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© 2019 Daniela Noitz www.novels4u.com
1. Auflage: 10/2019
Cover Illustration: Manuela Haag
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Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783750453289
„Weihnachten ist doch nur schön mit Kindern“, hörte ich ein ums andere Mal. Aber noch viel öfter, wie viel Stress das bedeute und wie sehr man sich darauf freue, wenn der Trubel endlich wieder vorbei wäre. Und so saß ich zu Hause und dachte, warum tut man sich das Ganze dann an, zumal, wenn keine Kinder mehr im Haus sind, die man mit all dem Weihnachtsklimbim beglücken muss. Wozu Weihnachten feiern? Nun gut, ich wusste natürlich, es ist das Fest der Geburt Christi, des Erlösers, des Immanuel, meinen die Christen. Aber im Mittelpunkt steht der Weihnachtsbaum, die Geschenke und das Essen, das den Tod zelebriert und nicht das Leben. Und wenn Gott schon seinen eigenen Sohn auf die Erde schickt, dann wird er doch einen Grund haben. Wahrscheinlich sogar einen verdammt guten. Viel haben wir darüber gelernt und gehört. Aber was stimmte nun? Ich beschloss mir die Auskunft von Gott selbst zu holen. Der müsste es schließlich am besten wissen. Und nein, ich übte mich nicht in der Kunst des Gebetes, um derart Verbindung zum Göttlichen aufzunehmen. Ich würde ihn besuchen.
Gott besuchen ist leicht hingesagt, aber schwergetan, möchte man meinen. Dem ist aber ganz und gar nicht so. Mir war wieder eingefallen, dass ich das Haus, in dem Gott wohnt, bei meinem ersten Aufenthalt in Irland gefunden hatte. Dorthin wollte ich begeben und mit ihm über den Sinn oder Unsinn von Weihnachten reden. Deshalb setzte ich mich in den nächstbesten Zug und fuhr nach Irland, genauerhin nach Glendalough. Am 30. November um acht Uhr abends kam ich an. Ich war schon ziemlich durchnässt, als ich nach wenigen Minuten Fußmarsch vom Bus endlich vor dem Haus mit dem bezeichnenden Namen „God’s Cottage“ stand. Es war der rechte Moment doch ein wenig nervös zu sein. Wer weiß schon wie das ist, wenn man Gott gegenübersteht. Wie sollte man ihn ansprechen. Mit „Grüß Gott“? Oder einfach „Hallo Gott!“? Oder viel weniger salopp mit „Eure Exzellenz“ oder irgendetwas in der Art? Ich erkannte, dass ich während meines Studiums zwar sicher viel gelernt hatte, aber irgendwie nichts über so grundlegende Dinge, wie man z. B. Gott anspricht. Ich beschloss darauf zu vertrauen, dass mir meine Intuition das Richtige eingeben würde, zumal ich mittlerweile völlig durchnässt war. So klopfte ich an die Türe.
Wenige Augenblicke später wurde ebenjene geöffnet. Ich fand mich einem jungen Mann mit schulterlangem dunklem Haar gegenüber, einem trendig getrimmten Vollbart, gekleidet in Jeans und T-Shirt, auf dem Love & Peace stand. Ein wenig irritiert war ich, genug, um wohl einfach mit offenem Mund vor ihm zu verharren und ihn anzustarren.
„Hey!“, sagte er salopp und offenbar nicht überrascht, „Ich nehme an, Du wolltest zu meinem alten Herrn.“
„Alter Herr?“, brachte ich gerade mal heraus.
„Ja, Gott Vater ist es üblich Ihn zu nennen“, meinte er bloß, „Aber der ist nur im Sommer da. Ich bin quasi seine Vertretung auf Erden. Ich bin Jesus.“
„Ich weiß“, brachte ich knapp hervor.
