Überleben unter Idioten — ein Ratgeber
Einleitung
Die Kunst der Ablehnung
Kindergartenklassenkampf
Problemkinder, das sind die anderen
Niemand liebt dich wie du selbst
Bushaltestellenblues
Diagnose: Gefühle
Was passiert, wenn die Feuerwehr brennt
Respekt? Swipe left
Mehr Sexdates!
Probleme? Kein Problem!
Wie man Menschen entkommt
Fickbarkeitsparameter
Gamify your Life!
Wenn die Poolparty zu Ende ist
Für unser Leben sind wir nicht verantwortlich!
Pro Zwangsehe
Paarungsparanoia
Politisch korrekt in die Hölle
Bei Anrempeln Mord
Generationskonflikt endet nie (If offended you are old!)
Zum Jungekriegen!
Hoffentlich bald wieder Krieg
Social Media & soziales Gedankenexperiment
Das Geheimnis einer langen Beziehung
Schluss machen mit Erfolg
Ästhetik einer Kneipenschlägerei
Was, wenn ich der Böse bin?
Wir berauben uns der eigenen Freiheit
Wie viel Verschwörung steckt in dir?
Lass dich hochladen
Kalendersprüche sind wahr
Der verdiente Ruhestand
Wie man unsterblich wird
Letzte Lektion
Hass Hass Baby
Nimmt das denn kein Ende?
Danksagung
»Hier sollte eigentlich das Hesse-Zitat aus dem Steppenwolf mit dem höheren Humor stehen, der mit dem Nicht-mehr-ernst-Nehmen der eigenen Person anfängt, damit ihr rafft, was ich eigentlich meine und dass ich ein Intellektueller bin. Aber leider konnte sich mein Verlag nach meiner Honorarüberweisung die Abdruckrechte nicht mehr leisten. Na ja. Hauptsache reich, oder?«
— ALEXANDER PRINZ
Viele sogenannte Social-Media-Stars und Influencer schreiben heutzutage Bücher. Sie haben ihre Gründe – im Wesentlichen Geltungssucht, Größenwahn und Referenzbeschränktheit. Oder sie wollten sich schon immer mal selbst zitieren können. Nicht, dass mir selbst solche Anwandlungen fremd wären. Nur habe ich, im Gegensatz zu den meisten von denen, diesen Riemen selbst verbrochen. Sollte er sich als zäh und ungenießbar erweisen, trifft mich und nur mich allein die Schuld. Ich bitte also um gnadenlos unverblümtes Feedback, falls du mich zufällig auf der Straße triffst. Hau mir das Buch um die Ohren, ich werde es dir dennoch mit Freuden signieren, falls du irgendeinen Wert darauf legst.
Ich sah mich vor die schier unlösbare Aufgabe gestellt, mein unproduktives Selbstmitleid in einem Bestseller zu vermarkten, ohne dabei die übliche generische, angepasste Scheiße abzusondern. Obwohl die Absage an den Mainstream ja selbst schon wieder Mainstream zu werden droht. Der breite Strom reißt uns alle mit. Aber was soll ich sagen? Ich führe meine Dämonen nun mal gerne Gassi – literarisch.
Das Ding in deinen Händen – ich duze dich einfach weiterhin, denn dich fragt sowieso keiner – ist ein zynischer Ratgeber, der womöglich gar dazu beiträgt, Depressionen vorzubeugen. Obwohl du vermutlich ohnehin längst depressiv bist, wenn du dir ein Buch mit diesem Titel kaufst. Wie dem auch sei: Diese Hilfe zur Selbsthilfe ist in verschiedene Lektionen gegliedert, die es dir erleichtern werden, deinen Hass auf bestimmte Eigen-, nein Unarten anderer Menschen zu kanalisieren.
Falls du dich in Sicherheit wiegst: Das erste Problem, mit dem wir uns befassen, bist du. (Ja, bitte fühl dich gleich zu Anfang angesprochen und überleg dir, ob du wirklich Bock hast, dich auf den folgenden Seiten maßlosen Pöbeleien auszusetzen!) Später arbeiten wir uns unter Schmerzen vor zur Mutter allen Übels: der Liebe und allen Schweinereien, die mit ihr einhergehen. Wir schreiten fort zum Dauerthema » Gesellschaft und warum sie vor die Hunde geht«, um schließlich zu einer trockenen Abrechnung mit der Zukunft zu gelangen. Ich spreche bewusst von »vorarbeiten«, damit dir an diesem Punkt bereits aufgeht, wie hart die Lektüre wird. Du wirst schwitzen und zittern, krampfen und würgen und in den Flammen der Reinigung neu geboren werden! Von diesem Zeitpunkt an macht’s dann vielleicht sogar uns beiden Spaß. Beginnen wir also.
