HANSI FLICK

GÜNTER KLEIN

HANSI FLICK

DIE BIOGRAFIE

GÜNTER KLEIN

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2. Auflage 2021

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ISBN Print 978-3-7423-1765-0

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Inhalt

Hansi

Mückenloch

Ehrgeiz

Sandhausen

Bayern I

Köln

Bammental

Sensation

Hoffenheim I

Fußball-Lehrer

Salzburg

DFB

Portugal

Assistent

Weltmeister

Sportdirektor

Hoffenheim II

Bayern II

Triumph

Mensch

Danksagung und Quellen

Zum Autor

Hansi

Er ist alles gewesen: Spieler, Trainer, Sportdirektor. Er hat alles gewonnen: Weltmeisterschaft, bei Bayern München jeden Titel bis zur Champions League und Klub-WM. Auch individuelle Auszeichnungen hat er abgeräumt: Trainer des Jahres, bester Coach Europas. Und da soll der Mann immer noch Hansi heißen.

Wäre es nicht ein Zeichen des Respekts, ihn Hans-Dieter oder Hans zu nennen?

Hansi heißen in Deutschland Wellensittiche – so wie Hunde Bello heißen. Hansi war der Name des Schauspielers aus den Lausbubenfilmen in den 1960er-Jahren. Hansi ist ein Name aus der Vergangenheit.

Aber nein, er will Hansi sein.

Er hat den Hansi in seiner privaten Mailadresse stehen.

Er hat ein Geschäft betrieben, das seinen Namen trug: »Hansi Flick Sport und Freizeit«. Nicht »Hans-Dieter Flick Sport und Freizeit«.

»Hans-Dieter sage ich zu ihm nur, wenn ich ihn ärgern will«, verrät Dag Heydecker, einer seiner besten Freunde.

»Sein Vater war schon Fußballer bei uns. Es hat immer geheißen: Hans Flick hat wieder ein Tor geschossen. Der Sohn vom Hans Flick war dann der Hansi«, sagt Stefan Hauswirth, der mit Hansi Flick beim BSC Mückenloch und bei weiteren Vereinen gespielt hat.

»Meine beiden Großväter haben Hans geheißen, mein Vater war ein Hans und hatte die Superidee, mich Hans-Dieter zu nennen. Hansi ist völlig okay, so kennen mich die Spieler, da bin ich ganz entspannt«, sagt Hansi Flick.

»Hansi Flick (Weitergeleitet von Hans-Dieter Flick)« steht bei Wikipedia.

»Unser Ehrenbürger Hansi Flick«, schreibt die Gemeinde Bammental.

»Bammental grüßt seinen Triple-Champion Hansi Flick«; dieses Transparent haben sie an der Fassade des Bammentaler Rathauses aufgehängt.

Thomas Müller, sein Spieler beim FC Bayern, hat die Verleihung der Preise an Europas Beste in seinem Pferdestall nachgespielt und im Video festgehalten. Manuel Neuer, Joshua Kimmich und Robert Lewandowski als die herausragenden Torhüter, Verteidiger und Stürmer der Saison waren jeweils ein stolzes, schönes, großes Ross. Europas Trainer des Jahres, Hansi Flick, war ein Pony.

Flick will bewusst Hansi sein, weil Hansi zu sein ein Prinzip ist.

Hansi ist freundlich, Hansi altert nicht, obwohl er schon Großvater ist; Hansi ist ein Versprechen auf die Zukunft. Hansi hat keine Gegner. Die Leute sagen: Ich mag die Bayern nicht, aber Hansi gönne ich’s.

Hansis Geschichte ist gegenwärtig die interessanteste Geschichte des Profifußballs. Sie hat alle überrascht. Nur nicht ihn.

Hansi Flick hat immer gewusst, dass er auch mal viel, viel höher als nur unter dem Radar fliegen würde.

Mückenloch

Als Hansi Flick im Jahr 2020 drauf und dran war, einer der erfolgreichsten deutschen Fußballtrainer aller Zeiten zu werden, hatten viele Journalisten einen Nachholbedarf an Informationen. Ja, jetzt ist er Bayern-Trainer, früher war er Co-Trainer bei der Nationalmannschaft – aber was war davor? Woher kommt er? Wo hat seine Geschichte angefangen? Nach dem Googeln das große Giggeln: Erster Verein war der BSC Mückenloch. Es kann keinen putzigeren Namen geben. Was für ein wunderbarer Kontrast zur Gegenwart: FC Bayern, der Champions-League-Sieger der Saison 2019/20. Das eine und das andere Ende der Welt.

