Kapitel 1 – „Willkommen in Shadyside“ …
Kapitel 2 – Felicia würgte und …
Kapitel 3 – Das Auto kam …
Kapitel 4 – „Wovon sprichst du?“ …
Kapitel 5 – „Donnerwetter! Die haben …
Kapitel 6 – „Entschuldigung“, mischte sich …
Kapitel 7 – Felicia warf noch …
Kapitel 8 – Zan kam näher …
Kapitel 9 – Felicias Hände fingen …
Kapitel 10 – „Dr. Shanks verlangt immer …
Kapitel 11 – „Komm!“, schrie Debbie …
Kapitel 12 – Alles! Der, der …
Kapitel 13 – Zan. Zan wusste …
Kapitel 14 – Da hörte Felicia …
Kapitel 15 – „Man hat mir …
Kapitel 16 – „Was?“, rief Felicia …
Kapitel 17 – „Zan!“, rief Nick …
Kapitel 18 – Es gab einen …
Kapitel 19 – Felicia versuchte, die …
Kapitel 20 – „Dir werd ich’s …
Kapitel 21 – „Kristy! Andy! Kommt …
Kapitel 22 – Felicia landete unsanft …
Kapitel 23 – Felicia schrie erschrocken …
Kapitel 24 – Felicia hörte weitere …
Kapitel 25 – „Debbie!“, schrie Felicia …
Kapitel 26 – „Was? Du willst …
Kapitel 27 – „Weißt du“, sagte …
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„Willkommen in Shadyside“, stand auf dem Schild am Ortseingang.
Felicia Fletcher schleppte sich mühsam die Straße entlang. Es war Spätnachmittag, dunkle Wolken hingen tief und schwer am Himmel und drohten mit dem nächsten Regenguss.
„Shadyside“, flüsterte sie. Nie gehört.
Sie versuchte, sich die Hände an der Hose abzuwischen, aber es nützte nichts. Felicia war inzwischen nass bis auf die Haut. Ihre Jeans waren ganz schwer vom Regen, ihre Schuhe patschnass und schon ganz aufgeweicht. Von ihrem Pferdeschwanz liefen ihr eiskalte Tropfen in den Kragen ihrer Jacke.
Felicia blickte an dem Willkommensschild vorbei auf eine Brücke, die über einen rasch dahinfließenden Fluss führte. Das Wasser riss verschrumpelte Blätter und krumme Äste mit sich.
Sie rückte den roten Rucksack auf ihren Schultern zurecht und zog sich die dunkelblaue Baseballkappe tiefer ins Gesicht.
Shadyside. Der Name gefiel ihr. „Vielleicht kann ich mich hier sicher fühlen“, dachte sie. „Vielleicht kann ich in Shadyside neu anfangen.“
Felicia spürte bei dem Gedanken einen Kloß im Hals. Sie wollte doch gar nicht neu anfangen. Sie wollte nach Hause zu rück. Dorthin, wo ihre Freunde waren und Menschen, die sich um sie kümmerten.
Aber sie konnte nicht zurück. Niemals würde sie mehr nach Hause können. Nicht nach dem, was sie getan hatte.
„Jetzt fang bloß nicht wieder an zu heulen, Felicia“, ermahnte sie sich selbst. „Sieh lieber zu, dass du ins Trockene kommst!“
Sie wandte sich um und schaute in die entgegengesetzte Richtung. Sollte sie es in Shadyside versuchen – oder lieber weiterlaufen?
„Wenn ich doch bloß das, was passiert ist, vergessen könnte“, dachte Felicia. „Alles und alle vergessen. Neu anfangen.“
Aber die Erinnerung würde niemals erlöschen. Die Erinnerung an das Labor. An die vielen Drähte. An die Ärzte.
Besonders an Dr. Shanks.
