Jürgen Höller / Stefan Reinisch / Axel Maluschka
Selbstverteidigung für Frauen
Verbesserung von Koordination & Technik
Meyer & Meyer Fachverlag & Buchhandel GmbH
© 2007 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen
2. überarbeitete Auflage 2016
Auckland, Beirut, Dubai, Hägendorf, Hongkong, Indianapolis, Kairo, Kapstadt, Manila, Maidenhead, Neu-Delhi, Singapur, Sydney, Teheran, Wien
Member of the World Sport Publishers’ Association (WSPA)
978-3-8403-3626-3
verlag@m-m-sports.com
www.dersportverlag.de
ISBN 978-3-8403-3626-3
Vgl. unter www.bmgf.gv.at sowie die Seite www.frauenratgeberin.at
Laut Monika Soukup, Gründerin des Vereins „Happy Kids“, einem Verein gegen Kindesmissbrauch, sei sogar jedes dritte Mädchen (und jeder siebente Junge) in Österreich schon Opfer eines sexuellen Übergriffs.
Nach Berichten von Teilnehmerinnen diverser Kurse an Schulen nimmt aber die Zahl aggressiv und gewalttätig auftretender Mädchen zu.
Vgl. dazu Dr. Heribert Czerwenka-Wenkstetten, „Kanon des Nippon-JuJitsu“, Tyrolia-Verlag Innsbruck-Wien, 1993, S. 43.
Homepage von Frank Plewka zum Thema „Selbstbehauptung/Selbstverteidigung“. Zugriff am 21. Oktober 2006 unter www.plew.de/sbk/statistik.htm
Die Ausführungen beschränken sich dabei auf eine oberflächliche und verkürzte Darstellung der geltenden Rechtslage in Österreich und Deutschland. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit kann keinerlei Haftung übernommen werden. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, sich über die geltenden Gesetze zu informieren! Für D: http://dejure.org/gesetze/StGB; für Ö: http://ris.bka.gv.at/bundesrecht/
OGH vom 6.9.1989, GZ 14Os94/89, zu finden unter http://ris.bka.gv.at.jus/
Auf der Grundlage der Ausführungen in „Wikipedia“ zu den Stichworten „Notwehr“ und „sexuelle Belästigung“.
Dr. Heribert Czerwenka-Wenkstetten, „Kanon des Nippon-JuJitsu“, Tyrolia-Verlag Innsbruck-Wien, 1993, S. 42f.
Vgl. dazu generell Thompson (1997) sowie Kernspecht (2002).
vgl. dazu Gavin de Becker, „Mut zur Angst – Wie Intuition uns vor Gewalt schützt“, Frankfurt a.M. 1999, S. 106
Vgl. dazu Kernspecht (2002).
„Die Kunst des Krieges“ verfasste der chinesische Philosoph und General Sun Tsu (oder Sunzi) vor mehr als 2.500 Jahren.
Das ist auch die zentrale Aussage von Marc „Animal“ Mac Young (2001).
Zur Bedeutung des Blicks vgl. auch Kernspecht, 2002, S. 29ff.
Berühmtester Samurai Japans, 17. Jh.
Dies passierte vor Jahren einem Schwarzgurt unseres Vereins: Er wurde auf der Straße um Geld angebettelt. Als er seine Brieftasche öffnete und hineinsah, um ein paar Münzen herauszunehmen, wurde er niedergeschlagen.
Vgl. Fast (2000).
Thomas Müller ist Kriminalpsychologe und Gründer des Kriminalspychologischen Dienstes im österreichischen Innenministerium.
Paul Watzlawick (*27. Juli in Villach, Österreich) ist ein österreichischer Psychotherapeut und Autor mit Wahlheimat in Kalifornien.
Ein Mädchen schaffte es jedoch, während der „Anmachphase“ unmerklich von sich aus die Distanz zu verkürzen. Am Ende der Übung stellte Stefan fest, dass er sich nun in einer Rückwärtsbewegung befand.
So sagte schon Mikinosuke Kawaishi, Begründer der Kawaishi-Ryu JuJitsu, man solle „ne pas compliquer“.
