
Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Johannes Scheffler (Strichzeichnung)
ISBN 978-3-7437-0001-7
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-86199-620-0 (Broschiert)
ISBN 978-3-86199-621-7 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden: Die ersten fünf Teile entstanden vermutlich zwischen 1653 und 1657 und erschienen zuerst: Wien (Johann Jacob Kürner) 1657, der sechste Teil wurde zuerst in der 2. Auflage des Werks, Glatz (Ignatz Schubarth) [1675], gedruckt. Die Texte folgen jeweils den Erstdrucken.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 3, Herausgegeben und eingeleitet von Hans Ludwig Held, München: Hanser, 1952.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Rein wie das feinste Gold, steif wie ein Felsenstein,
Ganz lauter wie Kristall soll dein Gemüte sein.
Es mag ein andrer sich um sein Begräbnis kränken
Und seinen Madensack mit stolzem Bau bedenken,
Ich sorge nicht dafür: mein Grab, mein Fels und Schrein,
In dem ich ewig ruh, solls Herze Jesu sein.
Weg, weg, ihr Seraphim, ihr könnt mich nicht erquicken,
Weg, weg, ihr Heiligen und was an euch tut blicken.
Ich will nun eurer nicht, ich werfe mich allein
Ins ungeschaffne Meer der bloßen Gottheit ein.
Herr, es genügt mir nicht, daß ich dir englisch diene
Und in Vollkommenheit der Götter vor dir grüne.
Es ist mir viel zu schlecht und meinem Geist zu klein;
Wer dir recht dienen will, muß mehr als göttlich sein.
Ich weiß nicht, was ich bin; ich bin nicht, was ich weiß;
Ein Ding und nit ein Ding, ein Stüpfchen und ein Kreis.
Soll ich mein letztes End und ersten Anfang finden,
So muß ich mich in Gott und Gott in mir ergründen
Und werden das, was er: ich muß ein Schein im Schein,
Ich muß ein Wort im Wort,1 ein Gott in Gotte sein.
Fußnoten
1 Thaul. istit. spir. c. 39.
Wo ist mein Aufenthalt? Wo ich und du nicht stehen.
Wo ist mein letztes End, in welches ich soll gehen?[7]
Da, wo man keines findt. Wo soll ich denn nun hin?
Ich muß noch über Gott in eine Wüste ziehn.2 [8]
Fußnoten
2 i.e. über alles daß man an Gott erkennt oder von ihm gedänken kan, nach der verneinenden beschawung, von welcher Suche bey den Mijsticis.
Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben;
Werd ich zunicht, er muß von Not den Geist aufgeben.3
Fußnoten
3 Schawe in der Vorrede.
Daß Gott so selig ist und lebet ohn Verlangen,
Hat er sowohl von mir als ich von ihm empfangen.
Ich bin so groß wie Gott, er ist als ich so klein;
Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.
Gott ist in mir das Feur und ich in ihm der Schein;
Sind wir einander nicht ganz inniglich gemein?
Mensch, wo du deinen Geist schwingst über Ort und Zeit,
So kannst du jeden Blick sein in der Ewigkeit.
Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse
Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.
Ich bin so reich als Gott, es kann kein Stäublein sein,
Das ich (Mensch, glaube mir) mit ihm nicht hab gemein.
Was man von Gott gesagt, das gnüget mir noch nicht,
Die Über-Gottheit ist mein Leben und mein Licht.
Wo Gott mich über Gott nicht sollte wollen bringen,
So will ich ihn dazu mit bloßer Liebe zwingen.4
Fußnoten
4 Vid., no. 7.
Ich auch bin Gottes Sohn, ich sitz an seiner Hand:
Sein Geist, sein Fleisch und Blut ist ihm an mir bekannt.
Gott liebt mich über sich; lieb ich ihn über mich,
So geb ich ihm so viel, als er mir gibt aus sich.
Wie selig ist der Mensch, der weder will noch weiß,
Der Gott, versteh mich recht, nicht gibet Lob noch Preis.5
Fußnoten
5 Denotatur hic Oratio silentij, de qua vide Maximil. Sandæ. Theol. mystic. lib. 2, comment. 3
Mensch, deine Seligkeit kannst du dir selber nehmen,
So du dich nur dazu willst schicken und bequemen.
