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Ich und Du
Herzgeschichten für Kinder und Jugendliche
Martina Meier (Hrsg.)
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
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© 2021 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR
Mühlstr. 10, 88085 Langenargen
Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2011.
Herstellung und Lektorat: CAT creativ - cat-creativ.at
Coverillustration „Wand“: Karola Zweite - Fotolia.com lizenziert
Coverillustration „Herz malen“: Tadamee - Fotolia.com lizenziert
Gedruckt in Polen
ISBN: 978-3-86196-096-6 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-99051-033-9 - E-Book
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Du bist nicht da
Warum Mädchen doch gar nicht so doof sind
Ein Funken Hoffnung im Jahr 2125
Gewitter-Stimmung in der Kugelstraße Nummer Zwei
Liebeslied
Verhexter Ewald
Von großen und kleinen Kindsköpfen
Die kleine Weide
Sturmflut
Endlich Freitag
Schulhofromanze
Du, nur du
Leuchtturmlicht
Lili sucht Liebe
Der singende Fisch
Einfach schön
Luitpold und Elvira
Zum ersten Mal verliebt
Kati, Luisa und die Maulwurfshügel
Im Frühling ist es früher hell
Phil und Paulina
Müllers Kuh
Die Liebe, die ich sehe
Bleib stehen und gib es her!
Kitty und Rudi
Der letzte Sommer
Er hatte alles ...
Regenbogenland
Brief an den Großvater
Die kleinen Helden Jan und Lotta
Freundschaft
Von Stars, Sam und Smileys
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Ich und Du gehören zusammen. Ich und Du hören gemeinsam Musik, sprechen gern miteinander und teilen alles. Ich und Du sind eben wie Pech und Schwefel. Aber eines Tages kommt Du nicht mehr zurück. Du ist verschwunden, spurlos. Und Ich weiß sich nicht zu helfen.
„Du, wo bist du?“, ruft Ich, während es durch den Regen läuft. Der Himmel aber ist trostlos grau und Ich geht wieder nach Hause. Ich setzt sich an seinen kleinen Küchentisch und kocht zwei Tassen Tee für beide.
Ich sitzt und wartet den ganzen Tag, aber als der Abend anbricht, ist Du immer noch nicht zurückgekehrt. Da geht Ich ins Wohnzimmer und schaut zum Fenster hinaus, aber von Du ist immer noch nichts zu sehen. Enttäuscht geht Ich in das Zimmer von Du, welches ganz leer und verlassen aussieht so ohne Du.
Schließlich legt sich Ich in seinem eigenen Zimmer schlafen. Aber Ich kann nicht schlafen. Ich macht sich zu viele Sorgen um Du. Da kramt Ich sein Tagebuch hervor: „Liebes Tagebuch!“, schreibt Ich. „Ohne Du fühle ich mich einfach schrecklich. Ich brauche Du. Besonders merke ich es jetzt, wo Du nicht mehr bei mir ist. Ich wünschte, Du wäre wieder hier!“
Doch auch am nächsten Morgen ist Du nicht da. Und Ich hat keinen Appetit. Am liebsten möchte Ich gar nicht mehr aufstehen. Ich fühlt sich ganz elend, als hätte es ein übergroßes Loch in seinem Bauch. Nur der Regen hat immer noch nicht aufgehört, so unerbittlich gegen die Fensterscheiben zu klopfen. Ich schaltet die Musik ein, die Du immer mit ihm hörte, aber plötzlich klingt sie ganz grauenvoll.
„Hallo Du!“, versucht Ich mit dem kleinen Goldfisch im Glas zu sprechen, aber es hilft alles nichts, denn Du ist einfach nicht da.
Plötzlich hört Ich aber, wie die Tür zu seinem Zimmer aufgeht, und dreht sich um. Es ist Du, das wieder nach Hause gekommen ist.
