Kapitel 1: ADELA – Bei allen Dunkelhexen!« …
Kapitel 2: TRISTAN – Es war reine …
Kapitel 3: ADELA – In Anbetracht der …
Kapitel 4: TRISTAN – Der blauschimmernde Lufthauch …
Kapitel 5: ADELA – Nie wieder, schwor …
Kapitel 6: TRISTAN – Wie lange es …
Kapitel 7: ADELA – Während der Physikstunde …
Kapitel 8: TRISTAN – Chris war im …
Kapitel 9: ADELA – Papàs Wut roch …
Kapitel 10: TRISTAN – Stöhnend schob ich …
Kapitel 11: ADELA – Der Morgen hatte …
Kapitel 12: TRISTAN – Meine Unruhe steigerte …
Kapitel 13: ADELA – Du solltest dich …
Kapitel 14: TRISTAN – Es war das …
Kapitel 15: ADELA – Ich blieb im …
Kapitel 16: TRISTAN – Ich musste von …
Kapitel 17: ADELA – Mein Rachen verbrannte …
Kapitel 18: TRISTAN – Mein Körper stand …
Kapitel 19: ADELA – Das Kleid war …
Kapitel 20: TRISTAN – Ich war in …
Kapitel 21: ADELA – Meine liebste Adela!« …
Kapitel 22: TRISTAN – Meinem alten Ich …
Kapitel 23: ADELA – Der Kuss glich …
Kapitel 24: TRISTAN – Carina stieg zu …
Kapitel 25: ADELA – Mussten sie ausgerechnet …
Kapitel 26: TRISTAN – Den gesamten Vormittag …
Kapitel 27: ADELA – Ich spürte die …
Kapitel 28: TRISTAN – Ich küsste sie …
Kapitel 29: ADELA – Ich hatte die …
Kapitel 30: TRISTAN – In einem Moment …
Kapitel 31: ADELA – Es war Wochenende. Normale …
Kapitel 32: TRISTAN – Obwohl das gleichmäßige …
Kapitel 33: ADELA – Ich parkte den …
Kapitel 34: TRISTAN – Kannst du mir …
Kapitel 35: ADELA – Sie wussten alle …
Kapitel 36: TRISTAN – Roger beobachtete mich …
Kapitel 37: ADELA – Die angespannte Erwartung …
Kapitel 38: TRISTAN – Schreie. Überall waren …
Kapitel 39: ADELA – Blutmagie. Meine eigene …
Kapitel 40: TRISTAN – Noch zwei weitere …
Kapitel 41: ADELA – Ich fühlte mich …
Nachwort
Bisher von Stefanie Hasse bei Loewe erschienen
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Impressum
Für alle, die schon immer
an Magie geglaubt haben.
Ihr hattet recht.
Die Bronzefiguren am Brunnen des oberen Marktplatzes warfen ihre Schatten auf das unebene Pflaster. Das diffuse Licht der neuen, energiesparenden Straßenlaternen spiegelte sich auf den starren Gesichtern der Marktfrauen und ihren Kundinnen, während die Fassade des modernen Einkaufszentrums gegenüber, die den mittelalterlichen Giebelhäusern nachempfunden war, im Dunkeln lag. Vom alten Stadtzentrum waren nur drei wirklich historische Gebäude übriggeblieben, die nun Zeuge wurden, wie eine Person zwischen der Gastwirtschaft Zum Hasen und dem ehemaligen Rathaus hervortrat und über den Marktplatz huschte. Die Kapuze ihrer langen roten Robe verhüllte ihr Gesicht, als sie sich über den Brunnen beugte.
Magie flammte auf, rotglühend und so anders, dass selbst jede Hexe und jeder Hexer sofort davongelaufen wäre. Die Figuren am Brunnen reflektierten das rote Leuchten, ihre vormals freundlichen Gesichter verzerrten sich zu Fratzen, während sie sich leise knarzend zu bewegen begannen.
Das Metall ächzte, als die Verankerungen rissen. Magie war stärker als Metall. Der kleine Bauernjunge sprang als Erstes vom Brunnen, jeder Schritt von einem sanften roten Schimmer umgeben. Er rannte davon, trommelte gegen die Schaufensterscheiben des Rewe-Marktes und stemmte sich gegen eines der wenigen geparkten Autos. Doch erst mithilfe zweier weiterer Figuren – der Dame mit der Geldbörse und der Marktfrau mit dem Apfel in der Hand – konnte er das Auto so weit anheben, dass es erst auf die Seite kippte und dann mit einem satten Knirschen auf dem Dach liegen blieb. Der Alarm schallte über den oberen Marktplatz hinab bis zum heutigen Stadtkern, die Mittelstraße entlang bis zu den ersten Wohngebäuden.
Das Stadtzentrum erwachte, die Menschen strömten auf die Straßen und mussten fassungslos mitansehen, wie die zum Leben erwachten Figuren des beliebten Marktbrunnens die Stadt verwüsteten.
Doch das war nicht das Ungewöhnliche.
Je mehr Menschen auf die Straße traten, desto mehr von ihnen gesellten sich dazu. Die roten Roben unter langen Mänteln verborgen, die Mienen bemüht schockiert, um zwischen all den verblüfften und panischen Menschen nicht aufzufallen. Aber es war ihr nur für Hexen und Eingeweihte sichtbares rotes Leuchten, das die Brunnenfiguren wie Marionetten bewegte und dafür sorgte, dass in diesem Moment wirklich jeder an Magie glaubte.
Bei allen Dunkelhexen!«, schimpfte ich und schmetterte den hölzernen Stößel in den sowieso schon zerbeulten Kessel, aus dem weißer Rauch aufstieg. Das Echo des Aufpralls schwebte noch einen Moment in meinem Labor umher und vervielfältigte mein Scheitern auf dramatische Weise. Es glitt von den dunklen Holzregalen mit den zahlreichen Zutaten zu der hohen Decke, unter der Kräuterbüschel trockneten, streifte die zahlreichen Gaslaternen, die ich für meine Arbeit immer noch am stimmungsvollsten fand, bis zur Wand hinter mir, an dem das für den Rest der Einrichtung viel zu moderne Edelstahl-Waschbecken hing.
Wieso funktionierte die Verbindung nicht? Ich hatte alles bis ins Detail berechnet, sämtliche Zutaten frisch überall auf der Welt besorgen lassen. Lag es an der Sigille? Hatte ich die Worte falsch gekürzt? Oder war mein Vorhaben, das Medikament mit unserer Heilmagie zu verstärken, zu ambitioniert, als was es letztens sogar im Rat belächelt worden war?
Ich atmete tief ein. Seltsamerweise roch mein Scheitern nach Cola. Aber vielleicht lag das auch an den Inhaltsstoffen des Medikaments.
Also begann ich von vorne und sah mir den Zauberspruch erneut an, kürzte alle Buchstaben, die doppelt vorkamen, und zeichnete – wie Hexen im ersten Ausbildungsjahr! – die Sigille direkt neben dem Hexenrad, das in jedem Grimoire abgedruckt war, als wüsste nicht schon jede Junghexe, an welcher Stelle der drei konzentrischen Kreise des Hexenrades jeder einzelne Buchstabe des Alphabets lag.
