*Dieser Essay basiert auf zwei Vorträgen, die in der Arts Society am Newnham College und im Odtaa am Girton College im Oktober 1928 gehalten wurden. Die Vorträge waren zu lang, um vollständig vorgetragen zu werden, und wurden seitdem verändert und erweitert.
»Uns wird gesagt, dass wir wenigstens 30000 Pfund verlangen sollten … Es ist keine große Summe in Anbetracht dessen, dass es nicht mehr als ein College dieser Art für Großbritannien, Irland und die Kolonien geben soll, und in Anbetracht dessen, wie einfach es ist, erstaunliche Summen für Bildungsanstalten für Jungen aufzutreiben. Aber in Anbetracht dessen, wie wenige Menschen wirklich wollen, dass Frauen eine Ausbildung erhalten, ist es eine ganze Menge.« Lady Stephen, Life of Miss Emily Davies and Girton College
»Jeder Penny, der zusammengekratzt werden konnte, wurde für die Bauten zur Seite gelegt, und die Annehmlichkeiten mussten hinausgeschoben werden.« R. Strachey, The Cause
»›Männer wissen, dass Frauen ihnen überlegen sind, und deshalb suchen sie sich die schwächsten oder die dümmsten aus. Wenn sie anders dächten, hätten sie keine Angst davor, dass Frauen genauso viel wissen, wie sie selbst.‹ … Aus Gerechtigkeit dem Geschlecht gegenüber halte ich es nur für ehrlich zu bekennen, dass er mir in einem weiteren Gespräch mitteilte, er habe ernst gemeint, was er sagte.« Boswell, The Journal of a Tour to the Hebrides
»Die alten Germanen glaubten, dass Frauen etwas Heiliges an sich hätten, und befragten sie deshalb als Orakel.« Frazer, Golden Bough
»Es bleibt eine seltsame und beinahe unerklärliche Tatsache, dass in der Stadt Athen, wo Frauen in beinahe orientalischer Unterdrückung als Odalisken oder Sklavinnen gehalten wurden, die Bühne dennoch Figuren wie Klytemnestra und Kassandra, Atossa und Antigone, Phèdre und Medea und all die anderen Heldinnen hervorbrachte, die die Theaterstücke des ›Frauenfeindes‹ Euripides beherrschen. Aber das Paradox dieser Welt, in der eine ehrbare Frau sich kaum allein auf der Straße blicken lassen durfte, während die Frau auf der Bühne dem Mann gleichkam oder ihn noch übertraf, ist nie zufriedenstellend erklärt worden. In der modernen Tragödie gibt es die gleiche Dominanz. Jedenfalls genügt eine sehr kursorische Betrachtung von Shakespeares Werk (ähnlich wie bei Webster, dagegen nicht bei Marlowe oder Johnson), um zu erkennen, wie sich diese Überlegenheit, diese Antriebskraft von Frauen von Rosalind bis Lady Macbeth fortschreibt. So auch bei Racine, sechs seiner Tragödien sind nach ihren Heldinnen benannt, und welche seiner männlichen Helden sollen wir Hermione und Andromaque, Bérénice und Roxane, Phèdre und Athalie gegenüberstellen? Das Gleiche bei Ibsen, welche Männer sollen wir mit Solveig und Nora, Hedda und Hilda Wangel und Rebecca West vergleichen?« F.L.Lucas, Tragedy, S. 114–115
A Survey of Contemporary Music, von Cecil Gray, S. 346
SieheFlorenceNightingale,Cassandra,abgedrucktinR. Strachey, The Cause
Memoir of Jane Austen, von ihrem Neffen James Edward Austen-Leigh
»(Sie) hat einen metaphysischen Antrieb und das ist eine gefährliche Obsession, besonders bei einer Frau, denn Frauen besitzen selten die gesunde Liebe der Männer zur Rhetorik. Es ist ein seltsamer Mangel des Geschlechts, das in anderen Dingen primitiver und materialistischer ist.« New Criterion, Juni 1928
»Wenn man wie der Rezensent glaubt, dass Romanschriftstellerinnen Exzellenz nur anstreben sollten, indem sie mutig die Grenzen ihres Geschlechts anerkennen (Jane Austen [hat] gezeigt, wie elegant diese Geste ausgeführt werden kann …)« Life and Letters, August 1928
On the Art of Writing, von Sir Arthur Quiller-Couch.
