Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen

 

 

Charles Baudelaire

Die Blumen des Bösen

Übersetzt von Wolf von Kalckreuth

 

 

 

Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen. Übersetzt von Wolf von Kalckreuth

 

Übersetzt von Wolf von Kalckreuth

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Walter Sickert, Ennui, um 1900

 

ISBN 978-3-8430-8054-5

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-8036-1 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-8037-8 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck von 18 Gedichten unter dem Titel »Les Fleurs du Mal« in: Revue des deux Mondes, 1855. Erstausgabe von 100 Gedichten: Paris (Poulet-Malassis und de Broise) 1857. Danach mit 35 neu aufgenommenen Gedichten anstelle von 6 zensierten: Paris (Poulet-Malassis und de Broise) 1861. In der dritten Ausgabe, Amsterdam [Brüssel] 1866, kamen 17 neue Gedichte hinzu und die 6 verbotenen Gedichte wurden wieder abgedruckt. Hier nach der Übersetzung von Wolf von Kalckreuth, Leipzig: Insel-Verlag, 1907.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Baudelaire, Charles: Blumen des Bösen. Übers. v. Wolf v. Kalckreuth, Leipzig: Insel-Verlag, 1907.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Spleen und Ideal

Der Albatros

Oft fängt die Mannschaft auf den Schiffen zum Vergnügen

Sich Albatrosse ein, Seevögel kühnbeschwingt,

Die still und ruhevoll auf ihren weite Zügen

Dem Fahrzeug folgen, wie es durch die Salzflut dringt.

 

Sobald auf das Verdeck sie die Gefangnen bringen,

So hängen voller Scham, verstört und ungeschickt,

Die Kön'ge des Azurs die mächtgen, weißen Schwingen

Wie Ruder rechts und links, hinschleifend und geknickt.

 

Der Wandrer, leicht beschwingt, daß er die Luft durchschweife,

Wie häßlich ist er nun, wie plump, verhöhnt und schwach.

Der eine kitzelt ihm den Schnabel mit der Pfeife,

Der andre macht im Spott sein lahmes Wanken nach.

 

Der Dichter ist der Fürst der stolzen Wolkenthrone,

Der Bogenschützen trotzt und lacht des Seesturms Wehn;

Doch hindern auf dem Land, umringt von lautem Hohne,

Die Riesenflügel den Gewaltigen am Gehn.

 

Erhebung

Hoch über den Bergen, hoch über den Meeren,

Den Wäldern, den Talen, den Wolken, der Flur,

Der flammenden Sonne, dem weiten Azur,

Hoch über den Reichen der sternigen Sphären,

 

Beschwingst du, mein Geist, dich, und tief in der Brust,

Wie ein Schwimmer, den schwellend die Wogen umgleiten,

Fühl froh ich, durchfurchend unendliche Weiten,

Eine unaussprechliche, männliche Lust,

 

Entfliehe fern in die reineren Düfte,

Befreit von dem Dunst, der betäubend und krank,

Und schlürfe als hellen und göttlichen Trank

Das klare Feuer der ewigen Lüfte.

 

Weit hinter des Grams und des Trübsinns Gebiet,

Die das irdische Leben in Nebel verschlingen –

Glückselig der, der mit kräftigen Schwingen

Zu strahlenden, heitren Gefilden entflieht,

 

Dessen Geist, wann die Lichter des Morgens erglühten,

Wie die Lerche aufsteigend den Himmel durchschweift,

Der das Sein überfliegend mühlos begreift

Die Sprache der stummen Welt und der Blüten.

 

Zusammenhänge

Lebendgem Tempel gleicht das Wesen der Natur,

Aus seinen Säulenreihn tönt tief geheimes Flüstern,

Durch Wälder geht der Mensch, wo Zeichen ihn umdüstern,

Die stillvertrauten Blicks verfolgen seine Spur.

 

Geheim verschmelzend wie das Echo fernster Klüfte,

In großer Einheit und voll dunkeltiefer Macht,

Weit wie des Äthers Glanz und die gewaltge Nacht,

Antworten Töne rings und Farben sich und Düfte.

 

Gerüche sind, wie Duft, der über Kindern ruht,

Grün wie die Wiesen, sanft wie der Hoboen Klingen,

Und andre, die verderbt, reich und voll stolzer Glut,

 

Still atmend in der Kraft von unbegrenzten Dingen,

Wie Ambra, Benzoe und fremden Weihrauchs Flut,

Stolz tönend den Triumph von unsrem Geist und Blut.

 

Die Leuchttürme

Rubens, Gefild der Rast, Strom der Vergessenheiten,

Ein Ruhbett blühnden Fleischs und doch von Liebe leer,

Darin das Leben wogt in ruhelosen Weiten,

Wie im Azur die Luft und wie das Meer im Meer.

