Keff Vidala wurde in Kinshasa (Demokratischen Republik Kongo) geboren und lebt zurzeit in Stuttgart. Schon im sehr jungen Alter schrieb er poetische Texte und Gedichte. Er arbeitet aktuell an seinem dritten Buch.
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Deutschsprachige Erstausgabe August 2017
Copyright © 2017 Keff Vidala
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Covergestaltung und Satz:
Wolkenart - Marie-Katharina Wölk
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Fotos: FTGR Fotodesign, www.ftgrf.de, Fotolia.de
Lektorat: Cindy Thomas - Schreibservice Thomas
Druck und Verlag: BoD-Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7448-2852-9
1. Auflage
WEIL DIE LIEBE MICH ERNIEDRIGTE,
MEIN HERZ VERGIFTETE,
WAR ICH DER, DER UM SEIN HERZ HERUM
EINE MAUER ERRICHTETE.
-KEFF VIDALA-
Wir kennen uns nicht.
Ich kenne deinen Namen nicht. Ich kenne weder deine Nationalität, deine Religion noch deine Kultur. Aber genau dich meine ich, du, der in der Bahn, im Bett, im Café, im Wohnzimmer sitzt oder liegt und die ersten Buchseiten aufgeschlagen hat.
Danke dir für dein erneutes Vertrauen, dass du zum zweiten Mal diese Schritte mit mir gehst. Mit jedem Wort, was du hier liest, nimmst du eine Menge Schmerz von mir und gibst mir wieder ein Stück Hoffnung zurück. Es klingt vielleicht komisch oder mehr noch – unglaubwürdig. Aber wenn das erste Buch dein Leid erträglicher gemacht hat, hat es auch ein Stück meins erträglicher gemacht. Wenn es dir Hoffnung gegeben hat, hat es mir ein Stück Hoffnung gegeben.
Somit sind wir, wenn du jedes Mal das Buch aufschlägst, miteinander verbunden. Ich teile mit dir intime Gedanken, Wünsche und Ängste, Dinge, die keiner veröffentlichen, sagen oder schreiben würde. Denn das, was du in den Händen hältst, ist mein Schmerz, meine Trauer, meine Hoffnung, meine Liebe, mein Leben.
Glaubst du die Worte, die ich dir sage?
Vertraust du mir?
Was Leiden angeht, glaube ich, habe ich alles durchlebt. Stellenweise sehe ich es als Erfahrung, als Karma, vielleicht auch als beides. Es kommt mir vor, als hätte der Kummer mich ausgesucht – sein spezieller Kandidat. Mein Schmerz, den ich tief in mir hatte, wurde erst durch das Schreiben erträglicher. Das Schreiben war mehr als nur eine Therapie. Es war meine Rettung, meine Hilfe,
nach Aaliyahs Weggang zu überleben.
Es stimmt, dass die Zeit Wunden heilt. Ja, sie heilen, auch wenn wir das Gefühl haben, die Zeit läuft manchmal rückwärts. Denn aus Hoffnungslosigkeit und Trauer schrieb ich diese Geschichte, um dir zu sagen, dass Schmerz und Trauer in unserem Leben dazugehören. Und ich vermag sogar zu behaupten, dass Schmerz und Trauer essentiell für unser Leben sind. Denn wurden wir nicht durch Schmerz im Herzen und Trauer in der Seele stärker, erfahrener? Wurden wir nicht sogar zu besseren Menschen?
Anstatt zu sagen, das Leben ist unfair zu mir, klatsche in die Hände und sage, Gott sei Dank, denn diese schlechte Erfahrung, dieser Schmerz ließ mich reifen.
Glaubst du die Worte, die ich dir sage?
Vertraust du mir?
Die zweite Geschichte wird euch innerlich quälen, ihr werdet an manchen Stellen geschockt sein. Es wird aber auch wunderschöne Momente haben und euch an manchen Stellen zum Schmunzeln oder Lachen bringen.
In dieser Geschichte wird es nicht nur um Leyla gehen. Ich werde etwas erzählen, was ich in meinem Herzen tief vergraben hatte, und heute, ja, heute, egal wie schmerzhaft es sein wird, werde ich es rausholen.
Es ist wichtig, dass du nicht gedankenlos liest. Dieses Buch hat viele Geheimnisse. Jedes Kapitel beinhaltet einen Code für eine geheime Botschaft, also lies zwischen den Zeilen.