Nie würde sie ihn vergessen mit seinem fettigen grauen Bart und seiner lauten Stimme. Felicia erinnerte sich noch genau daran, wie sie ihn kennenlernte. Sie wurde ins Labor gebracht. Die grellen Neonlampen taten ihren Augen weh. Sie wurde auf einen Holzstuhl mit gerader Rückenlehne platziert, dem unbequemsten Stuhl, auf dem sie jemals gesessen hatte.
Dann drängten sie sich um sie und hantierten an ihr herum. Ein magerer Mann mit Brille befestigte klebrige Elektroden an ihren Schläfen. Grüne, schwarze, rote, blaue und gelbe Drähte führten von den Elektroden zu einem großen Computer, an den sie angeschlossen waren. Die Assistenten riefen sich gegenseitig Befehle zu.
„Probelauf auf Modul vier!“, rief eine grauhaarige Frau in weißem Kittel.
„Auf Modul vier“, wiederholte der Magere mit der Brille. Er betätigte einen Schalter, woraufhin sofort einer der Apparate anfing, unangenehm laut und gleichmäßig zu piepen. „Der Puls ist neunundsiebzig, Blutdruck hundertzwanzig.“
„Ist das gut?“, fragte Felicia.
Sie achteten nicht auf ihre Frage. Sie antworteten überhaupt nie, wenn sie etwas wissen wollte.
Der Magere mit Brille stellte einen Tisch vor Felicia hin.
Ein anderer Assistent schob sie mit dem Stuhl an den Tisch heran.
„Sagen Sie Dr. Shanks, dass die Probandin bereit ist“, ordnete die grauhaarige Frau an.
„Ich heiße Felicia“, erinnerte Felicia sie. „Wieso nennen Sie mich nie beim Namen?“
Die Grauhaarige warf ihr einen gleichgültigen Blick zu und sagte nichts. Sie holte ein Klemmbrett und fing an, sich Notizen zu machen.
„Ich schreibe mich F-E-L-I-C-I-A“, murrte Felicia.
Die Grauhaarige hörte auf zu schreiben und starrte sie an.
„Habe ich zu schnell buchstabiert?“, fragte Felicia bissig.
Die Frau legte Klemmbrett und Bleistift weg und verließ den Raum.
Gleich darauf kam ein glatzköpfiger Mann mit einem dichten Bart hereinmarschiert. Sein weißer Kittel rauschte mit jedem Schritt. Der Mann war bestimmt zwei Meter groß und trug einen Bierbauch vor sich her. Er hatte eine lange Hakennase und tief liegende Augen.
„Das sind böse Augen“, dachte Felicia bei sich. „Ohne jede Gutmütigkeit. Groß und kalt ist dieser Mensch, sonst nichts.“
„Felicia“, sagte der Mann und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie geht es dir heute?“
„Gut.“
„Schön. Ich bin Dr. Shanks. Ich leite diese Phase des Experiments. Im Gegensatz zu Dr. Cooper dulde ich keine bissigen Bemerkungen. Das musst du verstehen, Felicia. Du bist nicht nur hier, um zu lernen, sondern auch, um uns Erkenntnisse zu liefern. Für uns ist es wichtig, die richtigen Informationen von dir zu bekommen. Du musst klar bei Verstand sein und dich konzentrieren. Wenn du dich dieser einfachen Regel widersetzt, dann hast du hier am Ridgely College nichts mehr verloren. Ist das klar?“
Felicia merkte, wie der Zorn in ihr aufstieg. Was bildete sich dieser Kerl denn ein? „Die brauchen mich doch viel nötiger als ich sie.“
Felicia starrte in Dr. Shanks tief liegende Augen. Er wandte den Blick nicht ab, sondern starrte unvermittelt zurück. „Du musst lernen, deine Begabung zu kontrollieren. Sonst wirst du andere Menschen und vor allem auch dich selbst in Gefahr bringen.“
Felicia zuckte zusammen. „Ich verstehe“, sagte sie schließlich.
