Mathilda Grace
Mit anderen Augen
Mein Geschäft ist der Tod. Seit zwölf Jahren töte ich Menschen für Geld und ich bin gut darin. So gut, dass man mir vor 4 Jahren zehn Millionen Dollar für den Kopf eines Geschäftsmannes geboten hat. Ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Ein Fehler, der mich heute alles kosten kann.
Ein großes Dankeschön gilt meinen Testlesern
Corina & Siam & Siri
für ihr gutes Auge und ihre Zeit.
Impressum
© 2015 Mathilda Grace
Am Chursbusch 12, 44879 Bochum
Text: Mathilda Grace 2012
Fotos: Gert Altmann ; Pixelio
Coverdesign: Mathilda Grace
Korrektorat: Sprachwelten
Web: http://mathilda-grace.blogspot.de/
Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.
Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden.
Meine Mutter hat mir als Kind immer gesagt, dass es keine Monster gibt.
Mit Vierzehn begriff ich, dass sie sich geirrt hatte, als ich sie eines nachmittags in ihrem Blut liegend auf unserem Küchenboden vorfand. Ermordet von meinem Vater, im Streit um ein bisschen Haushaltsgeld.
Mit Achtzehn hatte ich als Stricher genügend Geld verdient, um im Knast einen Lebenslänglichen anzuheuern und meinen Vater töten zu lassen.
Mit Neunzehn ging ich zur Armee, um das Töten richtig zu lernen.
Mit Dreiundzwanzig erledigte ich meinen ersten Mordauftrag.
Mit Siebenundzwanzig gehörte ich zu den Top-Five weltweit, sobald es darum ging, unliebsame Leute schnell und effizient zu entsorgen.
Mit Einunddreißig tötete ich einen älteren, reichen Geschäftsmann mit seiner jungen Geliebten für zehn Million Dollar.
Jetzt bin ich Fünfunddreißig und aus mir ist ein Gejagter geworden.
Ich werde von einem jungen Mann gesucht, der der einzige Sohn dieses toten Geschäftsmannes ist und seit seinem einundzwanzigsten Geburtstag jeder noch so kleinen Spur folgt, um mich zu finden.
Vielleicht will er Rache für seinen Vater, wer weiß.
Ich habe keine Ahnung, warum er nach mir sucht. Aber ich bin neugierig genug, den Spieß umzudrehen.
Es wird Zeit, ihm einen Besuch abzustatten.
Vielleicht ist dieser Junge mehr wert als sein Vater es war.
Menschen für Geld zu töten, ist ein einträgliches Geschäft. Ich muss es wissen, denn ich mache diesen Job jetzt seit zwölf Jahren. Für meine Branche ist das viel. Auftragsmörder leben allgemein nicht lange. Nur die Besten halten zehn Jahre und mehr durch. Ich gehöre zu diesen Besten, das behaupten zumindest meine Kunden. Mir ist es egal. Sie bezahlen und ich töte. Ein reines Geschäft. Ich kenne sie nicht und sie kennen mich nicht. Es gibt keine Namen und keine Gesichter. Es gibt nur das Internet, sichere E-Mails, Postfächer und Bankkonten überall auf der Welt.
Mein Leben besteht aus Ziffern und Namen, die mir nicht gehören, und einer von diesen Namen hat ihn auf meine Spur gebracht. Jannik Whistler, der einzige Sohn von Richard Whistler, einem meiner Opfer. Whistler war ein Geschäftsmann und ein Arschloch, wie er im Buche stand. Ehebrecher, Dieb, Steuerhinterzieher – er hat Millionen Dollar am Fiskus und seinen Geschäftspartnern vorbeigeschleust. Den Fiskus kann man betrügen, wenn man gut genug dafür ist. Von der Yakuza sollte man in der Hinsicht allerdings die Finger lassen.
Richard Whistlers Leben war seinen geprellten Geschäftspartnern zehn Millionen Dollar wert.
Ich habe nicht mal eine Kugel an ihn verschwendet. Mein Messer tat es auch und vor allem war es weitaus effizienter.
