Diesen satirischen Roman widme ich dem Alt- und Großmeister der Filmkomödie, Mr. Billy Wilder, dessen Todestag sich 2012 zum zehnten Male jährt.
Seine Filme hatten ‚Gott-sei-Dank!’ den größten Einfluss auf mich schon in meiner frühesten Kindheit und später auf meine literarische Tätigkeit.
Jörg Mehrwald, 2012
Das Buch
Die größte Boulevard-Zeitung Europas, die „BULL“, ist so mächtig wie nie zuvor. Ihr Chefredakteur, Guy Dieghahn, hat ein ehrgeiziges Ziel. Er will den Bundespräsidenten stürzen. Wer die Nummer Eins im Staate zu Fall bringt, ist unumstritten der Meinungsmacher der Nation. Doch unverhofft wird Dieghahn von jeder Menge Ärger überrollt.
Die Chefs, die Macher, die Jungredakteure, die Aufsteiger und die Abgezockten der erfolgreichsten Boulevard-Zeitung auf dem europäischen Festland – sie alle stehen im Mittelpunkt dieser turbulenten, kurzweilig zu lesenden Komödie voller Dialogwitz, in der Realität und Fiktion nahtlos miteinender verschwimmen.
Der Autor
Jörg Mehrwald schrieb mehr als zehn Romane. So u.a. die Satire „Der neue König von Mallorca“ (Marlon), „Gier“, mit Dieter Wedel, (Heyne) und eine Reihe von e-Book-Serials (abrufbar auf XinXii). Er arbeitete als Gagautor und Drehbuchautor, realisierte als Produzent und Regisseur nach eigenen Bühnenstücken und Romanen eine Reihe von Independent-Filmen, u.a. „Drei Banker, ein Strick und die große Pleite“ – die Tragikkomödie zur Finanzkrise. Desweiteren „Beat-Crew“ – eine Satire über die legendäre TV-Sendung „Beat-Club“ sowie die Video-Chat-Doku „Zeitlinie“ – SPIEGEL-Legende Matthias Matussek im Gespräch über sein Leben. Für die Spin-off-Sitcom zum Roman BULL schrieb Jörg Mehrwald das Drehbuch „Bull – Kings of Headline“.
INTRO
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Der folgende satirische Roman ist pure Erfindung. Alle Gedanken, Beobachtungen, Dialoge und Meinungen sind Fiktion und dennoch hofft der Verfasser, dass alles ganz nah am Zeitgeschehen geblieben ist. Alle Namen von aktiv Handelnden sind verfremdet oder geändert und entsprechen nicht eventuell real existierenden Personen. Wo sich in geschilderten Verhaltensweisen Ähnlichkeiten ergeben, können diese nur rein zufällig sein. Personen und Ereignisse jedoch, die in den großen Themenkomplexen der Boulevardpresse zeitgeschichtlich tatsächlich eine Rolle gespielt haben, erscheinen mit ihrem realen Namen. Alles, was darüber hinaus im Zusammenhang mit tatsächlich existierenden Personen oder Ereignissen verknüpft wurde, hat der Autor in freier und humorvoll darstellender Fabulierkunst fiktive Realität werden lassen.