„Schön. Also, fangen wir an.“ Dr. Shanks holte einen Bleistift aus seiner Kitteltasche und legte ihn direkt vor Felicia auf den Tisch. „Nun lass den Bleistift über den Tisch gleiten, bitte.“
„Was?“
„Lass den Bleistift über den Tisch gleiten“, wiederholte Dr. Shanks.
„Ich … ich weiß nicht, ob ich das kann“, stammelte Felicia. Sie hörte, wie das Piepen des Apparats schneller wurde, genau wie ihr Herzschlag. Ihre Hände fingen an zu schwitzen.
„Das lasse ich nicht gelten“, erwiderte Dr. Shanks. „Also los, lass den Bleistift über den Tisch gleiten!“
„Ich kann aber nicht!“
Dr. Shanks schlug mit der Handfläche auf den Tisch. „Was habe ich dir soeben erklärt? Das hier ist kein Spiel! Es geht auch nicht um einen Test allein. Sondern es geht um dein Leben, mein Fräulein!“
„Brüllen Sie mich nicht so an!“, rief sie. „Ich kann nichts dafür! Schließlich bin ich nicht einer Ihrer blöden Apparate! Sie können mich nicht einfach nach Belieben ein- und ausschalten! Und jetzt gehen Sie mir aus den Augen!“
Dr. Shanks holte tief Luft. Dann beugte er sich über den Tisch und hielt sich mit den Händen an den Tischkanten fest. Er beugte sich so nah zu Felicia herüber, dass sein Atem ihr ins Gesicht schlug. Er roch nach einer Mixtur aus Zwiebeln und Pfefferminz.
„Mein Fräulein, dir ist offenbar nicht ganz klar, dass du mit einer der bemerkenswertesten Begabungen gesegnet bist, die auf dieser Erde vorkommen. Ich gebe dir den guten Rat, mitzuarbeiten und dich zu konzentrieren. Es wird dir nichts nützen, wenn du dich weigerst. Es gibt noch mehr wichtige Leute, die daran interessiert sind, herauszufinden, wie deine Begabung funktioniert. Und eins kannst du mir glauben, deren Unter suchungsmethoden werden für dich um einiges schmerzhafter sein als diese hier. Hast du mich verstanden?“
Felicia hätte sich am liebsten diese juckenden Elektroden vom Kopf gerissen und das Weite gesucht. „Nein“, sagte sie sich. „Ich muss stark bleiben. Ich muss es versuchen.“
Denn sie wusste, dass Dr. Shanks nicht log. Ihr Vater hatte ihr schließlich dasselbe gesagt – eine ganze Reihe von Ärzten warteten nur darauf, ihre merkwürdige Begabung zu testen. Shanks war bestimmt nicht der Schlimmste von ihnen.
Sie starrte den Bleistift an.
„Konzentriere dich!“, befahl er.
Sie fixierte den Stift. Den rosaroten Radiergummi. Die gelbe Farbe. Die scharfe schwarze Bleistiftspitze.
Das Piepen im Hintergrund wurde schneller. Felicias Herz pochte in ihrer Brust. Vor Zorn. Und vor Angst.
„Komm schon!“, befahl sie sich selbst. „Na, komm schon!“
„Du konzentrierst dich nicht richtig!“, flüsterte Dr. Shanks.
Aber sie tat doch, was sie konnte! Sie richtete ihre ganze Willenskraft auf diesen Bleistift. Und jetzt tat sich etwas!
Etwas fing an, in ihr zu wachsen. Sich langsam aufzublasen. Wie ein Ballon.
„Konzentrieren!“, befahl Dr. Shanks. Seine Stimme grub sich tief in ihr Gehirn.
Ihre Macht wuchs.
Sie zwang sich noch mehr.
Das Piepen wurde schneller und schneller. Felicia spürte, wie das Blut durch ihre Venen rauschte.
