Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
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ISBN 978–3–8448–7183–8 Bestell-Nr. 01427–0001
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Lektorat: Stephan Kilian
Redaktion: Manfred Sommer
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„Ich bin definitiv gegen das Definierte.
Denn das Definierte ist das Genügende
und das Genügende ist nicht genug.“
Fernando Pessoa
Beyond Budgeting, Better Budgeting
1 Einführung: Beyond Budgeting, Better Budgeting – und warum wir Unternehmenssteuerung flexibler gestalten müssen
2 Budgetierung als zentraler Baustein von Führung und Steuerung – Plädoyer für eine Revolution
2.1 Die Probleme der Steuerung mit Budgets:
Warum die heute üblichen Prozesse der Unternehmenssteuerung nicht funktionieren
2.1.1 Zur Rolle der Budgetsteuerung im Management und den Funktionen von Budgets
2.1.2 Praktiken der Budgetierung
2.1.3 Defizite des Modells der Budget-basierten Unternehmenssteuerung
2.1.4 Die Grenzen der Planung: Warum wir deutlich weniger und viel mehr planen sollten
2.2 Budgetierung im Kontext:
Es geht um mehr als nur um Budgets!
2.2.1 Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Budgetsteuerung und aktuellen Herausforderungen
2.2.2 Das Zusammenspiel von Steuerung und Menschenbild, von Kontrolle und Vertrauen
2.2.3 Warum isolierte Ansätze und Tools nicht funktionieren – Kohärenz als Erfolgsfaktor des Managementmodells
2.2.4 Unterschiedliche Wege, eine Organisation zu steuern
3 Beyond Budgeting und Better Budgeting – Alternative Wege zu überlegener Performance?
3.1 Das Beyond-Budgeting-Modell fundiert:
Von der Kritik am Status quo zur Vision
3.1.1 Ursprung und konzeptionelle Grundlagen des Beyond-Budgeting-Modells
3.1.2 Eigenschaften und Prinzipien der Unternehmensführung ohne Budgets
3.1.3 Zwei Beyond-Budgeting-Fallbeispiele: Svenska Handelsbanken und Borealis
3.1.4 Erfolgsfaktoren und Prämissen des Einsatzes von Beyond Budgeting
3.2 Better Budgeting – Mittelweg oder pragmatische Alternative?
3.2.1 Budgetierung verbessern: Vorschläge und Techniken für eine fortschrittlichere Planung
3.2.2 Better Budgeting Toolbox, Teil 1: Verbesserungen am Prozess von Planung und Budgetierung
3.2.3 Better Budgeting-Toolbox, Teil 2: Zusätzliche Tools zur Planung
3.2.4 Chancen und Risiken des Better Budgeting
3.3 Beyond Budgeting versus Better Budgeting – gibt es einen Königsweg? Unterschiede und Einsatzbereiche der Ansätze
3.4 Die Rollen von Prinzipien, Tools, Prozessen im neuen Steuerungs-Modell Beyond Budgeting
4 Die Neun Gestaltungsfelder für Beyond Budgeting oder „Better Management“: Prinzipien, Tools, Prozesse für flexible Steuerung und radikale Dezentralisierung
4.1 Rolling Forecasting: Planung als Prognose und Vorausschau
4.1.1 Probleme des Forecasting und Ansätze für dessen Neugestaltung
4.1.2 Forecasting in der Steuerung ohne Budgets
4.1.3 Praxiserfahrungen mit Forecasting und Vorschläge für den erfolgreichen Einsatz
4.1.4 Spezielle Einsatzbereiche des Forecasting: Langfristprognose, Risikomanagement und Simulation
4.2 Strategie-basiertes Leistungsmanagement mit Balanced Scorecards und Kennzahlensystemen
4.2.1 Steuerung mit Kennzahlensystemen und Indikatoren
4.2.2 Funktionen und Probleme des Managements mit der Balanced Scorecard
4.2.3 Akzente der Scorecard-Nutzung im Beyond Budgeting
4.2.4 Leistungsmanagement und Steuerung mit Kennzahlensystemen
4.3 Wert- und potenzialorientiertes Management für nachhaltigen Erfolg
4.3.1 Wertorientierte Unternehmenssteuerung und das gewandelte Verständnis der Wertschöpfung in der Praxis
4.3.2 Ansätze zum integrierten Strategie- und Wertmanagement im Beyond Budgeting
4.3.3 Management von Intangible Assets und Potenzialen
4.3.4 Fortschrittliche Ansätze zum Leistungsmanagement und wie sie zusammenpassen
4.4 Management mit relativen Zielen und Indikatoren für flexible und relevante Leistungsverträge
4.4.1 Probleme mit Zielvereinbarung, fixierten Zielen und Budgetvertrag
4.4.2 Warum elastische Ziele besser funktionieren als fixierte Ziele
4.4.3 Relative Ziele auf allen Ebenen der Organisation einsetzen
4.4.4 Messlatte Wettbewerb: Leistungsmanagement mit Benchmarking
4.5 Leistungsbewertung und Vergütung: Reengineering von Leistungsvertrag, Entgelt und monetären Anreizen
4.5.1 Die Probleme mit Leistungsbewertung, Entgelt und Motivation
4.5.2 Hürden auf dem Weg zu motivierender und wertorientierter variabler Vergütung
4.5.3 Ansätze zu „funktionierenden“ Formen von Belohnung und Vergütung
4.5.4 Vergütungssysteme im Zusammenspiel mit effektivem Performance Management entwerfen und einführen
4.6 Management der Gemeinkosten: Prozesskostenmanagement und andere ausgewählte Techniken
4.6.1 Prinzipien des Kostenmanagements mit und ohne Budgets
4.6.2 Grundlagen des Prozesskostenmanagements (ABC/M)
4.6.3 Die Bedeutung von ABC/M im Beyond Budgeting
4.6.4 Ausgewählte ergänzendeTools zum Kostenmanagement
4.7 Ressourcensteuerung und -koordination:
Prinzipien und Methoden für das Management operativer und investiver Ressourcen
4.7.1 Prinzipien des operativen Ressourcen-Managements ohne Budgets
4.7.2 Flexible Ressourcennutzung durch marktliche Steuerung und „Shared Services“
4.7.3 Das Dilemma von Investitionsentscheidungen in der Budgetsteuerung – Lehren aus der Praxis
4.7.4 Finanz- und Investitionsmanagement ohne Budgets
4.8 Management-Informationssysteme, Berichtswesen und Dialog: Basis für Transparenz, ethisches Handeln und Dezentralisierung
4.8.1 Paradigmen der Information in der Beyond-Budgeting-Organisation
4.8.2 Berichtswesen und Kontrolle ohne Budgets
4.8.3 Management-Dialog als „organischer“ Informations- und Kontrollprozess
4.8.4 Aufbau und Eigenschaften von Management-Informationssystemen für Beyond Budgeting
4.9 Führung und Organisationsgestaltung als Eckpfeiler radikaler Dezentralisierung: Empowerment im Management ohne Budgets
4.9.1 Prinzipien der dezentralisierten Organisation (Delegation x Autonomie = Empowerment)
4.9.2 Management von Kundenbeziehungen: Kunden statt Pläne in den Mittelpunkt stellen
4.9.3 Dezentralisierung und Kundenorientierung organisatorisch umsetzen
4.9.4 Implikationen für Unternehmenskultur und Führung
5 Beyond Budgeting und bessere Steuerung in der Organisation implementieren
5.1 Vorschläge für die Umsetzung: Stakeholder überzeugen und den Wandel realisieren
5.1.1 Entwicklungswege nach „Jenseits der Budgetierung“ – Eigenschaften des Modells und Herausforderungen
5.1.2 Überzeugung von Unternehmensleitung und Investoren, Implementierung und Projektverlauf
