Colleen Hoover
Too Late
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch
von Katarina Ganslandt
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Colleen Hoover ist nichts so wichtig wie ihre Leser. Ihr Debüt ›Weil ich Layken liebe‹, das sie zunächst als eBook im Selfpublishing veröffentlichte, sprang sofort auf die Bestsellerliste der ›New York Times‹. Mittlerweile hat sie auch in Deutschland die Bestsellerlisten erobert. Mit ›Nur noch ein einziges Mal‹ stand sie mehrere Wochen auf Platz 1. Weltweit verfügt sie über eine riesige Fangemeinde. Colleen Hoover lebt mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen in Texas.
Katarina Ganslandt spaziert mit dem Hund Elmo durch Berlin, surft im Netz durch die Welt und sammelt nützliches und unnützes Wissen, wenn sie nicht gerade Bücher aus dem Englischen übersetzt (mittlerweile sind es über 125).
Für weitere Informationen zu Colleen Hoover: www.colleen-hoover.de
Die Hölle – nichts anderes ist die Beziehung von Sloan zu dem Drogenboss Asa Jackson. Gäbe es nicht ihren kranken Bruder, den Asa finanziell unterstützt, wäre sie von heute auf morgen auf und davon.
Für Asa hingegen ist Sloan das Beste, was ihm je passiert ist: Sloan ist seine einzige Liebe, eine wahre Obsession, seine allergrößte Leidenschaft, und er ist davon überzeugt, dass es sich umgekehrt genauso verhält.
Doch dann taucht Carter auf – ein Undercover-Cop, der mithelfen soll, Asa auffliegen zu lassen. Carter verliebt sich Hals über Kopf in Sloan und sie sich in ihn – Hochverrat für den cholerischen Asa. Ein gefährliches Dreieckspiel beginnt, bei dem es für Carter und Sloan um alles geht.
Deutsche Erstausgabe
2019 bold, ein Imprint der
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
© 2016 by Colleen Hoover
Titel der amerikanischen Originalausgabe: ›Too Late‹
All rights reserved.
© der deutschsprachigen Ausgabe:
2019 bold, ein Imprint der
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Umschlaggestaltung: Focus + Echo / Dina Fluck
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eBook-Herstellung im Verlag (01)
eBook 978-3-423-43551-2 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-79044-4
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.readbold.de
ISBN (epub) 9783423435512
Ich widme dieses Buch den Mitgliedern der »Too Late«-Gruppe bei Facebook.
Euch verdanke ich eine meiner bisher schönsten Schreiberfahrungen.
Besonders dir, Ella Brusa
Warme Finger sind mit meinen verflochten und drücken meine Hände tief in die Matratze. Meine Lider sind vor Müdigkeit so schwer, dass ich es nicht schaffe, sie zu öffnen. Diese Woche habe ich wirklich extrem wenig geschlafen. Eigentlich schon den ganzen Monat.
Ach was, das ganze verdammte letzte Jahr.
Stöhnend presse ich die Schenkel zusammen, obwohl ich weiß, dass es keinen Zweck hat. Er legt sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich. Auf meine Brüste, an meine Wange, zwischen meine Beine. Auch wenn es noch ein paar Sekunden dauern wird, bis ich mein schlaftrunkenes Gehirn aktiviert habe, bin ich schon jetzt wach genug, um zu begreifen, was er gerade tut.
»Asa«, murmle ich gereizt. »Geh runter von mir.«
Er atmet schwer an meinem Hals, seine Bartstoppeln kratzen über meine Haut. »Bin gleich so weit, Babe.«
Ich versuche, meine Hände aus seinen zu ziehen, aber er verstärkt seinen Griff und erinnert mich wieder einmal daran, dass ich eine Gefangene in meinem eigenen Schlafzimmer bin – in meinem eigenen Bett. Und Asa ist mein Wärter. Von Anfang an hat er mich spüren lassen, dass ich ihm meinen Körper zur Verfügung zu stellen habe, wann immer er Lust darauf hat. Er wird zwar nie grob, aber Lust hat er oft. Sehr oft. Auch dann, wenn es mir nicht passt.
Zum Beispiel jetzt.
Um sechs Uhr morgens.
Die Rollos sind unten, aber durch den Schlitz unter der Tür sickert Sonnenlicht ins Zimmer. Wahrscheinlich ist Asa eben erst ins Bett gekommen, nachdem er wieder mal die ganze Nacht durchgefeiert hat. Ich dagegen muss schon bald in der Vorlesung sitzen und kann mir angenehmere Methoden vorstellen, wie ich nach gerade mal drei Stunden Schlaf geweckt werden will.
Trotzdem hebe ich das Becken an und schlinge die Schenkel um seine Hüften. Wenn ich so tue, als hätte ich auch meinen Spaß, wird er schneller fertig.
Ich weiß, dass er auf mein Stöhnen wartet, und als ich ihm den Gefallen tue, schließt sich kurz darauf seine Hand um meine rechte Brust und ein Beben durchläuft seinen Körper. Er vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren und die Bewegungen in mir verlangsamen sich. Nach ein paar Sekunden lässt er sich seufzend fallen, gibt mir einen Kuss und rollt sich auf seine Bettseite. Er steht auf, greift nach der Wasserflasche, die auf dem Nachttisch steht, trinkt gierig und lässt seinen Blick dabei über meinen Körper wandern. »Weißt du, wie sehr mich das anmacht, dass ich der Einzige bin, der jemals in dir war?« Er grinst.
Völlig selbstbewusst in seiner Nacktheit steht er neben dem Bett und lässt den letzten Rest des Wassers in seine Kehle laufen. Es fällt mir schwer, mich geschmeichelt zu fühlen, wenn jemand über meinen Körper wie über ein Gefäß redet.
Asa sieht gut aus, aber ansonsten gibt es eigentlich nicht viel, was für ihn spricht. Vielleicht ist sein gutes Aussehen ja sogar das Einzige. Er ist herrisch, flippt schnell aus und macht es mir oft nicht leicht, mit ihm zusammenzuleben. Aber er liebt mich. Er liebt mich aus tiefstem Herzen. Und trotz seiner schwierigen Seiten liebe ich ihn irgendwie auch. Klar gibt es vieles, was ich gern an ihm ändern würde, aber das geht nun mal nicht, also muss ich ihn so akzeptieren, wie er ist. Er hat mich bei sich aufgenommen, als ich auf der Straße saß und niemanden hatte, zu dem ich gehen konnte. Schon allein deshalb fühle ich mich verpflichtet, ihm etwas zurückzugeben. Mir bleibt sowieso nichts anderes übrig.
Asa wischt sich mit dem Handrücken über den Mund und wirft die leere Plastikflasche in den Papierkorb. Er zwinkert mir zu, lässt sich neben mich aufs Bett fallen, fährt sich durch die dichten braunen Haare und beugt sich über mich, um mir einen sanften Kuss auf die Lippen zu geben. »Gute Nacht, Babe«, murmelt er und dreht sich auf den Rücken.