Du kennst das: Sie stehen im Supermarkt, an der Kinokasse, in der Mensa, auf dem Bahnhofsklo, im Puff oder an der Brüstung eines vierzigstöckigen Hochhauses – Menschen! Sie sind überall. Du entkommst ihnen nicht, und eines haben sie alle gemeinsam: Sie machen irgendwas – meistens etwas Nerviges. Laut atmen zum Beispiel. Oft bricht bei solchen Gelegenheiten konvulsivisch aus mir heraus, die Dame hinter mir möge doch bitte das Atmen einstellen, weil zum bronchialen Rasseln ihrer gut geteerten zweispurigen Atemautobahn auch noch der Azetongeruch ihrer von fauligem Fleisch umkränzten Kauleiste ausgeht. Nicht, dass ich wüsste, wie Azeton riecht. Aber es klingt schön beißend und toxisch, das passt schon.
Ich habe mal Geografie studiert, einige Semester sogar. Dort wurde mir vermittelt, dass dieser Planet genau ein Problem hat: zu viele Menschen – und die stellen auch noch Ansprüche! Ein Auto beispielsweise muss schon sein, um ihre trägen Körper durch die Innenstädte zu bewegen, wo sie vom Biomarkt zum nächstgelegenen Vegan-Street-Food-Truck mit integriertem Tattoo-Studio und Work-Life-Balance-Workshop fahren. Am liebsten ein SUV, dieses blechgewordene, desperate »Hier, hier, ich, ich!«, das zwischen zahllosen anderen ungehört verhallt. Dieser armselige Schrei nach Anerkennung kommt nicht von ungefähr, denn Menschen in solchen SUVs teilen alle miteinander das Gefühl, ihr Leben sei leer und bedeutungslos. Wie recht sie haben. Und wie kommt das? Weil wir schlicht zu viele sind. Du bist in irgendwas so richtig gut? Fein! Aber in deiner Stadt gibt es Hunderte anderer Menschen mit ähnlichem Talent, in China sind es noch mal fünf Millionen mehr. Du bist hübsch? Dann stell dich hinter den anderen Instagram-Schönheiten an. Du bist schlau und hast einen guten Uniabschluss? Wie, nur einen?? Das reicht heutzutage gerade noch für ein lebenslanges Praktikum, bei dem du immerhin viele spannende Dinge lernst. Zum Beispiel wie die hochmoderne Kaffeemaschine, die weit mehr als dein Scheißleben kostet, ihren Wassertank am liebsten befüllt haben möchte.
Ich weiß nicht, wie deine Lebenssituation aussieht. Keine Ahnung, ob du zu den viel beschworenen oberen Zehntausend zählst und gern über Menschen lachst, weil du dich für etwas Besseres hältst, oder ob du seit fünfzehn Semestern angewandte Sexualkunde an der Fachhochschule Merseburg studierst (worauf ich ziemlich neidisch wäre). Vielleicht bist du auch eine adipöse Person aus Berlin-Marzahn, die sich schon lange vor dem Mauerfall aufgegeben hat und nun langsam mit ihrer Wohnlandschaft verschmilzt. Ich muss das gar nicht wissen. Mir ist dein Leben scheißegal. Ich will nur dein Bestes, und das ist dein Geld, also lass dir mit diesem überteuerten Buch gefälligst helfen. Ach was, du wirst gar nicht gefragt.
Auf die Schnelle hieße mein Lösungsvorschlag für all deine Probleme: »Mach den Pilotenschein und kauf dir eine Insel in Kanada.« Da man mit diesem Kurztipp schwerlich ein Buch verkaufen kann, habe ich mir zusätzlich ein paar praktikablere Vorschläge für den stressreduzierten Umgang mit Menschen aus den Fingern gesogen. Also fokussier dich jetzt einmal in deinem ziellosen Leben und präg dir jede meiner oberschlauen Weisheiten ein, vielleicht sind ja ein paar davon nützlich für dich. Sämtliche Kapitel bestehen zu siebzig Prozent aus eigenen bitteren Erfahrungen und zu dreißig Prozent aus wüsten Beschimpfungen. Falls du dich auf den nächsten Seiten kein bisschen beleidigt oder angegriffen fühlst, solltest du unbedingt mein nächstes Buch kaufen, in dem du dann ganz bestimmt dein Fett abbekommst. Oder du bist tatsächlich zu entspannt, um dich von meinen Zeilen beleidigen zu lassen. Wenn das so ist, musst du mich unbedingt mal live erleben. Das hat noch jedem gereicht.
