Die Autorin
Prof. Dr. Silviane Scharl lehrt prähistorische Archäologie an der Universität zu Köln. Sie forscht zu verschiedenen Aspekten der Jungsteinzeit und der Kupferzeit, so z. B. zur Errichtung von Monumenten, zum Siedlungswesen und zu Tausch- und Kommunikationsnetzwerken. Aber auch übergeordnete Fragen spielen in ihren Forschungen eine wichtige Rolle, wie z. B. Studien zum Innovationstransfer in Prähistorischen Gesellschaften.
Meinen Eltern
Maria († 12.03.2020) und Rudolf Scharl
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Umschlagbild: Poulnabrone Dolmen, Irland, Foto: Ulrich.fuchs, CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Poulnabrone-dolmen.jpg (Zugriff am 02.07.2020).
1. Auflage 2021
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Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-036740-1
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Die Jungsteinzeit (Neolithikum, älteste Daten aus Südosteuropa im 7. Jahrtausend v. Chr.) ist die Epoche der europäischen Prähistorie, in der die Menschen sesshaft werden und beginnen, Landwirtschaft zu betreiben. Die Zeit der großen Eiszeitjäger oder generell der mobilen Wildbeutergruppen (Alt- und Mittelsteinzeit) ist vorbei. Damit markiert sie das Ende der längsten Epoche unserer Menschheitsgeschichte, in der rückblickend wesentliche Entwicklungen stattfanden, die unser Leben bis heute prägen.
Mit den Anfängen der Nahrungsmittelproduktion gehen nicht nur ökonomische, sondern auch tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen einher. Die archäologischen Quellen reflektieren u. a. einen bedeutenden Wandel demographischer und sozialer Strukturen. Die Entstehung von Territorialität und Privatbesitz wird diskutiert. Darüber hinaus greift der Mensch nun verstärkt in seine Umwelt ein und gestaltet diese seinen Bedürfnissen entsprechend um. Der Prozess, der in Gang gesetzt wird und der im Lauf der nachfolgenden Jahrtausende z. B. zum Rückgang der Biodiversität, zur Veränderung unserer Landschaft durch Erosions- und Akkumulationsprozesse im Zuge von Entwaldung und landwirtschaftlicher Nutzung oder zur Veränderung der Atmosphäre geführt hat, dauert bis heute an und ist unumkehrbar. Damit werden in der Jungsteinzeit die wesentlichen Weichen für die weitere Entwicklung unserer heutigen Gesellschaft gestellt.
Wichtige Wurzeln unserer Gesellschaft liegen also in der »Steinzeit« – ein Begriff, mit dem wir in unserer Alltagssprache Eigenschaften wie »alt«, »verstaubt« oder gar »rückständig« assoziieren. Und in der Tat sprechen wir hier über einen Zeitraum der Menschheitsgeschichte, der sehr weit zurückliegt – ob er rückständig oder verstaubt ist, ist hingegen eine Frage der Perspektive. Im vorliegenden Buch werden die verschiedenen Facetten der ältesten bäuerlichen Gesellschaften beleuchtet. Hierzu gehören neben Wirtschafts- und Lebensweise und einer einsetzenden, dauerhaften Umwelt-/Landschaftsveränderung auch Innovationen wie Rad und Wagen oder Kupfermetallurgie, die bedeutende langfristige Entwicklungen angestoßen haben.
Das vorliegende Buch ist jedoch nicht nur ein Buch über die Jungsteinzeit, sondern auch darüber, wie man sie erforscht. Da uns schriftliche Zeugnisse fehlen, sind wir auf die Analyse der materiellen Kultur dieser Zeit angewiesen. Um in diesen materiellen Spuren lesen zu können, ist ein ganzer Werkzeugkasten an Methoden notwendig, der uns erlaubt, jedes noch so kleine Detail in den Blick zu nehmen. Hier haben insbesondere naturwissenschaftliche Analysen in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Die Untersuchungsergebnisse bilden Mosaiksteinchen, mithilfe derer Archäologen versuchen, ein möglichst vielschichtiges Bild dieser Epoche zu entwerfen. Zugleich muss betont werden, dass viele Aspekte jungsteinzeitlichen Lebens bis heute nicht verstanden sind. Dies führt dazu, dass es zu bestimmten Aspekten Fachdiskussionen gibt, in denen sich völlig gegensätzliche Ideen scheinbar unvereinbar gegenüberstehen. Soweit zum Verständnis nötig, werden die wesentlichen Argumente solcher Diskussionen in den entsprechenden Kapiteln behandelt.
