Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie

 

 

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Zur Geschichte der

neueren Philosophie

Münchener Vorlesungen

 

 

 

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. Münchener Vorlesungen

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Joseph Karl Stieler, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, 1835

 

ISBN 978-3-86199-951-5

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-86199-661-3 (Broschiert)

ISBN 978-3-86199-662-0 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Schelling hielt die Vorlesungen 1827 an der Universität München, nachdem er bereits in Würzburg und Erlangen ähnliche Vorlesungen zur Einführung in seine Kollegs gehalten hatte. Erstdruck in: F.W.J. Schelling: Sämtliche Werke, hg. v. K.F.A. Schelling, Stuttgart 1856 ff.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. Münchener Vorlesungen. Herausgegeben von Manfred Buhr, Leipzig: Philipp Reclam jun., 1966.

 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

[Vorwort]

Es gibt verschiedene Gründe, aus denen man, wenigstens als Zugabe zu einer Einleitung in die Philosophie selbst, auch einen Rückblick auf die früheren Systeme zweckmäßig finden kann. Auch die Wissenschaft ist ein Werk der Zeit und in einer stetigen Entwicklung begriffen. Jeder, der sich imstande glaubt, sie um einen großen oder kleinen Schritt weiter zu fördern, wird von selbst geneigt sein, sein Verhältnis zu dem, was ihm vorherging, zu zeigen, um auf diese Art deutlich zu machen, von welchem Punkte der Entwicklung oder des Stillstandes er die Wissenschaft aufnehmen und nach welchem nächsten Ziel er sie zu fördern gedenke. Er wird die Teilnahme an seinen eigenen Forschungen höher spannen, wenn er zeigt, wie bis jetzt von Stufe zu Stufe das höchste Ziel verfehlt worden. Der Anfänger in der Philosophie lernt auf diese Weise, wenn auch bloß historisch, vorläufig schon die Gegenstände kennen, um die es zu tun ist und welche vorzugsweise die Geister der letzten Jahrhunderte beschäftigt haben. Wenn es endlich, um die Wahrheit schätzen und beurteilen zu lernen, notwendig ist, auch den Irrtum zu kennen, so ist eine solche Darstellung wohl die beste und sanfteste Art, dem Anfänger den Irrtum, der überwunden werden soll, zu zeigen. Doch das Gewicht aller dieser Gründe nimmt zu, wenn es nicht bloß eine neue Methode oder veränderte Ansichten in einzelnen Materien, sondern eine Veränderung im Begriff der Philosophie selbst gilt. Hier wird es dann erwünscht sein, wenn dieser Begriff auch unabhängig von der Wahrheit, die er an sich oder ursprünglich hat, zugleich als das natürliche geschichtliche Resultat früherer mißlungener Bemühungen, nicht mehr in seiner bloßen Allgemeinheit, sondern als ein notwendiges Ergebnis gerade dieser Zeit erscheint.[19]

 

Descartes

Die Geschichte der neueuropäischen Philosophie wird gerechnet vom Umsturz der Scholastik bis auf die gegenwärtige Zeit. René Descartes, geb. 1596, Anfänger der neueren Philosophie, revolutionär im Geiste seiner Nation, begann damit, allen Zusammenhang mit der früheren Philosophie abzubrechen, über alles, was in dieser Wissenschaft vor ihm geleistet war, wie mit dem Schwamm wegzufahren, und diese ganz von vorn, gleich als wäre vor ihm nie philosophiert worden, wieder aufzubauen. Die notwendige Folge einer solchen gänzlichen Losreißung war allerdings, daß die Philosophie wie in eine zweite Kindheit zurücktrat, eine Art von Unmündigkeit, über welche die griechische Philosophie fast schon mit ihren ersten Schritten hinaus war. Von der andern Seite konnte dies Zurücktreten in die Einfalt der Wissenschaft selbst vorteilhaft sein; sie zog sich dadurch aus der Weite und Ausbreitung, die sie in dem Altertum sowie in dem Mittelalter schon erhalten, fast auf ein einziges Problem zurück, das nun durch sukzessive Ausdehnung, und nachdem im einzelnen alles dazu vorbereitet war, zu der großen, alles umfassenden Aufgabe der neueren Philosophie sich erweitert hat. Es ist beinah die erste sich von selbst darbietende Definition der Philosophie, wenn man sagt, sie sei die schlechterdings von vorn anfangende Wissenschaft. Es mußte also schon viel wirken, wenn man auch nur in dem Sinn von vorn anfing, daß man nichts aus der früheren Philosophie und als von ihr bewiesen voraussetzte. Der griechische Thales soll so gefragt haben: Was das Erste und in der ganzen Natur der Dinge Älteste sei. Hier war das von vorn anfangen objektiv gemeint. Descartes aber fragt nur: Was ist das für mich Erste, und darauf konnte er denn natürlich nichts antworten als: Ich selbst, und[21] auch Ich selbst höchstens in Ansehung des Seins. An dieses erste, unmittelbar Gewisse sollte sich ihm dann erst alles andere Gewisse anknüpfen, alles nur wahr sein, inwiefern und inwieweit es mit jenem unmittelbar Gewissen zusammenhängt. Nun ist aber offenbar der Satz: Ich bin, höchstens Ausgangspunkt für mich – und nur für mich; der Zusammenhang, der durch das Anknüpfen an diesen Satz oder an das unmittelbare Bewußtsein des eignen Seins entsteht, kann also immer nur ein subjektiv logischer sein, d.h., ich kann immer nur schließen: so gewiß Ich bin, so gewiß muß ich auch annehmen, daß A, B, C usw. seien. Aber wie eigentlich A, B und C unter sich, oder mit ihrem wahren Prinzip, oder auch nur, wie sie mit dem Ich bin selbst zusammenhangen, wird durchaus nicht gezeigt. Die Philosophie bringt es also hier nicht weiter als zu einer bloß subjektiven Gewißheit, und zwar nicht über die Art der Existenz (die allein eigentlich zweifelhaft ist), sondern nur über die Existenz alles dessen, was außer dem Subjekt ist. Dies im allgemeinen.

