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Nikolai Okunew

RED METAL

DIE HEAVY-METAL-SUBKULTUR DER DDR

Nikolai Okunew

RED METAL

DIE HEAVY-METAL-SUBKULTUR DER DDR

Ch.Links VERLAG

Die Publikation beruht auf der Dissertation »Red Metal: Heavy Metal als eine Subkultur der DDR«, die an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen wurde. Sie wurde von Prof. Dr. Frank Bösch und PD Dr. Annette Vowinckel begutachtet und am 7. Oktober 2020 verteidigt.

Mit freundlicher Unterstützung des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Hans-Böckler-Stiftung

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Eine Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Ch. Links Verlag ist eine Marke

der Aufbau Verlage GmbH & Co. KG

© Aufbau Verlage GmbH & Co. KG, Berlin 2021

entspricht der 2., durchgesehenen Auflage von 2021

www.christoph-links-verlag.de

Prinzenstraße 85, 10969 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

Umschlaggestaltung: Kuzin & Kolling, Büro für Gestaltung, Hamburg, Hannah Kolling, unter Verwendung einer Zeichnung von Ernst Morsch, Grafik/Kolorierung: Jacob von Mirbach

Zitat auf S. 239 aus Saša Stanišic, Vor dem Fest, S. 13 © 2014 Luchterhand Literaturverlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Satz: Marina Siegemund, Berlin

ISBN 978-3-96289-138-1

eISBN 978-3-86284-507-1

Inhalt

Heavy Metal auf der Prager Straße. Einleitung

Ketten, Leder und Nieten. Die Heavys und der ästhetische Ungehorsam

Judas Priest, Motörhead und Iron Maiden: Westliche Vorbilder

Langes Haar: Selbst gewähltes Stigma

Die Kutte: Signum für Individualität und investierte Zeit

Leder, Denim und Metall: Ausdruck von Härte

Freunde und Finanzen: Beschaffung und Verbreitung der Heavy-Metal-Kluft

Budapest: Die Sehnsuchtsstadt

Spiel und Störung: Die Heavy-Kleidung in der DDR

Schneller, härter, komplizierter

Alter, Arbeit und Geschlecht

Subkultur nach Feierabend: Kapitelzusammenfassung

It’s a long way to the top. Die popmusikalische Praxis von DDR-Heavy-Metal-Bands

Immer neue Wellen: (White-)Blues- und Heavy-Metal-Bands in der DDR

Die authentische Kopie: Nachgespielte Heavy-Metal-Songs

Kulturpolitik und realsozialistische Krisen: Heavy-Metal-Bands im Einstufungssystem

Fröhlich sein und singen? Heavy-Metal-Musik als Abweichung vom emotionalen Regime der DDR

