(Vergleiche Abbildung 12)

Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

Ein Mädchen einer sechsten Klasse teilte mir mit, dass sie und ihre Freundinnen gerne einmal probeweise an der Matheparty teilnehmen würden… wenn nur das Wort Mathe nicht im Titel der AG wäre. Das würde sie und ihre Freundinnen von einem Schnupperbesuch abhalten1.

Nun, Mathe ist eben Mathe, so scheint es zu sein. Doch ein verbessertes Erscheinungsbild ist wichtig. Eine neue Vorstellung davon, was Mathematik beinhaltet, wächst. Das neu gestylte `Mathewesen´ interagiert praktisch und fantasievoll. Es veranstaltet Partys mit Emotion. Etwa seit Mitte der 90er Jahre sind an vielen Orten verstärkt anschauliche, praxisbezogene Inhalte entwickelt worden. Diese sind ästhetisch bemerkenswert, machen Strukturen von Theorie sichtbar und assistieren dem Logiksektor des Gehirns. Die Schulen haben sich gerne geöffnet. Die Vernetzung der wunderbaren Ausarbeitungen steht jedoch noch am Anfang. Viele Praxisbereiche sind wie polynesische Inseln. Jede dieser Inseln lädt zu einem glücklichen Urlaub ein. Neue `Brücken´ zwischen den mat(h)erialisierten Kunstwerken sind im Buch zu finden.

Das Mathematikum in Gießen hat ein Veranstaltungsprogramm, macht Ausstellungen, betreibt einen Webshop. Von dem jungen Haus gehen sogar touristische Impulse aus.

Praxis-Webseiten (z. B. www.mathematische-basteleien.de von Jürgen Köller) können besucht werden. Lehrende und interessierte junge Menschen machen solche Basteleien und andere Praxisübungen gerne.

In der Matheparty probieren wir auch die Realisierung eigener Ideen. Ein spezielles Ballspiel in einer Konstruktion auf dem Schulhof macht Freude, trainiert Muskulatur und Gehirn, verleiht der Aktion zusätzlichen Sinn. Das Anfertigen einer Groß-Konstruktion mit `Mathe-Material´ und `Mathe-Werkzeug´ geschieht im Team. Geübte, fantasievolle Konstrukteure können auch andere Aktivitäten wählen. Sportliche Gruppen gehen anders vor als solche, die gerne farbig malen. Eine für den Anfang gut geeignete Groß-Konstruktion ergibt ein gleichseitiges Dreieck. Dieses findet man in der Matheparty immer wieder. Es taucht immer wieder auf wie ein `roter Faden´, und könnte als eine Art Kristallisationskern betrachtet werden.

146 Fotos und Grafiken zeigen Inhalte und Brückenglieder. Der Leser möge sich reichlich Zeit für die Betrachtung der Abbildungen nehmen und die genannten Internetseiten besuchen. In den schön gestalteten Seiten stecken sehr viel Arbeit und Geist. Große Tiefe im Zusammenspiel von Theorie und Praxis zeigt sich. Der Wert des Ganzen erschließt sich dem Leser in dieser Tiefe besonders deutlich, wenn er nicht nur liest, sondern tatsächlich mitmacht.

Ich habe versucht, dieses Nachvollziehen (und weiter führendes Experimentieren) ganz leicht zu machen. Das spart Zeit und Nerven. Wer mehr (genießen) möchte, findet im Buch und im Netz genügend Hinweise und Material, um Komplizierteres zu machen. Es lohnt sich (und ist unumgänglich), Geld für Papiere, Baukästen, Spielsachen, Bastelbögen, Bücher, usw. auszugeben. Mathe-Werkzeuge von bester Qualität werden manchmal als Sonderposten angeboten.

