Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann

 

 

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

 

 

 

Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Johannes Scheffler (Strichzeichnung)

 

ISBN 978-3-7437-0001-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-86199-620-0 (Broschiert)

ISBN 978-3-86199-621-7 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden: Die ersten fünf Teile entstanden vermutlich zwischen 1653 und 1657 und erschienen zuerst: Wien (Johann Jacob Kürner) 1657, der sechste Teil wurde zuerst in der 2. Auflage des Werks, Glatz (Ignatz Schubarth) [1675], gedruckt. Die Texte folgen jeweils den Erstdrucken.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 3, Herausgegeben und eingeleitet von Hans Ludwig Held, München: Hanser, 1952.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Erstes Buch

1. Was fein ist, das besteht

Rein wie das feinste Gold, steif wie ein Felsenstein,

Ganz lauter wie Kristall soll dein Gemüte sein.

 

2. Die ewige Ruhestätt

Es mag ein andrer sich um sein Begräbnis kränken

Und seinen Madensack mit stolzem Bau bedenken,

Ich sorge nicht dafür: mein Grab, mein Fels und Schrein,

In dem ich ewig ruh, solls Herze Jesu sein.

 

3. Gott kann allein vergnügen

Weg, weg, ihr Seraphim, ihr könnt mich nicht erquicken,

Weg, weg, ihr Heiligen und was an euch tut blicken.

Ich will nun eurer nicht, ich werfe mich allein

Ins ungeschaffne Meer der bloßen Gottheit ein.

 

4. Man muß ganz göttlich sein

Herr, es genügt mir nicht, daß ich dir englisch diene

Und in Vollkommenheit der Götter vor dir grüne.

Es ist mir viel zu schlecht und meinem Geist zu klein;

Wer dir recht dienen will, muß mehr als göttlich sein.

 

5. Man weiß nicht, was man ist

Ich weiß nicht, was ich bin; ich bin nicht, was ich weiß;

Ein Ding und nit ein Ding, ein Stüpfchen und ein Kreis.

 

6. Du mußt, was Gott ist, sein

Soll ich mein letztes End und ersten Anfang finden,

So muß ich mich in Gott und Gott in mir ergründen

Und werden das, was er: ich muß ein Schein im Schein,

Ich muß ein Wort im Wort,1 ein Gott in Gotte sein.

 

Fußnoten

 

1 Thaul. istit. spir. c. 39.

 

7. Man muß noch über Gott

Wo ist mein Aufenthalt? Wo ich und du nicht stehen.

Wo ist mein letztes End, in welches ich soll gehen?[7]

Da, wo man keines findt. Wo soll ich denn nun hin?

Ich muß noch über Gott in eine Wüste ziehn.2 [8]

 

Fußnoten

 

2 i.e. über alles daß man an Gott erkennt oder von ihm gedänken kan, nach der verneinenden beschawung, von welcher Suche bey den Mijsticis.

 

8. Gott lebt nicht ohne mich

Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben;

Werd ich zunicht, er muß von Not den Geist aufgeben.3

 

Fußnoten

 

3 Schawe in der Vorrede.

 

9. Ich habs von Gott und Gott von mir

Daß Gott so selig ist und lebet ohn Verlangen,

Hat er sowohl von mir als ich von ihm empfangen.

 

10. Ich bin wie Gott und Gott wie ich

Ich bin so groß wie Gott, er ist als ich so klein;

Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.

 

11. Gott ist in mir und ich in ihm

Gott ist in mir das Feur und ich in ihm der Schein;

Sind wir einander nicht ganz inniglich gemein?

 

12. Man muß sich überschwenken

Mensch, wo du deinen Geist schwingst über Ort und Zeit,

So kannst du jeden Blick sein in der Ewigkeit.

 

13. Der Mensch ist Ewigkeit

Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse

Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.

 

14. Ein Christ so reich als Gott

Ich bin so reich als Gott, es kann kein Stäublein sein,

Das ich (Mensch, glaube mir) mit ihm nicht hab gemein.

 

15. Die Über-Gottheit

Was man von Gott gesagt, das gnüget mir noch nicht,

Die Über-Gottheit ist mein Leben und mein Licht.

 

16. Die Liebe zwingt Gott

Wo Gott mich über Gott nicht sollte wollen bringen,

So will ich ihn dazu mit bloßer Liebe zwingen.4

 

Fußnoten

 

4 Vid., no. 7.

 

17. Ein Christ ist Gottes Sohn

Ich auch bin Gottes Sohn, ich sitz an seiner Hand:

Sein Geist, sein Fleisch und Blut ist ihm an mir bekannt.

 

18. Ich tue es Gott gleich

Gott liebt mich über sich; lieb ich ihn über mich,

So geb ich ihm so viel, als er mir gibt aus sich.