5.1.3 Erfolgsfaktoren der Implementierung und Umsetzungserfahrungen aus der Praxis
5.2 Ohne feste Budgets zielorientiert führen und erfolgreich steuern – warum, wann und wie wir handeln sollten!
5.2.1 Ein Blick in die Zukunft des Beyond-Budgeting-Modells
5.2.2 Neue Rollen für CFOs, Controller und Finanzfunktion – Herausforderungen und Chancen durch Beyond Budgeting
5.2.3 Zum Abschluss: Mit Beyond Budgeting den Wandel realisieren
6 So nutzen Sie die Anwendungen auf der CD-ROM
7 Literaturverzeichnis
Danksagungen des Autors
Die Budgetierung ist in fast allen Unternehmen eines der zentralen Führungsinstrumente, häufig sogar das zentrale Führungsinstrument. Sie wird vielfach implizit oder explizit als Rückgrat der Unternehmenssteuerung angesehen. Andererseits: erkennen immer mehr Praktiker, Experten und Akademiker die vielfältigen Beschränkungen des Verfahrens. Der Harvard-Professor Michael Jensen etwa urteilt folgendermaßen: „Die Budgetierung in Unternehmen ist – wie jeder weiß – ein Witz. Sie verbraucht eine Menge Manager-Zeit, zwingt sie in langweilige, endlose Sitzungsrunden und angespannte Verhandlungen. Sie gibt Managern Anreiz zu lügen und zu schummeln, Ziele herunterzuspielen und Ergebnisse aufzublasen, und sie bestraft sie, wenn sie die Wahrheit sagen.“
Die Verwendung von Budgets ist vor allem deshalb problematisch, weil die damit verbundenen Prozesse als ein machtvolles Schutzschild für eine Managementkultur wirken, die durch Weisung und Kontrolle geprägt ist. Und die Kultur der Budgetsteuerung infiltriert Veränderungsprogramme, neue Management-Tools und Prozesse. Rigide Budgets sind eine Barriere des Wandels.
Trotz ihrer Starrheit, ihrer übermäßigen Zeit- und Ressourceninanspruchnahme und obwohl sie von einem für die meisten Manager spürbar kontraproduktiven Taktieren begleitet wird – an Budgetierungsprozess und Budgetplanung wird bis heute mangels Alternativen in fast allen Unternehmen festgehalten. Zumindest für die meisten Manager bildet dabei das Budget zugleich auch die Grundlage ihrer variablen Entlohnung.
So häufig aber in der Praxis vehemente Kritik an der Budgetplanung anzutreffen ist, so häufig war bisher in der Management-Literatur und insbesondere Controlling-Literatur der Hinweis auf das Fehlen eines „durchgängigen, alternativen Modells der Unternehmenssteuerung“ zu finden. Budgets galten bis vor kurzem als unverzichtbare Werkzeuge zur Unternehmensplanung, -steuerung und -überwachung. Mit dem Beyond-Budgeting-Modell liegt nun erstmals ein alternatives, diskussionswürdiges und – wie zu zeigen sein wird – zugleich praxiserprobtes und konsistentes Modell zur Unternehmenssteuerung vor. Gleichzeitig stellt Beyond Budgeting einen recht radikalen, in vielen Details kontraintuitiven Management-Ansatz dar, der die Abkehr von einigen in den meisten Unternehmen üblichen Gepflogenheiten fordert, und vielfältige Chancen für wirkungsvolle Verbesserungen der Art und Weise, wie wir Organisationen steuern, aufzeigt.
Beyond Budgeting überrascht auch in anderer Hinsicht: Im Gegensatz zu anderen Managementansätzen steht hier nicht die Einführung von „etwas ganz Neuem“ im Mittelpunkt, sondern die Abschaffung von etwas ganz und gar Althergebrachtem, das in praktisch allen Unternehmen zum Standard gehört: dem Budget. Beyond Budgeting fordert, auf die in den meisten Organisationen so mächtige Budgetierung zu verzichten und Platz zu schaffen für ein neues und – wie ich zeigen werde – wesentlich wirkungsvolleres Managementmodell.
Obgleich die Unzufriedenheit mit dem klassischen Budgetwesen weit verbreitet ist und seit Jahrzehnten besteht, haben sich bislang nur einige wenige Pionier-Unternehmen davon befreit. Unter der Führung von Jan Wallander führte das schwedische Unternehmen Svenska Handelsbanken bereits 1970 einen Planungsprozess ein, der bis heute als beispielhaft für ein Steuerungssystem „Beyond Budgeting“ – jenseits von Budgets – gilt. Andere europäische und amerikanische Unternehmen experimentierten bereits frühzeitig mit der Aufhebung der Verbindung zwischen Prämiensystem und Budgets und verzichteten später ganz auf klassische Budgets.
Was aber bislang fehlte, war ein umsetzungsreifes Konzept für ein integriertes System zur Unternehmensführung, das Planung, Steuerung und Kontrolle ohne Budgets umfasst. Der Beyond Budgeting Round Table (BBRT) nahm sich 1998 des Themas an, seine Forschungsarbeit wurde über 5 Jahre hinweg in Form einer Initiative des britischen Industrieverbandes CAM-I betrieben. Heute ist der BBRT ein unabhängiges Not-for-Profit-Netzwerk „runder Tische“ in verschiedenen Regionen der Welt, das international von mehr als sechzig Unternehmen und Organisationen unterstützt wird. Zugleich ist Beyond Budgeting eine öffentliche, informelle Bewegung, die immer mehr Anhänger findet. Heute sind zahlreiche Firmen im Begriff, gestützt auf die Vorarbeit des BBRT ein neues Managementmodell ohne Budgets zu erwägen, und viele sind bereits dabei, es umzusetzen. Insbesondere das vom BBRT zusammengetragene und fundierte Handlungswissen für die Umsetzung der neuen Konzepte in die Unternehmenspraxis, das Wissen um die Realisierbarkeit und die erprobten Vorgehensweisen stehen zurzeit bei Top-Managern, Finanzvorständen (CFOs) und Controllern hoch im Kurs.