Gott gibet niemand nichts, er stehet allen frei,
Daß er, wo du nur ihn so willst, ganz deine sei.
So viel du Gott geläßt, so viel mag er dir werden;
Nicht minder und nicht mehr hilft er dir aus Beschwerden.
Ich muß Maria sein und Gott aus mir gebären,
Soll er mich ewiglich der Seligkeit gewähren.
Mensch, wo du noch was bist, was weißt, was liebst und hast,
So bist du, glaube mir, nicht ledig deiner Last.
Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier:6
Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.
Fußnoten
6 i.e. Zeit und Ort.
Tod ist ein selig Ding: je kräftiger er ist,
Je herrlicher daraus das Leben wird erkiest.
Indem der weise Mann zu tausendmalen stirbet,
Er durch die Wahrheit selbst um tausend Leben wirbet.
Kein Tod ist seliger als in dem Herren sterben
Und um das ewge Gut mit Leib und Seel verderben.7
Fußnoten
7 i.e. Umb GOttes willen auch Leib und Seel ins äuserste verderben hingeben: Wie Moses uns Paulus sich erbotten und vil andere Heiligen.
Der Tod, aus welchem nicht ein neues Leben blühet,
Der ists, den meine Seel aus allen Töden fliehet.
Ich glaube keinen Tod; sterb ich gleich alle Stunden,
So hab ich jedesmal ein besser Leben funden.
Ich sterb und lebe Gott: will ich ihm ewig leben,
So muß ich ewig auch für ihn den Geist aufgeben.8
Fußnoten
8 mystice i.e. resignare.
Ich sterb und leb auch nicht:9 Gott selber stirbt in mir,
Und was ich leben soll, lebt er auch für und für.10
Fußnoten
9 Quia originaliter ab ipso profluit virtus mortificationis. Item secundum Paul: 2. cor. 3. 10. mortificationem Jesu.
10 vivo, jam non ego, sed Christus in me.
Gott selber, wenn er dir will leben, muß ersterben;
Wie, denkst du, ohne Tod sein Leben zu ererben?
Wenn du gestorben bist und Gott dein Leben worden,
So trittst du erst recht ein der hohen Götter Orden.
Ich sage, weil allein der Tod mich machet frei,
Daß er das beste Ding aus allen Dingen sei.
Ich sag, es stirbet nichts; nur daß ein ander Leben,
Auch selbst das peinliche, wird durch den Tod gegeben.
Nichts ist, das dich bewegt, du selber bist das Rad,
Das aus sich selbsten lauft und keine Ruhe hat.
Wenn du die Dinge nimmst ohn allen Unterscheid,
So bleibst du still und gleich in Lieb und auch in Leid.
Wer in der Hölle nicht kann ohne Hölle leben,
Der hat sich noch nicht ganz dem Höchsten übergeben.
Gott ist ein Wunderding: er ist das, was er will,
Und will das, was er ist, ohn alle Maß und Ziel.
Gott ist unendlich hoch. Mensch, glaube das behende;
Er selbst findt ewiglich nicht seiner Gottheit Ende.
Gott gründt sich ohne Grund und mißt sich ohne Maß;
Bist du ein Geist mit ihm, Mensch, so verstehst du das.
Ich lieb ein einzig Ding und weiß nicht, was es ist;
Und weil ich es nicht weiß, drum hab ich es erkiest.
Mensch, so du etwas liebst, so liebst du nichts fürwahr.
Gott ist nicht dies und das, drum laß das Etwas gar.
Wer nichts begehrt, nichts hat, nichts weiß, nichts liebt, nichts will,
Der hat, der weiß, begehrt und liebt noch immer viel.
Ich bin ein seligs Ding, mag ich ein Unding sein,
Das allem, was da ist, nicht kund wird noch gemein.
Zeit ist wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit,
So du nur selber nicht machst einen Unterscheid.
Gott opfert sich ihm selbst: ich bin in jedem Nu
Sein Tempel, sein Altar, sein Betstuhl, so ich ruh!
Ruh ist das höchste Gut: und wäre Gott nicht Ruh,
Ich schlöße vor ihm selbst mein Augen beide zu.
Fragst du, mein Christ, wo Gott gesetzt hat seinen Thron?
Da, wo er dich in dir gebieret, seinen Sohn.
Wer unbeweglich bleibt in Freud, in Leid, in Pein,
Der kann nunmehr nicht weit von Gottes Gleichheit sein.