Das Ergebnis sah bei einem komplexeren Zauber wie diesem aus, als hätte ein Kind wild aufs Papier gekritzelt. Und das, obwohl der Zauber zu einem knappen Befehl gekürzt war: Verstärke die Wirkung des Medikaments mit Magie.
Vielleicht war »Medikament« zu allgemein und ich musste den Wirkstoff selbst nennen? Magiewissenschaft war – egal was das Wort behauptete – keine Wissenschaft wie die Biochemie, die der Herstellung der Tabletten vor mir zugrunde lag. Ich zerknüllte das Papier mit der Sigille und notierte den Wirkstoff anstatt »Medikament«, kürzte und zeichnete die Sigille erneut.
Schnell kippte ich den noch immer schwelenden Inhalt des Bronzekessels ins Waschbecken an der Wand, füllte ihn anschließend mit drei der Tabletten und streute frisch zerstoßene Kräuter aus der verfärbten Holzschale neben mir darauf.
Jetzt war es an der Zeit, den Zauber an das Element zu übergeben. Die dafür benötigte Kerze stand, ganz wie im Lehrbuch, direkt neben dem Kessel.
Ich konzentrierte mich auf meinen Zauber, während ich das Papier in die Flamme hielt. Meine eigene Sigille, die aus den Buchstaben meines Namens bestand und meine ureigene Magie nach außen brachte, leuchtete auf. Die Magie wand sich in bläulichweißen Rauchschwaden von der Sigille am linken Handgelenk über den Handrücken, floss über meine Finger hinweg in das glimmende Papier mit der Sigille.
»Ciao, Lieblingsschwester«, erklang Glorias Stimme direkt neben meinem Ohr. Vor Schreck ließ ich das brennende Papier fallen. Natürlich nicht in den Kessel, wo es hingehörte, sondern direkt auf den massiven Arbeitstisch aus magiegetränktem Kirschbaumholz. Ein Brandfleck mehr fiel auf der Oberfläche glücklicherweise nicht auf.
Seufzend drehte ich mich zu Gloria um, die ihre Jägeruniform trug. Die dunklen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, die eng anliegende weiße Kleidung umschmeichelte ihre Kurven. Mit Blick auf das inzwischen verbrannte Stück Papier auf meinem Arbeitstisch fragte sie: »Kommst du gut voran?«
Ich warf ihr einen Blick zu, der ihr ganz genau sagte, wie gut ich vorankam, ehe ich erwähnte, dass sie nur eine Schwester hatte. Sie grinste mich nur an und klimperte mit ihren dichten Wimpern, ehe sie sich über das aufgeschlagene Grimoire neben meinem Kessel beugte und so tat, als würde sie verstehen, was dort stand.
»Wofür wohl werde ich bei der nächsten Konferenz der Magiewissenschaft ausgezeichnet werden?«, fragte sie unschuldig.
»Wenn es weiter so läuft, für gar nichts.« Ich stieß erneut einen Seufzer aus, las das Stück Papier auf und beförderte es ebenfalls ins Waschbecken, wo ich mir auch direkt die Aschereste von den Fingern spülte.
»Das hast du auch letztes Jahr gesagt. Das Jahr davor auch. Und jedes Mal hast du es geschafft. Es wird klappen, ich glaube an dich, Ela.« Ich sah über die Schulter und Gloria warf mir einen Luftkuss zu. »Was hältst du davon, wenn ich dir helfe?« Ihre dunklen Augen reflektierten die Flamme und ließen Gloria teuflisch-verrückt aussehen. Sie hatte keinerlei Talent für Tränke, geschweige denn für Magiechemie. Daher zweifelte ich ernsthaft daran, ob es eine gute Idee war, wenn sie mir beim Zaubern half.
»Du?«
»Wenn ich schon das Lob für deine Arbeit bekomme, könnte ich dich dabei ja wenigstens unterstützen. Wenn du fertig bist, können wir …«
Ich seufzte. Natürlich gab es einen Grund, weshalb sie hergekommen war.
»Sorry«, sagte Gloria sofort. »Aber die Entwürfe der Designer für die drei Ballnächte zum Walpurgisritual sind da. Du musst mir beim Aussuchen helfen!« Ihre Stimme klang so verzweifelt, dass ich mich geschlagen gab. Sie war eine grandiose Jägerin, reiste via Sigillenfährte auf der ganzen Welt umher, um Dunkelhexen einzufangen, aber wenn es um Kleider ging, benahm sie sich schlimmer als menschliche Teenager.
»Was tust du eigentlich hier?«, fragte ich, während ich ihr durch den Innenhof der Villa folgte, wo eben die Außenlaternen mit Dämmerungssensor angingen. Den im Wetterbericht angekündigten schönen Frühlingstag in Rom hatte ich wohl verpasst. Wo war die Zeit denn nur geblieben? »Solltest du nicht noch beim Training sein?«
»Papà meinte, die Vorbereitungen zum Ball seien ebenso wichtig wie das Training.«
Das bezweifelte ich stark. In unserer Familie war das Training oberste Pflicht. Das hatte bis vor vier Jahren auch für mich gegolten. Seit Generationen stellten wir Jägerinnen und Jäger für die gefährlichsten Missionen. Kleidungsfragen hatten nie Priorität. Auch wenn Kleider zum Hexenereignis der Dekade gehörten wie eine Krone zu einer Prinzessin.
Die Erneuerung des Occultatums, das verhinderte, dass Menschen unsere Magie sehen und deshalb verhext werden konnten, war jedoch in erster Linie gefährlich, daher galt: Training über Kleidung. Alle Hexen und Hexer der Welt würden anwesend sein. Nicht nur diejenigen, die sich der lichten Magie und der Erneuerung des Occultatums verschrieben hatten, sondern auch Dunkelhexen, die Magie mit Blut wirkten. Dessen war ich mir mehr als alle anderen Hexen bewusst. Umso wichtiger war meiner Meinung nach das Training.
Gloria sah es anders. »Hattest du deinen Termin bei Signora Rosalia eigentlich schon?« Sie schwebte nahezu zwischen den Beeten im Innenhof hindurch bis zum Eingang der Villa. Ihre dunklen Augen leuchteten, während ich meinen Kopf schüttelte.
»Ich habe mir ihre Entwürfe zeigen lassen, aber ich kann mich einfach nicht entscheiden«, fuhr sie fort, zog mich dann mit sich an den Portraits unserer berühmten Ahninnen vorbei bis zur Eingangshalle, während sie unentwegt plapperte: »Signora Rosalia schwört darauf, dass sie weiß, welche Epoche der Trend bei den Bällen sein wird.« Sie grinste wie früher beim Anblick ihrer Geburtstagsgeschenke. »Wir werden uns vor Angeboten kaum retten können. Hast du in der Hexen heute den Bericht über die Gastgeberfamilie gelesen? Oder die Fotos angeschaut?« Wir stiegen gerade die breite Treppe empor. Gloria hielt sich am mit Blattgoldelementen verzierten Geländer fest, wandte sich um und warf mir einen verschwörerischen Blick zu.
»Du weißt, dass Fotos manipuliert sein könnten.« Was Unwissenden mit Photoshop gelang, funktionierte für uns mit einer lässigen Handbewegung.
»Jetzt verdirb mir doch nicht die Vorfreude!« Ein paar Hexenfunken schossen auf mich zu und ich duckte mich schnell darunter weg, auch wenn sie mich nicht verletzt hätten.