Beyond Budgeting, Better Budgeting
Dieses Buch wendet sich an Praktiker und an alle diejenigen, die Beyond Budgeting näher kennen lernen und sich ein Bild von seiner Verwendbarkeit in der Praxis machen wollen. Es gibt klare Antworten und zeigt konkret, worauf es bei Beyond Budgeting ankommt:
• Die Gründe, warum die traditionelle Budgetsteuerung nicht funktioniert – und warum es so schwierig ist, das „Monster Budgetierung“ zu zähmen
• Beyond Budgeting und Better Budgeting als Alternativen zur Budgetierung
• Illustrative Beispiele, Prinzipien, Tools und Prozesse für den Weg zur flexiblen und dezentralen Organisation
• Wie erprobte Tools für alle Managementbereiche zur Steuerung beitragen – z.B. Balanced Scorecards, Wertmanagement, rollierende Forecasts, relative Zieldefinition und Vergütungssysteme
Fallbeispiele ausgewählter Pioniere des Beyond-Budgeting-Modells sowie des Performance Managements zeigen anschaulich die Pros und Contras der verschiedenen Konzepte und bieten konkrete Handlungsvorschläge zu Verfahren, Projektmanagement und Implementierung der nötigen Werkzeuge und Prinzipien. Bei allen vorgestellten Ideen stehen Einfachheit, Umsetzbarkeit und Praxisnutzen im Vordergrund. Alle Vorschläge sind direkt umsetzbar durch die Gliederung in Neun Gestaltungsfelder für den Wandel zu Beyond Budgeting und „Better Management“. Über die reine Darstellung des neuen Managementmodells hinaus will das Buch Top-Management, CFOs und Controllern vor allem Wege zu dessen konkreter Umsetzung in die Praxis durch Anwendung einer Vielzahl anerkannter und praxistauglicher Werkzeuge, Prinzipien und Prozesse aufzeigen.
Das Buch erläutert en detail das Vorgehen mit dem revolutionären Ansatz des Beyond Budgeting, aber auch mit dem eher inkrementalen, evolutionären Ansatz im Sinne eines Better Budgeting durch:
Beyond Budgeting ist mehr als ein Instrument oder Patentrezept – es stellt sich dar als ein alternatives Managementmodell. Das Beyond-Budgeting-Modell ist eines der methodisch und intellektuell reizvollsten und kohärentesten Managementkonzepte der Gegenwart. Dennoch und gerade deswegen wirft das Konzept eine Reihe von Fragen auf, insbesondere für Unternehmensleitung, CFOs und Controller: bezüglich der Fundamente des Ansatzes selbst, seiner Wirksamkeit, der Allgemeingültigkeit seiner Anwendung, und hinsichtlich seiner Umsetzung in der individuellen Organisation. Diese Fragestellungen aus der Praxis sollen in diesem Buch diskutiert werden.
Abb. 1: Die Struktur dieses Buches
• Was steckt hinter Beyond Budgeting, und ist der Bruch mit der Budgetsteuerung wirklich nötig?
• Ist „Better Budgeting“ eine Alternative zur Revolution des Beyond Budgeting?
• Wie kann Beyond Budgeting in der Praxis eingesetzt werden – wo ist es verwendbar, worin bestehen die Vorteile und Risiken?
Better Budgeting wird bereits seit längerem als pragmatisches Alternativkonzept zur Verbesserung der Unternehmenssteuerung diskutiert. Better Budgeting fokussiert zumeist auf einige spezifische Kernprobleme der Unternehmenssteuerung – die von Planung und Forecasting. Seine Initiativen in diesen Bereichen können in den meisten Unternehmen zu wichtigen Verbesserungen führen und werden in diesem Buch gesondert dargestellt und bewertet. Ansatzpunkte, Grundlagen und Instrumente werden erstmals in Form eines Gesamtzusammenhangs präsentiert.
Was beide Ansätze eint: das Anliegen, die Fähigkeit von Organisationen in Bezug auf zukunftsbezogene Steuerung zu optimieren. Dennoch darf der wesentlich weitere Blickwinkel der Beyond-Budgeting-Initiative nicht übersehen werden: der Unternehmenssteuerung insgesamt signifikante neue Impulse zu geben und das gesamte Instrumentarium für Controlling und Management auf eine substanzielle Art zu erweitern und an neuen Führungsprinzipien auszurichten. Das Ergebnis: ein Managementsystem, das ohne Budgets auskommt und – wie wir zeigen werden – weiter reichende Verbesserungspotenziale verspricht.
Der Beginn des 21. Jahrhunderts verlangt nach einem Managementmodell für das 21. Jahrhundert.
Es wird in der Zukunft ein Premium der Märkte geben für die Konzentration auf die Fundamente der Geschäftstätigkeit. Vor nicht allzu langer Zeit war das Zauberwort im Management, „neue Geschäftsmodelle“ zu entwickeln – koste es, was es wolle. Jetzt ist wiederum eine Phase eingetreten, in der die Aufmerksamkeit von Managern darauf gerichtet ist, großartige Organisationen aufzubauen. Darin liegt ein fundamentaler Unterschied zu den 90ern: Zu viele Top-Manager waren besessen davon, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zu agieren, sogar wenn die vorhandenen Markt- und Steuerungsinformationen bestenfalls lückenhaft waren. Wenn es jedoch darum geht, anhaltend und nachhaltig Werte zu schaffen, dann liegt die Betonung weniger auf Geschwindigkeit und ungeprüften Theorien als auf Menschen, Wissen, Systemen und soliden Investitionen. In den 80ern und 90ern ging es um kurzfristige Performance, eng definiert und beurteilt anhand von Quartalsergebnissen. In den kommenden Jahren werden Gesellschaft und Märkte wieder daran interessiert sein, dass Unternehmen die weiteren, langfristigen Interessen aller Stakeholder berücksichtigen.
Die Bemühungen dabei, höhere Standards von Corporate Governance zu erreichen, werden kritisch sein für Länder von Deutschland bis China, um Zugang zum Kapital zu haben, das sie in der Zukunft benötigen werden. Ein neues Ethos von Corporate Governance zu bejahen und zur gleichen Zeit den Mut zu informierten Investitions- und Geschäftsrisiken aufzubringen, diese Gratwanderung wird eine der Herausforderungen für Manager darstellen.