Selbst mit Schalldämpfer machen Pistolen und Gewehre viel zuviel Krach, hinterlassen beim Schießen verwertbare Spuren und wenn man Pech hat, überlebt das Opfer einen Kopf- und Herzschuss sogar noch. Das kommt zwar nur äußerst selten vor, ist aber möglich. Ein Messer ist persönlicher. Man muss ganz nahe ran und hat den Blick bis zum Schluss auf das Opfer gerichtet.
Ich weiß, dass ich mit dieser Einstellung zu den Exoten gehöre. Die meisten Auftragsmörder bevorzugen Kugeln, einige experimentieren gern mit Giften herum, wieder andere nehmen ihre bloßen Hände. Ich spiele bevorzugt mit scharfen Klingen. Bei Whistlers Geliebter war das allerdings nicht nötig. Ein gezielter Schlag in ihren Nacken und das darauffolgende Knacken machte deutlich, dass der Kollateralschaden später mit gebrochenem Genick in der Leichenhalle liegen würde.
Ich habe den Job erledigt und Whistler vergessen.
Bis vor drei Monaten der Alarm an einer meiner falschen Identitäten losging, zu der neben einem Bankkonto, ein Haus in New York und ein Motorrad gehören.
Ich gestehe, ich war überrascht.
Die ersten zehn Sekunden, nachdem bei meiner Suche nach dem Grund des Alarms der Name Jannik Whistler auf meinem Bildschirm erschien, war ich ehrlich erstaunt. Nie zuvor war mir jemand so nahe gekommen. Wobei ich zugeben muss, dass auch noch niemand einen Grund dafür hatte. Doch der Junge hatte einen und er war gut. Nicht nur der Grund für seine Suche, sondern Jannik Whistler selbst.
Ein kleiner Computerfreak, vollkommen naiv in seiner Schnüffelei nach mir und dabei offenbar fest entschlossen, mich zu finden, egal wie lange es dauern würde. Dass ich für solche Fälle vorgesorgt hatte, schien ihm gar nicht in den Sinn zu kommen. Er schien auch keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass er mich mit seiner Suche nach mir alarmieren könnte. Allerdings stellte er sich wirklich nicht dumm an und deshalb war ich erstaunt und zugleich amüsiert.
Ich behielt ihn im Auge.
Es dauerte ein paar Stunden, bis ich herausfand, wie mir der Junge überhaupt auf die Schliche gekommen war. Mit einer Engelsgeduld hatte sich Whistler in die Datenbanken der Polizei gehackt und sich die Akte über den Mord an seinem Vater unter den Nagel gerissen. Inklusive der Passagierlisten von Flug 384 aus London, Heathrow, mit dem ich damals über New York City hergekommen war. Das war in den Augen der Polizisten nie von Bedeutung gewesen, für Jannik Whistler allerdings schon.
Er hatte den Namen Sergej Romanov gelesen, sich aus irgendeinem Grund darüber gewundert und herausgefunden, dass derselbe Sergej Romanov zwei Tage nach dem Mord in ein Flugzeug zurück nach New York City gestiegen war, um von dort aus nach London zu fliegen.
Dass Sergej Romanov, ein russischer Geschäftsmann aus Moskau, ein Haus außerhalb von Albany besaß, hatte die Polizei ebenfalls nicht weiter gestört. Meine falsche Identität war ein reicher Geschäftsmann mit perfekten Papieren. Niemand hätte mir daraus einen Strick drehen können, aber um ehrlich zu sein, bestand die Gefahr ohnehin nicht.
Cops scheren sich nicht sonderlich um ermordete Geschäftsmänner, die jede Menge Dreck am Stecken hatten, wie Richard Whistler. Auch wenn die Polizei das nicht gerne hört, ist es meine Erfahrung aus den letzten zwölf Jahren und ich habe sie oft genutzt. Whistlers Sohn war anders. Was immer ihn an dieser Sache gestört hat, sein Name und genügend Geld machten es möglich. Jannik Whistler hat sich auf die Suche nach Romanov gemacht und das hat mein Sicherheitssystem Alarm schlagen lassen.
Ich wartete ein paar Wochen ab und ließ Sergej Romanov bei einem Autounfall sterben.
Eine Woche später bekam ich die Nachricht, dass unbekannte Täter seinen Sarg ausgegraben hatten.