Warum tue ich dir das an? Ich habe schon immer gern meinen Weltekel an anderen ausgelassen. Im Kindergarten habe ich die Mädchen gebissen, wenn sie nicht auf mein Kommando hören wollten. Damals haben sie geweint, heute ziehen sie sich aus. Das verwirrt mich zwar immer noch, aber ich kann gut damit leben. Dennoch schreibe ich dieses Buch nicht allein, um meine Unzufriedenheit mit dir zu teilen, sondern nicht zuletzt aus Profitgier und Geltungssucht. Na schön, ein ganz klein bisschen auch, weil ich im Alltag viel zu sparsam mit wohlformulierten Anwürfen gegen meine Generation und die Gattung Homo sapiens im Allgemeinen umzugehen gezwungen bin. Seien wir doch mal ehrlich: Homo sapiens, my ass. Meinetwegen hätte die Evolution ruhig beim Homo erectus stehen bleiben können (stehen bleiben, kapiert? Rofl, Schenkelklopf, Nudge, Nudge, Wink, Wink, Erektions-schwäche kein Thema etc.). Damals lebten die Menschen nämlich noch friedlich miteinander. Sachen gibt’s. Gelernt habe ich das in einer Ausstellung, die zwar zuerst in meiner Heimatstadt Halle an der Saale zu sehen war, von mir aber lange Zeit ignoriert wurde, bis ich sie dann schließlich in Wien besuchte. Bei der Gelegenheit ein Shout-out an die geschätzt viertschönste Stadt Ostdeutschlands: Halle an der Saale, mon amour! Äh, wo waren wir gerade? Ach ja, »friedliches Miteinander«. Es stimmt: Zur Zeit des Homo erectus gab es nicht einfach so aufs Fressbrett. Das kam erst viel später, als die Menschen sesshaft wurden und sich nicht mehr aus dem Weg gehen konnten.
Auch ich kann der Konfrontation mit sogenannten anderen Menschen (auch bekannt als Leute, Individuen, Personen oder die) viel zu selten aus dem Weg gehen, nicht zuletzt weil ich mir für eine friedliche Schattenexistenz den denkbar ungeeignetsten Job ausgesucht habe: YouTuber. In dieser Eigenschaft kann man an den unpassendsten Orten erkannt werden – zum Beispiel im Rotlichtviertel von Amsterdam oder im Museum der Gedenkstätte Auschwitz. In diesem Buch werde ich viel lügen, doch ich garantiere dir: Beides ist mir wirklich passiert, Fangirl-Attitüde inklusive.
Ich habe schon immer ein Buch schreiben wollen. Mit zwölf habe ich es dann zum ersten Mal getan. Und dabei auch noch ein Buch geschrieben. Wie alles, woran man sich in diesem Alter wagt, war es ein übler Reinfall. Na schön, bei meinem ersten Mal war ich schon sechzehn. Die vier Jahre Reifezeit haben auch nicht viel bewirkt. Und was geht dich das an, du Ferkel? Wenn dein erstes Mal für alle Beteiligten toll war, dann schreib mir bitte – in Schulausgangsschrift und Normdeutsch, falls es nicht zu viel verlangt ist, aber das ist es wahrscheinlich. (Denn Eloquenz und Sex sollten einander grundsätzlich ausschließen. Oder hat irgendwer hier schon mal »Die Bürgschaft« zitiert, während er bei ›der Sache‹ war? Sollte das möglich sein? Das sollte ich auf dem berühmten Altar der Wissenschaft gleich mal ausprobieren.)
