Erich Mühsam: Die Lyrik

 

 

Erich Mühsam

Die Lyrik

152 Gedichte

 

 

 

Erich Mühsam: Die Lyrik. 152 Gedichte

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Unbekannter Fotograf, Erich Mühsam, 1928

 

ISBN 978-3-8430-9213-5

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9177-0 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9178-7 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Bd. 2: Publizistik. Unpolitische Erinnerungen, Berlin: Volk und Welt, 1978.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Gebrauchsanweisung für Literarhistoriker

Glaubt ihr mich wert, für künftige Studenten

im Namensalmanach »Wer war's?« vermerkt zu stehn –

ich lächle schon – doch mag's geschehn:

die Manen zehren gern von Ruhmesrenten.

Laßt die Magister literarischer Seminare

der Verse Rhythmen metrisch spalten,

Symbol-Metaphern unters Prisma halten

und Rühmens machen von der Dichterware,

die Zeugnis gibt poetischen Charakters,

wie sie teils griechisch-schlicht, teils in getragner Gotik

serviert wird – wenn auch leider die Erotik

oft recht obszön scheint, daß so leicht nichts Nackters

sich findet in der deutschen Lit'ratur;

dies ist betrüblich – andrerseits

lockt doch auch dieser Muse Formenreiz

und führt bisweilen gar auf ernster Liebe Spur.

Da sieht man, wie aus Herzverdruß

sich des Poeten echte Seufzer ringen,

beziehungsweise, wie Humore schwingen

(zwar häufig bittre) aus der Liebe Ungenuß. – –

So mag, was mein intimes Sein bewegte,

bei Hörern und bei Hörerinnen,

mein Lieb- und Leiden Sympathie gewinnen,

wie auch, daß mir der grelle Mondschein Furcht erregte ...

Nun aber räuspern sich die Professoren:

De mortuis nihil nisi bene!

Doch – tief bedauerlich – es geben jene[7]

ein Quantum wieder meines Ruhms verloren:

Der Dichter, von des Tages Eitelkeit verblendet,

hat manchmal sein beachtliches Talent

– kopfschüttelnd rügt es der Privatdozent –

auch an der Gosse Mobinstinkt verschwendet

und hat in solchen trüben Sphären

mit übeln Kampfgesängen Triebe aufgerührt,

die, hätte sie die Hetze nicht verführt,

dem Bürger nie zur Pein geworden wären ...

Statt poesievoll alle Menschen zu versöhnen,

schürt er – dies hüllt sein Licht in Schatten –

den Haß des Hungerpöbels auf die Satten,

die Kunst entweihend mit politischen Tönen.

So traf – der Wahrheit sei die Ehre! –

ihn, den wir gern als Zierde des Parnasses nennten

– und ein umflorter Blick streift die Studenten –,

die Strafe der Justiz mit wohlverdienter Schwere.

In den Annalen der politischen historia

wird drum, als Schädling unsres Staats,

der Name aufbewahrt – der eines Herostrats;

ein Warnungsmal: sic transit mundi gloria!

Hingegen wir, wir unpolitischen Ästheten,

wir kennen und verdammen freilich seine Schmach –

doch unser Musenalmanach

vermerke immerhin den lyrischen Poeten ...

 

Soll das der Nachruhm sein, der mir beschieden? –

Es sei: Mein Name gilb in Listen

form- und gemütbegeisterter Seminaristen,

mit einem Schandkreuz angemerkt. – Ich bin's zufrieden.

Sonst sei er ausgelöscht im Weltgedächtnis.

Auch sei, was ich von Mond und Mädchen je gedichtet,

für Dissertationen im Archiv geschichtet:

das Tote ist dem Leben kein Vermächtnis! ...

Doch, blieb aus meinem Freiheitsruf ein Reim,

ein einziger, lebendig bei Rebellen –[8]

gelang ein Wort mir, Dumpfheit zu erhellen,

so kehr mein Name gern zum Lethe heim.

Denn: färbt ein weißes Blütenblatt sich rot

vom Blute meiner Leidenschaft –

ein einziges auf dem Feld, wo junge Kraft

den Sieg erkämpfen soll –, so ist mein Werk nicht tot!

Es lebt im Hauche, den es stärkend trug

zum Kampf der Jugend. – – Name nicht, noch Wort –

der Geist, der wirkende lebt fort!