Gloria wusste genau, dass ich diesen Teil der nächsten Wochen verabscheute. Große Bälle, um einen passenden Partner zu finden, waren so … letztes Jahrtausend. All der Prunk, die Zurschaustellung – vor allem bei den Gerüchten rund um unsere Familie, die in den letzten Monaten immer weiter hochgekocht waren wie ein falsch dosierter Trank im Kessel. Gloria würde sich vor Anfragen kaum retten können und Dutzende belangloser Smalltalks mit unpassenden Partnern führen müssen. Über diese Konsequenz des Bans war ich nicht böse. Er hielt mich bis zum letzten Moment von diesen Oberflächlichkeiten fern. Unmagische fanden ihre Partner heutzutage doch auch ohne das ganze Tamtam und ich konnte das auch.
Seufzend ließ ich mich auf das gigantische Himmelbett in Glorias Zimmer fallen und ließ mir von ihr die Entwürfe zeigen, ein Kleid opulenter als das andere. Die Skizzen hatten jedoch alle eins gemeinsam: Sie waren blau – das dunkle Blau der Familie Mescinia. Und es war kein einziges schlichtes, moderneres Kleid darunter. Mir graute schon davor, mich in ein Mieder quetschen zu müssen – denn die waren in diesem Jahrzehnt unumgänglich, gab mir Gloria die Aussage von Signora Rosalia weiter.
»Was hältst du von dem hier?« Gloria deutete auf ein Rokokokleid. Den dunkelblauen Seidenmanteau verzierten vorne etliche Edelsteine, die Ärmel waren innen hochgesteckt, sodass der silbern schimmernde Unterstoff hervorlugte. Mich störte besonders die Raffung an den Hüften, die die Trägerin doppelt so breit erscheinen ließ.
Noch ehe ich Gloria meine Gedanken mitteilen konnte, gingen unsere Handys los. Der Alarmton war nur für einen einzigen Kontakt reserviert. Ich hatte ihn noch nie gehört. Weder in den letzten vier Jahren, in denen ich vor der Hexengemeinschaft verheimlicht wurde, noch in meinen aktiven Jahren davor.
Das Blut gefror in meinen Adern. Der beißende Geruch von Glorias Angst kroch in meine Nase.
Gloria hatte sich schneller gefangen und las die Nachricht vor, die alle Jägerinnen und Jäger in Alarmzustand versetzen musste. »Es gab einen Dunkelhexenanschlag auf Falkhausen. Das ist dort, wo …«
»Ich weiß, wo es ist.« Auch wenn ich seit vier Jahren in meinem Labor allein vor mich hin forschte, kannte ich mich auch in der Hexenwelt aus. Vor allem, wenn es um das Ereignis der Dekade ging: das Walpurgisritual.
Glorias schockgeweitete Augen ließen meinen aufgekommenen Ärger über die mir unterstellte Unwissenheit in Rauch aufgehen wie die Sigille bei einem Zauber.
»Sind Menschen zu Schaden gekommen?«
Glorias Augen flogen über den Text. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, das nicht. Aber sie haben die Auswirkungen von Magie gesehen. Alle Brigaden sollen sofort via Sigillenfährte nach Falkhausen reisen, um die Menschen das vergessen zu lassen.«
Pure Erleichterung durchflutete mich. Es waren nur noch wenige Tage bis zur Walpurgisnacht, wenige Tage bis wir das Occultatum erneuern konnten, das unsere Magie vor den Menschen verbarg. Wenn sie uns bemerkten und wir deshalb das Ritual nicht durchführen könnten, wäre das der Anfang vom Ende. Selbst wenn die Menschen gelegentlich die Auswirkungen von Magie bemerkten, konnten sie dank des Occultatums doch nicht erkennen, wer sie wirkte. Nicht wie früher, als man tatsächlich hin und wieder Hexen gefangengenommen und getötet hatte, weil ihre Magie zu sehen gewesen war.
Glorias Handy summte erneut. Eine normale Nachricht. Mit zusammengezogenen Brauen las sie und sagte dann: »Mamma und Papà haben mich angewiesen, nicht nach Deutschland zu reisen. Ich soll mit dir trainieren.«
»Wirklich?« Es klang zu unglaublich, um wahr zu sein. Ich war seit Jahren nicht mehr beim Training gewesen, hatte mich nur in meinem Labor verschanzt. Es war zu gefährlich für mich. Der Rat und meine Eltern trauten niemandem.
»Alle werden unterwegs sein und die Menschen schnell unter Kontrolle haben. Aber Mamma befürchtet weitere Anschläge. Wir brauchen dann vielleicht jeden Jäger, den wir haben. Und da gehörst du auch dazu.« Dann grinste sie und der süße Geruch ihrer Herausforderung wehte zu mir. »Oder bist du zu eingerostet, um mit mir mithalten zu können?«
»Niemals!« Ich nahm die mir entgegengestreckte Hand an und Gloria zerrte mich hinaus aus ihrem Zimmer bis zur großen Treppe beim Eingang. Die Tür direkt darunter führte zum Trainingsraum.
Noch ehe Gloria die Tür hinter uns geschlossen hatte, warf sie einen Fluch auf mich. Der Angriffszauber blitzte auf, als er auf meine hastig errichtete Verteidigung stieß. Ich sprang über die nächste Welle blauschimmernder Magie hinweg, brachte meine Sigille erneut zum Aufleuchten und schmetterte meinerseits einen Fluch auf Gloria, den sie lachend abwehrte.
»Du bist doch eingerostet, Labormädchen«, lachte sie, in ihren Augen blitzte etwas auf, das ich vorher noch nie gesehen hatte und nicht zuordnen konnte. Sie warf einen Fluch nach dem anderen auf mich, brachte mich zum Stolpern, schnitt in meinen Arm oder sogar direkt in meine Sigille, wenn ich mich nicht schnell genug verteidigte. Es dauerte aber nicht lange, bis sich mein Körper wieder an die seit meiner Kindheit einstudierten Bewegungsabläufe und all die Zauber erinnerte.
Eine Jägerin blieb eindeutig immer eine Jägerin, egal wie lange sie sich in ein Labor zurückzog und die Magiewissenschaft vorantrieb.
Während ich es immer wieder schaffte, auch Glorias Abwehrzauber zu durchbrechen, keimte in meinem Unterbewusstsein ein Gedanke, wuchs weiter und weiter, während unablässig blau-weißes Licht aus unseren Sigillen schoss.
Es war reine Schikane. Wie immer. Mit einem vermutlich antiken Besen in der Hand stand ich am Rand des alten Marktplatzes und fegte die Straße. Als könnten die anderen das Chaos nicht mit nur einem schnellen Zauber beseitigen! Die alten Gebäude, für die der Verschönerungsverein derzeit Denkmalschutz verlangt hatte, boten die perfekte Kulisse. Hinzu kam der Nebel, den die erste Jägerbrigade direkt nach ihrer Ankunft hatte aufziehen lassen, um sich besser zu tarnen. Die Weißroben waren überall und erinnerten mich wieder und wieder an den Abend, an dem sie meinen Vater mitgenommen hatten.