Wie dem auch sei: Ich tue mein Bestes, mich von meinen Antipathien gegen Menschen im Alltag nicht allzu sehr hinreißen zu lassen. Ich bin zwar schlau genug, die Probleme unserer Gesellschaft zu erkennen, aber zu blöd, sie zu lösen. Damit bin ich in guter Gesellschaft der überwältigenden Mehrheit der Kritiker. Sie leben gut, weil sie so tun können, als kennten sie sich mit den Dingen aus, doch insgeheim eiern sie auch bloß von einer vertuschten Katastrophe zur nächsten. Da ich leider nicht die Statur eines Rummelboxers habe, muss ich meine Gemeinheit zu Papier bringen und darauf hoffen, dass sich irgendwann jemand an einer der Seiten ganz gemein schneidet. Paper cut! The worst cut is the deepest! Na gut, vielleicht habe ich auch die vage Hoffnung, in dir, geneigter Buchkäufer, einen Seelenverwandten gefunden zu haben, der mir nicht nur sein Geld, sondern auch seine Beachtung und Zustimmung schenkt. Am Ende des Buches werden alle deprimiert dastehen: du, weil ich dich mit der Nase auf all das stoße, was an unserer Generation richtig blöd ist – und ich, weil das Buch viel zu wenig Käufer gefunden hat. Da wir auch vorher alle schon depri waren, geht es uns danach wenigstens nicht schlechter – und das ist doch in unseren Zeiten schon fast ein guter Deal, oder? Tun wir also wenigstens so, als brächte uns dieses Machwerk einen Mehrwert. Liebt nicht jeder von uns diese lebensoptimierenden, produktivitätssteigernden Dinge, die uns vormachen, mehr als blanke Zeit- und Geldverschwendung zu sein? Weil es nur eine Textform gibt, bei der die Leserschaft noch glaubt, sie sei es wert, sich mit ihr zu befassen, ist dieses Buch ein Ratgeber geworden. Wie »guter Rat«, nicht »gutes Rad«. Als überzeugter Nihilist bin ich Fürsprecher des Diesels und werde mir um nichts in der Welt meinen BMW wegnehmen lassen – zumindest bis ich mir endlich einen Aston Martin kaufen kann. Um das zu erreichen, muss ich viele Bücher verkaufen. Danke, dass du einen Teil zu meinem Aston beigesteuert hast. Und nun auf zum ersten Kapitel – nein: zur ersten Lektion!
Tolle Zeit im Leben: Du darfst nichts, kannst nichts, weißt nichts, und wenn du dir die Batterien, die du in der Sofaritze gefunden hast, in den Mund steckst, schimpft man mit dir – doch abgesehen davon, kann dir nicht viel passieren. Und weil du allein nichts anderes als Essen, Kacken und Schlafen zustande bringst, wirst du rundum versorgt.1 (Kurz: die Phase im Leben, in der man sich mal richtig verbeamtet fühlen durfte). Tatsächlich ist diese Phase des infantilen Beamtentums für die meisten von uns eine Art spawn-kill-Lotterie. (Wer von euch keine Computer-Games zockt: Stellt euch alternativ einfach Ripley im Nest der eierlegenden Alien-Königin vor.) Wir alle haben nämlich eigentlich gute Chancen darauf, glückliche, ausgeglichene und freundliche Menschen zu werden, gäbe es da nicht einen vollkommen unkalkulierbaren Risikofaktor: die Eltern. Wie genau sie zu deinem Unglück beitragen, ist von Fall zu Fall verschieden, aber ihre Macht über dein weiteres Leben ist enorm. Und falls du selbst mit dem Gedanken spielst zu werfen (oder das Werfen zu delegieren), dann solltest auch du dir jetzt ein paar Notizen machen. Nein, doch nicht im Buch. Du bist ja nicht der Halbblutprinz.
Mir ist früh im Leben aufgefallen: Ich komme ganz gut allein zurecht. Wir hatten einen großen Garten. Darin habe ich Schützengräben ausgehoben, und wenn die Nachbarskinder mal wieder zum Spielen rüberkommen wollten, habe ich ihnen eine Salve mit der Softair verpasst. Die Softair hatte leider nur geringen Druck, weswegen meine Attacken eher symbolischen Wert hatten. (Den sollte man aber nicht unterschätzen: Auch das christliche Kreuz ist nur ein Symbol – an und unter dem indes schon ziemlich viele Leute gestorben sind.) Ich habe mal irgendwo gehört, sich selbst genug zu sein, sei eine Tugend. Das fällt mir gar nicht mal so schwer. Schließlich trifft man nicht oft auf Menschen, deren Gegenwart man so sehr schätzt wie die eigene. Die meisten von uns verschwenden ihre Lebenszeit darauf, sich bei anderen beliebt zu machen, sich anzupassen – sich in irgendein Muster zu fügen. Man versucht es allen recht zu machen und in dieser belang- und gesichtslosen, dieser mediokren, ja nachgerade gleichgeschalteten Mainstream-, Konsum- und Trendsklaven-Zombie-Welt möglichst nirgends anzuecken. Und warum suchen so viele Leute den ewigen Konsens? Weil sie erbärmliche Schwächlinge sind! Ganz recht, wir haben noch gar nicht richtig angefangen, da könnte ich dich schon wieder beleidigt haben. Gern geschehen. Wahre Meister tun so etwas, um ihre Opfer … ähm … Adepten anzustacheln. Die sind dann nämlich irgendwann so richtig angepisst und geben alles, um ihr Ziel zu erreichen. Und dein Ziel besteht doch hoffentlich darin, ein Leben ohne nervtötenden Umgang mit anderen Menschen zu führen. Wohlan denn!