„Ich bin wieder da“, sagt Du und Ich ist überglücklich. „Du“, sagt Ich, „ich glaube, ich habe dir nie gesagt, wie wichtig mir deine Freundschaft ist.“
Und auch Du muss etwas eingestehen: „Das wollte ich dir auch sagen. Ich habe mich wirklich schlimm gefühlt ohne dich, mein bester Freund.“
Ich und Du sind wieder überglücklich. Du erzählt, was es von seiner Rückkehr abgehalten hat und beide müssen über die Geschichte lachen. Ich und Du werden für immer beste Freunde bleiben.
Rabia Hussain ist 18 Jahre alt und lebt in Berlin.
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Die langsam untergehende Abendsonne umspielte mit sanften Strahlen das Gesicht eines kleinen Jungen namens Jonas. Wie Feen in einem Märchen tanzten sie auf seiner Nasenspitze herum, streichelten seine blond gelockten Haare und zauberten ein fröhliches Lächeln in seine Mundwinkel. Sie begleiteten ihn nun schon den ganzen Tag lang, beim Herumtollen mit seinen Freunden, beim Spielen im Sandkasten. Jonas liebte diese Tage, an denen man morgens mit der Sonne aufwacht und abends mit ihr schlafen geht.
Wie immer an solchen Tagen verbrachte er auch den Tag, an dem unsere kleine Geschichte spielt, draußen auf dem Spielplatz und spielte mit seinen Freunden Fangen, Verstecken und all die anderen Spiele, die ihnen Spaß machten. Jonas hatte wirklich tolle Freunde. Er konnte sich gar nicht recht entscheiden, welchen er am meisten mochte. Eigentlich wusste er aber, dass seine allerbeste Freundin Sophie war. Aber das konnte er natürlich nicht offen zugeben, weil sie ein Mädchen war. Die anderen Jungs fanden Mädchen nämlich doof.
Am liebsten spielte Jonas Murmeln. Alle seine Freunde besaßen Murmeln und jeder einzelne von ihnen wollte die schönste, größte und tollste Murmel von allen haben. Und diese Murmel besaß Jonas. Niemand hätte bestreiten können, dass sie die beste Murmel der Welt war. Sein Großvater hatte sie ihm zum Geburtstag geschenkt. Die Murmel war größer als alle anderen Murmeln, die Jonas und seine Freunde besaßen, und glänzte silbrig, wenn man sie gegen die Sonne hielt. Es war seine Glücksmurmel, und Jonas hatte mit ihr noch nie ein Spiel verloren.
Es gab viele Kinder, die auf Jonas’ Murmel neidisch waren. Sie fanden die Murmel so schön, dass sie sie für sich allein haben wollten. Doch weil Jonas beim Murmeln einfach unschlagbar war, war es noch nie jemandem gelungen, die Murmel in seinen Besitz zu bringen. Und sie einfach zu stehlen, das hätte kein Kind auf dem Spielplatz gewagt. Keines außer Kevin. Kevin war viel älter als die anderen Kinder, mindestens zwölf, und das hieß für Jonas, dass Kevin wirklich sehr alt war. Jonas hatte ein bisschen Angst vor Kevin, weil er außerdem ziemlich stark und oft gemein war.
An diesem Tage spielte Jonas also wieder Murmeln mit seinen Freunden, und er war kurz davor, zu gewinnen, so wie eigentlich fast immer. Jonas strahlte. Es war ein schöner Tag. Doch irgendjemand schien etwas dagegen zu haben, dass es ein schöner Tag war. Denn Jonas nahm gerade seine Glücksmurmel aus der Hosentasche, als Kevin um die Ecke bog, begleitet von zwei bullig aussehenden Jungs, die mindestens genau so groß und doof waren wie Kevin selbst. Sie hießen Tim und Tom und waren Zwillinge.
„Hey, Jonas! Pass auf, da kommt Kevin!“, rief Sebastian ihm zu. Sebastian war einer von Jonas’ besten Freunden. Aber es war zu spät. Kevin und seine Bande marschierten auf die Kinder zu, Tim und Tom rempelten die Schwächeren von ihnen aus dem Weg, bis Kevin schließlich vor Jonas stand.