A Short History of Women (1928) von John Langdon-Davies
Fanny Burney (1752–1840) war berühmt für ihre Gesellschaftsromane. Über Jane Austen (1775–1817), Charlotte Brontë (1816–1855), Emily Brontë (1818–1848) und George Eliot (1818–1880) und die großen Romane dieser Autorinnen hat Woolf wiederholt geschrieben. Die Brontë-Schwestern wuchsen im Pfarrhaus von Haworth in Yorkshire auf. Zu Charlotte Brontë schrieb die mit ihr befreundete Romanautorin Elizabeth Cleghorn Gaskell (1810–1865) die erste Biografie. Mary Russell Mitford (1787–1855) war eine zu ihrer Zeit geschätzte Autorin. Sie korrespondierte außerdem mit den Berühmtheiten ihrer Zeit.
Der Essayist Charles Lamb (1775–1834) schrieb u.a. den Essay »Oxford in the Vacation«, der 1820 im London Magazine erschien. In einer Fußnote ist die Rede von seiner Ernüchterung über diesen Essay. Der Romancier William Makepeace Thackeray (1811–1863) hat Lamb wohl nicht mehr gekannt. Max Beerbohm (1872–1956), Essayist, Kritiker, Karikaturist, schrieb einen atmosphärischen Roman über Oxford um 1890.
Gemeint ist die berühmte Straße in London, im Volksmund auch The Strand genannt.
Auszüge aus Alfred Lord Tennysons (1809–1892) Monodram-Gedicht »Maud« und Christina Rossettis (1830–1894) berühmtestem Gedicht »A Birthday« (Übersetzung: Heidi Zerning und Levin Ludwig Schücking).
Jane Harrison (1850–1928), Kulturanthropologin und Altphilologin, schrieb über frühgriechische Religion, besonders in weiblicher Hinsicht, und machte Freud und die Psychoanalyse in England bekannt. Woolf verehrte sie. Sie war im April 1928 gestorben.
John Stuart Mill (1807–1873), Philosoph, Wirtschaftswissenschaftler und Autor des 1869 erschienenen Buches The Subjection of Women, war ein früher Feminist.
Samuel Butler (1835–1902) war ein Schriftsteller, Komponist, Philosoph und Maler mit freizügigen Ansichten zu Religion, Moral und Sexualität. Auf Deutsch sind von ihm erschienen Ergindwon oder jenseits der Berge und Der Weg allen Fleisches.
Zitate aus Alexander Popes (1688–1744) Moral Essays: »Epistle II: To a Lady« und Jean de la Bruyères (1645–1696): Les Caractères: »Des femmes«.
Das Kürzel Z steht für den Kritiker und Freund Desmond MacCarthy (1877–1952). In Woolfs Tagebucheintrag vom 10.09.1928 heißt es: »Es amüsierte mich, dass Rebecca West Desmond augenblicklich auf die Palme bringt, wenn sie sagt ›Männer sind Snobs‹; also zahlte ich es ihm heim wegen des herablassenden Satzes zum Thema weibliche Schriftsteller und deren ›Grenzen‹ in Life & Letters.« MacCarthy war dort der Meinung, »dass weibliche Romanciers Exzellenz nur anstreben sollten, indem sie mutig die Grenzen ihres Geschlechts anerkennen«. Rebecca West (1892–1983) schrieb Romane, Kritiken und Essays und war eine engagierte Feministin und Sozialreformerin.