Was ist nun eigentlich so schlimm daran, angepasst und unbemerkt durch die Einkaufspassage dieser Republik zu schlurfen? Musst du etwa jeden Quadratzentimeter Haut inken, um mir oder sonst wem deine Individualität zu demonstrieren? Musst du deine erbärmlich knappe Freizeit darauf verschwenden, mit Tigern zu ringen, Atlantis zu entdecken und den Mond zu besiedeln? Nein! Denn so faszinierendverwegen solche Taten auch sein mögen, harte Währung auf Tinder und Instagram, so überflüssig bis schwachsinnig sind sie auch. Und wenn du mich brauchst, um dir das zu sagen, dann hast du tatsächlich einiges nachzuholen. Genau diese Unart treiben wir dir auf den kommenden Seiten aus!
Versuchen wir mal Folgendes: Du schließt jetzt die Augen. Nein! Halt, Scheißidee, dann kannst du ja nicht weiterlesen. Dann mach halt eines davon wieder auf. Wie, du kannst so nicht lesen, da sieht man nur die halbe Seite? Das geht, du Esel! Ich habe selbst nur ein Auge, und du willst doch nicht behaupten, ich könnte nicht lesen, und damit einen Behinderten diskriminieren? (Siehst du, wie geschickt ich das mache? Schon wieder Unfrieden gesät.) Also, schließ ein Auge, und nun versetz dich an einen Ort, wo so richtig viele Menschen ein und aus gehen – wie im Schlafzimmer deiner Mutter, genau. Dann lass dir das Übelste einfallen, das du dort anstellen könntest. Und genau das machst du! (Aber bitte: kein Terrorakt! Das überlassen wir den Profis.)
Du malst dir aus, was immer du dort anstellst, würde furchtbare Konsequenzen für dich nach sich ziehen. Dass man dich im besten Fall ausschimpft und in die Ecke stellt und im schlimmsten Fall bei deiner Mutter abliefert, wo du dir ein ganzes Wochenende lang anhören musst, wie wichtig es ist, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden.
Okay, Boomer, magst du denken. Dabei bist du mit zwanzig Semestern Fußpflegestudium ohne Abschluss längst ein hoffnungsloser Fall, und dein Unvermögen, eine Waschmaschine zu bedienen, wird dich im Leben ebenso wenig voranbringen, wie deine brutale Ignoranz in allen Dingen der Körperpflege dich dem anderen Geschlecht als präsentablen Kopulationspartner empfiehlt, weil man sich im Leben nun mal nicht auf der Leistung ausruhen kann, einen zugegebenermaßen deutlich überlangen wiewohl einigermaßen wohlformulierten Satz lesen und auch verstehen zu können, was an sich schon ein Talent ist, von dem ich dir, nüchtern betrachtet – aber wer will die Dinge schon nüchtern betrachten? –, gar nicht unterstellen möchte, dass du darüber verfügst.
»Bäh, kotzt mich jetzt schon an, das Buch!« … Das hab ich gehört, Freundchen! Und ich entgegne: Selbst schuld! Hättest du deinen Thalia-Gutschein mal lieber für einen Pornokalender benutzt, wie du ursprünglich vorhattest. (Falls du diesen Vorschlag aufgreifen möchtest: Es gibt Kalender, in denen prallbusige Schönheiten in nassen T-Shirts präsentiert werden, die glitschige, großschuppige Fische in die Kamera halten, #carponizer. Eine zwingende Kombination.)