In dem Augenblick wurde mir bewusst, dass Jannik Whistler nicht so schnell aufgeben würde. Also drehte ich den Spieß um und forschte genauer nach. Ich wollte wissen, ob er mir gefährlich werden konnte. Was ich über ihn herausfand, war weder aufregend noch sonderlich besorgniserregend.
Whistler war siebzehn Jahre alt, als ich seinen Vater tötete.
Jetzt ist er einundzwanzig und auf der Suche nach dem Tod. Nach mir. Er hat eine Mutter und eine Schwester, sie leben in Washington. Seine Mutter gibt das Vermögen ihres Mannes mit vollen Händen aus und das Mädchen studiert. Der Junge hat das College mit Bestnoten abgeschlossen, ein ungenutztes Stipendium für Harvard in der Tasche und einen Kater namens Bob.
Keine Bedrohung, entschied ich und nahm einen neuen Job an.
Seit vier Wochen bin ich nun zurück in den USA, um drei weitere Identitäten ärmer und mit der späten Erkenntnis, dass ich mein erstes Urteil über Jannik Whistler revidieren muss. Er ist eine Bedrohung und ich mag keine Bedrohungen.
Aus diesem Grund bin ich jetzt hier. Auf dem Hausdach gegenüber eines Mehrfamilienhauses mitten in Baltimore, in dem Whistler seine Wohnung hat. Es ist gleich Mitternacht und seit ich bei Einbruch der Dunkelheit hier eintraf, sitzt er vor dem Computer. Er hat sich eine Pizza bestellt, war zweimal im Bad, hat seinen Kater gefüttert und das Katzenklo saubergemacht.
Whistler hält die Wohnung sauber, nur seine Küche sieht aus wie ein Saustall. Woher ich das weiß? Ich war drin. Letzte Nacht, als er schlief. Gestern hatte er keine Pizza, sondern asiatisch, ansonsten war der Zeitverlauf der Gleiche. Heute Nacht, sobald er im Bett ist, werde ich seinen Computer anzapfen, um herauszufinden ob und wie viel er wirklich über mich weiß.
Man sollte seine Feinde kennen, bevor man sie ausschaltet. So spart man sich viel Ärger und vermeidet unliebsame Überraschungen. Eine der obersten Regeln als Auftragskiller. Ich habe sie auf die harte Tour gelernt, denn als Anfänger macht man Fehler. Wer sie überlebt, lernt daraus. Wer nicht, ist tot. Ich habe den Angriff überlebt, als sich eines meiner Opfer als Kampfsportexperte herausstellte. Auch wenn ich die folgenden Monate pausieren musste, um meine gebrochenen Knochen zusammenwachsen zu lassen.
Danach habe ich nie wieder den Fehler begangen, einen Job ohne gute Recherche in Angriff zu nehmen.
Bei Jannik Whistler hat mir diese Recherche bisher gebracht, dass der Junge mit dem Computer umgehen kann, dass er keine Ahnung hat, wen er eigentlich sucht, und dass er seinen Kater liebt. Was ihn mir im normalen Leben wohl sympathisch machen würde, denn ich mag Tiere. Alle. Auch die giftigen und hässlichen. Tiere nehmen den Menschen, wie er ist und sie zeigen dir, wenn du in ihren Augen Mist gebaut hast. Wenn ich lange genug lebe, um diesen Job hinter mir zu lassen und mich zur Ruhe zu setzen, werde ich ein Haustier haben. Vielleicht sogar mehrere.
Fürs Erste würde mir ein Kater wie Bob reichen. Mit dem schwarzen Fell und einem Schnurren, das lauter ist als Whistlers Kühlschrank, wie ich gestern Nacht festgestellt habe, wäre er das perfekte Haustier. Er hat sich ohne zu zögern von mir streicheln lassen und sich danach wieder zu seinem Herrchen ins Bett gelegt, während ich mir dessen Wohnung genauer angesehen habe.
Das kann ich mir heute sparen. Ich weiß bereits, wo ich alles finde, daher führt mich mein Weg eine Stunde später ohne Umwege an den zugekramten Schreibtisch. Es dauert keine fünf Minuten die Festplatte zu kopieren und ein Programm einzuschleusen, das dafür sorgen wird, dass Whistlers Computer morgen so sauber und aufgeräumt starten wird, wie bei einem Neukauf.
Komplettlöschung. Sicher. Schnell. Aber vor allem nicht rückgängig zu machen.