 

19. Das selige Stillschweigen

Wie selig ist der Mensch, der weder will noch weiß,

Der Gott, versteh mich recht, nicht gibet Lob noch Preis.5

 

Fußnoten

 

5 Denotatur hic Oratio silentij, de qua vide Maximil. Sandæ. Theol. mystic. lib. 2, comment. 3

 

20. Die Seligkeit steht bei dir

Mensch, deine Seligkeit kannst du dir selber nehmen,

So du dich nur dazu willst schicken und bequemen.

 

21. Gott läßt sich, wie man will

Gott gibet niemand nichts, er stehet allen frei,

Daß er, wo du nur ihn so willst, ganz deine sei.

 

22. Die Gelassenheit

So viel du Gott geläßt, so viel mag er dir werden;

Nicht minder und nicht mehr hilft er dir aus Beschwerden.

 

23. Die geistliche Maria

Ich muß Maria sein und Gott aus mir gebären,

Soll er mich ewiglich der Seligkeit gewähren.

 

24. Du mußt nichts sein, nichts wollen

Mensch, wo du noch was bist, was weißt, was liebst und hast,

So bist du, glaube mir, nicht ledig deiner Last.

 

25. Gott ergreift man nicht

Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier:6

Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.

 

Fußnoten

 

6 i.e. Zeit und Ort.

 

26. Der geheime Tod

Tod ist ein selig Ding: je kräftiger er ist,

Je herrlicher daraus das Leben wird erkiest.

 

27. Das Sterben macht Leben

Indem der weise Mann zu tausendmalen stirbet,

Er durch die Wahrheit selbst um tausend Leben wirbet.

 

28. Der allerseligste Tod

Kein Tod ist seliger als in dem Herren sterben

Und um das ewge Gut mit Leib und Seel verderben.7

 

Fußnoten

 

7 i.e. Umb GOttes willen auch Leib und Seel ins äuserste verderben hingeben: Wie Moses uns Paulus sich erbotten und vil andere Heiligen.

 

29. Der ewige Tod

Der Tod, aus welchem nicht ein neues Leben blühet,

Der ists, den meine Seel aus allen Töden fliehet.

 

30. Es ist kein Tod

Ich glaube keinen Tod; sterb ich gleich alle Stunden,

So hab ich jedesmal ein besser Leben funden.

 

31. Das immerwährende Sterben

Ich sterb und lebe Gott: will ich ihm ewig leben,

So muß ich ewig auch für ihn den Geist aufgeben.8

 

Fußnoten

 

8 mystice i.e. resignare.

 

32. Gott stirbt und lebt in uns

Ich sterb und leb auch nicht:9 Gott selber stirbt in mir,

Und was ich leben soll, lebt er auch für und für.10

 

Fußnoten

 

9 Quia originaliter ab ipso profluit virtus mortificationis. Item secundum Paul: 2. cor. 3. 10. mortificationem Jesu.

 

10 vivo, jam non ego, sed Christus in me.

 

33. Nichts lebt ohne Sterben

Gott selber, wenn er dir will leben, muß ersterben;

Wie, denkst du, ohne Tod sein Leben zu ererben?

 

34. Der Tod vergöttet dich

Wenn du gestorben bist und Gott dein Leben worden,

So trittst du erst recht ein der hohen Götter Orden.

 

35. Der Tod ists beste Ding

Ich sage, weil allein der Tod mich machet frei,

Daß er das beste Ding aus allen Dingen sei.

 

36. Kein Tod ist ohne ein Leben

Ich sag, es stirbet nichts; nur daß ein ander Leben,

Auch selbst das peinliche, wird durch den Tod gegeben.

 

37. Die Unruh kommt von dir

Nichts ist, das dich bewegt, du selber bist das Rad,

Das aus sich selbsten lauft und keine Ruhe hat.

 

38. Gleichschätzung macht Ruh

Wenn du die Dinge nimmst ohn allen Unterscheid,

So bleibst du still und gleich in Lieb und auch in Leid.

 

39. Die unvollkommne Gelassenheit

Wer in der Hölle nicht kann ohne Hölle leben,

Der hat sich noch nicht ganz dem Höchsten übergeben.

 

40. Gott ist das, was er will

Gott ist ein Wunderding: er ist das, was er will,

Und will das, was er ist, ohn alle Maß und Ziel.

 

41. Gott weiß sich selbst kein Ende

Gott ist unendlich hoch. Mensch, glaube das behende;

Er selbst findt ewiglich nicht seiner Gottheit Ende.

 

42. Wie gründet sich Gott?

Gott gründt sich ohne Grund und mißt sich ohne Maß;

Bist du ein Geist mit ihm, Mensch, so verstehst du das.

 

43. Man liebt auch ohne Erkennen

Ich lieb ein einzig Ding und weiß nicht, was es ist;

Und weil ich es nicht weiß, drum hab ich es erkiest.

 

44. Das Etwas muß man lassen

Mensch, so du etwas liebst, so liebst du nichts fürwahr.

Gott ist nicht dies und das, drum laß das Etwas gar.

 

45. Das vermögende Unvermögen

Wer nichts begehrt, nichts hat, nichts weiß, nichts liebt, nichts will,

Der hat, der weiß, begehrt und liebt noch immer viel.

