Erwin Raphael McManus

Der Weg des Kriegers

 

This Translation published by arrangement with WaterBrook, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC

Deutsche Erstausgabe

Die Bibeltexte sind entnommen aus:

E-Book-Herstellung: Newgen Publishing Europe

ISBN E-Book: 978-3-451-81965-0

Inhalt

Die Regeln des Kriegers

REGEL 1: Der Krieger kämpft ausschließlich
für den Frieden

Der innere Krieg

Die Kraft des Friedens

Kraftvoller Frieden

Kenne deine Macht

Der innere Kampf

Ertrag deinen Schmerz

REGEL 2: Der Krieger sucht die Unsichtbarkeit

Die Macht der Unsichtbaren

Unsichtbare Führerschaft

Klare Kante

REGEL 3: Der Krieger wird groß, indem er dient

Der Erste wird der Letzte sein

Macht entfalten

Entscheide dich für die Front

Ehrgeiz – die verkannte Tugend

Spiele, um zu siegen

REGEL 4: Der Krieger beherrscht seinen Geist

Der Raum zwischen den Regentropfen

Den Regen tanzen lassen

Fesselnde Gedanken

Einen eigenen Kopf haben

Ein Geist für die Zukunft

REGEL 5: Der Krieger stellt sich seiner Verantwortung

Die Freiheit der Verantwortung

Die Last der Verantwortung

Die „Nicht meine Schuld“-Politik

Die Fähigkeit zur Reaktion

REGEL 6: Der Krieger kennt seine Stärke

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Mein Energienetz

Stromausfall!

Emotionale Energie

Im Schmerz sein

Erhaben über den Schmerz

Gemeinsam sind wir stark

Lebensquell

REGEL 7: Der Krieger wird eins mit allem

Wir sind nicht nur in der Schöpfung, wir sind Schöpfung

Eins mit dem Gott der Schöpfung

Mit dem Wind reden

Den Wind sehen

Mensch sein

Die ewige Liebe

REGEL 8: Der Krieger ist standhaft in seinem Schmerz

Feuer und Asche

Die dunkle Seite des Sieges

Wenn das Leben mehr ist, als du ertragen kannst

Wenn du dich verirrt hast

Der unvermeidliche Kampf

Du bist nicht schneller als die Finsternis

Niemals alleine

Lauf der Zukunft entgegen

Zu mehr berufen

Die Regeln des Kriegers

Es ist nie gut, wenn ein Autor seinen Lesern verrät, woher er seine Ideen genommen hat, aber in meinem Fall mache ich eine Ausnahme. Ich könnte alle Umstände aufführen, aber ich zweifle daran, dass ich so richtig erklären kann, wie mir das alles einfiel – oder genauer: wie das alles auf mich einfiel. Es war jedenfalls ein ganz normaler Tag, und ich fuhr durch Los Angeles.

Vielleicht sollte ich, bevor ich weiterzähle, erst anmerken, dass ich eine lebhafte Vorstellungskraft habe, die Frucht eines langen Lebens mit Tagträumereien. Häufig genug bin ich an mir unbekannten Orten und spreche mit Menschen, denen ich ganz sicher noch nie begegnet bin, die sich aber ganz real anfühlen. Manchmal bin ich in der ungewöhnlichen Lage, dass meine Vorstellungskraft übernimmt und ich daneben stehe wie ein Zuschauer.

An diesem Tag fuhr ich also durch Los Angeles und hörte urplötzlich eine Stimme in meinem Kopf, die mir einen Gedanken zuflüsterte, der mir nie zuvor gekommen war. Ich schreibe ihn so hin, wie er mir zuflog: Der Krieger ist für den Kampf erst dann bereit, wenn er den Frieden kennt. Dies ist der Weg des Kriegers. Was ich da hörte, kam mir größer vor als eine simple Erkenntnis. Es klang wie eine Einladung. Und das, so seltsam es auch klingt, war der Startschuss zu diesem Buch.