Whistler wird sich zwar denken können, wem er das zu verdanken hat, aber was macht das schon?
Auf dem Rückweg zur Wohnungstür höre ich ihn im Schlaf seufzen. Was mich dazu verleitet, weiß ich nicht, aber statt zur Wohnungstür raus, gehe ich ins Schlafzimmer, um einen Blick auf ihn zu werfen. Er wühlt im Bett. Das ist mir gestern schon aufgefallen, aber heute Nacht sieht es so aus, als hätte er vor dem Schlafengehen einen Ringkampf geführt. Und das nach gerade mal einer Stunde, die Whistler im Bett liegt. Ich möchte nicht wissen, wie es morgen früh aussieht.
Als er sich umdreht, ziehe ich mich in eine dunkle Ecke des Raums zurück. Ich hätte mich nie hinreißen lassen dürfen, sein Schlafzimmer zu betreten. Jedenfalls nicht, wenn er im Bett liegt. Man besucht seine Opfer im Schlaf, um sie zu töten und nicht um sie zu beobachten.
Bob maunzt, springt vom Bett und streicht mir um die Beine. Ich müsste ihn ignorieren, aber wenn er jetzt keine Streicheleinheiten von mir bekommt, wird der Kater lauter werden und dann habe ich ein ernsthaftes Problem. Also gebe ich nach und hocke mich hin, um ihn zu streicheln. Er fängt an zu schnurren und stubst mit dem Kopf mein Knie an. Verwöhntes Tier. Aber ich kann nicht anders, als innerlich zu lächeln, weil der Kater genauso ist wie ich. Er nimmt sich, was er will.
„Bob?“
Whistler setzt sich im Bett auf und streckt einen Arm nach seiner Nachttischlampe aus. Im selben Moment greife ich nach der Beretta unter meiner Jacke und entsichere sie. Das Geräusch ist unüberhörbar. Er erstarrt in der Bewegung, lauscht und wartet ab. In der dunklen Zimmerecke kann er mich nicht sehen, aber es ist der einzige Ort im Schlafzimmer, wo ich mich befinden kann, ohne vom matten Schein der Straßenlaternen draußen erfasst zu werden.
Whistler weiß das. Er ist ein Computerfreak, der zwar keine Ahnung hat, an wessen Fersen er sich geheftet hat, aber er ist kein Dummkopf. Vielleicht war mein Eindringen hier doch nicht so schlecht. Vielleicht kann ich ihm klarmachen, dass er sterben wird, wenn er nicht aufhört, nach mir zu suchen.
„Hör' auf, mich zu suchen.“
Er zuckt heftig zusammen. Mehr als ich erwartet habe, immerhin sucht er nach einem Mörder. Was hat er geglaubt? Dass seine Suche nach mir unentdeckt bleibt? Ich warte, bis er sich gefasst hat, dann lässt er den Arm sinken und schüttelt dabei den Kopf. Eine eindeutige Antwort.
„Willst du unbedingt sterben, Kleiner?“
„Ich werde dich suchen, solange ich lebe.“
Seine Angst ist unüberhörbar, aber er meint, was er sagt. Ich weiß nicht, was ihn antreibt, aber er wird nicht aufgeben. „Rache ist kein guter Ratgeber.“
„Du hast ihn umgebracht“, wirft Whistler mir vor, was mich mit den Schultern zucken lässt. Eine Tatsache, die ich kaum leugnen kann. Der Tod seines Vaters war ein Geschäft, nicht mehr.
„Und?“
„Und?“, wiederholt er verblüfft. „Das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Und?“
„Ich bin ein Auftragskiller, Whistler. Menschen umzubringen ist ein Geschäft für mich.“
„Wie viel haben sie dir bezahlt?“, fragt er und irritiert mich damit, aber ich lasse es mir nicht anmerken.
„Warum willst du das wissen?“
„Sag' es mir!“
Ich weiß zwar nicht, was daran interessant ist, aber allein die Frage macht mich neugierig. Der Junge will auf irgendetwas Bestimmtes raus und ich will wissen, zu was das hier fühlt. „Zehn Millionen.“
Kurzes Schweigen.