Darf meiner Freiheit wirken, ist's mir Ruhm genug.[9]

 

Dichter und Vagabund

Ich bin ein Pilger ...

Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;

der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;

vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.

 

Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;

der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt;

der das Erwachen flieht, auf das er harrt.

 

Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;

der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;

der einst in fahle Ewigkeiten fällt.

 

Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;

das tauentströmt in Wolken sich ergießt;

das küßt und fortschwemmt – weint und froh genießt.

 

Wo ist, der meines Wesens Namen nennt?

Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?

Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.

 

Heimat

Die hohen Türme haben mich gegrüßt,

die über meinen Kinderträumen ragten,

und ihre unbewegten Mienen fragten,

wie ich des Lebens wachen Ernst verbüßt.[10]

 

Des Waldes Blätter haben mir gerauscht,

wo meine Schmerzen erste Reime fanden.

Ich habe ihre Frage wohl verstanden:

ob ich beglücktes Dichten eingetauscht.

 

Doch, als ich kam zu meines Meeres Flut,

da stürmten alle Wellen, mich zu grüßen,

und drängten zärtlich sich zu meinen Füßen

und fragten nichts. – Da war mir frei und gut.[11]

 

Das Trinklied

Stimmt eure Seelen zu festlichen Klängen,

füllt eure Herzen mit jauchzendem Wein! –

Denn die Jahre der Jugend drängen,

und das Alter bricht polternd herein. –

Noch strahlen uns Sonnen, noch blinken uns Gläser –

noch lachen uns Lippen und Brüste heiß –

noch blühen die Blumen, noch grünen die Gräser –

aber eilt euch: was rot ist wird weiß!

 

Rasch ziehen vorüber die glücklichen Stunden. –

Hält uns nicht die Jugend – wir halten sie nicht!

Wehrt euch der Würde! – Der ist überwunden,

den fromme Sitten plagen und Pflicht!

Nieder mit dem, den Sorgen bedrücken –

denn der weiß nicht, was Leben heißt:

Lebend genießen, lebend beglücken –

aufs Leben trinken, bis es zerreißt!

 

Trinken! Trinken! Auf Leben und Sterben!

Leben! Leben! Auf Blut und Kuß!

Leert den Pokal, dann keilt ihn in Scherben!

Lebt euer Leben – und dann ein Schuß!

Trinken ist Leben, und Leben ist Trinken!

Nieder der Schwächling, der trunken fällt![11]

Wein her! – Wir wollen im Leben versinken!

Das Leben her! – Es lebe die Welt![12]

 

Lumpenlied

Kein Schlips am Hals, kein Geld im Sack.

Wir sind ein schäbiges Lumpenpack,

auf das der Bürger speit.

Der Bürger blank von Stiebellack,

mit Ordenszacken auf dem Frack,

der Bürger mit dem Chapeau claque,

fromm und voll Redlichkeit.

 

Der Bürger speit und hat auch recht.

Er hat Geschmeide gold und echt. –

Wir haben Schnaps im Bauch.

Wer Schnaps im Bauch hat, ist bezecht,

und wer bezecht ist, der erfrecht

zu Dingen sich, die jener schlecht

und niedrig findet auch.

 

Der Bürger kann gesittet sein,

er lernte Bibel und Latein. –

Wir lernen nur den Neid.

Wer Porter trinkt und Schampus-Wein,

lustwandelt fein im Sonnenschein,

der bürstet sich, wenn unserein

ihn anrührt mit dem Kleid.

 

Wo hat der Bürger alles her:

den Geldsack und das Schießgewehr?

Er stiehlt es grad wie wir.

Bloß macht man uns das Stehlen schwer.

Doch er kriegt mehr als sein Begehr.

Er schröpft dazu die Taschen leer

von allem Arbeitstier.[12]

 

Oh, war ich doch ein reicher Mann,

der ohne Mühe stehlen kann,

gepriesen und geehrt.

Traf ich euch auf der Straße dann,

ihr Strohkumpane, Fritz, Johann,

ihr Lumpenvolk, ich spie euch an. –

Das seid ihr Hunde wert![13]

 

Im Bruch

Fest zugeschnürt der Hosengurt.

Der Darm ist leer, der Magen knurrt.

Auf morschem Rock glänzt Fleck bei Fleck.

Darunter starrt das Hemd von Dreck.

