Martina für ihren Einsatz als Lektorin gewidmet.

Hermann Ays

Aufgesammeltes

Geschichten

Books on Demand

Inhalt

Unter dem Titel „Aufgesammeltes“ sind Geschichten, Seemannsgarn und Landläufiges, wie sie das Leben schrieb, zusammengefasst. Entziffert, in Form gebracht und aufgeschrieben von Hermann Ays.

Der Bogen spannt sich von der Seefahrergeschichte über Beschauliches, Erinnerungen an vergangene Zeiten, Krankheiten bis zu den kleinen, alltäglichen Widrigkeiten, mit denen sich jeder von Zeit zu Zeit herumschlagen muss.

Der Autor

Hermann Ays stammt aus Baden-Württemberg, fuhr ein Vierteljahrhundert zur See und ging 1991 in Spanien an Land. Seit sieben Jahren lebt er als Rentner in Hamburg

Hermann Ays ist seit 1990 mit der Autorin Gisela Seeger-Ays verheiratet.

Hermann-Ays-Hamburg.de

01. Der Fleischskandal

Eine unendliche Geschichte?

Man schreibt das Jahr 2020 und alles ist anders – das heißt, im Prinzip hat sich nichts geändert. Die Fleischmafia, seit Jahren im Untergrund tätig, ist entgegen den Versicherungen der Politiker noch fix am Leben. Immer wieder kochen Lebensmittelskandale hoch. Und die Politik, seit Jahren führend die Konservativen, erschöpft sich in blindem Aktionismus. Immer wieder werden irgendwelche Aktionspläne entworfen, Arbeitsgruppen mit so genannten Fachleuten installiert. Das Heer der Lobbyisten auf der Lohnliste von Lebensmittel- und Agrarindustrie rotiert und verhindert jeden ernsthaften Fortschritt.

Einen Höhepunkt bildete das Jahr 2012, als in Fertigprodukten aller Supermarktketten illegal verarbeitetes Pferdefleisch auftauchte. Dem Laien konnte schon bei der Sprache der Appetit vergehen. Das gute alte Hackfleisch wurde zu in Tonnen gehandeltem, tiefgefrorenem „Granulat“, das immer wieder durch ganz Europa gekarrt wurde.

Hier war auch wohl das Einfallstor für die Aktionen der kriminellen Fleischmafia in das System. Hier wurde als Rindfleisch deklariertes Pferdefleisch eingeschleust. Der Antrieb für solche Machenschaften war natürlich der mögliche Profit. Pferdefleisch kostete damals ein Drittel des Rindfleisches.

Inzwischen drehte sich das Rad noch schneller und das ganze System war noch schwerer zu kontrollieren. Weitere Lebensmittel waren ähnlich betroffen – zum Beispiel Fisch. Die Kreativen in den Forschungslaboren der Hersteller von Fertigprodukten machten Überstunden.

Der Anteil der industriell hergestellten Lebensmittel war weltweit gestiegen. Und den Hungrigen war es vermutlich ziemlich gleichgültig aus welchen Zutaten ihre Mahlzeit ursprünglich bestanden hatte – Hauptsache sie konnten das Essen bezahlen und wurden satt…

Weil die Lage nun einmal so war, wie sie war, kam Heinz, ein findiger Kopf in Sachen Computer, ein so genannter „Nerd“ auf die Idee einen einfachen Automaten mit kompliziertem Innenleben zu entwickeln, der Fleisch in Sekundenbruchteilen identifizieren konnte.

Als kleinen Clou programmierte er das Gerät auch noch so, dass es, je nach der Herkunft des Fleisches, die Laute des entsprechenden Tieres von sich gab. Das bedeutete, fand das Gerät Rindfleisch, erklang das laute „Muhhh“ einer Kuh, bei Ziegenfleisch wurde gemeckert, bei Hammel geblökt. Hühnerfleisch machte sich mit einem lustigen „Kikerikii“ bemerkbar.

Unser Erfinder war allerdings ziemlich verdattert, als er, nach zahlreichen erfolgreichen Versuchen, zum ersten Mal der Maschine etwas von seinem geliebten Fleischsalat vorlegte und ihn offensichtlich ein Schäferhund anbellte…

02. Das schöne Mädchen von La Ceiba

Sorea war wirklich das schönste Mädchen in der großen Stadt La Ceiba. Sie hatte eine Ausstrahlung, die nicht nur Männer sondern auch Frauen beeindruckte. Viele junge Frauen wollten sein wie sie. Unter anderem trat die junge Frau als Go-Go-Girl in der Diskothek „El Kairo“, dem angesagtesten Schuppen in La Ceiba, einem Bananenhafen in der Karibik an der hondurianischen Küste, auf. Die Disco „El Kairo“ war auch bei den Seeleuten der Bananenfrachter recht beliebt. Seeleute sprachen allerdings nie von Bananenfrachtern sondern nur von „Bananenjägern“, weil diese Schiffe wesentliche schneller fuhren als die anderen Frachter.

Auf der „Ahrensburg“, einem „Bananenjäger“ der Reederei Harald Schuldt, war man bester Laune. Die Werftzeit war zu Ende und man fuhr zurück in die Karibik. Die „Ahrensburg“ war an die amerikanische Bananengesellschaft „United Fruit“ für die Route von La Ceiba in Honduras nach Gulfport in der Nähe von New Orleans verchartert worden.