Weiterhin muss betont werden, dass die Geschichte der Jungsteinzeit in diesem Buch nicht als lineare Geschichte erzählt wird, schon gar nicht als eine Aneinanderreihung von Ereignissen, wie wir es häufig aus dem Geschichtsunterricht kennen. Im Fokus der Jungsteinzeitforschung stehen in vielen Fällen Prozesse, während Ereignissen eine untergeordnete Rolle zugesprochen wird. So werden beispielsweise im Rückblick als spektakulär bewertete Erfindungen wie Rad und Wagen meist in einem größeren Kontext und als Teil eines größeren, komplexeren Prozesses betrachtet. Nichtsdestotrotz spielt auch die »Jagd« nach dem jeweils ältesten Nachweis z. B. für Keramik oder das älteste Haustier eine nicht zu unterschätzende Rolle, vor allem in der Öffentlichkeit.
In der Erforschung von Prozessen in der Jungsteinzeit und darüber hinaus wird langfristigen klimatischen oder umweltgeschichtlichen Entwicklungen eine wichtige Bedeutung zugesprochen. Generell ist die Mensch-Umwelt-Interaktion eines der grundlegenden Themen, das vor allem in der Langfristperspektive betrachtet wird. Dabei ist zu diskutieren, welches Gewicht jeweils Natur und Kultur in der Entwicklung prähistorischer Gesellschaften hatten. Während lange Jahre die Rolle der Natur betont wurde, in der der prähistorische Mensch als passives, auf Umweltveränderungen lediglich reagierendes Wesen erschien, wird in den letzten Jahren verstärkt die Rolle individuellen, freien Handelns betont (agency), das dem Menschen auch in der Jungsteinzeit ermöglichte, sein Leben aktiv zu gestalten. All diese Perspektiven spiegeln sich auch im vorliegenden Buch wider. Zugleich muss betont werden, dass alle Ausführungen naturgemäß einen Zwischenstand der Forschung darstellen, der sich durch neue Entdeckungen und Analysemethoden jederzeit ändern kann. Der Forschungsstand ist über die Quellenangaben erschließbar, wobei darauf geachtet wurde, – wo vorhanden – aktuelle Überblickswerke zu zitieren, die einen leichten Einstieg in die verschiedenen Themen ermöglichen. Fachbegriffe (kursiv gesetzt) werden im Glossar am Ende des Buches erläutert.
Die Jungsteinzeit wird nachfolgend nicht als chronologischer Ablauf erzählt, sondern im Rahmen von Themenfeldern behandelt, mit deren Hilfe der Alltag der jungsteinzeitlichen Menschen beleuchtet wird. Es geht um Fragen wie: Wie haben diese Menschen gelebt? Wie alt wurden sie, wie gesund waren sie und was haben sie gegessen? Dabei werden auch immer wieder wichtige und spektakuläre Entdeckungen und Funde behandelt wie z. B. Ötzi die Eismumie vom Hauslabjoch, deren Erforschung eine ganze Reihe neuer Erkenntnisse erbracht hat.
Der räumliche Fokus des Buches liegt auf dem mitteleuropäischen Raum, dessen Entwicklung jedoch nicht verstanden werden kann, wenn nicht auch eine großräumige Perspektive eingenommen wird, da viele Entwicklungen Teil größerer Phänomene waren, die sich über weite Teile Europas erstreckten (z. B. die Megalithkultur). Es spielen daher unterschiedliche Räume (vom Nahen Osten bis Nord- und Westeuropa) eine Rolle. Zeitlich bewegen wir uns im mitteleuropäischen Raum in etwa in der Zeit zwischen 7500 und 4000 vor heute. Allerdings sind die ältesten Nachweise für frühe Landwirtschaft und eine sesshafte Lebensweise in benachbarten Regionen (Südosteuropa und Naher Osten) deutlich älter, sodass der gesamte Zeitraum des frühen Holozäns, der sog. Nacheiszeit, ebenfalls wiederholt angesprochen wird.