Aus Pfützen schlürft das Sohlenloch.

Wer pumt mir noch? Wer pumpt mir noch?

Wer pumpt mir einen Taler noch?

 

Kein Geld, kein Schnaps, kein Fraß, kein Weib.

In mürben Knochen kracht der Leib.

Die Nacht ist kalt. Es kratzt das Stroh.

Die Laus marschiert, es hupft der Floh.

Die Welt ist groß, der Himmel hoch.

Wer pumpt mir noch? Wer pumpt mir noch?

Wer pumpt mir einen Taler noch?

 

Noch einen einzigen Taler nur:

für einen Schnaps! Für eine Hur!

Für eine Hur, für eine Braut!

Das Leben ist versaut! versaut!

Nur einen Taler! Helft mir doch!

Wer pumpt mir noch? Wer pumpt mir noch?

Wer pumpt mir einen Taler noch?

 

Aufforderung zum Tanz

Hopla, hopla, hop – juhö!

Um die Wette mit die Flöh!

Um die Wette mit die Wanzen!

Hopla, Schickse, laß uns tanzen!

 

Hopla, hopla, hop – juhei!

Flöh und Wanzen in die Reih!

Und die Beine in die Luft!

Hopla, Schickse, das ist duft!

 

Hopla, hopla, hop – juhu!

Hopla, komm doch, Rindvieh du!

Kunde, Schickse, Floh und Wanz!

Hopla, hop – das ist ein Tanz!

 

Immer noch die dürftigen Nöte

Immer noch die dürftigen Nöte!

War mir doch das Geld vergönnt,

daß ich eine neue Flöte

meinen Liedern kaufen könnt!

Eine Flöte, drauf ich bliese

kummerfreie Melodein.

Die mich heut begleitet, diese

Knarre sargt ich sorglich ein.

Schön von Holz, doch nicht von Pappe

sei mein Instrument gebaut,

und aus edler Silberklappe

ströme meines Atems Laut.

Sammelt für den Dichter,

sammelt, daß aus Gelde Freude sprießt!

Haltet nicht das Tor verrammelt,

das des Dichters Lied verschließt![14]

Hätt ich erst die neue Flöte,

Denkmal eures Opfersinns –

der Gesang, den ich euch böte,

wäre mehr als Dank und Zins.

Und ihr alle ohne Zweifel

sängt nach meinem Notenblatt,

von der Weichsel bis zur Eifel,

von der Alp zum Kattegatt.[15]

 

Versnot

Der gute Saft ist im Gehirn erfroren,

der sich in Verse zu ergießen pflegt.

So Blei wie Feder stecken unbewegt,

von Haaren überflutet, an den Ohren.

Heiz mir die Seele, liebe Sonne du!

Blaublümlein, weh mir Düfte in die Nase!

Umsäusle mich, o Zephirwind, und blase

mir Jamben oder Anapaeste zu!

Warum, ihr Tränendrüsen, wahrt in steifer

Verstocktheit ihr das Naß in den Gehäusen?

Die Wimper klappt. Nun öffnet eure Schleusen,

und spritzt mir salzige Fluten an den Kneifer!

Sehnsucht und Liebe, himmlische Geschwister,

packt mich beim Schopf! Ergreift mich, Todesschauer! ...

Doch weh, das süße Ahnen all ward sauer,

geschlossen bleibt das Leidenschaftsregister.

Oh, teure Muse, stimme mich ekstatisch:

Enthülle deine Reize mir verführerisch,

und laß mich dichten – episch oder lyrerisch,

und, wenn's nicht anders sein kann, auch dramatisch!

Du hast mir, Muse, manches Kind geboren:

Dein Leib schwoll oft von meiner Dichterkraft,

der es vermocht, der warme Herzenssaft,

der gute Saft ist im Gehirn erfroren.

 

Heimweg

Mein Heimweg ist nicht lang.

Er läßt mir grade Zeit

zu einem Lobgesang

auf meine Tüchtigkeit.

Ich saß beim Alkohol

und schwatzte angenehm

von Kunst und Menschenwohl:

ich weiß nicht mehr zu wem.

Jetzt aber geh ich heim

und lobe meinen Fleiß,

der stets mit einem Reim

sich zu bestätigen weiß.