 

46. Das selige Unding

Ich bin ein seligs Ding, mag ich ein Unding sein,

Das allem, was da ist, nicht kund wird noch gemein.

 

47. Die Zeit ist Ewigkeit

Zeit ist wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit,

So du nur selber nicht machst einen Unterscheid.

 

48. Gottes Tempel und Altar

Gott opfert sich ihm selbst: ich bin in jedem Nu

Sein Tempel, sein Altar, sein Betstuhl, so ich ruh!

 

49. Die Ruh ists höchste Gut

Ruh ist das höchste Gut: und wäre Gott nicht Ruh,

Ich schlöße vor ihm selbst mein Augen beide zu.

 

50. Der Thron Gottes

Fragst du, mein Christ, wo Gott gesetzt hat seinen Thron?

Da, wo er dich in dir gebieret, seinen Sohn.

 

51. Die Gleichheit Gottes

Wer unbeweglich bleibt in Freud, in Leid, in Pein,

Der kann nunmehr nicht weit von Gottes Gleichheit sein.

 

52. Das geistliche Senfkorn

Ein Senfkorn ist mein Geist; durchscheint ihn seine Sonne,

So wächst er Gotte gleich mit freudenreicher Wonne.

 

53. Die Tugend sitzt in Ruh

Mensch, wo du Tugend wirkst mit Arbeit und mit Müh,

So hast du sie noch nicht, du kriegest noch um sie.

 

54. Die wesentliche Tugend

Ich selbst muß Tugend sein und keinen Zufall wissen,

Wo Tugenden aus mir in Wahrheit sollen fließen.

 

55. Der Brunnquell ist in uns

Du darfst zu Gott nicht schrein, der Brunnquell ist in dir;

Stopfst du den Ausgang nicht, er fließet für und für.

 

56. Das Mißtraun schmäht Gott

So du aus Mißvertraun zu deinem Gotte flehest

Und ihn nicht sorgen läßt, schau, daß du ihn nicht schmähest.

 

57. In Schwachheit wird Gott gefunden

Wer an den Füßen lahm und am Gesicht ist blind,

Der tue sich dann um, ob er Gott irgends findt.

 

58. Der eigen Gesuch

Mensch, suchst du Gott um Ruh, so ist dir noch nicht recht:

Du suchest dich, nicht ihn, bist noch nicht Kind, nur Knecht.

 

59. Wie Gott will, soll man wollen

Wär ich ein Seraphin, so wollt ich lieber sein,

Dem Höchsten zu gefalln, das schnödste Würmelein.

 

60. Leib, Seele und Gottheit

Die Seel ist ein Kristall, die Gottheit ist ihr Schein;

Der Leib, in dem du lebst, ist ihrer beider Schrein.

 

61. In dir muß Gott geboren werden

Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren

Und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.

 

62. Das Äußre hilft dir nicht

Das Kreuz zu Golgatha kann dich nicht von dem Bösen,

Wo es nicht auch in dir wird aufgericht, erlösen.

 

63. Steh selbst von Toten auf

Ich sag, es hilft dir nicht, daß Christus auferstanden,

Wo du noch liegen bleibst in Sünd und Todesbanden.

 

64. Die geistliche Saeung

Gott ist ein Ackersmann, das Korn sein ewges Wort,

Die Pflugschar ist sein Geist, mein Herz der Saeungsort.

 

65. Armut ist göttlich

Gott ist das ärmste Ding, er steht ganz bloß und frei:

Drum sag ich recht und wohl, daß Armut göttlich sei.

 

66. Mein Herz ist Gottes Herd

Wo Gott ein Feuer ist, so ist mein Herz der Herd,

Auf welchem er das Holz der Eitelkeit verzehrt.

 

67. Das Kind schreit nach der Mutter

Wie ein entmilchtes Kind nach seiner Mutter weint,

So schreit die Seel nach Gott, die ihn alleine meint.

 

68. Ein Abgrund ruft dem andern

Der Abgrund meines Geists ruft immer mit Geschrei

Den Abgrund Gottes an: Sag, welcher tiefer sei?

 

69. Milch mit Wein stärket fein

Die Menschheit ist die Milch, die Gottheit ist der Wein;

Trink Milch mit Wein vermischt, willst du gestärket sein.

 

70. Die Liebe

Die Lieb ist unser Gott, es lebet alls durch Liebe:

Wie selig wär ein Mensch, der stets in ihr verbliebe!

 

71. Man muß das Wesen sein

Lieb üben hat viel Müh: wir sollen nicht allein

Nur lieben, sondern selbst, wie Gott, die Liebe sein.

 

72. Wie sieht man Gott

Gott wohnt in einem Licht, zu dem die Bahn gebricht;

Wer es nicht selber wird, der sieht ihn ewig nicht.

 

73. Der Mensch war Gottes Leben

Eh ich noch etwas ward, da war ich Gottes Leben:11

Drum hat er auch für mich sich ganz und gar gegeben.

