Ich danke meiner Familie, die mich immer wieder auf die Bühnen dieser Welt lässt, selbst wenn zuhause der Müll noch nicht rausgebracht wurde; ich danke allen, die sich ins Publikum setzen, meinen Texten zuhören und mich mit Applaus beschenken. Ich danke Aimée Ziegler für ihr gnadenloses Auge. Ich danke meinem Kollegen David Grashoff für seine Bühnentreue bei den Wuppertaler Wortpiraten und dass ich neben ihm aussehe wie Godzilla neben Alfred J. Kwak. Und ich danke den Japanern, dass sie so viel weirden Shit erfinden.
Seit sechs Jahren stehe ich nun als Lese-Komiker und Slam-Poet auf der Bühne und trage meine meist lustig gemeinten Texte vor. Wenn man das wie ich so 1-3 Mal im Monat macht und dabei nach dem zweiten Mal vorlesen die eigenen Texte schon nicht mehr hören kann, kommt einiges an Geschichten zusammen. Nicht alles ist gut. Aber damit das Buch voll wird, habe ich es trotzdem in dieser dritten Sammlung* von Bühnentexten abgedruckt.
Wer das jetzt nicht wenigstens amüsant fand, der kann vermutlich auch mit dem Rest des Buches wenig anfangen und sollte wieder zu Büchern über Darmperistaltik oder zu romantischen Vampirschmonzetten wechseln, in denen die weibliche Hauptfigur mehr Haare unter den Achseln hat als der Werwolf auf dem Rücken.
Ich wünsche euch auf jeden Fall viel Vergnügen mit diesem Buch, in dem ich seelisch, psychisch und physisch mal so richtig die Hüllen fallen lasse.
Ich übernehme keine Haftung für eure geistige Gesundheit.
Euer
André
* Die anderen beiden Sammlungen heißen Abnehmen, Kinderkriegen und andere Katastrophen und Abnehmen ist auch keine Lösung.
»Wirst du uns vermissen?«, fragt meine Frau.
»Total!«, sage ich und schiebe sie mit dem Fuß zur Tür hinaus. Mein Sohn ist bereits im Flur und sammelt den Lego-Star-Wars-Bausatz ein, mit dem ich ihn rausgelockt habe.
»Liebst du uns?«
»Wie mein Leben«, säusele ich durch den sich schließenden Türspalt. Als die Tür mit einem Klicken ins Schloss fällt, flüstere ich: »Aber nicht ganz so sehr wie das neue Batmanspiel.«
Küche, Klo, Wohnzimmer und keine fünf Minuten später sitze ich, umgeben von Softdrinks, kleinen Schalen mit acht verschiedenen Sorten Schokolade, einem 5 Kilo-Metropack-Weingummi und meinem Lebendgewicht in Chips auf dem Sofa. Ein ganzes Wochenende ohne Familie, ohne Arbeit, ohne auch nur ein einziges Vitamin. Eine Orgie der Entspannung, ein Chillax-Turnier, ein Festival all der Dinge, die uns die Ärzte immer verbieten.
Andere Männer in meinem Alter kaufen sich Sportwagen oder halten sich teure Geliebte. Ich habe meine Xbox.
Ich reiße das Paket von Amazon auf. Das kann nur »Batman Origins« sein. Anfangs habe ich etwas Schwierigkeiten, das glitzernde Papier abzubekommen, aber dann halte ich es in der Hand, der Herr von Gotham City prangt stolz auf der Rückseite, majestätisch und so rund? Und haarig? Und orange?
Eine Erkenntnis arbeitet sich durch meinen Freudentaumel und voller schlechter Vorahnung drehe ich die Hülle um. »Winnie Puuh feiert Weihnachten.«
Ich falle auf die Knie, reiße die Arme in die Luft und brülle: »Neeeeeiiiin!«
Ich weiß nicht, wie lange ich weinend in Fötushaltung am Boden gelegen habe. Irgendwann komme ich wieder zu mir, weil mein Hund einen langgezogenen Furz fahren lässt, der verdächtig nach Gummibärchen riecht. Seine halbgeschlossenen Augen scheinen zu sagen: »Ich dachte, das hier wird ein Männerwochenende. Zieh an meiner Pfote!«
Mein Hund hat zwar keine Hoden mehr, aber immer noch dickere Eier als ich. Und noch eines hat er: Recht.