Ich komme vom Thema ab. Wo war ich? Pralle Busen! Verkauft sich immer. Aber ich glaube, das mag der Verleger nicht.2 Ach, ich weiß wieder: Sinn des Lebens, Bezwingen harter Realitäten. Womöglich hatte ich es oben nicht ganz so prägnant formuliert, aber da wollen wir hin. Folge mir also durch die nächsten Seiten.3
Wenn du dich schon so willfährig in meine Hände begibst, wirst du dich vielleicht fragen, ob meine Weisheiten großen Philosophen entlehnt sind. Ha! Mit Fug und Recht kann ich behaupten, dass ich in meinem Leben noch kein einziges Buch gelesen habe bis auf die erste Bohlen-Biografie.4 Sollte in meinen Worten also die Weisheit Dieter Bohlens durchscheinen, mag es daher rühren. Jede weitere Beeinflussung durch irgendwelche Vordenker bestreite ich entschieden. Radikal politikverdrossen mit Hang zu einem extremistischen Zynismus auf Ökobasis mit neoliberalem Einschlag5 – das bin ich. Mehr brauchen wir nicht.
Ablehnung ist das Erste, womit wir im Leben umzugehen lernen müssen. Wirst du in der Familie abgelehnt, bist du vermutlich vom Postboten. Wirst du eher außerhalb des erweiterten Familienkreises abgelehnt, ist die innerfamiliäre Ablehnung wohl zu kurz gekommen, und du bist daraufhin zum reinsten Egoschwein herangewachsen. Egal, welche Form der Ablehnung du erfährst, eines muss dir immer klar sein: Ablehnung ist keine Einbahnstraße! Lerne auch du die Kunst der Ablehnung! Ich weiß, das ist viel verlangt. Und was bedeutet dieses Fremdwort eigentlich? K-U-N-S-T – kann man das essen? Anfassen? Umbringen? (Wieso fällt mir, umbringen ein? Notiz an mich: Ich sollte mir vielleicht wirklich einen Therapeuten suchen.) Nun, laut Duden ist Kunst die schöpferische Auseinandersetzung mit Natur und Welt. Uns begegnet Kunst indes zurzeit eher als ihr eigenes Zerrbild, zum Beispiel in Gestalt von Metamemes, die alle Begriffe von Ästhetik und Humor bis zur Unerträglichkeit strapazieren. Auch bei YouTubern und ihren bedauerlicherweise allzu oft ernst gemeinten Werken lässt sich das beobachten. Man könnte aber auch sagen, dass bei allem da draußen, außerhalb der eigenen Filterblase und des analogen Kiezes, die höchste Kunst darin liegt, an Leib und Seele gesund zu bleiben. Ich spreche hier also eher von Kampfkunst: eine kühne Willensanstrengung, die dein Überleben sichert. Ablehnung ist eine solche Kunstform.
Ein Szenario: Du bist auf Arbeit und ein Kollege, den du partout nicht leiden kannst, lädt dich ein, etwas mit ihm zu unternehmen. Ein paar Bier mit ihm zu trinken wäre aushaltbar (wie alles mit Bier) und die menschenfreundliche Entscheidung. Denn er wird sich vermutlich umbringen, wenn du ablehnst, weil ihn jeder in der Abteilung mobbt und du seit dem letzten Bowlingabend mit den Kollegen sein heimliches Idol bist. Vergegenwärtige dir aber Folgendes: Reich ihm diesen kleinen Finger und er reißt dir gleich den ganzen Arm ab und am Ende stehst du vor den anderen als derjenige da, der mit diesem Typen abhängt. Die ganze Firma wird dich hassen, dein sozialer Abstieg ist vorprogrammiert und bald schon wird dir gar keine Wahl mehr bleiben, als deine Zeit mit diesem Typen zu verbringen. Dein Freundeskreis, dein Haupthaar und das Laub deiner Topfpflanzen – all das wird sich lichten, dahinwelken etc. pp. Deine Frau (oder dein Mann) und dein Hund werden dich nicht mehr kennen wollen. Vermeiden kannst du das nur, wenn du auf die Regeln der Höflichkeit pfeifst. Wenn der ungeliebte Kollege dich also fragt: »Hey Bob« – für mich der ultimative Name, darum benutze ich ihn, wo ich kann –, »hast du Lust, hier im Büro dieselbe Luft wie ich zu atmen?«, dann wirst du was tun? Richtig! Ein präziser Handkantenschlag gegen die Kehle, ein Hieb aufs Sternum und ein Tritt in die Magengrube. Dazu der schallende Ruf: »Nein, du verdienst nicht, dieselbe Luft zu atmen wie wir!«
Wie so vieles in diesem Buch ist auch das so unernst wie möglich gemeint. Die Kunst der Ablehnung bedeutet für mich: kulturelle und gesellschaftliche Trends zu erspüren und gleichzeitig zu erkennen, dass dem Gruppenzwang zu folgen, vor der Peer Pressure einzuknicken hauptsächlich bewirkt, dass es einem am Ende schlechter geht. Manchmal ist es schmerzhaft, dass um einen herum alle dumm oder verrückt geworden sind (ich wohne direkt über der Partymeile der Stadt), doch wer die Kunst der Ablehnung beherrscht, muss am Ende durch das schiere Gefühl der Überlegenheit obsiegen!
