Über das Buch
Immer mehr Menschen klagen über soziale Kälte, Stress am Arbeitsplatz und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Peter Maffay hat einen Ort geschaffen, der frei ist von Hektik und Leistungsdruck: seinen Biohof Dietlhofen. Verbunden mit sehr persönlichen Einblicken in sein Leben erzählt er, wie er auf dem Gut Gemüse und Kräuter anbaut. Wie erfüllend es ist, den Hof zu einer Begegnungsstätte zu machen. Und wie ein neues Verständnis von Natur und Schöpfung uns Sinn und Orientierung geben kann.
Über die Autoren
Peter Maffay ist einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands und begeistert seit mehr als 50 Jahren Millionen von Fans. Doch noch wichtiger als die Musik sind für ihn benachteiligte und traumatisierte Kinder. Die Peter Maffay Stiftung unterhält Ferienhäuser, in denen jedes Jahr über 2000 Kinder, die ein schweres Schicksal tragen, zu einer Auszeit vom Alltag eingeladen sind. In seinem Buch erzählt er sehr persönlich von Gut Dietlhofen und seinem Lebenskonzept, in dem Menschen und Tiere ihren Platz haben und die Natur den Rahmen dafür bildet.
Gaby Allendorf studierte Geschichte und Germanistik, bevor sie nach einem Zeitungsvolontariat und verschiedenen journalistischen Stationen ihre Agentur für Künstlermanagement und Medienberatung gründete. Sie ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Peter Maffay zuständig.
PETER MAFFAY
HIER UND JETZT
Heute die Welt von
morgen gestalten
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Bildnachweise für den Tafelteil
Peter Maffay Stiftung: 2, 6, 11, 12, 17, 22, 26
Wolfgang Köhler, Hamburg: 1, 3–5, 7, 8, 10, 13–15, 18, 19, 21, 27–30
Guido Frebel: 9
Red Rooster Musikproduktion: 16, 20, 23–25
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Copyright der überarbeiteten Neuausgabe © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dr. Matthias Auer, Bodman-Ludwigshafen
Titelmotiv: © Zephyr18/Getty Images; Guter Punkt, München;
ekkawit998/Getty Images
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
E-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-8649-3
www.luebbe.de
www.lesejury.de
»JEDE ZEIT hat ihre Herausforderungen und Chancen.« Mit diesem Satz begann das Vorwort zur Hardcover-Ausgabe dieses Buches, das im Januar 2020 erschien. Etwas mehr als ein Jahr später kommt nun das Taschenbuch auf den Markt. In »normalen« Zeiten verändern sich die Gegebenheiten binnen eines Jahres kaum. Die vergangenen zwölf Monate waren aber voll von außergewöhnlichen Ereignissen und Herausforderungen. Eine noch nie dagewesene Berg- und Talfahrt, ein Wechsel von Ups and Downs. Und auch 2021 ist weit von dem entfernt, was wir unter Normalität verstehen.
Das, was wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, hätten wir zuvor für ein Science-Fiction-Szenario gehalten. Eine Vollbremsung von hundert auf null. Mehr Veränderung auf einmal geht nicht! Solange wir Einfluss auf das haben, was in unserem Leben geschieht, solange wir alles im Griff haben, fühlen wir uns gut und sicher. Wenn uns aber die Kontrolle über unser Leben aus den Händen gerissen wird, reagieren wir mit Angst und Unsicherheit.
Im März 2020 war der kollektive Zustand plötzlich Ohnmacht. Wir waren verurteilt zum Nichtstun, zum Warten. Das war ein harter Einschnitt und für viele Menschen die Höchststrafe, insbesondere für diejenigen, die auch noch mit einem Berufs- bzw. Gewerbeverbot belegt wurden, also beispielsweise Gastronomen, Friseure, Einzelhändler und eben auch Künstler. Unser Jubiläumsjahr, das so harmonisch und voller Enthusiasmus begonnen hatte, der Auftakt zu der großen Konzerttour, all das hat eine dramatische Wende genommen, mit existenzbedrohlichen Folgen für viele Kolleginnen und Kollegen, die hinter den Kulissen tätig sind.
Die Corona-Pandemie hat allen Menschen rund um den Erdball einen Berg von Problemen aufgebürdet: medizinische, wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche. Das Virus ist in einem atemberaubenden Tempo kreuz und quer durch die Welt getragen worden und hat uns eindrücklich vor Augen geführt, was Globalisierung ganz konkret bedeutet, nämlich, dass es keine Grenzen mehr gibt, dass alles mit allem zusammenhängt: soziale Sicherheit, Gesundheit, Wohlstand, Freiheit, Glück und die Verantwortung der Menschen füreinander.
Zugleich ist klar geworden, wie fragil unser Lebensmodell ist. Wer hätte gedacht, dass uns in unserem jetzigen Staatssystem jemand verbieten würde, nachts auf die Straße zu gehen? Wer hätte geglaubt, dass alles, was als »nicht systemrelevant« eingestuft wird, von jetzt auf gleich untersagt ist: Partys, Konzerte, Festivals, Stadtfeste, Weihnachtsmärkte, das Vereinsleben, Restaurantbesuche – alles weg. Viele Existenzen wurden vernichtet. Wir wissen inzwischen: Das Virus macht nicht nur krank. Teile der Gesellschaft werden verarmen.