Die Worte schienen eine Persönlichkeit zu haben. Als wäre ich in graue Vorzeit gefallen. Ich konnte das Gesicht des Kriegers sehen, jede seiner Falten kündete von einem Leben voller Kampf und Weisheit. Ich war in diesem Augenblick im Japan des sechzehnten Jahrhunderts und lauschte den Ratschlägen eines alten Samurai, der seinen jungen Schüler den Unterschied zwischen dem Weg der Gewalt und dem Weg des Kriegers lehrt.

Natürlich kenne ich einige der Erfahrungen, die in diesem Augenblick meine Fantasie befeuerten. Mein Lieblingsfilm ist Die Sieben Samurai des Regisseurs Akira Kurosawa. Die Handlung spielt im Japan des sechzehnten Jahrhunderts. Die Bauern eines kleinen Dorfes werden immer wieder von umherstreifenden Räubern überfallen. Es ist die Geschichte eines Samurai, der sich zur Ruhe gesetzt hat und der auch schon angeschlagen ist, und der sechs weitere Samurai um sich schart, um den Menschen des Dorfes beizustehen. Der Film kam vier Jahre vor meiner Geburt in die Kinos. Ich wuchs auf mit den Heldengeschichten der Bibel, aber erst Geschichten wie diese brachten mir Heldenerzählungen wirklich nahe. Mein Leben lang habe ich den Mut und die Redlichkeit von Kambei Shimada bewundert.

Jahre später saß ich wie hypnotisiert im Kino und schaute zum vierten oder fünften Mal den chinesischen Film Hero. Es war nicht nur die atemberaubende Art und Weise, wie der Film gedreht war – ich tauchte bei jedem neuen Betrachten wieder in die Welt eines Helden ein, der nur der Namenlose heißt. Ähnlich gefangen nahm mich ein Jahr später die Premiere des Filmes Tiger and Dragon mit. Ich war der Einzige im Kino, der kein Chinesisch sprach. Und ich gebe zu, dass mich im Jahr danach die Eleganz und Tiefgründigkeit von Ken Watanabes Darstellung des Katsumoto in Last Samurai völlig mitriss.

Jede dieser Geschichten brachte meiner Seele eine neue heroische Erzählung und erinnerte mich daran, dass es zwischen Gewalt und Ehre, zwischen Rache und Mut, zwischen dem Weg des Krieges und dem Weg des Kriegers bedeutende Unterschiede gibt.

Vielleicht waren es diese Filme und die schier endlose Zahl ihrer Erzählungen, die meine Vorstellungskraft förderten und es möglich machten, dass ich die erste Zeile dieses Buchs hören konnte wie einen Ruf aus grauer Vorzeit, und doch war es mehr als nur das. Meine Gedanken wurden auch von den Realitäten geprägt, denen wir uns gegenwärtig jeden Tag zu stellen haben. Wir leben in einer Welt, die gezeichnet und gekennzeichnet scheint von sinnloser Gewalt. Es lebt gerade eine Generation, deren Haupteindruck von der Geschichte der Menschheit das Zeitalter des globalen Terrorismus ist. Unsere Kinder können nicht mehr mit einem Gefühl der Sicherheit zur Schule gehen, denn es kann jeden Tag zu einem weiteren sinnlosen Massaker kommen. Jeder scheint nur noch hassen zu wollen, ob es sich um islamische Extremisten oder Neonazis handelt. Ich versuche immer noch das Ausmaß an Wut, Hass und Gewalt zu verstehen, das jemanden dazu treibt, eine Schule bis an die Zähne bewaffnet zu betreten, um dann wahllos Unschuldige umzubringen.

Ganz gleich, welche Schlüsse sich sonst noch daraus ziehen lassen, eines ist sicher: Etwas in unserer Welt läuft schrecklich falsch. Ich sehne mich – wie so viele andere – nach Frieden. Was würde ich alles dafür geben, dass diese Gewalt aufhört. Kriege waren früher hauptsächlich das Geschäft der Soldaten, heute liegen uns die Probleme viel näher als nur an Orten irgendwo auf Landkarten und „weit weg“.