Praxis eignet sich auch für spontane Stunden und hat großes Potenzial. Der Wert von Basteleien wird oft gewaltig unterschätzt. Eine Schülerin, die einen Blick auf die Matheparty beim Spiel mit Zometool warf, meinte, das sei `Kindergarten´. Ich zeigte ihr einige 2D- und 3D-Objekte in einem größeren Objekt, erzählte von Zometool an der Universität Augsburg und wies auf den Wert von Praxis für das eigene Leben hin. Ihr kritisch-geringschätziger Blick verwandelte sich in Nachdenklichkeit.

Durch einfach nur `machen und tun´ ohne enge Vorgaben gelingen oft schöne Überraschungen. Probieren und studieren! Sich be-geist-ern und be-geist-ern lassen! Im Gehirn entstehen neuronale Muster als Basis für Forschung und sonstige Kreativität. Spielerische Entwicklung ist auf jedem Level und in jeder Altersklasse möglich (und empfehlenswert). Praxis und Theorie bilden zwar eine Einheit, doch kann der Schwerpunkt auch nach Neigung gesetzt werden:

Über den gewohnten Rahmen der Mathematik hinausgehende Ideen habe ich auch aus Platzgründen sehr einfach (abstrahiert) formuliert. Die Kernaussagen und das, was sich beim tieferen Durchleuchten ergibt, dürften sich Ihnen (rational und emotional) jedoch leicht erschließen. Ansonsten möge man sie gerne konstruktiv zur Diskussion stellen.

Der Schulleitung und den Lehrkräften des Hans - Geiger - Gymnasiums Kiel möchte ich für sehr gute Gespräche und inhaltliche Freiheit besonders herzlich danken. Der Verein der Freunde hat (mithilfe freiwilliger Einnahmen) die AG großzügig materiell gefördert. Die Stadt Kiel ermöglichte in Zeiten knapper Finanzen diese Arbeitsgemeinschaft. Zudem konnte die Matheparty in dieser Form nur entstehen, weil mir im Laufe des Lebens viele qualifizierte Menschen ihr Wissen zur Verfügung stellten.

Volker Zett

1 Anfang August 2013 habe ich die AG in Geo-Tüfteln umbenannt. Wie von selbst erschienen neue Teilnehmer, darunter mehrere begeisterte Mädchen.

2. Einführung und Überblick, erste Zusammenhänge

Lange Zeit hatte ich mich nur mit Konstruktionsberechnungen und der Realisierung der dazu gehörigen Projekte beschäftigt. Nun führte mein Weg ins Gymnasium. Und ich hatte mir vorgenommen, eine neue Arbeitsgemeinschaft `Matheparty´ mit Leben zu füllen. Anfangs bestand die Arbeitsbasis nur aus einigen Tricks der `after - dinner - magic´, der sich viele Mathematiker zu allen Zeiten verbunden fühlten.

In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es eine rein abstrakte `Grauzeit der Mathematik´. Und ich war mittendrin. Die Wissenschaft faszinierte mich, und dennoch beschlich einige von uns Studenten mit der Zeit ein Gefühl, als ob etwas fehlen würde. Ein Mathelehrer erzählte mir kürzlich, dass damals auch im Süden Deutschlands an den Universitäten selbst das Zeichnen von Bildern zur Veranschaulichung unerwünscht war, und - wenn es einmal nötig war – möglichst unauffällig hinter vorgehaltener Hand gemacht wurde. Die Professoren benutzten Tafelkreide und Studenten den Kugelschreiber. Ein beidhändig arbeitender Professor – in der linken Hand hielt er immer den Tafellappen – eröffnete uns Studenten einmal einen schnellen Blick auf einen zauberhaften Ort. Der Literaturhinweis `Martin Gardner, Mathemagische Tricks´ war angesichts des Lappens jedoch `sehr endlich´, allerdings wurden unsere Studentenpartys durch das Buch erfreulich inspiriert.