Ich bin jetzt Buchautor geworden, Aaliyah. Du hast immer zu mir gesagt, ich werde eines Tages glücklich werden, aber bis heute wurde ich es nie. Diese Welt ist nicht mehr die, die du verlassen hast, Aaliyah. Das Betrügen und Belügen unter den Menschen ist stärker geworden. Der Hass und Neid untereinander wächst ebenso wie das Leid.
Glaubst du die Worte, die ich dir sage?
Vertraust du mir?
Die Geschichte mit Leyla hat meine Seele zerbrochen und vielleicht, ja, vielleicht hat es aber auch mein Herz gerettet. Eines Tages wirst du mich glücklich sehen, vielleicht nie auf dieser Erde. Vielleicht, wenn Gott mir meine Seele nimmt, dann erst werde ich wirklich glücklich sein.
Aber solange ich noch da bin, werde ich durch das Schreiben Stärke schenken. Ich möchte euch weg von den falschen Gedanken bringen, die euch Medien und Freunde geben, dass du nur wirklich glücklich sein kannst, wenn du einen Mann hast, der dich so liebt wie du bist. Dass du nur wirklich glücklich sein kannst, wenn du eine Frau hast, die dich so liebt wie du bist.
Ich will dir mit diesem Buch das Gegenteil zeigen, denn die stärkste Liebe auf dieser Welt ist nicht zwischen Mann und Frau. Die stärkste Liebe ist zwischen Mensch und Gott.
Ich – mit meinen Büchern – möchte denen Kraft geben, die sich nicht verstanden fühlen. Ich will denen Kraft geben, die betrogen und im Stich gelassen worden sind. Ich will denen Kraft geben, die nach Gott und Gerechtigkeit suchen. Ich will denen Kraft geben, die eine Person verloren haben. Ich will letztendlich denen Kraft geben, die arm sind, arm im Herzen und in der Seele.
Und nun, wenn du bereit bist, schlage die nächste Seite auf und gehe durch die Tür zurück in meine Vergangenheit ...
Glaubst du die Worte, die ich dir sage?
Vertraust du mir?
***
Als ich deinen leblosen Körper im Krankenhaus gesehen hatte, an diesem Tag habe ich aufgehört zu leben.
***
Endlich stand ich da vorne. Ich hatte vor Nervosität ganz feuchte Hände und versuchte, das Problem, indem ich an meiner Chino-Hose rieb, in den Griff zu bekommen. Jedes Mal, wenn ich einen Blick nach oben geworfen hatte, blendeten mich die Scheinwerfer. Ich probierte, mich so gut wie es geht zu konzentrieren. Ich musste es tun. Ich musste es einfach tun, das habe ich ihr versprochen.
„Keff Vidala, ein junger Mann aus Essen. Es ist übrigens seine zweite Teilnahme an einem Poetry Slam. Bitte ein riesen Applaus!“ Die Menge klatschte und das machte mich noch nervöser. Scheiße. Scheiße, was ist, wenn ich eine Zeile vergesse? Warum kam ich nur auf so eine Scheiß-Idee? Ich ohrfeigte mich innerlich selbst.
Der Vorhang ging auf und da stand ich vor ungefähr zweihundert Zuschauern, bestehend aus Studenten, Intellektuellen, Dichtern, Denkern und irgendwelchen Instagram-Poeten. Dazwischen ich mit meinem billigen Text.
Es wird sowieso ein riesen Fail werden, dachte ich mir.
Die Halle wurde leiser, einzelne Husten-Geräusche durchzogen den Saal. In meinen Händen hielt ich endlich den Text, woran ich zwei Wochen gearbeitet hatte. Ich wusste weder, ob es grammatikalisch richtig geschrieben war, noch, ob es Poesie, ein Gedicht oder Lyrik war. Es hatte mich auch wenig interessiert. Ich schrieb das, was ich fühlte, das, was ich eigentlich schon immer tat.
Ich schaute nochmals nervös in die Menge und faltete die Blätter auseinander. Ein Knistern durchzog den Raum. Erneut suchte ich die Blicke, sah nach vorne und entdeckte sie. Sie saß links in der Mitte und winkte mir zu.
Sie ist gekommen, beide sind gekommen. Sie hat ihr Versprechen gehalten. Ich freute mich über diesen Anblick. Ich durfte beide noch einmal sehen, bevor ihr Flieger wieder starten sollte, zurück in ihre Heimat.
