Michael Rasch | Michael Ferber
DIE (UN)HEIMLICHE
ENTEIGNUNG
So schützen Sie Ihr Geld
vor Politikern und Notenbankern
Verlag Neue Zürcher Zeitung
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Ausserdem weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass grössere Textpassagen in diesem Buch bereits als Artikel der Autoren im Wirtschafts- oder Finanzteil der Neuen Zürcher Zeitung erschienen sind, dies zum Teil sogar in identischer Form. Die in diesem Sinn verwendeten Artikel der Autoren sind im Literaturverzeichnis alle detailliert aufgeführt.
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© 2016 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich
Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2016 (ISBN 978-3-03810-154-3)
Vollständig überarbeitete Neuauflage 2016. Die erste Auflage erschien 2012 unter dem Titel Die heimliche Enteignung. So schützen Sie Ihr Geld vor Politikern und Bankern.
Titelgestaltung: GYSIN [Konzept + Gestaltung], Chur
Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
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ISBN 978-3-03810-226-7
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Für unsere Eltern
Vorwort zur ersten Auflage
Es ist erfreulich und auch überfällig, dass zwei Ökonomen endlich die Geldpolitik der Notenbanken kritisch analysieren. «So schützen Sie Ihr Geld vor Politikern und Bankern» ist ein besonders aktuelles Thema, dem ein breites Publikum bis jetzt allerdings wenig Beachtung geschenkt hat. Die beiden Autoren Michael Rasch und Michael Ferber behandeln in diesem Buch eingehend die Problematik einer sehr expansiven Geldpolitik. Trotzdem möchte ich noch einige Gedanken beifügen und dabei hauptsächlich auf die Politik der US-Notenbank (Federal Reserve) eingehen.
Unter den Präsidenten der US-Notenbank, den Herren Alan Greenspan (ab 1987) und Ben Bernanke (seit 2006), war und ist die amerikanische Geldpolitik durch eine vollständige Vernachlässigung des übermässigen Kreditwachstums gekennzeichnet. In den USA sind die Gesamtschulden der privaten Haushalte, der Unternehmen und des Staates von rund 140 Prozent des Bruttosozialprodukts im Jahre 1980 auf zurzeit knapp 380 Prozent gestiegen. Diese 380 Prozent schliessen noch nicht die fundierten, aber bestehenden künftigen Verpflichtungen in der Sozialversicherung und im Gesundheitswesen ein, die auf rund 400 Prozent des Bruttosozialprodukts geschätzt werden.
Zudem haben die führenden amerikanischen Notenbanker den Zweck von Krediten völlig vernachlässigt. Es besteht nämlich ein grosser Unterschied zwischen einem Kredit, der für allerlei volkswirtschaftlich nicht produktive Finanzspekulationen oder für gegenwärtigen Konsum aufgenommen wird, und einem Kredit, der für Kapitalinvestitionen, wie den Bau einer Fabrik und die Beschaffung von Maschinen, in Anspruch genommen wird. Beim Konsumkredit ist der Multiplikatoreffekt sehr begrenzt, während der Kredit für Kapitalinvestitionen eine nachhaltig einkommensfördernde Wirkung hat. Die klassischen Ökonomen sprechen im letzteren Fall von einem produktiven Investitionskredit. Zudem sollte es auch einleuchten, dass der Konsumentenkredit lediglich die künftige Nachfrage vorzieht und dass eines Tages, wenn der private Haushaltssektor überschuldet ist, der Konsum der Haushalte nicht mehr stark wachsen kann oder sogar schrumpfen muss – so wie dies jetzt in den USA der Fall ist.
Die amerikanischen Geldpolitiker haben auch nicht verstanden, was Inflation tatsächlich heisst, da sie bei ihrer Geldpolitik lediglich die Kerninflation im Auge hatten. Die Autoren Rasch und Ferber behandeln in mehreren Kapiteln eingehend, was eine Inflation eigentlich ist. Ich möchte hier jedoch noch erwähnen, dass dieses Thema bereits in den 1920er-Jahren zwischen einigen amerikanischen Ökonomen und dem bedeutenden britischen Ökonomen John Maynard Keynes zu einer vertieften Debatte geführt hat. In einem Essay, das der Namensgeber des Keynesianismus damals an die US-Notenbank geschickt hat, argumentierte er, dass sich eine Inflation «früher oder später in den steigenden Preisen von Konsumgütern» bemerkbar machen würde. Einige Mitglieder der US-Notenbank, unter anderem Carl Snyder, antworteten ihm, dass ein übermässiges Kreditwachstum den grössten Immobilienboom der letzten 60 Jahre verursacht und dass die übermässige Kreditexpansion zu einer gewaltigen Inflation bei Aktien und Immobilien geführt habe. In A Treatise on Money aus dem Jahr 1930 revidierte Keynes dann seine Meinung und erklärte, dass für jemanden, der in den 1920er-Jahren nur Konsumentenpreisindizes betrachtete, es keine Inflation gegeben habe. Für jemanden, der die starke Expansion von Bankkrediten und die steigenden Aktienkurse in Betracht zog, habe es allerdings sehr wohl eine Inflation gegeben. Zwischen 1927 und 1929, so Keynes, sei es in den USA zu einer hohen Gewinninflation gekommen.
Ich schreibe dies hier, weil die gegenwärtigen amerikanischen Geldpolitiker, wie anfangs erwähnt, das übermässige Kreditwachstum völlig vernachlässigt haben. Ja, mehr noch: Sie erachten Anlageblasen nicht nur als völlig normal, sondern sogar auch als erstrebenswert, und fördern sie aktiv. An dieser Stelle ist es meine Pflicht, dem Leser mitzuteilen, dass die Förderung von Anlageblasen oder die Förderung einer Inflation der Anlagewerte («asset price inflation») das grösste Verbrechen ist, das eine Notenbank begehen kann. Der bekannte Ökonom Irving Fisher bemerkte schon in den 1930er-Jahren: Wenn zu einer Zeit monetärer Inflation alle Preise und Einkommen gleichmässig stiegen, würde niemand darunter leiden. Wenn jedoch der Anstieg der Preise und der Löhne ungleichmässig verteilt sei, würde die Mehrheit der Bevölkerung verlieren und nur eine Minderheit gewinnen.
