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Tanz der Tiefseequalle

Stefanie Höfler, geboren 1978, studierte Germanistik, Anglistik und Skandinavistik in Freiburg und Dundee/Schottland. Sie arbeitet als Lehrerin und Theaterpädagogin und lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Ort im Schwarzwald. Zuvor erschien von ihr bei Beltz & Gelberg der Roman Mein Sommer mit Mucks, der für den Jugendliteraturpreis nominiert wurde.

Für alle meine Freunde

mit denen man sogar unter Wasser lachen kann

Stell dir mal vor, du würdest so aussehen«, sagt Melinda zu mir. Klar, sie spricht wieder mal aus, was alle anderen nur denken. Melinda eben. Die sagt dauernd Sachen, die man nicht sagen muss, weil jeder sie sehen kann. Ich sag nichts, kicher nur ein bisschen. Kann mir echt nicht vorstellen, so auszusehen wie Niko. Aber klar starr ich ihn auch weiter an und schäm mich ein bisschen dafür. Ist allerdings ein nicht ganz ernst gemeintes Schämen, weil es zu einem guten Stück mit Erleichterung vermischt ist. Nämlich, dass ich nicht so ausseh wie Niko. Dass er Pech gehabt hat und ich Glück. Das Leben ist ungerecht. Ziemlich fies, ich weiß.

Niko steht mitten auf der Wiese. Da lungert die halbe Schule in der Pause rum, sobald es über 17 Grad ist. Aber Niko steht da jetzt nicht freiwillig rum. Wer so aussieht, stellt sich nicht in die Mitte auf die Wiese. Kann ihn ja jeder sehen. Und sehen heißt in seinem Fall anglotzen.

Eigentlich heißt er Nikolaus. Kein Wunder, dass er sich lieber Niko nennt, sieht ja aus, wie ein junges Walross. Nicht schwabbelig-dick, eher fest, wie diese Gummitiere im Freibad, prall aufgeblasen. Ist einfach insgesamt zu viel dran an seinem Körper. Dann weiße Haut, wie Papier, obwohl man nie viel davon zu sehen bekommt. Meistens ist er in langen Hosen und Pullover. In dunklen Farben, dunkelblau, schlammbraun und so. Klar, der will verstecken, was geht.

Es ist jetzt nicht so, dass ich mir dauernd Gedanken über Niko mach. Ich vergess ihn immer, wenn nicht grad so was wie heute passiert. Auch wenn er in meiner Klasse ist, hatte ich eigentlich noch nichts mit ihm zu tun. Seine tiefe Stimme, die hat mich aber schon überrascht, weil irgendwie wart ich wegen dem schwammigen Körper immer auf was Quietschendes, Wabbeliges. Kann eine Stimme wabbelig sein? Ist jedenfalls richtig tief und klar, die Stimme, irgendwie angenehm.

Ja gut, und die Sache im Sportunterricht vor Kurzem. Dass der Dicke es im Sport nicht leicht hat, damit muss er rechnen. Die Aktion mit dem Handtuch war aber überdurchschnittlich fies. Fand ich nicht okay, dass die andern ihm die Kleider weggenommen haben, während er geduscht hat. Und er musste dann im Handtuch über den ganzen Sportplatz. Im Sekretariat haben die ihm irgendwelche Kleider aus der Fundkiste gegeben, die hatte er dann den Rest des Tages an. Haben ihm natürlich nicht gepasst, sah aus wie ein zu fest gestopfter Boxsack, weil dem passen ja keine normalen Kleider. Kam er also in den zu kleinen Kleidern zu spät in Mathe, die Hose konnte er nicht mal richtig zumachen, und alle wussten schon Bescheid. Weil Marko die ganze Geschichte natürlich schon in der Pause rumerzählt hatte. Aber Niko, der kam ins Klassenzimmer, als wär nichts passiert. Sah nicht mal verheult aus. Hat sich einfach auf seinen Platz gesetzt mit der offenen Hose – muss man sich mal vorstellen, irgendwie fast schon cool. Die meisten haben natürlich gelacht, als er reinkam. Okay, ich auch, bisschen jedenfalls. Mitgelacht eben. Obwohl ich’s nur mittelwitzig fand. Sagen wollt ich aber auch nichts, vielleicht wegen Marko.