»Wohl eher Guten Morgen«, seufze ich und mache mich widerstrebend daran, aufzustehen. Ich ziehe mein hochgerutschtes Schlaf-T-Shirt wieder runter, hole mir frische Sachen aus dem Schrank, greife nach meinem Handy und schlurfe müde über den Flur ins Bad, das zum Glück frei ist. Das ist nicht selbstverständlich. Neben den Leuten, die vorübergehend bei uns wohnen, übernachten auch immer wieder spontan irgendwelche Freunde und Bekannten von Asa hier. Aber so früh am Morgen schlafen alle noch. Ich werfe einen Blick aufs Handy und stöhne, als ich sehe, dass mir nicht mal mehr Zeit bleibt, mir irgendwo noch einen Kaffee zu besorgen. Obwohl heute der erste Tag nach den Semesterferien ist, habe ich große Zweifel, ob ich es schaffen werde, nachher wach zu bleiben. Kein guter Einstieg.
Ich weiß nicht, wie ich mein Studium unter diesen Umständen jemals erfolgreich zu Ende bringen soll. Asa geht nur sehr unregelmäßig zu den Vorlesungen und schließt trotzdem fast alle Fächer mit Bestnote ab, während ich die Prüfungen im letzten Halbjahr bloß gerade mal so bestanden habe, obwohl ich immer anwesend war … na ja, zumindest körperlich. Hier ist dauernd so viel los, dass ich kaum einen Moment Ruhe finde und es mir immer wieder passiert, dass mir mitten im Seminar die Augen zufallen, weil die Uni der einzige Ort ist, an dem ich ein bisschen entspannen kann.
Asa feiert rund um die Uhr Dauerparty und lädt ständig irgendwelche Leute ein, ohne sich darum zu kümmern, dass wir am nächsten Tag eigentlich beide im College sitzen müssten. Und das geht nicht nur freitags und samstags so, sondern auch unter der Woche.
Er ist ungern allein. Ständig ziehen irgendwelche Leute ein oder aus, sodass ich keinen Überblick habe, wer gerade bei uns wohnt. Das Haus gehört ihm, also kann er machen, was er will. Wenn ich das Geld hätte, mir ein Zimmer im Studentenheim zu nehmen, wäre ich sofort weg. Aber ich besitze keinen Cent, weshalb ich noch ein weiteres Höllenjahr hier durchstehen muss, bis ich meinen Abschluss habe und endlich eigenes Geld verdienen kann.
Nur noch ein Jahr. Dann bin ich frei.
Ich lasse mein T-Shirt zu Boden fallen und ziehe den Duschvorhang zur Seite. Als ich mich vorbeuge, um das Wasser aufzudrehen, stockt mir der Atem. Und dann entfährt mir ein Schrei. In der Wanne liegt – komplett angezogen – unser neuester Mitbewohner Dalton, der anscheinend so zugedröhnt ist, dass er es nicht mehr ins Bett geschafft hat.
Von meiner Stimme geweckt, schreckt er hoch, knallt mit dem Kopf gegen die Armatur und lässt selbst einen lauten Schrei los. Ich bücke mich nach meinem Shirt, als die Tür auffliegt und Asa hereinstürmt.
»Alles okay, Sloan?« Er fasst mich an den Schultern, um zu sehen, ob ich verletzt bin.
»Ja, ja, mir ist nichts passiert, aber …« Ich deute auf die Wanne.
»Ich bin nicht okay.« Dalton presst sich die Hand an die blutende Stirn und steht schwankend auf.
Asa wirft einen Blick auf meinen nackten Körper, den ich notdürftig mit dem T-Shirt bedecke, dann schaut er zwischen mir und Dalton hin und her. Ich setze hastig zu einer Erklärung an, damit er nicht auf falsche Gedanken kommt, aber zu meiner Überraschung bricht er in lautes Lachen aus.
»Warst du das?«, fragt er mich und zeigt auf Daltons Stirn.
Ich schüttle den Kopf. »Er ist erschrocken und hat sich den Kopf am Wasserhahn gestoßen.«
Asa lacht noch lauter, streckt Dalton die Hand hin und hilft ihm aus der Wanne. »Na los, Alter, komm mit runter. Du brauchst ein Konterbier, dann geht’s dir gleich wieder besser.« Er schiebt unseren Mitbewohner aus dem Bad und schließt die Tür hinter sich.
Das T-Shirt immer noch an den Körper gepresst, stehe ich da und starre kopfschüttelnd auf die Tür. Das Traurige ist, dass ich das jetzt schon zum dritten Mal erlebe. Jedes Mal ist es ein anderer Idiot, der besoffen in der Badewanne schläft. In Zukunft muss ich daran denken, immer erst einen Blick hineinzuwerfen, bevor ich mich ausziehe.
Ich krame den Seminarplan aus der Tasche und falte ihn auf, um nachzusehen, in welchem Raum mein Kurs stattfindet. »Das Ganze ist doch echt ein Witz«, beschwere ich mich. »Ich hab vor drei Jahren meinen Abschluss gemacht. Wenn ich gewusst hätte, dass ich wieder ans College muss, hätte ich das nie mitgemacht.«
Ryan lacht so laut, dass ich mir das Handy ein Stück vom Ohr weghalten muss. »Mir kommen gleich die Tränen«, sagt er. »Glaub mir, ich würde sofort mit dir tauschen, Alter. Ich musste gestern Nacht in einer verdammten Badewanne schlafen. Aber das gehört nun mal zur Rolle. Finde dich damit ab. Job ist Job.«
»Ja, das sagst du so leicht. Du hast ja auch bloß eine Pflichtveranstaltung pro Woche. Ich muss gleich an drei Tagen rein. Warum hat Young dich eigentlich so locker davonkommen lassen?«
»Vielleicht besorg ich’s ihm besser«, sagt Ryan trocken.
Ich schaue auf meinen Plan und dann auf die Nummer an der Tür des Raums, an dem ich gerade vorbeilaufe. Anscheinend bin ich schon da.
»Ich muss Schluss machen. La clase de Español.«
»Moment noch.« Ryans Stimme wird ernst. Er räuspert sich, und ich ahne, dass jetzt gleich der kleine Motivationsvortrag kommt, den er mir fast jeden Tag hält, seit wir Partner sind. »Versuch, das Beste draus zu machen, Mann. Wir sind ganz nah dran. In spätestens zwei Monaten haben wir alles zusammen, was wir brauchen, dann kannst du wieder machen, was du willst. Such dir einen heißen Arsch, neben dem du sitzen kannst, dann vergeht die Zeit schneller.«
Ich werfe durch das Fenster in der Tür einen Blick in den Raum, in dem schon fast alle Plätze besetzt sind. Ganz hinten in der letzten Reihe entdecke ich einen leeren Stuhl neben einem Mädchen, das mit auf dem Tisch gekreuzten Armen dasitzt und den Kopf gesenkt hält. Ihre dunklen Haare fallen ihr vors Gesicht, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie döst. Das ist gut. Neben solchen Leuten sitze ich gern. Mein Albtraum sind die, die mich endlos zutexten.