Ein Senfkorn ist mein Geist; durchscheint ihn seine Sonne,
So wächst er Gotte gleich mit freudenreicher Wonne.
Mensch, wo du Tugend wirkst mit Arbeit und mit Müh,
So hast du sie noch nicht, du kriegest noch um sie.
Ich selbst muß Tugend sein und keinen Zufall wissen,
Wo Tugenden aus mir in Wahrheit sollen fließen.
Du darfst zu Gott nicht schrein, der Brunnquell ist in dir;
Stopfst du den Ausgang nicht, er fließet für und für.
So du aus Mißvertraun zu deinem Gotte flehest
Und ihn nicht sorgen läßt, schau, daß du ihn nicht schmähest.
Wer an den Füßen lahm und am Gesicht ist blind,
Der tue sich dann um, ob er Gott irgends findt.
Mensch, suchst du Gott um Ruh, so ist dir noch nicht recht:
Du suchest dich, nicht ihn, bist noch nicht Kind, nur Knecht.
Wär ich ein Seraphin, so wollt ich lieber sein,
Dem Höchsten zu gefalln, das schnödste Würmelein.
Die Seel ist ein Kristall, die Gottheit ist ihr Schein;
Der Leib, in dem du lebst, ist ihrer beider Schrein.
Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren
Und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.
Das Kreuz zu Golgatha kann dich nicht von dem Bösen,
Wo es nicht auch in dir wird aufgericht, erlösen.
Ich sag, es hilft dir nicht, daß Christus auferstanden,
Wo du noch liegen bleibst in Sünd und Todesbanden.
Gott ist ein Ackersmann, das Korn sein ewges Wort,
Die Pflugschar ist sein Geist, mein Herz der Saeungsort.
Gott ist das ärmste Ding, er steht ganz bloß und frei:
Drum sag ich recht und wohl, daß Armut göttlich sei.
Wo Gott ein Feuer ist, so ist mein Herz der Herd,
Auf welchem er das Holz der Eitelkeit verzehrt.
Wie ein entmilchtes Kind nach seiner Mutter weint,
So schreit die Seel nach Gott, die ihn alleine meint.
Der Abgrund meines Geists ruft immer mit Geschrei
Den Abgrund Gottes an: Sag, welcher tiefer sei?
Die Menschheit ist die Milch, die Gottheit ist der Wein;
Trink Milch mit Wein vermischt, willst du gestärket sein.
Die Lieb ist unser Gott, es lebet alls durch Liebe:
Wie selig wär ein Mensch, der stets in ihr verbliebe!
Lieb üben hat viel Müh: wir sollen nicht allein
Nur lieben, sondern selbst, wie Gott, die Liebe sein.
Gott wohnt in einem Licht, zu dem die Bahn gebricht;
Wer es nicht selber wird, der sieht ihn ewig nicht.
Eh ich noch etwas ward, da war ich Gottes Leben:11
Drum hat er auch für mich sich ganz und gar gegeben.
Fußnoten
11 Joh. I. Quod est in ipso', vita erat.
Der Geist, den Gott mir hat im Schöpfen eingehaucht,
Soll wieder12 wesentlich in ihm stehn eingetaucht.
Fußnoten
12 Wahrhafftig, gäntzlich, inniglich, also Wesentliche einkehrung beym Blosio instit. c. 3 num. 8.
Begehrst du was mit Gott, ich sage klar und frei,
(Wie heilig du auch bist) daß es dein Abgott sei.
Gott ist die ewge Ruh, weil er nichts sucht noch will;
Willst du ingleichen nichts, so bist du eben viel.
Wie klein ist doch der Mensch, der etwas groß tut schätzen
Und sich nicht über sich in Gottes Thron einsetzen!
Schau, alles, was Gott schuf, ist meinem Geist so klein,
Daß es ihm scheint in ihm ein einzig Stüpfchen sein.
Wer mir Vollkommenheit, wie Gott hat, ab will sprechen,
Der müßte mich zuvor von seinem Weinstock brechen.
Der Vogel in der Luft, der Stein ruht auf dem Land,
Im Wasser lebt der Fisch, mein Geist in Gottes Hand.
Bist du aus Gott geborn, so blühet Gott in dir
Und seine Gottheit ist dein Saft und deine Zier.