Um an das Ende zu kommen, an dem Mückenloch liegt, muss man vom Neckar aus den Berg hinauf. Heidelberg – Neckargemünd – Mückenloch, das ist die Route. Vom Neckargemünder S-Bahnhof fährt stündlich ein Linienbus dorthin, es kann aber manchmal eine größere Fahrplanlücke geben. Stefan Hauswirth muss lachen. So wie es heute ist, war es auch damals, in den 1970er-Jahren, in seiner und Hansi Flicks Jugend in »Müggeloch«, wie die Mückenlocher sagen. »Als Jugendlicher hatte man den Bus oder das Rad.« Es war mühsam, »denn in Mückenloch muss man immer bergauf«. Der höchste Punkt ist die Sportanlage des BSC, oben am Kirchberg, in Waldlage, alles grün. Man blickt hinab auf Neckargemünd, kommt sich vor, als wäre man im Gebirge. Tatsächlich liegt Mückenloch nur knapp 200 Meter über dem Meeresspiegel.

Der Sportplatz, der Rasen – magisch. »Wir hatten nichts anderes. Wir sind nach der Schule hoch, haben alles hingeschmissen und gekickt«, erzählt Stefan Hauswirth. Oft waren sie nur zu dritt. Hansi Flick, sein ein Jahr jüngerer Bruder Joachim, genannt »Josh«, und Hauswirth. Einer stellte sich ins Tor, die beiden anderen spielten Eins gegen Eins. »Gegen ihn habe ich nie spielen wollen«, sagt Stefan Hauswirth, der wahrscheinlich der zweitbeste Spieler war, den Mückenloch je hervorbrachte: Er landete später bei Waldhof Mannheim, in der zweiten Mannschaft des Bundesligisten, denn der Trainer der legendären Waldhof-Truppe, Klaus Schlappner, »der Schlappi, der hat mich nicht gemocht«.

Mückenloch, mit nur etwas mehr als 1000 Einwohnern, ist trotzdem diese Pracht im Fußball-Nachwuchs – wie kann das sein? Sie waren im jeweiligen Jahrgang auch zu wenige Spieler, um eine Mannschaft zu bilden. »Wir waren gemischte Mannschaften, wir hatten bis zu vier Jahren Altersunterschied«, so Stefan Hauswirth. Wenn er über diesen noch kleinen Hansi Flick spricht, einen Spieler von acht Jahren, der mit der D-Jugend, also deutlich älteren Mitspielern, Staffelmeister wurde, dann klingt das, als schildere er einen, der allen anderen entwachsen wäre: »Der Hansi ist gelaufen, den haben sie nicht halten können, und auch fußballerisch war er gut.« Und Flick lief nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch im Wald, er war ständig in Bewegung, ohne dass ihn jemand hätte antreiben müssen.

»Die Liebe zum Fußball kam früh«, sagt Hansi Flick selbst. Auch ein Unfall habe ihn nicht aufhalten können. »Mit knapp sechs bin ich mit dem Fahrrad in ein Auto reingefahren, der Oberschenkel war gebrochen. Ich hatte zwölf Wochen Gips.«

Hansi Flick wurde am 24. Februar 1965 geboren, seine Mutter Traudl war 16. »Sie sagt, ich war ein Wunschkind.« Er lachte, als er das im Sommer 2020 im Podcast des Comedians Bülent Ceylan erzählte. Aber es kann im Leben ja mal früh passen. Bei ihm war es dann auch so. »Meine Frau war 15, ich 18, als wir uns kennengelernt haben.« Vielleicht ist die frühe Bindung und dass sie dann auch hält, der Familien-DNA geschuldet.

Die Frage war, wie lange Hansi seinem BSC Mückenloch treu bleiben könnte. Er musste als Spieler gefordert werden, in eine altersgerechte Mannschaft kommen, und so gingen die Flicks, als Hansi elf war, hinunter nach Neckargemünd, zur SpVgg. Stefan Hauswirth, der Freund, folgte ihnen ein Jahr später, und nun waren sie bei einem anderen Klub ebenso gut, dass sie ihre Liga gewannen.

Trotzdem blieb Flick ein Mückenlocher – auch, als er 1981 den nächsten Schritt tat, zum SV Sandhausen, dem ambitioniertesten Verein in der Region. Robert Brenner, ein Mückenlocher, der die Geschichte des Sportvereins in einem Buch verewigt hat, schreibt über weitere Begegnungen mit Hansi Flick: »So ist mir mehrmals bei meiner Fahrt zur Arbeit nach Reichartshausen, früh um 6:45 Uhr auf Mückenlocher Höhen ein nassgeschwitzter Hansi Flick entgegengekommen, der vor seinem Dienstantritt bei der Bezirkssparkasse Neckargemünd den ersten Waldlauf hinter sich gebracht hatte.«