 

Da Vinci, Spiegel, draus sich tiefe Träume heben,

Wo selger Engelschar stillfrohes Lächeln glänzt,

Die in geheimem Duft das Schattenland durchschweben,

Das sich mit Gletschern und mit schlanken Pinien kränzt.

 

Rembrandt, ein Armenhaus, von Murmeln bang verdüstert,

Wo aller Schmuck der Wand ein Kruzifix allein,

Wo weinendes Gebet aus Schmutz und Lumpen flüstert,

Die kalt und hart durchstrahlt ein winterlicher Schein.

 

Buonarotti, Nacht, wo in des Dunkels Schweigen

Sich Herakles' Gestalt mit Christusbildern mengt,

Wo Riesenwesen starr der Dämmerung entsteigen

Und die gestreckte Hand das Leichentuch zersprengt.

 

Der Faunen freche Glut, des Faustkampfs zornig Toben,

Du, dem aus schmutzgem Troß die Schönheit sich gebar,

Hinfällger, gelber Mann, das Herz von Stolz gehoben,

Puget, gramvoller Fürst im Reich der Sträflingsschar.[6]

 

Watteau, ein Karneval, wo manche edle Herzen

Wie Schmetterlinge irrn in wechselvollem Glanz,

Gewande, leicht und bunt, erhellt von tausend Kerzen,

Die die Verzückung sprühn dem tollen Wirbeltanz.

 

Goya, ein schwerer Traum, wo Finsternisse zürnen,

Geburten, die man kocht in zaubertrunkner Wut,

Im Spiegel alte Fraun und junge, nackte Dirnen,

Die Strümpfe glättend, schön für der Dämonen Glut.

 

Ein Blutsee, Delacroix, mit bösen Engelscharen,

Beschattet durch ein Holz von Fichten, ewig grün,

Wo in vergrämter Luft fremd tönende Fanfaren

Gleich einem Seufzerhauch von Weber fern verglühn.

 

Dies Lästern, dieser Fluch, dies Weh von Klagesängen,

Dies Heulen, dies Tedeum, dieser wilde Schmerz,

Sie sind ein Widerhall aus tausend irren Gängen,

Ein göttlich Opium für unser sterblich Herz.

 

Es ist ein Ruf, den man durch tausend Wachen kündet,

Es ist ein Losungswort, das tausendfach erschallt,

Es ist ein Leuchtturm, der auf tausend Festen zündet,

Ein Schrei von Jägern ists, verirrt im großen Wald.[7]

 

Denn klarer kann sich, Herr, kein Zeugnis offenbaren,

Das unsrem innern Wert je eine Stimme leiht,

Als dieser glühnde Schrei, der rollt von Jahr zu Jahren

Und sterbend untergeht am Rand der Ewigkeit.[8]

 

Die kranke Muse

Was, arme Muse, hast du diesen Morgen? sprich!

Noch bebt dein hohler Blick vom Traum, der dich bedrängte,

Abwechselnd breiten bleich auf deinem Antlitz sich

Wahnsinn und Schreck, der stumm und eisig dich beengte.

 

War es ein grüner Elf, ein rot Gespenst, das dich

Mit Liebe oder Furcht aus seiner Urne tränkte?

War es ein schwerer Traum, der herb und fürchterlich

In einem zaubrischen Minturnä dich versenkte?

 

Ich wollte, es enthaucht' den Duft gesunder Kraft

Dein Busen, der stets neu Gedanken formt und schafft,

Es flöss dein christlich Blut in Rhythmen auf und nieder.

 

Wie mannigfaltiges Getön antiker Lieder,

Da, wo mit Phöbus, dem die Sangkunst untertan,

Vereint, der Ernte Herr regiert, der große Pan.

 

Der schlechte Mönch

In alten Klöstern sah auf den gewaltgen Mauern

Die Wahrheit man gemalt in heilgem Strahlenkleid,

Das Herz erwärmte sie den büßenden Beschauern

Und milderte den Frost der strengen Frömmigkeit.

 

Als damals Christi Saat gesproßt aus Segensschauern,

Nahm mancher Mönch, des Ruhm verlöscht ist durch die Zeit,

Zu seiner Werkstatt sich des Grabfelds ernstes Trauern

Und feierte den Tod mit schlichter Einfachheit.

 

Mein Herz ist eine Gruft. Ein schlechter Mönch durcheile

Seit Ewigkeiten ich den Raum, wo trüb ich weile,

Kein Bild verschönt mir des verhaßten Klosters Wand.