Halt an, wo laufst du hin, der Himmel ist in dir;
Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.
Gott ist ein einges Ein; wer seiner will genießen,
Muß sich nicht weniger als er in ihn einschließen.
Wer Gott will gleiche sein, muß allem ungleich werden,
Muß ledig seiner selbst und los sein von Beschwerden.
So du das ewge Wort in dir willst hören sprechen,
So mußt du dich zuvor von Unruh ganz entbrechen.
Ich bin so breit als Gott, nichts ist in aller Welt,
Das mich, o Wunderding, in sich umschlossen hält.
Was marterst du das Erz? der Eckstein ists allein,
In dem Gesundheit, Gold und alle Künste sein.
Wie mag dich doch, o Mensch, nach etwas tun verlangen,
Weil du in dir hältst Gott und alle Ding umfangen?
Weil meine Seel in Gott steht außer Zeit und Ort,
So muß sie gleiche sein dem Ort und ewgen Wort.
Die Gottheit ist mein Saft; was aus mir grünt und blüht,
Das ist sein heilger Geist, durch den der Trieb geschieht.
Mensch, so du Gott noch pflegst um dies und das zu danken,
Bist du noch nicht versetzt aus deiner Schwachheit Schranken.
Wer ist, als wär er nicht und wär er nie geworden,
Der ist, o Seligkeit, zu lauter Gotte worden.
Wer in sich selber sitzt, der höret Gottes Wort,
Vernein es, wie du willst, auch ohne Zeit und Ort.
Die Demut ist der Grund, der Deckel und der Schrein,
In dem die Tugenden stehn und beschlossen sein.
Wenn ich die Lauterkeit durch Gott geworden bin,
So wend ich mich, um Gott zu finden, nirgends hin.
Gott mag nicht ohne mich ein einzigs Würmlein machen;
Erhalt ichs nicht mit ihm, so muß es stracks zukrachen.
Wer Gott vereinigt ist, den kann er nicht verdammen,
Er stürze sich denn selbst mit ihm in Tod und Flammen.
Dafern mein Will ist tot, so muß Gott, was ich will;
Ich schreib ihm selber vor das Muster und das Ziel.
Ich lasse mich Gott ganz; will er mir Leiden machen,
So will ich ihm sowohl als ob den Freuden lachen.
Gott ist so viel an mir, als mir an ihm gelegen,
Sein Wesen helf ich ihm, wie er das meine hegen.
Hört Wunder! Christus ist das Lamm und auch der Hirt,
Wenn Gott in meiner Seel ein Mensch geboren wird.
Dann wird das Blei zu Gold, dann fällt der Zufall hin,
Wenn ich mit Gott durch Gott in Gott verwandelt bin.
Ich selbst bin das Metall, der Geist ist Feur und Herd,
Messias die Tinktur, die Leib und Seel verklärt.
Sobald durch Gottes Feur ich mag geschmelzet sein,
So drückt mir Gott alsbald sein eigen Wesen ein.
Ich trage Gottes Bild: wenn er sich will besehn,
So kann es nur in mir, und wer mir gleicht, geschehn.
Ich bin nicht außer Gott und Gott nicht außer mir:
Ich bin sein Glanz und Licht und er ist meine Zier.
Ists, daß die Kreatur aus Gott ist ausgeflossen:
Wie hält er sie dann noch in seiner Schoß beschlossen?
Die Rose, welche hier dein äußres Auge sieht,
Die hat von Ewigkeit in Gott also geblüht.13
Fußnoten
13 idealiter.
Weil die Geschöpfe gar in Gottes Wort bestehn,
Wie können sie dann je zerwerden und vergehn?
Vom ersten Anbeginn und noch bis heute zu
Sucht das Geschöpfe nichts als seines Schöpfers Ruh.
Die zarte Gottheit ist ein Nichts und Übernichts:
Wer nichts in allem sieht, Mensch, glaube, dieser sichts.
Wer in der Sonnen ist, dem mangelt nicht das Licht,
Das dem, der außer ihr verirret geht, gebricht.
Nimm hin der Sonnen Licht; Jehova ist die Sonne,
Die meine Seel erleucht und macht sie voller Wonne.
Wem seine Sonne scheint, derselbe darf nicht gücken,
Ob irgendwo der Mond und andre Sterne blicken.