Musik war wichtiger als Text: Sprache und Inhalt der DDR-Heavy-Metal-Songs

Mangel und Mucken: Das Wirtschaften der DDR-Heavy-Metal-Bands

Formel 1: Die Grenzen des Möglichen in der DDR

Macbeth: Die Mittel der Staatssicherheit

Blackout und Disaster Area: Der lange Weg in den Westen

Kommerzialisierung und Zerfall: Kapitelzusammenfassung

Farbbogen

Rote Metal-Medien? Heavy Metal im DDR-Rundfunk

Importiert: Metalradio in der DDR

Eingenistet: Die Heavy Stunde auf Stimme der DDR

Etabliert: Heavy Metal im Jugendradio DT 64

Erobert: Heavy Metal in der Wertungssendung Beatkiste

Umkämpft: Der Beginn von Tendenz Hard bis Heavy

Vernetzt: Beschaffung aktueller Musiktitel für Tendenz Hard bis Heavy

The Chase is better than the Catch: Tonträgerpraktiken

Verspätet: DDR-Metal-Produktionen und das Radio

Akzeptiert: DT 64 als Mitschneideservice und Konzertkalender

Umstritten: Sodom und Slayer auf DT 64

Dienstleistung statt Ideologie: Kapitelzusammenfassung

One for the Road. Heavy-Metal-Konzerte als Grenzüberschreitung

Niveau und Niveaulosigkeit: Das Konzert im Herrschaftsdiskurs

Medien und Mundpropaganda: Terminfindung als Herausforderung

Mühe und Erfolg: Die Anfahrt zum Heavy-Metal-Konzert

Erosion und Kommerzialisierung: Offizielle Auftrittsmöglichkeiten

Schlechter Ruf und zahlende Gäste: Private Heavy-Metal-Veranstaltungen

Reiselust und Alkohol: Die ökonomische Dimension von Heavy-Metal-Konzerten

Im Korsett: Heavy Metal im Jugendtanz

Kontrollverlust: Heavy-Runde und Metal-Spezialdiskos

Community statt Kommunismus: Formel 1 live in Limbach-Oberfrohna

Fremdkörper: Tanzpraktiken auf Heavy-Metal-Konzerten

Vermännlichte Körper? Frauen auf Heavy-Metal-Konzerten

Im Windschatten von Springsteen und Bob Dylan: Heavy Metal auf den Festivalbühnen der DDR

Flucht auf Zeit: Kapitelzusammenfassung

Victims of State Power? Die politische Dimension des Heavy Metal in der DDR

Freunde und Feinde: Die Beziehung der Heavys zu den Skinheads

The meaning of pain: Rechte Gewalt und Heavy Metal

Wirtshausschlägereien? Gewalt im Umfeld von Heavy-Metal-Konzerten

Satan goes to Church? Heavy Metal und die Kirche

Drop-out durch Anpassung: Die Heavys im realsozialistischen Alltag

»Politik sucks«: Heavys im politischen Abseits

Rebellion durch Unterlassung: Kapitelzusammenfassung

Depressive Age. Schluss

Das Ende der Netzwerke

Das Ende der Bands

Das Ende der Konzerte

Eine Subkultur der DDR: Fazit

Anhang

Anmerkungen

Literatur- und Quellenverzeichnis

Archivalische Quellen

Diskografie

Zeitzeugeninterviews

Abkürzungen

Bildnachweis

Personen- und Bandregister

Dank

Zum Autor

The crisis consists precisely in the fact that the old is dying and the new cannot be born; in this interregnum a great variety of morbid symptoms appear.

Antonio Gramsci

Are you morbid?

Celtic Frost

Heavy Metal auf der Prager Straße. Einleitung

I’ve listened to preachers

I’ve listened to fools

I’ve watched all the dropouts

Who make their own rules

Ozzy Osbourne

Aus nur einem Grund reiste Holger Welsch im Mai 1986 von einem Ende der DDR ans andere: Er wollte die Ost-Berliner Band Formel 1 live in der Dresdener Freilichtbühne Junge Garde sehen. Heavy-Metal-Bands verschlug es nur selten in Welschs Heimat im Norden, weshalb er diesen Termin, den er dem staatlichen Jugendradio DT 64 entnommen hatte, unbedingt wahrnehmen wollte. Die mehr als 400 Kilometer von seiner Heimatstadt Boizenburg im Westen des Bezirks Schwerin bis in die sächsische Großstadt bewältigte er zwar, zum Konzert sollte er es allerdings nicht schaffen. Mit langen Haaren und in ärmelloser Wrangler-Jeansjacke saß er – nach der langen Zugfahrt bereits alkoholisiert – mit Bekannten in der Dresdner Fußgängerzone »da ganz friedlich auffe Bank und hab mein Bier getrunken«, als ein Volkspolizist Anstoß an seinem Auftreten nahm: »hab dann ’nen Gummiknüppel an Kopp gekriegt. Hab dann geblutet. Da bin ich aufgestanden und hab gesagt: ›Ey Bulle, du dreckiger Hund! Verpiss dich!‹, habe ich gesagt. Natürlich sozusagen das Todesurteil [lacht] – so für die Freiheit [lacht].«1 Die folgenden fast sechs Monate verbrachte Welsch in Haft.

