Hinter einer „Legende“ verbirgt sich im allgemeinen Verständnis eine von „Ruhm“ und „Ehre“ berichtende Geschichte. Das Wort „Legende“ leitet sich von „legenda“ (das Vorzulesende) ab und ist somit in seiner Überlieferung an eine schriftliche Vorlage gebunden.
Doch wo sollte im schriftunkundigen Barbaricum eine solche Legende niedergeschrieben worden sein?
Die Herkunft der „Legende vom Hermunduren“ kann deshalb nicht auf eine konkrete Quelle oder ein Schriftstück bezogen werden. Dennoch schildert sie in ihrer Form ein Geschehen, dem eine historische Wahrheit zugebilligt werden könnte …
Die eingebundenen historischen Ereignisse sind überliefert, wenn auch manches dieser Ereignisse in schöpferischer Freiheit vom Autor abgewandelt oder ausgeschmückt wurde. Der Roman erzählt eine Geschichte, die so oder auch so ähnlich und bestimmt auch ganz anders abgelaufen sein könnte …
Ein historischer Roman bedarf umfangreicher Datenermittlungen in historischen Quellen, die mühevoll und zumeist nicht ohne Hilfe erfolgreich zu gestalten sind. Der Autor kämpfte immer auch mit der Tatsache, dass er gemachte Fehler selbst schwer erkennen kann.
Deshalb gilt sein Dank allen Helfern und Kritikern und damit all denen die, in gleich welcher Form, am Roman mitgewirkt haben!
Die Erkenntnisse historischer Forschungen zu den ‚Barbaren’ sind nicht allumfassend und können keinesfalls als ‚lückenlos’ beschrieben werden. Schriftliche Aufzeichnungen aus dem ‚Barbaricum’ dieser Zeit existieren nicht und die Schilderungen der Herren Tacitus, Strabon, Velleius und Plinius, des Älteren, oder auch anderer Zeitzeugen, schließen eine ‚gefärbte’ Darstellung im römischen Sinne nicht gänzlich aus. Und nur deren Dokumente blieben, zumindest zu Teilen, erhalten.
Unter Nutzung bekannter historischer Daten, Personen, Überlieferungen und Zusammenhänge unternimmt der Autor den Versuch der Darstellung des Lebens der Hermunduren und ihres Kampfes gegen römische Interessen.
Der Roman „Die Legende vom Hermunduren“ ist ein Fortsetzungsroman, dessen bisher erschienene Titel
Teil 1„Botschaft des Unheils“
Teil 2„Zorn der Sippen“
Teil 3„Schatten des Hunno“
Teil 4„Pakt der Huntare“
Teil 5„Dolch der Vergeltung“
überarbeitet und in dieser Form neu verlegt wurden.
Auch die Fortsetzungen
Teil 6„Die Verlorenen“
Teil 7„Adler der Evocati“
Teil 8„Fluch des Tribuns“
Teil 9„Der Frieden Roms“
Teil 10 „Herz der Hermunduren“
knüpfen an die vorangegangenen Handlungen an und schildern die Erlebnisse der Haupthelden in den Wirren der nachfolgenden Zeit.
Angelehnt an historische Ereignisse dieses Zeitabschnittes, begleitet die Handlung die Anfänge des Verfalls Roms, dessen Imperium im Jahr 69 n. Chr. auf eine erste Krise zusteuerte.
Herz der Hermunduren
© 2017 G. K. Grasse
Umschlaggestaltung, Illustration: G. K. Grasse
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN:
978-3-7439-7439-5 | (Paperback) |
978-3-7439-7440-1 | (Hardcover) |
978-3-7439-7441-8 | (e-Book) |
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Covergestaltung:
Von Rabax63 (Diskussion) - Eigenes Werk (Originaltext: Eigene Aufnahme), CC BY-SA 3.0,
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Eine Kritik veranlasste mich von der bisher in den ersten fünf Teilen des Romanzyklus verwendeten Form abzuweichen. Bisher nutzte ich vor jedem neuen Kapitel von mir als ‚Kopftexte’ bezeichnete Einleitungen, die mit historischen Erkenntnissen, bekannten und belegten Ereignissen oder auch aus dem Studium der Geschichte gewonnenen Schlussfolgerungen einen verständlichen Rahmen meiner Erzählung abbilden sollten.
In der Neuauflage der Teile 1 bis 5 und der Fortsetzung ab Teil 6 der
„Legende vom Hermunduren“
verzichte ich auf diese ‚Kopftexte’.
Damit der geneigte Leser nicht auf wichtige Informationen verzichten muss, sind alle diese bisherigen Informationen und auch darüber hinausgehend Wissenswertes in der Form eines eigenständigen
‚Kompendium’
mit dem Titel
„Was sich noch zu Wissen lohnt …“
zusammengefasst.
Worterklärungen und ein Personenregister befinden sich am Ende des Romans.
Die erstmalige Erwähnung von Personen und von erklärungsbedürftigen Begriffen sind im Text mittels Kursiv- und Fettdruck hervorgehoben.
Die Register sind seitenbezogen gestaltet, d. h., dass Erklärungen nach der Seitenzahl geordnet sind an der im Text die erstmalige Erwähnung auftritt.
Aus dem Lateinischen übernommene Bezeichnungen wurden der deutschen Schreibweise angepasst.
Dem Romanzyklus liegen die Kriterien der versuchten Einhaltung der historischen Wahrheit und der möglichst verständlichen Darstellung zugrunde.
Historiker, die sich mit dieser Zeit auseinandersetzen, sind sich aufgrund dürftiger Quellenlagen, widersprüchlicher Erkenntnisse und auch abweichender Interpretationen nicht immer in der Publikation zu einzelnen Sachverhalten einig.
Ich möchte vorausschickend erklären, dass diese meine Darstellung weder alle derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse in sich vereinigt, noch den Anspruch auf Vollkommenheit und detailgetreue Richtigkeit erhebt.
Als Autor steht mir dichterische Freiheit zu, die ich im breiten Spektrum wissenschaftlicher Widersprüchlichkeit und natürlich auch mit der Darstellung meines Verständnisses der historischen Situation ausnutze.
Sicher ist ein ‚Autor’ nur ein Beobachter aller Veröffentlichungen, die sich mit dem Zeitraum, dem Ort und auch mit sonstigen Themen wie Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Militär, Kultur und Religion befassen.
Natürlich verfolgt er auch die Erkenntnisse der historischen Forschungen.
Trotzdem ist er kein Wissenschaftler und somit nicht in der Lage, das breite Spektrum der Erkenntnisse vollständig richtig zu erfassen, zu bewerten und in Vollkommenheit richtig wiederzugeben.
Einer Behauptung, der Autor könnte weder die Komplexität noch die detailgetreue Tiefe erreichen, um die Zusammenhänge darzustellen, könnte hier nicht widersprochen werden.
Trotzdem benötigt der Autor für die Absicht, einen historischen Roman zu verfassen, zumindest eine Arbeitsgrundlage bzw. eine Hypothese.
