
Karl Emil Franzos: Melpomene. Eine Novelle aus dem jüdischen Prag
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Maurycy Gottlieb, Porträt einer jungen jüdischen Frau, 1879
ISBN 978-3-7437-0143-4
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-86199-810-5 (Broschiert)
ISBN 978-3-86199-811-2 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck in »Tragische Novellen«, Stuttgart, A. Bonz, 1886.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
In einer jener engen, düsteren Gassen der Prager Altstadt, welche südlich der merkwürdigen Altneuschul' liegen, wohnte vor langen Jahren ein armes jüdisches Ehepaar, Herzheimer mit Namen, dessen einziger Schatz eine Tochter von großer, ja bewundernswerter Schönheit war. Aus einem hageren, fast häßlichen Kinde mit eckig harten Zügen hatte sich die braune Lea während ihres sechzehnten Frühlings und Sommers jählings, zu ihrem eigenen süßen Schreck, in eine herrlich erblühte Jungfrau gewandelt, wie durch einen gütigen Zauber gewannen die schlanken Glieder entzückende, weil maßvolle Fülle, und dieselben harten Züge, die vordem fast abstoßend gewesen, rundeten sich nun zu einem Antlitz vor strenger, bezwingender Schönheit. Wie in dieser raschen Reife erwies sich das Mädchen auch sonst, selbst dem flüchtigen Blick erkennbar, als echte Tochter ihres Stammes; selten mag der Typus des Orients zu gleich edler Verkörperung gediehen sein wie in diesen scharfen, königlich stolzen Zügen, um welche prächtiges tiefschwarzes Haar wallte, so reich, daß es kaum zu bändigen war und dann gleich einer Krone auf dem edlen Oval des Hauptes lag. Seltsam grüßten in dem braunen, glutenreichen Antlitz große, blaue, kalt und keusch blickende Augen, aber wie dieser Gegensatz nur den Reiz des Mädchens hob, so auch die tiefe glockentönige Stimme.
Lea Herzheimer war ein herrliches Geschöpf, aber eine Gabe, welche man die Seele der Schönheit nennen könnte, war ihr versagt geblieben: die Anmut. Jede rasche Bewegung ihres begnadeten Leibes ließ dieselbe vermissen, und wer die Jungfrau tanzen sah, dem tauchte unwillkürlich, wie durch einen Schleier, das Bild des eckigen reizlosen Kindes auf. Doch geschah dies nicht oft: Sie tanzte ungern; ihr Gang war langsam, die Geste gemessen. Nicht im Bewußtsein jenes Mangels hatte sie dieses schwere, fast feierliche Benehmen angenommen, denn durch maßlose Bewunderung verwöhnt, hielt sie ihren Leib für den schönsten und anmutreichsten, der je auf Erden geblüht, sondern weil es um ihre Seele ähnlich stand wie um den Körper.
Auch diese Seele war schön, aber von keinem Hauch natürlicher Grazie bewegt und belebt. Lea war nicht bloß klug und energisch, sondern auch gut und rein, ihren wenigen Gespielinnen die teilnehmendste Freundin, ihren Eltern die trefflichste Tochter. Aber ihr fehlte die muntere Natürlichkeit ihrer Jahre und jene Gabe, welche das Glück der Jugend begründet und sie mit Heiterkeit überflutet: die Fähigkeit, dem Augenblick zu leben. Wie der Tanz ihrer leiblichen Schönheit Abbruch tat, so konnte sich in einem rasch oder heiter geführten Gespräch ihre geistige Begabung am wenigsten bewähren; sie folgte ihm ungeschickt, fast stolpernd und fühlte sich erst dann wohl, wenn es langsam und ernsthaft auf geraden Wegen einherging. Für Humor hatte sie keinerlei Empfindung; einen Witz zu begreifen kostete ihr schwere Mühe, ihn nachzusprechen widerstrebte ihr wie eine Sünde. Ein alter jüdischer Privatlehrer, Herr Landau, der ihre Ausbildung in literarischen und ästhetischen Dingen, soweit ihm Kraft und Geschmack reichten, förderte, hatte ihr den Spitznamen »Melpomene« aufgebracht, und obwohl dem witzigen Manne nicht alles glückte, so hatte er doch hier das Richtige getroffen: Wer Antlitz und Gebärde des schönen Mädchens sah, konnte leicht an die tragische Muse denken, und der pathetische Grundzug der jungen Seele offenbarte sich stets und immer wieder auf das deutlichste.