Eine Studie in Deutschland hat ergeben, dass die Kopf- und Gesichtsverletzungen bei Schulkindern zunehmen. Grund: Der reduzierte Turnunterricht, wodurch die Kinder „normale“ Schutzmechanismen wie eben das Abstützen oder das Wegdrehen des Gesichts verlernen.
Wegen der Gefahr von Infektionen durch Blut sollte nach Möglichkeit durch ein T-Shirt, Hemd, Hose etc. und nicht ins nackte Fleisch gebissen werden!
Vorschlag des Autors Stefan (nicht bindend): Rage against the Machine, Beastie Boys etc.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns entschlossen, durchgängig die männliche (neutrale) Anredeform zu nutzen, die selbstverständlich die weibliche mit einschließt.
Das vorliegende Buch wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder die Autoren noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch vorgestellten Informationen resultieren, Haftung übernehmen.
Während der Arbeit an diesem Buch verstarb Dr. Heribert Czerwenka-Wenkstetten, 10. Dan, eine der prägenden Persönlichkeiten im internationalen Jujitsu. Ihm widmen wir dieses Buch.
Dieses Buch stellt eine deutsch-österreichische Gemeinschaftsproduktion dar. Von daher erklären sich auch Betrachtungen der rechtlichen Bedingungen und mundartliche Eigenheiten in den geschilderten Erlebnissen. Infolge der Ähnlichkeit der Rechtssysteme treffen die entsprechenden Kernaussagen für Deutschland und Österreich zu.
An dieser Stelle möchten wir unseren Modellen danken, die mit unermüdlichem und für uns manchmal schmerzhaftem Einsatz die Situationen so realtitätsgetreu wie möglich dargestellt haben:
Gaia Keller (cand. jur. et phil.), 2. Kyu Jujitsu,
Doris Innermair (dipl. Krankenschwester, Studentin der Pflegewissenschaft), 2. Dan Jujitsu,
Regina Ney-Wilkens (Dipl. Soz. päd. und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin),
Norman, das Killerschaf (Auflösung erfolgt im Text).
Darüber hinaus sagen wir ausdrücklich Dank an die zahlreichen Schülerinnen, die mit ihren Erlebnisberichten für realistisches Anschauungsmaterial sorgten. Wir bedauern, dass wir an dieser Stelle nicht alle namentlich nennen können. Ein Dankeschön auch an die Fotografin des Schmuckbildes, Alexandra Runge. Zu danken haben wir last, not least unserem Verein, Shobukai Austria, Zentralinstitut für Jujitsu (http://www.shobukai.at), für die Bereitstellung des Dojos für unsere Fotoaufnahmen.
Wir haben uns bemüht, möglichst geschlechtsneutral zu formulieren, wo es angebracht war. In den Fällen, wo wir dies offensichtlich vergaßen, handelt es sich um das generische Maskulinum, das inhaltlich sowohl Frauen als auch Männer einschließt.
WARUM EIN NEUES BUCH ZUR FRAUENSELBSTVERTEIDIGUNG?
Wir haben festgestellt, dass in einem Großteil der bisherigen Literatur zum Thema die Techniken im Vordergrund stehen. Wir möchten mit unserem Buch eine neue Perspektive einbringen. Dabei beleuchten wir ausführlich die Rahmenbedingungen einer Selbstverteidigungssituation. Im praktischen Teil steht die Zielorientierung im Vordergrund, die Techniken sind als Werkzeuge von sekundärer Bedeutung. So werden von uns als Ziele eines Selbstverteidigungskurses der Aufbau psychischer Einstellungen und die Fähigkeit, Lücken beim Angreifer zu sehen und auszunutzen, in den Vordergrund gestellt.
Bei einem Angriff ist nicht der Sieg anzustreben, sondern die Möglichkeit, bestenfalls unbeschadet weglaufen zu können bzw. aus der Situation herauszukommen. In diesem Sinne hoffen wir, dass dieses Buch Frauen hilft, Selbstverteidigungssituationen zu meistern, d.h. einem Angriff unbeeinträchtigt entkommen zu können. Unserer Meinung nach genügt es zur Vorbereitung allerdings nicht, ein Buch zu lesen. Der Besuch eines Kurses oder besser eines längeren Trainings ist Pflicht. In diesem Sinne schrieben wir dieses Buch auch für Trainerinnen und Trainer, die diese Kurse planen und durchführen (möchten).