(Und jetzt mal unter uns: Wie oft hast du das Wort ›obsiegen‹ in letzter Zeit außerhalb religiöser Traktate und der Broschüren fehlgeleiteter Politsekten gelesen? Wir plündern hier gnadenlos den kompletten deutschen Sprachschatz. Isso.)
Der Kindergarten ist eine meiner frühesten Erinnerungen: Meine Mutter ist mit mir beim »Bewerbungsgespräch« und ich bekomme ein Bonbon, weil ich so schön artig war. Noch ehe meine Mutter eingreifen kann, verschlinge ich das Bonbon. Und schon bricht aufgrund meines selbst verschuldeten Beinaheerstickungstodes allgemeine Panik aus. Denn das mit dem Schlucken hatte ich im Alter von drei Jahren noch nicht drauf. »Na toll«, denkst du jetzt bestimmt. Da kaufst du dir ein Buch, bist darauf vorbereitet, dass dir intelligente Überlegungen zur Verbesserung deines Lebens in mundgerechten Häppchen vorgesetzt werden, um nach ein paar Seiten festzustellen, dass die Natur den Autor beinahe aus dem Genpool gekickt hätte, weil er das mit dem Schlucken noch nicht raushatte.6 (Ein Scheißschicksal, das sonst eher osteuropäischen Zwangsprostituierten droht. War das zu viel? Wenn ja, wird der Lektor es schon rausstreichen. Wenn nicht – tja, dann ist diese Gesellschaft furchtbar verroht.)
Na, jedenfalls wurde ich trotz meiner Lebensunfähigkeit in den Kindergarten aufgenommen. (Ich wäre auch später noch ein paarmal fast gestorben, aber zumindest nicht durch eigene Blödheit.)
Was soll das überhaupt heißen? Kindergarten. Dort werden Kinder als Setzlinge ausgebracht, um sie zu normierten, schnurgeraden Gurken oder Bananen mit optimalem Krümmungswinkel heranreifen zu lassen, bis sie für ein System genießbar sind, das zumindest in Europa eine sehr genaue Vorstellung von zum Verzehr geeigneten Gurken und Bananen hat.7
Erinnerst du dich noch an deine Zeit im Kindergarten? Warst du da eines der Kinder, die den Ton angegeben haben? So ein Lukas, der ständig allen, die ihm nicht ihr Lieblingsspielzeug geben wollten, ordentlich eins mit der Schaufel verpasst hat? So ein richtiges Scheißkind, mit dem die Erzieherinnen nicht schimpfen konnten, weil deine Mutter ihnen sonst am nächsten Tag die Hölle heiß gemacht hätte? Oder warst du eher ein Tobias, der immer Dreck gefressen hat – manchmal, weil Lukas ihn dazu gezwungen hat, manchmal, weil er es selbst wollte? Vielleicht warst du aber auch ein Justus. Da ich hier in Stereotypen arbeite, ahnst du es sicher schon: Justus ist der reiche Schnösel, dessen Eltern sich die sinnlosesten und zugleich kostspieligsten Spielsachen für ihren kleinen Racker leisten. Und weil alle ab und an mal damit spielen wollen, traut sich nicht mal Lukas, ihm die Schaufel über den Schnöselschädel zu ziehen.