 

Wenn Gott mich so verstände

Wenn Gott mich so verstände,

wie ich sein Werk versteh,

er gab in meine Hände

den Segen für das Weh.

 

Ich seh auf Feld und Weide

das Glück der Welt gedeihn.

Für mich wächst kein Getreide,

am Rebenstock kein Wein.

 

Ich möcht die Menschen lehren,

wie man das Leben lebt;

kann selbst mich nicht erwehren

des Leids, das an mir klebt.[16]

 

Ich bete zu den Frauen:

seid schön, seid stark, seid frei!

An meiner Liebe schauen

die Herrlichsten vorbei.

 

Wär mir der Blick verschlossen

und kennt die Schönheit nicht –

ich stände hell umflossen

von Sonne und von Licht.

 

Gott ist gerecht und weise.

Stimmt an: Halleluja!

Zu Gottes Ehr und Preise

bin ich, der Dichter, da.[17]

 

Weiter, weiter – unermüdlich

Weiter, weiter – unermüdlich!

Westlich, östlich; nördlich, südlich.

Suche, Seele, suche!

Suche nur, kannst doch nichts finden!

Sonnen strahlen, Sonnen schwinden.

Fluche, Seele, fluche!

 

Nördlich, südlich; westlich, östlich.

Such das Glück. Das Glück ist köstlich.

Suche, Seele, suche!

Suche, daß die Sterne stieben!

Wird dich doch die Welt nicht lieben.

Fluche, Seele, fluche!

 

Südlich, nördlich; östlich, westlich,

Himmel, Erde, schmuck und festlich.

Suche, Seele, suche![17]

Schönheit, Freuden, Räusche, Frieden

sind dir, Seele, nicht beschieden.

Fluche, Seele, fluche!

 

Mit dem Fahrschein bahnbehördlich

westlich, östlich; südlich, nördlich.

Suche, Seele, suche!

Siehst dein Glück vorübertreiben

hinter Schnellzugsfensterscheiben.

Fluche, Seele, fluche![18]

 

Weltschmerz und Liebe

Das Nichts

Ich sah durch ein hohes, großes Loch.

Ist nichts darin? – Doch! scholl es. – Doch!

Und ich suchte und suchte und grub nach dem Nichts.

Da quoll aus dem Loch eine Garbe Lichts. –

Ich habe das Nichts gefunden –

und mir um die Stirn gewunden.

 

Das sind die Nächte, die mir Furcht erregen

Das sind die Nächte, die mir Furcht erregen,

wo sich der Mond an meine Seite schmiegt

und kranke Schatten führt an meinen Wegen,

entschleiernd, was am Grund des Grauens liegt.

 

Oh, hassenswert sind diese hellen Nächte.

Ich will im Dunkeln meine Straße gehn.

Ich dulde nicht, daß unbekannte Mächte

mit scheelem Blick in meine Seele sehn.

 

Verhaßter Mond, der feil und unverschwiegen

mir in mein innerstes Geheimnis bricht!

Ich wollt, ich dürft erst tot im Grabe liegen,

gefeit vor Furcht und unerbetnem Licht.

 

Meine Seele ist so fremd

Meine Seele ist so fremd

allem, was als Welt sich preist,

allem, was das Leben heißt.

Meine Seele ist so rein –

keine Scham ist ihr zu eigen. –

Nackend steht sie, ohne Hemd

abseits eurem Lebensreigen. –

Darum nennt ihr sie gemein.

Meine Seele weiß es kaum,

daß ihr schmähend sie verflucht; –

sie tut keiner andern wehe; –

ihren fernen, fremden Traum

stört nicht einmal eure Nähe! – –

Meine Seele sucht. – Sie sucht.

 

Dämmerung

Traurig ist's und jämmerlicht,

wenn der Mensch im Dämmerlicht

früh den Weg nach Hause sucht

und dabei die Welt verflucht.

 

Aus dem grauen Pflasterstein

grinst Verzweiflung, Laster, Pein,

und vom schwanken Lampenpfahl

flackert Aberwitz und Qual.

 

In des Menschen bangem Leid

stöbert die Vergangenheit –

und er steigt voll Scham und Schmach

einer späten Hure nach.

 

Die Ratte

Eine dicke dunkelbraune Ratte

nagt des Nachts an meinem Rückenmark,

und an meine Glieder hängt sich eine matte

dumpfe Schwere.

Wüßt ich nur, wie ich der Ratte wehre!