»Cool. Sieht aus, als hätte ich meinen heißen Arsch schon gefunden. Du hörst gegen Mittag noch mal von mir.« Ich stelle das Handy stumm, stoße die Tür auf und gehe entschlossen nach hinten, wo ich mich an meiner zukünftigen Tischnachbarin vorbei zu dem freien Platz durchschiebe, den Rucksack neben den Stuhl stelle und mein Handy auf den Tisch werfe. Erschrocken fährt das Mädchen hoch, sieht sich mit leicht panischem Blick um, schaut auf den Block, den sie vor sich liegen hat, dann auf mein Handy und zuletzt zu mir. Ihre Haare sind leicht zerzaust und ein dünner Speichelfaden rinnt ihr übers Kinn. Ich ziehe den Stuhl neben ihr hervor und setze mich. Ihr Blick ist genervt. Offensichtlich nimmt sie mir übel, dass ich sie aus dem Schlaf gerissen habe.
»Lange Nacht gehabt?« Ich bücke mich zu meinem Rucksack und ziehe das Spanischbuch heraus, obwohl ich es in- und auswendig kenne.
»Ist das jetzt schon der nächste Kurs?«, fragt sie verwirrt, als ich das Buch auf den Tisch lege.
»Kommt drauf an«, antworte ich.
»Worauf?«
»Darauf, wie lange du geschlafen hast«, sage ich. »Hier findet jedenfalls gleich der Spanischkurs statt, der um zehn anfängt.«
Sie reibt sich stöhnend übers Gesicht. »Heißt das, ich hab bloß fünf Minuten geschlafen? Scheiße.« Sie lässt sich in ihrem Stuhl nach unten rutschen, legt den Kopf auf die Lehne und dreht mir das Gesicht zu. »Weck mich, wenn alles vorbei ist, okay?«
Ich tippe mir mit dem Zeigefinger ans Kinn. »Du hast da was.«
Sie wischt sich über den Mund und betrachtet ihre Hand. Ich hätte erwartet, dass sie verlegen ist, aber sie verdreht nur die Augen, zieht sich den Ärmel ihres Shirts über den Daumen und reibt den kleinen Speichelfleck weg, den sie auf der Tischplatte hinterlassen hat. Danach lehnt sie sich wieder zurück und schließt die Augen.
Obwohl mein Collegeabschluss schon ein paar Jahre her ist, weiß ich noch sehr gut, wie anstrengend es ist, durchgemachte Nächte und ein straffes Lernpensum unter einen Hut zu bekommen. Allerdings sieht dieses Mädchen wirklich maximal erledigt aus. Hat sie nur zu viel gefeiert oder muss sie auch noch nebenher arbeiten und macht womöglich Nachtschichten?
Ich bücke mich noch mal zu meinem Rucksack und krame nach dem Energydrink, den ich mir heute Morgen auf dem Weg besorgt habe. Mir scheint, sie braucht ihn dringender als ich.
»Hier.« Ich stelle die Dose vor sie auf den Tisch. »Trink das.«
Sie öffnet die Augen so langsam, als würden ihre Lider tausend Kilo wiegen. Ihr Blick fällt auf die Dose, sie beugt sich vor, greift danach, öffnet sie und stürzt den Inhalt so gierig hinunter, als hätte sie seit Tagen nichts getrunken.
»Bitte sehr, gern geschehen«, sage ich lachend.
Sie stellt die leere Dose auf den Tisch und fährt sich mit demselben Ärmel über den Mund, mit dem sie eben die Spucke vom Tisch gewischt hat. Ich muss zugeben, dass ich sie trotz – oder vielleicht sogar gerade wegen – ihres zerzausten und schlaftrunkenen Aussehens verdammt sexy finde.
»Danke!« Sie streicht sich die Haare aus den Augen, lächelt mich an, streckt sich und gähnt. Die Tür geht auf, und es wird ruhig im Raum, woraus ich schließe, dass unser Dozent gerade hereingekommen ist – aber ich schaffe es nicht, meinen Blick lang genug von dem Mädchen loszureißen, um seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen.
Sie kämmt sich mit den Fingern durch ihre noch leicht feucht wirkenden Haare, und ich rieche den blumigen Duft ihres Shampoos, als sie sie nach hinten schleudert. Sie sind lang und dunkel und dicht, genau wie ihre Wimpern. In diesem Moment räuspert sich der Dozent und wir drehen uns beide nach vorn und schlagen eine neue Seite in unseren Blöcken auf.
Seine spanische Begrüßung wird von den Studenten mehr oder weniger flüssig erwidert. Während er sich vorstellt, leuchtet auf dem Display meines Handys eine Nachricht von Ryan auf.
Ryan: Hat der heiße Arsch, neben dem du sitzt, schon einen Namen?
Ich drehe das Handy blitzschnell um, aber es ist zu spät. Meine Sitznachbarin unterdrückt ein Lachen.
Scheiße.
»Der heiße Arsch?«, sagt sie mit gespielter Empörung.
»Sorry«, entschuldige ich mich. »Mein Kumpel hält sich für wahnsinnig witzig. Leider sind seine Witze meistens komplett daneben.«
»Ach so.« Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Dann findest du meinen Arsch also nicht heiß?«
Zum ersten Mal sehe ich ihr richtig ins Gesicht und … sagen wir mal so: Der Anblick genügt, um diesen bescheuerten Spanischkurs sofort zu meinem absoluten Lieblingskurs zu machen. »Nimm’s nicht persönlich, aber bis jetzt kenne ich dich bloß sitzend. Ich hab dich noch nicht von hinten gesehen.«
Sie lacht wieder. »Hi. Ich bin Sloan.« Sie streckt mir die Hand hin. Als ich danach greife, bemerke ich eine kleine halbmondförmige Narbe auf dem Daumen. Ich streiche darüber und drehe ihre Hand, um sie mir genauer anzusehen.
»Sloan«, wiederhole ich und lasse ihren Namen langsam über meine Zunge rollen.
»Normalerweise sagt man an diesem Punkt des Gesprächs dem anderen seinen eigenen Namen.« Sie entzieht mir ihre Hand und sieht mich abwartend an.
»Carter«, stelle ich mich so vor, wie ich in den nächsten Wochen heißen werde. Ich finde es schwierig genug, Ryan seit sechs Wochen als Dalton ansprechen zu müssen, aber beim eigenen Namen zu lügen ist noch mal eine Ecke härter. Es passiert viel zu schnell, dass einem der richtige Name rausrutscht.
»Mucho gusto«, sagt sie mit fast perfektem Akzent und dreht sich wieder nach vorn.
Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Definitiv.
Unser Dozent kündigt eine Partnerübung an. Wir sollen auf Spanisch drei Tatsachen über unseren Sitznachbarn formulieren. Ich hatte auf dem College vier Jahre Spanisch und spreche ganz gut, weshalb ich beschließe, Sloan den Vortritt zu lassen, um sie nicht gleich zu entmutigen. Wir setzen uns so, dass wir uns direkt ansehen.
»Las damas primero«, sage ich galant und nicke ihr zu.