Die Jungsteinzeit beginnt und endet mehrere Jahrtausende vor Christi Geburt. Eine der ersten Aufgaben der frühen archäologischen Forschung war es, eine zeitliche Ordnung in das Fundmaterial zu bringen. Damals war es jedoch noch nicht möglich, die Funde direkt zu datieren und eine absolute Altersangabe zu erhalten. Diese gelang nur, wenn aufgrund schriftlicher Überlieferungen, wie sie z. B. aus dem östlichen Mittelmeerraum schon recht früh vorliegen, eine absolute zeitliche Einordnung möglich war und Gegenstände aus Regionen ohne Schriftzeugnisse mit solchen aus den schriftführenden Kulturen parallelisiert werden konnten. Daher wurden Funde, gerade wenn es um steinzeitliche Kontexte ging, in der Regel »relativ« datiert, d. h. man gab an, ob ein Fund älter oder jünger als ein anderer war bzw. erarbeitete zeitliche Abfolgen von Funden und »Kulturen«. Dies gelingt z. B. mithilfe der Stratigraphischen Methode. Erst viel später war es möglich, z. B. aus Holzkohlefunden oder Knochen, absolute Daten zu generieren. In der Regel werden absolute Daten, die mithilfe der Radiocarbondatierung oder mithilfe der dendrochronologischen Datierungsmethode gewonnen werden, in Kalenderjahren v. Chr. (englisch: before Christ, abgekürzt BC) oder n. Chr. (englisch: in the year of the Lord/anno Domini, abgekürzt AD) angegeben. Bei den verwendeten 14C-Daten handelt es sich, sofern nicht anders angegeben, um kalibrierte Daten. In der Literatur finden sich jedoch auch immer wieder Angaben mit dem Kürzel »B. P.« (before present). Diese geben das Alter vor heute an. Da die Zeit voranschreitet, hat man sich auf die Konvention geeinigt, dass sich »B. P.« auf das Jahr 1950 bezieht, um einen festen chronologischen Bezugspunkt zu haben.
Gleichzeitig sortieren Archäologen Fundverteilungen auch räumlich. Wenn in einer Region zu einer bestimmten Zeit ein sehr charakteristischer Fundtyp z. B. Keramikgefäße mit einer typischen Verzierungsart vorherrschte und sich dessen Verbreitung klar gegen die Verbreitung eines anderen Gefäßtyps abgrenzen lässt, interpretieren Archäologen dies traditionell als Indiz für Kommunikationsräume und -grenzen. D. h. diese räumlichen Einheiten materieller Kultur werden als Spiegel geteilter Normen und Werte gesehen, die in einem Raum für eine bestimmte Zeit vorherrschten. Daher spricht man auch von »Traditionsräumen« – eine Gruppe von Menschen einigt sich darauf, ihre Gefäße auf eine bestimmte Art und Weise zu verzieren, und gibt dies auch an die nächste Generation weiter. Ausprägungen materieller Kultur, die hierfür verwendet werden, sind naturgemäß solche, die einem steten stilistischen Wandel unterlagen, in der Jungsteinzeitforschung z. B. Keramikgefäße, in der Bronzezeitforschung z. B. Bronzenadeln (Gewandnadeln). Die auf dieser Basis definierten, distinkten – also klar abgegrenzten – räumlich-zeitlichen Einheiten liefern ein grobes Gerüst, das es Archäologen erlaubt, Aussagen über Entwicklungsprozesse oder Kontakt und Kommunikation (z. B. in Form von Tauschnetzwerken oder Wissenstransfer) zwischen diesen zu treffen. Häufig werden diese räumlichen Einheiten materieller Kultur in der Literatur als sog. »archäologische Kulturen« bezeichnet, die dann mit einem charakteristischen Namen versehen werden. Dieser kann geographisch geprägt sein, indem er auf einem Fundortnamen (häufig dem Fundort der Entdeckung dieser »Kultur«) basiert, wie z. B. die »Wartberg-Kultur«, benannt nach dem Fundort des Wartbergs bei Fritzlar/Hessen. Der Name kann aber auch deskriptiv sein und eine bestimmte Fundmaterialgattung näher beschreiben, wie z. B. die sog. »Glockenbecher-Kultur«, in deren Verbreitungsgebiet zwischen Portugal und Mitteleuropa, Nordatlantik und Italien glockenförmige Keramikbecher typisch sind. Dabei muss betont werden, dass es sich nicht um die Überreste sozialer oder gar ethnischer Einheiten handelt, auch wenn es diese Fehlinterpretation vor und während des Zweiten Weltkrieges durchaus gab. Es handelt sich vielmehr um die Verbreitung charakteristischer Ausprägungen materieller Kultur (z. B. bestimmter Fundtypen oder Grabsitten), die sich räumlich und auch zeitlich gut, aber in der Regel nicht scharf gegeneinander abgrenzen lassen. Spezifische Typen unterschiedlicher Fundgattungen müssen nicht dieselbe deutlich abgrenzbare räumliche Verbreitung aufweisen. Eine archäologische Kultur repräsentiert daher keine homogene »Ganzheit« und es gibt durchaus Forschungstraditionen, vor allem außerhalb Zentraleuropas, die dem archäologischen Kulturbegriff nur eine sehr untergeordnete Bedeutung beimessen. Im vorliegenden Buch werden die Namen der archäologischen Kulturen an entsprechender Stelle erwähnt und erläutert. Die nachfolgende Abbildung gibt einen Überblick über die interne zeitliche Entwicklung des Neolithikums in Mitteleuropa, aufgeschlüsselt nach Großregionen ( Abb. 1.1).