Um nun aber das Verfahren des Descartes im einzelnen zu beschreiben, so macht er sich zum Grundsatz, vorläufig an allem zu zweifeln, ja, um recht sicherzugehen und ganz gewiß zu sein, sich von jedem Vorurteil befreit zu haben, vorläufig alles für falsch zu halten, was er bis dahin als wahr angenommen. Dieser Maxime wurde besonders von den Theologen heftig opponiert; sie meinten, auf die Weise sei Descartes ein temporärer Atheist; wenn einer stürbe, eh' er die gehoffte Demonstration vom Dasein Gottes geschrieben oder gefunden, würde er als Atheist sterben; auf die Art werde wenigstens vorläufig eine verderbliche Lehre gelehrt; man dürfe aber nicht Böses tun, damit Gutes herauskomme u. dgl. Allein der Sinn ist doch eigentlich nur der, daß man in der Philosophie nichts für wahr annehmen soll, eh' man es in seinem Zusammenhang erkannt. Indem ich die Philosophie anfange, weiß ich philosophisch eigentlich noch nichts. Dies versteht sich von selbst; dagegen ist jene Maxime weniger zu billigen, wenn sie darauf hinführt, nur das mir unmittelbar Gewisse,[22] also, da nur Ich selbst mir unmittelbar gewiß bin, nur mich selbst als Fundament erkennen zu wollen, denn dieses sogenannte unmittelbar Gewisse, mein eigenes Sein, ist mir in der Tat ebenso unbegreiflich – ja vielleicht noch unbegreiflicher als alles das, was ich vorläufig für falsch oder doch für zweifelhaft angenommen. Verstehe ich den Zweifel an den Dingen recht, so habe ich ebensowohl an meinem eigenen Sein zu zweifeln. Der Zweifel des Descartes, der sich zunächst nur auf die sinnlich erkannten Dinge erstreckt, kann sich nicht auf ihre Realität überhaupt oder in jedem Sinn beziehen – denn in irgendeinem muß ich sie ihnen doch zugestehen. Der wahre Sinn meines Zweifels kann nur sein, daß ich diese sinnlich erkennbaren Dinge nicht in dem Sinn zu sein glauben kann, in welchem das Original-, das von sich selbst Seiende ist: denn ihr Sein ist kein originales, wir sehen in ihnen etwas Gewordenes; und inwiefern alles Gewordene von bloß abhängiger und insofern zweifelhafter Realität ist, insofern kann man sagen, sie seien an sich selbst von zweifelhaftem Dasein, oder es sei ihre Natur, zwischen Sein und Nichtsein zu schweben. Eben dieses zweifelhafte Sein muß ich aber auch in mir anerkennen; aus demselben Grunde, aus welchem ich an den Dingen, müßte ich also auch an mir selbst zweifeln. Indes der Zweifel des Descartes an der Realität der Dinge hat wirklich nicht die spekulative Bedeutung, die wir ihm soeben gegeben; der Grund seines Zweifels ist ein bloß empirischer, wie er selbst sagt, weil er nämlich öfters erfahren, daß ihn die Sinne getäuscht, weil er manche Male sich im Traum überredet, daß dies oder jenes außer ihm sei, wovon sich nachher das Gegenteil befunden; ja setzt er hinzu, er habe Leute gekannt, die Schmerzen in Gliedern empfunden, die ihnen vorlängst abgenommen worden – in diesem Argument erkennt man den ehemaligen Militär, übrigens lag es nahe zu überlegen, daß solche Personen doch nur Schmerzen in Gliedern empfunden, die sie einmal gehabt haben, und kein Beispiel vorhanden ist von Leuten, die Schmerzen empfunden härten in Gliedern, die sie niemals gehabt. Durch diese letzte[23] Erfahrung glaubt er sich jedoch noch insbesondere berechtigt, auch an der Existenz seines eigenen Körpers zu zweifeln.

Von hier geht er dann fort auf die nicht aus den Sinnen geschöpften, also mit dem Charakter der Notwendigkeit und Allgemeinheit ausgestatteten Erkenntnisse, namentlich die mathematischen Wahrheiten, für deren Bezweifelbarkeit er den seltsamsten Grund anführt, der nicht, wie die der alten Skeptiker, aus dem Innern dieser Gegenstände und ihren Voraussetzungen selbst, sondern von etwas Äußerem hergenommen ist. Nämlich, so erklärt er sich, obgleich ich so gewiß als von meinem eigenen Leben überzeugt bin und nicht einen Augenblick umhin kann zu erkennen, daß die drei Winkel eines Dreiecks = zwei Rechten, so ist doch meiner Seele die Meinung – ich weiß nicht recht, ob beigebracht oder sogar eingepflanzt, daß es einen Gott gebe, von dem ich gehört habe, daß er alles vermöge, und daß ich (der Zweifelnde) ganz und gar mit allem, was ich sei und wisse, dessen Geschöpf sei. Nun hätte dieser, fährt er fort, doch auch bewirken können, daß ich über diese Dinge mich täuschte, welche mir übrigens als die klarsten erscheinen. Als ob man nicht weit mehr Ursache härte, an einem solchen Zweifel zu zweifeln. Ehe man diesen aufwürfe, müßte man doch irgendein Interesse anzugeben wissen, das der Schöpfer haben könnte, mich mit den notwendigen Wahrheiten zu täuschen. Das wahre Verhältnis, in dem sich die Philosophie in ihrem Anfang gegen alles, und also auch gegen die mathematischen Wahrheiten, befindet, ist, nicht sie zu bezweifeln (denn wie käme sie nur überhaupt dazu, sie jetzt schon zum Gegenstand ihres Denkens zu machen?), sondern sie einfach dahingestellt sein zu lassen, bis sie im Verlauf ihrer schlechthin von vorn anfangenden Untersuchung von selbst auf die Voraussetzungen geführt wird, von denen ihre Wahrheit abhängt.