Da mich die grossen Anlageblasen in der Wirtschaftsgeschichte immer fasziniert haben, bin auch ich nach dem Studium dieser Bubbles zu dem Schluss gekommen, dass beim Platzen einer Anlageblase die meisten Anleger verlieren und nur ganz wenige profitieren oder wenigstens ohne grösseren Schaden davonkommen. Ausserdem sind Anlageblasen, die von negativen realen Zinsen begleitet werden, die perfidesten, weil ehrliche Sparer entweder Jahr für Jahr an Kaufkraft einbüssen oder geradezu von den Notenbanken zur Spekulation gezwungen werden. Aus diesem Grund führen Zeiten rapiden Geldmengen- und Kreditwachstums zu einer sich stark vergrössernden Differenz beim Einkommen und beim Reichtum. Der soziale Friede wird gestört, und wenn der Unterschied zwischen Arm und Reich zu gross wird, verursachen sie in Extremfällen sogar Revolutionen oder Bürgerkriege.
Schliesslich möchte ich die Worte von Ernest Hemingway in Erinnerung rufen, nach denen die erste Lösung für ein schlecht geführtes Land die Inflation der Geldmenge sei, die zweite der Krieg. Beide würden temporären Wohlstand bringen – und dann permanenten Ruin.
Dr. Marc Faber
Chiang Mai, August 2012
Vorwort zur Neuauflage
Ersparnisse bilden zu können, über sie verfügen zu können, ist für jeden Menschen, der sein Leben frei von der Willkür anderer leben möchte, unverzichtbar, sowohl während der aktiven Berufszeit als auch im Alter. Ersparnisse sind für eine prosperierende Volkswirtschaft insgesamt unverzichtbar. Sie bilden die Grundlage, um investieren zu können und sind damit der Schlüssel zu Kapitalbildung, höherer Produktivität, höheren Löhnen und verbesserter materieller Güterausstattung. Das Sparen zahlt sich in einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft nur dann aus, wenn die Menschen über gutes, verlässliches Geld verfügen. Der ehemalige Präsident der Deutschen Reichsbank, Hjalmar Schacht (1877–1970), formulierte diese zeitlose Wahrheit im Jahr 1949 wie folgt: «[A]uf der geordneten Währung beruht die geordnete Wirtschaft, und ohne geordnete Wirtschaft gibt es keinen Wohlstand und keinen Weltfrieden.»
Wohin man heute aber auch blickt: Überall auf der Welt gibt es kein gutes Geld mehr. Ob US-Dollar, Euro, Chinesischer Renminbi, Britisches Pfund oder Schweizer Franken – alle stellen ungedecktes Papiergeld dar, auch «Fiat-Geld» genannt, das sich durch drei Eigenschaften auszeichnet: Es ist erstens entmaterialisiertes Geld und besteht in Form von bunt bedruckten Papier- beziehungsweise Baumwollzetteln und Einträgen auf Computerfestplatten (Bits and Bytes). Das Fiat-Geld wird zweitens per Bankkreditvergabe sprichwörtlich aus dem Nichts geschaffen und ist eine Geldmengenvermehrung, die durch keinerlei «echte Ersparnis» gedeckt ist. Drittens haben die staatlichen Zentralbanken das Fiat-Geld-Produktionsmonopol und damit die Macht, die Geldmenge und deren Kaufkraft nach politischen Erwägungen zu verändern.
Das Fiat-Geld ist nicht auf «natürlichem Wege» in die Welt gekommen. Die Staaten haben vielmehr in den frühen 1970er-Jahren die Golddeckung des Geldes mutwillig aufgehoben. Nicht, weil das Goldgeld nicht funktioniert hätte, sondern weil die Staaten die volle Kontrolle über das Geld anstrebten. Sie wollten nationale Konjunkturpolitik betreiben und die heimische Wirtschaft aus dem internationalen Verbund herauslösen. Vor allem aber wollten die Staaten die Hoheit über die Geldproduktion nutzen, um eine mehr oder weniger verborgene Besteuerungs- und Umverteilungspolitik zu verfolgen, durch die schleichend immer mehr Ressourcen von Bürgern und Unternehmen in die Hände des Staates beziehungsweise der von ihm begünstigten Gruppen gespült werden. Das Goldgeld stand all dem im Wege, nicht aber das Fiat-Geld.
Fiat-Geld leidet jedoch unter ökonomischen und ethischen Defiziten. Das haben insbesondere die Ökonomen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie – die mit Namen wie Carl Menger (1840–1921), Ludwig von Mises (1881–1973) und Friedrich August von Hayek (1899–1992) verbunden ist – frühzeitig erkannt. Diese zeigten, dass das Fiat-Geld inflationär ist und seine Kaufkraft im Laufe der Zeit verliert. Zudem bereichert es ungerechtfertigterweise eine kleine Anzahl von Menschen auf Kosten vieler und verursacht Wirtschaftsstörungen, sogenannte Boom-und-Bust-Zyklen. Es sorgt dafür, dass die Schuldenlasten der Volkswirtschaften immer weiter in die Höhe steigen. Und nicht zuletzt lässt das Fiat-Geld den Staatsapparat immer weiter anschwellen, zulasten der bürgerlichen und unternehmerischen Freiheiten und damit letztlich auch des friedvollen und kooperativen Zusammenlebens national wie international. Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 ist eine unmittelbare Folge des Fiat-Geldes, das die Zentralbanken in enger Kooperation mit den privaten Geschäftsbanken über Jahre hinweg unablässig vermehrt haben. Der dadurch angezettelte «Boom» wäre vermutlich in einen Systemkollaps ausgeartet, hätten die Zentralbanken nicht die Marktzinsen auf extrem niedrige Niveaus herabgedrückt und strauchelnde Staaten und Banken mit neu geschaffenem Geld über Wasser gehalten. Doch zum Jubeln besteht kein Grund. Die zugrundeliegenden Probleme werden dadurch nicht gelöst, sondern bestenfalls verdeckt, verschleppt und vergrössert. Indem die Zentralbanken die monetären Bedingungen manipulieren, entsteht eine konjunkturelle Scheinbesserung, die neuerliche Kapitalfehllenkung zu Schuldenaufnahmen und Spekulationswellen provoziert.
In der Öffentlichkeit ist allerdings der Eindruck entstanden, die Krise beziehungsweise ihre Symptome wie Produktions- und Arbeitsplatzverluste seien das Ergebnis der freien Märkte. Allenthalben wird nach noch mehr staatlichem Eingreifen gerufen – in Form von Ge- und Verboten, Auflagen und Richtlinien –, um eine neuerliche Krise abzuwehren. Dass aber das staatliche Fiat-Geld ursächlich für die beklagten Missstände ist, wird geflissentlich ausgeblendet. Die Staaten besitzen eine Carte blanche, werden immer mächtiger und dringen in nahezu alle Bereiche des bürgerlichen und unternehmerischen Lebens vor. So dient die Krise den Staaten quasi als Wachstumselixier. Wohin dieser staatliche Interventionismus führt, ist bekannt. Er bringt, wenn er nicht gestoppt wird, eine semisozialistische Zwangswirtschaft hervor.