Die Intention des Autors war es, die Welt der Boulevardpresse und ihrer mächtigsten Vertreter, die es geschafft hatten, einen Bundespräsidenten zu stürzen, einmal ganz anders zu zeigen. Kritik an einer machtvollen Tageszeitung zu üben, erscheint hier zu billig. Kapital, Politik, Einfluss und ein nicht unbeträchtlicher Teil des Volkes stehen – gewollt oder nicht gewollt – fast geschlossen hinter dieser Zeitung. Da gibt es nichts zu kritisieren, es sei denn, man ist hoffnungsloser Romantiker. Der Autor möchte sich seine Hoffnung in Resten erhalten. Wer gekauft wird, hat Recht. Einem Mythos zu huldigen, ist nicht die Aufgabe des Satirikers. Es ging dem Autor um den schlichten Gedanken, die unantastbaren Götter jenes Markt und Meinung beherrschenden Printmediums in eine Sitcom (Situationskomödie) zu versetzen und mit dessen Freunden und Gegnern auch mal über ihr einflussreiches, tägliches Werk zu lachen. Denn manchmal könnte es direkt unser Nachbar gewesen sein, den man in einer Headline der BULL-Zeitung glaubt, wieder zu erkennen. Ob die neuen Mediengötter wirklich den Humor haben, auch mal über sich selbst zu lachen, bleibt wohl eher ein Geheimnis. Allein, dass diese quasi-Vorwort-Gedanken sich als nötig vordrängelten, zeigt, wie es um die Satire in Deutschland bestellt ist, wenn sie eher banale Spielräume verlässt und das Aktionsfeld Politik – Medien – Wirtschaft – Finanzen von der Humorseite her aufmischt.
Für reichliche Anregungen dankt der Autor der meist gekauften und meist zitierten Zeitung in Deutschland – der „Bild“-Zeitung.
Drei Fundstücke:
Früher:
Rudi Carrell hinter den Kulissen von „7 Tage 7 Köpfe“ zum Autor JM: „Über die Bild-Zeitung mache ich keine Witze, mit einer einzigen Ausgabe von Bild mache ich eine ganze Sendung voller Witze.“ Darauf Kabarettist Jochen Busse aus dem Hintergrund: „Rudi! Ich wollte mich doch erst auf der Bühne aufregen.“
Nicht ganz früher:
„Zum Regieren brauche ich nur Bild, Bams und Glotze.“
(Gerhard Schröder, Bundeskanzler i.R.)
Vor kurzem:
„Wir sind Papst!“ (Bild-Zeitung)
Ein Jahr vor dem 60jährigen Gründungsjubiläum stiegen die Verkaufszahlen der größten Boulevard-Zeitung Europas beständig an. Und damit bildete sie die Ausnahme in einer Welt, die den Bach runter zu gehen scheint. Der Erfinder der BULL-Zeitung, der eigentlich in seiner Jugend lieber Sänger hatte werden wollte, wäre 2012 sogar hundert Jahre alt geworden, allerdings hatte er es versäumt, regelmäßig Operettenmelodien in seinem Verlegerbüro für die Belegschaft zu schmettern. So verstarb er viel zu früh und konnte die Freuden des biblischen Alters nicht zusammen mit Jopie Heesters genießen. Da man ihm ein nahes Verhältnis zu Gott nachsagte, bleibt zu vermerken, dass Gott offensichtlich fröhliche, unbeschwerte Sänger bevorzugt. Auch diese Stelle sucht man vergeblich in der Volksbibel, mit der das deutsche Volk vor einiger Zeit beglückt wurde.
Der Porsche drängelte aufgeregt durch den dichten Verkehr, der sich von Potsdam nach Berlin schlängelte. Das Heer der Blechlemminge ergoss sich in die hippe deutsche Hauptstadt und produzierte bereits zu früher Stunde Stress, Frust, aber auch wenige glückliche Momente immer dann, wenn das kleine grüne Licht aufleuchtete. Am Steuer murmelte Guy Dieghahn fluchend vor sich hin. Wie immer erschien Deutschlands Hauptstadt inmitten des längsten europäischen Staus aller Zeiten zu liegen. Neben ihm checkte seine Frau die neusten Meldungen auf Facebook. Von hier erhielt sie manchmal die heißesten Tipps von anderen Frauen. Dann twitterte sie ihren Freundinnen via iPhone, was sie gerade tat, nämlich im Auto sitzen und im Stau stehen. Das gesteigerte Interesse von Frauen um die vierzig, sich solchen Meldungen bereits am frühen Morgen frenetisch zu widmen und die „schönsten Grüße für den Tag“ zurück zu schicken, ließ sich nur auf die Prominenz von Frau Professor Nadja Treller zurückführen. Treller hatte ihren Mädchenamen behalten, da sie sich nach einem Bestseller über den Skandal-Popstar Dieter Bohlen und mit kompetenten Kommentaren zu Nacktbildern unbegründet hoffnungsvoller Sternchen einen ausgezeichneten Ruf in der Branche aufgebaut hatte. Kritisch sah sie sich von der Seite ihren Mann an. Das hatte sie doch glatt in ihrem neuen Buch über ihn vergessen. Er mochte immer noch schlank sein, sein Auftreten makellos, seine legere Kleidung - dank ihrer Auswahl - vorzeigbar, aber auf eine erschütternd triviale Weise meckernd, das hatte sie glatt vergessen. Es machte ihn diabolisch und ungeheuer interessant zugleich. Für eine Frau, die ihn schon morgens auf dem Klo sitzen sah, war diese Phantasie nach zehn Jahren Ehe glücksspendend, wenn nicht sogar hoffnungserweckend.
