Klabund: Störtebecker

 

 

Klabund

Störtebecker

 

 

 

Klabund: Störtebecker

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Albrecht Dürer, Mann mit Barett, 1521

 

ISBN 978-3-7437-0363-6

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-0350-6 (Broschiert)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: 1926

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

Marlen blähte der Wind den blauweiß karierten Rock auf.

Sie stand in einer Tornische der Nikolaikirche, dickbäckig und dickbäuchig, die grellroten Hände stemmte sie in die Seite und schrie:

Zwetschgen! Zwetschgen!

Ein Echo von den Häusern her höhnte:

Zwetschgen! Zwetschgen!

Der Wind fegte eine Staubwolke über den Nikolaimarkt. Erst schlich sie über den Boden wie eine Blindschleiche. Dann wuchsen ihr Flügel. Sie rauschte auf und schlug wie der Vogel Phönix mit riesigen Flügelschlägen gegen die bemalten Fenster der Nikolaikirche, daß sie in den rostigen Angeln knarrten und der rote Sankt Sebastian und der grüne Sankt Makarius ihre Farbe verloren und braun bestäubt wie schmutzige Bettelmönche oder Lebkuchenmänner im gläsernen Oval standen.

Der Himmel blinkte schwefelgelb wie ein Katzenauge bei Nacht.

Der erste Blitz zuckte seine silberne Geißel und peitschte die Wolken, daß sie brüllend auseinanderstoben.

Marlen stand in der Nische und lachte.

Der Regen sauste vor ihr nieder.

Immer schneller zuckten die Blitze. Sie legte die breite Hand auf ihren Bauch. Der Herzschlag des Kindes, den sie schon spürte, und Blitz und Donner: das war ein Schlag, ein Klang, das ging im gleichen Takt.

Das wird ein wilder Junge werden, ein Blitzjunge, ein Donnerbursche.

Blitz und Donner knallten und zischten ineinander. Eine schlanke Feuersäule stieg auf. Der Blitz hatte in das Haus des Senators Stollenweber eingeschlagen. Fenster sprangen auf. Geschrei. Hilferufe. Lärm in allen Gassen und das Horn des Wächters vom Turm.

Marlen lachte.

Sie ballte die Faust.

Ihr Gesindel, ihr Lumpen, ihr Pack! Es hat bei euch eingeschlagen! Es war die strahlende Faust meines Sohnes, die auf euer morsches Gebälk niederfuhr! Er wird auf euch niederkommen wie Gottes Sohn. Er wird kein Jesus Christus sein, kein sanfter Engel, kein milder Prophet. Er wird das Licht der Liebe nicht eher entzünden, als bis er mit der Fackel des Hasses euch aus dem Bau geräuchert hat, den ihr aus unserm Schweiß, aus unserm Blut, aus unseren Leibern, aus unsrem Leben euch errichtet, und den unser Blut, unser Leben wieder niederringen muß. Ihr habt Gödeke an den Galgen gebracht, weil er den Menschen helfen wollte, zu Recht und Gerechtigkeit zu kommen. Aber der tote Gödeke wird in euern Häusern umgehen. Er wird bleich hinter eurem Stuhl stehn, wenn ihr tafelt, und er wird euch Vernichtung einschenken. Er wird euren Kindern in der Wiege die Seele vergiften mit Wolfsmilch und Rattenmilch. Eure Weiber werden mit bocksbeinigen und kalbsköpfigen Mißgeburten niederkommen, darum, daß ihr des Menschen Antlitz und Gestalt geschändet und habt aus Lämmern Wölfe und aus Eidechsen Drachen gemacht.

Ihr sollt an meinen Zwetschgen ersticken!

Der Regen sauste. Der Donner grollte nur noch wie ein ferner Hofhund.

Zwetschgen! schrie Marlen, Zwetschgen!

Unbeweglich wie ein steinerner Nepomuk stand der Wächter am Galgen. Die Hellebarde stach mit dem Schaft in die feuchte Erde, mit der Spitze in den Himmel. Ein Stern tanzte darauf wie ein Elmslicht.

Gödeke schwankte im Nachtwind.

Er hing die dritte Nacht und hatte Leben und Sterben schon vergessen. Er war tot, wie er einst lebendig gewesen war. Ein Rabe, der sein linkes Auge gefressen hatte, saß auf seinem kahlen Schädel. In der leeren Augenhöhle kroch ein brünstiger Glühwurm. Von Hamburg herüber schlug es zwölf Uhr. Von zwölf Kirchen hintereinander. Der Wächter zählte bis hundert, da war er im Stehen fest eingeschlafen.

Er schreckte auf.

Was war das für ein verdächtiges Geräusch? Er fällte die Hellebarde.

Wer da?

Marlen legte ihm von hinten die Hände über die Augen.

Rate, mit wem du zu tun hast!

Der Wächter fluchte. Mit des Teufels Großmutter wahrscheinlich. Verdammtes Weibsstück, laß los. Wer bist du?

Deine Freundin, sagte Marlen. Und wenn du willst, deine Geliebte.

Sie riß ihn zu sich heran, daß die Hellebarde ins Gras fiel und er nach Atem schnaufte. Als er seine Arme frei spürte, suchte er nach ihren Brüsten. Er schälte sie aus dem groben Leinenhemd wie Früchte. Sie fielen neben der Hellebarde ins Gras, das noch feucht war vom Gewitter. –

Du bist schwanger, sagte der Soldat.

Sie lagen im Gras und sahen in den Himmel, wo die Sterne verschlafen blinzelten wie sie selbst.

Ja, sagte Marlen, ich bekomme ein Kind.

Von wem? fragte der Soldat.

Von meinem Mann, sagte Marlen.

Und wer ist dein Mann? fragte der Soldat.

Marlen zeigte mit spitzem Knöchel nach oben.

Der da!