Vorfälle dieser Art häuften sich in der DDR der 1980er-Jahre. Die Konfliktlinien verliefen nicht nur zwischen staatlichen Organen und weit reisenden Heavy-Metalaffinen Jugendlichen, sondern auch innerhalb des Herrschaftsapparats selbst. Dieser fand ohne zentrale Weisung der SED nicht zu einer klaren Linie im Umgang mit Heavy Metal: Im Mai 1986 war es deswegen der staatliche Rundfunk, der Welsch auf das Konzert einer immerhin offiziell zugelassenen Band aufmerksam gemacht hatte. Gleichwohl war ein Auftreten wie seines – lange Haare, Denimweste und Bierflasche – auf der Einkaufsmeile Prager Straße eine Provokation für die Volkspolizei: »Die haben alles eingefangen, was nicht niet- und nagelfest war.«2

Erste Heavy-Metal-Fans in der DDR lassen sich seit den frühen 1980er-Jahren nachweisen. Als wichtiger Katalysator und »das historischste Datum aller Daten«3 für die Szene gilt der 4. Februar 1984. Auf einem Großkonzert in der Dortmunder Westfalenhalle hatten kurz vor Weihnachten 1983 Iron Maiden, Def Leppard, die Michael Schenker Group, Ozzy Osbourne, Quiet Riot, Scorpions, Krokus und Judas Priest gespielt, das wenige Wochen später in der Reihe RockPop: In concert im ZDF ausgestrahlt wurde.4 Da Westfernsehen auch in großen Teilen der DDR empfangen werden konnte, hatten zahlreiche Jugendliche der Übertragung des Konzerts entgegengefiebert und es mit ihren eher bescheidenen Möglichkeiten mitgeschnitten.5

Das Dortmunder Großkonzert ließ – wie der Einfluss westlicher Medien häufig6 – den Eindruck von Mangel wachsen: Mangel an Tonträgern, Mangel an Szenekleidung und Mangel an Information zu den Idolen. Ein bedeutender Teil der in diesem Buch behandelten aktenkundigen Vorgänge fällt daher in den Bereich der Beschaffung dessen, was fehlte. Gleichzeitig war das Dortmunder Konzert eine emotionale Reise in die englischsprachigen Zentren der Heavy-Metal-Kultur. Der Blick nach Dortmund war auch ein Blick über den Atlantik. Diese Sehnsucht hatte in der DDR mitunter paradoxe Resultate: Sie führte, wie Welschs tatsächliche Reise nach Sachsen zeigt, sowohl zu staatlich geduldeten Radiosendungen und offiziellen Konzerten als auch zu polizeistaatlicher Unterdrückung.

Im Fokus dieses Buches stehen die mit der Musik verbundenen Praktiken, Kleidung und nichtsprachliche Äußerungen, welche die spezifische »Kulturwelt«7 von Heavy Metal bilden. Es geraten Menschen in den Fokus, die bislang sowohl in den Geschichtswissenschaften als auch im Aufarbeitungsdiskurs zur DDR-Geschichte meist nur am Rand auftauchen. Sie trugen ihre Konflikte eher alltäglich am Arbeitsplatz oder im Elternhaus aus, denn es waren überwiegend junge, männliche Arbeiter, die sich in der DDR am intensivsten in der Kultur des Heavy Metal zusammenfanden. Dieses Buch soll dazu beitragen, »das Verhalten der Menschen in der DDR in seiner Vielseitigkeit und seinen Ambivalenzen zu verstehen« und die »unterste Ebene diktatorischer Herrschaft zu rekonstruieren«.8 Diese Ebene umfasste auch den Bereich der Wirkung von Popmusik, den die Herrschaftspartei unter Kontrolle haben wollte.

Der hier für die Handelnden gewählte Begriff »Heavy« taucht, nicht ohne Konkurrenz, in den DDR-Quellen sowohl als Fremd- wie auch als Selbstbezeichnung auf.9 Obwohl er mitunter auch im Westen verwendet wurde, bezeichnet er im Folgenden die Heavy-Metal-Fans in der DDR. 1989 zählte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im Bezirk Halle 350 Heavys, 1988 im Bezirk Suhl 110 und im Kreis Leipzig Stadt 60.10 Auch wenn die Zahlen der Stasi nicht unbedingt zuverlässig sind, bildeten Heavy-Metal-Fans in der DDR Ende der 1980er-Jahre die wohl größte – oder nach den Skinheads zweitgrößte – jugendliche Subkultur. Darauf deuten auch Zahlen der zeitgenössischen Jugendforschung und der Geschichtswissenschaft hin.11 Dennoch blieb ihr Anteil an DDR-Jugendlichen – von denen die allermeisten nicht subkulturell verortet werden können und musikalisch auf die westdeutschen Charts orientiert waren – im einstelligen Prozentbereich.