Für dieses Problem existieren keine „großen Lösungen“, wohl aber zahlreiche Orientierungsmarken und empfehlenswerte Praktiken, die allesamt durch das Beyond-Budgeting-Modell adressiert werden:
• Organisationen müssen ihre Fähigkeit, Risiken zu erkennen, entwickeln oder verbessern.
• Manager müssen sich mit Mitarbeitern umgeben, die bereit sind Entscheidungen zu hinterfragen oder sie eigenverantwortlich im Rahmen definierter Grenzen selbst zu treffen.
• CEOs und Top-Management müssen ihre optimale Kontrollspanne und die Art, wie sie ihre Unternehmen steuern, hinterfragen.
Diese und andere Faktoren begründen das starke Momentum zu Beginn des 21. Jahrhunderts für ein „Managementmodell jenseits der Budgetierung“ und die „Unternehmenssteuerung ohne Budgets“. Ein wesentlicher neuer Impuls zum Umdenken in der Unternehmenspraxis kommt aus der Entwicklung jüngerer strategischer, wert- und potenzialorientierter Managementansätze, die letztlich auch radikale Dezentralisierung und ein neues Durchdenken des Verhältnisses zwischen Unternehmenszentrale und operativen Geschäftseinheiten verlangen. Organisationen weltweit suchen heute neue Wege, um Performance Management und Unternehmensführung zukunftsorientiert zu erneuern.
Im September 2000 sprach Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinigten Nationen vor den vereinigten Staatschefs am Ende des Millenium Summit in New York. Er schloss seine Rede mit den Worten, dass, wenn es denn eine Sache gebe, die die Menschheit im 20. Jahrhundert gelernt habe, dann sei es wohl, dass „zentral geplante Systeme nicht funktionieren“. Niemand verliess den Saal, niemand kommentierte diese Feststellung. Es handelte sich um eine offensichtliche Wahrheit. Die Welt hat dies gelernt, aber Organisationen steht es erst noch bevor, sich im 21. Jahrhundert von den selben alten Dogmen zu befreien.
Die Leser dieses Buches werden feststellen, daß Beyond Budgeting als Konzept und Methode gleichzeitig eklektisch und integrativ ist. Es reflektiert komplexe Realität und Bedürfnisse in Organisationen, die zu oft in konventioneller Theorie und Praxis fragmentiert behandelt werden.
Dieses Buch soll zur Diskussion zwischen Top-Managern, CFOs, Controllern und Akademikern anregen – innerhalb und zwischen Organisationen – über die Alternativen zum Management mit festen Leistungsverträgen, Budgets und zentralistischer Steuerung.
Die Budget-basierte Steuerung stößt heute an ihre Grenzen – teils aufgrund der ihr innewohnenden funktionalen Beschränkungen, teils aufgrund originär neuer oder veränderter interner und externer Herausforderungen an Organisationen in nahezu allen Märkten und in vielfältigen Umwelten. Eins wird zunehmend klar: Es reicht nicht aus, immer nur neue Managementtechniken und Konzepte einzusetzen – mit denen viele zumindest größere Unternehmen bereits seit längerem experimentieren. Es ist zunehmend notwendig, mehr zu ändern. Dazu gehört, gängige und fundamentale Praktiken wie die Budgetierung grundlegend zu hinterfragen und ihre Wirkung auf Organisationen besser zu verstehen.
Ist die Budgetierung nun „out"? Warum und für wen empfiehlt es sich, Alternativen in Form von besserer Budgetierung, besserem Management oder dem Management ganz ohne Budgets zu überprüfen? Wenden wir uns zunächst den Praktiken der Budgetierung und den mit ihr verbundenen Problemen zu.
Die Literatur zur Planung und Unternehmenssteuerung ist voll von kritischen Aussagen zur Budgetierung. Sie beklagte aber bislang auch stets das Fehlen eines kohärenten Alternativmodells zur trotz der evidenten Defizite verbreiteten und weithin akzeptierten Praxis der Budget-basierten Steuerung. Schätzungen und Studien kommen zu dem recht gut nachvollziehbaren Ergebnis, dass sich 90–99% der Unternehmen in Europa und den USA bei der Unternehmenssteuerung „weitgehend, wenn nicht ausschließlich“, auf mehr oder weniger traditionelle Budgetierungsverfahren verlassen. Als Grund für diese anhaltende Monopolstellung der Budgetplanung in der Praxis können u.a. folgende Faktoren vermutet werden:
• Widerstand von Management und speziell der Finanzfunktion – Top Management, CFOs und Controller teilen die Obsession für finanzielle, fixe und periodenorientierte Pläne. Budgets suggerieren eine voraussehbare Zukunft ohne „Überraschungen“ – eine gefährliche Illusion.
• Budgetierung ist bislang eine „Glaubensfrage“ – einmal an Budgets gewöhnt, fällt es uns schwer, uns andere, völlig anders funktionierende Führungsparadigmen vorzustellen; im Gegenteil: Wir gehen intuitiv davon aus, dass eine Organisation ohne Budgets wohl „schlecht gemanagt“ sein müsse. Budgets erscheinen uns als „notwendiges Übel“.
• Top-down-Steuerung und Kontrolle sind traditionell dominierende Steuerungsformen, die bis vor einigen Jahrzehnten allgemein ausreichend erschienen. Erst durch den Wettbewerbsdruck der letzten Jahrzehnte werden diese Prinzipien in den meisten Industrien in Frage gestellt. Die fundamentalen traditionellen Managementprinzipien erweisen sich aber als außerordentlich widerstandsfähig gegen Veränderung.
Es zeigt sich zudem, dass die Budgetierung höchst anfällig für Ineffizienzen ist, die ihre Kosten erhöhen und die Wirksamkeit verringern (siehe Zusammenfassung in der Box). Trotz substanzieller Innovationen im Bereich der Budgetierung in den letzten 20 bis 30 Jahren – wie Acivity-based- und Zerobased-Budgeting – hat sich in dieser Zeit in den Unternehmen nicht viel an der traditionellen Budgetierung geändert. Die Ineffizienzen der Budgetierung wiederum sind so tief in Organisation und Verhalten verankert, dass sie nur mit großer Anstrengung im Rahmen von Change-Management-Initiativen behoben werden können. Viele CFOs und Mitarbeiter der Finanzfunktion haben die Probleme der Budgetierung erkannt, aber nur wenige haben sich bisher in der Lage gesehen, den Änderungsbedarf gegenüber dem Top Management innerhalb ihrer Organisationen darzustellen: Das Problem ist komplex, und ein alternatives Managementmodell muss als kohärentes Ganzes diskutiert und entworfen werden.
Warum Budgets nicht funktionieren – wesentliche Aspekte der Kritik an der Budgetierung
• Budgets fungieren als fixe Leistungsverträge (was Organisationen aber heute benötigen, sind flexible Leistungsverträge!).