Mückenloch hatte, je bekannter sein berühmtester Sohn wurde, gemerkt, dass es um seinen Platz in der Geschichte kämpfen musste. Der Autor der BSC-Chronik, Robert Brenner, legte sich darum auch mit der Rhein-Neckar-Zeitung an, denn: »Unser wenig wohlklingender Name ›Mückenloch‹ hat in der Presse kaum Aufmerksamkeit gefunden und wurde auch von der RNZ recht großzügig übergangen. Wann immer ich in der Zeitung als Herkunftsort von Hansi Flick ›Neckargemünd‹ lesen musste, hat es mir regelrecht die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Offensichtlich wollte man uns Mückenlochern die Freude und den Stolz verweigern, auch einen Fußballer im großen Rund der Bundesliga zu wissen und dazu noch beim Liga-Primus FC Bayern München. Dieses ständige Ignorieren hat mich damals veranlasst, der RNZ einen Brief zu schreiben, worin ich meinen Ärger offen und ungeschminkt zum Ausdruck gebracht habe.«

Doch irgendwann musste Mückenloch loslassen. 1988, als er beim FC Bayern spielte, verlegte Hansi Flick, nunmehr verheiratet, seinen Haupt- und Herzenswohnsitz nach Bammental, in die Heimatstadt seiner Frau. Aber es ist nicht weit weg. Man bleibt in Neckargemünd einfach noch ein paar Minuten in der S-Bahn, von Heidelberg kommend, sitzen. Robert Brenner schreibt einsichtig: »Jetzt ist er zum richtigen Bammentaler geworden.«

Der allerdings Mückenloch nicht vergessen hat, indem er den Kontakt zu den Menschen hält. Stefan Hauswirth kann dies bestätigen.

Die gemeinsame Zeit des Trios, bestehend aus den zwei Flick-Brüdern und ihm, endete in der Sandhäuser Jugend. Hauswirth wechselte zum SV Waldhof Mannheim, Joachim Flick, der »oft mit eingebundenem Knie spielte«, hörte um der Gesundheit willen mit Fußball auf, und Hansi Flick wurde Profi, bei den Bayern und in Köln.

Als es 1993 für ihn mit dem Profifußball vorbei war und Flick sich in Bammental ein neues Leben aufbaute, trafen er und Stefan Hauswirth sich bei einem Hallenfuß-ballturnier zufällig wieder. Flick lud den Jugendfreund zu Silvester ein. Hauswirth: »Und es endete damit, dass wir im Hof seines Hauses zu später Stunde das neue Jahr eingekickt haben. Wir haben Drei oder Vier gegen Eins gespielt.« Sie waren wieder Mückenlocher Kinder.

Viele Jahre sah Hauswirth seinen Silvester-Gastgeber dann nur noch im Fernsehen. Hansi Flick wurde Weltmeister und war ziemlich weit oben auf der Karriereleiter. Und trotzdem meldete er sich. »Ich hatte 50. Geburtstag, da rief er an und fragte: ›Weißt du, wer dran ist?‹ Sein Vater hatte sich die Nummer bei meinem Vater besorgt.«

Seitdem stehen sie wieder in Kontakt. Sie gratulieren sich zu den Geburtstagen. »Seinen«, sagt Hauswirth, »habe ich 2020 zunächst vergessen und ihm am Tag danach nachträglich über SMS gratuliert.« Hansi Flick schrieb umgehend zurück, bedankte sich herzlich. Es war am Nachmittag des 25. Februar. Am Abend gewann er mit dem FC Bayern das Achtelfinal-Hinspiel der Champions League beim FC Chelsea in London 3:0. Die beiden Welten des Hansi Flick hatten zusammengefunden.

Ehrgeiz

Ab welchem Alter kann ein Mensch überhaupt ehrgeizig sein? Wann erwächst aus dem natürlichen Spieldrang die Strategie, auf einer Gabe etwas Bleibendes aufzubauen? Vom Dorf-Talent zum bekannten Spieler der Region, der in eine Auswahl berufen und interessant für den größeren Klub wird? Über den etwas in der Zeitung steht, der auf der Straße erkannt wird? Der zum Begriff wird im ganzen Land und irgendwann international?

Dietmar Greulich war Trainer der A-Jugend des SV Sandhausen, zu der Hansi Flick mit 16 Jahren wechselte. Greulich denkt zurück an die Winterpause, die Zeit ohne Spiele, die Flick aber sehr wohl nutzte. »Was war der Hansi ehrgeizig! Er und der Rainer Zietsch sind bei uns ständig den Berg zum Stadion hochgerannt. Die beiden wollten unbedingt Bundesliga spielen.« Beide schafften es dann auch, Zietsch sogar noch schneller.

Sie sind drei Monate auseinander, Zietsch ist Jahrgang 1964, wie Hansi Flick stammt er aus einem kleinen Verein, in seinem Fall der TSV Gauangelloch. Der Jugendfußball in den 1970er-Jahren war mit dem heutigen und seiner Anpassung an Bundesligastrukturen ab der B-Jugend nicht zu vergleichen. Man kam über die Region allenfalls hinaus, wenn sich der Verein für die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft qualifizierte.