In der Stille kamen plötzlich Erinnerungen hoch. Erst waren es nur kurze Momente, verschwommene Bilder, doch während der nächsten Sekunden baute sich das Ganze wie ein Haus auf. Meine Gedanken flogen weiter in der Zeit zurück, Bilder in meinem Kopf wurden klarer und klarer, bis ich in meinem Wohnzimmer stand.
Essen City (Nordrhein-Westfalen)
Eine zarte Hand berührte meinen Nacken. Ich zuckte zusammen, als ein Kuss auf die Schulter folgte. Oberkörper frei stand ich im Wohnzimmer und hatte die Zeit um mich herum komplett vergessen. Es kam mir vor, als wäre ich aus einer tiefen Hypnose erwacht.
Die Nacht war regnerisch. Durch das Fenster konnte ich die Farben der Ampeln spielen sehen wie ein Konzert aus Grün, Gelb und Rot. Ab und zu rannten Teenager den Weg Richtung Essen Hauptbahnhof entlang. Trotz der Dunkelheit konnte man die Morgendämmerung erkennen.
„Keff, was ist los?“ Ihre Stimme war klar und deutlich.
„Ich war in Gedanken vertieft.“
„Woran denkst du?“, fragte die einfühlsame Stimme. Gleichzeitig legte sie ihr Kinn auf meine nackte Schulter.
„An vieles.“ Ich war verwundert, wie zerbrechlich ich diese Worte aussprach. Mit ruhigen Schritten entfernte sie sich von mir. Kurz darauf hörte ich, wie etwas mit Wasser gefüllt wurde. Sie kam mit einem besorgten Gesichtsausdruck zurück. „Hier, trink was.“ Tamara reichte mir das Glas und setzte sich nur mit Unterwäsche bestückt an die Sofakante. Sie schaute mir ins müde Gesicht. Was für eine liebevolle Frau, dachte ich mir nur. Ich lernte sie auf Instagram kennen. Sie, Stewardess aus Köln. Das hatte mich umso mehr gereizt. Na ja, welcher Mann bekommt die Chance, sich neben Anwältinnen und Krankenschwestern eine Flugbegleiterin klar zu machen?
„Du denkst an sie, oder?“
Ich schluckte schwer und traute mich nicht zu antworten.
„Das hab ich mir schon gedacht.“ Sie atmete genervt aus.
„Es tut mir leid“, antwortete ich ihr und versuchte, meine Emotionen in den Griff zu bekommen.
„Na ja, leidtun muss es dir nicht. Ich weiß, dass es sechs Monate sind. Es ist normal, dass du noch Gefühle für sie empfindest.“
Sie stand auf, stellte sich neben mich. Auch wenn ihre Nähe Unruhe in mir auslöste, versuchte ich, locker zu wirken.
„Es tut mir leid, Keff, aber ich habe das Gefühl, dass du nur mit mir schlafen willst. Jedes Mal, wenn ich dich umarmen will, bist du kalt zu mir. Ich sehe keine Freude in deinen Augen, nichts an Wärme, nur leere Blicke. Du gehst nie raus, nicht feiern und meidest Freunde, versuchst, dich mit belanglosen Dingen zu beschäftigen und schenkst deiner Trauer mehr Aufmerksamkeit als mir. Du unternimmst nichts mit mir, versuchst nicht ansatzweise, mich zu erobern, außer im Bett. Denkst du, ich merke es nicht? Was bin ich für dich, Keff? Nur ein Trostpflaster?“
Sie schaute mich total in Rage verfallen an. Ich versuchte, meine Emotionen zu ordnen, nahm einen kräftigen Schluck vom Wasser mit der Hoffnung, ernst zu klingen. Wie schon gedacht, scheiterte ich. Ich rappelte meine Stimme krampfhaft auf, bevor ich Ihr antworten wollte, jedoch sprachen schon die Augen. Ich wusste, dass sie fühlte, was ich zu sagen hatte, als sie zu Boden schaute.
„Ich brauche Zeit. Ich habe nicht mal Liebe für mich selbst.“ Tränen verließen meine Augen und ich versuchte, sie vor ihr zu verstecken.