Man hat mich immer wieder gefragt, warum die Bibel Gott als einen Gott der Kriege darstellt. Es stimmt ja auch, dass die Heilige Schrift zahllose Kriege schildert. In der Antike war die Sprache des Krieges geläufig, für viele Völker war sie eng verwoben mit der Sprache des Glaubens. Immer wieder erinnere ich mich daran, dass Gott die Menschen nicht schuf, damit sie in Gewalt lebten, sondern dass sich die Menschheit für die Gewalt entscheidet. So läuft unsere Geschichte. So sieht unsere Gegenwart aus, sowohl für die Menschheit als Ganzes wie für jedes Individuum. Gäbe es Gott nicht, hätten wir noch viel mehr Kriege erlebt. Unsere Geschichte besteht aus Streit, Trennung, aus Gier und Macht. Sie ist ein ständiger Kampf, bei dem sich Volk gegen Volk und Bruder gegen Bruder erhebt.

Das ist nicht die Geschichte Gottes. Es ist unsere Geschichte, sie besudelt Gott, weil er Teil unserer Geschichte ist. Denn die Geschichte Gottes ist die Geschichte des Friedens. Aber wie sieht die Geschichte des Friedens aus, wenn man sie mitten in eine Menschheit wirft, die nur Kampf und Gewalt kennt? Die Sprache von Gott als Krieger kam nur deshalb auf, weil Gott für die Wehrlosen eingriff. Gott hörte das Flehen eines Volkes, das gegen seine Versklavung kämpfte, und befreite es. Es stimmt also, er erklärte den Krieg – gegen Ungerechtigkeit, gegen Unterdrückung, gegen Unmenschlichkeit.

Es war Kain, der Abel erschlug. Aber es war Gott, der Rechenschaft von ihm einforderte und der ihn dennoch vor weiterer Gewalt behütete. Es ist leicht, Gott die Schuld für das zu geben, was wir selbst geschaffen haben, um dann seinen Charakter infrage zu stellen, weil er Frieden in unsere Geschichte bringen will, anstatt jedes einzelne Ereignis dieser Geschichte von außen zu manipulieren. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass Gott besser als jeder Einzelne von uns begreift, welcher Krieg in und um uns tobt, und sich danach sehnt, uns zum Ende dieser Gewalt zu führen. Wir sind Menschen des Krieges, weil wir Menschen im Krieg sind. All die Gewalt, die wir in der Welt sehen, bieten uns nur einen flüchtigen Blick auf die Gewalt, die uns innerlich aufwühlt. Der Krieg, der in uns tobt, kocht über und setzt die Welt in Brand.

Auf diesen Krieg in uns richte ich meine Aufmerksamkeit in Der Weg des Kriegers. Ich arbeite mit diesem Begriff, weil ich überzeugt bin, dass nur der innere Frieden zum Frieden in der Welt führt. Und auch während ich dieses Buch schreibe, bin ich umgeben von unzähligen Menschen, die ich liebe, von Menschen, um die ich mich sorge, die mit ihren inneren Dämonen kämpfen, die sie täglich bedrohen. Selbstmord ist zu einer weltweiten Seuche geworden, die auch die Vermögenden und gut Ausgebildeten trifft. All jenen, die die besten Gründe für ihr Leben haben, fällt kein einziger ein.

Depressionen sind epidemisch geworden. Wir können nicht schnell genug Medikamente erfinden, die uns davor bewahren, in dem Abgrund zu ertrinken, der in uns ist. Talentierte, begabte und ganz außergewöhnliche Menschen sind gelähmt von Ängsten und vom Stress völlig überfordert. Und eine stetig wachsende Zahl junger Männer und Frauen, die nie in den Krieg gezogen sind, müssen mit Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung kämpfen.

Der plötzliche Ausbruch von Gewalt, der die Geschichte unserer Kinder prägt, kann nicht mehr länger als Anomalie betrachtet, sondern muss als kultureller Notfall gesehen werden. Ich bin es so leid, die zu verlieren, die ich liebe. Wir können doch nicht still dasitzen und darauf warten, dass alles von selbst wieder gut wird. Ich werde der Welt mit diesem Buch wohl kaum den Frieden bringen, aber wenn ich nur einem einzigen Menschen den Frieden bringe, dann ist mir meine Aufgabe gelungen.