Abb. 1.1: Chronologietabelle zum Neolithikum in Mitteleuropa – differenziert nach Großregionen.
Die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln erscheint uns aus heutiger Perspektive selbstverständlich, denn es reicht ein Griff in den Kühlschrank, ein Gang zum Supermarkt oder manchmal auch in den heimischen Garten, wo vielleicht noch das ein oder andere Obst und Gemüse angebaut wird. Doch die Geschichte der Lebensmittelproduktion ist kurz. Jahrhunderttausende lang lebten wir Menschen als mobile Wildbeuter und gewannen unsere Nahrung durch Jagen, Sammeln und Fischen. Erst vor wenig mehr als 10 000 Jahren begannen wir, unsere Lebensmittel selbst zu produzieren. Grundlage hierfür war die Domestikation indigener Wildpflanzen- und Wildtierarten (sog. primäre Neolithisierung im Gegensatz zur sekundären Neolithisierung, die die Ausbreitung der neuen Wirtschaftsweise in Gebiete meint, wo diese Wildformen nicht natürlich vorkommen)1. Dabei ist nicht jede Tier- und Pflanzenart domestizierbar, im Verhältnis zur Artenvielfalt handelt es sich um eine geringe Zahl (z. B. 15 von 148 Großsäugetierarten)2. Im Rahmen dieses Domestikationsprozesses veränderte der Mensch die Eigenschaften spezifischer Arten, indem er – möglicherweise unbewusst – nach bestimmten Merkmalen selektierte. Der menschliche Eingriff in deren Reproduktion führte schließlich langfristig zu Veränderungen im Genmaterial, sodass sich beispielsweise beim Getreide größere Körner herausbildeten und sich diese von Generation zu Generation vererbten3.
Domestizierbare Tier- und Pflanzenarten sind in verschiedenen Regionen unserer Welt verbreitet – so z. B. Mais in Mittelamerika oder Reis im heutigen China ( Kap. 3). Die Wurzeln der produzierenden Wirtschaftsweise Europas liegen im sog. Fruchtbaren Halbmond – einer Region, die sich halbmondförmig von Jordanien, Israel, Libanon, Syrien und Südostanatolien im Westen bis in den Irak und Iran im Osten erstreckt und die durch Winterregen gekennzeichnet ist, welche Regenfeldbau ermöglichten (
Abb. 2.1). In dieser Region waren die wilden Vorfahren einiger unserer heutigen Kulturpflanzen, wie die Weizenarten Emmer und Einkorn, aber auch Gerste, Linse, Linsenwicke, Lein, Kichererbse oder Erbse verbreitet (sog. founder crops), ebenso wie die wilden Vorfahren der Haustierarten Schaf, Ziege, Rind und Schwein. Anhand der bislang verfügbaren Radiocarbondaten kann das Erstdomestikationszentrum im Vorderen Orient derzeit als das älteste weltweit eingeordnet werden4.