„Das ist aber eine besonders schöne Murmel“, sagte Kevin und grinste spöttisch. Er kaute auf seinem Kaugummi herum, weil er möglichst cool und lässig wirken wollte.
„Ja, die hab ich von meinem Gro...“, begann Jonas, aber Kevin hatte bereits seine Hand nach vorne schnellen lassen und Jonas die Murmel entrissen. Nun warf er sie lauthals lachend in die Luft und fing sie auf, warf sie erneut hoch, um sie dann wieder aufzufangen.
„Kommt, Jungs, wir gehen!“, rief er Tim und Tom zu, die dem kleinen Max noch eben eine Kopfnuss verpassten und dann hinter ihrem Anführer hertrotteten.
Jonas starrte ihnen fassungslos nach. Kevin hatte seine Murmel gestohlen, seine wunderschöne Murmel! Er hätte fast angefangen zu weinen. Da rief plötzlich eine zarte, aber sichere Stimme: „Hey, du Dickmops! Dreh dich mal um!“
Jonas wirbelte herum, weil er wissen wollte, wem diese Stimme gehörte. Kevin wirbelte herum, weil er wusste, dass mit „Dickmops“ nur er gemeint sein konnte. Es war Sophie. Die schüchterne, kleine Sophie hatte es doch tatsächlich fertiggebracht, den starken Kevin herauszufordern! So etwas Mutiges hätte sich nicht einmal einer der Jungs getraut. Jonas schaute Sophie an. Entschlossenheit funkelte in ihren Augen.
„Komm her, Dicki!“, rief sie erneut.
Kevin war entrüstet. Was für eine Frechheit, ihn so zu beleidigen!
„Oder traust du dich etwa nicht?“
Jetzt bebte Kevin vor Zorn.
„Los, Jungs, der zeigen wir’s!“, knurrte er Tim und Tom zu, und alle drei liefen wütend zurück.
Aber bevor auch nur einer von ihnen die Faust heben und jemanden verletzen konnte, sagte Sophie streng: „Passt auf! Folgendes: Du wirst im Murmeln gegen Jonas antreten. Die üblichen Regeln. Kein Schummeln.“
Kevin lachte in sich hinein. Als ob er solch ein kleines Kind nicht besiegen könnte! Und dann auch noch im Murmeln! Der Sieg war ihm sicher. Diesen Bengeln würde er mal zeigen, wer der Stärkste auf dem Spielplatz war. Sophie lächelte Jonas an. Sie wusste, dass er gewinnen würde. Er war der beste Murmelspieler, den sie kannte.
Das Spiel, das Jonas und Kevin gegeneinander spielten, war so spannend wie noch kein Spiel zuvor auf dem Spielplatz. Aber Kevin hatte keine Chance. Niemand konnte so gut Murmeln spielen wie Jonas. Natürlich gewann er.
Alle brachen in einen wilden Freudentanz aus. Alle außer Kevin, Tim und Tom. Kevin gab Jonas missmutig die Murmel zurück, und dann schlichen alle drei mit leeren Gesichtern zurück nach Hause. Jonas strahlte vor Glück. Dass er seine Glücksmurmel wieder hatte, war das schönste Geschenk, das Sophie ihm nur machen konnte. Sophie war die Heldin des Tages.
„Du bist meine allerbeste Freundin, Sophie“, sagte Jonas so laut, dass es alle hören konnten. Es war ihm nicht einmal peinlich.
„Toll, dass du deine Murmel zurückbekommen hast, Jonas!“, rief Sebastian. „Mädchen sind ja doch gar nicht so doof. Vor allem Sophie nicht.“
Da begannen alle schallend zu lachen. In diesem Moment wäre es wohl niemandem von ihnen eingefallen, ihm ernsthaft zu widersprechen.
Johannes Hülstrung ist 18 Jahre alt und lebt in Hagen.
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Jerry lebte, bereits seit er denken konnte auf dem Sternenkreuzer. In all den Jahren war es ihm nicht schlecht gegangen, soweit er sich erinnerte. Nun ja, er kannte es nicht anders.