 

Fußnoten

 

11 Joh. I. Quod est in ipso', vita erat.

 

74. Man soll zum Anfang kommen

Der Geist, den Gott mir hat im Schöpfen eingehaucht,

Soll wieder12 wesentlich in ihm stehn eingetaucht.

 

Fußnoten

 

12 Wahrhafftig, gäntzlich, inniglich, also Wesentliche einkehrung beym Blosio instit. c. 3 num. 8.

 

75. Dein Abgott, dein Begehren

Begehrst du was mit Gott, ich sage klar und frei,

(Wie heilig du auch bist) daß es dein Abgott sei.

 

76. Nichts wollen macht Gott gleich

Gott ist die ewge Ruh, weil er nichts sucht noch will;

Willst du ingleichen nichts, so bist du eben viel.

 

77. Die Dinge sind geringe

Wie klein ist doch der Mensch, der etwas groß tut schätzen

Und sich nicht über sich in Gottes Thron einsetzen!

 

78. Das Geschöpf ist nur ein Stüpfchen

Schau, alles, was Gott schuf, ist meinem Geist so klein,

Daß es ihm scheint in ihm ein einzig Stüpfchen sein.

 

79. Gott trägt vollkommene Früchte

Wer mir Vollkommenheit, wie Gott hat, ab will sprechen,

Der müßte mich zuvor von seinem Weinstock brechen.

 

80. Ein jedes in dem Seinigen

Der Vogel in der Luft, der Stein ruht auf dem Land,

Im Wasser lebt der Fisch, mein Geist in Gottes Hand.

 

81. Gott blüht aus seinen Zweigen

Bist du aus Gott geborn, so blühet Gott in dir

Und seine Gottheit ist dein Saft und deine Zier.

 

82. Der Himmel ist in dir

Halt an, wo laufst du hin, der Himmel ist in dir;

Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.

 

83. Wie kann man Gottes genießen

Gott ist ein einges Ein; wer seiner will genießen,

Muß sich nicht weniger als er in ihn einschließen.

 

84. Wie wird man Gott gleich

Wer Gott will gleiche sein, muß allem ungleich werden,

Muß ledig seiner selbst und los sein von Beschwerden.

 

85. Wie hört man Gottes Wort

So du das ewge Wort in dir willst hören sprechen,

So mußt du dich zuvor von Unruh ganz entbrechen.

 

86. Ich bin so breit als Gott

Ich bin so breit als Gott, nichts ist in aller Welt,

Das mich, o Wunderding, in sich umschlossen hält.

 

87. Im Eckstein liegt der Schatz

Was marterst du das Erz? der Eckstein ists allein,

In dem Gesundheit, Gold und alle Künste sein.

 

88. Es liegt alles im Menschen

Wie mag dich doch, o Mensch, nach etwas tun verlangen,

Weil du in dir hältst Gott und alle Ding umfangen?

 

89. Die Seele ist Gott gleich

Weil meine Seel in Gott steht außer Zeit und Ort,

So muß sie gleiche sein dem Ort und ewgen Wort.

 

90. Die Gottheit ist das Grüne

Die Gottheit ist mein Saft; was aus mir grünt und blüht,

Das ist sein heilger Geist, durch den der Trieb geschieht.

 

91. Man soll für alles danken

Mensch, so du Gott noch pflegst um dies und das zu danken,

Bist du noch nicht versetzt aus deiner Schwachheit Schranken.

 

92. Wer ganz vergöttet ist

Wer ist, als wär er nicht und wär er nie geworden,

Der ist, o Seligkeit, zu lauter Gotte worden.

 

93. In sich hört man das Wort

Wer in sich selber sitzt, der höret Gottes Wort,

Vernein es, wie du willst, auch ohne Zeit und Ort.

 

94. Die Demut

Die Demut ist der Grund, der Deckel und der Schrein,

In dem die Tugenden stehn und beschlossen sein.

 

95. Die Lauterkeit

Wenn ich die Lauterkeit durch Gott geworden bin,

So wend ich mich, um Gott zu finden, nirgends hin.

 

96. Gott mag nichts ohne mich

Gott mag nicht ohne mich ein einzigs Würmlein machen;

Erhalt ichs nicht mit ihm, so muß es stracks zukrachen.

 

97. Mit Gott vereinigt sein ist gut für ewige Pein

Wer Gott vereinigt ist, den kann er nicht verdammen,

Er stürze sich denn selbst mit ihm in Tod und Flammen.

 

98. Der tote Wille herrscht

Dafern mein Will ist tot, so muß Gott, was ich will;

Ich schreib ihm selber vor das Muster und das Ziel.

 

99. Der Gelassenheit gilts gleich

Ich lasse mich Gott ganz; will er mir Leiden machen,

So will ich ihm sowohl als ob den Freuden lachen.

 

100. Eins hält das Andere

Gott ist so viel an mir, als mir an ihm gelegen,

Sein Wesen helf ich ihm, wie er das meine hegen.