Um das Fiat-Geldsystem in Gang zu halten, bedarf es immer drakonischerer Massnahmen. Beispielsweise haben die grossen Zentralbanken der Welt untereinander bereits Vereinbarungen getroffen, um sich im Bedarfsfall gegenseitig ihre heimische Währung in unbegrenzter Höhe zu leihen – das sind die sogenannten «Liquiditäts-Swap-Abkommen». Dadurch sind mögliche Zahlungsausfälle von Banken, die sich in Fremdwährung verschuldet haben, vorsorglich abgewendet worden. Die Banken selbst werden von den staatlichen Regulatoren hart an die Kandare genommen. Ihnen werden betriebswirtschaftliche Entscheidungen diktiert und vorgegeben, wie sie sich zu refinanzieren haben, wie viel Eigen- und Fremdkapital sie verwenden müssen, welche Kredite mit welcher Risikogewichtung zu versehen sind und wie viele liquide Mittel sie vorzuhalten haben. Viele Banken befinden sich formal noch im Privatbesitz, de facto sind sie staatlich gesteuerte Betriebe.
Was aber immer auch die Regierungen, Zentralbanken und Regulierungsbehörden unternehmen: Im Zuge einer Jahrzehnte währenden Fiat-Geldausgabe sind gewaltige, erdrückende Schuldenlasten für Staaten, Banken und auch für viele Konsumenten und Unternehmen aufgetürmt worden. Die Ersparnisse, die zum Beispiel in Bankeinlagen und Schuldverschreibungen von Staaten, Banken und Unternehmen – ob direkt oder indirekt über ihre Lebensversicherungspolice oder Pensionskassenansprüche – angelegt wurden, laufen nunmehr Gefahr, durch Besteuerung, Zahlungsausfälle, Schuldenschnitte, Inflation beziehungsweise Hyperinflation oder vielleicht auch durch eine Kombination aus all dem in Verlusten zu enden. Sparer und Anleger sind unter Handlungsdruck.
In der überarbeiteten Neuauflage ihres Buchs Die heimliche Enteignung. So schützen Sie ihr Geld vor Politikern und Bankern erklären Michael Ferber und Michael Rasch ihrem Leser fachkundig und detailliert, gleichzeitig in einer sehr verständlicher Sprache, wie übel dem ahnungslosen Sparer im Fiat-Geldsystem schon jetzt mitgespielt wird – zum Beispiel durch die extreme Tiefzinspolitik der Zentralbanken, durch die ihm Zinserträge vorenthalten werden, und natürlich auch durch den chronischen Kaufkraftverlust ihres Geldes. Die Autoren belassen es jedoch nicht bei der Ursachenerklärung der Missstände. Sie geben dem Leser auch wichtige Überlegungen an die Hand, die ihm helfen, sich in einem schwierigen und zunehmend undurchsichtigen wirtschaftlichen und politischen Umfeld zu orientieren und letztlich die richtigen Entscheidungen für die Vermögensdispositionen treffen zu können.
Besonders verdienstvoll ist das Buch, weil Ferber und Rasch ihre Leser anleiten, in Zukunftsszenarien zu denken: Sie geben Anlagehinweise für den Fall der Deflation (Szenario 1), der höheren Inflation (Szenario 2), der Stagflation (Szenario 3), der Hyperinflation (Szenario 4) und des «Durchwurstelns» (Szenario 5). Der Leser lernt, dass sich aus heutiger Sicht nicht mit hinreichender Sicherheit sagen lässt, welche Wendung das Fiat-Geldsystem letztlich nehmen wird und es daher wichtig ist, in Szenarien zu denken. Ferber und Rasch stehen damit in der Tradition der Einsichten, die Philip E. Tetlock und Dan Gardner vertreten: In ihrem bekannten Buch Superforecasting. The Art and Science of Prediction (2015) zeigen sie, dass erfolgreiche Prognostiker in Szenarien denken, diese dann mit Wahrscheinlichkeiten gewichten, neue Informationen aufnehmen, sie mit bisherigen Einschätzungen sorgsam verbinden und darauf aufbauend ihre Prognosen gründen.
Wer Ferbers und Raschs Buch Die (un)heimliche Enteignung. So schützen Sie ihr Geld vor Politikern und Notenbankern aufmerksam liest, erhält auf unterhaltende Art wertvolle Einsichten, die helfen, die richtigen Entscheidungen für seine Vermögensanlage zu treffen. Nicht nur für Fachexperten ist erhellend, wie die Autoren die Kernprobleme des Fiat-Geldsystems scharfsinnig analysieren und sich nicht scheuen, Licht ins Dunkel zu bringen. Aufgrund der klaren, verständlichen Sprache ist das Buch auch perfekt für Leser geeignet, die sich in die Materie einarbeiten möchten. Es ist sehr zu wünschen, dass die Neuauflage des Buchs den grösstmöglichen Leserkreis erreicht – und das möglichst schnell, denn es ist höchste Zeit, dass Sparer und Anleger den Problemen des Fiat-Geldes ins Gesicht blicken und reagieren.
Dr. Thorsten Polleit
Königstein i.T., Juni 2016
Prolog
Die Retter der Welt sind zum Risiko geworden
Wir leben in extremen Zeiten – in extrem interessanten Zeiten, in extrem aufregenden Zeiten und in extrem gefährlichen Zeiten. Seit dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise hat sich im öffentlichen Leben und an den Märkten vieles geändert. Grosse Fehler wurden jedoch bereits Jahre, ja sogar Jahrzehnte vorher gemacht. Sie blieben allerdings weitestgehend unbemerkt. Die wenigen Kritiker fanden kein Gehör, nicht in der Finanzbranche, nicht in den Medien und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Seit Mitte der 1980er-Jahre bekämpften die internationalen Notenbanken, vor allem jene der USA, jede Krise an den Finanzmärkten – dies fing in den USA an, und zwar mit dem Crash im Jahr 1987, setzte sich in den Folgejahren nach der Rezession 1991/92 fort, ging über die Asien- und Russlandkrise 1998 bis hin zum Platzen der New-Economy-Blase im Jahr 2000 und zu den Anschlägen vom 11. September 2001 – mit der immer gleichen Medizin: mit der Senkung der Leitzinsen und der Ausweitung der Geldmenge. Seit Ausbruch der Finanzkrise werden diese Fehler einmal mehr wiederholt.