„Du lässt dich viel zu viel herumschubsen“, sagte das zwei Meter große Insekt, das an der Bar lehnte. Ein Rest Fliegeneier klebte in dem Glas, das Jerry abräumte.
„So. Meinst du?“
„Natürlich.“ Das Insekt reckte sich die Flügel und wischte sich die letzten Fliegeneier von den Scheren, die beim Menschen den Mund bilden würden. „Das ist das Problem von euch Menschen. Niemand hätte euch versklavt, wenn ihr nur einmal den Mut gehabt hättet, für eure Freiheit zu kämpfen.“
„Vielleicht hatte die Riesenschabe recht“, dachte sich Jerry. Er war nur einige wenige Male einem Menschen begegnet. Aber stets waren sie Gefangene oder Sklaven gewesen, die traurig den Befehlen der anderen Lebewesen Folge leisten mussten.
„Ihr habt nichts“, fügte das Insekt hinzu, „ihr habt nicht mal einen eigenen Willen. Was seid ihr überhaupt für Wesen? … Kriege ich noch ein Glas eingerührte Eier?“
„Ja, Zripp!“ Jerry mixte eine Kelle voller Fliegeneier mit einem hochprozentigen Rum. Zripp, das große Insekt an der Bar, vertrug viel. Aber er erzählte auch viel wirres Zeug.
„Du musst das ändern.“
„Was?“ Der Untersetzer, den Jerry auf die Theke legte, trug das Symbol der Vereinigten Schwärme. Es war die größte Organisation in diesem Universum. Sie hatten die Vorherrschaft, die Insekten waren die Könige.
„Du kochst doch gerne. Was ist damit? Ist das nicht was Besonderes?“ Zripp leckte sich die Scheren als Jerry ihm das Glas mit den beschwipsten Fliegeneiern auf den Untersetzer stellte.
„Ich koche hin und wieder. Das mache ich gerne.“
Die Schabe nahm einen großen Schluck. „Das ist gut.“
„Warum?“
„Na, weil dir dann der Mut nicht so schnell sinkt, wenn du gern was für dich tust. Es bedeutet, Freiheit etwas für sich zu haben. Ihr Menschen – ihr werdet noch mal auf die Liste der ausgestorbenen Arten des Universums kommen, wenn ihr nichts mehr habt, woran ihr euch halten könnt.“
„Aber die Erde gibt es noch.“ Jerry stellte sich breitbeinig hinter der Theke hin. Er wollte nicht akzeptieren, was Zripp ihm da sagte. Die Menschen lebten noch – das war das Wichtigste. Auch wenn sie versklavt worden waren – damals im Erdenkrieg des Jahres 2113, dem Jahr von Jerrys Geburt.
„Ach, die Erde. Die habt ihr gar nicht wirklich. Die Sklavenkolonie dort gibt es nur, weil ihr dort leichter gezüchtet werden könnt.“ Zripp hielt sich mit zwei Armen am Glas fest und rührte mit einem dritten die Eier durch. Er trank noch ein Dutzend Fliegeneierpunsche. Die Gespräche wurden immer zusammenhangloser. Auch wenn er ein netter Kerl war – für ein Insekt zumindest – so machte ihn der Alkohol doch nur umso mehr zum Tier.
Als Jerry spät in der Nacht nach unzähligen Gästen – beinahe alle waren Insekten gewesen – in sein Quartier zurückging, begegnete er zufällig Lucille, die immer Lucy genannt werden wollte. Lucy war ein Mensch.
„Hey, Lucy!“, rief er ihr zu. Der Gang war leer. Die Insekten schliefen um diese Zeit.
„Hey, Jerry. Wie war die Arbeit?“ Lucy strich sich eine dunkelblonde Strähne aus dem Gesicht. Sie putzte jeden Tag die Kommandobrücke und die dazugehörige Etage.
„Da hatte sie echt viel zu tun“, dachte Jerry. Er wollte nicht gern mit ihr tauschen. „Ach, eigentlich wie immer.“ Ihm schwirrte das Gespräch mit Zripp im Kopf herum. „Und bei dir?“
„Ich will mich nicht beklagen. Bin wenigen Insekten begegnet.“ Sie lächelte schief.