Zietsch und Flick lernten sich früh kennen. »Kreisauswahl Heidelberg, Kreisauswahl Sinsheim, dann badische Auswahl, mit der hat man dann in Duisburg-Wedau gegen die Auswahlmannschaften anderer Verbände gespielt«, so beschreibt Rainer Zietsch, wie man sich Stück für Stück nach oben spielen konnte. Und irgendwann kam das Angebot aus einem der regionalen Zentren. Wer wie Zietsch und Flick am Neckar groß wurde, war interessant für Sandhausen, Waldhof Mannheim oder den Karlsruher SC. »Sie waren die führenden Vereine«, sagt Zietsch. Er entschied sich 1980 für einen Wechsel von Gauangelloch nach Sandhausen, Flick war 1981 bereit, Neckargemünd zu verlassen und für Sandhausen zu spielen. Der SVS war dafür bekannt, sich gut um den Nachwuchs zu kümmern. »Es gab einen Fahrdienst, der hat uns Jungs im ganzen Odenwald eingesammelt. Und der Hansi lebte noch tiefer im Odenwald als ich«, erzählt Zietsch von den damaligen gemeinsamen Fahrten.

Sandhausens Jugendtrainer Dietmar Greulich hatte Hansi Flicks Eltern in Mückenloch besucht und sie überzeugt, dass Sandhausen ihren Sohn voranbringen würde. Die Mannschaft, die er verstärken sollte, hatte schon im C-Jugend-Alter brilliert und gegen 1860 München und Eintracht Frankfurt, diese großen Namen, um die Süddeutsche Meisterschaft gespielt. »Hansi ist ein Ausnahmetalent«, solch hohe Meinung hatte Greulich von Flick, der weitere hochkarätige Mitspieler antreffen sollte: Rainer Zietsch eben, der bereits in der U16-Nationalmannschaft spielte, und Thomas Gomminginger, der wie Zietsch später beim VfB Stuttgart landete. Und Stefan Emmerling, der nach den Sandhäuser Jahren ebenfalls eine stabile Karriere in der Bundesliga machte und auf 249 Spiele kam.

»Der Achter, wo kommt der her?« Diesen Satz hörte Dietmar Greulich oft auf den Plätzen in der Umgebung, wenn seine A-Jugend die Gegner aufmischte. Flick fiel auf, »weil er sportlich fair agierte und immer 90 Minuten Dampf machte«. Die Saison 1982/83 wurde wegweisend, eigentlich hatte der junge Hansi Flick nur ein unglückliches Spiel. »Es war an Kirchweih, wir beim Tabellenletzten, der null Punkte hatte. Das Spielfeld ein Acker. Bei einem Eckball springt Hansi der Ball an den Körper. Eigentor, und wir haben verloren. Zu Hause haben wir sie 11:0 geschlagen.« Die wichtige Partie des Jahres gegen Waldhof Mannheim am vorletzten Spieltag gewann Sandhausen, wurde baden-württembergischer Meister und gehörte zu den 16 Klubs aus ganz Deutschland, die den A-Jugend-Meister ausspielen durften.

Der SV Sandhausen traf auf den FC Schalke 04 und schnupperte in die große Welt der Bundesliga hinein. Schalkes Nachbar, die SG Wattenscheid, bot Sandhausen an, auf ihrem Gelände zu trainieren. Für Schalke spielten Olaf Thon, der ein Jahr später, 1984, bundesweit berühmt werden sollte, als er in einem legendären DFB-Pokalspiel (Endstand 6:6) den großen Bayern drei Tore einschenkte, und Michael Skibbe, der von 2000 bis 2004 Assistent von Rudi Völler, dem damaligen Teamchef der Nationalmannschaft, war. Mit einer 0:2-Niederlage und dem verletzten Stefan Emmerling kehrte der SVS aus dem Gelsenkirchener Parkstadion zurück, hatte aber noch das Rückspiel.