Diese vereinfachte Form historischer Grundlagen könnte ein Historiker fordern, nicht zu veröffentlichen, weil diese zu banal wären.
Was der Historiker zu verurteilen veranlasst sein könnte, wird der Leser möglicherweise freudig zur Kenntnis nehmen. Er wird des Autors vereinfachtes Verständnis historischer Zusammenhänge aufnehmen, um sich ein eigenes Bild dieser Zeit und der im Roman geschilderten Ereignisse zu erstellen.
Mit anderen Worten ausgedrückt, wird der Leser und nicht der Historiker, den Stab über dem Autor brechen …
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen …
Der Roman zeichnet das Leben einer Stammesabspaltung der Hermunduren, beginnend um 64 n. Chr. im Territorium am Main, nach.
Die Hermunduren erschlossen sich den neuen Lebensraum auf Wunsch Roms. Zunächst, so ist es überliefert, prägte Freundschaft die Beziehungen.
Doch zu keiner Zeit der Existenz des Imperiums Romanum blieben Beziehungen zu den Nachbarn friedlicher Natur.
Zwischen der römischen Eroberungspolitik und dem Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang der Bevölkerung im Barbaricum existierten ein großer Zusammenhang mit Wechselbeziehungen unterschiedlichster Art und ein fundamentaler Widerspruch mit Hass und Feindschaft, der im Kontext zur historischen Zeit und dem Territorium stand.
Die Römer, unbestritten zur Weltmacht gelangt, und die Barbaren, mit ihren zahlreichen Stämmen und Sippen, trafen am Rhein aufeinander. Weder Rom noch die Barbaren des freien Germaniens erkannten diese natürliche Grenze als von den Göttern gegeben an.
Die segensreiche Botschaft der Zivilisation in die Wälder des Nordens getragen zu haben, wird zumeist den Römern zugeordnet.
Für den Barbar dagegen fällt die Rolle des beutegierigen, mordenden und plündernden Kriegers ab.
Doch stimmt diese Pauschalisierung?
Besaßen die germanischen Stämme nicht auch Lebensbedürfnisse? Bildete der Schutz des Lebens eigener Kinder und Familien gegen jeden Feind, ob Mensch oder Natur, nicht doch den Kernpunkt jeder kriegerischen Handlung germanischer Sippen.
Selbst dann, wenn die Germanen auszogen, neuen Lebensraum zu erringen …
Von Andrei nacu aus der englischsprachigen Wikipedia, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30143245
66 nach Christus - Sommer (8. Junius)
Imperium Romanum – Mogontiacum
Sextus Tremorinus kam mehr durch Zufall in die Position des Tribunus Laticlavius der Legio XXII Primigenia.
Der Standort dieser Legion wuchs, in der Vergangenheit, zu einem Eckpfeiler der Macht des Imperium Romanum.
In diesem Teil Germaniens stießen die Interessen zahlreicher germanischer und keltischer Stämme auf Roms Ansprüche.
Wo Rom war, befanden sich deren Legionen, die unter dem Vorwand des Schutzes ihres Imperium Romanum die Grenzen sicherten, die im Gebiet lebende Bevölkerung befriedete und ihre Zivilisation ausbrachte.
Seine Bedeutung gewann das römische Lager an diesem Ort einmal durch dessen günstige Lage im Zentrum zahlreicher Siedlungsgebiete der Germanen und Kelten, als auch durch die Beherrschung einer Flussmündung. Der Rhenus trennte das von Rom beherrschte Territorium, westlich des Flusses, von der östlich gelegenen Germania Magna, dem freien Germanien. Der zufließende Moenus aber kam aus den Tiefen des freien Germaniens und mündete, an eben diesem, auf einer Anhöhe gegenüber der Flussmündung liegenden, gewählten Standort, in den größeren Rhenus.
Das Castellum von Mogontiacum war für zwei Legionen ausgebaut und so befand sich auch der Standort der Legio IIII Macedonica in Mogontiacum, wie die sich entwickelnde Municipia hauptsächlich bezeichnet wurde. Dieses Mogontiacum wuchs aus mehreren kleineren Siedlungen, die sowohl aus keltischen Ansiedlungen als auch aus den Canabae Legionis hervorgingen und wurde zum Zentrum im militärisch gesicherten Territorium der Germania Superior.
Dem Flusslauf zum Mare Germanicus folgend, schloss sich ein gleichartig, militärisch verwaltetes Gebiet als Germania Inferior an.
Den Teil des freien Germaniens, jenseits des Rhenus, besiedelten zahlreiche Stämme der Germanen, wozu zuerst einmal die Chatten, die Tenkterer und Sugambrer zählten. In der Tiefe des Territoriums schlossen sich die Siedlungsgebiete der Narister, der Hermunduren, der Mattiaker und der Nemeter an.
Aber auch Stämme der Kelten, wie die Vangionen, die Aresaken und Treverer lebten an beiden Ufern des Rhenus.
Inmitten dieses Spannungsfeldes lag Mogontiacum.
Der Legatus Legionis der Legio XXII Primigenia, Lucius Verginius Rufus, fiel in jüngster Vergangenheit, durch seine Eigenwilligkeiten in der Ausübung kaiserlicher Macht auf. Ein vom Kaiser Nero bestimmter Legatus Augusti pro Praetore, und damit Statthalter in dieser Militärregion, versäumte es, den ihm unterstellten Legatus Legionis zu zügeln und zu führen. Eigenwillige Vexillationen in die Tiefen der Germania Magna, Verluste militärischer Einheiten und erfahrener Centurionen erforderten die Klärung der Zustände.
Dies veranlasste Kaiser Nero zur Beauftragung der Adler der Evocati.
Deshalb entsandte der Kopf der Adler der Evocati Sextus Tremorinus und seinen Begleiter Kaeso Belletor zur Beobachtung der Machenschaften des Legatus Legionis dieser Legion.
Damit die römische Ordnung im Militärterritorium erhalten blieb, stationierte Roms Kaiser zwei seiner Legionen, die Legio IIII Macedonica, deren Legatus Legionis, Kaiser Nero schon vor Jahren, zum Legatus Augusti pro Praetore bestimmte, sowie die Legio XXII Primigenia.
Tribun Tremorinus diente zuvor an den Ufern des Danuvius, in Carnuntum. Um seine neue Aufgabe aufnehmen zu können, musste er, mit seinem ständigen Begleiter, Freund und ebenfalls Evocati Belletor, dem Danuvius bis fast zu dessen Quelle folgend, die gesamte südliche Flanke der Germania Magna umgehen, um bis zu den Ufern des Rhenus zu gelangen und diesem dann nordwärts bis Mogontiacum folgen.