• Budgets sind zeitaufwändig und ressourcenintensiv.
• Budgets bringen Führung und ausführenden Managern wenig Nutzen.
• Budgets sind zu rigide und verhindern schnelle Anpassung – sie erlauben keine schnelle Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen.
• Budgets sind strategieblind.
• Budgets vernachlässigen immaterielle Produktivfaktoren und nichtmonetäre Werttreiber (Beispiel Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit).
• Budgets fördern einseitig periodenbezogenes Denken – sie setzen keine Anreize für kontinuierliche Verbesserung und nachhaltige Leistung.
• Budgets lenken den Blick auf interne Vorgaben und lenken ab von externen Märkten und Unternehmenswert.
• Budgets führen zu„dysfunktionalem“ und unethischem Verhalten – von einfachen taktischen bis hin zu kriminellen Manipulationen.
• Budgets zementieren Kostenniveaus, anstatt sie zu verringern. Kostenallokation bedeutet immer Fehlallokation.
• Budgets hemmen Eigeninitiative, Risikobereitschaft und Innovation.
• Budgets stützen eine zentralistische Führungskultur von „Weisung und Kontrolle“ – „Mach, was dir gesagt wird, und erreich das Budget, aber tu nichts darüber hinaus!“
Trotz der Entwicklung zahlreicher – heute anerkannter – Werkzeuge zur Verbesserung der Unternehmensssteuerung wurde in den letzten Jahrzehnten in der Mehrzahl der Unternehmen kein substanzieller Durchbruch bei der Effizienzsteigerung der betroffenen Managementprozesse erzielt. Ganz im Gegenteil. Heute ist in vielen Organisationen eine Übersättigung mit Verbesserungsinitiativen zu beobachten, die zum Teil damit zusammenhängt, dass innovative und modische Tools und Techniken der letzten Jahrzehnte selten spürbare Verbesserungen brachten. Techniken wie Total Quality Management, Reengineering, Prozesskostenrechnung, Empowerment, Wertorientiertes Management oder in jüngster Zeit CRM sind allesamt nützlich.1 Sie scheinen aber mit unterschiedlichen Zielsetzungen unabhängig voneinander eingesetzt zu werden und jede für sich lediglich begrenzte Aspekte der Leistungsverbesserung anzusprechen. Verschiedene Ideen und Initiativen funktionieren in Unternehmen nicht unisono, sondern kollidieren. Was sichtbar fehlt, ist ein verständlicher, übergreifender Management-Ansatz, der den neuen Anforderungen an Unternehmen in allen Märkten gewachsen ist.
Werkzeuge aus den Handlungsbereichen (a) alternative strategische Handlungsmodelle, (b) Ressourcenmanagement, (c) Planung und (d) Dezentralisierung werden vielerorts eingesetzt, haben aber an der Substanz dessen, wie Management funktioniert, wenig geändert (siehe Abb. 2). Selbst in Organisationen, in denen moderne – die Ausrichtung des Unternehmens an Strategie und Kapitalmarkt unterstützende – Management-Tools wie z.B. Balanced Scorecards und Wertmanagement eingeführt wurden, stößt deren Durchschlagskraft an Grenzen. Manager spüren zunehmend, dass in den agilsten Unternehmen zugleich zu viel und zu wenig getan wird, um den Wandel in die richtigen Bahnen zu lenken.
Eine der Barrieren des Wandels ist in den letzten Jahrzehnten ausfindig gemacht worden: Die Budgetplanung oder Budgetierung erweist sich als standhaftes „Immunsystem“ beim Versuch, auf radikale Produktivitäts- und Wertsteigerung abzielende Management-Werkzeuge zu etablieren. Zugleich stehen althergebrachte Führungsprinzipien wie hierarchische Organisationsstrukturen und zentralisierte Entscheidungsfindung im direkten oder indirekten Konflikt mit innovativen Lösungsansätzen.
Was ist eigentlich die Rolle von Budgets und Budgetierung? Wenn wir eine Befragung in einer beliebigen Organisation durchführen, wird die Mehrheit der Organisationsmitglieder hierauf etwa in dieser Weise antworten: „Budgets sind vorgegebene Ausgaben-Grenzwerte, die so definiert sind, dass – sofern jeder ungefähr das ausgibt was seiner Abteilung zugeordnet war – die für die Organisation insgesamt definierten Gesamtkosten in etwa erreicht werden.“
Abb. 2: Verbesserungsinitiativen und ihre Grenzen im Hinblick auf die traditionelle Budgetsteuerung
Der Zweck von Budgets ist dieser Wahrnehmung nach einer der Kosten- oder Ressourcen-Kontrolle (nicht etwa der Kosten-Analyse oder -zuteilung!). Budgets sagen den Organisationsmitgliedern demnach: „Überschreite dein Kosten-Limit nicht, sonst kommen die Rechnungswesen-Spürhunde und stellen bohrende Fragen im Stil von: Du hast zwei Linienflüge mehr gemacht als geplant – erkläre, warum!“ Diese Form der Delegation von Hoheit über Ausgaben – innerhalb eines Regimes von Gehorsam und Kontrolle – ist natürlich in der Tat eine der traditionellen Kernfunktionen der Budgetierung. Und dies dürfte eben der mehrheitlichen Wahrnehmung der Mitglieder eines Unternehmens heute entsprechen. Natürlich gibt es auch andere, grundlegend verschiedene Arten, Budgets zu sehen. Es ist von fundamentaler Bedeutung, dass wir verstehen, welche Funktionen und Bedeutung Budgets und Budgetierung in Organisationen wirklich haben.
In der Diskussion um Planung und Budgetierung werden vielfältige Begriffe benutzt – und meistens hoffnungslos unterschiedliche und gegensätzliche Konzepte durcheinandergeworfen. Eine Klärung wesentlicher Begriffe soll helfen, terminologische Divergenzen zu vermeiden.
• Planung – die „gedankliche Vorwegnahme möglicher zukünftiger Zustände“ – und in einem erweiterten Begriffsverständnis zudem „die Auswahl der anzustrebenden Zustände (Ziele) und die Festlegung der dazu umzusetzenden Maßnahmen“. Durch Pläne soll die Organisation laufend an interne und externe Veränderungen angepasst werden, wobei Entscheidungen unter Berücksichtigung zukünftiger Wirkungen zu treffen sind. Planung ist in dieser Globaldefinition ein Konzept, das die Vorausschau im Zusammenhang mit spezifischen Zielen und Maßnahmen beinhaltet. Planung wählt damit bereits bestimmte Ziel-Optionen aus und legt Maßnahmen fest.