Ich sah mich unentwegt um und war damit nicht der Einzige. Selbst die Hexen, die sich wenigstens ernsthaft wehren konnten, machten sich Sorgen, während sie den Jägern einen unwissenden Menschen nach dem anderen zur Löschung der Erinnerungen brachten.
Die Stadt war angegriffen worden! Von Dunkelhexen! Natürlich kannte ich die Gerüchte um die Angriffe der Blutmagier, aber sie alle hatten weit entfernt stattgefunden. Nicht hier, so nah, dass ich unwillkürlich Angst um all die Unwissenden dort draußen hatte, Menschen, denen ich tagtäglich begegnete.
Während ich die Scherben einer zerbrochenen Autoscheibe zusammenfegte, beobachtete ich Chris und Noah. Ihre linken Unterarme gaben ein konstantes bläuliches Leuchten ab. Sie wirkten einen Zauber nach dem anderen, reparierten zerstörte Scheiben und entfernten die Beulen aus den geparkten Autos, während die Jäger umherhuschten wie Geister und die zum Leben erweckten Bronzefiguren des alten Brunnens einfingen. Die Figuren hatten keine Chance. Ebenso wenig, wie mein Vater eine Chance gehabt hatte.
Erst durch den metallischen Geschmack im Mund bemerkte ich, wie fest ich mir auf die Wange gebissen hatte. Meine Finger waren um das raue Holz des Besens verkrampft.
»Warum fegst du die Straße?«, fragte mich ein dunkelhaariger Mann in weißer Robe, den ich so auf Mitte vierzig schätzte. Er hob bereits die Hand, um die Scherben mit Magie einzusammeln, aber jemand trat zu uns und legte seine Hand auf den linken Arm des Mannes, bis dieser ihn senkte und das Leuchten verblasste.
»Tristan will auch seinen Beitrag leisten«, sagte Noah und mein Griff wurde noch fester, während der Mann sich mit einem Schulterzucken abwandte und woanders seine Magie wirkte.
Noah trat mit einem gehässigen Grinsen noch näher, begutachtete die Scherben zu meinen Füßen, die ich aufgehäuft hatte. Seine Sigille leuchtete noch von der Reparatur des Schaufensterglases der Apotheke.
Ehe ich irgendwie reagieren konnte, floss das bläulich schimmernde Licht aus seiner Sigille heraus nach unten und zerstreute die Scherben wieder wie eine Windböe einen Laubhaufen.
Beruhige dich, ermahnte ich mich und schloss die Augen. Noch genau 211 Tage bis zu meinem achtzehnten Geburtstag, zu meiner Freiheit. Ich zählte die Tage, bis ich endlich zum Unwissenden werden und der Hexenwelt entfliehen konnte, wie menschliche Kinder die Tage bis Weihnachten.
In Anbetracht der Ereignisse letzte Nacht neige ich dazu, dir die Erlaubnis zu erteilen«, sagte Calliope kühl und starrte mich einen endlosen Moment an, ohne auch nur einmal zu blinzeln. Meine Fingerspitzen kribbelten und ich hatte Mühe, stillzustehen. »Aber du wärst komplett schutzlos, das kann ich nicht verantworten.«
»Es ist unsere einzige Chance! Niemand wird mich als Hexe erkennen, ich bin seit vier Jahren nicht mehr öffentlich aufgetreten. Die Pr…« Mein Magen ballte sich zusammen und anstelle meiner Worte stieg schwarzer Rauch aus meinem Mund. Der Ban, der mächtigste vom Rat gewirkte Bannzauber, machte es mir unmöglich, über die Prophezeiung zu sprechen. Ich kippte vornüber und stützte mich nach Atem ringend auf meinen Oberschenkeln ab, um nicht auf die Knie zu fallen oder mich auf den hellen Marmor zu übergeben. Ich würgte.
Hastig blinzelte ich die Tränen weg. Der Druck auf meine Augen verschwand nur langsam, die dunklen Fliesen des Pentagramms ringsum gewannen wieder an Kontur. Nach Luft ringend richtete ich mich auf. »Niemand weiß, wer ich bin. Ich werde sogar mit dem Zug anreisen, um jegliche magische Nachverfolgung unmöglich zu machen.«
Calliope sah zu Sato und ich flehte ihn stumm um ein Ja an. Gegen die Stimme des stellvertretenden Ratsvorsitzenden könnten auch meine Eltern nicht mehr einschreiten.
Die Wände des fensterlosen Raumes rückten näher, während Sato ganz offensichtlich das Für und Wider gegeneinander aufwog, seine eigene Position im Rat gegen das Wohl aller Hexen. Seine Zweifel tränkten die Luft, vermischten sich mit der rauchigen Note von Calliopes Macht.
Sein tiefer Atemzug durchbrach die gnadenlose Stille im Saal. Er nickte und ich stieß erleichtert die Luft aus.
Calliope sah weder unzufrieden noch froh aus. Sie war schwerer zu lesen als Sigillen. Ohne den zitrusähnlichen frischen Geruch, der zu mir durchdrang, hätte ich nicht vorhersehen können, wie ihre Antwort ausfallen würde.
»So sei es. Deinem Vorschlag wird zugestimmt. Wir werden ebenfalls nach Falkhausen reisen und uns dort einquartieren, damit du uns Bericht erstatten kannst.« Sie stand auf und ihre Sigille begann zu leuchten. »Adela Mescinia, finde denjenigen, der das Ritual sabotieren wird. Handle nicht auf eigene Faust. Du unterstehst dem Gesetz der Hexengemeinschaft wie alle anderen auch. Ziehe die Jäger hinzu, sobald ein hinreichender Verdacht besteht, dass die Weißroben eingreifen müssen.«
Das Leuchten an ihrem Unterarm wurde stärker, schwebte zu mir und sickerte als unsichtbare und dennoch unberechbare Anweisung in meine Haut. Ihre Abschiedsworte hingen noch im Raum, als sie bereits verschwunden war. »Bewahre das Erbe. Bewahre die Tradition.«
Zurück in unserer römischen Stadtvilla fragte ich mich, weshalb ich Angst vor Calliope gehabt hatte, wo meine Eltern noch viel Furcht einflößender sein konnten. Alfredo und Giulia Mescinia saßen mir gegenüber an dem überdimensionierten Esszimmertisch, lehnten sich in ihren von den Arbeiten in der Nacht schmutzigen Jägeruniformen steif gegen die hohen gepolsterten Stühle mit den Renaissance-Schnitzereien. Es war ja klar, dass sie mein Vorgehen im Rat missbilligten, aber jetzt war ihr Gesichtsausdruck geradezu inquisitorisch. Kaum dass Papà die Dienstboten fortgeschickt hatte, bröckelte ihrer beider Miene.
Mamma sah nun regelrecht gequält aus. Der Gedanke, dass ich dafür verantwortlich war, zerriss mir das Herz. Und doch musste ich mich beherrschen, durfte nicht nachgeben. Mir war klar, dass Mamma Angst um mich hatte, mich beschützen wollte. Aber wie meine Schwester Gloria immer sagte, würde sie mich nicht für immer beschützen können. Ich nahm ihre Hand und drückte sie sanft, bis Mamma wieder gefasster wirkte.