George Macaulay Trevelyan (1876–1962) lehrte damals in Cambridge Geschichte. VW zitiert aus seiner History of England.
Im elisabethanischen England war es Frauen verboten, als Schauspielerin aufzutreten.
Nicholas Greene ist der saufende, genialische Dichter aus Woolfs Roman Orlando.
Currer Bell war das Pseudonym von Charlotte Brontë. George Eliot hieß eigentlich Mary Ann Evans, und George Sand war das Pseudonym von Amandine Dupin.
Perikles wendet sich am Ende seiner »Rede an die Gefallenen« den Frauen zu: »Euer höchster Ruhm wird sein, echter Weiblichkeit nichts zu vergeben, und diejenige wird für die Beste gelten, von der in Lob und Tadel unter Männern am wenigsten die Rede ist.« (Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, 2. Buch, Kapitel 45.)
»Dieser Hund gehört mir, sagten diese armen Kinder«, heißt es in Blaise Pascals (1623–1662) Pensées, Nr. 295, »das ist mein Platz an der Sonne. – Damit habt ihr Beginn und Urbild der widerrechtlichen Besitzergreifung der ganzen Erde.«
Benjamin Jonson (1572–1637), Dichter und Dramatiker, überlieferte diese Äußerung von Shakespeares Schauspielkollegen, war aber selbst der Meinung, Shakespeare hätte viele Zeilen streichen sollen.
Aus dem Gedicht »Resolution and Indepence« von William Wordsworth (1770–1850).
In der Londoner Harley Street befinden sich die teuersten Arztpraxen, wo auch Dr. Bradshaw, Arzt für Reiche, in Mrs. Dalloway praktiziert.
Oscar Browning (1837–1923), Historiker in Cambridge, war wegen eines vermeintlich homosexuellen Verhältnisses vom Eton-College gefeuert worden. Sein Neffe H.E. Wortham veröffentlichte 1927 eine Biografie seines Onkels, der Woolf diese Begebenheit entnahm.
Germaine Tailleferre (1892–1983) komponierte Opern, Orchester-, Kammer- und Klaviermusik und gehörte zu dem Kreis um Arthur Honegger und Francis Poulenc. Bekannt waren damals bereits ihr Konzert für zwei Klaviere von 1924 und das Concertino für Harfe und Orchester von 1926.
Keats ließ folgende Worte auf seinen Grabstein setzen: »Here lies one whose name was writ in water.«
Anne Finch, Countess of Winchilsea (1660–1720), beeinflusste mit ihren Gedichten ihre Freunde Alexander Pope, Jonathan Swift und John Gay. 1928 erschien eine Neuausgabe ihrer Gedichte. Die ersten drei Zitate stammen aus »The Introduction«, die folgenden vier aus ihrem berühmtesten Gedicht »The Spleen«. (Übersetzung: Heidi Zerning)
Pope schrieb in »An Essay on Man« von 1733 die Zeile »Die of a rose in aromatic pain«, in der Anne Finchs Zeile »We faint beneath the aromatic pain« nachhallt.
Der Stückeschreiber und Dichter John Gay (1685–1732) beschreibt in seinem satirischen Gedicht »Trivia« einen Spaziergang durch London.
Margaret Cavendish, Duchess of Newcastle (1623–1673), exzentrische Dichterin mit einem Interesse an den Naturwissenschaften, beschäftigte Woolf auch in ihrem Essay »Die Herzogin von Newcastle«.
Dorothy Osborne (1627–1695) schrieb lebendige, kluge Briefe über ihre Zeit und die Beziehung der Geschlechter, vor allem an ihren Gatten Sir William Temple, der u.a. Sekretär des jungen Swift war. Woolf hatte die 1928 erschienene Neuausgabe ihrer Briefe rezensiert. (Übersetzung: Heidi Zerning)
Aphra Behn (1640–1689) war die erste Berufsschriftstellerin. Sie schrieb Theaterstücke, Romane und Lyrik und arbeitete außerdem als Spionin für Charles II. Vita Sackville-West veröffentlichte 1927 eine Biografie über sie.