Es ist die junge Generation, die von den wirtschaftlichen Folgen besonders hart betroffen ist. Der Schuldenberg, den wir aufgetürmt haben, ist gigantisch. Aber nicht nur der finanzielle Gau sollte uns beunruhigen, sondern auch die Bildungsdefizite bei unseren Kindern, die sich durch monatelanges Homeschooling ergeben, und die Not der Schulabgänger, die keine Lehrstellen finden, weil manche Arbeitgeber mit einer unsicheren Perspektive keine neuen Jobs schaffen.
Viele Menschen sorgen sich um unsere Demokratie. Ich auch, denn weitreichende Entscheidungen wurden ohne Hinzuziehung des Parlaments und ohne öffentliche Debatte getroffen. Die Bedürfnisse und legitimen Interessen einiger Bevölkerungs- und Berufsgruppen wurden weitgehend ausgeblendet, ihre Vertreter nicht hinreichend gehört.
Demokratie lebt aber vom Diskurs. Warum entwickeln sich totalitäre Staaten viel langsamer als freie Gesellschaften? Weil sie keine Kritik und keine abweichenden Standpunkte dulden, kaum ergebnisoffene Forschung ermöglichen und die freie Lehre unterbinden. Weil Diskussionen im Keim erstickt werden. Wer hingegen ernsthaft an der besten Lösung für alle interessiert ist, ist offen für unterschiedliche Standpunkte, hört zu und verteufelt nicht von vornherein die Sicht des anderen. Ein Grundgedanke der Demokratie ist der Pluralismus. Das Wort bedeutet Vielfalt und besagt, dass alle Menschen und alle gesellschaftliche Gruppen in ihrer Unterschiedlichkeit akzeptiert werden. Es bedeutet auch, dass der Wettbewerb unterschiedlicher Ideen und Standpunkte wichtig und wünschenswert ist.
In dieser Hinsicht haben einige der Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft während der Corona-Pandemie zuweilen versagt. Für Bestnoten reicht ihre Performance nicht aus. Deshalb sind wir als Bürger mehr denn je angehalten, unsere demokratischen, im Grundgesetz verbrieften Rechte vor schleichender Erosion zu schützen, indem wir Fragen stellen, Zweifel anmelden und Kritik üben.
Beim ersten Lockdown haben wir gehofft, dass die Krise dauerhaft zu einem neuen »Wir-Gefühl« und mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt führt. Inzwischen müssen wir uns eingestehen, dass unser Miteinander wieder deutlich distanzierter und kühler geworden ist. Die Angst, die uns anfangs zusammengeschweißt hat, schlägt immer mehr in Wut um. Die Gräben in unserer Gesellschaft sind tiefer geworden, die Kluft zwischen Arm und Reich größer. Was sich momentan ereignet, ist elementar. Die Welt scheint so zerbrechlich zu sein wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr.
Ich glaube, dass wir an einer Weggabelung stehen und eine Entscheidung treffen müssen. Wir müssen uns darüber klar werden, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen, in Deutschland, in Europa und auf dem ganzen Erdball. Dieses Miteinander schließt ausdrücklich alles ein, was lebt und atmet, also auch die Pflanzen und die Tiere.
Ich wünsche mir für die ökologische Krise genauso viel Aufmerksamkeit, Engagement und weltweite Kooperation wie für die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Denn die Umweltzerstörung nimmt ein kaum vorstellbares Ausmaß an. Die Ausbeutung der Natur und der Klimawandel werden das Gesicht unserer Erde unwiderruflich verändern, wenn wir nicht endlich in einer kollektiven Anstrengung das Ruder herumreißen. Während des Lockdowns hat die Natur uns gezeigt, dass sie im Stande ist, sich selbst ein Stück weit zu regenerieren, sobald wir sie in Ruhe lassen. Das zeigt doch, dass es noch Möglichkeiten gibt, Fehlentwicklungen zu stoppen und die Dinge zum Guten zu wenden.
Immer, wenn im gesellschaftlichen und politischen Leben Differenzen oder Defizite gravierender Art auftreten, ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die die Funktion von Vorbildern oder »Leuchttürmen« übernehmen. Es wird nur etwas passieren, wenn Aufklärungsarbeit geleistet wird und genügend Personen da sind, die den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen. Künstler und Künstlerinnen, egal, ob Maler, Bildhauer, Schriftsteller oder Schauspieler, aber auch Journalistinnen und Journalisten sowie alle, die die Möglichkeit haben, Informationen und Standpunkte zu multiplizieren, sind aufgefordert, sich zu positionieren. Musiker bilden da keine Ausnahme. Zwischen zwei Liedern kann man etwas erzählen, und auch in den Liedern kann man natürlich seine Haltung »rüberbringen«. Jeder kleine Baustein ergänzt das Mosaik, bis am Ende aus allen Bausteinen ein Bild entsteht.
