James Bond. 100 Seiten

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Die James-Bond-Filme der offiziellen Eon-Reihe
  1. James Bond jagt Dr. No (Dr. No, 1962)

  2. Liebesgrüße aus Moskau (From Russia with Love, 1963)

  3. Goldfinger (1964)

  4. Feuerball (Thunderball, 1965)

  5. Man lebt nur zweimal (You Only Live Twice, 1967)

  6. Im Geheimdienst Ihrer Majestät (On Her Majesty’s Secret Service, 1969)

  7. Diamantenfieber (Diamonds Are Forever, 1971)

  8. Leben und sterben lassen (Live and Let Die, 1973)

  9. Der Mann mit dem goldenen Colt (The Man with the Golden Gun, 1974)

  10. Der Spion, der mich liebte (The Spy Who Loved Me, 1977)

  11. Moonraker – Streng geheim (Moonraker, 1979)

  12. In tödlicher Mission (For Your Eyes Only, 1981)

  13. Octopussy (1983)

  14. Im Angesicht des Todes (A View to a Kill, 1985)

  15. Der Hauch des Todes (The Living Daylights, 1987)

  16. Lizenz zum Töten (Licence to Kill, 1989)

  17. GoldenEye (1995)

  18. Der Morgen stirbt nie (Tomorrow Never Dies, 1997)

  19. Die Welt ist nicht genug (The World Is Not Enough, 1999)

  20. Stirb an einem anderen Tag (Die Another Day, 2002)

  21. Casino Royale (2006)

  22. Ein Quantum Trost (Quantum of Solace, 2008)

  23. Skyfall (2012)

  24. Spectre (2015)

  25. Keine Zeit zu sterben (No Time to Die, 2021)

Überlebenskünstler

Allmählich wird’s brenzlig – der am wenigsten geheime Geheimagent der Welt rast in einem mörderischen Tempo die Skipiste hinab, vier KGB-Schergen dicht auf seinen Fersen. Dass sie von der jungen Frau auf den Plan gerufen worden sind, mit der er keine fünf Minuten zuvor noch das Bett geteilt hat, ist dem Agenten vermutlich klar, aber er scheint über den Verrat nicht verbittert zu sein. Eher dankbar für den sportlichen Wettkampf, den ihm seine Gegner liefern – schließlich hätte die Frau ja auch, wie es Honey-Traps in Spionagestorys zu tun pflegen, einfach selbst den Dolch zücken und ihn ins Jenseits befördern können. Derart profan, per schnöder Attacke aus dem Hinterhalt, wird in seiner Welt aber nicht gestorben. Stattdessen bekriegt man sich sportlich: auf Skiern, zu Pferd, in irrwitzig ausgestatteten Fahrzeugen, mit Kugelschreibern, die eigentlich Pistolen sind, und mit Pistolen, die zum Teil aus Kugelschreibern bestehen.

Auf der Skipiste hält sich der Agent seine Verfolger u. a. mit einem halsbrecherisch anmutenden Salto und mit einem

Die eben beschriebene Sequenz steht am Anfang von Der Spion, der mich liebte (The Spy Who Loved Me, 1977, R: Lewis Gilbert), dem zehnten Film der James-Bond-Reihe. Sie tummelt sich immer noch auf den vorderen Plätzen, wenn Fans und Kritiker Listen der ikonischsten und spektakulärsten Bond-Momente zusammenstellen – das tun sie im Übrigen sehr häufig. Als James Bond zur Eröffnungszeremonie der Olympischen

Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard formuliert im 19. Jahrhundert seine Vorstellung vom Sprung in den Glauben – einem paradoxen Bekenntnis dazu, aller Skepsis und allem Zweifel zum Trotz jeden Tag aufs Neue das Wagnis einzugehen, sich zu Gott zu bekennen. Vielleicht ist James Bonds Sturz von der verschneiten Klippe ja in dieser Tradition zu sehen: als ein vorsätzlicher, alle Zweifel über Bord werfender Sprung ins Und ob!, der uns der sturen Gebote des Realismus enthebt und in der vage begründeten Hoffnung (bei Kierkegaard: im Gottvertrauen) geschieht, man werde schon sicher landen oder zumindest ein paar Zentimeter über dem Boden aufgefangen, wie Bond von den überdimensionierten weiblichen Händen, die ihn sachte in den Vorspann des Films hinüber geleiten. Es geht ja meistens etwas knapper zu bei Bond, auch der Timer der radioaktiven Sprengladung in Goldfinger (1964, R: Guy Hamilton) wird erst bei 007 gestoppt.

