KLACK. KLACK. KLACK. Auf einen Stock gestützt, humpelte Ferun im Thronsaal auf und ab.
Eyela und ihre beste Freundin Feya schauten sie besorgt an. Die alte Elfe hatte ziemlich schlechte Laune.
Vor einigen Tagen hatte es heftig gestürmt. Der Wind hatte den großen Gong im Schlossturm heruntergerissen. Ferun wollte ihn mit einigen anderen Elfen wieder befestigen. Dabei war sie gestolpert, hatte sich den Fuß verstaucht und einen Flügel verletzt. Jetzt konnte sie weder richtig laufen noch fliegen.
Ferun blieb vor Eyela stehen und sah sie missmutig an.
»Also noch mal von vorn«, brummte sie und rieb sich über die Stirn. »Du hast neulich Leonora wiedergetroffen. Was hat die Magierin genau zu dir gesagt?«
»Ich muss zum Orakelberg gehen und dort einen Stein suchen«, wiederholte Eyela. »Der Stein soll meinen Spiegel ersetzen.«
Sie seufzte. Bis vor einigen Wochen hatte sie einen der kostbaren magischen Spiegel besessen. Im ganzen Elfenreich gab es nur sehr wenige davon. Und ausgerechnet Eyelas Spiegel war ihr beim Sommerturnier zersprungen. Was ganz allein ihre Schuld war! Sie hatte den Spiegel als Glücksbringer in ihre Tasche gesteckt. Obwohl ihr Ferun davon abgeraten hatte!
Und dann war sie bei einem ihrer Kunststücke vom Pferd gefallen! Eyela verzog das Gesicht. Sie mochte gar nicht daran denken. Durch ihren Sturz war der Spiegel zerbrochen. In so viele Teile, dass Eyela ihn unmöglich wieder zusammensetzen konnte.
Eyela ärgerte sich immer noch über sich selbst.
Der Spiegel hatte ihr Bilder aus der Zukunft gezeigt. Außerdem war er mit vier anderen magischen Spiegeln verbunden gewesen. Jetzt war diese Verbindung zerstört. Das hatte ihr Leonora erzählt. In den letzten Wochen war sie der geheimnisvollen Magierin mehrmals begegnet. Meistens dann, wenn Eyela bis zum Hals in einem Haufen Ärger steckte.
Eyela sah aus dem Fenster. Draußen wirbelten Blätter über die Wiese. Seitdem ihr Spiegel kaputt war, spielte das Wetter verrückt. Immer wieder fegten Stürme über das Land. Das passte überhaupt nicht zur Jahreszeit. Das war auch den anderen Bewohnern im Elfenreich aufgefallen. Es dauerte nicht lange, bis sie die verschiedensten Gerüchte austauschten. Alle suchten nach einer Erklärung für die seltsamen Wetterumschwünge. Denn durch die Stürme ging nicht nur alles Mögliche kaputt. Viel schlimmer war, dass sich auch Tiere, Elfen und andere magische Wesen verletzten. Wie das Regenbogeneinhorn, dem Eyela und Feya vor Kurzem das Leben gerettet hatten.
Eyela spürte einen Knoten im Bauch. Sie wollte alles wiedergutmachen. Unbedingt!
»Ich muss zum Orakelberg«, sagte sie noch einmal. »Vielleicht finde ich dort den Stein. Oder wenigstens einen Hinweis, wo ich suchen soll.«
Ferun dachte einen Moment lang nach. »Mir fällt nichts Besseres ein. Ich glaube, wir sollten auf diese Magierin hören. Aber du gehst nicht allein zum Orakelberg.«
»Ich komme natürlich mit«, sagte Feya. Eyela lächelte. Zum Glück waren sie und Feya unzertrennlich!
»Das reicht nicht«, erwiderte Ferun. »Habt ihr etwa vergessen, was euch das verletzte Regenbogeneinhorn erzählt hat?«
Eyela verzog das Gesicht. »Nein, natürlich nicht.« Das Einhorn war ja deutlich genug gewesen. Es hatte Eyela davor gewarnt, allein zum Orakel zu gehen. Aber sie verstand nicht, wieso das gefährlich sein sollte.
»Es ist nicht immer gefährlich«, erklärte Ferun geduldig.
»Aber warum hast du uns dann noch nie mitgenommen?«, wollte Eyela wissen. »Wir kennen das Orakel nur aus Geschichten.«
Ferun zögerte. »Das Orakel ist ein ganzes Stück weit entfernt. Ihr wisst ja, es liegt am Rand der Beroberge, in der Nähe von Burg Schattenfels. Da kommt man nicht so leicht hin.«
Eyela und Feya sahen sich an. Feya prustete leise. Auch Eyela musste kichern. »Soll das ein Witz sein?«, fragte sie. »Wir reiten doch sonst noch viel weiter. Und das stört dich auch nicht.«
Sie wurde immer neugieriger. Warum redete Ferun so um den heißen Brei herum? Das war doch sonst nicht ihre Art!
»Vielleicht hat es ja mit den Wächtern zu tun, die das Orakel bewachen«, flüsterte Feya ihr ins Ohr. »Die sollen sehr gefährlich sein.«
Ferun humpelte zum Fenster und sah einen Moment lang schweigend hinaus. »Ihr habt ja recht«, gab sie dann endlich zu. »Es lag nicht an dem weiten Weg, dass ihr bisher nicht mitdurftet. Aber das Orakel ist eben nicht irgendein Ort, den man sich einfach so anschaut. Die meisten Elfen gehen nur dorthin, wenn sie wichtige Fragen haben. Wenn sie Hilfe brauchen. Wenn sie nicht mehr weiter wissen. In manchen Fällen kann das Orakel dann einen Rat geben. Es hört genau zu, was ihm erzählt wird. Und anschließend verkündet es eine Botschaft, die dem Fragesteller helfen kann.«
»Klingt so, als wäre das Orakel genau richtig für mich«, bemerkte Eyela.
Ferun runzelte die Stirn. »Aber manchmal treiben sich dort auch merkwürdige Gestalten herum«, fuhr sie fort. »Und nicht jedem hilft die Botschaft des Orakels weiter. Manche sind ganz schön durcheinander, nachdem sie dort waren. Einige wurden sogar verrückt! Außerdem sind die Wächter des Orakels sehr streng.«
Bestimmt nicht strenger als Ferun, dachte Eyela und schmunzelte. Die weise Elfe meinte es ja gut mit ihnen. Aber manchmal übertrieb sie es einfach. Ständig war sie um Eyela und Feya besorgt. Das konnte ganz schön lästig sein.