Ich selbst muß Sonne sein, ich muß mit meinen Strahlen
Das farbenlose Meer der ganzen Gottheit malen.
Der Tau erquickt das Feld; soll er mein Herze laben,
So muß er seinen Fall vom Herzen Jesu haben.
Wer etwas in der Welt mag süß und lieblich nennen,
Der muß die Süßigkeit, die Gott ist, noch nicht kennen.
Schließ mich, so streng du willst, in tausend Eisen ein,
Ich werde doch ganz frei und ungefesselt sein.
Mensch, in dem Ursprung ist das Wasser rein und klar,
Trinkst du nicht aus dem Quell, so stehst du in Gefahr.
Die Schnecke leckt den Tau und ich, Herr Christ, dein Blut:
In beiden wird geborn ein kostbarliches Gut.
Willst du den Perlentau der edlen Gottheit fangen,
So mußt du unverrückt an seiner Menschheit hangen.
Ein Auge, das sich nie der Lust des Sehns entbricht,
Wird endlich gar verblendt und sieht sich selbsten nicht.
Die Turteltaube klagt, daß sie den Mann verloren,
Und Gott, daß du den Tod für ihn dir hast erkoren.
Gott ist dir worden Mensch; wirst du nicht wieder Gott,
So schmähst du die Geburt und höhnest seinen Tod.
Wem alles gleiche gilt, den rühret keine Pein,
Und sollt er auch im Pfuhl der tiefsten Höllen sein.
Mensch, wenn du noch nach Gott Begier hast und Verlangen,
So bist du noch von ihm nicht ganz und gar umfangen.
Gott hat nicht Unterscheid, es ist ihm alles ein;
Er machet sich soviel der Flieg als dir gemein.
Vermöcht ich Gotts so viel als Christus zu empfangen,
Er ließe mich dazu im Augenblick gelangen.
Gott ist ja nichts als gut: Verdammnis, Tod und Pein,
Und was man böse nennt, muß Mensch in dir nur sein.
Wie selig ruht der Geist in des Geliebten Schoß,
Der Gotts und aller Ding und seiner selbst steht bloß.
Mensch, bist du Gott getreu und meinest ihn allein,
So wird die größte Not ein Paradeis dir sein.
Mensch, in das Paradeis kommt man nicht unbewehrt,
Willst du hinein, du mußt durch Feuer und durch Schwert.
Ist Gott ein ewges Nun, was fället dann darein,
Daß er nicht schon in mir kann alls in allem sein?
Wo dich noch dies und das bekümmert und bewegt,
So bist du noch nicht ganz mit Gott ins Grab gelegt.
Mensch, werd aus Gott geborn: bei seiner Gottheit Thron
Steht niemand anders als der eingeborne Sohn.
Du mußt ganz lauter sein und stehn in einem Nun,
Soll Gott in dir sich schaun und sänftiglichen ruhn.
Was klagst du über Gott? Du selbst verdammest dich!
Er möcht es ja nicht tun, das glaube sicherlich.
Je mehr du dich aus dir kannst austun und entgießen,
Je mehr muß Gott in dich mit seiner Gottheit fließen.
Das Wort, das dich und mich und alle Dinge trägt,
Wird wiederum von mir getragen und gehegt.
Der Mensch ist alle Ding; ists, daß ihm eins gebricht,
So kennet er fürwahr sein Reichtum selber nicht.
Du sprichst, im Firmament sei eine Sonn allein;
Ich aber sage, daß viel tausend Sonnen sein.
Warum wird Seraphin von Gotte mehr geliebt
Als eine Mück? Es ist, daß er sich mehr ergibt.
Dafern der Teufel könnt aus seiner Seinheit gehn,
So sähest du ihn stracks in Gottes Throne stehn.
Was bildest du dir ein, zu zähln der Sternen Schar?
Der Schöpfer ists allein, der sie kann zählen gar.
Der Himmel ist in dir und auch der Höllen Qual:
Was du erkiest und willst, das hast du überall.
So lieb Gott eine Seel in Christi Glanz und Licht,
So unlieb ist sie ihm, im Fall er ihr gebricht.
Das feinest auf der Welt ist reine Jungfernerde;
Man saget, daß aus ihr das Kind der Weisen werde.
Der Sinn, der Geist, das Wort, die lehren klar und frei,
So du es fassen kannst, wie Gott dreieinig sei.