Elizabeth Carter (1717–1806), Übersetzerin von Epiktet und Dichterin, gehörte zu jenen Frauen, die in den 1750er Jahren Salons unterhielten, zu denen sie gebildete Männer einluden, um Fragen der Literatur, Philosophie, Kunst und Wissenschaft zu diskutieren. Ein Mitglied dieser Runden trug regelmäßig blaue Kammgarnstrümfe, worauf die Bezeichnung »Blaustrümpfe« für intellektuelle Frauen, später auch für die Suffragetten, zurückgeht.
Der Lyriker Algernon Charles Swinburne (1837–1909) bezeichnete die griechische Dichterin Sappho als »supreme head of song«.
Charlotte Brontë: Jane Eyre, Manesse Verlag, München 2016; Übersetzung: Annette Ott.
Woolf hat aus diesem Zitat ihres Freundes Desmond MacCarthy die Stelle entfernt, in der es um sie geht. Der Satz beginnt so: »Jane Austen und, in unserer Zeit, Mrs Virginia Woolf, haben gezeigt …« In ihrem Tagebuch notierte Woolf, dass sie MacCarthy auf seinen herablassenden Satz hingewiesen habe, und fügte, fast entschuldigend, hinzu: »Aber darin lag keine Bitterkeit.«
1928 veröffentlichte Marie Stopes, die sich neben dem Schreiben gesellschaftlich engagierte und als Vorkämpferin der Geburtenkontrolle gilt, unter dem Pseudonym Marie Carmichael einen Roman mit dem Titel Love’s Creation.
Sir Chartres Biron war der oberste Richter im Verfahren gegen Radclyffe Hall (1886–1943), die wegen angeblicher Obszönitäten in ihrem Roman The Well of Loneliness angeklagt war, in dem es um lesbische Liebe geht. Das Verfahren fand statt, als Woolf die diesem Essay zugrunde liegenden Vorträge an zwei Frauencolleges in Cambridge hielt.
Diana of the Crossways ist ein Roman von George Meredith (1828–1909), der als erster englischer Roman über die »moderne Frau« gilt.
Im ursprünglichen Manuskript zu diesem Essay gibt es einen in der Endfassung gestrichenen Absatz, in dem Woolf direkt auf den Gerichtsprozess gegen Radclyffe Hall anspielt. Zusammen mit ihrem Mann und anderen trat sie öffentlich im Namen der Kunstfreiheit und aus Zorn auf die ausschließlich männlich besetzten Gerichte für The Well of Loneliness ein, obwohl sie den Roman nicht besonders mochte. Die Stelle in der frühen Fassung des Manuskripts lautet:
»›Chloe mochte Olivia: sie teilten sich ein …‹ – diese Worte standen als letzte auf der Seite, die Seiten klebten aneinander; und während ich herumfummelte, um sie zu lösen, blitzte der unvermeidliche Polizist im Geiste auf; die Vorladung; die Anordnung, vor Gericht zu erscheinen; das eintönige Warten; der Richter, der mit einer leichten Verbeugung hereinkommt; das Glas Wasser; der Staatsanwalt, der Strafverteidiger; das Urteil; dieses Buch ist obszön; & aufschießende Flammen, vielleicht auf Tower Hill, die Unmengen von Papier vernichten. Da lösten sich die Seiten voneinander. Dem Himmel sei Dank! Es war nur ein Labor. Chloe und Olivia. Sie waren damit beschäftigt, Leber zu pürieren, was offenbar ein Heilmittel gegen bösartige Blutarmut ist.«
Jährlich erscheinende Nachschlagewerke zur englischen Aristokratie.
Hicks war der damalige Innenminister, der in letzter Instanz für das Verbot von The Well of Loneliness zuständig war.