Immerhin bestimmte er die Meinung in der Republik. Die geistige Nahrungskette hatte sich eingespielt. Die BULL-Zeitung sagte dem Volk, was Sache war, das Volk konsumierte es und multiplizierte die Meinungen und am Ende standen Politiker, die dieses Ergebnis – je nach politischem Lager – versuchten, entweder in Statements umzuwandeln, freudig zu kommentieren, es als niveaulosen Quatsch zu verleumden oder sich einfach sich nur ärgerten, dass sie selbst nicht drauf gekommen waren. Und das gleiche galt für alle Berufsgruppen, die irgendwie in der BULL-Zeitung vorkamen. Guy, der Chefredakteur, war mächtig. Allein deswegen hätten Millionen anderer Frauen Guy gern vernascht, aber sie, Nadja Treller, plagte sich nun mal mit seiner Domestizierung herum. Sie schaute zufrieden aus dem Fenster und verfolgte die Eintragungen ihrer Facebook-Freundinnen, die sich im Stau Gedanken machten über geile Männer, die bei ihnen zuhause grundsätzlich nie auftauchten. Guy Dieghahn bog schimpfend in die Straße ein, die den Namen von Deutschlands berühmten Boulevard-Blatt-Verleger trug, der die Geschichte dieses Berufsstandes um einen beispiellosen historischen Triumph bereichert hatte. Er glaubte als einer der wenigen über Jahrzehnte tatsächlich ganz fest an die deutsche Einheit. 2012 feiert Europas größtes Boulevardblatt 60 Jahre Bestehen, 60 Jahre Erfolg. Es war geschafft. Der absolute Machtbeweis war erbracht worden. Und ja - den Bundespräsidenten wollte er noch stürzen. Nicht die Kanzlerin, nein, den ersten Mann im Staat. Den Unantastbaren. Die BULL-Zeitung bestimmte die Meinung der Republik und er wollte, dass es alle anerkennen. Insgeheim träumte er schon lange davon, denn es gab genug belastendes Material, um endlich den absoluten Machtbeweis zu inszenieren. Die Geschichte sprach schon lange eine unbarmherzige Sprache, auch Guy wollte diese Sprache sprechen. Doch die Geschichte war voller Feinde und sie erhielten posthum Straßennamen. So trug die Querstraße zum Verlagshaus ausgerechnet den Namen des größten Feindes der BULL-Zeitung. Er war schon tot, er war ein Intellektueller und sein Name stand letztlich dafür, dass er die BULL-Zeitung nicht beseitigen konnte und sehr laut zu sprechen pflegte. Rudi Dutschke. Er war ein Brüller. Freilich sahen die Gegner der BULL-Zeitung das ganz anders. Eine Verlagsadresse mit diesem Namen war für sie eine kleine Entschädigung für die tägliche Bilderflut und das Headline-Wortgemetzel, dem Millionen Deutsche huldigten.
