seinem neuen Verband sollten vier Marine-Landesschützen-Bataillone gehören, die im weiteren Verlauf des Herbstes umbenannt wurden in 'Marine-Schützen-Bataillone' (MSB). Dem Regimentsstab wurde eine Stabskompanie mit Nachrichtenzug und Kraftfahrzeugzug unterstellt. Das MSB 301 war stationiert in Dreldorf bei Niebüll, das MSB 302 in Bredstedt und Breklum, das MSB 303 in Niebüll und das MSB 304 in Lunden auf der Halbinsel Eiderstedt. Durch einen Zeitzeugenbericht wissen wir, dass solch ein Bataillon , – und das galt im übrigen für die gesamte Marine-Schützen-Brigade Nord - , am Ende der Aufstellungsphase in drei Schützenkompanien und eine schwere Kompanie gegliedert war. Die schwere Kompanie bestand dem Plansoll nach aus einem Pakzug (7,56 cm), einem Flakzug (2 cm), einem Infanteriegeschützzug (IG-Zug) und einem Granatwerferzug.31

Die Verantwortung für die Küstenverteidigung im Weser-Elbe-Dreieck zwischen Wesermünde im Westen, Cuxhaven im Norden und Otterndorf im Osten wurde dem Marine-Schützen-Regiment 2 übertragen. Der Regimentskommandeur, Kapitän z.S. Fritz Nötzold, hatte zuvor ein Marine-Ersatz-Regiment geführt. Im Abschnitt dieses Regiments wurden ebenfalls vier Marine-Schützen-Bataillone aufgestellt, – und zwar das MSB 305 in Beverstedt, die MSB 306 und 307 in Wesermünde und das MSB 308 in Altenwalde bei Cuxhaven.

Für die Küstenverteidigung im Bereich der Jademündung und des Jadebusens wurde das Marine-Schützen-Regiment 3 gebildet, der Stab im Lager Bockhorn südwestlich von Varel stationiert. Regimentskommandeur wurde Kapitän z.S. Wilhelm Herwegh. Das Regiment war untergliedert in die Marine-Schützen-Bataillone 309, 310, 311 und 312. Große Teile der Mannschaften trafen im Oktober 1944 in Wilhelmshaven ein und wurden vorläufig in den riesigen Blöcken der Jachmann-Kaserne am Rande der Kriegsmarinewerft untergebracht. Dort teilte man sie den verschiedenen Bataillonen zu, um sie anschließend an die vorgesehenen Standorte zu bringen; - gerade noch rechtzeitig: Im Verlauf alliierter Luftangriffe wurden diese Kasernenbauten bald darauf schwer beschädigt.32 Zum Aufstellungsort für das MSB 309 wurde Accum bei Wilhelmshaven bestimmt, für das MSB 310 das Dorf Zetel bei Varel, für das MSB 311 die Halbinsel Butjadingen mit Stabsquartier in Langwarden und für das MSB 312 der Ort Hohenkirchen im Jeverland.

Es blieb noch die Emsmündung, - nach einer Lagebeurteilung der Seekriegsleitung der am stärksten bedrohte Abschnitt der deutschen Nordseeküste.

Karte 1.
Aufstellungsraum der Marine-Schützen-Brigade Nord