Wären meine schlaffen Sehnen stark!

Doch umsonst: all meine beste Habe,

alles, was ich war und was ich hatte,

nagt sie, knabbert sie in sich hinein. –

Trägt man mich dereinst zu Grabe,

senkt mich kraftlos, saftlos in das Erdreich ein,

folgt, ich wett, als erste dem Gebein

trauervoll und dankbar eine satte

dicke dunkelbraune Ratte.

 

Wollte nicht der Frühling kommen?

Wollte nicht der Frühling kommen?

War nicht schon die weiße Decke

von dem Rasenplatz genommen

gegenüber an der Ecke?

Nebenan die schwarze Linde

ließ sogar schon (sollt ich denken)

von besonntem Märzenwinde

kleine, grüne Knospen schwenken.

In die Herzen kam ein Hoffen,

in die Augen kam ein Flüstern –

und man ließ den Mantel offen,

und man blähte weit die Nüstern ...

 

Ja, es waren schöne Tage.

Doch sie haben uns betrogen.

Frost und Sturm und Schnupfenplage

sind schon wieder eingezogen.[21]

Zugeknöpft bis an den Kiefer

flieht der Mensch die Gottesfluren,

wo ein gelblichweißer, tiefer

Schnee versteckt die Frühlingsspuren.

Sturmwind pfeift um nackte Zweige,

und der Rasenplatz ist schlammig.

In mein Los ergeben neige

ich das Auge. Gottverdammich![22]

 

Mein Gemüt brennt heiß wie Kohle

Mein Gemüt brennt heiß wie Kohle.

Könnt ich's doch durch Verse kühlen!

Ach, ich berst fast von Gefühlen,

doch mir fehlen die Symbole.

 

Weltschmerz, banne meine Nöte!

Weltschmerz, den so oft ich reimte.

Tückisch greint die abgefeimte,

schleimig-weinerliche Kröte.

 

Laster, die mich erdwärts leiten,

gebt mir Verse, zeigt mir Bilder!

Satan lacht und läßt nur wilder

Höllen mir vorüberreiten.

 

Helft denn ihr, soziale Tücken!

Mußt durch euch ich viel verzichten – –

seid auch Spender! Laßt mich dichten!

Doch sie stechen nur wie Mücken.

 

In des Monds verfluchtem Scheine

such ich und im Alkohole; – –

alles quält mich; doch Symbole,

ach, Symbole find ich keine.[22]

 

Aus. Vorbei. – – Ich war ein Dichter. – –

All mein Sehnen, all mein Hassen

ist vom Genius verlassen. – –

Leben, zeig mir neue Lichter! ...

 

Mag mich denn die Liebe trösten,

Mutter meiner besten Schmerzen.

Strahlend stehn in tausend Kerzen

die Symbole, die erlösten.[23]

 

Ich möchte wieder vom Glücke gesunden

Ich möchte wieder vom Glücke gesunden.

Die Seele sehnt sich nach harten Streichen.

Die Seele sehnt sich nach frischen Wunden,

nach Kämpfen und Bängnissen ohnegleichen.

 

Stürzt von den Bergen, Lawinen des Leides!

Schlagt aus den Gründen, Quellen der Klagen! – –

Liebe und Lust, zerfließen soll beides,

wo die Freuden verrecken und das Behagen ...

 

Grauen, steigt aus den blutigen Seen – –

zerrt mich hinein in das wilde Entsetzen!

Auf die Fahnenstangen der Höllenmoscheen

zieht der lustigen Seele traurige Fetzen!

 

Dumpf sengt die Mittagssommersonnenglut

Dumpf sengt die Mittagssommersonnenglut.

Schwer ächzt das Hirn im Druck der Schädelschale.

Der Hals staut unterm Adamsapfel Blut,

und auf der Stirn stehn schmutzige Schweißesmale.[23]

 

Der Himmel gähnt in schattenlosem Blau;

der See schnappt faul nach grellen Strahlenbrocken;

der Berge schläfrig regungsloser Bau

glotzt in den Tag – gelangweilt, träg und trocken.

 

Und all in dieser peinvoll heißen Not

kein Geld, um mich im Wirtshaus zu erfrischen.

Denn ach, wo Gottes Gnade uns umloht,

steckt meistens auch des Teufels Hand dazwischen.[24]