Guy lächelte zufrieden und merkte nicht, wie seine Frau ihn blinzelnd beobachtete. Nadja hielt den Zeitpunkt für gekommen, ihrem Mann noch schnell einen wertvollen Hinweis für den Tag mit auf den Weg zu geben.
„Der Verlag möchte, dass ich die ganz harten Enthüllungen über die Chefredakteure mit rein nehme. Die wollen eine Vorabdruck-Serie starten. Dann drucken sie von meinem Buch auch die Startauflage mit hunderttausend Exemplaren, Schatz.“
Guy Dieghahn zupfte sich am Ohr, um sicher zu gehen, dass er noch eins hatte, denn was da in sein Hirn drang, entbehrte für sein Verständnis absolut jeder Logik. Er hielt es sogar für einen femininen Tiefschlag, auf den noch so frischen Tag bezogen.
„Wie bitte? Mach das bloß nicht. Ich ruf die an.“
Dieghahn gab Gas und der Porsche jaulte auf. Nadja hielt ihr iPhone fest umklammert.
„Schatzi, das kann ich selbst. Was macht denn das für einen Eindruck, wenn mein Mann anruft, wo ich die investigative Frau bin, die einen der mächtigsten Männer des Landes enthüllt.“
„Das ist doch…, enthüllt Pillepalle.“
„Bitte greife nicht auf Dieters Kultwort-Repertoire zurück. Das ist nicht Pillepalle. Das ist mein Ruf.“
„Nadjaschatz, dein Ruf… Manchmal wünschte ich mir, er würde in den Weiten einer Wüste erklingen.“
Nadja schlug instinktiv mit der zusammengerollten BULL-Zeitung einmal kurz nach ihrem Mann, der gestählt unbeeindruckt weiter fuhr. „Dann wäre ich dein Scheich und könnte verbieten, was ich wollte. Du kannst das nicht veröffentlichen. Da fällt mir gerade ein, ich habe dir das ja gar nicht alles erzählt. Irgendein anderer Trottel ist wieder auf deine Fragetechnik reingefallen.“
„Kann ich recherchieren, Schatzi? Bin ich blöd?“
„Du weißt, wenn du Wert darauf legst, attestiere ich dir das gern?“
„Nicht nötig. Ich muss es veröffentlichen. Wir sind doch beide der Wahrheit verpflichtet“, gab sich Nadja leutselig.
„Ja, natürlich. Erst werde ich als Privatmann in der Öffentlichkeit vorgeführt und mache auch wirklich alles mit. Nicht mal die Muster meiner Shorts kann ich für mich behalten. Du hast die Bestseller und nun soll ich meine Freunde und Kollegen verraten.“
„Das ist wieder typisch! Männer glauben immer jemanden zu verraten, wenn es mal hart wird. Wir stehen übrigens schon in der Parkgarage.“
„Ach, ist es doch nicht der Louvre?“
„Also, du weißt bescheid. Ich muss liefern. Du kannst ja mal überlegen, wie man es den anderen so beibringt“, antwortete Nadja.
„Wie würdest du es denn machen?“ fragte Guy, als sie beide ausstiegen und zum Lift gingen.
„Ich würde es ihnen erzählen. Was ihr da so habt, Klatsch, Tratsch, das vergisst man.“
Dieghahn stand im Fahrstuhl und verfluchte den Tag, an dem er diesen blöden Weiberbüchern zugestimmt hatte. Gefragt hatte ihn seine Frau, so viel war ihm klar. Dass er wie immer eingeknickt war, wusste er auch. Er hielt es damals für clever.
„Vergessen! Ich lasse täglich alte Geschichten ausgraben. Von Präsident Clinton bis Roberto Blanco. Vergessen existiert nicht in der digitalen Welt.“
Die Fahrstuhltüren öffneten sich und die beiden gingen in verschiedene Richtungen davon. Dieghahn stürzte in sein Büro, vorbei an vier Sekretärinnen, die ihn freundlich grüßten.