Das aber ist ein Trugschluss, auch wenn sich Bonds Erfinder, Ian Fleming, mit Recht einiges auf seine exakten Schilderungen realer Schauplätze, Parfüms und Gourmetrezepte eingebildet hat. Tatsächlich kann man bei James Bond viel darüber lernen, dass der Schein trügt und uns das vermeintlich Vertraute in Wahrheit fremd ist – immerhin so viel hat Bond noch mit der klassischen Spionagegeschichte gemein, von der er sich ansonsten gründlich emanzipiert hat. Schon im ersten James-Bond-Film, James Bond jagt Dr. No (Dr. No, 1962, R: Terence Young), werden im Fünf-Minuten-Takt die kleinen Enthüllungsscharaden gespielt, die heute noch im Maskenfimmel von Mission: Impossible überdauern. Die scheinbar blinden Bettler sind gerissene Profikiller mit Adleraugen, die eigenen Kontaktleute arbeiten in Wahrheit für die Gegenseite, der von

Bond und wie er die Welt sieht

Der Sprung in den Unglauben lässt sich auch mit einer berühmten Wendung verknüpfen, die auf den englischen Dichter Samuel Taylor Coleridge zurückgeht: der Willing Suspension of Disbelief. Coleridge meint damit das freiwillige Zurückstecken aller Skepsis angesichts eines vermeintlich unwahrscheinlichen, wenn nicht gar unmöglichen Ereignisses in einer Geschichte. Wer sich auf Märchen einlässt, darf nicht die Stirn runzeln, sobald der Frosch spricht oder das Lebkuchenhaus im Wald auftaucht. Dieser Einstiegsqualifikation bedarf es auch, wenn man in James Bonds Welt eintaucht oder aber zu Fantasy und Science-Fiction greift, also zu Genres, denen häufig mit dem Vorwurf des Eskapismus begegnet wird und die lange aus der Hochkultur ausgeschlossen wurden.

Auch Bond wird von der Kritik erst etwas ernster genommen, seitdem er sich glaubhaft zu ›unseren‹ Problemen (Ressourcenknappheit, Antiterrorkampf) bekennt und den vermeintlich aus der Luft gegriffenen Konflikten abgeschworen

Die Literaturwissenschaft kennt das als Tschechows Gewehr – wenn es im 1. Akt über dem Kamin hängt, muss es bis zum Ende des Stücks abgefeuert werden. Dieses Prinzip thront bei Bond über allem: Schurken tragen den Grund ihrer Existenz bzw. ihre Schurkenhaftigkeit im Namen (Goldfinger ist süchtig nach Gold, Le Chiffre ein Zahlenspieler, Elektra King eine Rachegöttin), und Frauen werden anscheinend bereits bei der Geburt so benannt, dass an ihrer sexuellen Verfügbarkeit kein Zweifel besteht (Pussy Galore und Chew Mee geben zumindest im Original sehr eindeutige Versprechen ab, Xenia Onatopp liegt oben). Ereignisse sind auf ihren maximalen Schauwert und auf ihre Pointe hin entworfen. Am Anfang von Leben und sterben lassen (Live and Let Die, 1973, R: Guy Hamilton) beobachtet ein Geheimagent eine Trauerprozession der

Dass uns James Bond solchen Glaubensprüfungen immer gleich am Anfang unterzieht, macht ihn ehrlicher als die Konkurrenz. Je häufiger man z. B. die Filme des genialen Tüftlers Christopher Nolan sieht, der mit Inception (2010) und

Und weil das Bond-Publikum eine vermeintlich wohlgeordnete Welt vorgesetzt bekommt, in der alles seinen Zweck erfüllt und jeder seinen Platz kennt, wäre es wohl auch müßig, darüber nachzudenken, was das überhaupt für ein Geheimagent sein soll, der immer schon am Flughafen oder im Hotel von seinen Gegnern erkannt wird und so diskret auftritt wie ein Elefant im Porzellanladen. Beispielsweise soll sich Roger Moore in seinem letzten Einsatz als James Bond in Im Angesicht des Todes (A View to a Kill, 1985, R: John Glen) inkognito auf das Anwesen von Max Zorin (Christopher Walken) einschleichen – zur Tarnung wählt er die Identität des flirtfreudigen Playboys »James St. John Smythe«, erscheint also zum Kostümfest verkleidet als er selbst, schläft mit der Gehilfin des Gegenspielers und wird binnen eines Tages enttarnt.