Also trockne ich meine Tränen mit ein paar Minipfannkuchen, stopfe mir eine Hand voll Schokolade in den Mund und rappele mich auf. Dann spiele ich eben etwas Beruhigendes, etwas, das entspannt und mich mit der Welt versöhnt.
Das Spiel beginnt und ich spüre, wie Zen sich über mich legt, wie meine Gedanken sich beruhigen und entfalten. Als ich den ersten Gegner mit einem Kopfschuss vom Leid des Lebens erlöse, bin ich endgültig tiefenentspannt. Bis der Spieler des Von-Uns-Gegangenen sein Headset einschaltet.
»Ich piep dein Piep, du verpiepter Piep Piep. Zieh deinen verpiepten Piep aus deinem Piep und verpiep dich, Bitch!«
Das klingt nach dem Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
»Woah … Freundchen. Küsst du mit dem Mund deine Mutter?«
»Nein, aber ich Piep deine Mutter damit!«
»Viel Spaß dabei. Meine Mutter ist 75, übergewichtig und weiß, wie man einen Mann mit seinem eigenen Daumen tötet. Ich würde dir ihre Nummer geben, aber das sind mit Vorwahl elf Zahlen, von denen du wahrscheinlich die meisten nicht kennst.«
Das nun Folgende bin ich nicht in der Lage, wiederzugeben, ohne dass ihr wegen Tinnitusverdacht zum Arzt rennt. Ich schalte die Konsole aus, denn so langsam spüre ich doch meinen Blutdruck steigen. Nicht, weil der motivierte Hauptschulabbrecher mich beleidigt. Das bin ich gewöhnt. Nein, er ist dabei so viel kreativer als ich, der für seine Kreativität bezahlt wird, dass ich Minderwertigkeitsgefühle bekomme.
Also beschließe ich, meine Seele mit ein bisschen Nostalgie zu streicheln und packe die erste von 22 DVDs aus der Alf-Sammelpackung in den Player.
Kennt ihr Alf noch? Den Gregor Gysi unter den Aliens? Flache Handlung, flache Hauptdarstellerinnen und noch flachere Witze über einen Außerirdischen mit Schönheitsfleck, dem Madonna zunehmend ähnlicher sieht.
Bei der ersten Lachkonserve spüre ich, wie sich mein Gehirn herunterfährt und sich mein Leben auf die Grundbedürfnisse reduziert. Wenn ich hungrig bin, esse ich. Wenn ich müde bin, schlafe ich. Und wenn ich zum Klo muss, gehe ich … meistens.
Sonntagabend wird mein Gehirn vom Klirren des Schlüssels wieder gestartet. In meinem Mund fühlt sich alles pelzig an und erschrocken suche ich unseren Hund. Er steht leise jaulend vor der Balkontür. Vielleicht hätte ich ihn mal rauslassen sollen.
»Hast du ein Glück, dass du keine Katze bist« Ich lache keuchend wie Alf.
Ich schaue mich verwundert um, weil kein Gelächter vom Band meinen gelungenen Scherz begleitet.
»Wie sieht es denn hier aus?«, fragt meine Frau entsetzt.
Ich folge ihrem Blick und sehe Kartons von Pizzen, an deren Verzehr ich mich nicht erinnern kann – ja nicht mal daran, dass ich sie bestellt habe. Die meisten der Schalen sind leer oder umgestoßen, einige Stellen des Teppichs schimmern verdächtig dunkel und ich hoffe, dass es Cola oder wenigstens der Hund war. Der Stofftier-Winnie-Puuh meines Sohnes hängt an einem Strick vom Deckenventilator und dreht sich langsam.
»Na, ich hoffe, du hattest ein schönes Wochenende«, sagt meine Frau spitz.
»Das Beste!«, sage ich selig lächelnd und überlege, ob der Chinese wohl auch Katzen liefert.
„Du siehst immer so Scheiße aus.“
Na toll, wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde. Erst sehe ich aus wie Elton und jetzt sehe ich aus wie Scheiße. Da soll noch einer sagen, man könne sich nicht verbessern.