„Ich dachte wirklich, du bist bereit für uns, für mich, aber das bist du nicht, Keff. Du bist für niemanden bereit, nicht mal für dein eigenes Leben. Ich verstehe nicht, warum du dich so quälst. Was hat sie dir angetan?“
„Du verstehst es nicht.“
„Gib mir die Chance, es zu verstehen.“
Ich wollte es nicht. In diesen Moment, wusste ich, dass dies der Zeitpunkt war, sie gehen zu lassen. Ich tat ihr nicht gut. Ich wollte es besser machen, besser als bei Alex. Ich wollte keine Spiele mehr spielen, keine Versprechungen mehr geben. An meiner Seite wird sie nie glücklich sein. „Wenn du gehen willst, dann geh.“
Sie griff reflexartig nach meiner Hand, schaute mich für ein paar Sekunden an. „Das meinst du nicht ernst, oder?“
Ich schob sie leicht weg, bewegte mich Richtung Schlafzimmer und nahm Platz auf dem Bett. „Es ist mein absoluter Ernst. Wenn du gehen willst, geh. Vertraue mir, das wäre das Beste. Du wirst niemals mit mir glücklich sein.“
Sie schaute mich fassungslos an, schüttelte verzweifelt den Kopf. Ich konnte viel Schmerz in ihren Augen erkennen. Dann kam sie zu mir ans Bett und nahm wütend mein Gesicht zwischen ihre Hände. „DU bist genau so ein Fuckboy wie die anderen Jungs! Du schreibst auf Instagram diese ganzen Liebessprüche, aber du selbst bist nicht besser als die Männer da draußen!“ Sie gab mir eine Ohrfeige.
Ich reagierte nicht darauf. Langsam packte sie ihre Sachen in die Taschen in der Hoffnung, ich würde sie davon abhalten und sagen: „Bitte bleib.“ Ich drehte mich nur zur Seite und wartete, bis sie die Tür hinter sich zuzog. Ich hörte noch ihr Weinen, als sie im Flur stand. Es tat mir schon in der Seele weh, aber wie sollte ich sie lieben? Seit Monaten lebe ich nur noch, weil ich leben muss, nicht, weil ich es will. Wie sollte ich sie glücklich machen? Ich hätte es vorher beenden sollen.
Nachdem ich den Knall der Tür hörte, stand ich auf und ging ans Fenster. Der Regen hatte sich gelegt. Ich hob meinen Kopf und betrachtete gedankenlos das Licht des Mondes, das durch das Fenster ins Zimmer fiel. Das Bild von Aaliyah drängte sich in meine Gedanken. Hass, ein unglaublicher Hass, sammelte sich in mir. Ich hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. „F*** dich dafür, dass du mich verlassen hast. Ich wünsche dir den Tod! Hoffentlich wird er qualvoll, so schmerzvoll, damit du fühlst, wie es sich für mich anfühlt, ohne dich leben zu müssen. Ich hasse dich!“
Mein Herz drückte sich zusammen und Hass legte sich wie ein Teppich auf die Seele. Ich ging zurück ins Bett und ließ mich fallen. Starr und leer blickte ich auf die Schlafzimmerdecke. Ich drehte mich mit einem Ruck auf die Seite und griff nach meinem Handy, das auf der Kommode lag. Ich hörte mir Aaliyahs alte Voice-Nachrichten an.
„Hey Keff, wir treffen uns um 15:00 Uhr am Dortmunder Hauptbahnhof.“
Die nächste Nachricht folgte.
„Hey Keff, ich komme doch um 15:30 Uhr. Meine Bahn verspätet sich.“
Ich wiederholte es immer wieder, jede Nacht, sechs verdammte Monate. Es war eine der letzten Möglichkeiten, ihre Stimme zu hören. Auch wenn es nur fünf Sekunden waren, für mich bedeuteten sie die Welt. Allein der Gedanke, irgendwann nicht mehr wissen zu können, wie Ihre Stimme klang, quälte mich. Ich wartete vergeblich auf ein Zeichen von Aaliyah, auf einen Brief oder eine Karte.
Die Monate waren eine Tortur. Ich versuchte, meine Schmerzen mit dem Schreiben von Texten zu verarbeiten. Am seltsamsten war es, dass ich nicht im Stande war, das Buch zu schreiben, was ich versprochen hatte. Immer, wenn ich anfing zu schreiben, tat es unendlich weh und ich musste abbrechen. Ich wusste nicht, wie und mit was ich anfangen sollte. Ich hatte begonnen, mich vor dem Leben zu fürchten, vor allem vor der Liebe. Meine Gedanken trieben mich in den Wahnsinn und je öfter ich daran dachte, umso mehr entfernte ich mich vom Leben. Allein war ich, jedenfalls fühlte ich mich so.