„Du kannst aber trotzdem reinkommen“, bot er mir an, „Du bist ja schon völlig aufgeweicht. Geh duschen, zieh Dir was Trockenes an und dann werden wir es uns vor dem Kamin gemütlich machen. Was hältst Du davon?“
Ich kam gar nicht dazu zu antworten, denn ich spürte mich hineingeschoben und in weibliche Hände übergeben, die mich ins Bad brachten, respektive die Dame, der jene Hände zugehörig waren.
„Ich bin übrigens Maria, Maria von Magdala“, stellte sie sich vor, bevor sie das Bad verließ und mich mir selbst überließ.
Wenige Minuten später saß ich, neben Jesus und Maria, vor dem Kamin, mit einer Tasse Tee in der Hand nebst großartigen veganen Scones.
„Fühlst Du Dich besser?“, fragte mich Maria.
„Großartig“, brachte ich zwischen zwei Bissen hervor.
„Und jetzt verrat uns mal, was Du von meinem Vater wolltest?“, fuhr Jesus fort.
„Ich habe über Weihnachten nachgedacht und wollte aus erster Hand wissen, wozu das alles eigentlich noch gut ist, zumal wenn man sich die Entwicklung seit Deiner Geburt ansieht“, erklärte ich mein Anliegen, „In der Gesellschaft, in der Kirche, ich meine die christlichen Kirchen, die Weihnachten feiern, und immer noch einen großen Einfluss auf die Gesellschaft haben, und vor allem, wo ist die Liebe geblieben.“
„Die Theologen haben viele intelligente Antworten auf diese Fragen“, meinte Jesus ausweichend.
„Ja, intelligent, aber sie haben nichts mit dem Leben zu tun, und sollte die Liebe dem Leben nicht verpflichtet sein?“, fuhr ich fort.
„Du möchtest über die Liebe sprechen?“, vergewisserte er sich.
„Ja, das will ich“, erklärte ich und vieles andere.
„Morgen“, sagte er nur, bevor er die Gitarre zur Hand nahm, und „Imagine“ von John Lennon anstimmte.
Der Wind hatte die Wolken vertrieben und die Sonne blitzte und funkelte an einem klaren Himmel. Es zog mich hinaus, auch zu den Gräbern und Kirchen. Hier hatte sich der Legende nach Kevin von Glendalough niedergelassen und sehr schnell zahlreiche Anhänger gefunden. In heutiger Zeit ist der Ort eine Touristenattraktion, malerisch gelegen in einem Tal in den Wicklow Mountains. Monumente, die von der Vergangenheit zeugen. Mahnung und Zusicherung. Mahnung an die Vergänglichkeit, Zusicherung, dass das Leben war und sein wird.
„Kevin wird nachgesagt, er wäre wie Franz von Assisi gewesen.
Er hätte mit den Tieren gesprochen“, hörte ich plötzlich eine sanfte Stimme neben mir, die mir inzwischen vertraut war.
„Und war es tatsächlich so?“, fragte ich Jesus.
„Nein. Aber die Menschen machen gerne aus etwas Besonderen etwas Übernatürliches“, erklärte er sinnend, „Das Besondere genügt ihnen nicht. Es muss übernatürlich sein.“
„Wie meinst Du das?“, hakte ich nach.
„Die beiden Männer hatten eine besondere Beziehung zur Schöpfung und all den Geschöpfen, versuchten, sich in sie einzufinden und zu verstehen, um im Einklang mit ihr zu leben“, sagte Jesus, „Doch viele Menschen sind der Meinung, man kann nur über die Sprache verstehen, über die gesprochene, menschliche Sprache, was natürlich Unsinn ist.
Dennoch wollten sie eine Erklärung, und diese bestand darin, dass die Männer mit den Tieren reden konnten. Manche ließen sie auch mit den Pflanzen kommunizieren. Als Strafe dafür wurden Franz und Kevin heiliggesprochen.“
„Wieso ist das eine Strafe?“, fragte ich nach.