Hester Lynch Thrale (1741–1821) war eine walisische Autorin und Kunstmäzenin. Ihre Tagebücher und Briefe sind eine wichtige Quelle für den mit ihr befreundeten Dichter, Dramatiker und Essayisten Samuel Johnson (1709–1784). Nach unglücklicher Ehe mit einem Geschäftsmann, der sie in seinem Herrenhaus mehr oder weniger einsperrte, heiratete sie nach dessen Tod den italienischen Musiklehrer Gabriel Piozzi.
Anne Jemima Clough (1820–1892) setzte sich engagiert dafür ein, dass Frauen die Universität besuchen durften, und war Rektorin von Newnham College in Cambridge. Emily Davies (1830–1921) war ebenfalls eine Vorkämpferin für Bildung und Wahlrecht von Frauen und lehrte am Girton College in Cambridge.
Jolyon Forsyte, Familienoberhaupt aus der Forsyte-Saga von John Galsworthy (1867–1933).
Commander of the Bath ist der zweithöchste Verdienstorden in Großbritannien.
Eine erneute Anspielung auf das Gerichtsverfahren gegen Radclyffe Hall; Sir Archibald Bodkin war der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft.
Aber, werden Sie sagen, wir haben Sie gebeten, über Frauen und Literatur zu sprechen – was hat das mit einem Zimmer zu tun, das man für sich allein hat? Ich werde versuchen, es zu erklären. Als Sie mich baten, über Frauen und Literatur zu sprechen, setzte ich mich ans Ufer eines Flusses und begann zu überlegen, was diese Worte bedeuten könnten. Sie könnten bedeuten, einfach ein paar Bemerkungen über Fanny Burner zu machen; einige weitere über Jane Austen; die Brontës zu würdigen und das schneebedeckte Pfarrhaus von Haworth zu skizzieren; etwas möglichst Witziges über Miss Mitford zu sagen; respektvoll auf George Eliot anzuspielen; auf Mrs Gaskell hinzuweisen, und man wäre fertig.[1] Aber auf den zweiten Blick schienen die Worte nicht mehr so einfach zu sein. Der Titel Frauen und Literatur könnte bedeuten, und so könnten Sie ihn gemeint haben, Frauen und wie sie sind; oder er könnte bedeuten, Frauen und die Literatur, die sie schreiben; oder er könnte Frauen und die Literatur, die über sie geschrieben wird, bedeuten, oder er könnte bedeuten, dass alle drei irgendwie unauflösbar miteinander vermischt sind und dass Sie von mir erwarten, sie in diesem Licht zu betrachten. Als ich aber in letztgenannter Weise über das Thema nachzudenken begann, weil sie mir die interessanteste zu sein schien, begriff ich schnell, dass sie einen schwerwiegenden Nachteil hatte. Ich wäre nie in der Lage, zu einem Schluss zu kommen. Ich wäre nie in der Lage, die aus meiner Sicht wichtigste Aufgabe einer Rednerin zu erfüllen – Ihnen nach einem einstündigen Vortrag ein Körnchen reiner Wahrheit zu überreichen, das Sie zwischen die Seiten Ihrer Notizbücher stecken und für immer auf den Kaminsims legen können. Ich kann Ihnen nur eine Meinung zu einer Nebensache anbieten – eine Frau braucht Geld und ein eigenes Zimmer, um schreiben zu können; und das lässt, wie Sie sehen werden, das große Problem der wahren Natur der Frau und der wahren Natur der Literatur ungelöst. Ich habe mich vor der Aufgabe, in diesen beiden Fragen zu einem Schluss zu kommen, gedrückt – Frauen und Literatur bleiben, was mich betrifft, ungelöste Probleme. Aber um das ein wenig auszugleichen, werde ich tun, was ich kann, um Ihnen zu zeigen, wie ich zu dieser Meinung über das Zimmer und das Geld kam. Ich werde in Ihrem Beisein meinen Gedankengang, der