Unsere alleinige Hoffnung auf gesellschaftlichen Frieden ist der innere Frieden, und diesen inneren Frieden erreichen wir nicht kampflos. Es braucht echte Anstrengung. Die Fronten sind klar, im Kampf geht es um deine Seele. Ich habe die Sprache des Weges des Kriegers nicht deshalb gewählt, weil ich den Krieg verklären will, sondern weil ich hoffe, den Weg zum Frieden zu finden. Dieser Krieg muss Mensch um Mensch gewonnen werden, Herz um Herz, Leben um Leben.

Das ist übrigens der Weg von Jesus. So brachte er den Frieden in die Welt. Viele hofften, er würde ein Heer anführen, eine Rebellion anzetteln oder seine Macht gebrauchen, um ein Imperium zu stürzen, er aber entschied sich anders. Er ergab sich nicht dem Status quo, noch gab er der unvermeidlichen Herrschaft der Unterdrücker nach. Er war sich völlig sicher, dass sich seine Revolution bewähren würde. Er kannte den Weg zum Frieden. Er wusste um die Ursache aller Kriege. Er wusste, dass all das im Herzen des Menschen beginnt.

Dieser Weg Jesu ist der uralte Pfad zum inneren Frieden. Indem ich mich dafür entscheide, ihm zu folgen, entscheide ich mich für den Weg des Kriegers. Jeden Tag bin ich im Krieg. Selbst nach vielen Jahren toben noch Schlachten in mir. Aber ich gebe keinen Schritt nach, sondern mache von Tag zu Tag weitere Geländegewinne. Ich bin noch im Kampf, und ich kämpfe hinter den feindlichen Linien. Ich bin allen Feinden des menschlichen Geistes begegnet. Ich habe Angst und Zweifel kennengelernt, Verbitterung und Wut, Eifersucht und Gier. Sie alle sind mir allzu sehr vertraut. Und nach viel zu langen Jahren, in denen ich auf diesem alten Pfad voranschreite, bin ich mir nur einer Wahrheit ganz gewiss – die Welt in dir erzeugt die Welt um dich.

Den inneren Frieden erreicht man nicht zufällig oder durch Wunschdenken. Der innere Frieden bedeutet eine Reise zur Selbstbeherrschung. Der Weg des Kriegers ist eine Angelegenheit der Seele. Er ist eine Reise auf die Erleuchtung zu. Und er ist letztendlich ein Ergebnis unserer Beziehung zum Schöpfer des Universums. Die Welt, in der Jesus lebte, kannte keinen Frieden, und doch konnten die Mächtigen auch mit aller Kraft Jesus den Frieden nicht rauben. Es überrascht nicht, dass ein Akt der rohen Gewalt zu unserem Weg zum Frieden wird. Das Kreuz weist uns den Weg, den Pfad wählen wir selbst. Die Schrift spricht von Finsternis und Licht, und was immer sonst das noch bedeuten mag, erinnert es uns doch daran, dass in uns allen ein Krieg tobt.

Hast du dich der Finsternis ergeben? Hast du das Licht aus dem Blick verloren? Bist du ausgelaugt vom Kampf, kannst aber immer noch nicht aufgeben? Dann bist du nicht allein. Den Kampf, der in dir wütet, musst du nicht alleine fechten. Und bist du gerade eine Haaresbreite davon entfernt, dich aufzugeben, dann hoffe ich, dass ich dich irgendwie davon überzeugen kann, dass der Gott, der dich schuf, für dich kämpfen wird.

Du kannst dich nicht aufgeben, wenn Gott selbst den Kampf für wert hält. Das Kreuz, an dem Jesus starb, wird nie ein Zeichen der Niederlage und des Aufgebens sein. An das Kreuz wird man sich selbst noch nach dem Ende aller Zeiten als das Zeichen nicht nur dessen erinnern, der siegreich war, sondern auch als Verheißung, dass letztlich der Krieg dem Frieden weichen muss. Es ist der Weg Jesu, der uralte Weg zum inneren Frieden. Sein Leben ist der Weg des Kriegers.