Trotz der ungewohnten Anstoßzeit, Sonntag 10:30 Uhr, kamen an die 5000 Zuschauer ins Stadion am Hardtwald, bereit, an das Wunder zu glauben. »Wir, das Dorf, das gegen Schalke spielt«, beschreibt Dietmar Greulich noch Jahrzehnte danach die Einmaligkeit des Ereignisses, das einen festen Platz in der Vereinshistorie hat, obwohl der SV Sandhausen sich in den 2010er-Jahren in der 2. Bundesliga festsetzte und selbst zum Profiklub wurde. Auch Rainer Zietsch kann Erinnerungen abrufen: »Es war ein dramatisches Spiel. Mein letztes für Sandhausen, weil schon klar war, dass ich nach Stuttgart gehen würde. Wir hatten eine geile Truppe, und ich meine noch heute, dass wir besser waren.« Zietsch hat nicht vergessen, dass er einen Elfmeter verschoss, beim Stand von 1:2 gegen Sandhausen. »Vom Spielverlauf her kein dramatischer Fehlschuss, aber weit drüber.« Im Kicker stand, er habe »eine Amsel vom Baum geschossen«. Rainer Zietsch muss herzhaft lachen: »Lebt der Journalist noch?«

Das große Spiel endete 2:2, Schalke war weiter. Hansi Flick fühlte sich ein wenig klein: »Die Schalker waren viel schlitzohriger, profihafter. Sie haben ihre Vorbilder halt im eigenen Haus.« Der Satz ließ erkennen: Flick würde beim SV Sandhausen nicht alt werden. Auch für ihn war es ein Ziel, in einem größeren Verein mehr gefordert zu werden. Der Ehrgeiz loderte in ihm.

Er bekam 1983 noch eine weitere Bühne: die Jugend-Nationalmannschaft. Für die Bis-18-Jährigen stand die Europameisterschaft in England an. Zum letzten Mal würde Dietrich Weise, der bewährte und erfolgreiche Nachwuchstrainer des DFB, zeitweise für alle Jahrgänge von U16 bis U18 zuständig, eine Mannschaft durch ein Turnier führen. Sein Verdienst war es, in fünf Jahren 40 Bundesligaspieler hervorgebracht zu haben. Qualifiziert hatte sich die U18 in zwei Spielen gegen die Schweiz (2:0, 1:1), beim Rückspiel in Kriens bei Luzern stand Hansi Flick vom SV Sandhausen erstmals im Kader. Es waren Plätze frei geworden, weil einige der eigentlich vorgesehenen Spieler zu diesem Termin Berufsschulprüfungen hatten.

Die EM verlief letztlich unerfreulich, die 1:3-Niederlage gegen die CSSR zum Vorrundenauftakt konnten die Deutschen auch durch das 1:0 gegen Schweden und das 3:1 gegen Bulgarien nicht wettmachen. Als Gruppenzweiter war die Mannschaft, zu der mit Dieter Hecking ein später bekannter Bundesligatrainer und mit Hansi Dorfner vom FC Bayern und Frank Ordenewitz von Werder Bremen zwei Spieler gehörten, die Flick als Teamkollegen in München und Köln wiedertraf, ausgeschieden. Flick hatte nicht auf seiner bevorzugten Position im Mittelfeld spielen dürfen, sondern musste bei seinen einzigen Einsätzen gegen Schweden und Bulgarien rechter und linker Verteidiger spielen. Danach hatte er nie mehr Gelegenheit, das Deutschland-Trikot zu tragen, aber wenigstens blieb er als Jugend-Nationalspieler ungeschlagen. Und Dietrich Weise war ein Trainer, von dem der gelehrige Hansi Flick profitierte.

»Für uns war Weise der richtige Ansprechpartner«, sagt Rainer Zietsch im Rückblick, »er hat uns gezeigt, was es bedeutet, die nächsten Schritte zu gehen.« Weise, Ende 2020 verstorben, versprach niemandem das Blaue vom Himmel; in einer Zeit vor den auf frühe Professionalisierung fixierten Nachwuchsleistungszentren war es ihm wichtig, »dass die Jugendlichen erst einen Beruf haben und sich dann auf den Fußball konzentrieren«.

Der Kicker griff die Philosophie Weises auf und beendete die Einzelkritik der Jugend-EM-Teilnehmer mit einem Hinweis auf schulische und berufliche Bildung. Die jungen Nationalspieler waren Abiturient, Gymnasiast, Industrie- und Bürokaufmann, Installateur, Dreher, Energieanlagen-Elektroniker bei VW. Über Hansi Flick stand zu lesen: »Früher BSC Mückenloh und SpVgg Neckargmünd. Wie Zietsch beim Nordbadischen Jugendmeister. Kam für Wöber, hielt sich gut, solide Leistung, Fachabitur (Berufskolleg). Note 3.« Die Namen seiner vormaligen Klubs waren leicht falsch geschrieben, auch die Berufsangabe stimmte nicht. Hansi Flick war dabei, seine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Bezirkssparkasse Neckargemünd abzuschließen.

In der hatte er noch eine Zweitmannschaft. Obwohl er in der Saison 1983/84 in die Oberliga-Mannschaft des SV Sandhausen aufrückte, trat er bei Sparkassen-Fußballturnieren an. Er schoss sein Team in die Endrunde, konnte dann aber nicht dabei sein, da Sandhausen spielte und das natürlich Vorrang hatte.