Derlei Naturen finden sich bekanntlich oft unter den Sprößlingen dieses Stammes, was ja auch aus seiner Art und Geschichte nur zu leicht erklärlich ist; hier traten noch besondere Schicksale hinzu, den angeborenen Zug zu verschärfen.
Lea war armer und, was hundertfach schlimmer, arm gewordener Leute Kind, die nun einzig von der kärglichen Unterstützung wohlhabender Verwandten ihr Dasein fristeten. Das aber ist die bitterste Art der Armut, weil sie die schmachvollste und betrübteste ist, durch Reue, Neid und Demütigung verschärft, von keinem frohen Bewußtsein der Arbeit, von keiner Hoffnung auf bessere Tage erhellt. Wolf Herzheimer, der Vater, war nicht so sehr deshalb ein beklagenswerter Mann, weil er in der Ungunst einer stürmischen Zeit das ererbte Vermögen und die Mitgift der Gattin verloren, sondern weil er sich nun zu keiner neuen Tätigkeit mehr aufraffte. Er unterließ dies nicht aus Entmutigung und weil ihn etwa das erlittene Unglück für immer gebrochen, als vielmehr aus falscher Scham: es schien ihm unmöglich, nun der Bedienstete oder Vermittler derselben Kaufleute zu werden, auf die er einst im Gefühl seines Reichtums herabgeblickt; auch für seine Verwandten, die ihm eine Stellung in ihren Warenläden anboten, hatte er nur die Erwiderung, daß er nicht zum Knecht tauge; wenn es ihnen mit ihrem Mitgefühl ernst sei, so mögen sie ihm die Mittel zu einem neuen Geschäft gewähren. Dies aber konnten oder mochten seine Vettern nicht, vielleicht aus Zorn über sein Benehmen oder weil sie nicht grundlos seiner Tüchtigkeit mißtrauten, und da sie andrerseits doch, von dem Familiensinn ihres Stammes erfüllt, den verarmten Mann samt Weib und Kind nicht ganz dem Elend überlassen mochten, so gewährten sie die notwendigste Unterstützung, wenn auch immer wieder zögernd und unter Vorwürfen.
Das einzige Licht in dem Jammer dieser Lage war das Verhalten seiner Gattin. Frau Taube Herzheimer hatte alles aufgeboten, die Verwandten, dann ihren Mann zu einer Änderung ihrer Entschlüsse zu bewegen; nachdem dies vergeblich gewesen, fand sie sich still in ihr Los, und weder während jenes vergeblichen Ringens, noch nun, da sie keine Hoffnung mehr hegte, trat jemals ein Wort der Klage oder des Vorwurfs über die bleichen Lippen, welche so oft in schlaflosen Nächten Gebete zum himmlischen Helfer geflüstert oder sich in harten Tagen krampfhaft zusammengepreßt, zu verbergen, was das wunde Herz empfand. Tapfer und geduldig mühte sie sich, aus eigener Kraft einiges Geld ins Haus zu bringen, indem sie hinter dem Rücken des Mannes für ein Wäschegeschäft nähte, dann seinem Bettelstolz das Zugeständnis abrang, eine größere Wohnung nehmen und möblierte Stuben an junge Leute vermieten zu dürfen. Ihr zuliebe ließen sich auch die Vettern zuweilen zu größeren Opfern bereit finden, gleichwohl mehrte sich mit den Jahren die Last dieser stillen Dulderin bis zum Unerträglichen. Das Mitgefühl mit dem Schicksal ihrer Kinder wühlte bitterer in ihrem Herzen, als es je das eigene Leid vermochte. Vier Kinder hatte sie ihrem Gatten geboren, sämtlich Töchter; die drei ältesten in den ersten sorgenlosen Zeiten ihrer Ehe; die jüngste zehn Jahre später, lange nachdem das Glück des Hauses für immer zerbrochen. Die Mädchen waren brav, aber arm und durchaus nicht schön; die Mutter sah ihr Schicksal voraus, und es schien sich in seiner ganzen Härte erfüllen zu wollen.