• Budget – Ein Budget ist im Sinne gängiger Definitionen ein „mengenmäßiger, weitgehend in finanziellen Grössen ausgedrückter Plan (und insofern ein Output von Planung), der einer Entscheidungseinheit für eine bestimmte Zeitperiode mit einem bestimmten Verbindlichkeitsgrad vorgegeben wird“. Budgets sollen Ausdruck der Ziele einer Organisation sein und aufzeigen, ob diese erreicht werden. Budgets dienen damit als Basis für die Kontrolle von Leistung, zur Ressourcenallokation, Ressourcenfreigabe und Verpflichtung zu einem finanziellen Ergebnis.
• Budgetierung – zu verstehen als ein umfassender Prozess des Leistungsmanagements, der nicht nur zur Erstellung des rechnerischen Teils der Planung (mithin von Budgets) führt, sondern auch zu dessen Ausführung. Dieser Prozess umfasst entsprechend die Erarbeitung des Budgets (die Verständigung und Abstimmung von Zielen zwischen verschiedenen hierarchischen Niveaus und Bereichen der Organisation, Definition von Belohnungen, Aktionsplänen und Ressourcen für das Geschäftsjahr), aber auch die Leistungsmessung und Kontrolle (einschließlich Abweichungsanalysen) im Vergleich zu diesem fixierten Leistungsvertrag. Er schließt also das Budget als Dokument, aber auch Planungs-, Reporting-, Abstimmungs- und Kommunikationsprozesse mit ein.
Budgetierung lässt sich umfassend als alle mit dem Budget verbundenen Prozesse des Leistungsmanagements charakterisieren. In Wirklichkeit dauert die Budgetierung entsprechend nicht jene 4 bis 5 Monate – wie unzählige „Experten“ sich angewöhnt haben zu verlautbaren –, sondern 16 bis 17 Monate von Start bis Ende, inklusive der inzwischen im deutschen Sprachraum absolut üblichen unterjährigen Abweichungsanalysen und Updates (so genannte „Plan-Revisionen“ oder „Forecasts“). Diesen umfassenden Zeitrahmen des Budgetierungs-Prozesses von deutlich über einem Jahr anzuerkennen machtes übrigens auch erst möglich, den wahren Aufwand und die wirklichen Kosten des Verfahrens „Budgetierung“ abzuschätzen.
Während ein Budget an sich eine einfache Einschätzung von zukünftigem Einkommen und Ausgaben ist und für sich genommen wenig Wirkungen auf das Verhalten hat, gewinnt das Budget im Zusammenhang mit dem im Budgetprozess enthaltenen Leistungsvertrag zwischen unterschiedlichen Akteuren der Organisation weitreichende Verhaltenswirkung.2 Budget und Leistungsvertrag werden genutzt, um Leistung zu messen, zu bewerten und zu belohnen bzw. zu bestrafen. Ein Budget kann entsprechend als fixierter, in weitgehend finanziellen Grössen ausgedrückter Leistungsvertrag zwischen Unternehmensführung und ausführenden Managern interpretiert werden. Der inhärente Zweck des Budget-„Vertrages“ ist es, die Verantwortlichkeit für abgestimmte Ergebnisse und Maßnahmen an divisionale, funktionale und Bereichsmanager zu delegieren. Um an die Effektivität eines solchen Leistungsvertrags glauben zu können, müssen wir jedoch davon überzeugt sein,
• dass die Definition oder Verhandlung fixierter finanzieller Ziele der beste Weg ist, um Profitpotenzial zu maximieren;
• dass finanzielle Anreize Motivation und Commitment fördern;
• dass jährliche Pläne der beste Weg sind, um Aktionen zu steuern und Marktchancen zu maximieren;
• dass das höhere Management am besten in der Lage ist, Allokationsentscheidungen bezüglich der Ressourcen zu treffen, um deren Effizienz zu optimieren;
• dass das höhere Management effektiv Pläne und Aktionen im Sinne von Kohärenz koordinieren kann;
• dass finanzielle Berichte relevante Informationen für effektive Entscheidungsfindung liefern.
Bei kritischer Betrachtung dieser und anderer, der Budget-basierten Steuerung zugrunde liegender Annahmen zeigt sich jedoch, dass diese in Wirklichkeit auf fundamentale Mängel der in den meisten Unternehmen üblichen Management-Praxis hinweisen.
In der Praxis herrscht erhebliche Verwirrung bezüglich der „wahren“ Funktionen der Budgetierung und darüber, wie diese Funktionen mit denen anderer Führungssysteme zusammenpassen sollen. Typische Versuche, wahrgenommene Probleme der Planung und Budgetierung zu beheben, befassen sich in Wahrheit nur mit einer oder wenigen Funktionen der Budgetierung und lassen außer Acht, dass Budgetierung in der Praxis viel mehr umfasst als einfach „Prognose“ oder „Zielvereinbarung“, „Kostenplanung“ oder „Ressourcenverteilung“. Budgetierung ist in den meisten Unternehmen der vorrangige Management-Prozess zur Zielfestlegung, Ressourcenallokation und Leistungsüberwachung. Sie erfüllt jedoch insgesamt eine Vielzahl von Funktionen, die wir verstehen und unterscheiden müssen, wenn wir wirksame Verbesserungen an den Steuerungsprozessen einer Organisation vornehmen wollen.
Die Überladung von Budgetierung mit Funktionen ist historisch gewachsen. Budgets haben ihren Ursprung in Industrieunternehmen der 20er Jahre. In Firmen vom Schlage Siemens, General Motors und DuPont wurde sie (a) zum Kostenmanagement und (b) zur Ermittlung von Kapitalflüssen eingesetzt. Erst mit den 60er Jahren – so Rechnungswesen-Historiker Thomas H. Johnson – wurde begonnen, die im Budget enthaltenen finanziellen Indikatoren auch zur Zielsetzung von Mitarbeitern aller Ebenen und damit zur „Motivation“ zu nutzen. Damit fällt der Funktionswandel des Budgets zum Leistungsvertrag nicht zufällig mit dem Aufkommen der Führung durch Zielvereinbarungen (Management by Objectives) zusammen.3 Weitere Bedeutungszunahmen oder Mutationen der Budgetierung erfolgten in den 70ern durch die Bedeutungszunahme von Rechnungswesen-Informationen bei der Leistungssteuerung sowie durch zunehmende Verbreitung variabler Mitarbeitervergütung auf der Basis von „Ergebnissen“, die als Planwerte in der Budgeterstellung kaskadenartig über die Organisationshierarchie heruntergebrochen werden.