Es ist eine weitere Episode, die Flicks Ehrgeiz belegt. Er wollte keinen Wettbewerb liegen lassen. Erich Rutemöller, der im Profifußball einer seiner Coaches und an der Sporthochschule Köln sein Ausbilder war, kommt ein Prominentenspiel in den Sinn, bei dem der Hansi sich trotz seines invaliden Knies und gut zehn Jahre nach dem Ende seiner Karriere in der Bundesliga in die Schlacht warf, als gäbe es kein Morgen. Uwe Stöver, der mit ihm im Fußball-Lehrer-Lehrgang war, bestätigt dies: »Wenn es in den Wettbewerb geht, kommt die alte Einstellung durch, die man als Leistungssportler haben muss. Verlieren kann der Hansi nicht, er schaut, dass mit aller Macht gewonnen wird.« Auch Pierre Littbarski, der mit Flick beim 1. FC Köln spielte, kann zur Ehrgeiz-Diskussion seinen Beitrag leisten: »Wir haben eine Fahrgemeinschaft gebildet und uns prima verstanden. Doch es ist oft vorgekommen, dass auf dem Rückweg vom Training im Auto kein Wort gesprochen wurde.« Sie hatten nur gegeneinander zu spielen brauchen im Training.

Dass Hansi Flick sich als junger Spieler entschloss, noch in Sandhausen zu bleiben, war keine Selbstverständlichkeit. Er absolvierte mit 18 Jahren ein Probetraining bei den Stuttgarter Kickers, er hatte ein Angebot des VfB Stuttgart, wo man ihn allerdings vorerst nur in der zweiten Mannschaft gesehen hätte. »Ich wollte meine Banklehre beenden und eine Absicherung haben.« Jedoch: »Wären die Bayern damals gekommen«, erzählte er dem Magazin Rund, »dann hätte ich meine Ausbildung nicht beendet, sondern wäre einfach meinem Herzen gefolgt.«

Die Bayern mussten noch warten. Aber nicht mehr lange.

Sandhausen

Es war ein Experiment, das in Sandhausen in den frühen 1980er-Jahren ablief. Dietmar Greulich, der Jugendleiter und -trainer, klapperte die Fußballplätze der Region ab und entdeckte Talente: in Gauangelloch, Neckargemünd, Bammental oder im durch Tennisstar Boris Becker bekannt gewordenen Leimen. Greulich lockte mit einem Training, das den Ball in den Mittelpunkt stellte. Wie lange könnte man eine Mannschaft, die aus diesem Konzept erwächst, zusammenhalten? Was könnte aus ihr werden?

Rainer Zietsch, bei dem man eine Libero-Eleganz erkennen konnte, die in Deutschland zu verschwinden drohte, wechselte 1983 zum VfB Stuttgart. Aber sieben Spieler aus der A-Jugend, die die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft erreicht hatte, hatte man halten und für die Oberliga-Mannschaft der Saison 1984/85 gebrauchen können. Die Oberliga, um sie sportlich einzuordnen, war die Spielklasse, die nach der Bundesliga und 2. Liga folgte. Mit der Oberliga begann der ambitionierte Amateurfußball, sie war in regionale Gruppen aufgeteilt: Oberliga Baden-Württemberg, Bayern, Südwest, Hessen, Nordrhein, Westfalen, Nord, Berlin. Am Ende der Saison trafen sich die vier südlichen und die vier nördlichen Meister in je einer Aufstiegsrunde, letztlich durften von acht regionalen Champions vier in die 2. Bundesliga, also in den, wie es hieß, bezahlten Fußball.

In der Oberliga Baden-Württemberg gehörte der SV Sandhausen zum Inventar, einmal, 1977/78, war er sogar Deutscher Amateurmeister geworden. Aufsteigen? Mal sehen. Im Jahr 1983 holte man einen neuen Trainer, den Jugoslawen Slobodan Jovanić, der in der Umgebung, in Mannheim und Weinheim, erste Erfolge als Trainer verbucht hatte. Dietmar Greulich, der all die jungen Talente für die erste Mannschaft geliefert hatte, war zufrieden mit dieser Wahl: »Bobby Jovanić hat auf die jungen Spieler gesetzt, er war wichtig für sie. Und ein Schlitzohr im positiven Sinn.«

Was Hansi Flick drauf hat, das hatte sich in der Fußballszene herumgesprochen. Lutz Hangartner, in der Saison 1983/84 in der Oberliga Baden-Württemberg Meistertrainer des Freiburger FC, nannte den Sandhäuser »keine Nummer 10 wie Netzer oder Overath, sondern einen Typen, der die Drecksarbeit nach hinten mitübernahm«. Ein Mannschaftsspieler par excellence. Solche Kicker wurden auch weiter oben gesucht. Sogar vom FC Bayern.