Dabei setzte dieser Prozess nicht plötzlich ein, sondern wir fassen im archäologischen Quellenmaterial eine schrittweise Entwicklung, die mit einer Intensivierung der Nutzung diverser Wildgrasarten – darunter mehrerer Wildgetreidearten – noch während der letzten Eiszeit begann ( Abb. 2.2). Diese wird am Fundort Ohalo II (Israel) am See Genezareth bereits um 21 000 v. Chr. fassbar (
Abb. 2.1). Dort wurden mehrere Behausungsreste einer Gruppe von Wildbeutern entdeckt, in denen sich Mahlsteine zur Verarbeitung dieser Wildpflanzen fanden. Reste von Stärke, die den Mahlsteinen anhafteten, belegen u. a. die Verarbeitung von Gerste und Hafer. Zudem konnte durch die gute Erhaltung der Funde – die Siedlungsstelle wurde kurz nach ihrer Aufgabe überschwemmt und blieb bis zur Ausgrabung unter Luftabschluss – eine große Zahl von Pflanzenresten dokumentiert werden. Deren Auswertung ermöglicht zum ersten Mal detaillierte Aussagen zur pflanzlichen Nahrung von Wildbeutergruppen, die ansonsten kaum erhalten sind, und zeigt, dass ein bemerkenswert breites Spektrum an Arten genutzt wurde, darunter Eicheln, Mandeln, Pistazien, Oliven, Feigen, Himbeeren und Trauben. Der Großteil der pflanzlichen Nahrung bestand jedoch aus den Samen von Wildgräsern, darunter auch einige Getreidearten, die später domestiziert wurden5.
Abb. 2.1: Karte des Vorderen Orients und des südöstlichen Europas mit den wichtigsten Fundstellen (schwarze Punkte: wichtige Fundstellen des Epipaläolithikums und Neolithikums, gelbe Punkte: im Text genannte Fundstellen). Die grüne Signatur markiert die Lage des Fruchtbaren Halbmondes.
Die Untersuchung der jahreszeitlichen Verfügbarkeit aller nachgewiesenen Arten deutet darauf hin, dass es der dort lebenden Menschengruppe möglich war, ganzjährig oder zumindest große Teile des Jahres an diesem Ort zu siedeln. Wie groß diese Gruppe war, ist ungeklärt. Es wurden insgesamt sechs Hüttengrundrisse dokumentiert, fraglich ist jedoch, ob diese alle zur gleichen Zeit genutzt wurden. Damit fassen wir in Ohalo II) nicht nur eine Intensivierung der Wildpflanzennutzung, sondern zugleich auch erste Schritte auf dem Weg zu einer sesshaften Lebensweise, die im Neolithikum schließlich kennzeichnend wird6.
Dieser Trend setzte sich nach dem Höhepunkt der letzten Eiszeit mit der beginnenden Erwärmung fort. Die klimatischen Veränderungen gingen einher mit Veränderungen der Umwelt. So prägten nun mediterrane Eichenwälder und damit verbunden Wildgetreidewiesen das Landschaftsbild.
Abb. 2.2: Die Anfänge der Nahrungsmittelproduktion im Fruchtbaren Halbmond. Chronologische Darstellung der wichtigsten, im Text beschriebenen Entwicklungen.
Diese Zeit, die z. B. durch Fundstellen in der Levante (sog. Natufien, ca. 13 000–9600 v. Chr.) gut belegt ist, ist charakterisiert durch eine Größenzunahme der Siedlungen und eine wachsende Bedeutung von Wildgräsern. Letztere spiegelt sich zum einen darin, dass im Fundmaterial nun vermehrt Gerätschaften auftreten, deren Funktion vor allem in der Verarbeitung von Getreide gesehen wird, wie Sichelklingen oder Mörser und Stößel. Zum anderen konnten in den für diese Zeit typischen Rundhütten fest installierte steinerne Behälter oder mit Lehm ausgekleidete Gruben dokumentiert werden, die als Hinweise auf Vorratshaltung interpretiert werden (z. B. Hayonim Cave und Ain Mallaha/Israel). Darüber hinaus liegen auch erste Hinweise dafür vor, dass der Mensch seine Umwelt aktiv beeinflusste, um das Wachstum spezifischer Pflanzenarten gezielt zu fördern. So belegt die Auswertung von Unkrautspektren die gezielte Hege von Wildgetreidefelder (z. B. Abu Hureyra oder Mureybit/Syrien, Abb. 2.2)7.