„Ich hätte dir mehr bezahlt.“
Wie bitte? Ich bin vollkommen verblüfft. Mit so einer Antwort habe ich nicht gerechnet. Ich habe in meinem Leben schon einiges gehört und vor allem gesehen, aber diese fünf Worte sind wirkungsvoller als jede Kugel im Körper es sein könnte. Er muss seinen Vater genauso gehasst haben wie ich meinen, welchen Grund könnte er sonst für so eine Aussage haben?
Ich frage nicht nach. Nicht, weil es mich nicht interessiert, denn das tut es, aber es gibt etwas Anderes, das mir wichtiger ist, als zu erfahren, warum der eigene Sohn seinen Vater tot sehen wollte. Whistler muss einen Grund gehabt haben, ausgerechnet bei meiner falschen Identität nachzuhaken und da ich schon mal hier bin und mit ihm rede, kann er mir auch sagen, was ihn an Romanov irritiert hat.
„Wie bist du auf Romanov gekommen?“
Er stutzt, streicht sich durch die vom Schlaf verwuschelten Haare. „Es war der Name.“
Die Erklärung reicht mir nicht. „Warum?“
„Sergej Romanov, das ist russisch“, wird Whistler genauer. „Und ich habe ein Gespräch belauscht, eine Woche, bevor du ihn ermordet hast. Mein Vater sagte zu jemandem am Telefon, dass er sich nicht von einem Russen einschüchtern lassen würde.“
Richard Whistler wusste von dem Mordauftrag gegen ihn? Das ist mir neu und es beschert mir eine Gänsehaut. „Woher wusste er von Romanov?“
Der Junge schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, was er wirklich von dir wusste. Er hat nur gesagt, er hat Ärger mit ein paar Japanern und dass die ihm einen Russen schicken würden, um irgendein Geschäft zu machen.“
Das würde zu meinen Erfahrungen passen. Die Yakuza droht gerne und sie gibt gern letzte Warnungen, bevor sich das Blatt wendet und die Sache ernst wird. Es ist sehr gut möglich, dass sie Richard Whistler auf diese Weise dazu bringen wollten, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Als er ablehnte, war er fällig.
Bob maunzt und springt zurück aufs Bett, wo er sich hinsetzt und anfängt sich zu putzen. Offenbar sieht er in mir keine Bedrohung und ich weiß, um ehrlich zu sein, nicht, wie ich das finden soll. Whistler fragt sich das ebenfalls, sein verwunderter Blick spricht Bände, aber gleichzeitig scheint sein Kater ihn etwas zu beruhigen. Der panische Ausdruck verschwindet langsam aus seinem Gesicht.
„Erschießt du mich jetzt?“, fragt er, als das Schweigen zwischen uns drückend wird, und streichelt Bob über den Kopf, der das mit einem lauten Schnurren kommentiert, bevor sich der Kater auf der Bettdecke zusammenrollt und mich ansieht.
„Nein.“
Keine Ahnung, warum ich das gesagt habe, aber Bob ist zufrieden, denn er gähnt und schließt die Augen. Irgendetwas läuft hier gerade mächtig schief.
„Warum nicht?“, will Whistler wissen.
„Ich bevorzuge Klingen“, ist meine ziemlich platte Antwort, obwohl sie der Wahrheit entspricht. Wenn ich in einem Mehrparteienhaus mit einer Waffe arbeite, kann ich sicher sein, in weniger als fünf Minuten die Cops vor der Tür zu haben.
Einen Polizisten habe bislang noch nicht getötet und ich möchte es sehr ungern tun. Ich habe nur wenige Prinzipien, aber Polizisten und Kinder stehen bei mir auf derselben Stufe wie Haustiere. Man tötet sie nur, wenn es sich wirklich nicht vermeiden lässt. Soweit musste ich bislang noch nicht gehen und ich hoffe, dass das so bleibt.
„Wie bei meinem Vater?“, reißt mich Whistlers Frage aus meinen Gedanken und ich nicke, bis mir im nächsten Augenblick einfällt, dass er das nicht sehen kann.
„Ja.“
Whistler schweigt, überlegt eine Weile und setzt sich dann in einen Schneidersitz. „Warum zwei Stiche? Die Polizei hat uns gesagt, schon der erste wäre tödlich gewesen.“
Das hat er nicht gefragt, oder etwa doch? Was will er? Wieso ist ihm das wichtig? Was ist zwischen Whistler und seinem Vater abgelaufen, dass er ihn erstens tot sehen wollte, mir zweitens sogar mehr als zehn Millionen bezahlt hätte, und mich jetzt sogar nach Details über den Mord fragt?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich darauf eine Antwort will.