Marko, der ist das exakte Gegenteil von Niko. Marko macht Leichtathletik und hat so was Ähnliches wie den Sixpack, den alle Jungs unbedingt haben wollen. Und in Sport hat er natürlich keine Probleme, dafür in Mathe und Deutsch. Dann natürlich die lässige Frisur, so dicke schwarze Haare, seitlich ausrasiert und vorne fallen sie in die Stirn. Seit er diese Frisur hat, haben sich mindestens drei andere aus der Klasse dieselbe Frisur schneiden lassen. Blöde Ideen hat er dauernd, der geht allen Lehrern auf die Nerven. Manchen von uns auch, mir zum Beispiel, jedenfalls manchmal. Anscheinend findet er mich gut. Melinda sagt, wir könnten das Traumpaar der Klasse werden. Klingt ein bisschen neidisch, wenn sie das sagt. Ich weiß nicht. Hab noch nie einen Freund gehabt. Weiß ehrlich gesagt nicht mal, ob ich einen will. Marko, na ja, ich find den schon auch irgendwie gut. Alle finden den gut.

Und dass Niko da jetzt mitten auf der Wiese steht, hat auch wieder was mit Marko zu tun, ist ja klar. Marko, Jan und ein paar andere haben Nikos Rucksack hoch in den Baum geworfen und jetzt lachen sie sich natürlich halb tot.

»Bin gespannt, was er jetzt macht.« Melinda kaut auf ihren Fingernägeln rum. Neonpink, halb abgeblättert. Dann bindet sie sich die Haare zum Pferdeschwanz. Die sind schwarz. Muss mich noch dran gewöhnen, gestern war sie noch blond. Melinda wechselt oft die Haarfarbe. Jetzt sieht sie so aus, wie wenn sie ihre Lieblingsserie anschaut. Halb gelangweilt, halb interessiert und dabei total gechillt. Und ich seh wahrscheinlich so ähnlich aus. Wir sitzen auf der kleinen Mauer neben der Wiese und gucken in dieselbe Richtung.

Ziemlich weit oben im Baum baumelt Nikos Rucksack, himmelblau vor himmelblau. »Räuberleiter«, sag ich. Melinda kichert. Ich fass mich gern kurz. Fällt meistens gar nicht so auf, weil die anderen reden umso mehr.

Niko steht unter dem Baum, Hände in den Hosentaschen, und schaut nach oben. Wenigstens macht er nicht den Fehler, zu springen, um irgendwie an seinen Rucksack ranzukommen. Das wär peinlich, weil ihm dann sicher auch noch das T-Shirt aus der Hose rutschen würde und man seinen Walrossbauch sehen könnte, wie er auf und ab wippt. Und dann: Lachflash auf der ganzen Wiese. Und falls er den Rucksack dann wirklich irgendwie runterbekäme, ist ja klar, dass Marko ihn gleich noch mal hochwerfen würde. An Nikos Stelle würd ich also auch erst mal warten, bis alle weg sind.

Muss echt die Ruhe weg haben, der Typ. Der sieht gar nicht aufgeregt aus. Vielleicht spielt er gerade verschiedene Möglichkeiten durch, wie er wieder an seine Sachen rankommt. Aber mal ehrlich, viele Möglichkeiten hat er nicht. Nicht halb so viele Möglichkeiten wie jemand, der dünn ist, jedenfalls. Ich, ich würd natürlich hochklettern. Würd aber vorher auch warten, bis alle weg sind. Muss ja nicht jeder wissen, dass ich gern auf Bäume kletter.

Es klingelt, Ende der Mittagspause. Ich such meine Sachen zusammen, schiel aber weiter zu den Jungs rüber. Niko steht immer noch da wie angewachsen und schaut hoch zum Rucksack. X-beinig, hängende Arme, rostbraunes Schlabberoberteil, Jeans hinten am Arsch bisschen heller und ausgebeult.

»Hypnose, oder was ?«, murmelt irgendwer neben mir. Allgemeines Gelächter.

Melinda grinst. »Kommst du, Sera ?«, fragt sie mich, als ich mich nicht gleich bewege.

Ich glaub, ich würd jetzt heulen, wenn ich der wäre. Ich seh Marko, wie er ganz nah an Niko ranschlendert, sich die Haare aus dem Gesicht schleudert und grinst. »Ist echt ein super Kletterbaum«, sagt er laut zu Niko.