 

101. Christus

Hört Wunder! Christus ist das Lamm und auch der Hirt,

Wenn Gott in meiner Seel ein Mensch geboren wird.

 

102. Die geistliche Goldmachung

Dann wird das Blei zu Gold, dann fällt der Zufall hin,

Wenn ich mit Gott durch Gott in Gott verwandelt bin.

 

103. Auch von derselben

Ich selbst bin das Metall, der Geist ist Feur und Herd,

Messias die Tinktur, die Leib und Seel verklärt.

 

104. Noch von ihr

Sobald durch Gottes Feur ich mag geschmelzet sein,

So drückt mir Gott alsbald sein eigen Wesen ein.

 

105. Das Bildnis Gottes

Ich trage Gottes Bild: wenn er sich will besehn,

So kann es nur in mir, und wer mir gleicht, geschehn.

 

106. Das Ein ist in dem Andern

Ich bin nicht außer Gott und Gott nicht außer mir:

Ich bin sein Glanz und Licht und er ist meine Zier.

 

107. Es ist noch alles in Gott

Ists, daß die Kreatur aus Gott ist ausgeflossen:

Wie hält er sie dann noch in seiner Schoß beschlossen?

 

108. Die Rose

Die Rose, welche hier dein äußres Auge sieht,

Die hat von Ewigkeit in Gott also geblüht.13

 

Fußnoten

 

13 idealiter.

 

109. Die Geschöpfe

Weil die Geschöpfe gar in Gottes Wort bestehn,

Wie können sie dann je zerwerden und vergehn?

 

110. Das Gesuche des Geschöpfes

Vom ersten Anbeginn und noch bis heute zu

Sucht das Geschöpfe nichts als seines Schöpfers Ruh.

 

111. Die Gottheit ist ein Nichts

Die zarte Gottheit ist ein Nichts und Übernichts:

Wer nichts in allem sieht, Mensch, glaube, dieser sichts.

 

112. In der Sonnen ists gut sein

Wer in der Sonnen ist, dem mangelt nicht das Licht,

Das dem, der außer ihr verirret geht, gebricht.

 

113. Jehova ist die Sonne

Nimm hin der Sonnen Licht; Jehova ist die Sonne,

Die meine Seel erleucht und macht sie voller Wonne.

 

114. Die Sonn ist schon genug

Wem seine Sonne scheint, derselbe darf nicht gücken,

Ob irgendwo der Mond und andre Sterne blicken.

 

115. Du selbst mußt Sonne sein

Ich selbst muß Sonne sein, ich muß mit meinen Strahlen

Das farbenlose Meer der ganzen Gottheit malen.

 

116. Der Tau

Der Tau erquickt das Feld; soll er mein Herze laben,

So muß er seinen Fall vom Herzen Jesu haben.

 

117. Nichts Süßes in der Welt

Wer etwas in der Welt mag süß und lieblich nennen,

Der muß die Süßigkeit, die Gott ist, noch nicht kennen.

 

118. Der Geist bleibt allzeit frei

Schließ mich, so streng du willst, in tausend Eisen ein,

Ich werde doch ganz frei und ungefesselt sein.

 

119. Zum Ursprung mußt du gehn

Mensch, in dem Ursprung ist das Wasser rein und klar,

Trinkst du nicht aus dem Quell, so stehst du in Gefahr.

 

120. Die Perle wird vom Tau

Die Schnecke leckt den Tau und ich, Herr Christ, dein Blut:

In beiden wird geborn ein kostbarliches Gut.

 

121. Durch die Menschheit zu der Gottheit

Willst du den Perlentau der edlen Gottheit fangen,

So mußt du unverrückt an seiner Menschheit hangen.

 

122. Die Sinnlichkeit bringt Leid

Ein Auge, das sich nie der Lust des Sehns entbricht,

Wird endlich gar verblendt und sieht sich selbsten nicht.

 

123. Gott klagt um seine Braut

Die Turteltaube klagt, daß sie den Mann verloren,

Und Gott, daß du den Tod für ihn dir hast erkoren.

 

124. Du mußts hinwieder sein

Gott ist dir worden Mensch; wirst du nicht wieder Gott,

So schmähst du die Geburt und höhnest seinen Tod.

 

125. Die Gleichheit hat nicht Pein

Wem alles gleiche gilt, den rühret keine Pein,

Und sollt er auch im Pfuhl der tiefsten Höllen sein.

 

126. Begehren erwartet Gewähren

Mensch, wenn du noch nach Gott Begier hast und Verlangen,

So bist du noch von ihm nicht ganz und gar umfangen.

 

127. Es gilt Gott alles gleich

Gott hat nicht Unterscheid, es ist ihm alles ein;

Er machet sich soviel der Flieg als dir gemein.

 

128. Alles liegt an der Empfänglichkeit

Vermöcht ich Gotts so viel als Christus zu empfangen,

Er ließe mich dazu im Augenblick gelangen.