 

O tatenloser Mönch! Wann wird es mir gelingen,

Dem schmerzensreichen Spiel des Lebens abzuringen

Der Augen Labsal und die Arbeit meiner Hand!

 

Der Feind

All meine Jugend war ein Sturm von Wetterschlägen,

Nur hier und dort durchflammt von hellem Sonnenlicht;

So viel vernichteten der Donner und der Regen,

Daß wenig Früchte man in meinem Garten bricht.

 

Nun, da der Herbst mir schon berührt der Seele Schauen,

Da Hark und Schaufel ich zu schwerer Arbeit hub,

Muß überschwemmt Gefild ich mühsam neu bebauen,

Wo Löcher grabestief der Sturz des Wassers grub.

 

Und wer mag sagen, ob den Blumen, die ich träume,

In diesem Boden, der zerspült wie wüste Räume,

Geheimer Saft auch wird, der ihre Kräfte nährt?

 

O Schmerz! O Schmerz! Die Zeit verschlingt all unser Leben,

Dem dunklen Feinde, der uns stumm am Herzen zehrt,

Muß unser eignes Blut stets neue Stärke geben!

 

Unstern

Wer solche Last zu heben sinnt,

Braucht, Sisyphus, deine Stärke

Und hat er Herz auch zum Werke –

Die Kunst ist lang, die Zeit entrinnt.

 

Fern von prangenden Sarkophagen

Zieht zu einsamem Gräberreich

Mein Herz, verhülltem Trommler gleich,

Den letzten Grabmarsch zu schlagen.

 

Manch Kleinod schläft im Grund versteckt,

Wo niemals es ein Karst entdeckt,

Wo Nacht und Vergessen sich breiten;

 

Manch eine Blume füllt die Luft

Umsonst mit süßgeheimem Duft

In der Tiefe der Einsamkeiten.

 

Vorleben

Ich wohnte lange Zeit in weiten Säulengängen,

Um die vielfältger Glanz von Meeressonnen weht.

Mit hohen Pfeilern, stolz und voll von Majestät,

Sahn sie am Abend gleich basaltnen Grottenhängen.

 

Die Woge, drin das Bild der Himmel kommt und geht,

Verwob geheimnisreich in feierlichen Sängen

Den mächtigen Akkord von ihren reinen Klängen

In Abendgluten, die mein spiegelnd Aug erspäht.

 

Dort habe ich gelebt in stiller Wollust Lächeln,

In Wellen, in Azur, in flüssgen Glanz versenkt,

Mit nackten Sklaven, die von Wohlgeruch getränkt

 

Die Stirne mir gekühlt mit ihrer Palmen Fächeln,

Und deren einzig Tun sie nur vertiefen hieß

Mein weh Geheimnis, das mein Herz verschmachten ließ.

 

Der Mensch und das Meer

Auf immer, freier Mensch, wirst lieben du das Meer,

Dein Spiegel ist das Meer. Du schaust der Seele Bildnis

Im weiten Wellenspiel der ungeheuren Wildnis,

Gleich ihm ist deine Brust von Bitternissen schwer.

 

Gern schaust dein Bild du, das die Wellen dir enthüllen,

Mit Auge und mit Arm faßt du es, und dein Herz

Vergißt wie trunken oft den eignen lauten Schmerz

Bei dieses Klagesangs unzähmbar wildem Brüllen.

 

Schweigsam und dunkel seid ihr beide allezeit:

Mensch, noch drang keiner je in deine tiefsten Gründe,

Meer, noch fand keiner je den Reichtum deiner Schlünde,

So bergt ihr euren Hort in finstrer Heimlichkeit.

 

Jahrtausende hindurch rollt euer nimmermüder

Und mitleidsloser Kampf bar jeder Reue fort.

So sehr liebt beide ihr die Schlachten und den Mord,

O ewges Kämpferpaar, o nie versöhnte Brüder!

 

Don Juan in der Hölle

Als Don Juan genaht den unterirdschen Fluten,

Und als er den Obol an Charon gab, ergriff

Stolz wie Anthistenes, im Auge finstre Gluten,

Ein Bettler starken Arms die Ruder in dem Schiff.

 

In Fetzen das Gewand, die schlaffen Brüste hängend,

Wand sich der Frauen Schar in schwarzer Himmel Pein,

Schlachtopfern gleich, gequält, zuhauf sich angstvoll drängend,

Und wild umheulte ihn ihr langgezognes Schrein.

 

Voll Spott rief Sganarelle nach dem verheißnen Lohne,

Don Luis wies im Kreis der Toten längs dem Strand

Mit greiser Zitterhand nach dem verruchten Sohne,

Der sein ergrautes Haar zu höhnen sich verwand.

 

Keusch bebt' in tiefem Gram die magere Elvire