Weil ihn die Order seiner Berufung zum Tribun der Primigenia, in den Anfangstagen des Winters erreichte, keinen Aufschub duldete, waren er und Belletor gezwungen, den weiten Weg in dieser kalten Jahreszeit zurückzulegen. Die Mühen der Reise waren gewaltig. Kälte Schnee, Schneestürme begleiteten sie vom ersten Tag an. Oft fehlte ein Gasthaus am Weg und die Nacht, in Kälte und Sturm, im Freien zu verbringen, war mit schlechterer Verköstigung, mangelhaft vorhanden warmen Getränken und eigentlich beständigem Frierens verbunden. Die Glieder wurden steif, die Laune mies und die gegenseitige Reizbarkeit nahm einen Grad an, der hätte auch in Feindschaft umschlagen können.
Allein Letzteres war unmöglich. Dafür waren Tremorinus und Belletor gemeinsam durch zu viele Schwierigkeiten gedrungen und ihre Freundschaft, durch die Härte bisheriger Prüfungen, zu einem Bund geschmiedet worden, dem eine winterliche Reise nur ein müdes Lächeln abringen konnte. Sie froren, schimpften und fluchten gemeinsam, freuten sich über jede Herberge, schimpften auf schlechtes Essen, dünnen Wein, verlauste Betten und fühlten sich, wenn sie auf ein gutes Gasthaus trafen, unendlich glücklich.
Doch irgendwann war auch diese Reise zu Ende. In der letzten Taverne, kurz vor Mogontiacum, fanden sie eine freundliche Aufnahme, beste Speisen, guten Wein, saubere Betten und noch dazu ein wärmendes Weib, so dass ihnen der Gastwirt in angenehmer Erinnerung verblieb.
Mehr noch, der kurze Weg und die günstige Lage zum Standort der neuen Legion, ermutigten Tremorinus, Tanicus Taverne zum Ausgangspunkt einer anderen Reise zu erwählen.
Die Schwierigkeiten der einstiegen Winterreise gehörten längst der Vergangenheit an und nachfolgende Ereignisse entschädigten Tremorinus für die durchlittenen Schwierigkeiten, denn kaum in der Legion eingetroffen, ernannte ihn der Legat zum vorläufigen Obertribun seiner Legion.
Dieser überraschende Aufstieg war der charakterlichen Veränderung des bisherigen Obertribuns Quintus Suetonius geschuldet, die Tremorinus seit seiner Ankunft letztlich selbst erleben durfte. Der Niedergang der Beziehungen zwischen Legat und Obertribun gipfelte in dessen Mordversuch am Befehlshaber.
In Ungunst gefallen, des versuchten Mordes überführt, erwartete Quintus Suetonius ein vom Kaiser zu fällendes Urteil. Doch zuerst musste der Arretierte nach Rom befördert werden...
Legat Verginius Rufus folgte Tremorinus Vorschlag, diese unerfreuliche Mission einer Begleitmannschaft aus germanischen und keltischen Auxiliaren aufzutragen und als Anführer einen, wieder in Gnaden aufgenommenen, ehemaligen Decurio zu bestimmen.
Dieser Sugambrer, mit dem Namen Filomar, war zuvor vom Kampffeld im Land der Hermunduren geflohen, hatte sich später, den Tod wegen Verrats der Legion fürchtend, als Wegelagerer durchgeschlagen und war letztlich von den Verlorenen um die ehemaligen Immunes der Legio XXII Primigenia, Viator und Paratus, aufgebracht worden.
Als Geschenk für die eigene Freiheit, im Rahmen eines Paktes zwischen den Immunes und dem Legat, an diesen übergeben, erwartete Filomar der Tod. Doch irgendwie schienen die Götter den Sugambrer ein weiteres Mal verschonen zu wollen...
Der neu ernannte, vorläufige Obertribun Sextus Tremorinus musste sich schnell in die örtlichen Verhältnisse und Spannungen einfügen. Auch wenn die Widersprüche zwischen Legat und bisherigen Obertribun plötzlich einem fulminanten Höhepunkt zustrebten, ein römischer Händler zusätzliche Verwirrung stiftete, durchschaute Tremorinus recht schnell die Absichten des Legatus Legionis. Dabei halfen ihm die vom Kopf der Adler der Evocati erhaltenen Instruktionen und Hintergründe.
Tremorinus erster Auftrag, als neuer Obertribun, war die Untersuchung der Befehlsverstöße und des Mordversuches des früheren Obertribuns, sowie die Erstellung des erforderlichen Berichtes. Im Anschluss daran erhielt er den Befehl, den Anführer und die Männer zu bestimmen, die den Arretierten nach Rom beförderten. Der Legat befahl ihm auch weitere, andere Boten auszuwählen und in Marsch zu setzen.
Diesen Aufgaben widmete sich Tremorinus mit Ehrgeiz. Er gelangte zwangsläufig in ein Wissen über alle, die Legion betreffenden Zusammenhänge und vergangenen Ereignisse. Tremorinus war von einer überdurchschnittlichen Intelligenz beglückt, die er aufgrund seiner eher niederen Herkunft, nur sehr selten zum Vorschein bringen durfte. Dafür glänzte er mit Disziplin, Ehrlichkeit, Unerschrockenheit, Entschlossenheit und Mut. Letzteres galt sowohl für den Kampf mit dem Feind, als auch im Verhalten mit Vorgesetzten.
Der Evocati Tremorinus blieb stets unbeugsam und sich selbst treu.
Legat Verginius Rufus bemerkte die Vorzüge seines neuen Tribuns schnell und weil Tremorinus, in seinem fortgeschrittenen Alter, auch bereits über ein breites Spektrum von Erfahrungen in zahlreichen Legionen verfügte, war sein Aufstieg von zwingender Logik.
Rufus verlor, durch den Verlust des Quintus Suetonius, seine rechte Hand, die durch die Zukommandierung von Tremorinus sehr schnell wieder nachwuchs. Sextus Tremorinus war der von den Göttern gesandte perfekte Ersatz für seinen bisherigen mörderischen Vertrauten.
Die Verurteilung des Quintus Suetonius in Rom war bei Weitem nicht gesichert. Kaiser Neros Stellung im Imperium Romanum war zwar ungebrochen, dafür aber seine Launen umso mehr gefürchtet. Neros Interesse an der Ausübung der politischen Macht hielt sich in überschaubaren Grenzen. Wo vergangene Kaiser Roms sich im Ruhm der Macht sonnten, mit Geschick, Machtstreben und Roms Legionen das Imperium stabilisierten oder auch erweiterten, verlor sich dieser Kaiser in der Ruhmsucht eines Mimen, Sängers und Theaterdarstellers.
Obwohl Nero, aus einer vermuteten Angst heraus, häufig römisches Recht beugte, Unschuldige verurteilte, auf Denunzianten hörte und auch Selbsttötungen befahl, zeichnete sich er sich andererseits auch durch Klugheit, Weitsicht und Entschlusskraft aus. Waren diese Momente zwar zu häufig seinen anderen Interessen unterlegen, durfte dennoch niemand darauf vertrauen, dass Nero nur blindwütig, von Wut und Angst getrieben, um sich schlug…
Des Kaisers Klugheit und Weitsicht kennend, befürchtete Verginius Rufus, dass sich Nero nicht zwischen einen erfolgreichen Feldherren seiner glorreichen Legionen und ihn zu stellen beabsichtigte.