Nadja wollte zunächst den Textchef für die letzte Seite, Glorionus, sprechen. Ihr iPhone meldete sich. Sie nahm das Gespräch an. Andere Redakteure liefen an ihr vorbei in den großen Redaktionsraum, dem News-Room, wo sie alle an einem u-förmigen lang gezogenen Konferenztisch an ihren PC-Schirmen saßen.
„Guy, schon alles klar?“ fragte Nadja.
„Koepner hat gerade angerufen. Dringend. Es gibt eine Überraschung. In fünfzehn Minuten alle in meinem Büro. Kleine Runde. Also, mich erreichst du jetzt erst mal nicht.“
„Oh, spannend. Ruf mich bitte unbedingt an!“
„Hmmm.“ Nadja hörte nur noch ein Knurren. Ihr Mann war verärgert.
„Nein, Herr Dieghahn ist jetzt nicht zu sprechen“, sagte die Sekretärin am Telefon, als ein amerikanischer Korrespondent anrief.
Die Tür zum Büro des Chefredakteurs war bereits seit einer Viertelstunde geschlossen und am liebsten hätte der Verleger alle iPhones und Handys auf das Stehpult am Office legen lassen, um dort ungestört reden zu können. So wie man früher die Waffen ablegen musste, bevor eine Gangsterkonferenz stattfand.
„Was heißt das genau?“ fragte der Chefredakteur von Europas wichtigster Boulevardzeitung seinen Verleger, der wie ein Leuchtturm inmitten des Büros von Guy Dieghahn stand. Dieghahn hatte als Herausgeber und Chefredakteur für alles aber auch wirklich alles, was die BULL-Zeitung in der Republik an schmutzigen Wahrheiten, fatalen Gerüchten und buntem Klatsch verbreitete, eine wohlklingende und zutiefst authentische Erklärung. Und mit ihm fragten sich gerade auch die anderen Chefredakteure, die sich im Zimmer auf der Couch und den Stühlen platziert hatten, was das denn nun heißen sollte.
Dr. Manfred Koepner musste nicht lange überlegen, um die passende Antwort zu geben.
„Wir haben es Deutschlands wichtigstem Nachrichtenmagazin, dem SPIEGEL, gezeigt, dass wir es ebenfalls versenken können. Ein Reporter, der die Spielzeugeisenbahn eines Ministers nicht persönlich gesehen hat, und darüber schreibt, schlimmer kann ein investigativer Skandal doch gar nicht mehr sein. Man stelle sich vor, der Mann recherchiert über ein ernsthaftes Thema. Das „Sturmgeschütz der Demokratie“ wird künftig nur noch laue Salven feuern. Und wer übernimmt das Kommando? Wir. Die BULL-Zeitung. Nur wir können dem Volk die Wahrheit sagen. Gnadenlos enthüllen. Nur wir.“
„Hm, das konnten wir bisher auch schon“, merkte Guy Dieghahn leicht pikiert an. Seine gegelten Haare glänzten heute wieder besonders fettig.
„Schon“, hob Koepner wieder an. „Nun werden wir auch die intellektuellen Besserwisser unter Druck setzen. Außer dem SPIEGEL hat doch keiner echte Meinungsmacht. Die Politik fürchtet nur uns. Bedenken der anderen Blätter werden in Gremien wegverhandelt. Unsere Themen diskutiert das Volk.“
Mett Faxler, Guy Dieghahns Stellvertreter, schlank und ergraut über all den Geschichten, die er über die Jahre ins Blatt gehievt hatte, sprang seinem Verleger bei.
„Wer schafft es schon, einem adligem Minister, der seine Dissertation gefälscht hat und das trotz eindeutiger Beweise strikt bestreitet, die Sympathien beim Volk zu sichern?“
Koepner atmete schwer durch. Dieses unrühmliche Beispiel wollte er gerade nicht aufzählen, aber wo man keine Fettnäpfchen aufstellte, da schleppte Faxler garantiert ein paar davon an.