Erich Balles, Präsident des SV Sandhausen zu jener Zeit, erinnert sich an eine gewisse Beziehung, die zwischen seinem Verein und dem FC Bayern bestand, »seit Rainer Ohlhauser 1961 von uns nach München gewechselt ist«. Ohlhauser bestritt bis 1970 zunächst in der Regional- und dann in der Bundesliga 286 Spiele mit der formidablen Bilanz von 186 Toren. Er kam sogar zu einem Länderspiel, wurde mit den Bayern Europapokalsieger und Deutscher Meister und gewann mit seinen Teamkollegen dreimal den DFB-Pokal. Viele der Treffer des jungen Gerd Müller entsprangen Ohlhausers Vorarbeit. In München wusste man also, wer der SV Sandhausen ist. Und man kannte Hansi Flick, der die Jugend-Europameisterschaft gespielt hatte.

Die Bayern legten sich früh in der Saison 1984/85 fest, dass sie Flick ab 1985/86 haben wollten. Im August 1984 fuhr Egon Coordes, Assistent von Bayern-Cheftrainer Udo Lattek, nach Ludwigsburg, um Flick zu scouten. Hansi Flick wurde darüber im Vorfeld telefonisch von Bayern-Manager Uli Hoeneß informiert; das Spiel gegen Ludwigsburg endete 2:0 für Sandhausen. Flick selbst fand sich »nicht besonders gut« bei dieser Partie, doch schon am darauffolgenden Tag wurde der Transfer abgeschlossen.

Erich Balles schildert die Fahrt nach München, zum noblen Hotel »Bayerischer Hof«, wo der FC Bayern ein Sitzungszimmer angemietet hatte. »Wir sind den Gang entlanggegangen«, so Balles, »und Uli Hoeneß sagte: ›Das ist das Zimmer, in dem wir vor zwei Wochen den Rummenigge nach Italien verkauft haben.‹ Ich sagte: ›Dann sind wir ja genau richtig.‹«

Elf Millionen D-Mark bekamen die Bayern von Inter Mailand für ihren Weltstar, es war die zweithöchste Ablösesumme, die bis dahin für einen Fußballer weltweit gezahlt wurde. Den Münchnern verschaffte der Verkauf ihres besten Stürmers finanziellen Spielraum für den Umbruch der Mannschaft, die von Rummenigge und seinem Kompagnon Paul Breitner geprägt gewesen war. Es stand eine Verjüngung an, und Flick war eine Investition, die der FC Bayern ohne Risiko tätigen konnte. Der Klub bezahlte 150 000 D-Mark und versprach, im kommenden Sommer für ein Ablösespiel an den Sandhäuser Hardtwald zu kommen.

Erich Balles, der in Sandhausen eine Metzgerei führte, fand mit Uli Hoeneß, selbst ein Kind aus einer Ulmer Metzgerfamilie, schnell einen Konsens. »Mir hat imponiert, dass Hoeneß gesagt hat, er nehme am liebsten Spieler, die auch das Berufsleben kennen. Er wolle keine Leute haben, die nur Fußball spielen können und nicht abgesichert sind.« Balles wurde von Hoeneß dann noch ein paarmal ins Olympiastadion eingeladen.

Hansi Flick hatte zu den Verhandlungen seinen Vater Hans dabei. Lange gefeilscht werden musste nicht. Die Bayern, neben Hoeneß durch ihren Präsidenten Willi O. Hoffmann vertreten, stellten Hansi Flick ein Monatsgehalt von 6000 D-Mark in Aussicht. Er war glücklich. Das Geld war okay, doch vor allem würde er zu einer Spitzenmannschaft wechseln. Allerdings in erst knapp einem Jahr, denn die Saison 1984/85 sollte er mit dem SV Sandhausen zu Ende bringen.

Es wurde die Saison, die der SVS sich erträumt hatte. In der ersten Pokal-Hauptrunde schied er zwar gegen Bayer Uerdingen aus, doch erst im Wiederholungsspiel in Krefeld, das er 0:2 verlor, nachdem er zu Hause dem Bundesligisten ein 0:0 nach Verlängerung abgerungen und 5000 Zuschauer begeistert hatte. Der SVS staunte über sich selbst, dass er zur Saisonhalbzeit der Oberliga mit drei Punkten Vorsprung auf den Offenburger FV an der Spitze stand. »Bei uns herrscht eine optimale Kameradschaft und eine familiäre Atmosphäre. Hinzu kommt, dass sich die jüngeren Spieler an den älteren orientieren«, sagte Jovanić. Auch wenn Hansi Flick sportlich die treibende Kraft war – er machte kein Aufheben darum und stellte sich mit dem Intensivtraining von Jovanić, der die Spieler besonders gerne Gymnastik lehrte, auf eine Rückrunde ein, für die der Trainer prognostizierte: »Alle werden uns jagen. Ab Platz zehn spielen eh alle gegen den Abstieg.« Als die Meisterschaft gesichert war, ging die Mannschaft erst einmal feiern. »Bis Montagmorgen um halb fünf«, wie Jovanić einräumte.