So wenig, als dir ist die Weite Gottes kund,
So wenig ist die Welt, wie du sprichst, zirkelrund.
Ist meine Seel im Leib und gleich durch alle Glieder,
So sag ich recht und wohl, der Leib ist in ihr wieder.14
Fußnoten
14 Verstehe idealiter.
Da Gott das erstemal hat seinen Sohn geborn,
Da hat er mich und dich zum Kindbett auserkorn.
Daß Gott ein Lämmlein ist, das hilft dir nicht, mein Christ,
Wo du nicht selber auch ein Lämmlein Gottes bist.
Mensch, wirst du nicht ein Kind, so gehst du nimmer ein,
Wo Gottes Kinder sind: die Tür ist gar zu klein.
Wer lauter wie das Licht, rein wie der Ursprung ist,
Derselbe wird von Gott für Jungfrau auserkiest.
Mensch, willst du ewiglich beim Lämmlein Gottes stehn,
So mußt du schon allhier in seinen Tritten gehn.
Schaut doch das Wunder an! Gott macht sich so gemein,
Daß er auch selber will der Lämmer Weide sein.
Sag an, o großer Gott, wie bin ich dir verwandt,
Daß du mich Mutter, Braut, Gemahl und Kind genannt?
Wer dorten bei dem Brunn des Lebens denkt zu sitzen,
Der muß zuvor allhier den eignen Durst ausschwitzen.
Mensch, wo du ledig bist, das Wasser quillt aus dir
Sowohl als aus dem Brunn der Ewigkeit herfür.
Gott selber klaget Durst; ach, daß du ihn so kränkest
Und nicht wie jenes Weib, die Samaritin, tränkest!
Ich bin ein ewig Licht, ich brenn ohn Unterlaß:
Mein Docht und Öl ist Gott, mein Geist, der ist das Faß.
So du den höchsten Gott willst deinen Vater nennen,
So mußt du dich zuvor sein Kind zu sein bekennen.
Daß du nicht Menschen liebst, das tust du recht und wohl,
Die Menschheit ists, die man im Menschen lieben soll.
Der Engel schauet Gott mit heitern Augen an,
Ich aber noch viel mehr, so ich Gott lassen kann.
Die Weisheit findt sich gern, wo ihre Kinder sind.
Warum? O Wunderding! sie selber ist ein Kind.
Die Weisheit schauet sich in ihrem Spiegel an.
Wer ists? sie selber und wer Weisheit werden kann.
So viel die Seel in Gott, so viel ruht Gott in ihr;
Nichts minder oder mehr, Mensch, glaub es, wird er dir.
O Wunder! Christus ist die Wahrheit und das Wort,
Licht, Leben, Speis und Trank, Pfad, Pilgram, Tür und Ort.
Die Heilgen sind darum mit Gottes Ruh umfangen
Und haben Seligkeit, weil sie nach Nichts verlangen.
Gott ist nicht hoch, nicht tief; wer endlich anders spricht,
Der hat der Wahrheit noch gar schlechten Unterricht.
Gott ist nicht hier noch da; wer ihn begehrt zu finden,
Der laß sich Händ und Füß und Leib und Seele binden.
Wo Gott von Ewigkeit nicht siehet die Gedanken,
So bist du eh als er: er Stüpfchen und du Schranken.
Das Brot ernährt dich nicht: was dich im Brote speist,
Ist Gottes ewigs Wort, ist Leben und ist Geist.
Wer Gott um Gaben bitt, der ist gar übel dran:
Er betet das Geschöpf und nicht den Schöpfer an.
Sohn ist das liebste Wort, das Gott zu mir mag sprechen;
Spricht ers, so mag mir Welt und Gott auch selbst gebrechen.
Die Höll wird Himmelreich noch hier auf dieser Erden,
(Und dies scheint wunderlich) wenn Himmel Höll kann werden.
Man redt von Zeit und Ort, von Nun und Ewigkeit:
Was ist denn Zeit und Ort und Nun und Ewigkeit?
Daß dir im Sonnesehn vergehet das Gesicht,
Sind deine Augen schuld und nicht das große Licht.
Dieweil der Gottheit Ström aus mir sich solln ergießen,
Muß ich ein Brunnquell sein, sonst würden sie verfließen.