Nur die älteste, Rebekka, hatte einen Freier gefunden, einen Branntweinhändler niedriger Herkunft, der sich über den Mangel an Mitgift mit der Aussicht auf Aufnahme in den angesehenen und einflußreichen Familienverband tröstete. Nun hatten sich aber die reichen Vettern Herzheimers damit begnügt, die Hochzeit mit ihrer Anwesenheit zu beehren; in der Folge wollten sie mit dem neuen Verwandten nichts gemein haben, am wenigsten in Geschäften. Der rohe Mann vergalt dies seinem armen Weibe durch Schimpf und Hohn; mit dem Schicksal Rebekkas verglichen, welche in größter Dürftigkeit, von der Sorge um ihre Kinder, von der Furcht vor ihrem Gatten erdrückt, ihre Tage dahinschleppte, war noch jenes ihrer Schwestern leicht zu tragen, obwohl sie nur eben im freudlosen Hause ihrer Eltern einsam zu alten Jungfern verblühten.
Und so war das tiefe Weh nur allzu berechtigt, mit dem zuweilen Frau Taube ihren Liebling, das jüngste Töchterchen betrachtete – es glich als Kind den Schwestern und schien ihr Los teilen zu müssen.
In der Stickluft solcher bitteren und verbitternden Armut gedeihen nicht Heiterkeit noch süßes Träumen, und Lea mußte frühzeitig um so schwermütiger werden, als sie die verständigste unter den Schwestern war und keinen Augenblick vergaß, daß auf Erden keine Wunder mehr geschehen. Aber weil sich auch das starke Herz der Mutter auf sie vererbt hatte, so stimmte sie nie in jene neidischen Reden ein, mit denen sich die beiden älteren Schwestern an den Winterabenden bei der Stickarbeit die Zeit verkürzten, noch minder in ihre Klagen. Nur zuweilen blickte sie dann von ihrem Buche auf und schüttelte leise den Kopf, als begreife sie nicht, wie man Unabänderliches beklagen könne; dann vertiefte sie sich wieder in ihre Grammatik oder Geographie, denn sie hatte es durchgesetzt, diese Abende für ihre Ausbildung zu nützen, aber keineswegs aus besonderem Drang nach dem Wissen, sondern weil sie ein nüchternes, naheliegendes Ziel anstrebte: Sie wollte Lehrerin an einer Volksschule werden.
Selten mag ein fünfzehnjähriges Mädchen so wenig Hoffnungen gehegt, sein eigenes Leben so klar vorbestimmt haben wie dieses arme unschöne Kind des Ghetto. Als nun aber in ihrem sechzehnten Jahre jenes Ereignis eintrat, das schier einem Wunder gleichkam, als sie binnen wenigen Monaten zum schönsten Mädchen wurde, da hätte sie kein Weib sein müssen, um nicht durch diese Wandlung in einen süßen Taumel, in einen Strudel dunkler heißer Empfindungen hineingerissen zu werden. Mit einem seltsamen Gefühl, in welchem sich Bangen und Entzücken mischten, empfand sie das Erblühen des eigenen Leibes, und wenn sie auch des Tages auf der Straße oft unter dem Blicke der Begegnenden eine heiße Blutwelle bis an die Stirn emporwallen fühlte, so dockte doch die tiefste Glut, der Purpur heißester Scham erst dann ihre Wangen, wenn sie des späten Abends allein vor dem Spiegel stand, ihr Haar zu lösen. Doch währte dieser Zustand nicht lange; die Sinne, die in ihrem ersten Erwachen mit dunklen Stimmen geflüstert, verstummten wieder, und der Verstand führte seine Sprache; Lea war bald wieder klar und ernst wie früher. Das Bild ihrer Zukunft hatte sich geändert, das war alles; denn sie faßte auch dies neue Bild so scharfen, von keiner Schwärmerei bestochenen Blickes ins Auge wie einst das Los einer Lehrerin: Sie mußte nun eines reichen Mannes Weib werden, des reichsten oder