Gernot Quote, einssiebzig, leichter Bauchansatz, ergrautes Haar und stets in akkurate Hemden aus London gewandet und Ralf Drohne, kantiges Gesicht, ebenso groß, nur etwas mitteilungsfreudiger, nickten ebenso wie Koepner, der ergänzte, „wir wollen bei der Gelegenheit nicht vergessen, dass wir uns zu allen Treffen, Essen, Empfängen und persönlichen Absprachen mit dem Minister bekennen, soweit sie uns nachgewiesen werden. Ehrlichkeit ist unsere Maxime!“
Die Runde nickte sich erneut gegenseitig zustimmend zu.
„Und so wollen wir es künftig weiter halten, allerdings, und das sollte uns nicht überraschen, in noch strengerer Art. Die BULL-Zeitung ist sozusagen in einer nie da gewesenen Situation angekommen. Wir sind die Nummer eins und eliminieren die Nummer zwei der Meinungsmacht.“
„Mit einer Märklin-Modeleisenbahn. Das schreibt Geschichte“, warf Kolumnist Fritz-Paul Nibelung ein, der sich selten im Verlagshaus sehen ließ. Er führte ein geduldetes Sonderdasein als gefühlvoller Kolumnist, der das Kunststück fertig brachte, sich hoch emotional, innerhalb von 80 Zeilen gleichzeitig für Hinrichtung und Begnadigung eines Deliquenten zu entscheiden.
„Und wir sind die Lokführer und ganz hinten hängt das Magazin, dessen Herausgeber den Namen für den Journalistenpreis hergeben musste, als letzter Wagen am Zug. Tja, nun zur Nachricht des Tages. Es laufen Verhandlungen. Wir wollen expandieren. Wir überlegen eine Neupositionierung unseres Hauses. Ich verlange absolute Geschlossenheit und Verschwiegenheit. Wir brauchen einen, vielleicht zwei Monate, bis dahin steht die BULL-Zeitung intern ohne Skandale da. Wenn wir angegriffen werden, wovon wir ausgehen, ist stillhalten erste Pflicht. Das war’s. Ich zähle auf jeden Einzelnen. Ihr seid die Sturmtruppe unseres Hauses. Äh, na ja, sagen wir mal, ihr seid die ‚Press Seals Deutschlands’.“
Die Chefredakteure grinsten. Sie alle hatten verstanden und verließen das Büro. Sie waren erfahrene Füchse, die jedes Dreckloch in der Gesinnung der Mächtigen kannten. Ihnen war nichts Menschliches fremd, wenn es nur die Massen anrührte. Der Erfolg war ihr einziges Ziel. Dabei Gutes zu tun, daran glaubten sie alle. Allerdings war bei aller geballten Intelligenz nicht immer klar, ob sich der Begriff Gut für alles eignete, was diese Hirne für gut hielten. Nicht wenige Menschen meinten, die BULL-Zeitung gleiche einem Grillfest des Teufels nur mit einem gigantischen Entertainment-Programm. Vielleicht lag es auch ein bisschen mit daran, dass sich die BULL-Zeitung als Sommerknüller mal eine Grill-Weltreise für ihre Leser ausgedacht hatte. In anderen Redaktionen schüttelte man den Kopf. Die halbe Welt bekriegte sich gerade wechselweise im Namen Allahs, der Gerechtigkeit, der Freiheit, des Widerstandes, wogegen auch immer, ohne dass die Notwendigkeit dafür dringender gewesen wäre als früher, aber die BULL-Zeitung schickte ihre Leser zum Würstchen-Grillen um die Welt. Und je mehr anderswo süffisant über die Praktiken der Boulevardzeitung hergezogen wurde, umso erfolgreicher verlief die Publikumsaktion. Die Redaktion gab sogar den Veganern eine Chance, die ihr Tofu-Würstchen zum Grillen nach Kanada mitnehmen durften. Leserbindung kannte bei der BULL-Zeitung keine Geschmacksgrenzen.