Sollte letztlich nur eine Frau einen feigen Angriff durch einen Mann parieren können, weil sie unsere Tipps, Hinweise und Anregungen ernst nahm, hat sich das Schreiben dieses Buches schon gelohnt.
Jürgen
Axel
Stefan
Bevor man ein Problem lösen kann, muss zunächst das Problem erkannt und überdacht werden. Wenn man daher Selbstverteidigung als das Ergreifen von Schutzmaßnahmen bei Gewaltanwendung gegen die eigene Person versteht, ergibt sich daraus eine Reihe von Fragen, denen wir in den folgenden Kapiteln nachgehen werden.
WAS IST UNTER GEWALT ZU VERSTEHEN?
Dazu hat das „Österreichische Bundesministerium für Gesundheit und Frauen“ folgende Definition erstellt[1]:
„Unter ‚Gewalt gegen Frauen’ werden alle Handlungen zusammengefasst, die Frauen körperlich, sexuell oder psychisch Schaden zufügen bzw. zufügen können. Darunter fallen auch die Androhung entsprechender Handlungen, Nötigung sowie Freiheitsberaubung. Die Folgen von Gewalt sind psychische und körperliche Schäden und Erkrankungen unterschiedlichster Art. Laut Angaben von Amnesty International haben rund 20 % aller Frauen weltweit körperliche und sexuelle Gewalt erlitten.“[2]
Des Weiteren werden verschiedene Formen der Gewalt unterschieden:
„Körperliche Gewalt ist nur eine der Formen von Gewalt, mit denen sich Frauen konfrontiert sehen. Etwa jede fünfte bis zehnte Frau ist von körperlicher Gewalt betroffen. Nach einer Statistik zum Wegweiserecht sind ca. neun von zehn gefährdeten Personen Frauen und 93 % der gefährdenden Personen Männer[3]. Als besonders gefährlich erweist sich die Situation einer Trennung bzw. deren Ankündigung durch die Frau.
Am häufigsten erleben Frauen Gewalt in ihrer Familie, 90 % aller Gewalttaten werden nach Schätzungen der Polizei in der Familie und im sozialen Nahraum ausgeübt. Die Dunkelziffer bei familiärer Gewalt ist sehr hoch, Forschungsergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass jede fünfte Frau bereits Gewalt in einer Beziehung erlebt hat.
Die Täter sind zu mehr als 90 % die eigenen Väter, Onkel, neuen Lebensgefährten der Mütter, Freunde der Eltern oder Nachbarn.
Zur psychischen Gewalt zählen jene Formen von Handlungen, die Angst und Abhängigkeit erzeugen. Durch Drohungen und Einschüchterungen wird das Selbstwertgefühl und die Selbstachtung der betroffenen Frauen so zerstört, dass der Täter gar keine körperliche Gewalt mehr anwenden muss, um seine Macht zu demonstrieren.
Strukturelle Gewalt äußert sich in ungleichen Macht- und Besitzverhältnissen und ungleichen Lebenschancen. Darunter sind alle Bedingungen, Rollenzuschreibungen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu verstehen, die Frauen diskriminieren und ihnen den Zugang zu Ressourcen und Einfluss erschweren oder verunmöglichen.
Sexuelle Gewalt, Vergewaltigungen und sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz sind keine aggressiven Ausdrucksformen von Sexualität, sondern vielmehr sexueller Ausdruck von Aggression und Gewalt. Sexualität wird hier zu einer Form der Machtausübung und der Unterdrückung.“
Zur Lösung des Problemfalls „Gewalt in der Beziehung und/oder Familie“ weisen die Autoren auf die jeweiligen speziellen Beratungsstellen hin, auf Grund der speziellen Autoritäts- und Beziehungsverhältnisse kann ein Buch allein dazu nur wenig beitragen.
Die Lösung der unter „C“ angeführten Gewaltform liegt natürlich ebenfalls außerhalb der Autorenkompetenz.
Selten ist es bisher vorgekommen, dass Teilnehmerinnen in Selbstverteidigungskursen der Autoren von Gewalt innerhalb der Familie berichtet haben, dafür ist die Hemmschwelle einfach zu groß.