Jede Woche bekamen wir fünf Übungsaufgaben in linearer Algebra und auch fünf in Analysis. Mein Mathe-Konkurrent aus der Zeit vor dem Abitur und ich hatten nach einem langen Tag des Probierens erst sieben davon gelöst. Nachdem wir „völlig fertig“ aufgegeben hatten, geschah das Unfassbare am Abend im Holzofenpizza-Restaurant. Kurzer simultaner Blickkontakt, und wir hatten die Lösung der Aufgabe Nr. 8. Einmal traute sich ein Student, im Hörsaal des Audimax den Vortragenden anzusprechen, wie es denn möglich sei, alle 10 Aufgaben zu lösen, und ob es dafür eine besondere Methode gäbe. Mit der Antwort minimale Zeit verbrauchend gab uns der High-Speed-Professor die gewünschte Information

„Die Lösungen träumt man.“

… und sofort ging es weiter.

Um die Faszination des rein Abstrakten zu erleben, mussten wir einige Semester lang immer tiefer in die Materie eintauchen. Wir lernten Fragen zu stellen, diskutierten und träumten davon, die Riemann’ sche Vermutung zu beweisen.

Nach dem Studium wandte ich mich dem Erwerb praktischer Fähigkeiten zu. Die Anfertigung einer fünfeckigen Spielzeugkiste mit Trichterzinkung war ein Experiment. Ein historisches Lehrbuch enthielt leider nur ein Kapitel über viereckige Mühlentrichter. Somit war es (auch für den Tischlermeister im Hintergrund) ein echtes, spontanes Experiment.

Die praktische Realisierung des Werkstücks mit stark abgeschrägtem Deckel in Rahmenbauweise gelang. Für Maßhaltigkeit wären errechnete Winkel im Hirnholzbereich2 [bei Korpus (s. Zinkung) und Deckelrahmen] zur Einstellung des Sägeblattes wichtig gewesen. Die Verleimung des Deckelrahmens geschah spontan mithilfe der Methode `4-Hände-halten-15-Minuten-lang-fest´.

Abb. 1, Spielzeugkiste in fünf Farben (Kiefer, mit Deckel, pyrocolor-gebeizt)

Dieses Ornament erinnert an das Yin-Yang-Symbol. Es hat drei `Fische´ aus 14mm dicker Kiefer und einen Gesamtdurchmesser von 12cm. Zusammengesetzte Formteile müssen sehr präzise gearbeitet werden. Kleinste Fehler potenzieren sich zu Lücken zwischen den Bauteilen. Die Gesamtform (hier der Kreis) sollte genau sein!

Abb.2, Verzierung im Kopfbereich einer Pinnwand

Viele Objekte wie die `Papierflieger, die wirklich fliegen´ von Robinson (mit ausführlichen Faltplänen) haben mathematische Hintergründe. Für Lehrzwecke hilft es, bei der Arbeit mit einem Faltplan, Modelle der schwierigen Zwischenstadien der Faltung anzufertigen. Diese Submodelle können herumgereicht oder als Foto projiziert werden. Im Jahr 2000 reiste H.-W. Henn vom FB Mathematik der Universität Dortmund zu einem internationalen Kongress für Mathematikdidaktik nach Tokio. Dort gab es eine Origami-Werkstatt. Die Verbindung von Mathematik und Origami wird in Japan ORIGAMICS genannt.

In den späten 70er Jahren musste man einfache Statistik-Programme noch selbst schreiben. Highlights der Arbeitsergebnisse waren Graustufenbilder mit Punktescharen. Nach einem Tag Wartezeit waren sie im Rechenzentrum abholbereit. An heißen Sommertagen stürzte der Großrechner oft ab. Heute kann jeder Schüler auf einem Heimcomputer, der nur 1/3 so wenig kostet wie ein Taschenrechner Mitte der 70er, sogar mathebasierte Kunst und Grafik gestalten und das Bild spontan drucken.