„Puls hundertzehn“, ertönte eine Stimme von irgendwoher. „Blutdruck hundertachtzig.“
Felicia presste ihre Fingernägel in ihre Handflächen. Sie wurden feucht. Vom Schweiß oder von Blut? Sie hätte es nicht sagen können.
„Konzentrieren!“, rief die Stimme.
Die Stimme des Arztes. Die Stimme des Feindes.
Töte den Feind.
Es war, als ob die Macht in Felicias Kopf explodierte. Plötzlich wurde der Bleistift Teil ihres Willens. Und sie wusste ganz genau, was sie in diesem Augenblick mit ihm machen wollte.
Der Bleistift fing an zu wackeln. Dann drehte er sich langsam der Länge nach um und zeigte mit der Spitze auf Dr. Shanks.
Felicia stellte sich vor, wie sie den Bleistift packte und mit aller Gewalt drückte. Der Bleistift hatte nun aufgehört zu wack eln und hob sich ein paar Zentimeter vom Tisch ab. Dort schwebte er, als warte er auf ihren nächsten Befehl.
„Jetzt!“, dachte sie. „Los jetzt!“
Sie setzte ihre Fantasie in die Tat um. Sie konzentrierte ihren ganzen Zorn, ihre Angst und ihren Frust in den Bleistift. Sie wusste, dass das nicht richtig war. Aber sie konnte nicht anders.
Felicia richtete den Bleistift auf das einzige Ziel, das sie vor sich sah, und schleuderte ihn mit all ihrer Kraft in sich los.
Sie stieß vor Anstrengung einen Schrei aus. Es war, als müsste sie einen riesigen Speer loswerfen. „Ich hab’s geschafft!“, dachte sie. „Jawohl, ich hab’s geschafft!“
Dann sah sie zu, wie der Bleistift wie eine Rakete durch den Raum schoss – mitten in Dr. Shanks’ linkes Auge hinein.
Felicia würgte und schloss die Augen. Sie konnte nicht hinsehen. Die Vorstellung, dass der Bleistift jetzt in Dr. Shanks Auge steckte, reichte ihr schon.
„Felicia!“, schrie Dr. Shanks.
Sie schüttelte den Kopf, immer und immer wieder, und kniff die Augen zusammen.
„Felicia!“, schrie er wieder. Zwei Hände packten sie an den Schultern und drückten sie mit aller Kraft auf den Stuhl nieder.
„Nein!“, kreischte sie. „Ich wollte das nicht! Es ist von selbst passiert!“
„Ich weiß!“, rief Dr. Shanks. „Ist das nicht faszinierend?“
„Was sagt er?“, wunderte sie sich.
„Öffne die Augen, Felicia!“, rief er außer sich vor Begeisterung.
Was war denn los? Das musste doch höllisch wehgetan haben!
Felicia schlug vorsichtig die Augen auf.
Dr. Shanks stand vor ihr und grinste. Sein Auge war unversehrt. Da steckte kein Bleistift drin. Nicht ein Blutstropfen lief ihm übers Gesicht.
„Sieh mal, was du gemacht hast!“, rief Dr. Shanks. Er zeigte auf den Bleistift, der im Schwarzen Brett hinter ihm feststeckte.
„Was …?“ Felicia brachte kaum einen Ton heraus.
„Du hättest mich beinah getötet!“, rief Dr. Shanks. „Um Haaresbreite hat mich der Stift verfehlt! Ist das nicht verblüffend?“
Eine Welle der Erleichterung überkam Felicia. Sie hatte ihn nicht umgebracht! Gott sei Dank!
„Dabei wollte ich es aber doch“, überlegte Felicia dann. „Ich wollte doch, dass der Bleistift ihn ins Auge trifft!“
Bei der Vorstellung wurde ihr fast schlecht. Nein! Das konnte einfach nicht wahr sein. Sie war doch keine Mörderin! Diese Macht musste dahinterstecken. Diese Macht hatte sie dazu gebracht, ihn verletzen und aus dem Weg schaffen zu wollen.