Das Ziel war einerseits die Abfederung der genannten externen Schocks sowie andererseits die Erzeugung eines dauerhaften, rezessionsfreien Wachstums. Diese Phase von etwa 1990 bis zum Ausbruch der jüngsten Krise wird heutzutage gern als «the great moderation» bezeichnet. Die US-Notenbank meinte, sie könne das Wachstum steuern. Das war eine irrige Vorstellung, so als würde die Rezession nicht genauso zum natürlichen Konjunkturzyklus gehören wie der Boom. Über viele Jahre hinweg ging die Strategie scheinbar auf. In Anlehnung an den französischen Philosophen Voltaire hätte man diese Phase vor allem für die Aktienmärkte auch die «beste aller Welten» nennen können. Angetrieben von einem ordentlichen Wirtschaftswachstum, vor allem in den USA, sowie von einer positiven, aber relativ geringen Inflation stiegen die Kurse an den Aktienbörsen von Rekordhoch zu Rekordhoch. Bei dieser besten aller Welten handelte es sich jedoch um einen Trugschluss. Das relativ stetige Wachstum wurde nämlich zum Teil mit zu niedrigen Zinsen und daher zu billigen Krediten erkauft. Das förderte in den USA ein Leben auf Pump. Heutzutage würde man diese Periode wohl eher «the great manipulation» nennen. Irgendwann ist allerdings auch die schönste Party zu Ende – und die Rechnung muss unausweichlich bezahlt werden.
Dies geschieht seit dem Ausbruch der Finanzkrise. Doch auch auf diese heftigen Turbulenzen reagierten die internationalen Notenbanken mit den bekannten Mitteln. Sie stellten den Finanzmärkten nahezu unbeschränkt Liquidität zur Verfügung, senkten zum Teil panikartig die Leitzinsen und weiteten die Geldbasis (M0) stark aus. Und tatsächlich verhinderten die Präsidenten der Notenbanken damit in den dunkelsten Stunden der Finanzkrise im Herbst 2008 und in den Wochen nach dem Kollaps von Lehman Brothers noch Schlimmeres, nämlich den drohenden Systemzusammenbruch. Zu diesem Zeitpunkt war Ben Bernanke der Präsident der US-Notenbank (Federal Reserve), Jean-Claude Trichet der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) und Mervyn King der Gouverneur der Bank of England. In der Eidgenossenschaft präsidierte die Schweizerische Nationalbank (SNB) damals Jean-Pierre Roth. Als die Welt am Abgrund stand und ein unkontrollierter Zusammenbruch des amerikanischen und europäischen, wenn nicht gar des globalen Finanzsystems drohte, drehten die Zentralbanker den Geldhahn voll auf. Dabei tat sich besonders Ben Bernanke hervor. Aber auch in Europa öffnete die Europäische Zentralbank die Geldschleusen.
Der Handel zwischen den Banken war praktisch zum Erliegen gekommen, da auch in diesem Sektor niemand wusste, welche Bank noch solvent war und übermorgen noch die Pforten öffnen würde. Geschäfte zwischen den Banken, die in normalen Zeiten am Ende des Tages, am Ende der Woche oder gar noch später verrechnet wurden, mussten nun sofort beglichen werden, teilweise sogar gegen Vorkasse. Da viele Kreditinstitute im Interbankenmarkt kein Geld mehr bekamen, waren die Notenbanken letztlich gezwungen, die Funktion der Liquiditätsbeschaffung zu übernehmen. Es bestand die Gefahr, dass auch gesunde Banken aufgrund eines Problems mit dem Cashflow, also mit dem Geldfluss für die laufenden Geschäfte, in die Pleite getrieben würden.
Die Notenbanken stützten die taumelnden Grossbanken daher unlimitiert mit Liquidität, legten dem zum Teil stillstehenden Finanzkreislauf einen Bypass und versuchten, die verängstigten und hypernervösen Teilnehmer an den Finanzmärkten zu beruhigen. In der Krise gerieten die traditionell zurückhaltenden, ja fast drögen Währungshüter nicht nur zu Hütern des Finanzsystems, sondern avancierten zu den Rettern der Welt. Dabei waren und sind ihre Massnahmen und Verdienste in der heissen Phase der Krise im Prinzip unbestritten. Das Problem ist nun jedoch seit Jahren die Beendigung der aussergewöhnlichen Hilfen und die Rückkehr zur Normalität. Dahingehende Schritte leiteten die Verantwortlichen bis heute nicht wirklich ein. Im Gegenteil: Es wurden immer neue, noch nie ausprobierte geldpolitische Experimente gemacht. Durch ihre fortlaufende exzessiv expansive Geldpolitik, für die es bis heute keine historischen Präzedenzfälle und damit auch keine Erfahrungen gibt, sind die Retter mit ihrer ungeheuerlichen Ausweitung der Geldmenge und mit ihrer Aufblähung der Notenbankbilanzen längst zum Risiko für die Welt geworden.
Zuerst die US-Notenbank und die Bank of England, dann jedoch auch die Europäische Zentralbank führen derzeit wohl das grösste geldpolitische Experiment aller Zeiten durch – und werden damit womöglich die grösste Finanzblase aller Zeiten erzeugen. Die Schweizerische Nationalbank sass durch die zeitweilige Einführung einer Wechselkursgrenze zum Euro im Prinzip mit im Boot, wenngleich aus anderen Gründen. Manche Ökonomen fürchteten bereits im Jahr 2012 eine drohende «trifecta of bubbles» («dreifache Blase»), bestehend aus Aktien, Rohstoffen und Anleihen. Inzwischen wurde jedoch immerhin aus den Preisen im Rohstoffsektor durch eine Verschiebung von Angebot und Nachfrage sowie die deutliche Konjunkturverlangsamung in China bereits viel Luft abgelassen. Notenbanker sind zwar sehr geübt darin, mit einer zu losen Geldpolitik riesige Blasen an den Finanzmärkten zu erzeugen. Bereits die lockere Geldpolitik der US-Notenbank in den 1990er-Jahren hatte zur New-Economy-Blase an den Aktienmärkten beigetragen. Und die lange andauernde Niedrigzinspolitik nach dem Platzen der Internetblase und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 trug dann entscheidend mit dazu bei, dass es zu einer Blase am amerikanischen Häusermarkt und damit zu der folgenden Krise und der Rezession kam.
Ein grosses Problem der US-Notenbank ist, dass sie theoretisch unbegrenzt Geld drucken, aber letztlich nicht kontrollieren kann, wohin diese Mittel fliessen. Vieles spricht dafür, dass sich das Geld den attraktivsten Ort sucht und dass so die Flut an Liquidität primär in die Aktien- und Rohstoffmärkte sowie in die Schwellenländer schwappt. Die sich in Richtung Fernost, aber auch in die Schwellenländer Lateinamerikas ausbreitenden Kapitalwellen treiben dort ebenfalls die Aktienkurse und andere Vermögenspreise hoch. Bald könnten sie womöglich auch zu exzessiven Wechselkursschwankungen und zu einer finanziellen Instabilität führen. Notenbankkritiker meinen mit Recht, die US-Notenbank versuche die Probleme mit demselben Denken zu lösen, mit dem sie sie einst selbst geschaffen hat.