Nachdem nun Descartes auf diese nicht eben sehr tiefe Weise an allem ihm vors Bewußtsein Gekommenen gezweifelt, fragt er, ob ihm denn gar nichts übrigbleibe,[24] woran er aus den früher angeführten oder andern Gründen ebenfalls noch zweifeln könnte. Obgleich er nun an allem gezweifelt zu haben schien, blieb ihm doch noch etwas übrig, nämlich Er selbst, welcher so zweifelte, nicht sofern er aus Kopf, Händen, Füßen und andern körperlichen Gliedmaßen bestand – denn an der Realität von diesen hatte er bereits gezweifelt –, sondern nur inwiefern er zweifelte, d.h., inwiefern er dachte. Indem er nun dieses genau untersuchte, meinte er zu finden, daß er an diesem, nämlich an Sich selbst, sofern er dachte, aus keinem der Gründe zu zweifeln vermöge, die ihn an den andern Dingen zu zweifeln bewogen. Denn, sagt er, ich mag nun wachen oder träumen, so denke ich doch und bin, und sollte ich mich in Ansehung alles anderen geirrt haben, so war ich doch, denn ich irrte, eram quia errabam, und der Urheber der Natur mag noch so kunstvoll angenommen werden, so kann er mich doch in dieser Hinsicht nicht täuschen, denn um getäuscht zu werden, muß ich sein. Ja, je mehr Gründe des Zweifels vorgebracht werden, desto mehr Gründe erlange ich, die mich von meiner Existenz überzeugen, denn je öfter ich zweifle, desto öfter bewähre ich meine Existenz – also, daß, wie ich mich auch wende, ich immerhin genötigt bin, in die Worte auszubrechen: Ich zweifle, ich denke, also bin ich!

Dies ist also das berühmte Cogito ergo sum des Descartes, mit dem denn allerdings auf lange Zeit gleichsam der Grundton der neueren Philosophie angegeben war das wie ein Zauber gewirkt hat, durch den die Philosophie in den Umkreis des Subjektiven und der Tatsache des bloß subjektiven Bewußtseins gebannt war. Höher genommen aber lag in dem Cogito ergo sum oder in dem Entschluß, vorerst alles für zweifelhaft zu halten, bis es mit jenem allein unmittelbar Gewissen auf irgendeine Weise in Verbindung gebracht sei – in diesem Entschluß lag die entschiedenste Losreißung von aller Autorität, damit war die Freiheit der Philosophie errungen, die sie von diesem Augenblick an nicht wieder verlieren konnte.

Es ist klar genug, wie Descartes auf dieses Cogito ergo[25] sum geführt wurde. Sein Hauptzweifel war, wie man sich von irgendeiner Existenz überzeugen könne. Dieser Zweifel schien ihm in Ansehung der äußeren Dinge unüberwindlich. Wir stellen äußere Dinge vor – dies wird nicht geleugnet, und wir sind sogar genötigt, sie uns vorzustellen –, aber ob die Dinge, die wir uns vorstellen, und wie wir sie uns vorstellen, auch sind, nämlich außer uns, unabhängig von uns so sind, dies ist die Frage, auf die es keine unmittelbare Antwort gibt. Descartes wollte also einen Punkt finden, wo Denken oder Vorstellen (denn Er unterscheidet beides nicht) und Sein unmittelbar in eins zusammenfallen – und diesen glaubte er durch sein Cogito ergo sum gefunden, und da sich aller Zweifel seiner Meinung nach nur auf die Existenz bezieht, so glaubte er mit diesem Satz auch allen Zweifel überwunden. Im Cogito ergo sum glaubte Descartes Denken und Sein als unmittelbar identisch erkannt zu haben. Denn er leugnet in späteren Erklärungen aufs bestimmteste, daß der Satz: Cogito ergo sum von ihm als ein Schluß (ein Syllogismus) gemeint sei. Zu einem vollständigen Schluß würde allerdings ein Obersatz gehören, der so lautete: Omne, quod cogitat, est – der Untersatz wäre dann: Atqui cogito, und der Schlußsatz: Ergo sum. So kann es freilich Descartes nicht gemeint haben; denn damit würde der Satz: Ich bin, zu einem durch einen allgemeinen Satz vermittelten; in dieser syllogistischen Form wäre die unmittelbare Gewißheit verloren. Die Meinung des Descartes ist also, das Sum sei in dem Cogito eingeschlossen, in ihm schon mitbegriffen und ohne weitere Vermittlung gegeben. Hieraus folgt denn, daß das cogito eigentlich so viel sagt als: cogitans sum (wie denn überhaupt das Zeitwort keine andere Bedeutung hat und nur eine Zusammenziehung von Prädikat und Copula ist, z.B. lego heißt nichts anderes als sum legens, ich bin lesend oder ein Lesender). Dieses Sum cogitans kann nun außerdem nicht die Bedeutung haben, als wäre ich nichts als denkend, als wäre ich nur im Denken da, oder als wäre Denken die Substanz meines Seins. Denn Descartes spricht jenes: Ich denke, selbst nur aus, [26] indem er denkt oder zweifelt, im actu seines Zweifels. Das Denken ist also nur eine Bestimmung oder eine Art und Weise des Seins, ja das cogitans hat sogar nur die Bedeutung: ich bin im Zustande des Denkens. Der Zustand des eigentlichen Denkens ist bekanntlich für die meisten Menschen ein höchst seltener, vorübergehender, ja ein unnatürlicher, aus dem sie gewöhnlich sobald als möglich herauszutreten suchen. Bekannt ist das Schillersche: Oft schon war ich und hab' wahrlich an gar nichts gedacht. Zwar Descartes braucht, wie schon bemerkt, das Wort denken in einem sehr allgemeinen Sinn, wo es z.B. auch das sinnliche Gewahrwerden oder Wahrnehmen bedeutet. Allein ich bin ja auch nicht immer im Zustande des sinnlichen Wahrnehmens. Wollte man sagen, selbst im Schlafe höre es nicht auf, denn ich träume wenigstens, so bleibt immer die Ohnmacht, in der ich zwar nicht ausspreche: Ich bin, wie ich es im Schlaf, ja im Verlauf des gewöhnlichen wachenden Lebens auch nicht ausspreche, und doch unstreitig bin. Das in dem cogito begriffene sum heißt also nur: sum qua cogitans, ich bin als denkend, d.h. in dieser bestimmten Art des Seins, welche denken genannt wird, und die nur eine andere Art zu sein ist als z.B. die des Körpers, dessen Art zu sein darin besteht, daß er den Raum erfüllt, d.h. von diesem Raum, den er einnimmt, jeden andern Körper ausschließt. Das in dem cogito eingeschlossene sum hat also nicht die Bedeutung eines unbedingten Ich bin, sondern nur die Bedeutung eines »Ich bin auf gewisse Weise«, nämlich eben als denkend, in dieser Art zu sein, welche man denkend nennt. Daher kann auch in dem Ergo sum nicht enthalten sein: Ich bin unbedingter Weise sondern nur: Ich bin auf gewisse Weise. Von den Dingen kann man aber, wie schon gezeigt, eigentlich auch nur zweifeln, daß sie unbedingt sind; daß sie aber auf gewisse Weise sind, dies läßt sich auf dieselbe Weise herausbringen, wie Descartes sein Sum herausbringt. Es ist ebenso richtig zu schließen: Ich zweifle an der Realität der Dinge, also sind sie, oder wenigstens: also sind sie nicht gar nicht. Denn an dem, was gar nicht und auf keine Weise ist, kann[27] ich auch nicht zweifeln. Aus meinem Zweifel selbst an der Realität der Dinge folgt also – zwar nicht, daß sie unzweifelhaft oder unbedingt sind, aber doch, daß sie auf gewisse Weise sind; mehr folgt aber, wie gezeigt, auch aus dem Ich denke nicht, als daß ich auf gewisse Weise bin. Alles aber, was nur auf gewisse Weise ist, ist schon ebendarum ein zweifelhaft Seiendes. Im wahren Sinn des nicht bloß empirischen und subjektiven, sondern des objektiven und philosophischen Zweifels ist also das Sein, das ich mir selbst zuschreibe, so zweifelhaft als das, was ich den Dingen zuschreibe.