»Nichts da. Wir wechseln uns ab«, widerspricht sie. »Und du fängst an. Los, erzähl mir was über mich.«
»Wie du willst.« Ich muss lachen, weil sie sofort das Kommando übernommen hat. »Eres mandona.«
»Das ist zwar keine Tatsache, sondern eine Meinung«, sagt sie. »Aber ich lasse es trotzdem mal gelten.«
Ich grinse. »Hast du überhaupt verstanden, was ich gesagt habe?«
»Falls du sagen wolltest, dass du mich für herrschsüchtig hältst, dann ja.« Sie verengt die Augen, aber um ihre Mundwinkel spielt ein Lächeln. »Jetzt ich«, sagt sie. »Tu compañera de clase es bella.«
Ich lache darüber, dass sie sich selbst ein Kompliment gemacht hat. Aber es ist unbestreitbar eine Tatsache: Sie ist schön. Ich nicke zustimmend. »Mi compañera de clase es correcta.«
Mir entgeht nicht, dass sich ihre Wangen trotz ihrer Sonnenbräune leicht rosig färben. »Wie alt bist du?«, fragt sie.
»Das ist eine Frage, keine Tatsache. Und noch dazu nicht mal auf Spanisch.«
»Ich muss dich das aber fragen, damit ich es zu einer Tatsache umformulieren kann. Du siehst ein bisschen älter aus als die anderen in unserem Semester.«
»Was glaubst du denn, wie alt ich bin?«
»Dreiundzwanzig? Vierundzwanzig?«
Das ist ziemlich gut geschätzt. Ich bin fünfundzwanzig, aber das muss sie nicht wissen. »Zweiundzwanzig«, behaupte ich.
»Tienes veintidós años.«
»Du schummelst«, sage ich vorwurfsvoll.
»Falls das die dritte Tatsache sein soll, musst du es auf Spanisch sagen.«
»Engañas.«
Ihrer überraschten Miene nach zu urteilen, hat sie nicht damit gerechnet, dass ich das spanische Wort für schummeln kenne.
»Okay, du bist fertig mit der Übung«, stellt sie fest.
»Genau. Und deswegen bist du jetzt wieder dran.«
»Eres un perro.«
Ich lache. »Du hast mich gerade aus Versehen als Hund bezeichnet.«
Sie schüttelt den Kopf. »Das war kein Versehen.«
Ein dumpfes Summen ertönt. Sloan zieht ihr Handy aus der Jeanstasche, wirft einen Blick darauf und wendet sich wieder nach vorn. Ich greife ebenfalls nach meinem Handy, lehne mich im Stuhl zurück und tue so, als würde ich mir irgendwas ansehen, während wir warten, bis die anderen mit der Aufgabe fertig sind. Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie Sloan mit fliegenden Daumen eine Nachricht tippt. Sie ist verdammt süß. Ich freue mich jetzt schon, sie wiederzusehen. Sie wird es mir extrem viel leichter machen, meine Zeit am College abzusitzen.
Auf einmal kommen mir die drei Wochenstunden Spanisch gar nicht mehr schlimm vor.
Der Unterricht geht weiter. Bis zum Gong haben wir noch eine Viertelstunde, aber ich muss mich schwer zusammenreißen, um Sloan nicht die ganze Zeit anzustarren. Sie hat nicht mehr mit mir geredet, seit sie mich als Hund bezeichnet hat. Jetzt schreibt sie etwas auf ihren Block. Allerdings wirkt es nicht so, als hätten ihre Notizen irgendetwas mit dem Kurs zu tun. Vielmehr scheint sie mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Ich beuge mich vor, um etwas von dem zu sehen, was sie da so eifrig schreibt. Ein bisschen schäme ich mich für meine Neugier, andererseits hat sie vorhin auch Ryans Nachricht gelesen.
Der Energydrink tut offensichtlich seine Wirkung. Ihr Stift bewegt sich mit rasender Geschwindigkeit über die Seite. Ich lese mit, muss aber zugeben, dass ich nicht den geringsten Sinn in den Sätzen erkennen kann.
Züge und Busse haben mir die Schuhe geklaut und jetzt muss ich rohen Tintenfisch essen.
Komplett absurd. Als ich lache, hebt sie den Kopf und grinst.
Sie schaut auf die vollgekritzelte Seite und klopft mit dem Stift darauf. »Ich langweile mich schnell«, flüstert sie. »Konzentration ist nicht gerade meine Stärke.«
Im Gegensatz zu ihr kann ich mich normalerweise sehr gut konzentrieren, aber nicht, wenn sie neben mir sitzt.
»Ich hab da auch manchmal meine Schwierigkeiten«, sage ich und deute auf ihre Notizen. »Was ist das? Ein Geheimcode?«
Sie zuckt mit den Achseln, lässt den Stift fallen und schiebt mir den Block hin. »Bloß so ein kindisches Spiel, das ich manchmal mit mir selbst spiele. Ich schreibe einfach irgendwas hin, ohne nachzudenken. Je weniger Sinn die Sätze ergeben, desto mehr gewinne ich.«
»Desto mehr gewinnst du?«, frage ich in der Hoffnung, dass sie noch eine Erklärung nachliefert. Dieses Mädchen ist mir ein Rätsel. »Aber du kannst doch sowieso nicht verlieren, wenn es keinen Gegenspieler gibt.«
Ihr Lächeln erstirbt. Sie starrt wieder auf die Seite und fährt mit dem Zeigefinger die Buchstaben nach. Während ich mich noch frage, ob ich was Falsches gesagt habe, schüttelt sie den Gedanken ab, der ihr offenbar gerade die Stimmung verdüstert hat, und hält mir den Stift hin.
»Probier’s aus«, sagt sie. »Es macht extrem süchtig.«
Ich nehme den Stift und suche nach einer freien Stelle auf der Seite. »Ich soll also einfach irgendwas hinschreiben? Das Erste, woran ich denke?«
»Nein«, sagt sie. »Genau das Gegenteil. Du darfst gar nicht denken. Versuch, deinen Kopf ganz leer zu machen. Schreib einfach.«
Ich drücke die Spitze des Stifts aufs Papier und tue, was sie gesagt hat. Ich schreibe drauflos.
Ich habe eine Dose Mais in den Korb mit Schmutzwäsche gekippt, jetzt weint meine Mutter Regenbögen.
Als ich den Stift hinlege, komme ich mir ziemlich bescheuert vor. Sloan presst die Hand auf den Mund und unterdrückt ein Lachen, während sie das Ergebnis liest. Sie blättert zur nächsten Seite und schreibt: Du bist ein Naturtalent. Danach schiebt sie mir Stift und Block wieder hin.
Danke. Einhornsaft hilft mir beim Atmen, wenn ich Disco höre.
Wieder lacht sie und nimmt mir den Stift in dem Moment aus der Hand, in dem unser Dozent das Ende der Stunde verkündet. Um uns herum packen alle zusammen und stehen auf.
Alle außer uns. Wir schauen lächelnd auf den Block und bleiben sitzen.
Irgendwann streckt Sloan langsam die Hand aus, klappt den Block zu und lässt ihn in ihrer Tasche verschwinden. Sie sieht mich an. »Warte noch, bis ich gegangen bin«, sagt sie und steht auf.
»Warum?«
»Weil du mich von hinten sehen musst, damit du entscheiden kannst, ob ich wirklich einen heißen Arsch habe.« Sie zwinkert mir zu und dreht sich um.