Quintus Suetonius verfügte, in seinem Onkel, über einen einflussreichen Gönner, den sich auch der Kaiser nicht unbedingt zum Feind erwählen könnte. Denn Gaius Suetonius Paulinus, der Onkel des Quintus und Eroberer Britanniens, besaß einen von vielen Römern geachteten Ruf. Einst für die Aufgabe römischer Siedlungen in Britannien geschasst, überdauerte der Ruhm des Feldherrn die Zeit. Mit nur zwei Legionen vermochte er das Heer der aufständischen Kelten, mit dessen zumindest fünffacher Überlegenheit, niederzuwerfen. Römer vergaßen Verluste oft sehr schnell, niemals aber die Helden ihrer Kriege…
Ob angesichts dieser Tatsache eine Verurteilung des Quintus Suetonius erwirkt werden konnte, bezweifelte Rufus. Weil aber der Neffe des Feldherren Paulinus, als sein bisheriger Tribunus Laticlavius, in die Vorfälle seiner Legion im Land der Hermunduren eingebunden war, diese selbst voran getrieben hatte, das Versagen seines jüngeren Bruders Titus in der Vexillation zu verbergen und damit das Ansehen seiner Familie zu schützen beabsichtigte, durfte Quintus Suetonius Rom niemals lebend erreichen… Falls das Ende der Überführung des Obertribuns, trotz aller Bemühungen dennoch in Rom lag, könnte der Arretierte viel zu erzählen haben, was wiederum der Dignitas des Legatus Legionis der Legio XXII Primigenia einige nachteilige Erkenntnisse anfügen könnte...
Dies zu verhindern, lag in Rufus Absicht.
Mit Tremorinus Vorschlag, für das Begleitkommando Auxiliaren verschiedener keltischer und germanischer Stämme einzusetzen, statt sich römischer Legionäre zu bedienen, unterbreitete dieser wohl eine dem Legat wünschenswerte Variante. Das sehr schnelle Einlenken bestätigte Tremorinus eigene Vermutung, dass dem Legat nichts am Erreichen Roms lag. Der Legat, so schien ihm, kannte offensichtlich die überlieferte Feindschaft zwischen den Vertretern der vorgeschlagenen Stämme.
Mit diesem Wissen, sich einigen Vermutungen hingebend, betrachtete Tremorinus belustigt das sich Aufplustern seines für das Begleitkommando des arretierten ehemaligen Obertribuns Quintus Suetonius neu gewonnenen Decurio. Er hielt diesen Sugambrer Filomar für einen überheblichen Dummkopf.
Der Trupp, der sich in Bewegung setzenden Auxiliaren, wirbelte den Staub der Straße auf, als sich der Wagen und sein Begleitkommando, von der Herberge des Tanicus, entfernten.
Tremorinus riss leicht am Zügel seines Pferdes, schnalzte mit der Zunge und trieb das Tier in einen leichten Galopp.
Seine Erinnerungen lenkten ihn vom Schritt des Pferdes ab. Das Tier, den fehlenden Druck bemerkend, ging in ein Schritttempo über.
Ja, er hatte den Vorschlag der Auxiliaren unterbreitet. Sollte dem Legat wenig an der Ankunft des Arretierten in Rom liegen, war der Verlust einiger Auxiliaren leichter zu verschmerzen, als träfe ein Überfall auf ausgewählte treue römische Legionäre. Tremorinus vermutete, dass der Legat eine derartige Absicht hegte, auch wenn er keine Anhaltspunkte für einen Überfall oder gar die Ermordung des Arretierten fand. Was auch immer geschehen würde, könnte er ohnehin nicht mehr beeinflussen. Im Grunde genommen interessierte es ihn überhaupt nicht, ob der Gefangene Rom erreichte oder auf dem weiten Weg verloren ging…
Im günstigsten Fall würde also er Obertribun und damit Stellvertreter des Legat bleiben, zumindest bis ein vom Kaiser bestimmter Ersatz in Mogontiacum eintraf. Wusste der Kaiser nichts von den Vorgängen und verzögerte sich das Eintreffen des angekündigten Arretierten, verschwand dieser gar gänzlich, dauerte seine Ernennung eben an. Als kluger und voraus denkender Mann bemerkte Tremorinus, dass nach der Abreise des Transportes, einmal auf lange Zeit und im ungewöhnlichsten Fall, gar keine Nachricht vom Verlauf und dem Ergebnis der Reise in Mogontiacum eintreffen könnte. Er konnte, für sich selbst, nichts Nachteiliges in einer derartigen Abfolge erkennen...
Geschah jedoch, auf dem Weg nach Rom, etwas Ungewöhnliches, ein Überfall mit der Befreiung des Gefangenen oder gar dessen Ermordung, dann würden dies der Legat und sicher auch der Kopf der Adler der Evocati in Rom gern wissen.
Tremorinus Gefährte unter den Evocati, Belletor, war schon vor Tagen abgereist. Als Händler verkleidet, brachte dieser den richtigen, vom Legat unterzeichneten und gesiegelten Bericht nach Rom und würde diesen, dem Kopf der Adler zuführen, worauf der Bericht danach sicher in Neros Hände gelangte. Der Kaiser würde also wissen, was sich in Mogontiacum ereignete und sicher auch die Ankunft des Arretierten erwarten. Blieb diese Ankunft aus, wäre es sicher gut, wenn der Kopf der Adler Erkenntnisse zu den Gründen zu vermelden hätte...
Was also lag näher, als Belletor eine Order mit auf den Weg zu geben, ihn mit Erkennungsmerkmalen auszustatten und ihm einen Ort und die Zeit für ein Zusammentreffen mit einem Boten, der den Transport des Gefangenen beobachtete, zu benennen. Ein Erkennungsmerkmal fand Tremorinus in Suetonius Hinterlassenschaft. Aus Eisen bestehende Amulette in runder Form, mit zwei gekreuzten Balken im Ring, prägten das Merkmal. Im Außenring erkannte er eingravierte Weizenähren, die sich einander, an ihren Spitzen und Halmen, zubogen. Die zwei sich kreuzenden Balken stellten Nägel dar, wie sie in die römischen Caligae der Legionäre eingeschlagen wurden. Tremorinus übergab Belletor ein solches Amulett und erklärte ihm, wann und wo er den Boten treffen könnte. An jedem zweiten Tag, in der sechsten Stunde, sollte der Bote, falls er Rom erreichte, vor dem Nordtor des Castra Praetoria auf Belletor warten. Dieser Mann würde ein gleiches Amulett, über seiner Kleidung, an einem Band um den Hals tragen.