Was bin ich endlich doch? Ich soll die Kirch und Stein,
Ich soll der Priester Gotts und auch das Opfer sein.
Wer sich nicht drängt zu sein des Höchsten liebes Kind,
Der bleibet in dem Stall, wo Vieh und Knechte sind.
Mensch, dienst du Gott um Gut, um Seligkeit und Lohn,
So dienst du ihm noch nicht aus Liebe wie ein Sohn.
Was Freude muß doch sein! wenn Gott sich seine Braut
In seinem ewgen Wort durch seinen Geist vertraut.
Gott ist mein Stab, mein Licht, mein Pfad, mein Ziel, mein Spiel,
Mein Vater, Bruder, Kind und alles, was ich will.
Nicht du bist in dem Ort, der Ort, der ist in dir;
Wirfst du ihn aus, so steht die Ewigkeit schon hier.
Die ewge Weisheit baut: Ich werde der Palast,
Wenn sie in mir und ich in ihr gefunden Rast.
Die Welt ist mir zu eng, der Himmel ist zu klein;
Wo wird doch noch ein Raum für meine Seele sein?
Du sprichst: Versetze dich aus Zeit in Ewigkeit.
Ist denn an Ewigkeit und Zeit ein Unterscheid?
Du selber machst die Zeit, das Uhrwerk sind die Sinnen;
Hemmst du die Unruh nur, so ist die Zeit von hinnen.
Ich weiß nicht, was ich soll! Es ist mir alles ein:
Ort, Unort, Ewigkeit, Zeit, Nacht, Tag, Freud und Pein.
Wer selbst nicht alles ist, der ist noch zu geringe,
Daß er dich sehen soll, mein Gott, und alle Dinge.
Mensch, allererst, wenn du bist alle Dinge worden,
So stehst du in dem Wort und in der Götter Orden.
Die Kreatur ist mehr in Gotte, denn in ihr;
Zerwird sie, bleibt sie doch in ihme für und für.
Mensch, dünke dich nur nicht vor Gott mit Werken viel;
Denn aller Heilgen Tun ist gegen Gott ein Spiel.
Das Licht gibt allem Kraft: Gott selber lebt im Lichte,
Doch wär er nicht das Feur, so würd es bald zu nichte.
Mensch, ist dein Herze Gold und deine Seele rein,
So kannst auch du die Arch unds Mannakrüglein sein.
Daß Gott allmächtig sei, das glaubet jener nicht,
Der mir Vollkommenheit, wie Gott begehrt, abspricht.
Das Feur rügt alle Ding und wird doch nicht bewegt;
So ist das ewge Wort, das alles hebt und regt.
Geh hin, wo du nicht kannst: sieh, wo du siehest nicht;
Hör, wo nichts schallt und klingt, so bist du, wo Gott spricht.
Gott ist wahrhaftig nichts, und so er etwas ist,
So ist ers nur in mir, wie er mich ihm erkiest.
O Unbegreiflichkeit! Gott hat sich selbst verlorn,
Drum will er wiederum in mir sein neugeborn.
O hohe Würdigung! Gott springt von seinem Thron
Und setzet mich darauf in seinem lieben Sohn.
Ich ward das, was ich war, und bin, was ich gewesen,
Und werd es ewig sein, wenn Leib und Seel genesen.
Nichts dünkt mich hoch zu sein: ich bin das höchste Ding,
Weil auch Gott ohne mich sich selber ist gering.
Der Ort unds Wort ist eins und wäre nicht der Ort,
Bei ewger Ewigkeit! es wäre nicht das Wort.
Willst du den neuen Mensch und seinen Namen kennen,
So frage Gott zuvor, wie er pflegt sich zu nennen.
O süße Gasterei! Gott selber wird der Wein,
Die Speise, Tisch, Musik und der Bediener sein.
Zu viel ist niemals gut, ich hasse Völlerei,
Doch wünsch ich, daß ich Gotts so voll als Jesus sei.
Die Hure Babylon trinkt Blut und trinkt den Tod.
O großer Unterscheid! Ich trinke Blut und Gott.
Die Heilgen sind so viel von Gottes Gottheit trunken,
So viel sie sind in ihm verloren und versunken.
Nicht Gott gibts Himmelreich: du selbst mußts zu dir ziehn
Und dich mit ganzer Macht und Eifer drum bemühn.