Allein wir können noch weiter zurückgehen und sogar das Ich denke selbst in Zweifel ziehen – wenigstens in der Bedeutung, die es unstreitig bei Descartes hat. Diesem Ausspruch: Ich denke, liegt nämlich zweierlei zugrunde: 1. das, was in mir denkt, z.B. was jetzt eben zweifelt, 2. das auf dieses Denken oder Zweifeln Reflektierende; nur indem dieses jenes Erste als mit sich identisch erkennt, sage ich: Ich denke. Das Ich denke ist also seiner Wahrheit nach keineswegs etwas Unmittelbares, es entsteht nur durch die Reflexion, welche sich auf das Denken in mir richtet, welches Denken übrigens auch unabhängig von jenem auf es Reflektierenden vonstatten geht, wie ich denn sogar in der Regel denke, ohne mir zu sagen, daß ich denke, ohne dieses Denken selbst wieder zu denken, ja das wahre Denken muß sogar ein objektiv unabhängiges von jenem auf es reflektierenden Subjekt sein, oder es wird um so wahrer denken, je weniger von dem Subjekt sich in es einmischt. Da es also zweierlei ist, das Denkende und das auf dies Denkende Reflektierende und es als eins mir sich Setzende, oder da es ein objektives, von mir unabhängiges Denken gibt, so könnte ja dieses in jener vermeinten Einheit oder, indem es das ursprüngliche Denken sich zuschreibt, eben darin könnte es sich täuschen, und das Ich denke könnte nicht mehr auf sich haben als der Ausdruck, dessen ich mich ja ebensowohl bediene: Ich verdaue, ich mache Säfte, ich gehe, oder ich reite; denn es ist doch nicht eigentlich das denkende Wesen, das geht[28] oder das reitet. Es denkt in mir, es wird in mir gedacht, ist das reine Faktum, gleichwie ich auch mit gleicher Berechtigung sage: Ich träumte, und: Es träumte mir. Die Gewißheit, welche Descartes dem cogito ergo sum zuschreibt, hält also selbst das Denken nicht aus; wenn es eine Gewißheit ist, so ist es eine blinde und gedankenlose. An diese Gewißheit indes knüpft Descartes alles andere an. Sein Prinzip ist: Alles, was ebenso klar und bestimmt eingesehen wird wie das Ich bin, muß auch wahr sein. Allein genauer ausgedrückt kann dies nur so viel heißen: Alles, was mit jener blinden, empirischen Gewißheit, die ich von meinem eignen Sein habe, zusammenhängt, oder was implizite mit dem Ich bin gesetzt ist oder sich erweisen läßt als zur Vollständigkeit dieser Vorstellung gehörig, muß ich also ebenso wahr annehmen wie dieses selbst (weiter geht's nicht); nämlich daß es auch objektiv und unabhängig von mir so sei, folgt nicht. Die Wahrheit des Ich bin kann ebensogut bestehen, wenn ich nur genötigt bin, jenes andere alles, z.B. meinen Körper und die andern auf ihn scheinbar einfließenden Dinge mir vorzustellen. Wenn ich einmal alles an das Ich bin knüpfen will, muß ich auch darauf Verzicht tun, jemals weiter zu kommen als zu dieser Notwendigkeit der Vorstellung alles andern; auch kann es mir, wenn ich mir selbst der Mittelpunkt alles Wissens bin, völlig gleichgültig sein, ob das, was ich mir vorzustellen genötigt bin, unabhängig von dieser Vorstellung da ist oder nicht, wie es, um Descartes' eignes Beispiel zu brauchen für den Träumenden, solang er träumt, völlig gleichgültig ist.