Diese Macht war der Inbegriff des Bösen!
„Hast du gesehen, dass du mich um ein Haar aufgespießt hättest?“, fragte Dr. Shanks. Felicia fand seine Begeisterung ganz schön pervers. Sie hätte ihn fast umgebracht – und er war außer sich vor Freude! „Ich habe gewusst, dass du es kannst! Ich habe es gewusst! Überleg doch mal, was du alles vollbringen könntest, wenn du lernen würdest, deine Telekinese zu kontrollieren. Überleg doch mal!“
Telekinese. Felicia fuhr zusammen bei dem Wort. Es klang eher nach einer Krankheit als nach der Fähigkeit, Gegenstände mit dem Willen in Bewegung zu setzen. Das war nichts Bewundernswertes. Und ein Segen schon gar nicht. Ihr Vater war der beste Beweis dafür. Die Begabung brachte nichts als Elend …
Felicia schüttelte den Kopf. „Denk nicht mehr darüber nach“, sagte sie sich. „Das Versuchslabor des Ridgely College liegt doch jetzt weit hinter dir.“
Und das war gut so. Keine Experimente mehr, keine Elektroden und kein Dr. Shanks.
Jetzt gab es nur Shadyside und das, was die Zukunft brachte. Sie brauchte nur über diese Brücke zu gehen.
Eine Hupe dröhnte hinter ihr. Felicia fuhr herum und riss vor Schreck die Augen auf.
Sie sah Scheinwerfer, die so grell waren, dass sie aussahen, als explodierten sie. Und sie hörte ein Geräusch, wie wenn Kies von Reifen zermahlen wurde.
Felicia schrie auf.
Das Auto raste direkt auf sie zu!
„Ich kann nicht mehr ausweichen!“, schoss es ihr durch den Kopf.
Zu spät, zur Seite zu springen!
Das Auto kam mit Getöse herangeschlittert.
„Halt!“, schrie Felicia. Aber der Wagen kam unabwendbar näher.
Ein Schwung Kieselsteine wurde aufgewirbelt und traf sie an Armen und Beinen.
Wenige Zentimeter von ihr entfernt kam der Wagen quietschend zum Stehen. Felicia stand da wie angewurzelt und zitterte am ganzen Körper.
Sie starrte das Auto an. Wie war es möglich, dass es sie nicht erfasst hatte!
Die Karosserie glänzte im Dämmerlicht. Es war ein knallroter Sportwagen. Der Motor dröhnte laut und hörte sich fast wütend an.
Jemand kurbelte das Beifahrerfenster herunter. Felicia näherte sich vorsichtig und spähte hinein.
„Auch eine Art, sich umzubringen“, sagte eine tiefe Stimme im Innern des Fahrzeugs.
Zuerst konnte Felicia den Fahrer nicht erkennen. Dann beugte er sich weiter zu ihr herüber. Er hatte rotes schulterlanges Haar und einen dichten roten Spitzbart. Sein Mund war voller schiefer Zähne, als er grinste und sagte: „Zwei, drei Zentimeter noch und dich hätte es mal gegeben.“
„Es … es tut mir leid“, stammelte Felicia. Ihr Herz pochte laut. „Ich habe Sie nicht kommen hören.“
Der Mann zog eine Augenbraue hoch und ließ den Motor aufheulen. Es klang ganz schön gefährlich.
„Und so einen Motor willst du nicht gehört haben?“, fragte er ungläubig.
Felicia zuckte mit den Schultern. „Ich hab wohl vor mich hin geträumt.“
Der Mann musterte das zitternde Mädchen von oben bis unten. „Du brauchst einen Chauffeur, bei deinem Zustand.“
Was er nicht sagte! Zu fragen brauchte er wohl nicht! Die Kälte kroch langsam an ihr hinauf. Sollte sie vielleicht doch mitfahren? Na ja, es war wohl das Beste, wenn sie nicht erfrieren wollte. Aber mit diesem Kerl in einem Auto? Wer weiß …
„Steig ein“, sagte er.