Die Heavys, jung und subkulturell, waren demnach doppelt minoritär und werden erst durch zwei Einordnungen in den größeren gesellschaftlichen Kontext relevant: Erstens stellte Heavy Metal ein Sinn- und Lebensstilangebot dar, welches im Gegensatz zu dem offiziellen der DDR stand. Die Bands des Westens konkurrierten mit der SED um die Aufmerksamkeit von genau jenen Menschen – jungen und meist männlichen Arbeitern –, die im Zentrum der Politik und Propaganda der Partei standen und an denen sich die staatstragenden Mythen vom jugendlichen und tatkräftigen Sozialismus maßgeblich orientierten. Zweitens zeigt der Blick auf die Heavy-Metal-Subkultur, wie schwierig es war, sich der Tiefenwirkung der Parteiherrschaft zu entziehen: Wie am Gummiband nahm bei Entfernung die Spannung zu, und der potenziell gefährliche Sog zurück ins Zentrum der Ideologie blieb immer bestehen. Der gesellschaftliche Umgang mit den neuen durch Heavy Metal motivierten Verhaltensweisen und Subjektformen erlaubt einen Blick auf die gesellschaftlichen Normen im realsozialistischen Deutschland, die nicht selten schon Jahrzehnte zuvor zu staatlichen Strukturen geronnen waren, aber in den 1980er-Jahren aufzubrechen begannen. Die Minderheit der Heavys, die auch in den kleinsten Dörfern Thüringens anzutreffen waren,12 wird so zu einer Sonde, die Einblicke in die Lebensformen der Jugend im letzten Jahrzehnt der DDR gibt. So ist auch der Begriff Red Metal zu erklären, der nicht aus den Quellen stammt. Er ist eine thesenhafte Behauptung und soll eine Verwobenheit eines globalen Popphänomens mit den Bedingungen des historischen Staatssozialismus anzeigen sowie die Heavys im konkreten spätsozialistischen Kontext platzieren. Die wiederkehrenden Leitfragen lauten, wie sich der Red Metal in der DDR ausbildete und welche Folgen die staatssozialistische Umgebung für ihn hatte.13

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Die Magdeburger Band Asathor gab am 1. Mai 1988 im Weißen Haus, dem Jugendklub der Bauarbeiter in ihrer Heimatstadt, ein Open-Air-Konzert. Schon die Kleidung, Metal-Shirts und die US-Flagge auf dem Shirt des Sängers stellten einen Bruch mit der Umgebung dar.

Für die Recherche konnte ich auf vielfältige Quellen zurückgreifen. Dazu gehörten, neben musikjournalistischen Schriften, Booklets von Schallplatten und CDs sowie Band- und Labelbiografien, auch die außerakademische Historisierung von Pop. Vor 1990 existierten zwar keine ostdeutschen Fanzines, doch finden sich in westdeutschen Magazinen und der grauen Literatur zu Heavy Metal vereinzelt Artikel und Leserbriefe mit DDR-Bezug. Besonders ergiebig waren die zeitgenössischen Texte über die DDR »von drüben« bzw. solche, die direkt nach 1990 geschrieben wurden und die Zeiten vor und nach 1990 kontrastieren. Ähnliches gilt für das Eisenblatt. Das von Hendrik Rosenberg und Patrick W. Engel verantwortete Fanzine widmet sich seit 2008 in unregelmäßigen Abständen der ostdeutschen Heavy-Metal-Szene. Ein bedeutender Teil des in kleiner Auflage erscheinenden Periodikums gleicht gewissermaßen das Fehlen unabhängiger Publikationen zum Thema vor 1990 aus und arbeitet die Geschichte von Heavy Metal in der DDR auf. Ergänzend führte ich 25 Einzel- und Gruppeninterviews mit 29 Zeitzeugen und drei Zeitzeuginnen.