Wir schwiegen uns weiter an. Niemand sprach über die Vision der Auguren, die Prophezeiung, die es mir ermöglicht hatte, mich mit meinem Vorschlag an Calliope zu wenden. Es hätte auch niemand darüber sprechen können, selbst wenn er gewollt hätte. Erneut stieg Magensäure meine Speiseröhre empor, der bittere Geschmack des schwarzen Rauchs haftete noch auf meiner Zunge.
Doch gegenüber den beiden Personen, die mich nun voller widersprüchlicher Emotionen im Gesicht musterten, musste ich auch nicht darüber sprechen. Sie kannten die Prophezeiung genauso gut wie ich.
Um meine Aufregung und Nervosität zu verbergen, hatte ich meine Hände auf dem Schoß liegen, meine Fingernägel bohrten sich in meine Jeans. Die Zeit drängte. Und das wussten auch meine Eltern, ganz egal, was sie dabei empfanden.
Während sie schwiegen, starrte ich auf die bunten Flecken auf dem weitläufigen Marmorboden. Ich liebte diesen Moment des Tages, wenn die Sonnenstrahlen den kahlen großen Raum aus Weiß und Beige in ein Meer aus Farbtupfen verwandelten, sobald sie sich zu den Buntglasfenstern vorangetastet hatten. Von draußen drangen leise die Geräusche des erwachenden Roms an mein Ohr: Hupende Autos, weil es alle eilig zur Arbeit hatten, das Dröhnen der Kehrmaschinen, die all die Reste der nächtlichen Partys verschwinden ließen, ehe die Touristenbusse von Neuem anrollten. Die Müllautos waren glücklicherweise schon durch: Ihren Geruch konnte ich selbst durch die geschlossenen Fenster nicht ertragen und es hätte meinen gesamten Auftritt vor meinen Eltern versaut, wenn ich mich übergeben hätte. Dafür hatte ich zu lange auf eine solche Gelegenheit hingearbeitet. Nun konnte ich meine Eltern vor vollendete Tatsachen stellen.
»Calliope hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht«, sagte ich und rieb dabei über die Stelle an meinem Arm, an der das magische Dekret eingedrungen war. »Ich habe ihr und Sato meine Idee bereits letzte Woche präsentiert. Aber nach dem Anschlag letzte Nacht …«
Mehr musste ich nicht sagen. Mamma und Papà waren eben erst aus Deutschland zurückgekommen, kreidebleich und ausgezehrt von der Reise mittels Magie, der Sigillenfährte. Die beiden hatten dabei geholfen, den panischen Menschen, die mitten in der Nacht erst den Beweis für die Existenz von Magie gesehen hatten, die Erinnerung mithilfe des mächtigsten Zaubers der Jägergilde zu löschen. So etwas durfte nicht mehr passieren. Wir mussten die Dunkelmagier aufhalten und das wussten auch meine Eltern. Mein Vorschlag war die einzige Chance, diejenigen zu enttarnen, die das Walpurgisritual sabotieren wollten. Wenn wir sie nicht aufhielten, wäre es sinnlos, nach meinem Ritualpartner zu suchen, und wir könnten uns gleich für einen Krieg wappnen. Ein widerlicher Geschmack legte sich auf meine Zunge. Mammas Hand in meiner wurde eiskalt.
»Calliope hat mich direkt abgewiesen, obwohl Sebastien und ich sämtliche Möglichkeiten durchgegangen sind. Wir sind …«
»Dein Cousin hat dich dazu angestiftet?«, unterbrach mich Mamma und zog ihre Hand zurück.
Ich schüttelte den Kopf. »Das hat er nicht. Seit die Pr …, seit der Ban verhängt wurde, denke ich über eine Lösung nach. Meine Forschungen sind nicht weit genug, die Blutmagie zu entkräften. Die einzige Möglichkeit besteht darin, jemanden einzuschleusen.«
Papà verlor die Beherrschung. »Wie konnte Sato uns einfach übergehen?« Funken stoben von seinem Unterarm auf wie immer, wenn er seine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte. Sato und Papà waren oft unterschiedlicher Meinung, jedoch nie zuvor hatte man meine Eltern aus einer Entscheidung ausgeschlossen. »Der Rat hat genug andere Spione!«
Ich schluckte und sah meinem Vater direkt in die Augen. »Ihr wisst genau, dass wir keine andere Möglichkeit haben.« Mit einem tiefen Atemzug wappnete ich mich davor, ihnen geradeheraus das vorzuwerfen, was ich die letzten Jahre nur Gloria und Sebastien gegenüber ausgesprochen hatte. Ich wusste, es würde sie verletzen. »Ihr habt mich aus Sorge die letzten Jahre über versteckt, mit dem Ban wurde ich sogar aus sämtlichen offiziellen Registern gelöscht. Das ist jetzt unser Vorteil. Niemand weiß, wie ich aussehe, niemand kennt meinen Namen. Es gibt niemanden, der mich erkennen und enttarnen kann, sobald ich den Hämatit angelegt habe. Und ich bin ebenso gut ausgebildet wie Gloria.«
Als hätte ich sie gerufen, tauchte meine Schwester in dem Moment auf, als in Mammas Gesicht ihr schlechtes Gewissen aufflackerte. Es roch für mich leicht säuerlich wie die meisten negativen Gefühle. Aber ich konzentrierte mich auf die frische Note, die Gloria mitbrachte. Sie setzte sich neben mich, nun stand es zwei gegen zwei. Ich war mir ganz sicher, dass sie gelauscht hatte, denn kaum, dass sie sich gesetzt hatte, polterten ihr die Worte aus dem Mund.
»Ela hat recht und das wisst ihr genau. Ihr lasst sie seit Jahren nicht mehr zum Unterricht oder zu den Zirkeltreffen.« Sie zählte die Punkte an ihren Fingern ab. »Sie darf ohne Garde nicht einmal mehr die Villa verlassen. Auf Elas Forschungsergebnissen steht mein Name und alle denken, dass ich das Genie und die Begabte in der Familie bin, die Auserwählte.« Sie spuckte das Wort beinahe aus. »Und seit dem letzten Jahr habt ihr sie auch noch aus den offiziellen Akten gelöscht. Niemand kennt sie oder weiß auch nur von ihrer Existenz.«
Mamma war nicht in der Lage, mir oder meiner Schwester in die Augen zu sehen. Daher übernahm Papà das Reden, meine Schwester fest im Blick: »Gloria, wir sind dir dankbar, dass du Adela in der Öffentlichkeit vertrittst. Aber das hier …«, er hatte gewartet, bis ich ihn direkt ansah. »Es ist einfach zu gefährlich.«
»Nicht gefährlicher als das, was mir bevorsteht, wenn ich es nicht schon durch diesen Einsatz verhindern kann.«
Dieses Mal gewann ich das Blickduell gegen Papà. Mamma verzog den Mund. Auch wenn ich ihr ansehen konnte, wie sehr sie sich dagegen sträubte, mich gehen zu lassen, nannte Mamma mir ihre Bedingung: »Du kannst gehen, aber du wirst niemandem sagen, wer du wirklich bist.«
Damit hatte ich mich bereits abgefunden und gemeinsam mit Sebastien eine Tarnidentität entwickelt. Mamma nickte zu guter Letzt, versuchte sich sogar an einem Lächeln. Vielleicht lag da sogar ein Hauch von Stolz unter der tiefen Sorge in ihren Augen? Ich sprang auf, warf mich um ihren Hals und vergaß in dem Gefühlsrausch, die Luft anzuhalten. Den Geruch ihres schweren Rosenwassers würde ich für die nächsten Stunden nicht mehr aus der Nase bekommen. Doch selbst das war mir heute egal.