Verdammt. Ich presse die Kiefer aufeinander und tue genau das, was sie von mir verlangt hat – nämlich auf ihren Po zu schauen. Einen Po, der absolut perfekt geformt ist. Wie übrigens auch sämtliche anderen Teile ihres Körpers, soweit ich das sehen kann. Ich sitze reglos da und blicke ihr hinterher, während sie zur Tür geht.
Wie, zur Hölle, kann es sein, dass ich ausgerechnet hier und jetzt diesem Traum von einem Mädchen begegne? Und wo, zur Hölle, ist sie mein ganzes Leben lang gewesen? Ich fluche innerlich, wenn ich mir vorstelle, dass das, was ich heute mit ihr erlebt habe, höchstwahrscheinlich alles ist, was jemals zwischen uns passieren wird. Beziehungen, die auf einer Lüge aufbauen, haben keine gute Erfolgsquote.
Als sie an der Tür ist, dreht sie sich halb zu mir um. Ich lasse meinen Blick an ihrem Körper hinaufwandern, sehe ihr in die Augen und recke den Daumen in die Höhe. Sie wirft lachend ihre dunkle Mähne nach hinten und geht aus dem Raum.
Oh Mann. Ich packe meine Sachen ein und versuche, jeden Gedanken an sie aus meinem Kopf zu verbannen. Ich muss mich heute Abend auf den Job konzentrieren. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass ich mich von einem Mädchen mit einem so wunderschönen, perfekten Arsch ablenken lassen darf.
Nach den Vorlesungen setze ich mich nachmittags oft in die College-Bibliothek, weil ich zu Hause nicht genug Ruhe habe, um zu lernen oder meine Kurse nachzubereiten. Trotzdem bin ich Asa wahnsinnig dankbar dafür, dass ich bei ihm wohnen kann. Als er mich bei sich aufgenommen hat, obwohl wir uns erst zwei Monate kannten, bedeutete das für mich sprichwörtlich die Rettung in letzter Minute. Damals habe ich vorübergehend bei einer Bekannten auf der Couch geschlafen, hätte aber am folgenden Tag ausziehen müssen und wäre auf der Straße gelandet. Ich kannte sonst niemanden, zu dem ich hätte gehen können, und hatte nicht das Geld für ein eigenes Zimmer. Zu meiner Mutter wollte ich auf keinen Fall zurück. Als Asas Angebot kam, war ich erst mal unendlich erleichtert.
Das ist jetzt zwei Jahre her.
Dass er Geld hat, war von Anfang an offensichtlich. Er fuhr teure Autos und wohnte im Gegensatz zu den anderen Studenten nicht im Studentenheim oder in einer WG, sondern in seinem eigenen Haus. Damals hatte ich noch keine Ahnung, warum er sich dieses Leben leisten konnte – ob er reiche Eltern hatte oder womöglich in irgendwelche krummen Geschäfte verwickelt war. Natürlich hoffte ich auf die reichen Eltern, aber die Hoffnung und ich sind noch nie ein gutes Team gewesen. Irgendwann erwähnte er beiläufig, er hätte eine größere Erbschaft gemacht, und das wollte ich ihm glauben.
Als dann aber immer häufiger komische Typen zu den unmöglichsten Zeiten bei uns aufkreuzten und mit ihm hinter verschlossener Tür irgendwelche Deals abwickelten, wurde ich misstrauisch. Zuerst versuchte er noch, Ausflüchte zu machen. Irgendwann aber gab er dann zu, mit Drogen zu handeln. Er behauptete allerdings, es ginge bloß um Gras, und versuchte mir einzureden, es wäre nichts dabei. Wenn er den Leuten den Stoff nicht verkaufen würde, dann würden sie ihn sich eben woanders besorgen. Ich wollte trotzdem auf gar keinen Fall etwas damit zu tun haben, und als er sich weigerte, die Dealerei aufzugeben, zog ich aus.
Dummerweise wusste ich nicht, wohin. Ein paar Wochen schlief ich reihum bei Bekannten, die aber alle nicht den Platz hatten, mich auf Dauer bei sich aufzunehmen. Wenn es nur um mich gegangen wäre, hätte ich mich vermutlich eher entschlossen, in ein Obdachlosenasyl zu ziehen, als zu Asa zurückzugehen, aber das Problem ist, dass es nicht nur um mich geht. Sondern um meinen jüngeren Bruder.
Stephen ist von Geburt an körperlich und geistig behindert und war schon immer auf Hilfe angewiesen. Seit ein paar Jahren ist er in einem wirklich tollen Heim untergebracht, in dem er sehr gut betreut wird, aber ausgerechnet in der Woche, in der ich mich von Asa getrennt hatte, wurden die staatlichen Fördermittel gestrichen. Von da an hätte ich den Heimplatz aus eigener Tasche finanzieren müssen, was vollkommen utopisch war. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass Stephen wieder zu unserer Mutter zurückgeschickt werden würde. Das Leben, das ihn dort erwartete, wollte ich ihm auf keinen Fall mehr zumuten. Um ihm das zu ersparen, war ich bereit, fast alles zu tun.
Tja. Und so stand ich zwei Wochen später wieder bei Asa vor der Tür. Es hat mich unbeschreibliche Überwindung gekostet, ihn um Hilfe bitten zu müssen, weil ich damit alle moralischen Werte verriet, an die ich mein Leben lang geglaubt habe. Asa hat mich wieder bei sich aufgenommen, aber von da an wusste er, wie sehr ich auf ihn angewiesen war, und bestimmte die Spielregeln. Seine Leute gehen ganz selbstverständlich bei uns ein und aus, und er sieht keinen Grund mehr, seine Geschäfte vor mir zu verheimlichen.
Das ist also mein Leben. Das Haus ist ständig von Fremden bevölkert, jeden Abend ist Party und jede einzelne dieser Partys ist ein Albtraum für mich. Ich mag die Leute nicht, mit denen Asa sich umgibt; seine illegalen Geschäfte machen mir Angst, und ich würde lieber heute als morgen ausziehen. Letztes Jahr habe ich in der Bibliothek gejobbt und konnte ein bisschen Geld zurücklegen, aber dieses Semester haben sie keine Stelle mehr für mich. Ich stehe auf der Warteliste und bemühe mich gleichzeitig um andere Jobs, um mich so bald wie möglich aus meiner Abhängigkeit von Asa zu befreien. Wenn ich mich nur selbst über Wasser halten müsste, würde ich das schaffen, aber im Moment sehe ich überhaupt keine Möglichkeit, dann auch noch Stephens Pflegeplatz zu bezahlen. So viel Geld kann ich mit meinen Studentenjobs definitiv nicht verdienen. Und bis ich meinen Abschluss habe und mir eine richtige Stelle suchen kann, wird leider noch einige Zeit vergehen.
So lange muss ich wohl oder übel mitspielen und mich Asa gegenüber so dankbar zeigen, als hätte er mir das Leben gerettet, obwohl ich oft eher das Gefühl habe, dass er es endgültig zerstören wird.