Seit einigen Jahren präsentiert die Mathematik ihre Ergebnisse gerne sehr farbenfroh und auch be-greif-bar. Die Leistung der Computer konnte bis heute immer wieder erhöht werden und es wurde kürzlich möglich, Fraktale farbig gestaltet in die dritte Dimension aufsteigen zu lassen. Daniel White zeigt in Spektrum der Wissenschaft 04/2010 „ein Stück Mandelknolle im Nebel“ (googeln, PDF-Datei). Dazu gibt es eine „herzergreifende Geschichte“ von einem Lebewesen auf einem Asteroiden. Im Netz kann mathebasierte Kunst erworben werden. Man findet Poster, Kunstdrucke, Becher, Mousepads, Puzzles, Tücher, Spielzeug und anderes. Christoph Pöppe bietet preisgünstige Kartonbausätze an (http:/poeppe-online.de/14.html).

Abb. 3, Kleines Stern-Dodekaeder

Abb. 4, Fünfstern-Dodekaeder

Das Mathematikum in Gießen beschäftigt sich mit Mathematik zum Anfassen. Man könnte auch von Mathe für die andere Gehirnhälfte und für das ganze Gehirn sprechen, und von Mathe für die Hände und für den ganzen Menschen mit seinem ganzen Gehirn. Ein Kollege bezeichnete kürzlich einige Inhalte der Matheparty als `Mathe für Mädchen´. Zu diesem Begriff befragte ich eine Referendarin. Sie wusste sofort, was das bedeuten sollte. Sie habe sich einmal die ganzen Weihnachtsferien über mit mathematischen Flechtmodellen beschäftigt, und wolle in Kürze mit einer neunten Klasse so ein Modell basteln. Freundlicherweise erhielt ich eine Einladung zu dieser Stunde. Die Mädchen und auch die Jungen hatten große Freude am Flechten eines Tetraeders (siehe Abb. 68).

Auf der Internetseite www.hbmeyer.de/flechten findet man ausführliche Anleitungen auch für Nicht-Platonische Körper.

Abb. 5, Drei-Becher-Trick

Den `Drei-Becher-Trick´ aus meiner Studentenzeit kann man gut unter Mathe für Mädchen einordnen. Die Jungen der Matheparty haben sich jedoch auch sehr dafür begeistert. Gleichseitiges Dreieck, Quadrat und Fünfeck sind Basisbausteine der Geometrie (und der Mathematik). Dies wird auch im Buch deutlich.

Vor den Ferien erhielt ich eine Einladung für eine experimentelle Stunde. Eine neunte Klasse bekam von mir eine Materialpalette (und Farbkarton) für den zu findenden Aufbau. Nachdem die Lösung erschienen war, wurde experimentiert, mit Smartphones und Kameras dokumentiert.

Abb.6a… die Lösung

Abb.6b
Grünes Objekt und möglicher Sockel

Abb.7, Quadrat

Abb. 8, Experiment

Bitboxen, Löffel und vier Becher

In gehobenem privaten Rahmen sei empfohlen, bei Aufbauten mit geschliffenem Kristallglas, Silberbesteck und dem Servieren eines Holundersafts ins mittlere, höher gestellte Glas, einige Vorsichtsmaßnahmen zu treffen (und unbedingt vorab ein wenig zu üben).

Abb. 9, Becheraufbau

Den Drei-Becher-Trick hatten wir als Studenten nur mit Trinkgläsern, Messern und Gabeln gemacht. Natürlich lässt sich aus dem Aufbau (mit Feingefühl) eine größere 3D-Struktur erzeugen.

Nicht jedes Essbesteck und nicht jeder Sockel sind geeignet. Stärker gerundete Löffel kommen leicht ins Rutschen. Mit leichten, instabilen Sockeln geht es nicht immer gut. Leere Papp- oder Plastikbecher dreht man besser um. Weitere blaue Becher wären für ein perfektes Foto nötig. Mit Quadraten (vgl. Abb. 7) lässt sich so ein Aufbau übrigens auch machen.