Gloria begleitete mich in mein Zimmer und ich bedankte mich für die Unterstützung, die durchaus überraschend kam. Ich war davon ausgegangen, dass sie mich zurückhalten wollte, mich beschützen. Doch ich war alt genug für eigene Entscheidungen, vielleicht hatte selbst Gloria das inzwischen eingesehen.
Gemeinsam packten wir meinen Koffer. Gloria ließ immer wieder fallen, wie neidisch sie war, dass ich die beiden Söhne der Gastgeberfamilie des Walpurgisrituals noch vor ihr sehen konnte. Sie erreichte damit ihr offensichtliches Ziel und lenkte mich von dem ab, was gleich kommen würde.
Der Duft nach Karamell und Popcorn, eine Mischung aus kribbelnder Erwartung und Vorfreude, überlagerte den beißenden Gestank meiner Angst, als ich nach dem Kofferpacken in die Küche ging.
Das schwarze Armband war der einzige Gegenstand auf dem Tisch. Die einzelnen verflochtenen Stränge spiegelten sich in der glänzenden weißen Oberfläche.
»Das ist es, was du willst?«, fragte mich unsere Haushälterin Abelarda mit rauer Stimme.
»Es ist, was ich tun muss. Sonst würde mich jeder als Hexe erkennen.« Ich setzte mich auf den Stuhl ihr gegenüber und legte meinen linken Arm neben das Armband. Sämtliche Instinkte drängten, den Arm sofort zurückzuziehen, mir nicht das nehmen zu lassen, was mich ausmachte. Magie.
»Niemand zwingt dich, Ela.« Sie fasste nach meiner Hand. Im Gegensatz zu Mammas Fingern waren ihre warm, ihr Griff fest.
»Ich weiß. Aber ich bin die Einzige, die etwas über die Dunkelmagier herausfinden kann. Sebastien ist etliche Möglichkeiten durchgegangen.« Ich ließ unerwähnt, dass ich bei der Gelegenheit potenzielle Ritualpartner noch vor den offiziellen Ballnächten begutachten konnte. »Nichts zu tun, wäre schlimmer.«
Abelarda nickte. »Es wird wehtun.«
Ich presste Zähne und Lippen fest aufeinander und wappnete mich für den Schmerz.
»Deine Magie wirkt nicht nur, wenn du sie aufrufst«, Abelarda nahm das Armband vorsichtig auf, um ja nicht den eingeflochtenen Hämatit zu berühren. »Du wirst dich anders fühlen, anders riechen und schmecken. Deine Instinkte könnten dich täuschen. Du wirst keine Magie wirken können, sie jedoch sehen.«
Die weitere Erklärung hing zwischen uns in der Luft. Wer die Magie sehen konnte, konnte auch verhext werden. Der Hämatit machte mich zu einer Wissenden wie die in die Welt der Hexen eingeführten Menschen. Mit meiner Mission würde ich dafür sorgen, dass man sie auch weiterhin einweihen musste, dass das Occultatum erneuert werden konnte und nicht alle Menschen wie früher das Leuchten der Magie sehen konnten und Jagd auf uns machten.
Ich holte tief Luft durch die Nase, roch den Lavendel, den Abelarda in ihrem Zimmer hängen hatte, ließ den Geschmack des Limonentees von ihrem Frühstück auf meiner Zunge zergehen, genoss noch ein letztes Mal die honiggleiche Süße, nach der ihre Fürsorge schmeckte.
Ein kaum hörbares Zischen brannte all die Gerüche weg. Ein Brennen setzte ein. Mein Herz begann zu rasen und alles geriet durcheinander. Meine Angst schmeckte plötzlich nach Karamell. Ich wollte meinen Arm zurückreißen, doch Abelarda hielt ihn fest und schloss mittels Magie den Verschluss des Armbands, während ihr Daumen beruhigend über meinen Handrücken fuhr.
Meine Hand wurde weiß wie der Tisch, auf dem sie lag. Ich sah zu, wie die sternenbildgleichen schwarzen Linien meiner Sigille aufleuchteten, als wirkte ich einen Zauber, ehe ihr Licht zusammen mit meinem Zeichen in den Stein gesogen wurde. Ich wollte aufschreien, doch es kam nur ein Stöhnen über meine Lippen. Der Schmerz der Verbrennung ließ nach und ich blinzelte die Tränen weg. Eine davon rollte über meine Wange. Schnell fuhr ich mit dem Handrücken darüber.
Die Welt wirkte verschwommen, weniger farbig und kontrastreich. Unsere Küche glänzte nicht wie zuvor, meine Nase nahm kaum mehr Abelardas vertrauten Lavendelduft wahr.
Ich hob die Hand und dachte an einen einfachen Zauber. Doch egal, wie stark ich mich konzentrierte und wie sehr ich den offenen Fensterflügel fixierte – er rührte sich nicht.
»Geht es dir gut?«, fragte Abelarda.
Weil ich meiner Stimme nicht traute, nickte ich nur und schluckte vergeblich gegen den Kloß in meiner Kehle an, rutschte den Stuhl nach hinten und ging zum ersten Mal seit langer Zeit ohne von Magie verstärkte Sinne die langen Flure der Villa Mescinia entlang zu meinem Zimmer und spürte dabei die Hilflosigkeit all jener Hexen längst vergangener Jahrhunderte, die von Menschen enttarnt und mithilfe eines Hämatits gebändigt und getötet worden waren. Etwas, was nie wieder geschehen sollte. Nie wieder geschehen durfte.
Der blauschimmernde Lufthauch streifte mich noch vor der eigentlichen Magie und ich stolperte aus dem Bus, geriet ins Taumeln und suchte vergeblich nach meinem Gleichgewicht. Im letzten Moment fand meine Hand Halt an der taufeuchten Wand des Wartehäuschens. Darauf klebte das inzwischen verblichene und verunstaltete alte Plakat zum 150. Jubiläum der Stadterhebung. Der Turm von Schloss Falk war gerade noch zu erkennen. Wie gerne würde ich ihn manchmal nutzen – in Situationen wie eben.
Der Westturm gehörte zur Silhouette von Falkhausen. Nur ahnte heute keiner mehr, dass in jenem Turm damals echte Hexen untergebracht waren.
Zwei Jungs aus meinem Bus gingen kopfschüttelnd an mir vorbei und ließen sich über meine Tollpatschigkeit aus. »Und so jemand unterrichtet im Gemeindezentrum Selbstverteidigung. Mein Cousin Max schwärmt ständig von ihm.«
»Vielleicht solltest du ihm mal erzählen, dass sein Idol zwei linke Füße hat.«
Es tat weh.
Nicht die Lästerei, sondern der Gedanke, dass der Typ Max von meiner Stolperei erzählen könnte. Wie gerne hätte ich ihm an den Kopf geworfen, dass er keine Ahnung hatte, weder er noch der Kerl an seiner Seite oder all die anderen, die gerade wie bunte Wellen aus den Bussen quollen und auf die Schule zustrebten. Schwatzend, miteinander scherzend, lachend. Oder ruhig und in sich gekehrt wie Alex, die gerade gedankenversunken an mir vorbeizog und mich nicht beachtete. Ich folgte ihr, achtete auf jeden Luftzug. Schrak beim Zischen der sich schließenden Bustüren zusammen und ignorierte die Blicke von Chris und Noah, die vor der Bäckerei standen und mich beobachteten.