Damit will ich nicht sagen, dass ich nichts mehr für ihn empfinde. Den Asa, der er am Anfang unserer Beziehung war und der immer mal wieder zum Vorschein kommt, wenn wir allein sind, liebe ich immer noch. Ich liebe den Mann, der er wieder sein könnte, wenn er sein Leben ändern würde. Aber ich bin nicht naiv. Er hat schon oft versprochen, ganz aus dem Geschäft auszusteigen, trotzdem weiß ich genau, dass dieser Tag niemals kommen wird. Geld und Macht sind einfach zu verführerisch, als dass er darauf verzichten will. Er wird niemals aufhören zu dealen. Nein, Asa wird so weitermachen, bis er eines Tages im Gefängnis landet oder tot ist. Und beides will ich nicht miterleben müssen.
Als ich in unsere Straße biege, ist die Einfahrt wie immer mit diversen fremden Autos zugestellt. Ich parke Asas Wagen auf dem Gehweg, nehme meinen Rucksack vom Beifahrersitz und gehe zur Tür. Als ich in Erwartung einer weiteren Partynacht ins Haus trete, empfangen mich zu meiner Überraschung ausnahmsweise keine stampfenden Technoklänge. Ich atme erleichtert auf, weil das bedeutet, dass heute draußen am Pool gefeiert wird und ich endlich mal wieder ungestört im Haus Ordnung machen kann.
Nachdem ich mir im Handy meine aktuelle Playlist rausgesucht und mir die Stöpsel ins Ohr gesteckt habe, mache ich mich an die Arbeit. Ich weiß, dass Putzen bei den meisten Leuten nicht zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen gehört, aber ich genieße es, weil es die einzige Möglichkeit ist, ganz für mich allein zu sein.
Abgesehen davon ist es auch wirklich notwendig, weil sich das Haus sonst innerhalb kürzester Zeit in einen totalen Schweinestall verwandeln würde, was ich erst recht nicht aushalten könnte.
Mit einem riesigen Müllsack in der Hand gehe ich durch die Räume, um die überall herumstehenden Bierflaschen einzusammeln und Aschenbecher auszuleeren. Als ich in die Küche komme und den Geschirrberg sehe, der sich in der Spüle und auf der Ablage türmt, lächle ich zufrieden. Perfekt. Damit werde ich mindestens eine Stunde lang beschäftigt sein. Ich belade die Spülmaschine und stelle sie an, dann fülle ich heißes Wasser ins Becken und nehme mir den Rest vor. Das Abspülen zu meiner Musik entspannt mich so sehr, dass ich nach einer Weile anfange, mich in den Hüften zu wiegen. Es ist lange her, dass ich so gut drauf war. Zuletzt wahrscheinlich, als ich frisch zu Asa gezogen bin und tatsächlich alles noch gut war. Als Asa noch gut war.
Kaum denke ich an den Asa, in den ich mich verliebt habe, schlingt er von hinten die Arme um meine Taille und beginnt, sich im Rhythmus der Musik mit mir zu bewegen. Ich lächle mit geschlossenen Augen, lege meine Hände auf seine und lehne mich an seine Brust. Er drückt mir einen Kuss aufs Ohr, verschränkt seine Finger mit meinen und dreht mich schwungvoll zu sich herum. Als ich die Augen öffne, lächelt er so liebevoll auf mich herab, dass mir ganz warm wird. Ich habe diesen Ausdruck in seinem Blick schon so lange nicht mehr gesehen, dass mir gar nicht klar war, wie sehr ich mich danach gesehnt habe.
Vielleicht hat er es ja doch ernst gemeint. Vielleicht hat er dieses Leben genauso satt wie ich.
Asa nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich mit so viel Leidenschaft, dass ich völlig überwältigt bin. Ich hätte nicht geglaubt, dass er überhaupt noch so viel empfinden kann. In letzter Zeit küsst er mich höchstens noch, wenn wir Sex haben. Ich verschränke die Hände in seinem Nacken und erwidere seinen Kuss voll verzweifelter Hoffnung. Ich küsse den Asa von früher, weil ich nicht weiß, wie lange es ihn noch geben wird.
Irgendwann lehnt er sich zurück und zieht mir die Stöpsel aus den Ohren.
»Da hat jemand heute Morgen wohl nicht genug bekommen, was?«
Ich nicke lächelnd. Er hat recht. Von diesem Asa habe ich wirklich nicht genug bekommen.
Als ich mich auf die Zehenspitzen stelle und ihn noch einmal küssen will, schiebt er mich ein Stück von sich weg. »Doch nicht vor Publikum, Sloan!« Er lacht.
Publikum?
Gott, ist das peinlich. Ich schließe vor Verlegenheit die Augen.
»Ich möchte dir jemanden vorstellen«, sagt Asa und schiebt mich von sich. Vorsichtig öffne ich erst ein Auge, dann das zweite und …
Ich kann nur hoffen, dass mir der Schock, der mich wie ein Blitz durchfährt, nicht anzusehen ist. Am Türrahmen lehnt, sehr groß, mit vor dem Oberkörper verschränkten Armen und hartem Blick: Carter.
Mir bleibt die Luft weg. Mein Sitznachbar aus dem Spanischkurs ist der letzte Mensch, den ich hier bei Asa erwartet hätte. Es war so nett und unbeschwert, heute im Kurs mit ihm zu flirten. Jetzt stehe ich da wie erstarrt. Er ist größer, als ich gedacht hätte, und überragt sogar Asa, der dafür breiter und muskulöser ist. Asa stemmt aber auch jeden Tag ein paar Stunden lang Gewichte, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich Steroide spritzt. Carter wirkt dagegen so, als wäre er von Natur aus sportlich gebaut. Seine Haut ist dunkler als die von Asa, genau wie seine Haare und seine sehr dunklen Augen, die jetzt schmal werden, als er mich mustert.
»Hey.« Er kommt lächelnd und mit ausgestreckter Hand auf mich zu, ohne sich anmerken zu lassen, dass wir uns bereits kennen. Vielleicht kann er sich ja denken, dass es für mich besser ist, wenn Asa nicht erfährt, dass wir im gleichen Kurs sind – vielleicht ist es aber auch für ihn besser so. Wir schütteln uns die Hand.
»Hallo. Ich bin Sloan«, stelle ich mich ihm mit zitternder Stimme zum zweiten Mal an diesem Tag vor und ziehe meine Hand schnell wieder aus seiner. Hoffentlich hat er nicht gespürt, wie sehr mein Puls rast. »Woher kennst du Asa?« Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, ob ich die Antwort darauf überhaupt hören will, aber jetzt ist es sowieso zu spät.
Asa legt mir einen Arm um die Taille und zieht mich an sich – weg von Carter. »Er ist neu im Team, und eigentlich sind wir in die Küche gekommen, weil wir in Ruhe was Geschäftliches besprechen müssen. Na los, geh woanders aufräumen, Schatz.« Er gibt mir einen Klaps auf den Po, als wäre ich ein Hund, der im Weg ist. Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu, der aber nicht annähernd so finster ist wie der in Carters Augen.