„Weil die Heiligsprechung aus normalen, außergewöhnliche Menschen macht. Das normal Gute, das sie getan haben, das könnte man erreichen, wenn man ihnen nacheifert. Doch wenn sie heilig sind, dann stehen sie so weit über den normalen Menschen, dass es keinen Sinn hat, auch nur zu versuchen, sie nachzuahmen oder sogar zu überflügeln“, erklärte Jesus, „Dabei taten sie nichts weiter als uns vorzuleben wie der Schutz der Umwelt und unserer Mitgeschöpfe, egal ob menschlich oder nichtmenschlich, aussehen könnte. Einklang und Verstehen. Durch die Heiligsprechung wird uns gesagt, es macht keinen Sinn.
Verehrung ja, aber keine Vorbildwirkung. Es ist sinnlos.
Natürlich gab es auch viele andere. Menschen, die es versuchten, die diesem Vorbild nacheiferten. Zum Glück hat man es heutzutage nicht mehr so mit den Heiligen. Deshalb finden sich mehr, die sich der Schöpfung annehmen und sie schützen wollen. Heiligsprechung ist so gesehen die einfachste Form, Veränderung zu verhindern.“
„Aber wenn Gott schon die Schöpfung gemacht hat, wie uns in der Bibel erzählt wird, warum repariert er sie dann nicht selbst?“, gab ich zu bedenken.
„Sag mir jetzt nicht, Du bist eine von diesen Kreationist*innen?“, entgegnete Jesus.
„Es steht doch geschrieben, dass Gott die Schöpfung in sechs Tagen gemacht hat“, warf ich ein, „Und je nach Dafürhalten, ist diese Schrift den Menschen wortwörtlich eingegeben worden, entweder direkt von Gott oder durch einen Mittler.“
„All diese Schriften sind Menschenwerk, reines Menschenwerk“, erklärte Jesus rundheraus, „Das sieht man schon allein daran, dass sie dauernden Änderungen unterworfen sind. Je nachdem wie der politische und soziale Wind weht, wird angepasst und umgeschrieben. Zumindest bis vor ein paar Hundert Jahren. Mittlerweile sind diese Schriften so sakrosankt, dass man nicht mehr direkt daran herumfeilt, aber die Interpretationen entsprechend anpasst.“
„Du meinst also, die Heiligen Schriften sind keine Heiligen Schriften?“, fragte ich nach.
„Mit den sog. Heiligen Schriften verhält es sich genauso wie mit allem anderen, was der Mensch in den Winkel des Heiligen stellt. Es wird dadurch unantast- und unhinterfragbar. Das entzieht es auch von vornherein jeglicher Kritik. Doch Menschenwerk ist und bleibt Menschenwerk“, meinte Jesus, „Natürlich ist es deshalb nicht zu verwerfen, aber man hat es als das zu nehmen, was es ist. Es war für die Menschen in früheren Zeiten ein Instrument, sich Dinge zu erklären, für die sie sonst keine Erklärung hatten. Desto erstaunlicher, dass man heutzutage noch so vernagelt sein kann, die Erkenntnisse, die die Menschen inzwischen umfassend machten, schlichtweg zu leugnen, nur um etwas aufrecht zu erhalten oder daran festzuhalten, was wissenschaftlicher Stand vor tausenden Jahren war.“
„Also gab es die Schöpfung nicht?“, hakte ich nach.
„Zumindest nicht in der Form, wie sie niedergeschrieben wurde, denn das widerspricht jeder naturwissenschaftlichen Logik“, meinte Jesus achselzuckend, „Abgesehen davon wollte dieser Bericht, wie er in Genesis 1 steht, gar keine naturwissenschaftlichen Erklärungen abgeben, sondern ganz was anderes. Wenn Du es Dir genau durchliest, wirst Du feststellen, dass sich eine poetische Struktur darin findet, die das Miteinander zwischen der Erde und ihren Geschöpfen darstellt, ein stimmiges, harmonisches Miteinander, im Sinne dessen, dass alles aufeinander abgestimmt ist. So ist es und so sollte es erhalten bleiben. Das war es, was die Schreiber damit ausdrücken wollten. Es geht um die grundlegende Frage, wie alles zusammenhängt und voneinander abhängig ist. Der einzige Fehler an dieser Darstellung ist, dass sie es nicht lassen konnten, die Menschen über alles zu stellen. Dabei kann es nur funktionieren, wenn sich die Menschen als Teil dieses Ganzen sehen. Was dabei herauskommt, weil sie es nicht getan haben und nach wie vor nicht tun, können wir heute schmerzvoll erleben, indem sie die Welt schlichtweg zerstören. Also ich habe den Menschen schon manche Dummheit zugetraut und wohl auch erlebt, aber dass sie es damit so weit treiben, dass sie ihre eigene Lebensgrundlage vernichten, und damit sich selbst, das hätte ich nicht geglaubt.