doch jenes, welcher ihre Eltern, ihre Schwestern und sie selbst am besten zu versorgen gewillt war. Aber keine Spur von Bitterkeit bemächtigte sich bei diesem Gedanken ihrer Seele: Es konnte ja gar nicht anders sein, es war in ihren Kreisen und so weit ihr Blick reichte so sehr das Hergebrachte, daß es ihr das Natürliche schien. Wohl hatte sie vernommen, daß bei den Christen die Ehe zuweilen aus Neigung, ja selbst gegen den Willen der Eltern geschlossen werde, auch wußte sie, daß sich einzelne solcher Fälle selbst in gebildeten jüdischen Kreisen zugetragen, aber sie hatte von ihnen nie anders als im Tone heftiger Mißbilligung erzählen hören und verstand die Gründe dieses Tadels; die Gegengründe faßte sie nicht. Die Christen waren ja in allen Stücken verschiedene Menschen, darum auch in der Eheschließung, aber wie konnte ein jüdisch Kind ihnen nachäffen und es anders wollen als die übrigen?! Ihre eigenen Eltern hatten bei der Verlobung einander zum ersten Male gesehen; standen sie nicht deshalb doch ihr Leben lang treu zusammen? Der »Liebe« also bedurfte es nicht, wohl aber der notwendigen Rücksicht auf Stand, Charakter und Vermögen, und das konnten doch die Eltern besser beurteilen als die Kinder.
Wie es Lea selbstverständlich gefunden, daß die Vermittler für die häßlichen Schwestern nur Freier aufgetrieben, die eine bedeutende Mitgift gefordert, so fand sie es in der Ordnung, daß der Vater sie nur einem reichen und opferwilligen Manne dahingeben wollte. Reichtum war Glück, Armut Unglück, sie wußte es nicht anders und nahm es mit demütigem Danke gegen die Vorsehung auf, daß mit ihrer Schönheit die Hoffnung auf das Glück für sich und die Ihrigen wiedergekehrt. Wenn ihr der Spiegel oder die Mienen der Menschen täglich und stündlich das Bewußtsein ihrer Schönheit erneuerten, so überkam sie hiebei ein Gefühl, welches mit übermütigem Stolze oder weiblicher Eitelkeit nichts gemein hatte: Es war eine Art ruhigen Genügens am Besitz ihrer Reize und glich vielleicht am meisten jener Genugtuung, welche sie vor Jahren, da sie noch jenes andere dürftige Lebensziel verfolgte, jedesmal empfunden hatte, wenn sie sich wieder ein Stück Wissen fest eingeprägt. In der Tat bedeutete ihr ja ihre Schönheit nichts Höheres als damals das bißchen Grammatik, sondern nur eben dasselbe: die Waffe, mit der sie sich und den Ihrigen den Anteil an der Glückstafel der Welt erstreiten wollte, und die Genugtuung war vielleicht nur deshalb eine größere, weil nun die Waffe so viel mächtiger war.
Zu dieser Auffassung stimmte denn auch die Art, wie sie die Huldigungen aufnahm, deren Ziel und Opfer sie auf Schritt und Tritt war. Nur in den ersten Monaten war sie über die stumme Bewunderung der einen entzückt, die freche Annäherung anderer empört gewesen, später nahm sie beides so ruhig hin wie Sonnenschein oder Regen: Man schützt sich dagegen, so gut es gehen will, und nimmt es nicht tragisch, wenn doch einige Tropfen aufs Kleid fallen, einige Strahlen ins Gesicht. Geringere Freude mag selten eine Schönheit über die Macht empfunden haben, welche sie auf die Sinne der Männer übte. »Was geht das mich an?« pflegte sie zu erwidern, wenn man sie fragte, wie ihr hiebei zumute werde; viele fanden dies herausfordernd oder geziert, aber schon der Ton, in welchem diese Antwort stets gelassen, ja schwermütig über ihre Lippen glitt, bewies, wie ernst sie es meine.