Normalerweise verkneife ich es mir, Asa die Meinung zu sagen, ganz besonders vor anderen, aber diesmal kann ich nicht anders. Es kotzt mich an, dass er schon wieder einen neuen Partner anschleppt, weil das endgültig der Beweis dafür ist, dass er nicht daran denkt, sich aus dem Drogengeschäft zurückzuziehen. Noch schlimmer finde ich, dass dieser Jemand ausgerechnet Carter sein muss. Ich bin aber auch wütend auf mich selbst, weil ich ihn heute im Kurs ganz anders eingeschätzt hatte. Anscheinend ist meine Menschenkenntnis doch nicht so gut, wie ich mir immer einbilde. Dass er mit Asa zusammenarbeitet, zeigt mir, dass ich keine Ahnung habe. Typisch, dass ich immer wieder auf den gleichen Typ Mann reinfalle, aber eigentlich sollte mich das nicht wundern. Ganz egal, wie sehr ich mich abstrample, um aus dem Sumpf zu kriechen, in dem ich schon meine Kindheit verbracht habe, ich werde doch immer wieder hineingezogen. Das ganz normale Leben, nach dem ich mich so sehr sehne, wird für mich immer ein Traum bleiben. Es ist, als wäre ich verflucht.
»Hattest du mir nicht versprochen, dass du aufhörst?«, sage ich scharf. »Sieht ja nicht danach aus, wenn du jetzt schon wieder einen neuen Partner hast.«
Natürlich ist es heuchlerisch, ihm vorzuwerfen, dass er dealt. Schließlich schickt er jeden Monat einen Teil des Drogengelds, das ich angeblich so sehr verachte, an Stephens Pflegeheim. Vielleicht kann ich das leichter wegstecken, weil ich nicht direkt davon profitiere und ansonsten kaum Geld von ihm annehme. Aber ich würde das allerdreckigste Geld akzeptieren, das es gibt, wenn ich damit die Versorgung meines kleinen Bruders sicherstellen könnte. Gott, wie ich mein Leben hasse.
Asa verengt die Augen, legt seine Hände um meine Oberarme und lässt sie sanft auf- und abgleiten, drückt dann aber plötzlich so unerwartet fest zu, dass ich vor Schmerz aufkeuche. Er beugt sich vor und bringt seinen Mund dicht an mein Ohr. »Mach das nicht noch mal«, zischt er so leise, dass nur ich es hören kann. Anschließend streicht er mit beiden Händen bis zu meinen Ellbogen hinunter, als wäre nichts gewesen, und gibt mir einen gespielt liebevollen Kuss auf die Wange. »Und jetzt geh brav nach oben und zieh dein sexy rotes Kleid an, Baby. Wir haben was zu feiern.«
Er lässt mich los und tritt einen Schritt zurück. Aus dem Augenwinkel riskiere ich einen Blick zu Carter, der Asa ansieht, als würde er ihn am liebsten erwürgen. Dann schaut er mich an, und ich bilde mir ein, dass seine Miene für einen Sekundenbruchteil sanfter wird. Aber ich bleibe nicht lang genug stehen, um sicherzugehen, sondern schiebe mich an ihm vorbei nach draußen, stürme ins Schlafzimmer hoch, werfe die Tür zu und lasse mich aufs Bett fallen.
Meine Oberarme brennen. Ich versuche den Schmerz zu lindern, indem ich mit beiden Händen daran auf- und abreibe. Asa hat mir bis jetzt noch nie körperlich wehgetan – noch dazu vor anderen –, aber viel schlimmer schmerzt, dass er meinen Stolz verletzt hat. Schon klar, ich hätte ihn nicht vor einem seiner Kumpels an sein Versprechen erinnern dürfen. Ich hätte mir denken können, dass das bei ihm nicht gut ankommt. Trotzdem hätte er mir nicht wehtun dürfen. Keine Frau, die auch nur einen Funken Selbstachtung hat, darf sich von ihrem Freund so behandeln lassen. Am liebsten würde ich ein paar Klamotten packen, zur Tür rausstürmen und nie mehr wiederkommen.
Ich will weg von hier.
Ich will weg.
Nur weg.
Aber ich kann nicht. Weil es hier nicht nur um mich geht.
»Weiber«, sagt Asa achselzuckend und wendet sich mir zu. »Sorry, Mann.«
Ich massiere meine Hände, die ich unwillkürlich zu Fäusten geballt hatte, und versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich ihn verabscheue. Obwohl ich ihn erst seit drei Stunden kenne, weiß ich jetzt schon, dass ich noch nie in meinem Leben einen Menschen getroffen habe, den ich vom allerersten Moment an so abstoßend fand.
»Kein Problem«, murmle ich, gehe zum Essbereich und setze mich, obwohl ich viel lieber nachsehen würde, ob bei Sloan alles okay ist. Ich habe immer noch Mühe zu verarbeiten, dass ausgerechnet meine süße Sitznachbarin aus dem Spanischkurs Asas Freundin ist. Wenn es einen Menschen gibt, den ich hier ganz sicher nicht erwartet hätte, dann sie. In dem Moment, in dem ich mitansehen musste, wie er sie geküsst hat – und vor allem, wie sie seinen Kuss erwiderte –, habe ich offiziell bereut, diesen Job jemals angenommen zu haben. Dass sie mit ihm zusammen ist, macht für mich alles viel komplizierter.
»Wohnt deine Freundin auch hier?«, frage ich.
Asa reicht mir ein Bier aus dem Kühlschrank und ich trinke einen Schluck. »Jep.« Er nickt. »Und wenn du sie nur eine Sekunde zu lang anschaust, schneide ich dir eigenhändig den Schwanz ab, verstanden?«
Ich sehe ihn an, aber sein Gesicht bleibt völlig reglos. Es ist offensichtlich, dass das kein Scherz sein sollte. Er kickt die Kühlschranktür zu, kommt lässig zum Tisch geschlendert und lässt sich mir gegenüber auf einen Stuhl fallen. Es macht mich fassungslos, wie ruhig er ist, nachdem er seine Freundin eben so brutal angefasst hat. Als wäre sie ihm scheißegal. Alles in mir drängt mich, ihm die verdammte Bierflasche über den Schädel zu ziehen, stattdessen verfestige ich meinen Griff um das kalte Glas und atme tief durch.
Er öffnet sein Bier und hält es mir hin. »Auf gute Zusammenarbeit«, sagt er und stößt mit mir an.
»Auf gute Zusammenarbeit«, sage ich. Und darauf, dass Arschlöcher wie du früher oder später bekommen, was sie verdienen.
»Hey.« Ich bin erleichtert, als Ryan in die Küche kommt. Perfektes Timing. Er nickt mir zu und wendet sich an Asa. »Jon will wissen, wie es mit dem Alkohol aussieht. Sollte jeder selbst was mitbringen oder versorgen wir die Truppe? Wir haben nämlich nichts mehr da.«
»Was? Ich hab dem Wichser doch gestern extra noch gesagt, dass er den Vorrat auffüllen soll.« Asa knallt seine Bierflasche auf den Tisch, schiebt den Stuhl zurück, steht auf und geht aus dem Raum. »Um jeden Scheiß muss man sich selbst kümmern.«
Ryan sieht mich an, nickt in Richtung Haustür und ich folge ihm nach draußen. In der Einfahrt bleibt er stehen, greift nach meiner Bierflasche und nimmt einen großen Schluck, aber das ist nur Show, falls uns jemand beobachtet. Ryan hasst Bier.