Geräusche aus dem Treppenhaus weckten mich aus meinem unruhigen Schlaf. Ich hörte, wie sich jemand der Wohnung nährte, kurz darauf klingelte es. Wer reizt mich um 13:00 Uhr? Es ist viel zu früh für Besuch. Ich schloss wieder meine Augen und zeigte null Interesse. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, die Tür zu öffnen. Nach einigen Sekunden fing das Sturmklingeln an, scheinbar schien irgendwer Bescheid zu wissen, dass ich zu Hause war.
„JA! Ich komme schon.“ Ich quälte mich aus dem Bett. Bevor ich Richtung Wohnungstür lief, zog ich mir meine Jogginghose an. Man wusste ja nicht, wer sich vor der Tür postierte. Nicht vorauszuahnen standen Kelvin und Sebastian da.
„Lebst du noch?“ Kelvin stürmte unaufgefordert in die Bude hinein.
Ich hatte absolut keine Laune für die zwei Chaoten. Hätte ich gewusst, dass die beiden vor der Tür standen, wäre sie nie geöffnet worden.
„Ach du Kacke, entweder war hier ein Gangbang mit fünf Frauen oder du fängst an, verrückt zu werden. Hast du schon bemerkt, wie scheiße deine Wohnung aussieht?“
Ich schaute mich um, aber fand den Anblick nicht schlimm. Vielleicht hatten sich aber auch nur meine Augen schon daran gewöhnt. „Chill mal, ich hatte zu tun.“
„Zu tun? Du bist seit einem Monat arbeitslos und broke, Keff. Was machst du den ganzen Tag, Bro?“ Sebastian musste sich das Lachen verkneifen.
Ich ging wütend in die Küche, um mir was zu essen zuzubereiten. Sebastian machte sich derweil Platz, indem er Klamotten von der Couch zur Seite schob. „Heute Abend sind wir mit drei Mädels in einem Düsseldorfer Restaurant verabredet. Wir wollen, dass du mitkommst.“
„Dein Ernst?“, antwortete ich mit einem Stück frisch geschmiertem Butterbrot in der Schnute, das nach dem Geschmack zu urteilen scheinbar angefangen hatte zu gammeln. Ich legte es heimlich auf meine Kommode.
„Wie ,dein Ernst‘?“ Kelvin sah zu mir, als habe ich chinesisch geredet.
Ein Räuspern kam aus Sebastians Mund, um uns zu signalisieren, dass er uns was mitteilen möchte. „Wir waren lange nicht mehr zusammen draußen. Es würden uns freuen, Keff. Null Ahnung, was mit dir los ist. Wenn es wegen einem Mädel ist, scheiß auf sie. Das sind alles eh nur Bitches.“ Er schaute mich mit einer ernsten Mimik an, als hätte er eine Malcolm-X-ähnliche Rede gehalten.
„Woher willst du das denn wissen? Ihr redet so, als ob ihr nichts dafür könnt und dass die Frauen selber schuld sind.“
„Schau mal, Keff, ich werde dir jetzt mal was erklären.“ Kelvin hielt inne, um seine Gedanken zu ordnen. „Ich weiß, was du über uns denkst: Dass wir Frauen verarschen, das wir nur an das eine denken. Wir kennen deine Instagram-Posts, damit greifst du auch uns an. Du postest immer was gegen Männer. Männer sind nicht treu, Männer sind Lügner, Männer sind, egal was sie machen, schuld an der Beziehung. Frauen malen sich aus, dass Männer keinen Respekt mehr vor ihnen haben. Aber das sind solche Frauen, die gleichzeitig Fotos posten, wo man ihre Nippel sehen kann, die ihre Ärsche auf jedem Bild raustrecken und Hiphop-Künstlerinnen feiern, wo sie rappen: Ich bin eine Bad Bitch, eine Hoe, und alle meine Freundinnen sind es auch. Sie hören Musik, wo gesagt wird: Ich fi*** diese billige Schlampe und hole mir morgen noch eine Schlampe. Ich habe so viele Schlampen und die sind dafür da, um meinen Sch*** in den Mund zu nehmen. Und was machen die Frauen? Sie tanzen zu der Musik und rappen sogar mit.