 

129. Das Böse entsteht aus dir

Gott ist ja nichts als gut: Verdammnis, Tod und Pein,

Und was man böse nennt, muß Mensch in dir nur sein.

 

130. Die Bloßheit ruht in Gott

Wie selig ruht der Geist in des Geliebten Schoß,

Der Gotts und aller Ding und seiner selbst steht bloß.

 

131. Das Paradeis in Pein

Mensch, bist du Gott getreu und meinest ihn allein,

So wird die größte Not ein Paradeis dir sein.

 

132. Bewehrt muß man sein

Mensch, in das Paradeis kommt man nicht unbewehrt,

Willst du hinein, du mußt durch Feuer und durch Schwert.

 

133. Gott ist ein ewges Nun

Ist Gott ein ewges Nun, was fället dann darein,

Daß er nicht schon in mir kann alls in allem sein?

 

134. Unvollkommene Gestorbenheit

Wo dich noch dies und das bekümmert und bewegt,

So bist du noch nicht ganz mit Gott ins Grab gelegt.

 

135. Bei Gott ist nur sein Sohn

Mensch, werd aus Gott geborn: bei seiner Gottheit Thron

Steht niemand anders als der eingeborne Sohn.

 

136. Wie ruht Gott in mir

Du mußt ganz lauter sein und stehn in einem Nun,

Soll Gott in dir sich schaun und sänftiglichen ruhn.

 

137. Gott verdammt Niemand

Was klagst du über Gott? Du selbst verdammest dich!

Er möcht es ja nicht tun, das glaube sicherlich.

 

138. Je mehr du aus, je mehr Gott ein

Je mehr du dich aus dir kannst austun und entgießen,

Je mehr muß Gott in dich mit seiner Gottheit fließen.

 

139. Es trägt und wird getragen

Das Wort, das dich und mich und alle Dinge trägt,

Wird wiederum von mir getragen und gehegt.

 

140. Der Mensch ist alle Dinge

Der Mensch ist alle Ding; ists, daß ihm eins gebricht,

So kennet er fürwahr sein Reichtum selber nicht.

 

141. Es sind viel tausend Sonnen

Du sprichst, im Firmament sei eine Sonn allein;

Ich aber sage, daß viel tausend Sonnen sein.

 

142. Je mehr man sich ergibt, je mehr wird man geliebt

Warum wird Seraphin von Gotte mehr geliebt

Als eine Mück? Es ist, daß er sich mehr ergibt.

 

143. Die Selbheit, die verdammt

Dafern der Teufel könnt aus seiner Seinheit gehn,

So sähest du ihn stracks in Gottes Throne stehn.

 

144. Der Schöpfer kanns alleine

Was bildest du dir ein, zu zähln der Sternen Schar?

Der Schöpfer ists allein, der sie kann zählen gar.

 

145. In dir ist, was du willst

Der Himmel ist in dir und auch der Höllen Qual:

Was du erkiest und willst, das hast du überall.

 

146. Gott liebt nichts außer Christo

So lieb Gott eine Seel in Christi Glanz und Licht,

So unlieb ist sie ihm, im Fall er ihr gebricht.

 

147. Die Jungfernerde

Das feinest auf der Welt ist reine Jungfernerde;

Man saget, daß aus ihr das Kind der Weisen werde.

 

148. Das Gleichnis der Dreieinigkeit

Der Sinn, der Geist, das Wort, die lehren klar und frei,

So du es fassen kannst, wie Gott dreieinig sei.

 

149. Es läßt sich nicht bezirken

So wenig, als dir ist die Weite Gottes kund,

So wenig ist die Welt, wie du sprichst, zirkelrund.

 

150. Eins in dem andern

Ist meine Seel im Leib und gleich durch alle Glieder,

So sag ich recht und wohl, der Leib ist in ihr wieder.14

 

Fußnoten

 

14 Verstehe idealiter.

 

151. Der Mensch ist Gottes Kindbett

Da Gott das erstemal hat seinen Sohn geborn,

Da hat er mich und dich zum Kindbett auserkorn.

 

152. Du selbst mußt Gottes Lämmlein sein

Daß Gott ein Lämmlein ist, das hilft dir nicht, mein Christ,

Wo du nicht selber auch ein Lämmlein Gottes bist.

 

153. Du mußt zum Kinde werden

Mensch, wirst du nicht ein Kind, so gehst du nimmer ein,

Wo Gottes Kinder sind: die Tür ist gar zu klein.

 

154. Die geheime Jungfrauschaft

Wer lauter wie das Licht, rein wie der Ursprung ist,

Derselbe wird von Gott für Jungfrau auserkiest.

 

155. Hier muß der Anfang sein

Mensch, willst du ewiglich beim Lämmlein Gottes stehn,

So mußt du schon allhier in seinen Tritten gehn.

 

156. Gott selbst ist unsre Weide

Schaut doch das Wunder an! Gott macht sich so gemein,

Daß er auch selber will der Lämmer Weide sein.