Guy Dieghahn blieb an seinem Schreibtisch sitzen und las seine e-mails. Nadja schaute provozierend in sein Büro, wobei sie die Tür nur einen Spalt breit öffnete.
„Raus mit dem Geheimnis! Wen kaufen wir?“
Guy Dieghahn winkte sie hektisch herein, als träfe ihn ein Schmerz und signalisierte, dass er sich allein durch die Frage sehr unwohl fühlte. Nadja schloss die Tür.
„Wir kaufen niemanden. Wir stellen uns neu auf.“
„Was heißt das? Sag jetzt nicht, dass wir uns auf gar keinen Fall neu hinlegen. Fusionieren wir?“
„Schatz, was auch immer wir machen, es macht der Verlag. Und das einzige, was der Verlag derzeit erwartet, ist, dass wir keinerlei Sperenzchen machen. Die Order lautet, keinerlei Skandale“, erklärte Guy.
Nadja stemmte ihre Arme in die Hüften.
„So. Die BULL-Zeitung und keine Skandale. Soll ich hysterisch auflachen?“
„Bitte nicht. Das wirkt im Büro so deplatziert.“ Guy rückte seine dunkle Hornbrille zurecht.
„Schatzi, du bist doch hier der Chefredakteur. Die Frage ist, warum weißt du nicht vorher, was hier passiert? Soll ich mal bei der Verlagserbin vorbei schauen?“
Guy Dieghahn kannte tausend Argumente, warum er das auf gar keinen Fall wollte, nur fiel ihm gerade davon keines ein.
„Nicht gut. Sie ist auch der Meinung, keine Skandale. Außerdem gilt das doch nur intern“, maulte Guy.
„Die weiß doch wieder nicht, was ihr da ausheckt.“
„Wir brauchen doch ihr Zustimmung, also muss sie etwas wissen“, wehrte sich Guy. Er hätte auch um Gnade flehen oder seine Frau mit „Halts Maul, Baby“ abfertigen können, es wäre alles sinnlos gewesen und das wusste er. Nadja hielt unbeirrbar an einem Unsinn fest und dieses Signal verströmte sie wie ihr Eau de Parfum, das erkannte er als alter Frauenversteher, zu dem sie ihn gegen seinen Willen gemacht hatte. Nun wollte er diese Eigenschaft eigentlich gerne wieder loswerden und auch sie hielt es insgeheim für die Beziehung harmonisierender, doch er schaffte es nicht.
„Warum machst du diesen trouble? Mein Buch erscheint in vier Monaten. Der Vorabdruck beginnt in zwei Monaten in kleinen Häppchen. Bis dahin werdet ihr wohl fertig sein mit eurer Fusion.“
Guy schaute seine Frau fassungslos an.
„Was dieses Buch anrichtet, ist jetzt schon grenzwertig. Eine Fusion kann ewig dauern. Und es geht auch darum, dass die ganze verdammte Welt nur darauf wartet, einen von uns vorzuführen. Mein Gott, dein Manuskript geht in den Verlag. Was glaubst Du, wer da rum sitzt? Frustrierte Lektoren, die ihre linken Gelüste nicht mehr ausleben können, weil sie ihre Partner versorgen müssen. Denen laufen doch Stories aus deiner Hand runter wie Lafer das teuerste Tröpfchen seines edlen Roten.“
Nadja Treller schniefte unzufrieden.
„Biolek hat aufgehört zu trinken.“
„Besorgniserregend. Ich gebe es gleich an die Promi-Redaktion.“
„Ich meine, Alkohol zu trinken.“
„Klar, Nadja, sonst wäre es ja Suizid.“ Guy überlegte kurz.
„Der demente Gunter Sachs bläst sich die Rübe weg, vielleicht wollte er nur spielen mit dem Revolver und hatte vergessen, die Kugeln vorher rauszunehmen. Biolek verdurstend in der Kölner Innenstadt und Tony Marschall bald nur noch mit einem Bein. Das wäre eine Woche volles Blatt.“