„Du siehst immer so Scheiße aus“, wiederholt Karl und die Umstehenden nicken. Ich überlege, ob ich meinen letzten Geburtstag vor der großen 4 nicht mit einer kleinen Performance beschließen soll. Sie trägt den Namen: „Ich bin so schwer wie zwei von euch zusammen und schlage heute ausnahmsweise auch mal Frauen.“
Stattdessen nehme ich mit einem eisigen Grinsen den Umschlag entgegen, den Karl mir mit den Worten reicht: „Darum haben wir für ein Wellness-Wochenende zusammengelegt.“
Ich werfe meiner Frau einen erstaunten Blick zu. Ich hatte sie explizit instruiert, dass ich mir von der Bande ein Jahr Xbox Live wünsche. Sie zuckt nur hilflos mit den Schultern.
Nun weicht meine Definition von einem Wellness-Wochenende ein wenig von der gängigen Vorstellung ab. Ich will den Junior zur Oma bringen, mich mit der verbleibenden Hälfte Buttercremetorte auf die Couch fläzen und eine komplette Staffel einer HBO-Serie gucken, bei der mir immer, wenn die Handlung zu kompliziert wird, die Zusammenhänge von nackten Menschen erklärt werden.
Abends wird Pizza bestellt und an guten Tagen gibt es danach noch ein bisschen bewegungsarmen Fresskoma-Sex.
Clemens reicht mir mein Handy. „Ich hab dir schon mal die Wellness-App installiert, so sehen wir alle bei Facebook, wie viel Spaß du hast.“
Ich starre auf das Display. „Noch drei Tage, elf Stunden und vierzehn Minuten bis zu Ihrem tollen Wochenende bei uns. Wir freuen uns auf Sie, Herr Wiesler!“
Tja, die Freude ist ganz auf eurer Seite.
Samstag, 8:08 Uhr, André Wiesler hat im Hotel „Fit und glücklich“ eingecheckt
„Herzlich Willkommen Herr Wiesler, schön dass Sie da sind, mein Name ist Agathe Bauer, hier ist Ihr Schlüssel, kann ich sonst noch was für Sie tun?“, plappert es mir von der Rezeption entgegen.
„I got the power“, singe ich vor mich hin, weil mir so früh am Morgen nichts anderes einfällt.
Sie legt ihr breit lächelndes Wasserstoff-Köpfchen auf die andere Seite und fragt: „Bitte?“
„Es gab da mal diesen Verhörer … Agathe Bauer statt … egal.“
„Vielleicht möchten Sie sich ein bisschen frisch machen, bevor Sie mit der ersten Anwendung starten?“
„Ich würd‘ lieber erst mal frühstücken.“
Ihr Lachen ist so glockenhell, dass ich darauf warte, ob Peter Pan von der Decke schwebt.
„Frühstück ist bis Sieben.“
Samstag, 8:22, André Wiesler hat aus dem Hotel „Fit und glücklich“ ausgecheckt
Samstag, 8:27, André Wiesler hat im Hotel „Fit und glücklich“ eingecheckt
Ich habe es genau bis zum Auto geschafft, da prasselten schon die Facebook-Nachrichten auf mich ein. Also marschiere ich wieder rein. Vermutlich haben meine Freunde eine Menge Geld für diese Geschichte ausgegeben, also muss ich das jetzt auch durchziehen.
Samstag, 9:00 Uhr, André Wiesler hat im Kurs „Fit macht frei“ eingecheckt.
„Ihr verdammten, jämmerlichen Maden! Ich mache euch fertig!“
Die kleine Frau vor mir sieht aus, als hätte jemand aus Versehen ein paar Brüste auf Tom Cruise getackert. Ihr Hals schwillt an, während sie auf uns einschreit.
„Wenn euch beim Laufen jemand auf die Schultern klopft, dann sind das eure eigenen fetten Arschbacken!“
Ich beginne zu vermuten, dass „Fit macht frei“ nicht einfach der schlechten Vorbildung eines Marketingfuzzies zu verdanken ist, sondern dass die Reichsleitung hier immer noch im Dienst ist. Gleich wird sie fragen: „Wollt ihr die totale Wellness?“
Stattdessen schaut sie auf ein Klemmbrett. „Oh, heute ist ja gar nicht Fitness-Bootcamp. Herzlich willkommen bei ‚Fit macht frei‘, ihr Lieben. Wir machen erstmal ein paar Übungen zum Auflockern.“
Als sie daraufhin ihren knochigen Hintern in die Luft streckt und ihren Kopf auf ihrem Schuh ablegt, ahne ich Schreckliches.