 

157. Die wunderliche Verwandtnis Gottes

Sag an, o großer Gott, wie bin ich dir verwandt,

Daß du mich Mutter, Braut, Gemahl und Kind genannt?

 

158. Wer trinkt den Lebensbrunn

Wer dorten bei dem Brunn des Lebens denkt zu sitzen,

Der muß zuvor allhier den eignen Durst ausschwitzen.

 

159. Die Ledigkeit ist wie Gott

Mensch, wo du ledig bist, das Wasser quillt aus dir

Sowohl als aus dem Brunn der Ewigkeit herfür.

 

160. Gott dürstet, tränk ihn doch

Gott selber klaget Durst; ach, daß du ihn so kränkest

Und nicht wie jenes Weib, die Samaritin, tränkest!

 

161. Das ewige Licht

Ich bin ein ewig Licht, ich brenn ohn Unterlaß:

Mein Docht und Öl ist Gott, mein Geist, der ist das Faß.

 

162. Du mußt die Kindschaft haben

So du den höchsten Gott willst deinen Vater nennen,

So mußt du dich zuvor sein Kind zu sein bekennen.

 

163. Die Menschheit soll man lieben

Daß du nicht Menschen liebst, das tust du recht und wohl,

Die Menschheit ists, die man im Menschen lieben soll.

 

164. Gott schaut man mit Gelassenheit

Der Engel schauet Gott mit heitern Augen an,

Ich aber noch viel mehr, so ich Gott lassen kann.

 

165. Die Weisheit

Die Weisheit findt sich gern, wo ihre Kinder sind.

Warum? O Wunderding! sie selber ist ein Kind.

 

166. Der Spiegel der Weisheit

Die Weisheit schauet sich in ihrem Spiegel an.

Wer ists? sie selber und wer Weisheit werden kann.

 

167. So viel du in Gott, so viel er in dir

So viel die Seel in Gott, so viel ruht Gott in ihr;

Nichts minder oder mehr, Mensch, glaub es, wird er dir.

 

168. Christus ist alles

O Wunder! Christus ist die Wahrheit und das Wort,

Licht, Leben, Speis und Trank, Pfad, Pilgram, Tür und Ort.

 

169. Nichtsverlangen ist Seligkeit

Die Heilgen sind darum mit Gottes Ruh umfangen

Und haben Seligkeit, weil sie nach Nichts verlangen.

 

170. Gott ist nicht hoch, noch tief

Gott ist nicht hoch, nicht tief; wer endlich anders spricht,

Der hat der Wahrheit noch gar schlechten Unterricht.

 

171. Gott findet man mit Nichtsuchen

Gott ist nicht hier noch da; wer ihn begehrt zu finden,

Der laß sich Händ und Füß und Leib und Seele binden.

 

172. Gott sieht, ehe du gedenkst

Wo Gott von Ewigkeit nicht siehet die Gedanken,

So bist du eh als er: er Stüpfchen und du Schranken.

 

173. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

Das Brot ernährt dich nicht: was dich im Brote speist,

Ist Gottes ewigs Wort, ist Leben und ist Geist.

 

174. Die Gaben sind nicht Gott

Wer Gott um Gaben bitt, der ist gar übel dran:

Er betet das Geschöpf und nicht den Schöpfer an.

 

175. Sohnsein ist schon genug

Sohn ist das liebste Wort, das Gott zu mir mag sprechen;

Spricht ers, so mag mir Welt und Gott auch selbst gebrechen.

 

176. Eins wie das ander

Die Höll wird Himmelreich noch hier auf dieser Erden,

(Und dies scheint wunderlich) wenn Himmel Höll kann werden.

 

177. Im Grunde ist alles eins

Man redt von Zeit und Ort, von Nun und Ewigkeit:

Was ist denn Zeit und Ort und Nun und Ewigkeit?

 

178. Die Schuld ist deine

Daß dir im Sonnesehn vergehet das Gesicht,

Sind deine Augen schuld und nicht das große Licht.

 

179. Der Brunnquell Gottes

Dieweil der Gottheit Ström aus mir sich solln ergießen,

Muß ich ein Brunnquell sein, sonst würden sie verfließen.

 

180. Ein Christ ist Kirch und alles

Was bin ich endlich doch? Ich soll die Kirch und Stein,

Ich soll der Priester Gotts und auch das Opfer sein.

 

181. Man muß Gewalt antun

Wer sich nicht drängt zu sein des Höchsten liebes Kind,

Der bleibet in dem Stall, wo Vieh und Knechte sind.

 

182. Der Löhner ist nicht Sohn

Mensch, dienst du Gott um Gut, um Seligkeit und Lohn,

So dienst du ihm noch nicht aus Liebe wie ein Sohn.

 

183. Die geheime Vermählung

Was Freude muß doch sein! wenn Gott sich seine Braut

In seinem ewgen Wort durch seinen Geist vertraut.

 

184. Gott ist mir, was ich will

Gott ist mein Stab, mein Licht, mein Pfad, mein Ziel, mein Spiel,

Mein Vater, Bruder, Kind und alles, was ich will.