Anders als die beim Gelddrucken zumindest anfangs viel vorsichtigere Europäische Zentralbank ist die US-Notenbank um ihre Präsidentin Janet Yellen nicht nur der Geldwertstabilität verpflichtet. Sie soll auch für eine möglichst hohe Beschäftigung sorgen. Es ist aber immer schwierig, wenn nicht gar unmöglich, mit nur einer Variablen, nämlich mit dem Leitzins, zwei Ziele gleichzeitig erreichen zu wollen. Yellens Vorgänger Ben Bernanke rechtfertigte seine Politik oft mit dem Verhindern einer Deflation, worunter man ein breites, nachhaltiges Sinken der Preise für Waren und Dienstleistungen aller Art versteht. Von einer Deflation ist aber in den USA bislang nichts zu spüren. Disinflation, also eine auf niedrigem Niveau rückläufige Inflation, trifft die Lage bis zur Finanzkrise am besten. Und auch seit Ausbruch der Krise kann von Deflation keine Rede sein, wenngleich es einige deflationäre Tendenzen gibt, weil sich sowohl Staaten als auch Privathaushalte entschulden müssen. Eine Teuerung von knapp 1 Prozent ist per se noch nicht besorgniserregend, wie die Schweiz seit Jahren zeigt. Und selbst ein Mitglied der US-Notenbank, nämlich Thomas Hoenig, sagte im Oktober 2010 im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung, ein bisschen Deflation sei nicht schlechter als ein bisschen Inflation.
Wie normale Bürger, so sind auch Notenbanker Opfer der kollektiven historischen Erfahrungen und Erinnerungen. So fürchten sich die Amerikaner und die US-Notenbank aufgrund der grossen Depression in den 1920er- und 1930er-Jahren vor allem vor einer Deflation. In Europa ist es genau umgekehrt. Die bis 2010 besonders von Deutschland geprägte Europäische Zentralbank fokussiert sich primär auf eine zu hohe Teuerung. Die Deutschen und die Deutsche Bundesbank (beziehungsweise die damalige Reichsbank) haben aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Hyperinflation zur Zeit der Weimarer Republik vor allem Angst vor einer steigenden Inflation. Entsprechend steht bei den Amerikanern mental tendenziell der Kampf gegen die Deflation im Vordergrund und bei den Deutschen und den Europäern mental tendenziell der Kampf gegen die Inflation – zumindest galt das bis vor wenigen Jahren.
Insofern wirkten die niedrigen Inflationsraten der vergangenen 20 Jahre und die herrschende Disinflation auf die Zentralbanker in Europa lange eher beruhigend und auf die Notenbanker in den USA eher beunruhigend. Manche Ökonomen meinen jedoch, der seit Jahren vorherrschende disinflationäre Druck sei gar nicht die Folge einer monetären Entwicklung, sondern eher der IT-Revolution in den vergangenen 20 Jahren, der starken Zunahme des Welthandels durch den Fall des Eisernen Vorhangs (Globalisierung) sowie der immer besseren Entwicklung der von Niedriglöhnen geprägten Schwellenländer als Produktionsstandorte. Sollte diese Einschätzung richtig sein, wäre das ein Indiz dafür, dass die Kunst der Zentralbanker, die Konjunktur zu steuern, in den letzten Jahren noch mehr überschätzt worden ist als ohnehin schon. Das bedeutete nichts Gutes für die Zukunft, haben die Zentralbanken doch inzwischen mehrere Tausend Milliarden Dollar beziehungsweise Euro aus dem Nichts neu geschaffen. Die Vertreter der Notenbanken räumen zwar ein, dass ihre Gelddruckmaschinen auf Hochtouren liefen oder noch immer laufen, doch behaupten sie standhaft, sie könnten eine anziehende Inflation sofort unter Kontrolle bringen. Wenn dies nicht nur der Versuch ist, die Medien und die Öffentlichkeit zu beruhigen, dürften sie damit einmal mehr ihre Fähigkeiten überschätzen. Sollten die derzeit noch herrschenden zum Teil grossen deflatorischen Einflüsse einst abklingen, wird sich zeigen, ob und wie schnell die Währungshüter auf eine dann möglicherweise rasch anziehende Inflation reagieren. Noch sind hier viele Fragen unbeantwortet, und noch ist auch der Ausgang des grössten geldpolitischen Experiments in der jüngeren Geschichte völlig offen.
Einleitung
Die grossen Auseinandersetzungen unserer Zeit
«Man will Geld verdienen, um glücklich zu leben, und die ganze Anstrengung, die beste Kraft eines Lebens konzentriert sich auf den Erwerb dieses Geldes. Das Glück wird vergessen, das Mittel wird zum Selbstzweck.»
Albert Camus, Philosoph und Schriftsteller
Im Zweifel für die Freiheit der Finanzmärkte
Immer wieder machen Politiker die Finanzmärkte für die Folgen ihrer eigenen disziplinlosen Haushaltspolitik und ihrer anderen Verfehlungen verantwortlich, um vom Versagen der politischen Klasse abzulenken. Das hat vor allem die Finanz- und Schuldenkrise immer wieder beispielhaft gezeigt. Mit mehr Regulierung wollen sie die Hoheit über den Markt zurückerobern. Doch die Einschränkung der Freiheit reduziert das Wohl aller Bürger.
Schon im Griechenland der Antike sollen die Überbringer schlechter Botschaften bestraft worden sein. Im Mittelalter verloren die Boten schlechter Nachrichten sogar ihren Kopf. Und viele Hundert Jahre später gibt es denselben Reflex aller Aufklärung zum Trotz noch immer, wenngleich die Köpfe heutzutage da bleiben, wo sie hingehören. Griechenland spielte auch in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle und war Ausgangspunkt von Vernebelungsaktionen und Hetzkampagnen. Als sich die Kreditkonditionen des Landes zunehmend verschlechterten, machten die Politiker und viele Medien die Finanzmärkte dafür verantwortlich. Besonders kritisierte man Spekulanten im Allgemeinen sowie Hedgefondsmanager und Investmentbanker im Speziellen. Ratingagenturen, die es diesmal wagten, ihrer Aufgabe nachzukommen und die Kreditwürdigkeit von unseriös haushaltenden Ländern herabzustufen, stellte man gleich mit an den Pranger der öffentlichen Entrüstung.