Die Sonne wärmte meinen Rücken, während ich zusah, wie die letzten Busse abfuhren, die Wogen an Schülern versiegten. Ich stand noch immer vor dem Schulgebäude und wartete. Der Platz leerte sich zunehmend.
Kurz vor dem ersten Klingeln kam Mara endlich den Weg vom Parkplatz entlanggerannt, sodass ihr in allen Regenbogenfarben leuchtender Pferdeschwanz auf und ab hüpfte.
»Wann schaffst du es endlich, deinen Wecker früher zu stellen?«, rief ich und ging ihr entgegen. Im Schatten der Bäume war es noch empfindlich kalt, obwohl es schon Mitte April war, und ich rieb mir fröstelnd die Gänsehaut von den Armen.
Mara holte keuchend Atem, grinste mich dann nur an und schob ihre Brille den Nasenrücken hoch. »Er ist früher gestellt. Aber ich schwöre dir: Meine innere Uhr weigert sich, auf den Wecker zu hören. Es ist wie verhext!«
»Hexerei sieht anders aus, glaub mir.«
Leuchtende Sigillen, bläulichweiße Wellen. Oder bronzene Brunnenfiguren, die davonrennen wie kleine Kinder. Ich wurde die Bilder der vorletzten Nacht nicht los.
»Vielleicht solltest du abends einfach mal eine Folge weniger auf Netflix schauen und früher schlafen gehen«, sagte ich und schob sie in Richtung Haupteingang. »Sonst werden deine Augenringe bald den Rest deines Gesichts erobern.«
Mara streckte mir die Zunge raus, als ich ihr die Tür aufhielt. Ihre grünen Augen funkelten dabei amüsiert, sodass ich nicht auf die Umgebung achtete und wir beinahe in Noah hineinliefen.
»Wo kommt ihr so plötzlich her?« Mara wandte sich zu den beiden um und kniff die Augen zusammen. Statt zu antworten, grinste Noah nur. In seinen Augen funkelte etwas, das mir Sorgen bereitete, und ich zog Mara schnell von der Tür weg in den langen Flur des Altbaus der Schule hinein.
»Was können wir dafür, dass du so blind bist?«, rief Chris uns hinterher. »Vielleicht solltest du über eine stärkere Brille nachdenken?«
Natürlich konnte ich kaum verhindern, dass Mara auf die Herausforderung reagierte und sich zu Chris umdrehte. Er fuhr sich gerade durch die Haare. Dabei spannten sich Brustmuskulatur und Bizeps unter dem hautengen Shirt übernatürlich stark an. Am liebsten hätte ich über seine Eitelkeit gelacht, aber trotz meines täglichen Trainings war ich ihm nicht gewachsen. Magie schlug Jiu-Jitsu. Das war eine Tatsache, weshalb ich nur einen Gedanken hatte: Mara sollte besser keinen Hexer provozieren.
Diese war weder beeindruckt von Chris’ Muskulatur noch von seiner herbeigehexten überteuerten Designerkleidung, den perfekt gestylten dunklen Haaren, die er ohne Magie nie so perfekt verstrubbelt hinbekommen würde, oder seiner schneidenden Stimme. Sie straffte ihre Schultern und setzte zu einer Erwiderung an. Jeder einzelne Nerv, jeder Muskel meines Körpers war angespannt, auch wenn ich wusste, dass ich den beiden rein gar nichts entgegenzusetzen hatte.
»Vielleicht lässt mich meine Brille auch nur die wirklich wichtigen Dinge sehen?«
Ich verschluckte mich an meinem Lachen und begann zu husten.
»Tristan habe ich sofort gesehen.« Sie schenkte Chris ein strahlendes Lächeln, ehe sie sich bei mir unterhakte. Ich sah hinab auf Chris’ linken Unterarm. Maras Blick folgte meinem. Doch sie konnte nicht sehen, wie die Linien an der Innenseite seines Unterarmes zu leuchten begannen.
Das Licht, das nun auf mich zuraste, kam allerdings von der anderen Seite. Von Noah. Sein Zauber kroch über meinen rechten Arm, direkt in den Träger meines Rucksacks und zerrte daran. Der Träger riss und mit einem lauten Poltern fiel der Rucksack hinab und der Inhalt ergoss sich über den Boden. Der Reißverschluss hatte sich durch Noahs Magie ebenfalls geöffnet.
Mara ging noch vor mir in die Hocke, um mir beim Einsammeln meiner verstreuten Sachen zu helfen.
»Du solltest besser aufpassen, Tristan«, sagte Noah, ehe er so dicht an mir vorbeiging, dass ich ins Taumeln geriet und mein Mäppchen wieder fallen ließ. Dann gingen beide mit schnellen Schritten Richtung Atrium und trennten sich dort, um ihre jeweiligen Klassenräume aufzusuchen.
»Das sind solche Idioten!«, schrie Mara ihnen laut genug hinterher, dass ich nur hoffen konnte, dass die beiden pünktlich im Unterricht sein wollten und nicht darauf eingingen, ehe sich auch der Inhalt von Maras Schultasche zufällig auf den Boden ergoss. »Sie hätten auch mal helfen können«, fügte Mara wesentlich leiser an mich gewandt hinzu.
»Du kennst die beiden doch.« Wir durchquerten das Atrium und strebten an zig Plakaten vorbei auf den Flur zu, in dem Chris verschwunden war. »Lass uns zum Matheunterricht gehen.«
Mara nickte gedankenverloren und schob sich die Brille den Nasenrücken hoch. »Auf ihre Bekanntschaft hätte ich gerne verzichtet. Selbst Mathe bei Herrn Reeder ist besser als deine Stiefbrüder.«
Da hatte sie recht, aber leider kann man sich seine Familie nicht aussuchen. Ich war das schwarze Schaf. Der einzige Sprössling einer uralten Hexendynastie, der kein bisschen magisch begabt war. Ich war ein Wissender, damit aufgewachsen, dass zu Hause kein Handgriff ohne den Einsatz von Magie erfolgte. Aber ich hatte nur noch ein Jahr bis zum Abitur, noch 209 Tage bis zu meinem achtzehnten Geburtstag. Dann konnte ich meine Stiefmutter Carina bitten, mir den Status eines Wissenden zu entziehen. Ich würde alles, was mit Hexen zu tun hatte, vergessen und ein Leben führen können wie alle anderen. Ohne die Einwirkung von Hexen. Die magischen Dokumente hierfür lagen von mir bereits unterzeichnet zu Hause in meinem Nachtschrank. Es fehlte nur noch Carinas Unterschrift und ich wäre befreit.
Nie wieder, schwor ich mir, würde ich auf diese Art reisen. Was bei allen Dunkelhexen hatte mich geritten, Glorias Angebot abzulehnen, mich via Sigillenfährte hierherzubringen?