Wie sollen wir Männer solche Frauen ernst nehmen? Heutzutage nennen sich Frauen selbst Bitches und Hoes. Wo ist der Respekt für sich selbst? Sie selbst nehmen sich nicht mehr ernst, sie selbst haben keine Ehre mehr, aber verlangen es von den Männern? Sie reden von A und machen aber B. Dann kommen Sprüche wie: Es gibt überall Bärte, aber keine echten Männer. Versucht erst mal, anständige Frauen zu werden, die sich nicht selbst Schlampen nennen und ihre Ärsche überall wackeln lassen. Seid wie eure Mütter, bevor ihr echte Männer wollt.
Ich weiß selber, dass nicht alle Frauen so sind und auch in der Musik nicht alles so wörtlich genommen werden sollte. Aber die Jugend wird von der Musikindustrie extrem manipuliert und zu schmutzigen Dingen verleitet. Es sind nicht wir Männer, die den Respekt an die Frauen verlieren. Es sind die Frauen selbst, die ihren Wert selbst mindern, indem sie auf der einen Seite Respekt haben wollen, aber Musik mögen, die ihnen den Respekt als Frau nehmen.
Ein Beispiel. Früher haben die Frauen um ihre Rechte gekämpft und wollten zu Schule gehen, wollten dieselben Rechte wie Männer. Heutzutage laufen die Frauen nackt herum, um ihre Rechte zu bekommen. Sie erniedrigen sich selbst. Heutzutage sind Frauen, die sich bedeckter kleiden, zurückgebliebene Frauen und Frauen, die sich offen zeigen, modern? Ich als Mann denke mir, wenn ihr Musik feiert, wo man euch als Schlampen betitelt, dann wollt ihr so behandelt werden.
Keff, du kannst mich ruhig als ein Fuckboy sehen. Aber poste ich ein Bild Oberkörper frei mit meinem ganzen Tattoos, bekomme ich so viele Likes von Frauen. Poste ich ein Buch, interessiert es niemanden. Wenn Sebastian mit seinem Mercedes ankommt, kriegt er viele Nummern. Was sagt mir das? Dass wir alle Opfer sind. Keine ist besser. Kein Geschlecht ist besser, okay?“
Diese Worte waren so schwer in meinem Kopf, dass ich nichts hinzuzufügen hatte. Ich konnte nichts anderes tun als ihm Recht zu geben.
„Siehst du, Keff, deshalb bin ich so geworden. Die Frauen sind schuld.“, sagte Sebastian mit einem Grinsen und lehnte sich lässig an meine Couch.
„Sebastian, du bist von Natur aus ein Fuckboy. Da ist niemand schuld, außer dir“, korrigierte ich ihn.
„Egal, du kommst trotzdem mit.“
„Okay, ich komme mit.“ Eigentlich wollte ich mir nur das Gerede nicht mehr länger anhören.
„Alles geht auf mich, wir holen dich später ab“, sagte Sebastian und Kelvin zwinkerte mir zu. Wir verabschiedeten uns.
Passi na Mutema | The. Stu. 1 | Das Gespräch fand im Café 3 in Essen statt. | Daniele Ganser sagt die Wahrheit. | Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. | Kaaba | 93:8?
Wieso leiden manche viel mehr als alle anderen?
Du meinst, warum du mehr leidest als alle anderen?
Ja.
Erzähle mir, von welchem Seelenschmerz du sprichst.
Egal, was ich tue, ich werde nicht glücklich. Wenn ich glaube oder denke, dass ich so weit bin und mein Glück gefunden habe, wird es mir weggenommen. Als würde jemand sagen wollen: Nein, du darfst nicht glücklich werden. Ich will endlich ausgelassen sein. Ich war nie wirklich glücklich im Leben.
Darum sind wir hier, oder?
Sind wir das?
Es war deine Entscheidung, ich habe dein Angebot angenommen. Es hat mich sehr gefreut, als du mir geschrieben hattest.
Ich habe dich nie vergessen.
Ich denke an früher und habe immer noch deine Stimme im Kopf. Ich hatte die große Sehnsucht, dich zu finden. Ich habe mich öfter gefragt, wie es dir geht, wo du genau jetzt wohnst. Ich wollte dir endlich sagen, dass ich Buchautor geworden bin. Ich habe viel von dir gelernt. Die Zeit damals mit dir, als wir in deinem Haus waren, hat mich sehr geprägt. Es war schwer, dich in Frankreich zu finden ...