Ursache und Wirkung wurden dabei wieder einmal vertauscht. Nicht die Arbeit der Marktakteure war die Ursache für die Explosion der Refinanzierungskosten gewisser Staaten, sondern es war das unsolide Finanzgebaren in diesen Ländern. Das haben die jeweiligen Politiker zu verantworten, die daher lieber Finanzmarktteilnehmer zu Sündenböcken machen, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Institutionelle Anleger wie Pensionskassen und Versicherungen trennten sich von griechischen Staatsanleihen und denen anderer kriselnder Staaten, weil ihnen diese zu riskant wurden. Spekulanten mit hoher Sachkenntnis wetteten auf den steigenden Wert von Kreditausfallversicherungen für derlei Staatsanleihen und machten damit auf Missstände aufmerksam. Sie läuteten quasi die Alarmglocke und übten so eine disziplinierende Wirkung aus. Hätten Griechenland und andere Staaten je mit dem Sparen begonnen, wenn die Märkte sie nicht dazu gezwungen hätten?
Durch eine verfehlte oder übermässige Regulierung von Anlagen wie Hedgefonds sowie von gewissen Finanzprodukten oder Mechanismen, mit denen man auf fallende Kurse wetten kann, besteht inzwischen die Gefahr, dass derlei Warn- und Korrekturmechanismen unterdrückt werden. Beispielsweise kennen Hedgefondsmanager die Märkte, auf denen sie agieren, und die Produkte, die sie handeln, sehr gut und liefern daher oft schon früh wichtige Preissignale. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung sind Hedgefonds keine Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Mit Ausnahme von Long Term Capital Management (LTCM) im Jahr 1998 musste nie ein Hedgefonds aus systemischen Gründen gestützt werden, und von keinem musste je eine Staatshilfe beantragt werden. Das haben nur manche konventionelle Konzerne und einige der bereits stark regulierten Banken getan. Auch die Regulierung der Ratingagenturen trägt mehr Züge von Aktionismus als von Effizienz. Dass etwa Ratings wirklich besser werden, wenn die Analytiker im Abstand einiger Jahre die – teilweise sehr unterschiedlichen – Branchen wechseln müssen, darf bezweifelt werden. Allerdings sind Hedgefonds, Banken und Ratingagenturen ebenso wenig perfekt wie andere Unternehmen oder Regierungen. In einer Marktwirtschaft erweisen sich viele Annahmen als richtig, etliche Erwartungen und Kalkulationen zeigen aber auch, dass sie falsch sind. Deshalb muss neben dem Markteintritt auch der Marktaustritt möglich sein, sonst funktioniert der Ausleseprozess des Marktes nicht. Wer sich, wie Griechenland oder viele Firmen, auf den Markt begibt, muss mit Überraschungen und Sanktionen rechnen. Diese können bisweilen unberechenbar sein!
Unsinnig ist auch der Bann beziehungsweise die Einschränkung von Produkten oder Mechanismen wie Leerverkäufen (Short Selling), mit denen die Anleger auf fallende Kurse spekulieren. Bereits das kurzzeitige Verbot von Leerverkäufen nach der Insolvenz der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers erwies sich nicht nur als wirkungslos, sondern sogar als kontraproduktiv. Das Verbot schränkte die Liquidität an den Börsen ein und vergrösserte so die Spannen zwischen Ankaufs- und Verkaufskursen. Auch die erhoffte Wirkung trat nicht ein. Der Absturz der Kurse der betreffenden Wertpapiere wurde nicht gestoppt. Viele sanken weiter deutlich stärker als der Gesamtmarkt, da die Anleger die Papiere aus Risikogründen einfach nicht mehr im Depot haben wollten. Die Nutzlosigkeit eines Leerverkaufverbots haben inzwischen sogar viele Aufsichtsbehörden erkannt.
Vermutlich wird es dennoch immer wieder – zumindest temporäre – Short-Selling-Verbote geben, weil Regulierer und Politiker die besorgte Öffentlichkeit lieber mit nutzlosem Aktionismus zu beruhigen suchen, als die tatsächlichen Effekte zu erklären. Das gilt umso mehr, als derlei Verbote oft Applaus bekommen, da Menschen intuitiv steigende Kurse für etwas Gutes und fallende für etwas Schlechtes halten. Doch entgegen dieser Wahrnehmung ist die Spekulation auf fallende Kurse nicht verwerflich. Es ist genauso legitim, auf sinkende wie auf steigende Kurse zu setzen. Beides dient der effizienten Preisfindung. Diese Einsicht fehlt aber oft.
Nicht die vermeintlich zügellosen Finanzmärkte sind an den Refinanzierungsschwierigkeiten vieler Staaten schuld. Es sind vielmehr unfähige und machtversessene Politiker, die die gegenwärtigen Wähler zulasten von Kindern und Enkeln gemessen an den realen Knappheitsverhältnissen viel zu oft überversorgen. Kein Unternehmen und keine Familie könnte je so unseriös haushalten wie manche Minister. Sie wären längst pleite oder müssten Privatinsolvenz anmelden. Dabei gehört die Vernunft, heute zulasten der gegenwärtigen Bedürfnisse für morgen zu sparen, ja gerade zu den bedeutenden Entwicklungen der Menschheit. Politikern geht diese Einsicht in ihrem Streben nach Ansehen und Machterhalt meist ab. Es fehlt ihnen allzu häufig an Rückgrat und Überzeugungskraft, um dem Volk die ungeschönte Wahrheit zu sagen.
Letztlich helfen die Finanzmärkte den Politikern sogar, sich nicht in Wolkenkuckucksheimen zu verlieren, sondern sich mit den Realitäten auseinanderzusetzen. Die Hilfe ist nicht immer sanft, manchmal ist sie sogar sehr schmerzhaft. Deshalb versuchen Regierungen mit mehr Kontrollen, Vorschriften oder gar neuen Behörden, die Freiheit einzuschränken und die Marktkräfte auszuhebeln. Eine falsche und übermässige Regulierung der Märkte, mit der nur kurzfristig Symptome bekämpft, nicht aber Ursachen beseitigt werden, machen langfristig alles nur schlimmer, weil die Probleme und Unwägbarkeiten noch später angegangen werden. Zudem finden die Marktkräfte oft einen anderen Weg. Der Handel geht von der Börse auf nicht regulierte Plattformen, Teile der Bilanzen werden in Spezialvehikel ausgelagert, und die Marktteilnehmer weichen auf kaum regulierte Domizile irgendwo auf der Welt aus. All dies führt meist zu unerwünschter Intransparenz. Daher sollte folgender Leitsatz in Europa derzeit mehr denn je gelten: «In dubio pro libertate.» – Im Zweifel für die Freiheit.