„Willst du noch mit zu mir kommen? Ich kann etwas für uns kochen.“
„Ja, gern“, sagte Lucy. Ihre Augen glänzten. Nach den langen Tagen blieb ihnen abends wenig Zeit etwas anderes zu tun. Meistens waren sie viel zu kaputt. Doch heute klappte es.
Der Sensor, den Jerry um sein Handgelenk trug, vibrierte kurz, als er vor seine Wohnzelle trat. Die Tür öffnete sich von alleine. Sie war mit dem Sensor verbunden. Lucy folgte ihm in die kleine Wohnung. Sie sah genauso aus wie Lucys Wohnung: ein Bett, eine Dusche und eine Kochstelle. Nicht viel, aber zum Leben reichte es.
Jerry machte sich gleich ans Kochen. „Ich koche total gerne!“
„Wirklich? Ist das nicht nur da, um zu essen?“
„Nein.“ Jerry öffnete einen kleinen Vorratsschrank, der über dem Herd hing. Darin lagen Hunderte Gewürze und Aromafläschchen. „Dann würde ich das hier nicht sammeln.“
„Du sammelst sie?“ Sie hatte schon von verrückten Freizeitbeschäftigungen gehört, aber Gewürzsammeln war ihr neu.
„Setz dich. Warte einfach ab.“ Und Jerry wirbelte um den Herd herum, wischte über die Herdplatten, schnippelte, hackte und garte. Als er fertig war, stellte er eine Schüssel und Besteck vor Lucy ab. „Hier. Probier das!“
Es schmeckte Lucy ganz außergewöhnlich gut. „Wie kommst du an die ganzen Gewürze?“, fragte sie schließlich, als sie aufgegessen hatte.
„Ich habe einen Gast, der oft bei mir an der Bar trinkt. Er heißt Zripp. Er ist immer sehr gut zu den Menschen. Mir bringt er immer Gewürze von fernen Planeten mit. Manchmal weiß ich gar nicht, ob ich das verdient habe. Immerhin sind wir doch nur Menschen.“
Lucy sah ihm tief in die Augen. „Das weiß ich auch nicht. Aber ich weiß, dass du es verstehst, damit umzugehen.“
„Ja, ich koche für mein Leben gern.“
„Würdest du morgen wieder für mich kochen? Ich bringe dir auch alles an Lebensmitteln vorbei, was ich bekomme.“
„Gerne.“ Das Geschirr nahm Jerry und stellte es in ein Gerät, das die Essensreste einfach wegstrahlte. „Ich mag es dich bei mir zu haben.“
Eigentlich war es sowohl verboten zu kochen, als auch so viel Kontakt miteinander zu haben. Doch von diesen Sklavengesetzen ließen sich die beiden nicht abschrecken. Abend für Abend saß Lucy bei Jerry. Sie aßen zusammen, sprachen von ihrem Tag und erzählten sich Geschichten aus einer anderen ‒ meistens einer besseren ‒ Zeit.
„Würdest du das Kochen für irgendetwas eintauschen?“, fragte Lucy eines Tages.
„Für nichts in diesem Universum!“ Jerry meinte es ernst. Es bedeutet Freiheit für mich! Mein Herz schlägt für das Kochen. Es lässt mich frei sein. Aber es schlägt auch für dich, weil ich schon so viele Abende mit dir diese Freiheit teilen konnte. Verstehst du?“
Lucy verstand. Auch für sie gab es diese Freiheit. Sie genoss die kleine Freiheit.
Eines Tages als Lucy den Boden auf dem Kommandodeck schrubbte, kam ein wohlhabender Mann vorbei. Der Kapitän ging neben ihm. „Und wer ist das?“, fragte der menschliche Mann und zeigte auf Lucy.
„Das ist Lucille. Die hat keine besonderen Talente. Die macht nur sauber.“ Der Kapitän schnaubte verächtlich. Er zirpte leicht.