Ich war selbst überrascht, deine Nachricht zu lesen und dass du ein Buch veröffentlicht hast. Bei unserer letzten Begegnung habe ich ja gesagt, aus dir kann ein ganz Großer werden. Und heute sitze ich hier mit dir, einem wahren Buchautor. Du bist noch besser geworden, Kerfala.
Danke dir.
Ich will, dass du alles preisgibst, von Anfang an. Was hast du für Sachen ertragen müssen?
Schreckliches, Dinge, die niemand weiß, die ich bis heute für mich behalten habe. Erst jetzt, wo ich gerade diese Geschichte aufschreibe, erst jetzt wird mir bewusst, wie grausam es war. Aber ist Vergewaltigung normal? Sind Misshandlungen normal? Ist Foltern und Töten normal?
Heute ist der Tag, an dem du alles erzählen wirst. Keine Geheimnisse und keine Lügen mehr ...
***
Weißt du noch, als ich deine Hand hielt und dir sagte, wir werden es schaffen? Wenn ich ehrlich bin, wusste ich, dass es nur eine Frage der Zeit war. Du hast gehungert, geweint und geschrien.
Du hast sehr gelitten. Bei diesem Anblick mit den ganzen Apparaten und Schläuchen fragte ich mich oft: Woher nimmst du diese Lebenskraft?
Jeden Morgen hast du mir ein Lächeln geschenkt. Woher hattest du diese Kraft?
***
Meine Erscheinung war eine Katastrophe. Die Augenringe entwickelten sich zu Kratern. Ich bin alt geworden. Mich erstaunte, wie kaputt ich aussah und wie düster und kalt mein Blick geworden war. Auf der Glasplatte über dem Waschbecken lagen viele Pflegeartikel, die eine Weile nicht benutzt wurden.
Ich drückte erst mit dem Zeigefinger auf die rechte Wange, um zu fühlen, ob es Pickel waren, die sich da abbildeten. Wie sollte ich bitteschön zum Date gehen, wenn mein Äußeres so wirkte, als wäre ich aus einem mehrjährigen Koma erwacht? Ich schaute mir alle Beauty-Artikel an und griff nach der „Nivea“-Seife für das Antlitz. Nach der Gesichtsreinigung sprang ich in die Dusche. Beim Waschen kam eine Freude in mir auf, die mich selbst überraschte.
Fertig geduscht, trocknete ich mich ab und holte den Rasierer aus der Badezimmerkommode. Ich stand da, nachdenklich, nackt, und überlegte, wie ich die Haare tragen müsste, damit es cool ankam. Was mir gut gefiel, war ein Kurzschnitt an den Seiten mit einem schönen Übergang zu etwas längerem Haar auf der Kopfoberseite. Ich versuchte skeptisch, zuerst seitlich zu rasieren. Dabei ist mir die Maschine leicht aus der Hand gerutscht und ehe ich mich versah, hatte ich eine kahle Stelle, mitten auf dem Schädel. Vorsichtig tastete ich die Katastrophe ab. Ein „Fuck“ verließ wütend meinen Mund. Ich entschied mich für eine Vollglatze. Das konnte ich am besten. Komplett fertig angezogen setzte ich mich auf die Couch.
Nachdem ich angefangen habe zu überlegen, ob es eine gute Idee war, mich mit den Jungs zu treffen, hörte man plötzlich draußen Afro-Trap-Musik. Ich bewegte mich Richtung der Eingangstür und verließ die Wohnung. Unten angekommen entdeckte ich Kelvin. Er lehnte lässig an dem Mercedes und rauchte einen Joint. Als er mich sah, reichte er ihn mir.
„Mach das aus. Wenn meine Nachbarn das riechen!“
„Chill, Bro, das ist nur Gras, kein Kokain“, antwortete er genervt und öffnete mir die Tür. „Komm rein Prinzessin.“ Er lächelte mir zu und warf den Joint in die Ecke.
Ich verzichtete auf eine Gegenbemerkung und stieg in den Wagen. Dort gab ich Sebastian einen Gruß, der geduldig am Lenkrad saß und wartete, bis Kelvin eingestiegen war. Das Gefährt verließ mit einem Brummen die Einfahrt.
„Wie lange ist es her, seit du eine geknallt hast, Keff?“
Jetzt fängt das wieder an, dachte ich mir nur. „Gestern“, antwortete ich ruhig und schaute aus dem Fenster.
„Hatte sie einen Arsch?“ Kelvin wollte anscheinend echt einen tieferen Einblick haben.