„Zur Sicherheit“, sage ich daher schlicht, denn das gehört zu meinem Job. Prüfen und sichergehen, dass das Opfer wirklich tot ist, und wenn nicht, nachhelfen.
„Machen Auftragskiller das so?“
„Ja.“
„Haben die Japaner ihn umlegen lassen?“
„Wenn ich dir das beantworte, muss ich dich töten“, weiche ich einer Antwort aus, denn langsam aber sicher behagt mir unser Gespräch nicht mehr.
„Das wirst du doch sowieso, also kannst du es mir auch sagen.“
Whistler hat eine interessante Logik, das muss ich zugeben, aber sie bestätigt auch mein Unwohlsein. Ein seltsames Gefühl im Magen, das mich immer davor warnt, wenn etwas nicht stimmt, und hier stimmt eine Menge nicht. Trotzdem kann ich nicht einfach gehen. Genauso wenig kann ich es hinter mich bringen und ihn aus dem Weg räumen, was ich muss, weil er ein Zeuge ist. Ich kann es nur nicht. Weiß der Geier warum, aber ich bringe es nicht fertig, das Messer zu ziehen und zu tun, was ich tun muss.
„Er hat sie um Geld betrogen. Um viel Geld“, erzähle ich Whistler stattdessen, was er vermutlich längst weiß.
„Also ja“, meint er dazu und kratzt sich an der Nase.
Mir dämmert, was das hier werden soll, denn Whistler trauert nicht um seinen Vater. Ganz im Gegenteil. Rache war niemals der Grund für seine Suche nach mir. Es stellt sich nur die Frage, was er dann von mir will? Allerdings bin ich auch bei dieser Frage nicht sicher, ob ich eine Antwort darauf hören will.
„Es ist dir egal, dass er tot ist, nicht wahr?“
Whistler zuckt die Schultern. „Er war nie da.“
„Das ist kein Grund für deine Aussage, dass du mir mehr bezahlt hättest als meine Kunden“, kontere ich, was ihn schnauben lässt.
„Für dich vielleicht nicht.“
Das ist nicht alles. Was immer zwischen seinem Vater und ihm war, es ging tief. So tief, dass er bereit war, dasselbe zu tun, was ich damals mit Achtzehn tat. Einen Mord in Auftrag zu geben. Ich weiß nicht, ob er jemals den Mut dafür gefunden hätte, wäre ihm die Yakuza nicht zuvorgekommen. Um ehrlich zu sein, bezweifle ich es, denn er scheint mir nicht der Typ Mensch zu sein, der mit einem Mord umgehen kann. Ich werde nicht nach dem wahren Grund für seine Aussagen fragen. Zumindest jetzt noch nicht. Aber ich werde ihn etwas Anderes fragen. Diese Nacht ist bereits so verrückt, da kommt es darauf nun auch nicht mehr an.
„Warum hast du nach mir gesucht?“
Whistler zögert kurz. „Ich wollte es wissen.“
„Was?“
Sein Blick schweift zum Fenster. „Meine Mutter hat mir als Kind immer gesagt, dass es keine Monster gibt. Jedenfalls keine wirklichen. Es gäbe nur solche Monster wie meinen Vater und jene, die ihn eines Tages umbringen würden. Ich wollte wissen, ob das stimmt. Ich wollte wissen, ob es Menschen wie dich wirklich gibt.“
So merkwürdig das klingt, ich glaube ihm. Und ich werde ehrlich darauf antworten, denn er verdient es. „Deine Mutter hat Recht.“
Whistler nickt, sieht auf Bob, zu mir in die Ecke und legt sich dann wieder hin. „Wenn du mich umbringst, würdest du es bitte ohne große Sauerei machen?“
„Warum?“
Er seufzt. „Weil ich kein Blut sehen kann.“
Er kann kein...? Himmel, ich muss sofort hier raus.