Ich dachte, oder hoffte es zumindest, dass sie rechtzeitig zur Vernunft kommen. Denn durchschaut haben sie schließlich sämtliche Zusammenhänge, analysiert und erforscht.“
„Und warum greift Gott dann nicht ein und zwingt sie Vernunft anzunehmen?“, fragte ich nach, diese ständige Frage wiederholend, wie es denn sein kann, dass Gott einfach zusieht, wenn sich die Menschheit selbst vernichtet.
„Weil es keine Rolle spielt“, sagte Jesus lapidar, „Wenn die Menschen aussterben, dann sterben sie aus, so wie schon so viele Spezies vor und so viele nach ihnen. Das ist der Lauf der Welt. So hat die Erde die Möglichkeit, sich davon zu erholen, was die Menschen während ihres relativ kurzen Aufenthaltes auf diesem Planeten alles zerstört haben.“
„Und Gott ist es egal, wenn die Menschheit ausstirbt?“, fuhr ich fort.
„Vielleicht nicht egal, aber die Menschen sind Geschöpfe unter allen anderen, nicht mehr und nicht weniger“, erklärte Jesus rundheraus, „Auch wenn sie so schrecklich stolz sind auf ihre Vernunft und die Sprache und was weiß ich noch alles, macht sie das nicht mehr oder weniger wertvoll. Sie haben eben andere Gaben. Das ist alles. Leider auch die, sich über andere zu erheben und sie zerstören zu können. Dabei übersehen sie gerne, dass sie auch retten und schützen und fördern können.
Entschieden haben sie sich, im Großen und Ganzen gesehen, für ihre eigene Zerstörung.“
„Du glaubst also an die Evolution?“, fragte ich nach, weil ich es kaum glauben konnte.
„Das ist keine Frage des Glaubens, sondern eine simple Faktizität. Man kann Faktizitäten nicht für immer verleugnen.
Natürlich kann man, ist aber eher kontraproduktiv. Selbst die, die sie anerkennen, haben nichts daraus gelernt. So weit zur intellektuellen Überlegenheit der Menschen über seine Mitgeschöpfe. Sie nehmen sich schlicht und ergreifend viel zu wichtig. Das wäre nicht das Hauptproblem, würden sie ihre Fähigkeiten wenigstens positiv einsetzen.“
„Und was ist mit all jenen, die es tun?“, setzte ich hinzu, mich erinnernd, dass es doch auch Menschen gibt, die eine Wende herbeiführen wollen.
„Nun, die gibt es durchaus, doch ich fürchte fast, es ist zu spät.
Zu stark sind die Kräfte, die dagegen arbeiten“, meinte er achselzuckend, „Aber natürlich, Hoffnung darf man immer haben und aufgeben ist keine Option. Wir wissen das.
Dennoch stehen die Chancen nicht allzu gut. Dafür desto besser, jetzt ein Frühstück zu ergattern. Wollen wir mal sehen, ob Maria sich darum gekümmert hat?“
Jesus nahm mich an der Hand, um mich zurück zum Cottage zu führen. In meinem Kopf schwirrte es.
Jesus ist Evolutionist und der Mensch hat keine Vorrangstellung in der Schöpfung.
Gedacht hatte ich es mir, schon lange, doch nun hatte ich es quasi aus erster Hand bestätigt bekommen. Es war verwirrend. Desto mehr wog die Verantwortung, weil wir es eigentlich hätten wissen können.