„Warum fragst du mich das?“
Sebastian ließ in den Boxen die Songs von MHD erklingen.
„Keff, wir wissen beide, dass du auf ‚Big Booty‘ stehst. Auf Äpfel, die man auf Facebook sieht, wo die Arschbacken zur Dancehall-Musik nach oben und unten bewegt werden.“
Sebastian lachte sich einen ab und steuerte das Auto in den Kreisverkehr.
„Was ist mit euch? Keine Frau am Start?“ Eigentlich hatte ich das nur gefragt, um von mir abzulenken.
„Ich habe eine kennengelernt, deren Vater einen Parfümladen in Paris hat. Wenn ich sie schwängere, bin ich safe. Dann übernehme ich irgendwann den Shop. Und dann gibt es da noch eine, die streckt immer ihren Arsch raus, wenn sie Bilder postet. Sie ist hundertprozentig eine Hoe.“ Schon bemerkte ich ein dämonisches Grinsen in Kelvins Gesicht.
„Warum soll sie eine Hoe sein, nur weil sie ihren Arsch zeigt?“, wollte Sebastian, der inzwischen auf der Autobahn fuhr, wissen.
„Ach kommt, Jungs, warum streckt sie ihren Hintern raus? Um uns zu zeigen, wie schön ihre Haare sind? Das sind alles Bitches, die gef*** werden möchten, ganz einfach. Wenn ich so eine sehe, die bei jedem Bild ihren Arsch zeigt, dann schnappe ich sie mir direkt.“
„Trotzdem sollte man doch etwas Respekt haben“, sagte ich zu Kelvin.
„Respekt für solche? Nö, habe ich nicht. Die Besten sind immer noch die, die sexy Posen machen und es öffentlich posten, obwohl sie einen Freund haben. Ist dein Body für deinen Freund oder für deine Follower?“ „Das habe auch nie verstanden“, fügte Sebastian hinzu.
„Bist du nicht unserer Meinung?“, fragte mich Kelvin.
„Doch, schon. Ich würde auch nicht wollen, dass meine Freundin zu offenherzig Bilder postet, aber ...“
„Kein Aber“, unterbrach mich Kelvin. „Solche Männer sind Hunde, die zulassen, dass die Freundin sich kleidet wie eine Nutte.“
Diese Doppelmoral störte mich immer schon an den beiden. Alle Frauen sind Schlampen und alle sind schuld, dass sie selbst so geworden sind.
„Ich muss mich doch um die ganzen Schlampen kümmern“, entgegnete Kelvin amüsiert, als ich ihn darauf angesprochen habe. „Ich bin der Schlampenflüsterer!“
„Und die guten Frauen?“, fragte ich ihn. „Die haben Pech gehabt. Die stehen doch auf solche Bad Boys. Kann ich was dafür, wenn die denken, sie können aus einem Löwen eine Katze machen?“
„Ich will in die Vereinigten Staaten, Jungs“, wechselte Sebastian, der die meiste Zeit still war, das Thema.
„Wie ,Vereinigte Staaten‘?“, fragte ihn Kelvin überrascht.
„Na ja, meine Eltern wollten mich nach Amerika schicken. Ihr sagt ja, dass ich gut singen kann, also werde ich da gleichzeitig die Chancen nutzen.“
Yo, Bro, wir haben zwar gesagt, dass du eine gute Stimme hast, aber du bist kein Justin Timberlake. Mach lieber deine Schule“, versuchte Kelvin ihn disziplinarisch aufzuklären.
„Nicht alle Sänger haben eine perfekte Klangfarbe“, probierte Sebastian verzweifelt sich zu retten. Wenn Kelvin ein Buch schreiben sollte, würde es „All eure Ideen sind scheiße“ heißen.
„Tue es“, funkte ich dazwischen.
„Ist das ernst gemeint?“, erkundigte sich Sebastian, der es gewohnt war, dass man ihm sämtliche Wünsche und Träume schlecht redete, verwirrt.
„Ja, die Lebenszeit ist zu knapp. Wenn du was ändern möchtest, tue es. Befasse dich damit.“
Schweigend saßen beide im Auto.
„Ehm... danke dir, Bro. Echt cool.“ Irgendwie konnte Sebastian das, was ich sagte, nicht so ganz glauben.
„Wir sind da“, machte uns Kelvin aufmerksam. Wir hielten vor der Düsseldorfer Shisha-Bar „Paradies