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Die Headhunters aus Ost-Berlin in Ledermontur auf Konzertreise in Thüringen, unten liegend Peter »Brutus« Habermann

Ein Großteil der für diese Arbeit relevanten Quellen stammt aus den Beständen der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Selbstredend ist bei vielen Berichten die Warnung vor einem »Aktenpositivismus«14, einem blinden Vertrauen in die Arbeit des MfS, angebracht. Allerdings steigerten sich die Berichte des MfS in ihrer Genauigkeit nach dem öffentlichkeitswirksamen Angriff auf die Berliner Zionskirche durch eine Gruppe Skinheads Ende 1987, wohl, weil die Partei realistischere Angaben wünschte. Außerdem erlaubt es die serielle Analyse, bestimmte MfS-interne Erzählmuster zu identifizieren und durch Vergleiche Allgemeines und Spezielles herauszufiltern. Bei der Überprüfung und Einordnung der Akten des MfS half die breite Quellenbasis dieser Studie, die weit über die geheimpolizeiliche Überlieferung hinausgeht. Weitere Akten stammen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv (DRA), dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv (BLHA), dem Landesarchiv Thüringen, Staatsarchiv Meiningen (ThStAM) und dem Landesarchiv Berlin (LAB).

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Heavys auf einem Konzert in Görlitz, wahrscheinlich 1988. Das Foto stammt aus dem umfangreichen Fundus des Ministeriums für Staatssicherheit.

Dieses Buch konzentriert sich vor allem auf drei Bereiche: Erstens wird analysiert, welche Aktivitäten Heavys mit ihrer Musik verbanden und welche subjektive Bedeutung sie diesen Praktiken zuschrieben. Welche Freiräume und Hindernisse bestanden etwa für Bands? Was wurde sanktioniert und was geduldet oder gar gefördert? Zweitens soll über Heavy Metal der sich in der DDR der 1980er-Jahre vollziehende Medienwandel untersucht werden. Wie verhielt sich das nun eigenständige Jugendradio unter dem Druck der neuen Stile? Wie prägte das Medientrio Radio – Kassette – Schallplatte die Lebensform der Heavys in der DDR? Wie gestalteten Heavys (Aus-)Tauschprozesse? Drittens traten während der Arbeit eine Reihe hybrider Akteur_innen – wie Moderator Matthias Hopke, die Produzenten Walter Cikan und Jürgen Matkowitz oder die Bands Formel 1 und Biest – hervor, die nicht klar auf der Seite des Staates oder der vermeintlich anderen Seite der Subkultur verortet werden können. Letztlich – und darauf weist auch der Untertitel des Buches hin – war die Subkultur auf komplexe Weise mit der DDR-Gesellschaft verwoben und stand nicht in offener Opposition zu ihr. Welche Folgen hatte dieser Umstand?

Heavy Metal als Popphänomen zu betrachten mag zunächst verwundern. Es spricht aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive einiges dafür, Pop als spezifisches Phänomen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu begreifen, das eng mit privatem Musikkonsum verbunden war.15 Eine mit dem Verlust der Autorität von Bildungseinrichtungen einhergehende liberalisierte Erziehung prägte junge Menschen, die infolge des steigenden Lebensstandards über mehr Geld verfügten und es verstärkt in neue Medienformen investierten. Im Ergebnis entstand nun nicht nur ein neuer Markt für diese Jugendlichen, sondern verschiedenste Suboder Gegenkulturen, die sich über intensive Erfahrungen selbst neu erfanden und seit den ersten Nachkriegsjahrzehnten immer neue kulturelle Stile und damit verbundene Lebensweisen entwickelten.16 Einer dieser Stile, der Heavy Metal, soll in diesem Buch die Situation Jugendlicher und die Rolle von Popkultur in der späten DDR veranschaulichen. Die Leser_innen erwartet also keine Kollektivbiografie der Bands, sondern eine Geschichte von Akteur_innen on the ground, die sich alltägliche Praktiken zu eigen machten, sich frei gewählten Regeln unterwarfen und sich sowohl den Spielorten in der DDR wie auch weltweiten Idealen verbunden fühlten.17 Entstanden ist eine Geschichte »fanatischer«18 Jugendlicher und eine der Ästhetisierung des Alltags in der Diktatur.