Descartes, dem es einmal nicht darum zu tun war, die Dinge zu begreifen, sondern nur darum, zu wissen, daß sie seien (das Wenigste, was man von den Dingen wissen kann), wurde durch seinen Vorgang Ursache, daß diese Frage: ob unseren Vorstellungen von den äußern Dingen in der Tat etwas entspreche, für geraume Zeit als Hauptfrage in der Philosophie betrachtet wurde. Es hätte dem Descartes ganz nahe gelegen, schon zum völligen Idealismus fortzugehen, d.h. zu dem System, welches behauptet,[29] daß die Dinge nicht objektiv außer uns, sondern nur in unsern, wenngleich notwendigen Vorstellungen existieren. Allein dies wollte er nicht; um daher jener notwendigen Konsequenz zu entgehen, nahm er zu einem andern Begriff seine Zuflucht. Weil die Vorstellungen keine Bürgschaft in sich selbst, so bedarf es eines Bürgen für die Wahrheit seiner Vorstellungen von Außendingen – hier sucht er aus dem Subjektiven ins Objektive zu kommen (metabasis) –, diesen Bürgen findet er in Gott, dessen Dasein aber dann vorher bewiesen sein muß. Dies bewerkstelligt er denn kürzlich auf folgende Art: Es ist in mir der Begriff eines allervollkommensten Wesens. (Dies wird als empirische Tatsache vorausgesetzt, wie das Ich denke eben auch nur ein empirisches Faktum ist.) Nun gehört aber zum Begriff des allervollkommensten Wesens – nicht, wie man späterhin sagte, der Begriff der Existenz überhaupt, denn so ungeschickt, wie Kant diesen Beweis vorstellt, pflegte Descartes, dem man innerhalb seiner Grenzen den ganzen Scharfsinn und die geistreiche Tüchtigkeit und Beweglichkeit seiner Nation zuerkennen muß, nicht zu schließen, der wohl wußte, daß Existenz überhaupt etwas gegen Vollkommenheit und Unvollkommenheit Gleichgültiges ist – es gehört zum Begriff des vollkommensten Wesens auch der Begriff der notwendigen Existenz. Sowie ich also Gott nur denke, muß ich auch einsehen, daß er existiert. Dies ist also der unter dem Namen des ontologischen bekannte Erweis des Daseins Gottes. Aus dem bloßen Begriff des allervollkommensten Wesens wird dann weiter geschlossen, das allervollkommenste Wesen würde dieses nicht sein, wenn es nicht auch das allerwahrhaftigste wäre (hier ein Übergang von dem Begriff, der bis jetzt nur als ein metaphysischer genommen schien, zu moralischen Eigenschaften), einem solchen also müßte es auch unmöglich sein, uns zu täuschen 1. in Ansehung der mathematischen Wahrheiten – (sonderbar, daß Descartes immer nur diese und nicht auch die allgemeinen Begriffe, so wie die Gesetze des Denkens, Urteilens und Schließens bezweifelt), 2. ebenso unmöglich (da nur Gott[30] diese Täuschung bewirken könnte) in Ansehung der sinnlichen Dinge. Hier wird daher nun Gott, nachdem ein ganz anderes principium cognoscendi angenommen war, doch auch noch anerkannt als das wahre Erkenntnisprinzip, d.h. als das, was aller Erkenntnis erst Wahrheit erteilt. Jene Berufung auf die Wahrhaftigkeit Gottes hat übrigens auf den Nachfolger des Descartes, den Franzosen Malebranche, so wenig gewirkt, daß er diesem Argument höchstens Wahrscheinlichkeit zugesteht und bemerkt, daß Gott, wenn er es sonst gut und nötig fände, uns gar wohl Körper vorstellen könnte, wenn es auch keine gäbe.