zu dieser Ansicht führte, so vollständig und frei entfalten wie möglich. Wenn ich die Vorstellungen und die Vorurteile bloßlege, die dieser Aussage zugrunde liegen, werden Sie eventuell feststellen, dass sie eine gewisse Auswirkung auf Frauen und eine gewisse Auswirkung auf die Literatur haben. Keinesfalls aber kann man darauf hoffen, die Wahrheit zu sagen, wenn ein Thema höchst umstritten ist – und das ist jede Frage zum Geschlecht. Man kann nur zeigen, wie man zu seiner Meinung kam, wie auch immer sie ausfällt. Man kann seinen Zuhörerinnen nur die Möglichkeit geben, eigene Schlüsse zu ziehen, während sie die Grenzen, die Vorurteile und Idiosynkrasien der Rednerin im Blick haben. Hier enthält die Fiktion wahrscheinlich mehr Wahrheit als die Fakten. Deshalb schlage ich vor, Ihnen unter Ausnutzung aller Freiheiten und Rechte einer Romanschriftstellerin die Geschichte der zwei Tage zu erzählen, die meiner Ankunft hier vorausgingen – wie ich, niedergebeugt vom Gewicht des Themas, das Sie mir aufgeladen haben, darüber nachsann und es meinen Alltag durchdringen ließ. Ich brauche nicht zu sagen, dass das, was ich beschreiben werde, nicht existiert; Oxbridge ist eine Erfindung, genau wie Fernham; ich ist nur ein brauchbares Wort für jemanden, den es nicht wirklich gibt. Lügen werden über meine Lippen fließen, aber vielleicht hat sich ein bisschen Wahrheit daruntergemischt; es liegt an Ihnen, diese Wahrheit ausfindig zu machen und zu entscheiden, ob irgendetwas daran bewahrenswert ist. Wenn nicht, werden Sie das Ganze selbstverständlich in den Papierkorb werfen und völlig vergessen.
So also saß ich (nennen Sie mich Mary Beton, Mary Seton, Mary Carmichael oder wie immer es Ihnen gefällt – das ist nicht von Bedeutung) vor ein oder zwei Wochen bei schönem Oktoberwetter gedankenversunken am Ufer eines Flusses. Das Joch, von dem ich sprach, Frauen und Literatur, das Bedürfnis, bei einem Thema, das alle möglichen Vorurteile und Leidenschaften aufruft, zu einem Schluss zu kommen, drückten mich nieder. Rechts und links irgendwelche Büsche, golden und purpurn, die Farbe ließ sie glühen, schienen sogar verbrannt in der Hitze, vom Feuer. Weiter unten am Ufer weinten die Weiden mit unaufhörlichem Gejammer, ihr Haar um die Schultern. Der Fluss spiegelte, was immer er von Himmel, Brücke und brennendem Baum auswählte, und als der Student sein Boot durch die Spiegelungen gerudert hatte, fügten sie sich wieder zusammen, so vollständig, als hätte es ihn nie gegeben. Dort hätte man rund um die Uhr so in Gedanken versunken sitzen können. Die Gedanken – um einen stolzeren Namen zu verwenden, als sie es verdienten – hatten ihre Angelschnur in den Strom hinuntergelassen. Sie schaukelte Minute um Minute zwischen den Spiegelungen und den Wasserpflanzen hin und her, ließ sich vom Wasser heben und senken, bis – Sie kennen das kleine Zupfen – plötzlich die Verdichtung einer Idee am Ende der Schnur: und dann das vorsichtige Einholen und sorgsame Auslegen? Ach, wie klein, wie unbedeutend mein Gedanke im Gras liegend aussah; die Sorte Fisch, die ein guter Angler zurück ins Wasser setzt, damit er fetter werden kann und es sich eines Tages lohnt, ihn zu kochen und zu essen. Ich werde Sie jetzt nicht mit diesem Gedanken belästigen, aber bei aufmerksamem Hinschauen könnten Sie im Laufe dessen, was ich sagen werde, selbst darauf stoßen.