Während Belletor seine geheime Abreise betrieb, der Legat auf den zweiten, den gefälschten Bericht zu den Vorkommnissen wartete, suchte Tremorinus einen Boten für den falschen Bericht und einen Beobachter des Begleitkommandos. Den Mann für den gefälschten Bericht fand er schnell. Obwohl er von der Gefahr für den Mann wusste, wählte er einen Meldereiter, der mit seinem Abschied aus der Legion nach Rom zurückzukehren wünschte. Indem er dem Mann die Sache erklärte, die Wichtigkeit der Botschaft betonte und wo diese zu übergeben sei, machte er ihm die Hoffnung, bis zum letzten Tag seiner Dienstzeit in Rom verbleiben zu dürfen. Mit einer entsprechenden Order ausgestattet, verließ der Melder am Morgen des gleichen Tages, wie auch der Gefangenentransport, Mogontiacum.
Tremorinus vermutete, dass der Zeitpunkt der Abreise des Boten längst als Latrinenparole im Umlauf war. Ob diesem Mann deshalb Freunde des Suetonius auflauerten oder nicht, bekümmerte Tremorinus wenig. Dafür begleiteten diesen Freiwilligen alle guten Wünsche des Obertribuns.
Als erfahrener Melder kannte der Legionär die Gefahr und würde sich nicht so leicht aufbringen lassen. Ihm aber helfen konnte und durfte der neue Obertribun nicht, hätte er doch damit der Intrige des Legatus Legionis die Spitze genommen.
Den richtigen Beobachter für das Begleitkommando unter Filomar zu finden, machte weitaus mehr Mühe.
Aus der Ferne zu begleiten, würde nicht einfach sein. Außerdem könnte ein ferner Beobachter zu wenig von den Widersprüchen, Abläufen und wenn es denn zu Zerwürfnissen kommen sollte, von diesen mitbekommen. Das Beste wäre es, einen unscheinbaren, aber klugen Mann zu finden und ihn in das Kommando einzufügen.
Filomar und die Auxiliaren kamen für diese Aufgabe nicht in Frage. Es ließe sich wohl einer der Auxiliaren mit einigen Sesterzen dafür gewinnen. Ob der Erwählte auch dann einen bewaffneten Zwischenfall überleben könnte, war sich der neue Obertribun nicht sicher.
Der richtige Gedanke zur Wahl des gesuchten Mannes drängte sich ihm, wenig später, nahezu von selbst auf.
Als die Tochter des Amantius die Weizenlieferung ins Castellum brachte, ergab sich bei seiner Aufsicht zum Entladen des Getreides eine günstige Gelegenheit, einen der früheren Legionäre der Primigenia und jetzigen Alten des Händlers kennenzulernen. Tremorinus erfuhr Einzelheiten aus dem Leben des Alten, dessen Name Romanus lautete. Der frühere Legionär bedauerte, seinen Abschied aus Mogontiacum erneut um ein weiteres Jahr verschieben zu müssen. Seit zwei Jahren wünschte er sich, nach Rom zurückkehren zu können.
Obwohl der Römer sparsam lebte, fanden seine Absichten bei den Göttern wenig Verständnis. Nach seiner Entlassung aus der Legion kaufte er sich ein Haus, besorgte sich ein Weib und beschloss, ewig im Vicus, nahe der Legion, zu verbleiben. Ein oder zwei Kinder sollten folgen. Doch stattdessen erkrankte zuerst das Weib und starb dann kurz darauf auch noch. Romanus betrank sich aus Wut über die Ungerechtigkeit der Welt und weil er, in seiner Trunkenheit, auf eine der Kerzen zu wenig achtete, brannte das Haus nieder. Nachbarn retteten ihn. Trotz einiger heftiger Brandwunden auf seinem Rücken, überlebte er. Also ging Romanus zu den Alten des Amantius, um sich etwas Geld für die Heimreise zu erarbeiten. Doch was er im Sommer erkämpfte, verlor er in der Kälte des Winters wieder. So fehlten ihm im Frühjahr wieder einige Sesterze, um die lange Reise bis Rom überstehen zu können.
Tremorinus erkannte in dem Gespräch mit Romanus drei Dinge. Zuerst fiel ihm die Trauer des Mannes auf. Er nahm dessen Verzweiflung über den Tod des Weibes genauso wahr, wie den Verlust allen Besitzes. Trotzdem spürte er den Willen, die Kraft und die Geduld eines erfahrenen Legionärs. Überlebte der Mann Schlachten, warum sollte ihn dann der Frieden umbringen dürfen… Diesem Gedanken Tribut zollend, wehrte sich Romanus gegen jedes Unbill mannhaft und ertrug seine Sehnsucht nach Rom. Die dritte Fähigkeit des Alten bestand in seiner Maulfaulheit. In das Gespräch gefunden, fragte Tremorinus sich dann durch und erkannte den wachen Geist und den eisernen Willen des Römers. Wenn auch mit sparsamen Antworten bedacht, fügten sich Erfahrungen, Erlebnisse und Widrigkeiten zu dem Bild eines Mannes, welches Tremorinus darin bestärkte, vielleicht einmal für ihn von Nutzen sein zu können. Tage später erst begriff er die Bedeutung des Zusammentreffens mit Romanus. Der Alte schien ihm geeignet, als Wagenlenker den Arretierten nach Rom zu bringen. Romanus wollte nach Rom, konnte einen Wagen und Pferde führen, war verschwiegen, erfahren im Kampf und galt nicht als Auxiliar. Damit würde er nicht kämpfen müssen und konnte sich, auch aufgrund seines inzwischen erreichten Alters, bei einer aufziehenden Gefahr in die Büsche des Waldes verziehen. Der Alte kam Tremorinus recht.
Nachdem der Obertribun den richtigen Mann für dieses Abenteuer erkannt zu haben schien, verbesserten einige Becher Wein und etwas Zeit in einer Taverne ihr Verständnis voneinander. Die Möglichkeit nach Rom zu gelangen, dabei noch einige Sesterzen zu verdienen und als Gegenleistung dafür nur einen Wagen mit einem Gefangenen zu kutschieren, sowie die Pferde zu versorgen, überzeugten Romanus von der Güte seines neuen Gönners. Dass dieser dann einen Beutel Münzen auf den Tisch stellte, einige wichtige Anweisungen beifügte, ein Amulett übergab, sowie Ort und Zeit einer Begegnung mit einem Fremden festlegte, nahm Romanus gelassen zur Kenntnis. Erst als Tremorinus auf einige Besonderheiten des Transportierten, dessen Bewacher, des Weges und eine Bedrohung zu sprechen kam, wurde der Alte stutzig.
Die Versicherung, nicht kämpfen zu müssen, es gar nicht erst versuchen zu wollen und stattdessen, schnellstens den Bereich der Gefahr zu verlassen, beruhigte den neuen Wagenlenker. Die Falten seines Gesichtes schienen sich endgültig zu glätten, als der Obertribun ihm versicherte, dass er sich keinesfalls in Kämpfe für oder gegen den Gefangenen einmischen durfte, sondern seinem Auftraggeber weit wichtiger erscheine, dass er dem Fremden in Rom über alle Ereignisse berichten könnte.