Was uns indes am wichtigsten sein muß, und weswegen ich von der Philosophie des Descartes vorzüglich einen Begriff zu geben gesucht habe, ist eben jenes von ihm auf die Bahn gebrachte ontologische Argument. Bei weitem weniger durch das, was er außerdem über die Anfänge der Philosophie behauptete, als durch die Aufstellung des ontologischen Beweises ist Descartes für die ganze Folge der neueren Philosophie bestimmend geworden. Man kann sagen: die Philosophie ist noch jetzt damit beschäftigt, die Mißverständnisse, zu denen dieses Argument Veranlassung gab, zu entwirren und auseinanderzusetzen. Merkwürdig ist dieses Argument auch noch, weil es unter den Schulbeweisen, mit denen die Existenz Gottes in der gewöhnlichen Metaphysik bewiesen zu werden pflegte, bis auf Kant noch immer obenan stand. Es ist wohl zu bemerken, daß dieses Argument von den Scholastikern keineswegs anerkannt wurde. Denn obgleich schon Anselm von Canterbury ein ähnliches aufgestellt hatte, so widersprach ihm doch Thomas von Aquin aufs bestimmteste. Vorzüglich wurde der sogenannte ontologische Beweis auch Gegenstand der Kantschen Kritik, allein weder Kant noch irgendeiner seiner Nachfolger hat den rechten Punkt getroffen. Der hauptsächlichste Einwurf gegen Descartes' Beweis, der vorzüglich von Kant geltend gemacht worden, beruht auf der schon erwähnten unrichtigen Vorstellung, als laute das Argument so: Ich finde in mir die Idee des vollkommensten Wesens, nun ist aber die Existenz selbst[31] eine Vollkommenheit, also ist in der Idee des vollkommensten Wesens von selbst auch die Existenz enthalten. Hier wird dann der Untersatz des Schlusses geleugnet. Man sagt, die Existenz sei keine Vollkommenheit. Ein Dreieck z.B. wird durch die Existenz nicht vollkommener, oder wenn dies wäre, so müßte mir ebensowohl verstattet sein zu schließen, das vollkommene Dreieck müsse existieren. Was nicht existiert, sagt man, ist weder vollkommen noch unvollkommen. Existenz drückt eben nur aus, daß das Ding, d.h., daß seine Vollkommenheiten, sind. Also ist die Existenz nicht eine dieser Vollkommenheiten, sondern sie ist das, ohne welches weder das Ding noch seine Vollkommenheiten sind. Allein ich habe schon bemerkt, daß Descartes nicht auf diese Weise schließt. Sein Argument lautet vielmehr so: der Natur des vollkommensten Wesens würde es widerstreben, bloß zufällig zu existieren (so wie z.B. meine eigne Existenz eine bloß zufällige prekäre und eben darum an sich zweifelhafte ist), also kann das vollkommenste Wesen nur notwendig existieren. Gegen dieses Argument wäre nun, besonders wenn man sich über den Begriff von notwendig Existieren verständigt und darunter nur das Gegenteil von zufällig Existieren versteht, so wäre, sage ich, gegen dieses Argument nichts einzuwenden. Aber der Schlußsatz des Descartes lautet anders. Wiederholen wir uns noch einmal den ganzen Syllogismus. Das vollkommenste Wesen kann nicht zufällig, mithin nur notwendig existieren (Obersatz); Gott ist das vollkommenste Wesen (Untersatz), also (sollte er schließen) kann er nur notwendig existieren, denn dies allein liegt in den Prämissen; statt dessen schließt er aber: also existiert er notwendig, und bringt dann auf diese Art scheinbar allerdings heraus, daß Gott existiert, und scheint die Existenz Gottes bewiesen zu haben. Aber es ist etwas ganz anderes, ob ich sage: Gott kann nur notwendig existieren, oder ob ich sage: er existiert notwendig. Aus dem Ersten (er kann nur notwendig existieren) folgt nur: also existiert er notwendig, N.B. wenn er existiert, aber es folgt keineswegs, daß er existiert. Darin liegt also[32] der Fehler des Descartesschen Schlusses. Wir können diesen Fehler auch so ausdrücken. In dem Obersatz (das vollkommenste Wesen kann nur notwendig existieren) ist bloß von der Art der Existenz die Rede (es ist nur gesagt, das vollkommenste Wesen könne nicht zufälligerweise existieren), im Schlußsatz (in der conclusio) ist aber nicht mehr von der Art der Existenz die Rede (in diesem Fall wäre der Schluß richtig), sondern von der Existenz überhaupt, also ist plus in conclusione quam fuerat in praemissis, d.h., es ist gegen ein logisches Gesetz gefehlt, oder der Schluß ist in der Form unrichtig. Daß dies der eigentliche Fehler sei, kann ich auch daraus beweisen, daß Descartes an mehreren Stellen selbst unmittelbar oder zunächst wenigstens nur auf die von mir angezeigte Art schließt. In einem Aufsatz, der überschrieben ist: Rationes Dei existentiam etc. probantes ordine geometrico dispositae, lautet die Konklusion so: Also ist es wahr, von Gott zu sagen, die Existenz sei in ihm eine notwendige, oder (setzt er hinzu) Er existiere. Das Letzte ist nun aber etwas ganz anderes als das Erste und kann nicht als gleichgeltend mit diesem angesehen werden, wie durch das Oder angedeutet wird (Descartes selbst ist sich wohl bewußt, daß in seinem Begriff des vollkommensten Wesens eigentlich nur die Art der Existenz bestimmt ist. So sagt er in derselben Darstellung: Im Begriff eines limitierten, endlichen Dings ist enthalten die bloß mögliche oder zufällige Existenz, im Begriff des vollkommensten also der Begriff der notwendigen und vollkommenen Existenz). An einer andern Stelle, in seiner V. Meditation, führt er den Schluß so aus: Ich finde in mir die Idee Gottes nicht anders oder gerade so wie die Idee irgendeiner geometrischen Figur oder einer Zahl, nec, fährt er alsdann fort, nec minus clare et distincte intelligo, ad ejus naturam pertinere, ut semper existat. (Bemerken Sie dieses semper wohl; hier sagt er also nicht, ad ejus naturam pertinere, ut existat, sondern nur, ut semper existat.) Daraus folgt nun auch bloß, daß Gott wenn er existiert, nur immer existiert, aber es folgt nicht, daß er existiert. Der wahre Sinn des Schlusses ist[33] immer nur: entweder existiert Gott gar nicht, oder wenn er existiert, so existiert er immer, oder so existiert er notwendig, d.h. nicht zufällig. Aber damit ist klar, daß seine Existenz nicht bewiesen ist.

Mit dieser Kritik des Descartesschen Arguments geben wir nun aber zu, daß, wenn nicht die Existenz, doch die notwendige Existenz Gottes bewiesen sei – und dieser Begriff ist nun eigentlich derjenige, der von der bestimmendsten Wirkung für die ganze Folgezeit der Philosophie gewesen ist.

Was hat es also mit dieser notwendigen Existenz Gottes auf sich?

Schon indem wir als richtigen Schlußsatz nur diesen anerkennen: Also existiert Gott notwendig, wenn er existiert, schon dadurch sprechen wir aus, daß der Begriff Gottes und der Begriff des notwendig existierenden Wesens nicht schlechterdings identische Begriffe sind, so nämlich, daß der eine in dem andern genau aufginge, daß Gott nicht mehr wäre als das bloß notwendig existierende Wesen. Wäre er nur dieses, so wäre es allerdings ein von selbst sich verstehender Satz, daß er existiert. Vor allem fragt sich also:

 