Zwei Wochen hatte man bei Blohm und Voss in Hamburg in der Werft gelegen. Die „Ahrensburg“ wurde gedockt, erhielt einen neuen Unterwasseranstrich und machte „Klasse“, das heißt der Germanische Lloyd, eine Klassifikationsgesellschaft, untersuchte das Schiff. Den Klassifikationsgesellschaften für die Schiffe entspricht an Land der TÜV für die Autos. Überall stolperte man über Kabel und Leitungen oder irgendwelche Werftarbeiter, „Werftgrantis“ genannt, die sich am Schiff zu schaffen machten.

Alle an Bord waren heilfroh, als es endlich wieder los ging und dann noch in die Karibik. Vor allem die Kollegen aus Mittelamerika freuten sich. Für sie ging es wieder nach Hause.

In der Mannschaftsmesse war La Ceiba das große Thema. Der Scheich, der Bootsmann, kannte nichts anderes. Er war schwer in die schöne Sorea verliebt. Jedem der Kollegen schwärmte er von seiner Angebeteten vor. Er sprach schon von Heirat und wie er berichtete, schickte er ihr auch seit Monaten einen „Ziehschein“, das heißt die schöne Sorea bekam von ihrem Verehrer jeden Monat eine feste Summe.

Selbst gutmütige Kollegen wunderten sich leicht. Der verliebte Scheich war nämlich schon etwas in die Jahre gekommen. Er hatte die Vierzig überschritten und war körperlich auch nicht mehr in der besten Verfassung. Die täglichen Flaschen Bier hatten einen beachtlichen Bauch hinterlassen.

Na ja, wie sagt man so schön: Liebe macht blind…

Auf jeden Fall freuten sich alle nach La Ceiba zurück zu kommen. Zahlreich waren die Verbindungen dorthin. Der zweite Maschinist und ein Matrose waren in La Ceiba verheiratet und hatten dort eine Familie. Ein Teil der Besatzung waren Einheimische. Ein Matrose aus La Ceiba hatte auch seine Frau nach Deutschland mitnehmen können. So war die Stadt in aller Munde.

La Ceiba war eine Stadt mit etwa 60.000 Einwohnern. Der Hafen bestand aus einer hölzernen Pier mit gerade zwei Liegeplätzen für „Bananenjäger“. Die Bananen wurden per Eisenbahn mit uralten Wagen herangekarrt. Die Verhältnisse konnte man damals, Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, aus europäischer Sicht nur als mittlere Katastrophe bezeichnen. Sechzig Prozent der Stadt, darunter die großen Hotels und andere lukrative Institutionen, zum Beispiel das örtliche Gefängnis, gehörten der Familie de La Rosa. Die Familie de la Rosa führte ihren Stammbaum auf einen spanischen Conquista zurück, der hier gestrandet war. Die Korruption war allgegenwärtig.

Zu dem Gefängnis hatte so mancher der Besatzung ein innigeres Verhältnis. Das Risiko zu einem kleinen Aufenthalt gezwungen zu werden, war relativ groß. Es reichte unter Umständen „leicht“ angetrunken einem Polizisten zu begegnen, der gerade Geld brauchte – zack, ehe man sich versah, gab’s „gesiebte Luft“ und der Alte durfte am nächsten Morgen antanzen und den armen Sünder mit einer kleineren Geldsumme auslösen. Praktischerweise lag das Gefängnis gleich neben der Pier.

Aber das Ganze war nicht zum spaßen. Wie einer der aus La Ceiba stammenden Kollegen berichtete, war ein Cousin von ihm bei einer Auseinandersetzung ums Leben gekommen. Die Polizei hatte den Täter gefasst und in den Knast gesteckt. Die Familie des Täters versuchte verzweifelt das Geld aufzutreiben, um ihn aus dem Knast frei zu kaufen.

Die Familie des Opfers ihrerseits wartete nun hingegen darauf, dass der Übeltäter frei kam, um ihn ihrerseits umzubringen. Vermutlich blieb dem armen Sünder nur, sich nach den „Estados Unidos“, den USA, abzusetzen und dort sein Dasein als Illegaler zu fristen.

Die Gewaltätigkeit der Polizei war erschreckend und allgegenwärtig. So wurde eine Gruppe Seeleute der „Ahrensburg“ Zeugen, wie ein Mann aus nichtigem Anlass erschossen wurde.

Es war ein später Abend, als die Polizei offensichtlich eine Razzia veranstaltete. Große Polizeiwagen mit blauen Blinklichtern standen vor einem kleinen Lokal in einem Armenviertel, einem Viertel der Schwarzen. An der Wand standen drei farbige Männer mit auf den Rücken gefesselten Händen, die Gesichter zur Wand gerichtet. Im Abstand von etwa drei bis vier Meter standen einige Polizisten.

Plötzlich drehte sich einer der gefesselten Männer um und lief weg. Anstatt dem Flüchtigen zu folgen, zog der Chef der Gruppe, ein Polizist mit einem gewaltigem Bauch und tief sitzendem Gürtel die Pistole und schoss auf den Flüchtigen. Der wurde getroffen und fiel auf die Straße. Einer der Polizisten sprach in sein Walkie-Talkie. Keiner ging zu dem Angeschossenen. Etwa zehn Minuten später erschien eine Ambulanz und packte den Verletzten ein. Er starb am nächsten Tag im Krankenhaus. Wie man hörte, die Tante eines Seemanns auf der „Ahrensburg“ arbeitete im Krankenhaus, soll die Kugel die Niere getroffen haben…

Überhaupt die Hautfarbe. Wie die einheimischen Kollegen, als auch Seeleute, die schon länger in der Gegend lebten, berichteten, war das soziale Prestige stark von der Hautfarbe abhängig – je heller, desto angesehener. Auf der untersten Stufe standen die dunkelhäutigen Menschen.