Aus dem Budget als einfachem Instrument zur Kosten- und Kapitalfluss-Planung wurde so im Laufe der Jahrzehnte ein zunehmend multifunktioneller, komplizierter und mächtiger Managementprozess, dem die unterschiedlichsten Aufgaben aufgebürdet wurden (die in Abb. 3 aufgezeigte Liste von Funktionen der Budgetierung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit!).4 Die Budgetierung ist insofern nicht von vornherein schlecht oder gar nutzlos. Wie gezeigt werden soll, ist die gebräuchliche Nutzung von Budgets als Leistungsvertrag zwischen Unternehmen und Märkten, zwischen Mutter- und Tochterfirmen sowie zwischen Unternehmensleitung und ausführendem Management in seiner heute verbreiteten Form allerdings äußerst anfällig für eine Vielzahl gravierender Probleme.
Abb. 3: Budgetierung – ein multifunktionaler Prozess: Ausgewählte Rollen der Budgetierung im traditionellen Steuerungsmodell
Kann die Budgetierung – so wie sie in den Unternehmen erfolgt – bei kritischer Betrachtung wirklich eine oder alle diese Rollen erfüllen, und sind die dahinter liegenden Grundannahmen gültig? Die Antwort muss in beiden Fällen „nein“ lauten. In den meisten Organisationen wird die Budgetierung keiner der genannten Funktionen wirklich gerecht, denn die ihr aufgebürdeten Funktionen stehen in krassem Widerspruch und Gegensatz zueinander. So kann es auch nicht verwundern, dass der typische Prozess der Budgeterstellung in Unternehmen einen Zeitraum von 4 bis 5 Monaten in Anspruch nimmt: Organisationen versuchen, in der Budgetierung das Unmögliche zu vereinen.
Drei wichtige Funktionen von Budgets – Motivation/Herausforderung, Prognose und Leistungsbewertung – müssten es eigentlich erforderlich machen, drei verschiedene Pläne mit drei verschiedenen Anspruchsniveaus zu erstellen:
• für Motivation/Herausforderung: Ziele auf herausfordernder, aber erreichbarer Höhe;
• für Prognose: realistische Zahlen, das wahrscheinlichste Ergebnis wiedergebend;
• als Grundlage für Leistungsbewertung/Vergütung: Bewertung im Nachhinein, unter Berücksichtigung auch externer Einflussfaktoren.
An diesen Widersprüchen ändern auch regelmäßige Planrevisionen nichts, oder parallel durchgeführte Forecasts oder Zielvereinbarungsprozesse, die leicht von dem in der Budgetierung impliziten Leistungsvertrag kontaminiert oder überstrahlt werden. Hieraus können nicht nur, es müssen Widersprüche und dysfunktionale Wirkungen entstehen: Eine Prognosezahl z.B. sollte nämlich, vorausgesetzt das Umfeld einer Organisation ist nicht absolut stabil und vorhersehbar, in den meisten Fällen durchaus von einer herausfordernden Zahl zur Leistungsvorgabe abweichen. In Budgets sollen dagegen beide Dimensionen der Zukunftsaussage gleichzeitig zum Ausdruck kommen. Diese Funktionen der Budgetierung sind Beispiele für die Unvereinbarkeit der vielfältigen, letztlich unvereinbaren Rollen von Budgets in herkömmlichen Steuerungsprozessen. Die Budgetierung steckt also als Prozess bereits wegen ihrer vielfältigen Rollen voller latenter Konflikte.
Hinzu kommt, dass Budgets für keine einzige der aufgeführten Funktionen das überlegene oder ideale Management-Tool darstellen. Steuerungs-Kerndisziplinen oder -Prozesse können mit anderen heute bekannten Instrumenten wesentlich effektiver und effizienter unterstützt werden. Eine Reihe von in den Organisationen bewusst oder unbewusst dominierenden Grundannahmen führt jedoch dazu, dass Budgets und Budgetierung fast überall Steuerungsfunktionen wie Planung, Definition von Leistungsvorgaben, Ressourcenallokation und -freigabe, Koordination und Abstimmung, Motivation und Anreizbildung sowie für die Verbindung von strategischer und operativer Planung/Umsetzung erfüllen sollen (siehe Abb. 4). Eine Reihe voneinander getrennter, aber interdependenter Prozesse und Tools kann zu erheblich besseren Leistungen in allen Funktionsbereichen der Steuerung führen, als dies durch einen einzigen, überfrachteten und defizitären Prozess (die Budgetierung) möglich ist.
Funktionen des Budgets | Grundannahmen |
• Planung: im Sinne einer realistischen, vereinbarten Vorausschau auf die Zukunft, und als Werkzeug der Identifikation von Chancen und Risiken | „Ein jährlicher Planungs- und Budgetierungsprozess ist die beste Art Aktivitäten auszurichten und strategische Ziele zu erreichen. Dieser Prozess kann topdown erfolgen (durch Unternehmensführung oder zentrale Planungsabteilungen), meistens aber bottom-up, wobei lokale Teams ihre Pläne vorbereiten und dann mit ihren Vorgesetzten verhandeln und eine Einigung erzielen (Gegenstrom/Knetung).“ |
• Definition von Leistungsvorgaben in Form von absatz- und finanzorientierten Zielen und Kennzahlen zur Steuerung | „Die mit der Budgetierung verbundenen Verhandlungen maximieren das Gewinnpotenzial, sowohl kurzals auch langfristig. Ziele können top-down ohne Mitwirkung von Linienmanagern gesetzt oder zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern „ausgehandelt“ werden. Ziele sind normalerweise fixiert über eine Periode von 12 Monaten und basieren auf finanziellen Grössen.“ |
• Ressourcenallokation und - freigabe: Zuordnung von Personalressourcen und finanziellen Mitteln, um die Erreichung der Leistungsziele zu ermöglichen | „Durch Beurteilung einzelner Budgetanträge sind zentrale Manager, Planer und Controller in der Lage, Ressourcen begründet zuzuordnen und damit die Effizienz des Geschäfts zu optimieren. Mit der Einigung auf einzelne Pläne werden ein Master-Budget erstellt und Ressourcen auf die Detail-Budgets verteilt. Größere Projekte sind Teil einer parallel verlaufenden Kapitalbudgetierung.“ |
• Koordination und Abstimmung durch Ressourcenzuweisung und Zielformulierung | „Zentrale Planer können Budgets über Organisations- und Geschäftsbereiche hinweg abstimmen und sicherstellen, dass die Bereiche ihre Verpflichtungen untereinender kennen und verstehen. Z.B können sie gewährleisten, dass Produktion und Vertrieb abgestimmt sind und dass die Marketingabteilung über die entsprechenden Ressourcen verfügt, die benötigt werden, um Verkaufsziele zu unterstützen.“ |