„Ich weiß nicht …“
„Wenn du nicht einsteigst, dann werde ich mich auch nicht bei dir entschuldigen, dass ich dich fast über den Haufen gefahren hätte. Tschüss.“
Er setzte den Wagen in Bewegung.
„Warten Sie!“
Der Mann setzte den Wagen wieder zurück und schaute Felicia erwartungsvoll an.
„Es … es ist ja wirklich eiskalt“, dachte Felicia. „Okay“, sagte sie schließlich. „Entschuldigung angenommen.“
„Cool“, sagte er. „Schwing dich rein, auf geht’s.“ Felicia stieg ein und verstaute ihren Rucksack auf dem Boden zwischen den Beinen. Der Fahrer trat aufs Gaspedal. Mit quietschenden Rädern brauste der Wagen auf die Brücke zu. Er legte noch einen Zahn zu, als sie die Teerstraße auf der anderen Seite erreichten.
Felicia legte schnell den Sicherheitsgurt an.
„Hast du auch einen Namen?“, fragte der Mann.
„Felicia“, antwortete sie. Sie musterte ihn beim Fahren von der Seite. Seine Wangen waren voller Aknenarben. Er hatte eng stehende Augen. Und dicke Armmuskeln. Seine Arme waren vom Handgelenk bis zum Ellbogen mit schwarzem Stacheldraht tätowiert und von den „Wunden“ tropfte „Blut“.
„Wenn das mal kein Fehler war, hier einzusteigen“, dachte Felicia. Ihr war ganz schön mulmig zumute.
„Ich heiße Lloyd“, nuschelte der Mann. „Meine Freunde nennen mich Killer.“ Er grinste. „Aber du brauchst mich nicht so zu nennen. Noch nicht.“
Felicia setzte ein Lächeln auf. „Lieber Himmel, wie kann ich bei jemandem einsteigen, der Killer heißt!“, dachte sie entsetzt. „Den fordere ich besser nicht heraus.“
„Cool“, sagte sie. „Wieso nennen die dich so?“
„Weil ich ein Mörder bin!“, prustete Lloyd los.
Felicia fuhr ein Schauer über den Rücken.
„Was?“, fragte sie vorsichtig.
„War nur ein Witz“, murmelte Lloyd.
Felicia lächelte pflichtbewusst. „Wer weiß, ob das wirklich ein Witz war“, dachte sie nervös.
„Äh, Lloyd?“, sagte Felicia und schluckte. „Du könntest mich eigentlich hier rauslassen.“
Erstaunlich, wie ruhig sie klang. Dabei starb sie beinah vor Angst.
Lloyd machte ein finsteres Gesicht. „Warum?“, fragte er.
„Ich … ich glaube, es hat aufgehört zu regnen. Ich möchte lieber laufen.“
„Jetzt mal langsam“, sagte Lloyd und zupfte seinen Spitzbart noch spitzer. „Um eins klarzustellen: Erst flehst du mich um Hilfe an und liegst mir zu Füßen, damit ich dich mitnehme, und dann willst du nichts mehr davon wissen? So von wegen ‚Halt an, ich brauch dich nicht mehr‘?“ Lloyd grinste sie höhnisch an.
Felicia drückte sich erschrocken gegen die Wagentür. „Es tut mir leid, Lloyd. Ich wollte dich wirklich nicht beleidigen. Aber ich habe dich doch gar nicht gebeten anzuhalten!“
„Du lügst! Es blieb mir doch gar nichts anderes übrig, als anzuhalten!“ Lloyd fuhr mit der Hand unter den Fahrersitz und brachte ein Springmesser zum Vorschein. Klick! sprang die blitzende lange Klinge heraus.