Wie klein er auch war, besaß er doch die geheimnisvolle Eigenschaft, die dieser Sorte zu eigen ist – zurück in den Kopf gesetzt, wurde er sofort sehr aufregend und wichtig; und als er losschoss und abtauchte und hierhin und dorthin flitzte, löste er einen solchen Wirbel und Tumult an Ideen aus, dass es unmöglich war, stillzusitzen. So kam es, dass ich mich dabei ertappte, wie ich äußerst schnell über eine Grasfläche ging. Augenblicklich tauchte die Gestalt eines Mannes auf, um mich aufzuhalten. Zuerst verstand ich gar nicht, dass das Gestikulieren eines eigentümlich aussehenden Gebildes in Gehrock und Frackhemd mir galt. Sein Gesicht drückte Entsetzen und Empörung aus. Instinkt, eher als Vernunft, kam mir zu Hilfe; er war ein Pedell, ich war eine Frau. Hier war der Rasen, dort war der Weg. Hier sind nur die Fellows und Gelehrten zugelassen, mein Platz ist der Kies. Solche Gedanken entstehen im Augenblick. Als ich den Pfad wieder erreichte, ließ der Pedell die Arme sinken, in sein Gesicht kehrte die übliche Ruhe zurück, und obwohl es sich auf Rasen besser geht als auf Kies, war kein besonders großer Schaden entstanden. Das Einzige, was ich den welchem College auch immer angehörenden Fellows und Gelehrten vorzuwerfen hatte, war, dass sie zum Schutz ihres seit dreihundert Jahren unablässig gewalzten Rasens meinen kleinen Fisch vertrieben hatten.
An die Idee, die mich zu so kühner Übertretung veranlasst hatte, konnte ich mich jetzt nicht mehr erinnern. Der Geist des Friedens sank wie eine Wolke vom Himmel herab, denn wenn der Geist des Friedens irgendwo haust, dann in den Gebäuden und Innenhöfen von Oxbridge an einem schönen Oktobermorgen. Beim Schlendern zwischen jenen Colleges, vorbei an diesen uralten Hallen, schien die Rauheit der Gegenwart geglättet; der Körper schien in eine wundersame Glasvitrine eingeschlossen, die kein Laut durchdringen konnte, und der Geist, ohne jede Berührung mit der Wirklichkeit (es sei denn, man betrat noch einmal den Rasen), war frei, sich jeglicher Betrachtung hinzugeben, die mit dem Augenblick im Einklang stand. Wie der Zufall es wollte, brachte mir eine abseitige Erinnerung an einen alten Essay über ein Wiedersehen mit Oxbridge in den großen Ferien Charles Lamb in den Sinn – Saint Charles, sagte Thackeray und hielt sich einen Brief von Lamb an die Stirn. Tatsächlich, unter all den Toten (ich gebe Ihnen meine Gedanken so wieder, wie sie mir kamen) ist Lamb einer der angenehmsten; einer, den man gern gefragt hätte: Sagen Sie, wie haben Sie eigentlich Ihre Essays geschrieben? Denn seine Essays sind sogar denen von Max Beerbohm mit all ihrer Perfektion überlegen, dachte ich, weil es mittendrin dieses wilde Aufleuchten der Fantasie, das blitzartige Aufzucken der Genialität gibt, das sie mangelhaft und unvollkommen macht, aber mit funkelnder Poesie übersät.