Romanus entspannte sich vollkommen, als ihm Tremorinus in Aussicht stellte, einen in gleicher Art gefüllten Beutel voller Sesterzen am Ziel vorzufinden. Dann könne Romanus den Wagen nehmen, seines Weges ziehen und niemand würde je wieder nach ihm fragen…
Die Zufriedenheit des Römers war für den Obertribun deutlich zu spüren. Tremorinus glaubte an die Fähigkeiten des Mannes. Er hatte seinen Wagenlenker und Spion gefunden.
Als Tremorinus Tage später, im Hof der Taverne, Filomar sein Kommando übergab, hatte er den Wagenlenker überhaupt nicht bedacht und auch nicht erwähnt. Er vermutete richtig. Der Sugambrer nahm den Wagen, den Kutscher und die Pferde, ohne nur eine Frage zu stellen. Der Wagen fuhr vom Hof in eine unbekannte Zukunft und jeder der Begleiter des Transportes widmete sich seinen Hoffnungen und Erwartungen.
Filomar fühlte sich in der neuen Rolle wohl. Verkehrte er zu Beginn der Fahrt nur mit Cornix, seinem erwählten Stellvertreter und dem jungen Simo, verlangte der weitere Weg auch Kontakte mit den übrigen Sugambrern, Vindelikern und den Treverern. Er lernte die Männer kennen und bildete sich bald seine Meinung zur Verlässlichkeit seiner Begleiter. Um den Gefangenen bemühte er sich nicht.
Schon auf dem Hof von Tanicus Taverne fiel ihm der große Treverer auf. Mit dem Glatzkopf wollte er sich nicht unbedingt anlegen. Diesen und den jüngeren Loverno machte er als widerspenstige Burschen aus. Der Junge schien ihm bedeutungslos. Filomar beschloss deshalb, zur Demütigung aller Treverer, Loverno den Auftrag zur Versorgung des Gefangenen zu erteilen. Der große Treverer Augurnus erschien ihm bestens geeignet, persönlicher Wachposten des früheren Obertribuns zu werden. In dem er das Leben des Treverer unmittelbar an den Gefangenen kettete, sollte dessen Aufmerksamkeit auf den früheren Obertribun gerichtet sein. Ein weiterer Begleiter, ein Vindeliker mit dem Namen Eppillus, erschien ihm ebenso wenig Vertrauen erweckend. Die übrigen Männer machten den Eindruck, nicht besonders interessiert zu sein. Dieser Eindruck, wusste er, könnte täuschen.
In Filomar machte sich eine gewisse Vorsicht gegenüber Eppillus und Augurnus breit, während er den Sugambrern zugeneigt schien und den weiteren Begleitern mit Gleichgültigkeit begegnete.
Sein besonderer Liebling wurde, aber schon am ersten Tag der Reise, der Treverer Loverno. Vielleicht trug auch Quintus Suetonius eine gewisse Schuld daran, wiewohl diese Entwicklung auch in seiner Absicht gestanden haben könnte… Suetonius zeigte an, seine Notdurft verrichten zu wollen. Die Sonne schien, der Wagen hielt, Filomar öffnete die Fesseln und beide Treverer, Augurnus und Loverno, begleiteten Quintus ins Dickicht. Dort fragte der frühere Obertribun den jungen Treverer, ob er der Meinung sei, sein ihm angelastetes Verbrechen wäre tatsächlich so geschehen? Der Treverer blickte sich um, sah nur den Riesen mit der Glatze neben sich und flüsterte zurück, der Tribun möge still sein, der Weg wäre noch weit.
Zu seinem Unglück trat Filomar aus dem Busch und hörte wohl die letzten Worte verklingen. Der Sugambrer aber benahm sich so, als hätte er nichts gehört, drehte sich ab und kehrte zur Kolonne zurück. Quintus wurde gebracht, angekettet und in diesem Augenblick packten die starken Arme, des Cornix und eines weiteren Sugambrer, den Treverer Loverno. Augurnus, ebenfalls überrascht, blickte auf drei gezückte Schwerter. Der dritte Treverer wurde von der Spatha eines weiteren Sugambrer gekitzelt.
„Nehmt ihm die Lorica Hamata ab! Bindet ihn an den Baum!“ forderte Filomar. „Den Rücken zu mir!“ befahl er.
„Du, Augurnus, hast diesmal noch Glück, dass ich kein Wort von dir vernahm. Doch achte in Zukunft auf meine Warnung. Sollte dein jüngerer Gefährte meine Züchtigung falsch verstehen, verliert er beim nächsten Verstoß nicht nur seine Ohren oder Zunge...“ Einer der Sugambrer reichte dem Decurio einen kräftigen Knüppel. Filomar ergriff den Stock und nahezu im selben Augenblick klatschte dieser auf den Rücken des Gebundenen.
„Der erste Schlag ist für deinen Ungehorsam, der Zweite für die Frechheit und der Dritte soll dich erinnern, dass meine nächste Züchtigung schmerzhafter ausfallen wird!“
Der große Treverer band seinen Gefährten anschließend vom Baum und legte ihn auf den Boden. Sorgfältig untersuchte er, ob es Knochenbrüche gab. Doch der Stock war so gewählt, dass er blutige Striemen hinterließ, aber keinen Knochen brechen konnte.
„Aufsitzen! Du auch, Treverer!“ fauchte Filomar den Geschlagenen an.
Loverno erhob sich. Die Zeit der Besinnung hatte gereicht. Er schlüpfte in seine Rüstung und bestieg, so wie auch alle Anderen, sein Pferd.
Bei allen diesen Tätigkeiten äußerte der Treverer kein Wort, dafür sprach sein starrer, auf den Decurio gerichteter Blick. Der Hass zwischen dem Treverer und dem Decurio begann zu gären.
Sugambrer und Treverer gönnten einander wenig. Soweit es die stolzen Sugambrer betraf, rührte dies aus einer Vergangenheit der Nachbarschaft her, in der sich beide Stämme bekriegten. Mit der Ankunft der Römer am Rhenus, so wusste es Filomar von den Alten seiner Sippe, verschärfte sich der Konflikt zwischen den Stämmen. Ursache waren Plünderungszüge der Sugambrer in keltisches Territorium, die auch Sippen der Treverer in Mitleidenschaft zog. Später den Römern unterlegen, zwang Rom die Sugambrer zu einer Umsiedlung des Stammes in ein von Kelten beherrschtes Land links des Rhenus. Dort stießen die Sugambrer wieder auf die Treverer und somit lebte die ältere Feindschaft, mit der neuen Nachbarschaft, erneut auf. Die Treverer dienten Rom, handelten mit Rom und stellten Truppen für Rom. Sugambrer verweigerten dies lange und wehrten sich gegen die römische Bedrohung. Die übrigen Männer seines Trupps waren Vindeliker und zählten zu den Kelten. Ein Sugambrer empfand für gewöhnlich kaum Zuneigung zu diesem verlausten Pack. Darin bildete Filomar keine Ausnahme. In seinem Stolz, seiner Überheblichkeit und Arroganz war er genau der Anführer, den der Legatus Legionis der Legio XXII Primigenia an dieser Stelle benötigte. Allein in Filomars Person vereinigte sich blinde Verachtung, aus alter Überlieferung, mit Dummheit, zu den Eigenschaften, die den Decurio ausmachten.