• Reporting und Leistungsüberwachung: durch den Vergleich erbrachter Leistung mit den Vorgaben im Laufe monatlicher Plan-Ist-Vergleiche | „Manager und Unternehmensleistung werden regelmäßig über den Fortschritt informiert und können korrigierende Maßnahmen ergreifen, damit die Leistung mit dem vereinbarten Plan vereinbar bleibt. Daher werden Manager aufgefordert, jede Art von Abweichung gebenüber Plan zu erklären und auf der Basis solcher Aktionen aktualisierte Projektionen zu liefern.“ |
• Motivation und Anreizsystem: Grundlage zur Erfolgsmessung und variablen Vergütung durch Ziel- und Leistungsvorgaben | „Finanzielle Anreize schaffen Motivation und Selbstverpflichtung und belohnen Leistungserreichung auf faire Weise. Sie sind meist an die vereinbarten Ziele gebunden und decken eine Bandbreite von Ergebnissen ab (z.B. von knapp unter dem Ziel bis knapp über dem Ziel). Boni sind meistens auf Manager beschränkt, werden aber bisweilen auf Teammitglieder ausgeweitet. Anerkennung (etwa durch Beförderung) kann zur Zielerreichung beitragen.“ |
• Verbindung von strategischer Planung, operativer Planung und Umsetzung | „Die Übertragung strategischer Ziele in operative Handlungsprogramme ist durch Budgets in idealer Weise gewährleistet. Budgets sind das Instrument, mit dem die Strategie den Mitarbeitern im Tagesgeschäft wirklich nahe gebracht wird. Es ist das Hauptinstrument zur Strategieumsetzung.“ |
… | … |
Abb. 4: Funktionen der Budgetierung und dahinter liegende Grundannahmen
Budgets sollen der Theorie nach eine Willensbekundung des Managements und der anderen, operativ verantwortlichen Einheiten im Unternehmen sein. Die Budgetierung ist ein Zielfindungs-, -abstimmungs- und -vereinbarungsprozess, an dem i.d.R. im Gegenstromverfahren (top down > bottom up > top down > bottom up...) zentrale und dezentrale Einheiten beteiligt sind. Am Ende der Budgetierung steht ein betriebswirtschaftlicher Leistungsvertrag für alle Ebenen des Unternehmens. Dieser „Budgetvertrag“ hat den Zweck, Verantwortung für die Erreichung ausgehandelter Ergebnisse an Manager von Divisionen, Funktionen und Abteilungen zu delegieren.
In der deutschen Budgetierungspraxis dominiert ein Verfahren, das gelegentlich als dezentrale Planung in iterativen Gegenstromverfahren bezeichnet wird.5 Dieser Prozess funktioniert mehr oder weniger so, wie am Beispiel der fiktiven Technologika AG in der Box gezeigt und wie in Abb. 5 auch grafisch dargestellt.
Abb. 5: Der traditionelle Prozess der Budgeterstellung in der Praxis
Dass die Ziele, Strategien, Budgets und Handlungsprogramme oder Aktionen in diesem in der Praxis vorherrschenden Planungsverfahren weit weniger miteinander harmonieren als in Planungshandbüchern und Management-Guidelines behauptet, lässt sich am Prozessablauf selbst und an der Unsicherheit von Praktikern aller Couleur ablesen: Irgendwie ist beispielsweise niemandem klar, wie die Übertragung von strategischen Plänen auf Budgets vonstatten gehen soll. Dies löst einerseits Klagen bezüglich der Seltenheit erfolgreicher Realisierung von Strategien aus. Andererseits führt es zu einer Dominanz der Budgetierung als Steuerungskonzept, weil dieses sich einfach als „praktisch“ in der Anwendung herausstellte.
Eine Budgetierungs-Geschichte.
Es ist wieder Budgetierungszeit bei der Technologika AG, einem Unternehmen mit 8000 Mitarbeitern. Anfang August, (das nächste Geschäftsjahr von Technologika beginnt im Januar), startet die Controllingabteilung mit den Vorarbeiten für die Budgeterstellung.
Weil konkrete strategische Anhaltspunkte von Seiten der Unternehmensleitung fehlen, stellt das Controlling gemeinsam mit den Geschäftsbereichen minutiös detaillierte Jahresplanungen auf, bis hin zur letzten Kostenstelle und auf einzelne Kontenpositionen hinunter. „Sicher ist sicher!“, sagen sich die Controller des Unternehmens. Und: „Auf diese Weise erhalten wir einerseits ein genaues Bild der Organisation. Andererseits sind alle Planungsverantwortlichen gezwungen, ihre Planungen für das nächste Jahr wirklich systematisch zu durchdenken.“ Der so entstandene Planungsvorschlag wird nach 6 Wochen und einigem Ringen der Geschäftsführung vorgelegt. Die wünscht sich natürlich Korrekturen. Das Controlling fertigt daraufhin einen neuen Entwurf an, der aber häufig gleich wieder zurückgezogen wird: denn nun – bereits mehr als 2 Monate nach Planungsbeginn – haben sich wichtige Marktprognosen und ökonomische Indikatoren geändert.
In den „Knetphasen“ – in Wirklichkeit sind dies „Knebelphasen“, denn hier werden die mehr oder weniger angemessenen Planungen der dezentralen Bereiche geliftet und an Anforderungen der Zentrale angepasst – sind die Controller und die zentrale Planungsabteilung in ihrem Element. Hier werden oft ohne Berücksichtigung von Kunden, Wettbewerbsumfeld, Wirkungszusammenhängen, Sachzwängen und Umsetzungsorientierung Plandaten „optimiert“. In dieser Prozessphase spielen echte Unternehmensziele und Strategie meist keine Rolle mehr, es geht ums Erreichen bestimmter Indikatoren und Planwerte. Der Abteilungsleiter Controlling bei Technologika: „Glücklicherweise haben wir seit 2 Jahren eine integrierte Planungs-Software in Gebrauch, die uns Plananpassungen auf Knopfdruck erlaubt. Ich habe vollen Drill-Down auf Detaildaten der Planung und kann in Sekunden kontenspezifische Gemeinkostenreduzierungen – z.B. bei Training und Reisekosten – auf Kostenstellen hinunter einpflegen.“
Bis hin zu dem so entstandenen dritten Entwurf wurden 9 Mitarbeiterjahre für das Budget aufgewendet – aufgeteilt auf die Controllingabteilung und Manager aller Hierarchie-Ebenen. Das ergibt alleine Personalkosten in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags.
Aussage des Controllers Ende November: „Natürlich finden sich jetzt in den endgültigen Zahlen wegen der vielen Planungsschleifen kaum noch die ursprünglich von den Geschäftseinheiten eingereichten Annahmen und Ideen wieder. Aber die Daten sind zumindest rechnerisch konsistent, und ich bin ehrlich gesagt froh, dass wir das Budget jetzt, 4 Wochen vor Jahresanfang, durch haben.“