Man kann sagen, was man will, doch was in der Gesellschaft der großen Leute schiefläuft, läuft schon im Kindergarten schief. Wer das bestreitet, soll einmal beobachten, wie der Kevin die Jacqueline küsst, während doch eigentlich der Bob seit gestern ihr Freund ist! Ja, da gibt es Stress vom Feinsten – und der Bob ist wieder einmal der Verlierer. Vielleicht liegt’s am Namen. Ich war damals übrigens ein Lukas, nur dass ich anders hieß – aber das weißt du ja, seit du das Buch gekauft hast. Ab und an habe ich mein Revier mit Klauen und Zähnen verteidigt. Keine Metapher! Übrigens gehören die Lukasse von einst heute eher zu den Verlierern. Wenn du zufällig Lukas heißt, tust du also gut daran, dieses Buch zu lesen. Bereits im Kindergarten gibt es die »Großen«, die den Ton angeben und bestimmen dürfen: Frauen (und vereinzelt Männer, ihrer Unterzahl wegen einfach unter ›Frauen‹ subsumiert), die so alt sind, dass man als Kind gar nicht weiß, was sie mit der eigenen Spezies zu tun haben. Und diese Frauen haben dann auch noch die scheinbar völlig willkürlich ausgeübte Macht über den kompletten Laden, ohne dass das Kind weiß, wer sie ihnen gegeben hat. Diese Frauen sind so etwas wie die Echsenmenschen der Pädagogik. Wenn man sich ihren Regeln beugt, dann gibt es eigentlich keine Probleme – man muss sich nur artig und still mit den dargereichten Spielzeugen beschäftigen und es passiert einem nichts. Aber wenn man plötzlich auf die Idee kommt, das Gerontomatriarchat zu stürzen oder die Wände des Gefäng… äh, des Kindergartens mit Kot zu beschmieren, bekommt man ihren Zorn zu spüren. Stille Treppe, Versammlungsverbot, ohne Nachtisch in den Mittagsschlaf, Arrestzelle oder Abführen durch die herbeigerufenen Eltern.
Im Kindergarten wird uns ein Platz zugewiesen, den wir erst nach dem Schulabschluss wieder verlassen dürfen – so es uns gelingt, die breiten, eigens für uns vorasphaltierten, schnurgeraden Bahnen zu verlassen, ohne dabei in den Abgrund zu steuern. Im Kindergarten wird uns ein Platz in der Gesellschaft zugewiesen, auf dem wir gefälligst zu bleiben haben. Herzlichen Glückwunsch, du bist nun ein Schaf dieser Herde, hier ist dein Mikrochip. Obwohl wir noch zu klein sind, um zu verstehen, wie uns geschieht: Bereits in dieser Zeit, die wir später gern zur unbeschwertesten unseres Lebens verklären,8 wird die Saat all unserer künftigen Probleme gelegt.
Schuld sind immer die falschen Freunde. Jeremy hätte niemals von sich aus die »Betreten verboten«-Schilder in der alten Wäscherei geklaut, wenn seine Freunde ihn da nicht mit reingezogen hätten. Julia hätte nie mit dem Rauchen angefangen, Karl wäre nicht von der Schule geflogen, Thomas wäre niemals losgezogen, um sich alle Pokémon der Kanto-Region zu schnappen, Chantal würde kein Crack rauchen – wären sie nicht an falsche Freunde geraten, die diese eigentlich total süßen und unschuldigen Kinder völlig versaut haben. Die Eltern sind ratlos, die Schule weist jede Schuld von sich und die Experten geben in den Medien den Medien die Schuld. Aber es ist zu spät. Das Kind liegt bereits im Brunnen – weil seine Freunde ihm gesagt haben, es soll reinspringen. Nur ist man heute fast schon froh, wenn noch irgendjemand raus an die frische Luft geht, um eigenhändig Schilder zu klauen. Denn inzwischen werden Missetaten zumeist digital begangen und richten nur unsichtbaren Schaden an. Eine Scheune anzünden – ja, das ist noch ein Spektakel für das ganze Dorf, und die freiwillige Feuerwehr darf neben der exzessiven Wässerung der eigenen Leber einmal einen Brand löschen, der kein Synonym für Bierdurst ist. Internetpiraterie aber hat in der Realität so wenig mit verwegenem Freibeutertum zu tun, wie ich eine Fregatte des 17. Jahrhunderts steuern könnte, nur weil mir ein Auge fehlt. Arr! Gibt es denn überhaupt noch normale Kinder? Kinder, die nicht irgendwelche Tänzchen aus Onlineballerspielen für Snapchat tanzen oder auf TikTok die Lippen spitzen und Grimassen schneiden? Gibt es noch Kinder, die lieber Bücher lesen, sich in der Natur Borreliose einfangen oder den Nachbarshund mit Tannenzapfen bewerfen?
Ich klage zu Recht, denn: Früher war bekanntlich alles besser. (Vor allem aber war früher alles ausgesprochen angezogen, wenn ich mir die Fotos aus meiner Kindheit so anschaue. Also die, auf denen ich nicht nackt bin. Was erschreckend selten der Fall ist. Warum zur Hölle macht man überhaupt Nacktbilder von seinem Kind? Hat ein Mensch erst Persönlichkeitsrechte, wenn er alt genug ist, eigenhändig das Haus anzuzünden? Aber ich schweife ab.)