Was sich einmal im Kopf des Kriegers als Feind einnistete, bleibt darin enthalten, auch wenn inzwischen beide Stämme von Rom abhängig waren und dem Imperium dienten.
Existierte Filomar als Wegelagerer nur eben noch am unteren Ende der Gesellschaft, stieg ohne eigene Verdienste, nur durch das Schicksal oder den Beschluss der Götter, erneut in die Höhen eines Decurio der glorreichen Legionen Roms auf, so veränderte sich eine Sache niemals. Filomar verachtete alles, was nicht Sugambrer oder Römer war. Die Einbeziehung der Römer, in seine Ansicht zur Wertigkeit einer Herkunft, war ihm Eigen. Seine Herkunft über alles Andere stellend, billigte er einem Römer den Platz neben sich zu. Diese Sicht der Dinge stützte sich auf den Status der Macht Roms ebenso sehr, wie auf den Umstand, dass sein Leben von Roms Entgegenkommen abhing.
Auch wenn er als Wegelagerer hatte Eines jedoch lernen müssen. Ein Sugambrer, unter diesem Auswuchs der Stämme, unterschied sich in nichts von einem Treverer, Vindeliker oder Aresaken, wenn nicht Klugheit, Rücksichtslosigkeit, Kampfbereitschaft und Brutalität zu seinen wichtigsten Eigenschaften gehörten… Filomar behauptete sich unter diesen Verlorenen, weil er diese Fähigkeiten sein Eigen nennen durfte. Es ging nicht um die Kraft bei der Frage, wer die Macht ausübte, obwohl auch Kraft eine begünstigende Wirkung besaß. Es war vor allem die Schnelligkeit im Erkennen und die Rücksichtslosigkeit bei der Beseitigung einer Bedrohung. Er fühlte sich damals oft bedroht und so erging es ihm auch seit dem Beginn des Gefangenentransportes.
Der neue Obertribun brachte ihn, mit der Auswahl seiner Begleitung, in diese Bedrängnis. Eine Wahl hatte Filomar nicht, wollte er weiter Decurio in Roms Gnaden bleiben. Erinnerte er sich an seine kurz zuvor überstandene Lage, schien ihm, dass sich die Verhältnisse trotzdem zu seinen Gunsten verändert hatten. Er bewachte seinen Intimfeind. Nichts und Niemand konnten ihn hindern, seinen Hass gegenüber dem Suetonius auszuleben. Doch dabei nahm er sich alle Zeit der Welt. Noch war der Weg weit und was kümmerte ihn schon, ob der frühere Obertribun Rom überhaupt erreichte? Sollte es ihm vergönnt sein, den Gefangenen in Rom zu übergeben, müsste sich dies auch für ihn persönlich lohnen. Zumindest in klingender Münze oder auch in einer anderen Form der Anerkennung… Andererseits hatte er den neuen Obertribun wohl richtig verstanden, als dieser durchblicken ließ, dass es dem Legaten besser gefallen könnte, wenn der Gefangene, im Falle eines inneren Zwistes seiner Auxiliaren oder gar eines Überfalles, umkam, anstatt Rom zu erreichen.
Eines jedoch war für ihn von Anfang an fraglich. Sollte er den Transport mit allen Auxiliaren beenden oder nicht doch besser, die seiner Gefährten über den Styx schicken, die ihm wenig zugeneigt erschienen? Sicherlich wäre die Dezimierung der Bedeckung ein Risiko, käme es zu einem Kampf mit Angreifern, die die Befreiung des Gefangenen anstrebten. Als Mann von Überlegung und Tatkraft, als der er sich selbst einschätzte, begann er, in den folgenden Tagen, die Lage zwischen seinen Begleitern zu erforschen.
Mit der Ankunft des Wagens in Argentorate war ihm klar, wie er seine eigenen Absichten mit denen des Legaten verbindend, vorgehen sollte.
Die größte Gefahr ging, nach seiner Ansicht, von den Treverern aus. Das erste Ereignis der Züchtigung verrauchte und die Wut des jungen Treverer blieb im Verborgenen. Gespräche mit dem Gefangenen, egal ob beim Essen oder bei der Notdurft, unterblieben ebenso, wie zu den Zeiten, wenn der Gefangene, für eine Stunde des Tages, neben dem Wagen herlaufen durfte. Dabei angekettet an einem Außenring des Wagens, war eine Flucht unmöglich. Zu Fuß, gegen Bewacher zu Pferde, sanken Quintus Möglichkeiten auf ein Nichts zusammen.
Am späten Nachmittag, nach dem Verlassen von Argentorate, forderte Filomar den Vindeliker Eppillus auf, ihn zu begleiten. Er beabsichtige ein Nachtlager zu suchen. Sein Vertreter Cornix blieb zurück beim Transport.
Die beiden Reiter entfernten sich von der Kolonne und ritten einen größeren Vorsprung heraus. Filomar ließ sein Pferd in einen gemächlichen Schritt fallen und forderte Eppillus auf, neben ihm zu reiten. Er begann seine Befragung.
„Was befähigt dich zum Bewacher des Gefangenen? Kennst du den Mann?“ eröffnete Filomar das Gespräch.
„Ja, Decurio!“ Die Antwort fiel kurz aus.
„Hast du mit ihm gekämpft?“
„Nein, Decurio!“
„Was ist es dann? Warum wählte man dich?“
„Ich weiß nicht … Mir reicht ein Befehl.“
Die Antwort könnte eine Abweisung bedeuten oder aber auch nur hündische Treue gegenüber Rom aussagen? Filomar kam so nicht weiter.
„Warum habe ich den Treverer gezüchtigt?“ fragte er weiter.
„Herr, das musst nur du wissen! Ich bin Auxiliar und gehorche Befehlen.“
„Allen Befehlen?“ stieß Filomar in die geöffnete Deckung vor.
„Herr, wie meinst du das?“ Der Vindeliker schien zur Sorte der sehr Vorsichtigen zu gehören.
„Nehmen wir an, ich befehle dir, den Gefangenen zu töten? Du hast die Worte des neuen Obertribun doch gehört?“
„Ja, Decurio!“
„Und …“
„Ich befolge meine Befehle.“ Der Mann war unerschütterlich.
„Dann reite zurück! Verkünde, dass der Gefangene den Wagen zum Laufen verlassen darf und wenn er läuft, töte ihn!“
„Decurio, das geht nicht.“ Der Vindeliker schüttelte seinen Kopf.