Ich bin beinahe sofort auf die Idee mit dem Sprunganzug gekommen. In den Anzug aus Naturkautschuk würde man von oben hineinsteigen, und unten an den Füßen wären zwei Sprungfedern, die so sensibel auf Druck reagieren, dass man damit genau so hoch springen kann, wie es gerade nötig ist. An der Seite des Anzugs wären mehrere feinmotorische Tentakel befestigt, die automatisch nach dem Gegenstand greifen, an den man ohne Sprunganzug niemals herankäme. Der Anzug wäre maximal dehnbar und würde sich dem Körper ideal anpassen, sodass jeder, der ihn benutzen möchte, hineinpasst, ohne den Bauch schmerzhaft einzuquetschen. Auch ich.

Der Ahornbaum, der mitten auf der trostlosen Wiese vor unserem Schulgebäude steht, ist circa zehn Meter hoch und hat eine breite Krone mit buschigem Blattwerk, in der hier und dort Luftballonfetzen hängen, ein paar einsame Schnüre, ein komplett durchlöcherter rosa Kinderhandschuh und eine hellblaue Jungenunterhose (ausnahmsweise nicht meine). Etwas unterhalb von der Stelle, an der der erste Ast entspringt, ist der Stamm mit rotem, blauem und gelbem Garn umhäkelt – eine Art Anti-Schulhofgrau-Verzierung. Mein Rucksack hängt knapp über der Häkelei. Mit dem multifunktionalen Sprunganzug spränge ich problemlos so hoch, noch bevor Marko und allen anderen die Augen aus dem Kopf fallen würden.

Es ist jetzt nicht so, dass ich in den letzten acht Minuten nur den Sprunganzug erfunden habe. Vielmehr habe ich eine Auswahl an Möglichkeiten in Betracht gezogen, meine Sachen wieder vom Baum herunterzubefördern, zum Beispiel einen vollautomatischen Roboteraffen oder die stoffmagnetische Riesenpfanne. Der Sprunganzug gefällt mir aber am besten. Bloß stehen im Augenblick weder Sprunganzugmaterialien noch besonders viel Zeit zur Verfügung. Also warte ich auf das Klingeln und damit logischerweise darauf, dass alle anderen ins Schulgebäude gehen.

Ich gehe zum Hausmeister. Herr Krauss macht schon auf, bevor ich klingeln kann. »Nikolaus   ! Guten Morgen.« Seine Glatze glänzt. Aus seiner Wohnung strömt mir die übliche etwas gewöhnungsbedürftige Geruchsmischung aus frischer Wäsche und gerösteten Zwiebeln entgegen.

»Guten Morgen«, sage ich brav, obwohl gerade die Mittagspause vorbei ist. »Haben Sie ein langes Seil für mich?«

»Klar.« Er hat das aufgewickelte Seil schon in der Hand. In der anderen hält er eine leere Kabeltrommel.

»Ich dachte, die kannst du daran festbinden«, erklärt er lächelnd. »Soll ich dir helfen?«

»Nein, danke. Ich glaub, ich schaff es alleine.«

»Die Sachen kannst du mir nachher einfach wieder hinstellen«, sagt er und zeigt auf den dunkelroten Fußabtreter, nickt mir zu und schließt leise die Tür.

Ich brauche nur zwei Anläufe, bis ich den Rucksack an der richtigen Stelle treffe und er mitsamt ein paar kleinen Ästen neben mir zu Boden geht. Heute ist mein Glückstag, nicht mal mein Apfel ist Matsch, denn der Rucksack ist zufällig auf der richtigen Seite gelandet. Ich komme auch nur ein bisschen zu spät in den Unterricht. Das sind meine Lehrer gewöhnt. Keiner stört sich besonders daran und so kann ich in Mathe jetzt gleich eine detaillierte Skizze des Sprunganzugs machen. Es ist schließlich durchaus wahrscheinlich, dass ich ihn noch mal brauche, und besonders nützliche Erfindungen skizziere ich immer direkt, für eine bisher undefinierte Zukunft, in der ich Gelegenheit haben werde, alle meine Erfindungen zu realisieren.

Natürlich könnte ich behaupten, dass ich selber gar nicht daran denke, dass ich dick bin, nur wäre das leider gelogen. Mir ist voll und ganz bewusst, dass ich eine Figur wie ein Michelin-Männchen habe: massive Schultern, stämmige Beine, die wegen des Gewichts von hinten ein leichtes X formen, und speckige Knie mit Grübchen wie bei einem Baby. Meine Hosen sind so groß, dass eineinhalb Leute darin Platz finden würden. Ich bin mir ebenfalls darüber im Klaren, dass mich manche Leute in der Klasse Mondgesicht nennen und andere noch viel unangenehmere Namen für mich haben. Ich bin ja nicht blöd. Manche Schimpfwörter hat todsicher jeder Dicke schon mal gehört, die kann ich nach ihrer Häufigkeit sortiert aufsagen: fette Sau, Fettsack, dickes Schwein, Tonne, Obelix, Dampfwalze. Dämlich, aber wenigstens einfallsreicher sind: Doppelarsch, Fettauge oder Schweinebauch. Und dann gibt es auch noch die ganz originellen Beschimpfungen wie zum Beispiel »Von hinten sieht er aus wie ein Panzer !« oder »Du bist so dünn, wie ein Hundeschiss lecker ist«.