Um also das erste zu beantworten, soweit es auf dem Punkt, wo wir jetzt noch stehen, möglich ist (denn wir werden in der Folge noch mehr als einmal auf diesen Begriff zurückkehren), so unterscheiden wir in allem Sein

a) das was Ist, das Subjekt des Seins, oder wie man auch sonst sagt, das Wesen,

b) das Sein selbst, welches sich zu dem, was ist, als Prädikat verhält, ja von dem ich allgemein gesprochen sagen kann, daß es das Prädikat schlechthin ist, das was in jedem Prädikat eigentlich allein prädiziert wird. Es wird nirgends und in keinem möglichen Satz etwas anderes[34] ausgesagt als das Sein. Wenn ich z.B. sage: Phädon ist gesund, so wird eine Art des organischen, weiter des physischen, zuletzt des allgemeinen Seins ausgesagt; oder: Phädon ist ein Liebender, hier eine Art des gemütlichen Seins. Immer aber ist es das Sein, das ausgesagt wird. Nun steht es mir aber auch frei, das was Ist allein oder rein zu denken, ohne das Sein, das ich erst von ihm auszusagen hätte – habe ich es so gedacht, so habe ich den reinen Begriff gedacht, das, in dem noch nichts von einem Satz oder einem Urteil ist, sondern eben der bloße Begriff (es ist absurd, den reinen Begriff in das Sein zu setzen, was gerade das über den Begriff Hinausgehende, das Prädikat ist. Notwendig aber ist das Subjekt eher als Prädikat, wie denn schon in der alten gewöhnlichen Logik das Subjekt das Antecedens, das Prädikat das Consequens genannt wurde). Das was Ist ist der Begriff kat' exochên, es ist aller Begriffe Begriff, denn in jedem Begriff denke ich nur eben das, was Ist, nicht das Sein. Inwiefern ich nun das, was ist, rein denke, so ist also hier nichts über den bloßen Begriff Hinausgehendes, mein Denken ist noch in den reinen Begriff eingeschlossen, ich kann dem, was Ist, noch kein Sein beilegen oder attribuieren, ich kann nicht sagen, daß es ein Sein hat, und doch ist es nicht Nichts, sondern allerdings auch Etwas, es ist eben das Sein selbst, auto to ON, ipsum Ens – das Sein ist ihm noch im bloßen Wesen oder im bloßen Begriff, es ist das Sein des Begriffs selbst, oder es ist der Punkt, wo Sein und Denken eins ist. In dieser Bloßheit muß ich es wenigstens einen Augenblick denken. Aber ich kann es in dieser Abstraktion nicht erhalten; es ist nämlich unmöglich, daß das, was Ist, von dem ich nun weiter noch nichts weiß, als daß es der Anfang, der Titel zu allem Folgenden ist, aber noch nichts selbst ist – es ist unmöglich, daß das, was der Titel, die Voraussetzung, der Anfang zu allem Sein ist, daß dieses nicht auch sei – dies »sei« im Sinn von Existenz genommen, d.h. vom Sein auch außer dem Begriff. Damit wendet sich uns der Begriff nun unmittelbar, und zwar in sein Gegenteil um – wir finden das, was wir als das Seiende[35] selbst bestimmt hatten, nun auch wieder als das Seiende, aber als das Seiende in einem ganz andern – nämlich nur im prädikatlichen oder, wie wir auch sagen können, gegenständlichen Sinn, statt daß wir es vorher als das Seiende im urständlichen Sinn dachten. Hier ist die vollkommenste Conversio des Subjekts in das Objekt – wie es im reinen Begriff das bloße, reine Subjekt (suppositum, denn auch diese beiden Ausdrücke sind gleichbedeutend) oder der reine Urstand des Seins war – so ist es in unmittelbarer Folge seines Begriffs – eben vermöge seines Begriffs: das Seiende selbst zu sein – ist es unmittelbar, eh' wir es uns versehen, das objektiv, das gegenständlich Seiende.

Betrachten wir es nun näher als dieses gegenständlich Seiende, wie wird es sich uns darstellen? Offenbar als das nicht sein Könnende und demnach als das notwendig, das blind Seiende. Das blind Seiende insbesondere ist das, dem keine Möglichkeit seiner selbst vorausgegangen ist. Ich handle z.B. blind, wenn ich etwas tue, ohne mir vorher seine Möglichkeit vorgestellt zu haben. Wenn die Handlung dem Begriff der Handlung zuvoreilt, so ist dies eine blinde Handlung, und ebenso ist das Sein, dem keine Möglichkeit vorausgegangen, das nie nicht-sein und darum auch nie eigentlich sein konnte, das vielmehr seiner Möglichkeit als solcher zuvorkommt, ein solches Sein ist das blinde Sein. Man könnte einwenden: wir haben doch selbst zuerst von dem was Ist gesprochen und es als das Prius, als den Urstand, d.h. als die Möglichkeit des Seins, bestimmt. Ganz richtig; aber wir fügten auch gleich hinzu, es sei in dieser Priorität nicht zu erhalten, also, wenn auch das Prius, doch nie als das Prius, der Übergang sei ein unaufhaltsamer, es sei an sich, also es sei keinen Augenblick möglich, daß das was Ist nicht sei, also es als nicht seiend zu denken. Dasjenige nun aber, dem es unmöglich ist, nicht zu sein (quod non potest non-existere), diesem ist es auch nie möglich zu sein – denn jede Möglichkeit zu sein schließt auch die Möglichkeit nicht zu sein in sich -also ist das, dem es unmöglich ist, nicht zu sein, auch nie in der Möglichkeit zu sein, und das Sein, die Wirklichkeit,[36] kommt der Möglichkeit zuvor. Hier haben Sie nun also den Begriff des notwendig seienden, des notwendig existierenden Wesens, und Sie begreifen zugleich aus dieser Genesis desselben, mit welcher Gewalt er auf das Bewußtsein gleichsam einstürzt und ihm jede Freiheit nimmt. Es ist der Begriff, gegen welchen das Denken alle seine Freiheit verliert.