»Wie lief es?«, fragt er. »Bist du mit im Boot?«
Ich zucke mit den Achseln. »Sieht ganz so aus. Er scheint dringend einen Spanischdolmetscher zu brauchen. Ich hab ihn gewarnt, dass ich kein Muttersprachler bin, aber das ist ihm wohl nicht so wichtig.«
Ryan sieht mich überrascht an. »Wie? Das war alles? Sonst wollte er nichts von dir wissen? Kein Hintergrundcheck?« Er schüttelt ungläubig den Kopf. »Warum halten sich diese Jungs eigentlich immer für unverwundbar, sobald sie ein bisschen im Geschäft sind? Der Typ ist ein noch größerer Idiot, als ich dachte.«
»Stimmt«, sage ich, weil ich diese Aussage sofort unterschreiben kann.
»Ich hab dich gewarnt, Luke. Du wirst dich in den nächsten Wochen mit ein paar richtigen Arschlöchern herumschlagen müssen, das kann echt an die Substanz gehen. Bleibst du trotzdem dabei?«
Nachdem ich weiß, wie viel Zeit, Kraft und Nerven er und die anderen Kollegen schon investiert haben, um Asa festzunageln, würde ich sie niemals im Stich lassen. »Du hast mich eben Luke genannt.«
»Scheiße.« Ryan rammt seine Stiefelspitze ins Gras und schüttelt den Kopf. »Das darf mir auf gar keinen Fall vor ihm passieren. Denkst du an unser Meeting morgen? Young will einen kompletten Bericht über alles, was du mit Asa besprochen hast.«
»Es gibt zwar Leute, die morgen früh ins College müssen«, sage ich, um ihm noch mal unter die Nase zu reiben, was er im Gegensatz zu mir für ein Glück hat, »aber bis zwölf werde ich es wohl schaffen.«
Ryan nickt und dreht sich wieder zum Haus. »Hast du deinen heißen Arsch aus dem Spanischkurs auf die Party eingeladen?«
»Nein. Die Leute hier sind nicht ihr Stil.« Ganz zu schweigen davon, dass sie keine Einladung braucht, weil sie sowieso schon bis zum Hals in der Scheiße steckt.
Ryan nickt. Er kennt mich und weiß genau, dass ich ein Mädchen, das ich wirklich mag, niemals auf eine Party ins Drogenmilieu einladen würde. Er selbst tickt da ganz anders. Ryan identifiziert sich immer zu einhundert Prozent mit seiner Undercover-Rolle. Er hat unter seiner Tarnidentität schon richtig feste Beziehungen geführt und einer seiner »Freundinnen« sogar einen Heiratsantrag gemacht, um nicht aufzufliegen. Er hat auch kein Problem damit, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden, sobald der Job beendet ist. Mir ist dagegen immer bewusst, dass jeder Mensch, den ich als »Carter« kennenlerne, in erster Linie genau das ist: ein Mensch. Ich will niemandem etwas vorspielen, wenn es nicht unbedingt sein muss, und achte deswegen darauf, keine allzu tiefen Bindungen einzugehen.
Nachdem Ryan wieder reingegangen ist, bleibe ich noch einen Moment im Vorgarten stehen und betrachte nachdenklich das Haus, in dem ich mich in den nächsten Monaten notgedrungen sehr oft aufhalten werde. Als ich vor ein paar Jahren bei der Drogenfahndung angefangen habe, hatte ich eigentlich nicht vor, als verdeckter Ermittler zu arbeiten, das hat sich eher zufällig ergeben. Bis jetzt dachte ich immer, der Job würde mir liegen. Leider habe ich in diesem Fall ein richtig mieses Gefühl … dabei bin ich gerade erst eingestiegen.
Immer mehr Leute kommen. Die nächsten zwei Stunden nimmt Asa mich in Beschlag und führt mich von einem Grüppchen zum nächsten, um mich seinen Leuten vorzustellen. Anfangs versuche ich noch, mir die Namen der Jungs zu merken und zu erschließen, in welchem Verhältnis sie zu Asa stehen, aber als ich das fünfte Bier in die Hand gedrückt bekomme, gebe ich auf. Ich habe schon jetzt mehr Hände geschüttelt, als ich zählen kann, und werde in den nächsten Wochen sicher genug Zeit haben, die Truppe näher kennenzulernen. Im Moment geht es erst einmal darum, mich zu integrieren, ohne jemanden misstrauisch zu machen.
Irgendwann schaffe ich es, mich von Asa loszueisen und mich auf die Suche nach einer Toilette zu machen, um kurz durchzuatmen. Aber als ich die Tür des Badezimmers im Erdgeschoss öffne, drücke ich sie gleich wieder zu. Drinnen ist ein Typ, der mir als Jon vorgestellt wurde, gerade mit zwei verdächtig jung aussehenden Mädchen zugange. Oben gibt es ja hoffentlich noch ein Bad, das gerade nicht als Darkroom zweckentfremdet wird.
Als ich es gefunden habe, schließe ich hinter mir ab, pinkle und kippe mein Bier hinterher, um die Flasche mit Leitungswasser aufzufüllen. Ich habe schon mehr getrunken, als mir guttut. Die nächsten Wochen muss ich besser aufpassen und nüchtern bleiben.
Die Hände aufs Waschbecken gestützt, betrachte ich mich im Spiegel und schüttle den Kopf. Hoffentlich stehe ich diesen Job durch. Es geht mir nicht darum, dass ich enttarnt werden könnte, davor habe ich keine Angst. Ich stamme nicht aus der Gegend, mich kennt hier niemand. Mir macht Sorgen, dass ich womöglich nicht kaltblütig genug bin. Ich kann meine Undercover-Persönlichkeit nicht einfach so an- und ausknipsen wie Ryan. Was ich hier sehe, ist das, was ich nachts sehen werde, sobald ich die Augen schließe. Und wenn ich an die Szene denke, die ich vorhin zwischen Asa und Sloan beobachtet habe, weiß ich jetzt schon, dass ich in nächster Zeit nicht gut schlafen werde. Ich nehme mir ein Gästehandtuch vom Regal, halte es unters kalte Wasser und drücke es mir aufs Gesicht. Als ich es beim Rausgehen in den Korb mit Schmutzwäsche neben der Tür werfe, frage ich mich, ob Sloan die Sachen waschen muss. Ich fürchte es fast.
Als Asa und ich vorhin in die Küche kamen, wo sie mit Abspülen beschäftigt war, ist er einen Moment in der Tür stehen geblieben, um sie zu betrachten. Zum Glück stand ich hinter ihm, sodass er nicht mitbekam, wie geschockt ich war, das Mädchen aus meinem Spanischkurs wiederzuerkennen … Sie sah so unglaublich schön aus, wie sie sich verträumt zum Takt der Musik, die nur sie selbst hören konnte, in den Hüften gewiegt hat. Ich musste sofort an »Jessie’s Girl« von Bruce Springsteen denken, als ich Asa dabei beobachtete, wie er sie beobachtete. Wie gern wäre ich in dem Moment derjenige gewesen, der sie so ansehen durfte.
So, als würde sie mir gehören.
Ich atme tief durch und straffe die Schultern. Okay, höchste Zeit, wieder runterzugehen.
Als ich mit der Bierflasche voll Wasser in der Hand in den Flur