Ich höre immer, was andere über mich reden – wie ein Elefant, von dem man sagt, dass er trotz (warum eigentlich trotz?) seiner imposanten Größe besonders empfindlich ist. Allerdings sind bei mir nur die Ohren empfindlich, ansonsten finde ich mich relativ robust. Ich ignoriere Spitznamen und Angriffe, so gut ich kann. Und ich kann es eigentlich gar nicht so schlecht. Seit ein paar Jahren habe ich sogar das mit dem Heulen ziemlich gut unter Kontrolle. Nicht mal, als die anderen nach dem Sportunterricht meine Kleider geklaut haben, habe ich geheult, obwohl es das Schlimmste war, was mir passiert ist, seit ich auf diese Schule gehe, auf jeden Fall mindestens fünf Mal so schlimm wie jetzt der Rucksack im Baum.

Osman sagt, Sachen erfinden kann man auch, wenn man dick ist, womöglich sogar besser, weil man nicht über die Hälfte seiner Lebenszeit damit vergeudet, seinen eigenen Körper zu bewundern oder dafür zu sorgen, dass andere ihn bewundern. Und weil man im Alltag viel öfter improvisieren muss als ein Dünner und somit ständig seine Fantasie trainiert. Und Osman muss es wissen, denn immer, wenn in seiner winzigen Auto-werkstatt gerade nichts los ist, verschwindet er nach hinten in seinen Abstellraum und bastelt irgendwelche Gerätschaften zusammen, die man für absolut alles oder absolut nichts verwenden kann. Osman ist es nämlich, der mich mit seiner Begeisterung für verrückte Erfindungen überhaupt erst angesteckt hat. Das war kurz nachdem ich hierher zu Großmama gezogen bin und ziemlich bald angefangen habe, fast jeden Nachmittag in seiner Werkstatt herumzulungern, die gleich um die Ecke ist. Osman kennt sich also aus mit absurden Erfindungen. Vor allem aber kennt er sich aus mit Dicksein – denn er ist schon fünfzehn Jahre länger dick als ich.

Jetzt mach ich mir echt Gedanken um Niko. Keine Ahnung, wieso plötzlich. Frag mich, ob er schon immer so war, so dick. Oder warum er eigentlich dick ist. Gibt ja so Krankheiten, da kann der Körper das, was man isst, nicht richtig verwerten oder so. Oder er hat Fresssucht, das ist so was wie das Gegenteil von Magersucht. Da kann jemand einfach nicht aufhören zu essen, weil er irgendein Problem hat. Vielleicht ist es auch vererbt und der hat einfach dicke Eltern. Hab sie zwar noch nie gesehen, aber ich stell mir vor, dass ich sie sofort erkennen würde. So wie bei meiner Familie, wo man’s auch sofort sieht, dass wir zusammengehören. (Hauptsächlich an der Flut aus schwarzen Haaren !) Kann mich gar nicht mehr auf Mathe konzentrieren.

Da kommt er rein, Niko, ganz normal. Setzt sich hin, ohne Entschuldigung. Stuhlächzen. Alle gucken kurz. Die Lehrer sagen nie was. Ist ja auch klar, warum der zu spät kommt. Die Lehrer, die haben sicher auch Angst, dass Nikos Eltern sich beschweren, egal, ob die jetzt dick sind oder nicht. Mobbing, Diskriminierung und so. Seinen Rucksack hat er auch dabei. Hat ihn also runtergekriegt. Ich frag mich, wie. So schnell auch noch, das waren ja kaum fünf Minuten. Setzt sich also hin, packt aus, und dann fängt er direkt an, was auf seinen Block zu kritzeln. Was denn ? Kann ich nicht erkennen. Würd mich jetzt interessieren. Aber ist ja klar, dass der sich auch für irgendwas interessiert. Aber für was? Sport natürlich nicht. Mädchen auch nicht. Was Wissenschaftliches vielleicht? Was, wo man sich nicht bewegen muss, jedenfalls.