In die Aufstiegsrunde begab sich Sandhausen mit einer gewissen Unverbindlichkeit. Es war klar, dass die Mannschaft auch im Fall des Aufstiegs an Qualität verlöre. Flick hatte bei Bayern unterschrieben, Gomminginger beim VfB Stuttgart, Jürgen Schmidt beim Karlsruher SC – drei Spieler, die ihren persönlichen Aufstieg schon sicher hatten. »Wenn wir uns qualifizieren, werden wir den Schritt in die 2. Bundesliga auch wagen«, legte Erich Balles fest. Andererseits: Der Aufstieg war kein Muss.

Der SV Sandhausen gewann nur eines seiner sechs Spiele, das Heimspiel gegen den FSV Salmrohr, Meister der Oberliga Südwest. Beim 3:1 schoss Hansi Flick zwei Tore. Doch die Aussichten hatten sich mit einer 1:2-Niederlage zum Auftakt der Aufstiegsrunde beim Hessen-Vertreter Viktoria Aschaffenburg eingetrübt. In der Nachspielzeit fiel das Tor gegen den SVS. »Hansi ist lange auf dem Boden gehockt und hat geweint«, dieses Bild hat Erich Balles auch noch dreieinhalb Jahrzehnte später im Kopf. Es erzählt von einer Identifikation, die stärker war, als der Vertrag es verlangte.

Flick ging – und war wenige Wochen später wieder da. Nun im neuen Bayern-Trikot zu seinem Ablösespiel. In der ersten Halbzeit ließ der Münchner Trainer Udo Lattek all seine Stars ran, in der zweiten wurde Neuzugang Flick für den dänischen Star Sören Lerby eingewechselt. Die Bayern gewannen vor 5500 Zuschauern 4:1. Der SV Sandhausen spürte, dass sein Hansi nun eine viel größere Bühne betreten hatte. Bevor die Bayern ihre Kabine am Hardtwald bezogen, wurde sie von Sicherheitskräften durchsucht.

1993 wurde Sandhausen noch einmal Deutscher Amateurmeister, 2012 glückte der Aufstieg in die 2. Bundesliga, und mit Markus Münch schaffte es ein Sandhäuser aus der Generation nach Hansi Flick ebenfalls zum FC Bayern. Hansi Flick selbst kam immer wieder mal nach Sandhausen, schon weil sein Bruder Joachim hier wohnen blieb.

Auf die Karriere von Hansi Flick ist auch Sandhausen stolz. Wobei Erich Balles findet, »dass Hansi ruhig öfter sagen könnte, wo er herkommt«. Nicht nur aus Mückenloch, nicht nur aus Bammental, wo er in den 1990er-Jahren heimisch wurde. Sandhausen gehört zu seiner Geschichte.

Bayern I

Im Sommer 1985 zog Hansi Flick mit seiner Freundin Silke nach München. Die erste Adresse lautete: Tegernseer Landstraße 95. Der Kicker veröffentlichte damals die Adressen aller Bundesligaspieler, denn die Vereine wollten Publikum für sich werben: Fans sollten mit der Bitte um Autogramme die Stars direkt anschreiben können. Das war eine Form der Nahbarkeit, die sich die Szene mit den Jahrzehnten, in denen der Fußball zur globalen Entertainmentbranche wuchs, wieder abgewöhnte. Heute werden Medien Unterlassungserklärungen zugestellt, wenn sie auch nur erwähnen, in welchem Stadtteil ein Spieler wohnt.

Das Haus Nummer 95 der Tegernseer Landstraße liegt mitten in Giesing, dem Bezirk Münchens, der traditionell dem Bayern-Rivalen TSV 1860 zugerechnet wird. Es hat zwei Stockwerke und ein Dachgeschoss, unten befindet sich das Gasthaus »Alt Giesing«, eher eine Boazn – eine Kneipe –, wie man in München sagt, als ein Speiserestaurant. Aber für Hansi Flick war diese erste Wohnung vor allem praktisch gelegen, war sie doch nur eineinhalb Kilometer vom Trainingsgelände an der Säbener Straße entfernt. Bald schon zog er in die Schieggstraße in den Stadtteil Solln, wo er Nachbar seines Teamkollegen Lothar Matthäus wurde. Schnell wuchs da eine Freundschaft. »Meine erste Frau wurde Patentante von Hansis erster Tochter. Die Flicks und wir sind auch zusammen in den Urlaub gefahren«, erinnert sich Matthäus.