„Ich habe das schon vorhin gesagt: keine abfälligen Bemerkungen über die Menschen. Sonst kommen wir nicht ins Geschäft. Putzen ist eine ehrbare Tätigkeit. Es ist keine Frage, wie es hier ohne Lucille bald aussehen würde.“
„Entschuldigen Sie, Herr Urb. Wir sind es nun mal nicht gewohnt eigenständigen Menschen zu begegnen.“
„Gewöhnen Sie sich besser daran.“ Herr Urb blickte ihn ernst an. „Haben Sie sonst noch Menschen an Bord, die ich brauchen könnte?“
„Nein, jetzt haben sie alle gesehen.“
Lucy meldete sich: „Waren Sie schon bei Jerry? Das ist der kleine Junge hinter der Bar.“
„Ja“, meinte der scheinbar freie Mann, „aber er schenkt nur Getränke aus. Das ist keine besondere Fähigkeit. Das können wir ein paar Roboter machen lassen.“
„Das nicht“, erklärte Lucy, „aber er kann auch kochen. Und er ist mein Freund.“
„Vom Kochen hat er nichts erzählt. Nun gut, Kapitän, dann nehme ich beide mit.“
Der Insektenkapitän rieb sich seine Fühler aneinander, als er ein Bündel Geldnoten für die beiden bekam.
Als Lucy und Jerry bei Herrn Urb an Bord des kleinen Personentransporters waren, rieben sie sich ihre Handgelenke. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl so ganz frei zu sein.
„Was passiert hier?“, fragte Jerry für sie beide.
„Oh, ich bin euch wohl noch eine Erklärung schuldig. Nun es ist so: Vor vier Jahren wurde mir die Freiheit geschenkt. Seit dem habe ich ein Stück Land auf der Erde gekauft. Und jetzt bin ich in allen Teilen des Universums unterwegs und suche Menschen, die eine freie Spezies bilden können. Deswegen kommt ihr mit. Und einen Koch können wir gut gebrauchen. Kochen ist etwas Besonderes. Wie ist es eigentlich dazu gekommen, Jerry, dass du nach dem langen Arbeitstag noch so etwas erlernt hast?“
Und Jerry begann zu erzählen, wie er ein paar Kräuter gefunden hatte und mit Zripps Hilfe nach und nach einen ganzen Schrank voll davon hatte. Von nun an würden sie nie wieder heimlich kochen müssen. Mit einem Arm umklammerte er die Tasche, in die er hastig seinem Gewürzschrank entleert hatte, und mit dem anderen hielt er Lucy im Arm. Er erzählte von seiner geheimen Freiheit. Auch Lucy hatte von dieser Freiheit gekostet. Sie lächelte.
„Toll“, sagte Herr Urb. „Wenn das alle seit dem Erdenkrieg getan hätten, dann würde ich viel eher Menschen für unsere freie Kolonie finden. Aber was soll’s. Starten wir durch.“
Vor dem Personentransporter tauchte der Planet auf. Das Strahlen des Blaus beruhigte Lucy und Jerry und sollte ein Vorgeschmack auf die Freiheit werden.
Schemajah Schuppmann aus Essen. Mit einem Menschen an der Seite, den man ganz besonders liebt und mit dem man teilen kann was man erlebt, fällt vieles leichter. Man teilt Hoffnung, Freiheit, Liebe und noch viel mehr. Er teilt gerne seine Geschichten mit jedem Leser und jeder Leserin, als ob er eine Mahlzeit zubereiten würde. Dafür schreibt er das ganze Jahr über an kurzen und langen Geschichten.
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„Hört ihr wohl endlich auf zu streiten!“, ruft Mama nun schon zum fünften Mal ins Kinderzimmer. Ihre Stimme klingt dabei sehr streng. Aber sie hat recht. Heute ist wirklich ein schrecklicher Streit-Tag im roten Haus der Kugelstraße Nummer Zwei ‒ passend zum Wetter draußen. Für einen frühen Nachmittag ist der Himmel gewaltig düster, und seit einer halben Ewigkeit blitzt, donnert und stürmt es.