Einige wenige Fälle gab es jedoch, so berichtete ein 17-jähriges Mädchen in dem Moment, als der Kursleiter sie im Rahmen einer Übung unter psychischen Druck setzte, ihren Vater vor sich zu sehen, der sie jahrelang geschlagen habe.
In einem anderen Fall erzählte ein 14-jähriges Mädchen, welches schon in der ersten Stunde durch die leise Bemerkung aufgefallen war, dass „das alles“ unter anderen Gegebenheiten nicht funktioniere, im Laufe des Kurses vom in Kürze stattfindenden Prozess gegen ihren Vater, welcher sie missbraucht habe.
WAS KÖNNEN DIE MOTIVE VON GEWALT GEGEN FRAUEN SEIN?
Eine Untersuchung von Dr. Gertraud Czerwenka-Wenkstetten[4] teilt Gewalttäter in vier große Gruppen auf:
Die „geschlagenen Schläger“, die für die Vergangenheit Rache an Gegenwart und Zukunft nehmen.
Die „Kurzschluss-Aggressoren“, die wenig Spannung aushalten und ihre Aggression den Weg des geringsten Widerstandes gehen lassen.
Die Menschen, bei denen Aggression durch hirnorganische Faktoren begünstigt ist (etwa Wegfall der „Beißhemmung“ durch ein Schädelhirntrauma).
Religiös oder politisch indoktrinierte Fanatiker.
Nach eigenen Erfahrungen wird Gewalt durch die Täter aber oft genug einfach als Mittel zum Zweck eingesetzt, aus materiellen (der klassische „Handtaschenraub“) oder sexuellen Motiven (Vergewaltigung) oder aus Freude an Machtgewinn über andere (dazu gehört es schon, wenn „mann“ sich in der leeren U-Bahn direkt neben das Mädchen/die Frau setzt und deren ängstliche Reaktion beobachten kann) bzw. eine Mischung aus den beiden letztgenannten Motiven.
Eines der neuesten Gewaltphänomene nennt sich „Happy Slapping” (allein diese Bezeichnung ist schon zynisch und menschenverachtend) und stellt ein neues Bedrohungsszenario dar (angeblich nach Vorbild einer Reality-Fernsehserie). Personen werden ausgewählt, um diese dann meistens ohne Vorwarnung zu attackieren. Der Vorfall wird per Videohandy aufgezeichnet und manchmal auch ins Netz gestellt. So z.B.:
Der Angreifer nähert sich einer auf einer Bank sitzenden, offensichtlich auf den Bus wartenden Person, schlägt diese hart ins Gesicht und läuft davon.
Mehrere Jugendliche machen sich von hinten an eine junge Spaziergängerin heran, einer nimmt Anlauf und springt ihr mit beiden Beinen in den Rücken; sie rappelt sich auf und geht davon.
Mehrere Jugendliche umringen einen Jugendlichen, einer schlägt ihn ins Gesicht, ein anderer tritt in Richtung Kopf, er geht zu Boden.
Beim „Happy Slapping” geht es nicht um materielle Vorteile, vielmehr steht unseres Erachtens der „Kick”/ der „Ruhm” im Vordergrund. Dieser ist für den Normalverbraucher in der vorliegenden Form nicht nachvollziehbar, rationale Erklärungsversuche sind daher eher sinnlos. Die Kosten-Nutzen-Analyse dürfte eher in den Hintergrund treten bzw. das Risiko ist vielleicht sogar Teil des „Kicks” (Je mehr Publikum, je stärker das Opfer, desto größer der Kick?).
Der Gewalttäter wird in der Regel stärker/größer/schwerer sein. Soll man sich daher im Fall des Falles wehren oder die Gewalt über sich ergehen lassen?
Viele Mädchen und Frauen fragen sich, ob eine Verteidigung gegen einen gewaltsamen Angriff eines Mannes überhaupt sinnvoll sei. Gerade in den Selbstverteidigungskursen kommt von Mädchen häufig der Einwand, Gegenwehr bringe nichts, weil Männer sowieso stärker seien und nur noch aggressiver werden würden.
Dem können wir eindeutig widersprechen. Gegenwehr ist sinnvoll!
In Selbstverteidigungskursen sollte auch der Leiter/die Leiterin entsprechend argumentieren. Wir wollen an dieser Stelle eine Begründung und ein wenig Argumentationshilfe liefern.