Nun entsteht aber die Frage, wie Gott, das notwendig seiende oder existierende Wesen, genannt werden könne. Descartes begnügt sich mit dem populären Argument, weil die nicht notwendige, d.h., die zufällige Existenz (wie er den Begriff bestimmt) eine Unvollkommenheit sei, Gott aber das allervollkommenste Wesen sei. Was er unter dem vollkommensten Wesen denkt, sagt er nicht; man sieht aber wohl, daß er darunter dasjenige denkt, was das Wesen alles Seins ist, das nicht ein Sein außer sich hat, gegen welches sein eignes Sein sich auch als ein Sein verhält, oder einfacher, das nicht ein Seiendes ist, das ein anderes Seiendes oder andere Seiende außer sich hat, sondern das schlechthin Seiende, das also in seinem höchsten Begriff nur eben das sein kann, was wir das Seiende selbst, ipsum Ens, genannt haben. Ist nun Gott nur als das Seiende selbst, und ist das, was das Seiende selbst ist, nur zu bestimmen als das nicht nicht sein Könnende, als das, dem es unmöglich ist, nicht zu sein, so ist Gott entschieden und ohne allen Zweifel das notwendig Existierende; – dieses ist nun der höchste Sinn, in welchem das eigentliche ontologische Argument zu nehmen ist; auf dieses kommt jener sogenannte Beweis des Anselm zurück. Es leuchtet nun aber auch sofort ein, woher das Mißtrauen gegen diesen sogenannten Beweis entstanden ist und warum namentlich die Scholastik ihn vielmehr zu widerlegen und abzulehnen als aufzunehmen für gut fand.

Hier kommen wir auf die Frage, ob der Begriff des notwendig existierenden Wesens mit dem Begriff Gottes identisch sei.

Wir haben eben das notwendig Existierende zugleich als das blindlings Existierende erwiesen. Nun ist aber nichts[37] der Natur Gottes, wie sie im allgemeinen Glauben gedacht wird – und nur aus diesem hat Descartes, haben also auch wir bis jetzt diesen Begriff aufgenommen –, nichts ist der Natur Gottes mehr entgegen als das blinde Sein. Denn das Erste im Begriff des blindlings Seienden ist doch, daß es gegen sein Sein ohne alle Freiheit ist, es weder aufheben noch verändern oder modifizieren kann. Was aber gegen sein eignes Sein keine Freiheit hat, hat überhaupt keine – ist absolut unfrei. Wäre also Gott das notwendig existierende Wesen, so könnte er nur zugleich als das starre, unbewegliche, schlechthin unfreie, keines freien Tuns, Fortschreitens oder von sich selbst Ausgehens Fähige bestimmt werden. Entweder müßten wir bei diesem blind Seienden stehenbleiben – wir kämen mit keinem Schritt über das blind Seiende überhaupt hinaus –, oder wenn wir von ihm aus fortschreiten, wenn wir von ihm aus etwa zu der Welt gelangen wollten, so könnte dies nur geschehen, inwiefern wir in seinem blinden Sein etwa eine emanative Kraft nachweisen könnten, vermöge dessen von diesem blinden Sein anderes Sein, z.B. das der Dinge, ausströmte – ich sage ausströmte – nicht ausginge, denn damit wäre noch immer der Gedanke einer Hervorbringung zu verknüpfen – aber eben dieser ist mit einem blinden Sein durchaus nicht zu vereinigen; ein solches könnte höchstens als emanative Ursache gedacht werden, und auch nur dies würde nicht geringe Schwierigkeit darbieten. Hier stoßen wir nun also, um einen Kantischen Ausdruck anzuwenden, auf eine Antinomie zwischen dem, was aus der Vernunft mit Notwendigkeit folgt, und dem, was wir eigentlich wollen, wenn wir Gott wollen. Denn bis jetzt ist Gott offenbar ein bloßer Gegenstand unseres Wollens – wir sind durch nichts genötigt, den Ausdruck Gott zu brauchen, von dem absoluten Vernunftbegriff, von dem Begriff dessen, was Ist, ausgehend, werden wir nur auf den Begriff des notwendig existierenden Wesens, nicht aber auf den Begriff Gottes geführt. Gehen wir aber sogar von dem Begriff Gott aus, so können wir nicht umhin, zu sagen: Gott ist das Wesen alles Seins, er ist das was[38] Ist im absoluten Sinn, to ON, wie er auch immer bestimmt wurde, ist er aber dies, so ist er auch das notwendig und blindlings Existierende. Allein wenn er das blindlings Existierende ist, so ist er eben darum nicht Gott – nicht Gott in dem Sinn, welchen das allgemeine Bewußtsein mit diesem Wort und Begriff verbindet. Wie ist nun hier zu helfen, oder wie ist dieser Enge oder Klemme, in der wir uns befinden, zu entkommen? Es wäre eine schlechte Hilfe, wenn man bloß widersprechen wollte, daß Gott das notwendig existierende Wesen ist. Denn damit würde der eigentliche Urbegriff aufgehoben, den wir schlechterdings nicht aufgeben dürfen, soll unserm Denken nicht überall der feste Ausgangspunkt fehlen.

Gott als solcher ist freilich nicht bloß das notwendig oder blindlings existierende Wesen, er ist es zwar, aber er ist als Gott zugleich das, was dieses sein eignes, von ihm selbst unabhängiges Sein aufheben, sein notwendiges Sein selbst in ein zufälliges, nämlich in ein selbst-gesetztes verwandeln kann, so daß es im Grunde (der Grundlage nach) zwar immer besteht, aber effektiv oder in der Tat in ein anderes umgesetzt ist, oder so: daß jenem selbst-gesetzten zwar immer das notwendige zugrunde liegt, ohne daß das effektive, das wirkliche Sein Gottes bloß dieses notwendige wäre.

Die Lebendigkeit besteht eben in der Freiheit, sein eignes Sein als ein unmittelbar, unabhängig von ihm selbst gesetztes aufheben und es in ein selbst-gesetztes verwandeln zu können. Das Tote, in der Natur z.B., hat keine Freiheit, sein Sein zu verändern, wie es istMittel[39]allgemein allgemeinen