Wofür ich mich interessier? Musik, Kleidung, Filme. Sagt man so, klar. Der Rest ist Geheimnis. Das mit dem Klettern zum Beispiel. Ich pass auf, dass ich nicht auffalle, machen doch alle so. Gibt sonst nur Stress. Ich sag also zum Beispiel, dass ich mit meinen Eltern Ärger hab, sie aber auch mag. Was so ungefähr hinkommt. Dass mir Schule ziemlich egal ist, aber auch nicht ganz. Was auch so ungefähr hinkommt. Dass mir meine Herkunft wichtig ist. Melinda liebt Albanien, sagt sie. War zwar erst ein Mal da, aber trotzdem. Ja, und ich liebe eben Ägypten, sag ich. Dabei war ich noch nie da. Stell mir das irgendwie vor, klar, heiß und viel Wüste, und Kairo kenn ich von Babas alten Fotos. Spielt aber eigentlich keine Rolle. Mein Name bedeutet Prinzessin. Baba nennt mich so. Vielleicht auch nur, weil ich bei uns das einzige Mädchen bin. Wir reden Deutsch zu Hause. Das Essen find ich leckerer als bei Melinda. Aber ob das jetzt so ist, weil das Essen ägyptisch ist, was weiß ich. Vielleicht kann meine Mutter einfach besser kochen. Ich seh auch nicht aus wie die Nofretete-Büste, die wir uns in Geschichte mal angesehen haben. Die berühmteste Ägypterin, hat Herr Frey gesagt. Haben sich natürlich alle gleich zu mir umgedreht. So nervig. Ist irgendwie alles nicht so wichtig für mich. Aber was ist schon wichtig? Das Zusammensein mit den anderen, das mag ich an der Schule. Das dauernde Gelaber und Gelächter und ich gehör dazu, bin mittendrin.

Am Wochenende ist Klassenausflug. Hab lange gebraucht, meine Eltern zu überzeugen, dass ich mitdarf. Zu teuer. Und wer weiß, wann du da ins Bett gehst. Und die Jungs. Baba ist manchmal echt streng. Hat dann aber doch verstanden, dass ich da einfach mit muss. An meinen Noten gibt’s nichts zu meckern, und Belohnung muss sein, sagt er ja selber immer. Also darf ich.

Keiner redet über was anderes, seit Wochen. Zimmeraufteilung, Bierdosen schmuggeln, Kanuausflug, Kletterpark, wer knutscht als Erstes und so. Wenn Baba wüsste. Alle gehen mit, sogar Niko. Ob der sich auch freut? An seiner Stelle hätt ich Schiss.

Ich pack mein Schulzeug ein. Bin wie immer die langsamste. Nur Niko braucht noch länger. Aber der weiß auch, warum, der lässt den anderen lieber Vorsprung, dann hat er eine Chance, dass sie schon weg sind, wenn er rauskommt. Melinda lacht immer über mich. »Bin halt perfektionistisch«, sag ich. Ist der einzige Tick, den ich mir leiste – die superaufgeräumte Schultasche. Muss sowieso allein nach Hause laufen, keiner geht in meine Richtung. Da kann ich so langsam schlendern, wie ich will, und komm später nach Hause. Muss ich meiner Mutter weniger von der Schule erzählen. Und vielleicht hat Farid schon die Haustreppe gefegt, wenn ich später komm, und ich muss es nicht mehr machen. Okay, das wär echt Zufall. Farid ist so faul wie alle älteren Brüder.

Vor der Hausmeistertür steht eine leere Kabeltrommel. Ein Seil ist drangeknotet und es kleben Blätter dran. Aha, Rucksack-Rettungsplan durchschaut.

Niko geht an mir vorbei. Schlurft so komisch. Von hinten sieht man’s richtig: totale X-Beine. Melinda hat mal gesagt: Von hinten sieht er aus wie ein Panzer. Stimmt ja, aber sagen kann man so was doch nicht. Gott sei Dank hat der das nicht mitgekriegt.

Jetzt dreht er sich um. Als hätt er meine Gedanken gehört. Ich winke. Wieso wink ich dem jetzt? Mann, wenn das Marko gesehen hat. Ich schau mich sofort um. Dann find ich’s so was von blöd. Wieso schau ich mich denn um, wenn ich einem winke? Ich kann ja wohl winken, wem ich will !

»Tschüs !«, ruf ich jetzt laut und bisschen zu schrill. Will mir wahrscheinlich was beweisen. Dass ich selber entscheiden kann, was ich mache, oder so.