Der Vorteil von Liedern liegt darin, dass man gezwungen ist, mit wenigen Worten auf den Punkt zu kommen, der Nachteil, dass man nicht jeden Gedanken und jedes Argument unterbringen kann, um ein Thema von allen Seiten zu beleuchten. Dafür ist ein Song nicht unbedingt das richtige Medium. Für eine umfassende Betrachtung eignen sich Reden, Diskussionen und Bücher meistens weitaus besser. Ich bin nicht der große Redner, und auch in Talkshows fühle ich mich eher fehl am Platz. Da fallen sich die Diskutanten oft gegenseitig ins Wort, hören nicht richtig zu und spulen häufig vorgefertigte Statements ab.
Es bleibt also das geschriebene Wort. Wenn es für mich einen richtigen Zeitpunkt dafür gibt, dann jetzt, und dabei geht es nicht darum, die Rolle eines Experten einzunehmen. Das wäre vermessen. Alles, was ich machen kann, ist, von meinen Erfahrungen, Erkenntnissen und Einsichten, aber auch von meinen Irrwegen und Fehlern zu erzählen und meine heutige Sicht zu schildern:
Ich habe gute Gründe, mir Gedanken über die Perspektive kommender Generationen zu machen, denn wir haben eine kleine Tochter und einen 17-jährigen Sohn. Nichts ist mir wichtiger, als Anouk und Yaris in eine sichere, lebenswerte Zukunft zu entlassen, so wie alle Mütter und Väter auf der ganzen Welt es sich für ihre Kinder wünschen. Aber uns rennt die Zeit davon. Wir müssen etwas tun, uns zusammenschließen, Mehrheiten bilden und auf künftige Entwicklungen positiv einwirken. Wir dürfen nach Corona nicht zurück zur Ellbogengesellschaft, der Kampf »Jeder gegen jeden« muss aufhören. Wir haben jetzt die Chance für eine neue Sichtweise. Das ist die gute Seite an unserer gesellschaftlichen Situation.
In meinem eigenen Leben habe ich mich bemüht, mich meinen Idealen anzunähern und ein Umfeld zu schaffen, in dem ich meine Vorstellung von einem sinnvollen, erfüllten Leben umsetzen kann, zusammen mit den Menschen, die mir wichtig sind: Das sind meine Familie und meine Freunde, die Musiker in meiner Band, mein Team im Büro, in der Stiftung und im Musikstudio sowie die vielen Partner und Wegbegleiter, die unsere Werte und Visionen teilen.
Seit ein paar Jahren gibt es einen Ort, an dem sich unsere Ideen und Vorstellungen manifestieren: das Gut Dietlhofen bei Weilheim in Oberbayern, eine kleine, intakte Welt, eingebettet in eine wunderschöne Landschaft. Dorthin würde ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, gern einladen.
Sie werden in diesem Buch oft das Wort »wir« statt »ich« lesen, wenn es um Musik oder die Peter Maffay Stiftung geht. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens wäre ich ohne dieses Wir, also ohne die Menschen um mich herum, weder imstande, Musik aufzunehmen oder Konzerte zu geben, noch die gemeinnützige Arbeit in der Stiftung für traumatisierte, kranke oder anderweitig hilfebedürftige Kinder zu leisten. Alles, was wir tun und in den vergangenen 50 Jahren getan haben, ist ein Gemeinschaftswerk und nicht das Werk eines Einzelnen. Zweitens ist »wir« für mich auch ein Statement.
Aus meiner Sicht sind Gemeinschaft und Zusammenhalt in unserer Zeit wichtiger denn je. Das Gemeinwohl muss an erster Stelle stehen und nicht der Eigennutz. Eine Gesellschaft, in der nur das »Ich« zählt, kann auf Dauer nicht funktionieren. Wir wissen nicht, wie die Welt von Morgen aussieht und ob es uns gelingt, unseren geschundenen und missbrauchten Planeten noch zu retten. Wir wissen aber sehr wohl, dass die Herausforderung elementar ist und nur gemeinsam bewältigt werden kann.
Wir brauchen neue Ideen und neue Lösungen, aber auch die Rückbesinnung auf grundlegende Werte. Es ist Zeit für die Vernetzung von Menschen, die unabhängig denken und handeln und dabei ein echtes, ehrliches, unvoreingenommenes Interesse an der Position des anderen mitbringen sowie die Bereitschaft, über dessen Argumente nachzudenken.
Vielleicht kann der eine oder andere Gedanke aus diesem Buch als Anregung oder Inspiration dienen. Oder meine Sicht auf die Dinge ruft Widerspruch hervor. Auch gut! Das gehört zu einer lebendigen, offenen Gesellschaft dazu.
Wichtig ist, dass wir uns alle mit den drängenden Fragen unserer Zeit auseinandersetzen und uns positionieren. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen und Chancen. Auch diese. Nutzen wir sie! Wenn wir wollen, dass etwas passiert, müssen wir handeln, hier und jetzt!
Gut Dietlhofen im Januar 2021
Peter Maffay