Verblüfft starrte Filomar den Vindelikern an. „Wieso nicht?“ fragte er irritiert.
„Über deinem Befehl, Decurio, steht der Befehl des Kaisers, des Praefectus Praetorio, des Legat und des Obertribuns. Hast du die Worte des Obertribuns vergessen? Sein Befehl lautet eindeutig ‚bringt den Gefangenen nach Rom’! Also werde ich mein Bestes dazu tun.“
„Ich merke, dir ist es sehr ernst mit einem Befehl…“
„Ja, Herr!“
„Nehmen wir an, die Treverer wollen den Suetonius befreien? Was tust du?“ Filomar kam zur Sache. Er brauchte Klarheit, wie sich die Vindeliker zu ihm stellten.
„Das verhindern!“
„Nehmen wir an, ich befehle dir und deinen Vindelikern, um dies zu verhindern, die Treverer zuvor zu töten?“ Filomar verlor die Geduld.
„Herr, das geht nicht!“
„Warum, bei Mogon, geht das nicht?“ Langsam steigerte sich Filomar in Wut.
„Der Obertribun befahl uns allen, auch den Treverern, den Gefangenen nach Rom zu bringen. Warum sollte ich meine Gefährten töten?“
„Du also bist ein Freund der Treverer? Gut zu wissen … Denken die übrigen Vindeliker so wie du?“
„Ja, Herr! Obertribun Suetonius muss nach Rom zum Kaiser gebracht werden. Nur der Kaiser sollte einen römischen Tribun verurteilen... Die Entscheidung über Leben und Tod liegt einzig bei ihm. Mein Befehl sagt: ‚Schütze den Gefangenen!’ Von uns wird keiner Hand an den Obertribun legen!“
„Und wenn die Treverer dessen Befreiung versuchen, wirst du sie dann töten?“
„Herr, das werden die Treverer nicht!“
Die Antwort erreichte Filomars Ohr in einer Bestimmtheit, wie er diese nie vermutet hätte. Er starrte seinen Begleiter für einen Liedschlag lang irritiert an. Der überraschte Blick des Decurio veranlasste Eppillus zu einer längeren Erklärung. „Die Treverer sind überzeugt davon, dass in Rom keine Bedrohung auf den Obertribun wartet. Wenn dennoch, dann hat Suetonius den Tod aber auch verdient.“
„Das alles weißt du ganz genau?“ Der Vindeliker hörte den Zweifel in der Stimme seines Vorgesetzten.
„Ja, Herr!“
Filomar schwieg. Er dachte über seine nächste Frage nach.
„Weißt du, es gibt da mehrere Möglichkeiten, die du wohl nicht bedacht hast…“ Filomars Begleiter schwieg. Er schien zu Lauern.
„Befreiung ist nur eine Möglichkeit… Ein Überfall mit der Tötung des Gefangenen wäre…“
Der Vindeliker unterbrach den Decurio. „… Unsinn! Wer sollte den Tod des Gefangenen wünschen?“
„Das fällt dir nicht ein… Der Legat wäre da wohl der Wahrscheinlichste…“
„Unsinn!“ wiederholte der Auxiliar bockig. „Er schickt den Suetonius nach Rom, weil er sich seine Hände nicht beflecken möchte. In Germanien trägt doch auch er die Macht des Kaisers... Er könnte den Suetonius verurteilen und hinrichten lassen. Nicht einmal der Kaiser würde ihn, in diesem Falle, für ein vollzogenes Urteil tadeln können… Doch er schickt den Gefangenen nach Rom.“
„Was weißt du schon von der Ehre eines Kaisers?“ brauste Filomar auf. „Man sagt, Kaiser Nero habe schon Verwandte vergiftet, seine Mutter töten lassen, seinen Lehrer verjagt und zur Selbsttötung getrieben… Ich hörte von Römern darüber sprechen…“
„Was interessiert mich Roms Kaiser? Allenfalls sind seine Befehle für mich wichtig. Uns wurde befohlen, den Gefangenen nach Rom zu bringen. Über mehr muss ich nicht nachdenken.“ erwiderte der Vindeliker kopfschüttelnd.
„…und wenn der lange Weg nach Rom den Absichten des Legats gelegen kommt?“ Filomar blieb hartnäckig.
„Unsinn!“ Das Wort, lakonisch, gleichgültig, abweisend gesprochen, stieß auf des Decurio Unwillen.
„Warum?“ stieß der Sugambrer nach.
„Wer sollte einen Überfall ausführen? Woher nähme der Legat die dafür nötigen Männer, von Auxiliaren oder aus der Legion? Einerlei, auch diese Männer hätten Augen und Zungen… Was wollte der Legat tun, um deren Schweigen zu erwirken? Außerdem würde eine Zahl von über zwanzig Angreifern nötig sein… Also weit mehr Augen und Zungen als in unserem Trupp? Wenn der Legat ein Attentat vorhat, braucht er dafür nur einen einzigen Mann!“
Langsam genoss Filomar das Gefühl, dass der Vindeliker ins Erklären überging. „Wer, wenn du recht hast, könnte dies sein?“
Die Hand des Vindelikern glitt langsam auf den Griff seiner Stichwaffe. Die Antwort des Eppillus begründete diese Notwendigkeit.
„Na du, Decurio!“
Überrascht riss Filomar am Zügel seines Pferdes, das sofort abrupt stehenblieb. „Ich? Wieso ich? Du spinnst! Ist das eine Herausforderung?“ Zorn grub sich in seinen Blick. Seine Hand suchte die Spatha.
„Lass das Decurio und denke einfach nur nach…“ ermahnte ihn sein Begleiter, auf die Waffe deutend. „Die Treverer sind Freunde des Gefangenen. Uns Vindeliker ehrte Suetonius, in der Vergangenheit, mit manchem vertrauenswürdigen Auftrag. Also sind auch wir dem früheren Obertribun verbunden. Keiner unserer Herkunft würde eine Ermordung hinnehmen...“ Eppillus wartete bis der Sugambrer den Inhalt der Worte begriff. „… und deine Sugambrer sind keinesfalls so dumm, ihr Leben zu riskieren… Hätte ein einzelner Attentäter doch zehn Feinde gegen sich… Was nützt einem Sugambrer Gold, wenn ihn die eigenen Kameraden dafür massakrieren…“ Eppillus schwieg einen Augenblick, bevor er mit seiner Erklärung fortsetzte. „Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass im Falle eines Misserfolges unseres Unternehmens auch unser Leben keinen Sesterz Wert mehr besäße? Wäre also ein Meuchelmörder unter den Sugambrern, könnte ihn seine Stammeszugehörigkeit kaum beschützen. Nein, Decurio, wir Auxiliaren sind was wir sind, selbst wenn uns die unterschiedliche Herkunft trennt, bleiben wir Auxiliaren und sind dem erhaltenen Befehl verpflichtet.“ Der Vindeliker schwieg.