Samstag, 9:40 Uhr, André Wiesler hat den Kurs „Fit macht frei“ beendet
Au. Au, au, au! Gut, dass gleich Fangopackung und Massage angesagt sind.
Samstag, 10:00 Uhr, André Wiesler hat im Massageparlor eingecheckt
„So, Herr Wiesler, jetzt machen wir Ihren verspannten Rücken erst mal schön warm“, säuselt mir der Massageseppel ins Ohr.
Ich spüre einen Klecks heißen Schmodder auf meinen Rücken platschen. Es ist kurz still.
„Genießen Sie die Musik, während ich noch ein bisschen mehr Fango hole.“
Nachdem er viermal gelaufen ist, ist mein Rücken einigermaßen bedeckt, aber oben ist das Zeug schon wieder abgekühlt und spannt.
„Das ist jetzt nicht so angenehm“, sage ich.
„Doch, das ist schön warm!“
„Ne, eher nicht.“
„Doch, doch.“
„Alter, das ziept und ist kalt!“
„Das Fango lockert Ihre Muskeln wohltuend und sanft.“
„Tut es nicht. Wer von uns liegt denn hier unter der Elefantenkacke?“
„Und wer von uns sieht so aus, als hätte er sie fabriziert?“, blafft der Masseur zurück.
„Touché“, gebe ich beeindruckt zurück. „Aber du kannst mir die Pampe jetzt runterspachteln oder vom Boden aufwischen.“
Samstag, 11:30 Uhr, André Wiesler hat im Kurs „Meditatives Klangschalensingen“ eingecheckt
„Ihr müsst eure Chakren öffnen“, summt die Frau im Batik-T-Shirt im Ton der Klangschalen.
„Ich möchte lieber meinen Mund öffnen“, summe ich zurück. „Wann ist denn Mittag?“
„Lass dich nicht von deinem Körper bestimmen“, summt sie zurück.
„Sehe ich so aus, als könnte ich das?“, summe ich.
Jetzt summt sie nicht mehr: „Buffet ist schon offen. Mach die Biege, du Tünnes!“
Na bitte, so verstehen wir uns doch.
Auf dem Weg zum Speisesaal kommt mir eine dicke, bleiche Frau entgegen. Ihr Blick frisst sich in meinem Gesicht fest und sie springt mich an, klammert sich an meinen Arm. „Hast’n Snickers? Oder Nutella? Oder Maoam? Ich bin schon ‘ne Woche hier!“
Dann bricht sie entkräftet zusammen.
Samstag, 11:40 Uhr, André Wiesler hat beim Mittagessen eingecheckt
Ich blicke auf die Auslage. Acht Sorten Tofu. Also achtmal kleine, weiße Kautschuk-Würfel in unterschiedlichen Farben, mit denen man auch die Fensterfuge dichten könnte. Salat. Noch mehr Salat. Uuuund … noch mehr Salat.
„Na, da guckt aber jemand grimmig.“ Das kommt von einer Frau Ende 50 mit einem grauen Zopf. Sie trägt einen lachsfarbenen Kittel und klingt, als stünde sie auf dem Pausenhof eines Kindergartens.
„Mag da jemand nicht, was er sieht?“
„Messerscharf erkannt“, sage ich.
„Na, da kann man doch was gegen tun.“
„Ja, aber ich mag nicht in Trainingshose zu McDonald‘s fahren.“
„Na, jetzt ist hier aber jemand albern!“
Sie fuhrwerkt an einer Maschine und dreht sich dann mit einem Glas zu mir um. „Da trinkt man am besten erst mal einen Algen-Dinkel-Lassie aus Sojamilch.“
Samstag, 12:30 Uhr, Statusmeldung von André Wiesler:
André Wiesler hat in der Landesjustizanstalt eingecheckt.