„Kümmerst du dich um Bob, wenn ich tot bin? Er mag dich.“
Darauf antworte ich Whistler nicht mehr, sondern verschwinde so lautlos aus der Wohnung, wie ich gekommen bin. Dieses Gespräch war merkwürdig. Schräg, fällt mir als Beschreibung ebenfalls ein. Ich weiß nicht, was dieser Junge an sich hat, aber ich bin irgendwie fasziniert von ihm. Ich meine, wer bittet denn einen Killer auf den eigenen Kater aufzupassen, wenn jener Killer ihn getötet hat? Vielleicht hat Jannik Whistler einen psychischen Knacks. Andererseits wird er das auch von mir denken, immerhin töte ich seit Jahren Menschen gegen Geld und wie die Allgemeinheit über Auftragskiller denkt, ist bekannt.
Ich habe mich nie so gesehen. Für mich ist das Töten einfach ein Geschäft und wenn es eine Moral gibt, dann habe ich sie in der Form, dass ich nur Leute töte, die es verdienen. Von den Kollateralschäden abgesehen, obwohl die selten sind. Aber darauf Rücksicht zu nehmen, kann ich mir nicht leisten.
Nun ja, ich bin offenbar doch ziemlich unmoralisch. Zumindest töte ich nicht jeden, vor allem keine Haustiere. Kater Bob muss das gespürt haben. Tiere haben einen sechsten Sinn für solche Dinge. Ich schätze, Whistler hat bei Bobs Verhalten mir gegenüber einfach die richtigen Schlüsse gezogen.
Wie gesagt, dumm ist der Junge nicht.
Ich bin es allerdings, fällt mir auf, denn ich habe seine Wohnung verlassen, mit einem lebenden Zeugen darin. „Verdammt!“
Eine späte oder eher frühe Passantin zuckt vor mir zusammen und eilt dann mit schnellen Schritten und viel Abstand an mir vorbei, während ich mich umdrehe und überlege, ob ich zurückgehen soll.
Nein, zu auffällig. Obwohl ich nicht glaube, dass Jannik die Polizei gerufen hat, sichergehen kann ich nun mal nicht und außerdem habe ich, weshalb ich ursprünglich gekommen bin. Die Daten von seinem Computer. Das Gespräch mit Whistler war ein Fehler. Ihn danach am Leben zu lassen der Zweite. Ich werde nicht zurückgehen und damit einen dritten machen. Erst will ich wissen, was er weiß. Wenn es zuviel ist, muss er verschwinden.
Ab sofort wird es keine Fehler mehr geben.
Fünf Tage halte ich durch. In der fünften Nacht stehe ich erneut in Whistlers Schlafzimmer, nachdem mir die Daten seines Computers verraten haben, dass seine Spur mit Sergej Romanov endete. Ich habe gefunden, was ich wissen muss. Er ist ein kleiner Computerfreak, aber Daten richtig zu sichern, hat ihm keiner beigebracht. Vor allem, sie verschwinden zu lassen, wenn man sie nicht mehr braucht. Ich habe alles über ihn gefunden. Kontodaten. Onlineprofile. Mails, die er sich mit einigen Leuten aus seiner alten Schule geschrieben hat.
Mails, die er mit einem Mitglied aus dem Vorstand der Firma seines Vaters getauscht hat, der ihm die Leute besorgte, um Romanovs Grab auszuräumen.
Der Mann ist ebenfalls keine Bedrohung. Er ist ein Dieb wie Richard Whistler es war, aber ansonsten ein kleiner Feigling. Woher ich das weiß? Ich hatte fünf Tage Zeit, mich zu informieren. Über seine Frau, seine zwei Kinder, seinen Terrier, der im Garten in einer Hundehütte haust, und Haushälterin Margo, die mehrmals in der Woche das Haus aufräumt und für die beiden Kinder kocht, weil ihre Mutter lieber auf irgendwelchen Partys unterwegs ist.
Ich habe darüber nachgedacht, ihn zu töten, aber das wäre zuviel Aufwand für nichts. Er weiß, dass er Unrecht getan hat und wird den Teufel tun, das zuzugeben, solange er nicht muss. Wenn ich ihm auf die Füße steige, würde er allerdings zu den Cops laufen und solche Aufmerksamkeit brauche ich nicht. Falls der Mann mir Ärger macht, verschwindet er, aber im Moment gibt es dazu keine Veranlassung.