[2] Lamb kam also vor vielleicht hundert Jahren nach Oxbridge. Jedenfalls schrieb er einen Essay – der Titel ist mir entfallen – über die Handschrift eines Gedichts von Milton, die er hier fand. Vielleicht war es Lycidas, und Lamb schrieb, wie sehr ihn der Gedanke schockierte, irgendein Wort in Lycidas könnte zuvor anders gelautet haben als jetzt. Sich vorzustellen, Milton könnte Wörter in diesem Gedicht geändert haben, erschien ihm wie ein Sakrileg. Da erinnerte ich mich an das, was ich noch von Lycidas wusste, und stellte zu meinem eigenen Vergnügen Mutmaßungen darüber an, welches Wort Milton geändert haben könnte und warum. Dann fiel mir ein, dass genau dieselbe Handschrift, die Lamb sich angeschaut hatte, nur wenige Meter entfernt zu finden war, sodass man in Lambs Fußstapfen über den Innenhof zu jener berühmten Bibliothek hinübergehen konnte, in der der Schatz aufbewahrt wird. Außerdem, erinnerte ich mich, während ich den Plan in die Tat umsetzte, wird in dieser berühmten Bibliothek auch die Handschrift von Thackerays Esmond aufbewahrt. Esmond, behaupten die Kritiker oft, sei Thackerays vollkommenster Roman. Aber der affektierte Stil, der das achtzehnte Jahrhundert nachahmt, stört, soweit ich mich erinnere, es sei denn, der Stil des achtzehnten Jahrhunderts wäre der Thackeray gemäße – etwas, was sich überprüfen ließe, indem man sich die Handschrift anschaute und nachsähe, ob die Änderungen zugunsten des Stils oder des Sinns gemacht wurden. Dann aber müsste man entscheiden, was Stil und was Sinn heißt, eine Frage, die – aber hier stand ich tatsächlich vor der Tür, die zur Bibliothek führt. Ich muss sie geöffnet haben, denn augenblicklich erschien wie ein Schutzengel, der den Weg mit dem Geflatter eines schwarzen Talars anstelle weißer Flügel verstellte, ein abwehrender, silbriger, freundlicher Herr, der, während er mich mit wedelnder Hand zurückscheuchte, in leisem Ton bedauerte, dass Damen zur Bibliothek nur Zutritt hätten, wenn sie von einem Fellow des Colleges begleitet oder ein Empfehlungsschreiben bei sich haben würden.
Dass eine berühmte Bibliothek von einer Frau verflucht worden ist, ist einer berühmten Bibliothek völlig gleichgültig. Ehrwürdig und gelassen, alle ihre Schätze sicher in der Brust verschlossen, schläft sie selbstzufrieden und wird, was mich betrifft, für immer so schlafen. Nie werde ich diese Echos wecken, nicht noch einmal um Gastfreundschaft bitten, schwor ich, als ich voller Zorn die Stufen hinabstieg. Bis zum Lunch blieb immer noch eine Stunde, und was sollte man damit anfangen? Über die Wiesen schlendern? Am Fluss sitzen? Gewiss, der Herbstmorgen war herrlich; die Blätter flatterten rot zu Boden, und weder das eine noch das andere verlangte eine besondere Anstrengung. Aber Musik drang nun an mein Ohr. Ein Gottesdienst oder eine Feier fand statt. Die Orgel klagte prächtig, als ich an der Kirchentür vorbeiging. Sogar das Leid der Christenheit klang in dieser friedlichen Luft mehr wie eine Erinnerung an das Leid als wie das Leiden selbst; sogar das Ächzen der uralten Orgel schien in Frieden gehüllt. Ich hatte nicht den Wunsch, hineinzugehen, falls ich das Recht dazu gehabt hätte, und diesmal hätte mich wohl der Küster aufgehalten und vielleicht meinen Taufschein verlangt oder ein Empfehlungsschreiben des Dekans. Aber das Äußere dieser prächtigen Gebäude ist oft so schön wie das Innere. Außerdem war es unterhaltsam genug, zuzuschauen, wie die Gemeinde sich versammelte, hineinging und wieder herauskam, geschäftig vor der Kirchentür herumschwirrte wie Bienen vor dem Eingang zum [3]