 

185. Der Ort ist selbst in dir

Nicht du bist in dem Ort, der Ort, der ist in dir;

Wirfst du ihn aus, so steht die Ewigkeit schon hier.

 

186. Der ewigen Weisheit Haus

Die ewge Weisheit baut: Ich werde der Palast,

Wenn sie in mir und ich in ihr gefunden Rast.

 

187. Die Weite der Seelen

Die Welt ist mir zu eng, der Himmel ist zu klein;

Wo wird doch noch ein Raum für meine Seele sein?

 

188. Die Zeit und Ewigkeit

Du sprichst: Versetze dich aus Zeit in Ewigkeit.

Ist denn an Ewigkeit und Zeit ein Unterscheid?

 

189. Der Mensch, der macht die Zeit

Du selber machst die Zeit, das Uhrwerk sind die Sinnen;

Hemmst du die Unruh nur, so ist die Zeit von hinnen.

 

190. Die Gleichheit

Ich weiß nicht, was ich soll! Es ist mir alles ein:

Ort, Unort, Ewigkeit, Zeit, Nacht, Tag, Freud und Pein.

 

191. Wer Gott soll schaun, muß alles sein

Wer selbst nicht alles ist, der ist noch zu geringe,

Daß er dich sehen soll, mein Gott, und alle Dinge.

 

192. Wer recht vergöttet ist

Mensch, allererst, wenn du bist alle Dinge worden,

So stehst du in dem Wort und in der Götter Orden.

 

193. Die Kreatur ist recht in Gott

Die Kreatur ist mehr in Gotte, denn in ihr;

Zerwird sie, bleibt sie doch in ihme für und für.

 

194. Was bist du gegen Gott?

Mensch, dünke dich nur nicht vor Gott mit Werken viel;

Denn aller Heilgen Tun ist gegen Gott ein Spiel.

 

195. Das Licht besteht im Feuer

Das Licht gibt allem Kraft: Gott selber lebt im Lichte,

Doch wär er nicht das Feur, so würd es bald zu nichte.

 

196. Die geistliche Arch unds Mannakrüglein

Mensch, ist dein Herze Gold und deine Seele rein,

So kannst auch du die Arch unds Mannakrüglein sein.

 

197. Gott macht vollkommen sein

Daß Gott allmächtig sei, das glaubet jener nicht,

Der mir Vollkommenheit, wie Gott begehrt, abspricht.

 

198. Das Wort ist wie das Feuer

Das Feur rügt alle Ding und wird doch nicht bewegt;

So ist das ewge Wort, das alles hebt und regt.

 

199. Gott außer Kreatur

Geh hin, wo du nicht kannst: sieh, wo du siehest nicht;

Hör, wo nichts schallt und klingt, so bist du, wo Gott spricht.

 

200. Gott ist nichts (Kreatürliches)

Gott ist wahrhaftig nichts, und so er etwas ist,

So ist ers nur in mir, wie er mich ihm erkiest.

 

201. Warum wird Gott geboren?

O Unbegreiflichkeit! Gott hat sich selbst verlorn,

Drum will er wiederum in mir sein neugeborn.

 

202. Die hohe Würdigung

O hohe Würdigung! Gott springt von seinem Thron

Und setzet mich darauf in seinem lieben Sohn.

 

203. Immer dasselbige

Ich ward das, was ich war, und bin, was ich gewesen,

Und werd es ewig sein, wenn Leib und Seel genesen.

 

204. Der Mensch ists höchste Ding

Nichts dünkt mich hoch zu sein: ich bin das höchste Ding,

Weil auch Gott ohne mich sich selber ist gering.

 

205. Der Ort ist das Wort

Der Ort unds Wort ist eins und wäre nicht der Ort,

Bei ewger Ewigkeit! es wäre nicht das Wort.

 

206. Wie heißt der neue Mensch?

Willst du den neuen Mensch und seinen Namen kennen,

So frage Gott zuvor, wie er pflegt sich zu nennen.

 

207. Die schönste Gasterei

O süße Gasterei! Gott selber wird der Wein,

Die Speise, Tisch, Musik und der Bediener sein.

 

208. Die selige Völlerei

Zu viel ist niemals gut, ich hasse Völlerei,

Doch wünsch ich, daß ich Gotts so voll als Jesus sei.

 

209. Wie der Mund, so der Trank

Die Hure Babylon trinkt Blut und trinkt den Tod.

O großer Unterscheid! Ich trinke Blut und Gott.

 

210. Je aufgegebener, je göttlicher

Die Heilgen sind so viel von Gottes Gottheit trunken,

So viel sie sind in ihm verloren und versunken.

 

211. Das Himmelreich ist der Gewaltsamen

Nicht Gott gibts Himmelreich: du selbst mußts zu dir ziehn

Und dich mit ganzer Macht und Eifer drum bemühn.

 

212. Ich wie Gott, Gott wie ich