In der Tat, was ging das sie an? Daß sie schön war, wußte sie ohnehin; die Schönste in Prag, ja vielleicht, wie Frau Taube und sie selbst glaubte, die Schönste auf Erden, und mehr als eine Bestätigung hierfür konnte ihr die Bewunderung nicht bieten. Man erzählte ihr oft, daß sich der und jener in sie verliebt oder »fast vor Liebe nach ihr vergehe«, aber das klang ihr so unverständlich ins Ohr, als wäre »Liebe« kein deutsches Wort. Und wenn dies wirklich eine Krankheit war, von welcher Christen und moderne Juden befallen wurden, und wenn jemand tatsächlich um ihretwillen an dieser Krankheit dahinsiechte, war es ihre Schuld, hatte sie ihre Schönheit sich selbst gegeben, und konnte sie ihm helfen? Warum schickte er nicht, wenn es ihm wirklich ernst war, einen Vermittler zu ihrem Vater? Dann konnte man ja seine Würdigkeit prüfen! Nein, diese fremden Männer, welche ihr auf der Straße ins Gesicht starrten oder bis zum Haustor folgten oder Briefe ins Haus schickten, welche die Mutter las und zerriß, kümmerten sie nicht; jener, der ihr künftiges Schicksal bedeutete, dem sie ein treues Weib sein wollte, wie es die Mutter dem Vater gewesen, war sicher nicht darunter; dieser eine mußte ein ehrbarer, verständiger Mann sein, und der kannte dann den richtigen Weg, der zu ihr führte.
Darum war es ihr bedeutungsvoller als die Huldigung von Hunderten, wenn sich wieder einmal, der alte, kleine, krummbeinige Herr Jolles, der vornehmste Heiratsvermittler der Stadt, im Hause blicken ließ oder wenn Herr Landau nach beendeter Lehrstunde noch eine geheime Konferenz mit dem Vater abhielt. Denn dieser wichtige Mann, dessen Unterricht sie ausnahmsweise mit Rücksicht auf ihre glänzende Zukunft genoß, widmete sich nicht bloß der Aufgabe, die reicheren jüdischen Mädchen Prags in allen ästhetischen Gegenständen zu unterrichten, sondern auch der höheren, ihnen später passende »Partien« zu schaffen. Aber auch diese Besprechungen regten sie nur anfangs auf, später ertrug sie es sogar ohne Herzklopfen, wenn sie wieder einmal des Abends in ihrem besten Kleide mit den Eltern zu Hirsch Herzheimer, ihrem Großonkel, dem Krösus der Familie, gehen mußte. Sie wußte, was dies bedeute: Ein Freier hatte sich zur »Beschau« angemeldet, und Hirsch veranstaltete zu diesem Zwecke eine Abendunterhaltung, weil die Wohnung Wolfs zu ärmlich zum Empfange war. Ältere und jüngere, häßliche und hübsche Männer waren ihr bei solchen Gelegenheiten vorgestellt worden und hatten sich mit ihr, mehr oder minder verlegen, eine halbe Stunde lang über die gleichgültigsten Dinge unterhalten; über geschäftliche Verhältnisse, die sie nicht kannte, das Theater, das sie alljährlich einmal besuchte, oder die schöne Lage von Prag, die sie nicht zu schätzen wußte, weil sie nie eine andere Stadt betreten. Verschieden war natürlich der Eindruck gewesen, den diese Freier auf sie gemacht, aber keiner hatte ihr so sehr gefallen, daß sie ein Gelingen der Werbung lebhaft gewünscht hätte, und keiner so sehr mißfallen, daß sie unglücklich gewesen wäre, wenn ihn der Vater ihr am nächsten Tage als Bräutigam vorgestellt hätte.