Deflation versus Inflation
Für die Anleger und Bürger ergeben sich angesichts der herrschenden Banken-, Finanz- und Schuldenkrise so grosse Herausforderungen, wie sie die heutige Generation von Investoren noch nie erlebt hat. Grundsätzlich ist für die Anleger an der Börse eine der wichtigsten Fragen, ob sie sich in einem deflationären oder in einem inflationären Umfeld befinden. In den vergangenen drei Jahrzehnten musste jedoch nie mit einem extremen Szenario gerechnet werden. Die Investoren bewegten sich weitgehend in einem Rahmen mit einem ordentlichen Wirtschaftswachstum und einer geringen Inflation. Experten sprechen von einem disinflationären Umfeld. In der Regel sind solche Phasen die Zeit des relativ billigen Geldes. Das beflügelt die Risikonehmer in einem System und führt zu einem grossen Schuldenaufbau – was bis zum Jahr 2007 über längere Zeit geschehen ist. Wenn der Schuldenaufbau dann ein Ausmass erreicht hat, das den Zinsendienst stark in die Höhe treibt, und wenn die erworbenen Vermögenswerte an Wert verlieren, schwächt das die öffentlichen und privaten Bilanzen und wirkt deflationär.
Inzwischen herrschen jedoch extreme Zeiten – und die Zukunft dürfte kaum einfacher werden. Seit vier Jahren sind deflatorische Prozesse in Gang. Das jahrelange Leben auf Pump – vor allem in den USA, aber auch in Europa und an anderen Orten der Welt – hat zu einer gewaltigen Kreditblase geführt, die ebenfalls für die Finanz- und Bankenkrise mitverantwortlich ist. Diese Kreditblase ist inzwischen geplatzt. Der übermässige Konsum der Vergangenheit auf Kosten der künftigen Generationen, der die Überschuldung vieler Nationen verursachte, kann so nicht weitergehen. Im Gegenteil: Die Rechnung muss irgendwann bezahlt werden. Und dieser Zeitpunkt ist gekommen. Die angelaufene Entschuldung vieler Volkswirtschaften – betroffen sind vor allem die USA, Grossbritannien und die südeuropäischen Länder – entzieht der Wirtschaft Kaufkraft und wirkt daher deflationär. Zudem durchliefen und durchlaufen zahlreiche Länder eine Rezession, und es gab einen Einbruch am Immobilienmarkt, was in vielen Bereichen ebenfalls sinkende Preise verursachte. In den USA legte beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt 2007 um 3 Prozent zu, 2009 sank es dann jedoch um rund 5 Prozent. Dies lag vor allem auch an der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers und deren Folgen. Seitdem hat sich die Konjunktur jedoch wieder erholt und das Niveau vor der Krise erreicht. Auch in der Eurozone gab es im gleichen Zeitraum einen drastischen Konjunktureinbruch von einem Plus von 4 Prozent auf rund –5 Prozent. Noch gravierender war der Absturz in Grossbritannien, während sich in der Schweiz der Einbruch in etwa auf dem Niveau des Euroraums bewegte. Selbst China erlebte einen Konjunkturrückgang von einem Plus von rund 12 Prozent im Jahr 2007 auf gerade noch 6 Prozent im Jahr 2009. Zwar legte die Konjunktur in China zwischendurch wieder um rund 12 Prozent zu, doch seitdem ging es erneut bergab. Von 2012 bis Anfang 2016 wuchs die Wirtschaft im Reich der Mitte nur noch mit 7 bis 8 Prozent. Dies wäre zwar für ein Industrieland ein herausragender Wert, für ein schnell wachsendes Schwellenland ist es jedoch ein schwaches Wachstum.
Den USA und Europa geht es längst wie Japan. Das asiatische Land kämpfte nach dem Platzen seiner Aktien- und Immobilienblase Anfang der 1990er-Jahre über lange Zeit immer wieder mit einer extrem hartnäckigen Deflation. Die Entwicklung dürfte in den USA und in Europa zumindest vorerst ähnlich verlaufen, wird aber vermutlich nicht ganz so schlimm werden. In Japan gibt es nämlich sehr verkrustete Gesellschaftsstrukturen, und es herrscht eine starke Überalterung. Ausserdem erlebte das Land der aufgehenden Sonne in der Deflationsphase einen Kollaps von Vermögenswerten wie Aktien und Immobilien, der etwa dreimal den Wert des Bruttoinlandsprodukts aufwies. In den USA betrug die Einbusse nur etwa einmal das Bruttoinlandsprodukt, und in Europa ist es von Land zu Land unterschiedlich. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind zum Beispiel recht gut davongekommen.
Dennoch leidet Europa unter dem Prozess insgesamt mehr als die USA. Das europäische System mit dem sehr stark ausgebauten Sozialstaat und der herrschenden Bürokratie ist viel starrer als das amerikanische, das mehr auf Eigenverantwortung setzt und deshalb flexibler ist. Die Vorsorge für das Alter wird immer mehr zu einem Riesenproblem – und ist in Europa viel grösser als in den USA. Deshalb zieht sich die Krise auf dem alten Kontinent länger hin. Hinzu kommt in Europa der Euro. Die europäische Gemeinschaftswährung zwingt die Mitgliedstaaten in eine Geld-, Zins- und Währungspolitik, die zwar insgesamt richtig sein mag, aber nicht unbedingt für jedes einzelne Land zu jedem Zeitpunkt. Für die schwächeren Volkswirtschaften wirkt die Politik ähnlich wie der Goldstandard in den 1930er-Jahren für die USA vor der Abwertung. Sie ist eine Zwangsjacke, die für Länder wie Griechenland, Spanien, Italien und Portugal hoch deflationär ist.
Auf die herrschenden grossen deflatorischen Kräfte reagierten die Notenbanken in den USA und in Europa mit einem Senken des Leitzinses auf null oder fast null. Diese Phase dauerte auch im Frühjahr 2016 noch an und hat für die Anleger zur Folge, dass sie kaum mehr Rendite für ihr Erspartes beziehungsweise ihr Kapital bekommen. Inzwischen sind in Europa die Renditen zahlreicher Staatsanleihen ins Negative gerutscht. Das bedeutet, ein Staat erhält von den Investoren sogar Geld dafür, dass er sich bei ihnen verschuldet. Den Investoren ist die Sicherheit von Ländern wie Deutschland und der Schweiz also lieber als eine Rendite auf das eingesetzte Kapital. Zusätzlich zu den drastischen Reduktionen der Leitzinsen reagierten die Notenbanken mit dem Anwerfen der Gelddruckmaschinen in einem seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gesehenen Ausmass. In den USA erhöhte sich die Bilanz der US-Notenbank von unter 1000 Milliarden Dollar auf rund 4500 Milliarden Dollar innerhalb von sieben Jahren. Und in Europa stieg die Bilanz der Europäischen Zentralbank von knapp 1500 Milliarden Euro auf in der Spitze bisher rund 3100 Milliarden Euro. Diese spektakuläre Ausweitung der Geldbasis schafft grosse Inflationsgefahren für die Zukunft.