Der erste Tag des Adventes, und mir kam vor, dass ich weiter von der Antwort auf die Frage, warum wir Weihnachten feiern, entfernt war, als je zuvor.
„Woran denkst Du?“, fragte mich Maria, da sie mir eine Tasse Tee reichte und sich mit ihrer zu mir vor den Kamin setzte.
„Wie kann man tatsächlich Weihnachten feiern, das Fest des Lebens für alle, in dem noch dazu eine Frau im Mittelpunkt steht, und ihr gleichzeitig sagen, sie sei nichts wert?“, fasste ich meine Gedanken zusammen, „Wie kann man überhaupt Weihnachten feiern, wenn die Hälfte der Menschheit immer noch als Menschen zweiter Klasse gesehen werden? Wie kann es überhaupt sein, dass man einen Menschen über den anderen stellt, aufgrund zufälliger, äußerlicher Merkmale?“
„Du weißt, dass ich mich um so etwas nie geschert habe“, meinte Maria lächelnd.
„Du, Du bist eine starke Frau, und Du hast es Dir leisten können“, warf ich ein.
„Vielleicht, aber es war ein hartes Stück Arbeit, mich in diese Position zu bringen“, erwiderte sie. Still saß ich da und wartete, dass sie weitererzählte.
„Zu jener Zeit hatte ich als Frau nicht viele Möglichkeiten zu einem eigenen Einkommen zu gelangen, ohne von einem Mann abhängig zu sein“, fuhr sie fort, „Ja, ich hätte mich gut verheiraten können, aber genau das wollte ich nicht. Dann wäre ich zwar eine anständige Frau, aber für den Rest meines Lebens vom Gutdünken meines Mannes abhängig gewesen.
Deshalb blieb mir nur der Weg über die Dienstleistung.“
„Also warst Du tatsächlich eine Kurtisane?“, konnte ich mich nicht enthalten einzuwerfen.
„Nun, sagen wir mal so, ich habe die Männer unterhalten und mir damit mein Startkapital erarbeitet“, erklärte sie rundheraus, „Hätte ich eine andere Möglichkeit gehabt, ich hätte es anders gemacht, aber es gab keine. Eigentlich eine interessante Sachlage. Als erst wird einer Frau jeglicher Zugang verwehrt, zu eigenem Geld zu kommen, nimmt man einmal die Unterwerfung aus, und selbst da ist es nicht sicher, ob der Herr Gemahl willens ist, der Angetrauten Geld zu geben und sie nicht nur als billige Hure zu halten, jeglicher Zugang außer dem einen, und wenn man diesen in Anspruch nimmt, dann wird man geächtet.“
„Das ist ja der Grund. Das hält dann viele davon ab, diesen Weg einzuschlagen“, gab ich zu bedenken.
„Lieber geächtet als abhängig. Zumal ich sehr schnell erkennen konnte, dass ich zwar in den Augen der Moralapostel ein schlechter Mensch war, aber meine Geschäftspartner kein Problem damit hatten. Da zählten andere Kriterien“, meinte sie sinnend, „Und so konnte ich Jesus auch unterstützen, ihn und seine Kumpane. Es ist ein tolles Gefühl, über sich selbst und sein Leben eigenständig entscheiden zu können. Dafür habe ich all die Schwierigkeiten in Kauf genommen und würde es niemals anders machen.“
„Da bist Du aber eine der wenigen“, sagte ich, während ich daran dachte, wie viele Frauen es gibt, die für Bequemlichkeit und guten Ruf auf Freiheit und Selbstbestimmtheit verzichten, um Frauchen zu sein, das zwar ab und zu muckt, damit sie sich einbilden kann, sie hätte eine eigene Meinung, aber ansonsten die Vorzüge des abhängigen, doch sicheren Lebens genießt.