Mein Koffer mit allem, was laut Gloria absolut notwendig für eine Woche war, wog nahezu eine Tonne, und nachdem ich ihn bereits über Bahnsteige in Mailand und Zürich gezerrt hatte, wurden die Bahnhöfe im Süden Deutschlands immer kleiner und die Distanzen, die ich zwischen Ankunfts- und Abfahrtgleis rennen musste, kürzer, bis endlich meine Endhaltestelle ausgerufen wurde.
Ich wuchtete den Koffer aus dem Zug, versicherte mich, dass ich meine Umhängetasche und die zusätzliche von Abelarda gepackte Tasche mit Lebensmitteln für die lange Reise – über zehn Stunden war lange, aber mit dem Inhalt der Tasche hätte man eine ganze Familie sicher eine Woche ernähren können – über der Schulter hatte.
Der Bahnsteig von Falkhausen war wie verwaist, nachdem der Zug wieder weitergefahren war. Das einzige Haus weit und breit war das winzige Bahnhofsgebäude, das nicht einmal einen Schalter hatte und eher die Bezeichnung Baracke verdient hätte – passend zu dem verfärbten Putz und den schlechten Graffiti darauf. Nur wenige Meter – ein paar Parkplätze und die Zufahrtsstraße – hinter dem Gebäude und den Gleisen begann ein dichter Wald, hinter dem laut Google Maps mein Ziel lag. Auf der anderen Seite gab es nur weitläufige Wiesen und Felder, die bis zum Horizont reichten, wo sich der Himmel gerade in feuriges Orangerot verfärbte.
Von Falkhausen selbst war von meinem Standpunkt aus nichts zu sehen. Ich zog meinen Koffer den Bahnsteig entlang auf das Bahnhofsgebäude zu, doch auch dort wartete niemand auf mich. Meine Gastmutter Ingrid hatte mir am Telefon versichert, mich abzuholen, weil die Busse um diese Uhrzeit extra bestellt werden mussten.
Ich wartete vor dem Gebäude, während es dämmerte und letztendlich die Laternen, die die fünf Parkbuchten beleuchteten, angingen.
Beinahe zeitgleich raste ein Auto die Straße entlang und blieb mit einer Vollbremsung direkt vor mir stehen. Eine Frau mit weißblonden kurzen Haaren stolperte aus der Fahrertür und stürmte auf mich zu. Sie hatte mich schneller im Arm, als ich irgendwas hätte einwenden können, und die Worte quollen so schnell aus ihrem Mund, dass ich Mühe hatte, sie zu verstehen.
»Es tut mir entsetzlich leid, Kindchen. Ich habe mich mit Babs verquatscht und die Zeit vergessen.«
Ich lächelte meine Gastmutter nur an und nickte. Als sie tatsächlich meinen Koffer nehmen und ins Auto heben wollte, griff ich schnell ein. Ich wollte ungern mein Armband lösen, Magie einsetzen müssen und mich enttarnen, nur weil meine Gastmutter zusammenbrach.
Ingrid hatte einen mehr als flotten Fahrstil und mehrmals hatte ich Angst, dass ich die Fahrt ohne Magie nicht überleben könnte. Meine Finger waren um mein Armband gekrallt, sodass ich es notfalls jederzeit abreißen könnte.
Endlich hatten wir das Waldstück durchquert und in einer kleinen Senke dahinter zeigten sich die ersten Häuser von Falkhausen. Wir fuhren die Hauptstraße entlang und kamen in den alten Ortskern mit einem historischen Rathaus, dessen Fensterläden neben dem modernen Einkaufszentrum wie aus der Zeit gefallen schienen. Kurz bevor Ingrid in eine kleine Straße abbog, konnte ich Schloss Falk erkennen, das von einem zugebauten Hügel auf die Stadt hinabblickte. Es war eher ein Schlösschen, meine Aufmerksamkeit jedoch zog der mit Spots erleuchtete Turm an der Westseite auf sich. In den historischen Unterlagen wurde er Hexenturm genannt und ich erschauderte.
Was Ingrid jedoch falsch deutete. »Ist dir kalt, Kindchen? Wir sind gleich da.«
Nahezu zeitgleich bremste Ingrid, schoss auf den großen Vorplatz eines Bauernhauses zu und legte erneut eine Vollbremsung hin, die mich dankbar für die Erfindung des Gurtes werden ließ.
Meine Tür wurde von außen aufgerissen und eine grauhaarige Frau mit Schürze begrüßte mich. »Wir freuen uns, dass du da bist, Ela. Wir hatten lange keine Gastschüler mehr aus Rom. Die meisten jungen Leute wollen raus aus Europa, gehen für ein paar Monate nach Amerika oder …«
»Lass das Kind in Ruhe, Babs«, ging Ingrid dazwischen, die im Gegensatz zu mir schon das Auto verlassen hatte und die Frau mit einem »das ist meine Nachbarin Barbara, du kannst sie Babs nennen« zur Seite schob. Ich lächelte unbeholfen, während ich ausstieg. Ingrid öffnete in der Zwischenzeit den Kofferraum und ich hastete zu ihr, weil ich nicht zusehen konnte, wie sich die haspeldürre Barbara einen Bruch anhob.
»Ist das Essen fertig?«, fragte Ingrid und Barbara antwortete empört.
»Natürlich. Was denkst du denn?«
Ich ließ mich von den beiden Frauen in das alte Bauernhaus ziehen, wo ich, noch ehe ich mein Zimmer auch nur sehen durfte, mit ihnen in der gemütlichen Küche zu Abend essen musste.
Ohne Magie zu sein, fühlte sich in ihrer Gegenwart jedoch gar nicht mehr so schlecht an.
Als ich am nächsten Morgen die knarrende Holztreppe herunterkam, saßen Ingrid und Barbara bereits am Küchentisch. Ingrid erklärte mir, dass sie und Barbara den kleinen Hof gemeinsam am Laufen hielten, seit Ingrids Mann verstorben war. Während wir aßen und Kaffee tranken, planten sie den Tag, der für das Alter der beiden Frauen durchaus ambitioniert war. Aufgrund des langen Winters war es erst jetzt warm genug, den Mais auszusäen. Barbara wollte allerhand im Garten hinter dem Haus erledigen.
So hörte ich zu, was es zu tun gab und, wichtiger noch, was es an neuem Klatsch im Ort gab – denn hierfür waren die beiden offenbar eine unerschöpfliche Quelle. Doch es fiel kein Wort über von Dunkelmagie zum Leben erweckte Brunnenfiguren. Die Jäger hatten tatsächlich alle Zeugen aufgespürt und ihre Erinnerungen gelöscht.
Nach dem Frühstück fühlte ich mich wie nach einem Crashkurs in Landwirtschafts- und Gartenkunde, zusätzlich vollgestopft mit etlichen Namen, die mir nichts sagten und die ich – wenn man bedachte, was so getratscht wurde – auch besser nie gehört hätte.
Mit einem Pausenbrot von Ingrid im Rucksack folgte ich der Wegbeschreibung der beiden zum Grimm-Gymnasium, meldete mich wie von Ingrid empfohlen im dortigen Sekretariat und suchte anschließend nach meinem Klassenzimmer für die erste Stunde.
»Ela Bianchi.«
Wieder und wieder flüsterte ich den Namen meiner neuen Identität vor mich hin. Er schmeckte falsch auf meiner Zunge. Vielleicht lag das aber auch an den vielen sich gegenseitig überlagernden Gerüchen. Die Wissenschaft