Durch die beschriebenen Prozesse ergibt sich ein gewaltiger Kampf von Deflation gegen Inflation. In den vergangenen Jahren standen die Deflationsrisiken deutlich im Vordergrund. Dies dürfte voraussichtlich auch noch einige Zeit so bleiben. Wie lange, weiss allerdings niemand. Irgendwann könnte sich das aufgebaute enorme Inflationspotenzial realisieren, wenn es den Notenbanken nicht gelingt, rechtzeitig aus der ultraexpansiven Geldpolitik auszusteigen. Letzteres war in der Vergangenheit schon oft der Fall. Anleger müssen sich dieses Umfeldes bewusst sein und flexibel bleiben. Zwar sollte man generell sein Vermögen auf so viele unterschiedliche Anlageklassen aufteilen, dass man für die verschiedensten Entwicklungen gut gerüstet ist. Künftig sind jedoch vermutlich hin und wieder grössere Anpassungen nötig – je nachdem, wie sich der Kampf der Deflation gegen die Inflation entwickelt.
TEIL 1
Das monetäre und wirtschaftliche Umfeld
Der Machbarkeitsglaube der Notenbanken – das Streben nach rezessionsfreiem Wachstum
«Vor Schulden, die man gemacht hat, auch Staatsschulden, kann man nur eine Zeit lang davonlaufen, eingeholt wird man schliesslich doch.»
Milton Friedman, Wirtschaftsnobelpreisträger
Der Konjunkturzyklus – ein ewiges Auf und Ab
Am Anfang war die Konjunktur. Seit vielen Jahrhunderten spiegelt sie den Auslastungsgrad des Produktionspotenzials einer Volkswirtschaft, und seit einigen Jahrzehnten versuchen Ökonomen, die Konjunktur zu messen. Der wichtigste Indikator dafür ist das sogenannte Bruttoinlandsprodukt (BIP). Der Verlauf der Konjunktur wird in sogenannten Konjunkturzyklen abgebildet. Diese sind wellenförmige Schwankungen des Aktivitätsniveaus innerhalb einer Marktwirtschaft. Sie umfassen die Produktion, das Einkommen und die Beschäftigung, wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul A. Samuelson und der renommierte Ökonom William D. Nordhaus in ihrem Buch Volkswirtschaftslehre schreiben. Ein Zyklus dauert in der Regel zwischen zwei und zehn Jahren. In dieser Zeit kommt es in den meisten Branchen – je nach Zustand der Konjunktur – zu einer Expansion oder einer Kontraktion der Leistung. Üblicherweise wird die Konjunktur in vier verschiedene Phasen unterteilt: in den Aufschwung, die Hochkonjunktur (den Boom), den Abschwung und die Rezession (vgl. Abbildung 1). Der Boom und die Rezession stellen jeweils den Wendepunkt des Zyklus dar. Normalerweise dauern der Aufschwung der Konjunktur und die Boomphasen sehr viel länger als der Abschwung und die Rezession. So hielten seit dem Jahr 1945 die Aufschwünge in den USA durchschnittlich deutlich über 50 Monate an, während die Abschwünge im Durchschnitt lediglich rund zehn Monate dauerten.
Unter einer Rezession verstehen Samuelson und Nordhaus immer wieder auftretende Perioden, in denen ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, des Einkommens und der Beschäftigung festzustellen ist. Sie dauert üblicherweise zwischen sechs Monaten und einem Jahr und ist durch einen deutlichen Abschwung in vielen Branchen gekennzeichnet. Eine lang anhaltende, gravierende Rezession wird als Depression bezeichnet. Die bekannteste Depression ist wohl auch heutzutage noch die sogenannte Grosse Depression in den USA im Rahmen der Weltwirtschaftskrise von Ende 1929 bis weit in die 1930er-Jahre hinein. In den USA befasst sich das halb offizielle, private Forschungsinstitut National Bureau of Economic Research (NBER) damit, wann ein Konjunkturzyklus beginnt und endet. Das NBER definiert eine Rezession als einen signifikanten Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität, der die gesamte Volkswirtschaft erfasst und mehr als ein paar Monate anhält. Üblicherweise bewirkt eine Rezession einen Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts, des realen Einkommens, der Beschäftigung, der Industrieproduktion und des Verkaufs- und Einzelhandels. Gelegentlich wird auch eine andere Definition von Rezession verwendet. Diese besagt, dass eine Rezession immer dann vorliegt, wenn das reale Bruttoinlandsprodukt in zwei aufeinanderfolgenden Kalenderquartalen schrumpft. Diese Definition wird als technische Definition einer Rezession bezeichnet. Sie ist, weil sie so einfach ist, in der Finanz- und Wirtschaftswelt weitverbreitet. Jeder Ökonom und Wirtschaftsjournalist weiss deshalb, dass eine Volkswirtschaft in einer Rezession steckt, wenn das Bruttoinlandsprodukt in zwei Quartalen nacheinander rückläufig ist. Eine Rezession kann, so wie in Europa im Jahr 2012, mild ausfallen. Sie kann aber auch, wie dies die akute Phase der Subprime- und Finanzkrise in den Jahren 2008/09 in den USA und in Europa bewiesen hat, sehr schwer sein.
Wie die Wirtschaftsgeschichte zeigt, ist in der Realität kein Konjunkturzyklus einem früheren Zyklus gleich. Es kann einen sehr langen Aufschwung oder auch nur eine kurze Erholung von einer Rezession geben. Nach starken Übertreibungen können dramatische Abstürze der Konjunktur folgen. Fast immer kommt es dabei zu einem Auf und Ab in der Produktion, der Inflation, der Zinssätze und der Beschäftigungslage. Dies charakterisiert in jeder Marktwirtschaft den Konjunkturzyklus. Aufgrund ihres unregelmässigen Vorkommens gleichen die Konjunkturzyklen eher den Unwägbarkeiten des Wetters, wie Samuelson und Nordhaus schreiben. Man könnte sie vielleicht auch mit dem Auf und Ab an den Aktienmärkten vergleichen. Schliesslich heisst es nicht umsonst, dass die Kurse an den Aktienbörsen, gemessen an den Leitindizes, der Konjunktur um etwa sechs bis neun Monate vorauslaufen.