Doch was ist schon sicher? Dafür nehmen sie es sogar in Kauf, ständig betrogen und belogen zu werden. So lange sie nichts davon wissen. Und wenn sie einmal was erfahren, dann lässt sich die gute Stimmung leicht mit einem kleinen Präsent zurückkaufen, auf das alles weitergehe wie bisher. Hauptsache anständig und moralisch integer. Und auch zu Weihnachten ist es so. Die Frauen haben die ganze Arbeit und die Männer profitieren. Wie immer. Dafür wird Frau dann gelobt. Wenn sie Glück hat. Meistens wird gar nichts gesagt, oder Kritik geübt, falls irgendetwas nicht passt. D. h., wenn sie etwas gut macht, ist es selbstverständlich und wenn es nicht rund läuft, dann bekommt sie den schwarzen Peter. Wie leicht kann man es sich machen!“
„Die Frage ist doch, warum machen sie das mit?“, warf nun Maria ein, „Aber ich denke, schuld an der ganzen Misere ist Deine Mutter.“ Damit wandte sie sich an Jesus, der gerade mit einer Ladung Feuerholz ins Haus kam.
„Woran ist meine Mutter schuld?“, fragte er irritiert.
„An der Unterdrückung der Frau in der Kirche“, erwiderte Maria ungeniert.
„Wie darf ich das verstehen?“, meinte er, während er das Holz neben dem Kamin aufstapelte, um sich dann zu uns zu setzen.
„Deine Mutter und ihre hehre Jungfräulichkeit“, kommentierte Maria, und man hatte den Eindruck, als würden sie sich nicht zum ersten Mal darüber unterhalten.
„Natürlich war sie eine Jungfrau, vor, während und nach der Geburt“, warf Jesus süffisant ein, „Aber im Ernst. Meine Mutter war eine tolle, wenn auch einfache Frau. Sie ist immer zu mir gestanden, egal was ich getan habe. Auch wenn sie es des Öfteren nicht verstanden hat …“
„Sie hat es eigentlich fast nie verstanden“, warf Maria von Magdala ein, „Erinnere Dich, wie oft sie zu mir gekommen ist, damit ich erkläre, was es mit dem, was Du machst, auf sich hat.“
„Das stimmt“, gab ihr Jesus recht, „Aber trotz allem hatte sie einfach Vertrauen zu mir. Schließlich hatte sie mich großgezogen und alles getan, was sie konnte. Doch das mit der Jungfräulichkeit, das hat nie eine Rolle gespielt. Das ist im ursprünglichen Text auch gar nicht gestanden. Da war schlicht von einer jungen Frau die Rede gewesen. Abgesehen davon, dass es am Kern der Sache vorbeigeht, dass nämlich Gott den Menschen ihre Entscheidung überlässt. Sie hätte auch Nein sagen können. Diese Entscheidungsfreiheit stand im Mittelpunkt. Und sollte es nach wie vor. Egal ob Mann oder Frau, unabhängig von der sozialen Schicht, jeder kann sich frei entscheiden. Doch das wurde flugs unter den Teppich gekehrt, denn freie Entscheidung klingt so schlimm wie Anarchie. Wo kämen wir dahin, wenn sich jeder frei entscheiden könnte?
Jeder selbst denkt und danach handelt? Doch zum Ausgleich musste etwas anderes gefunden werden, etwas, das die Menschen vom Gedanken an jene Freiheit ablenkt und auf etwas anderes fokussiert. Deshalb wurde aus der jungen Frau flugs eine Jungfrau gemacht. Damit wurden – ganz nebenbei – gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Ablenkung funktionierte und plötzlich war eine gute Frau eine, die keine sexuellen Bedürfnisse hat.
Dieses Idealbild der Frau, die nichts kennt als die Aufopferung für andere, ohne dass sie selbst Wünsche ausspricht, ja auch nur hat, sondern still darauf wartet, dass die anderen, also die Männer, sie ihr gegenüber äußern, damit sie sie so rasch wie möglich und ohne darüber nachzudenken, erfüllen konnte, wurde zum Idealbild der Frau stilisiert. Damit haderten und hadern die Frauen bis heute. Das wurde und wird ihnen unter die Nase gerieben. Es ist so widerlich, denn damit wird nichts