Ab dem sog. Pre-Pottery Neolithic A (PPN A; dt. »präkeramisches Neolithikum«, also eine Phase der Jungsteinzeit, in der jedoch noch keine Keramik hergestellt wurde; ab ca. 9600 v. Chr.) kommt es zu einer Intensivierung dieses Pflanzenmanagements. Darauf weist z. B. die Zunahme von Einkorn am mittleren Euphrat (z. B. Jerf el Ahmar/Syrien) hin – einer Region, die aufgrund der dort vorhandenen Böden und der damals steigenden Jahrestemperaturen keine optimalen Wachstumsbedingungen für diese Weizenart bot. Der im archäobotanischen Befund fassbare Anstieg dieser Art wird daher darauf zurückgeführt, dass der Mensch eine gezielte Aussaat betrieb, die Felder von Unkraut befreite und bewässerte. Als weiterer Hinweis auf gezielte Eingriffe werden die Abnahme indigener Wildpflanzenarten am mittleren Euphrat und die Zunahme von Wildformen weiterer Kulturpflanzen, wie Gerste, Emmer, Linse, Kichererbse und Ackerbohne gewertet. Darüber hinaus datieren in diese Zeit Massenfunde von verkohlten Hülsenfrüchten, Getreide sowie anderen Samen und Früchten (z. B. Netiv Hagdud und Gilgal/Israel). Die Mörser und Stößel des Natufien werden nun abgelöst von flachen Mahl- und Reibsteinen, die eine einfachere Verarbeitung von Getreidekörnern ermöglichten und daher ebenfalls als Indiz für deren zunehmende Bedeutung interpretiert werden8.
Aus dem nachfolgenden sog. Pre-Pottery Neolithic B (PPN B; ab ca. 8700 v. Chr.) liegen schließlich erste unzweifelhafte Belege für die Domestikation von verschiedenen Pflanzen- und Tierarten vor ( Abb. 2.2). Ein Anzeichen hierfür ist z. B. die regelhafte Herausbildung stabiler Ährenspindeln bei Getreidekörnern (die Achse einer Ähre, die das Korn trägt), die verhindert, dass die Körner vor der Ernte zu Boden fallen. Bei Wildgetreide dominiert die brüchige Variante, der Anteil der stabilen Ährenspindel liegt unter 10 %. Beim frühen domestizierten Getreide werden hingegen deutlich höhere Werte erreicht. Weitere Domestikationsmerkmale sind die Zunahme der Korngröße und das Vorkommen dieser Pflanzenarten außerhalb ihres natürlichen Habitats (Lebensraumes). Deren Auftreten im PPN B stellt gewissermaßen den Endpunkt eines länger andauernden Domestikationsprozesses dar, dessen exakter Beginn nicht eindeutig festzulegen ist, da nicht bekannt ist, wie viele »Generationen« von Getreide durch den Menschen manipuliert werden mussten, bis sich diese Merkmale im Phänotyp, d. h. im Erscheinungsbild, herausbildeten9.
Dies gilt auch für die Domestikation unserer Haustiere. Die Wildformen von Rind und Schwein waren in ganz Vorderasien und Europa sowie Teilen Nordafrikas verbreitet, die von Schaf und Ziege konzentrierten sich auf die Region von Ost- und Südanatolien bis zum Zagrosgebirge. Ab dem PPN B fassen wir Tiere, die sich morphologisch von ihren wilden Artgenossen unterscheiden – ein wichtiges Merkmal stellt z. B. die Verringerung der Größe dar. Weitere Domestikationsmerkmale, die im archäologischen Quellenmaterial aber keine Spuren hinterlassen, sind z. B. Veränderungen der Fellfarbe oder andere Verhaltensweisen (z. B. beim Fluchtverhalten)10. Diese werden, ebenso wie bei den Pflanzen, erst nach einer nicht genau zu benennenden Zahl an Generationen sichtbar. Hinzu kommt, dass im archäologischen Fundmaterial nur Knochen und Zähne erhalten bleiben und dies auch nur unter bestimmten Erhaltungsbedingungen. Knochen lösen sich z. B. in entkalkten Böden im Lauf der Zeit auf. Doch selbst wenn Tierknochen und -zähne erhalten sind, ist es nicht immer eindeutig möglich, zu entscheiden, ob es sich um Haus- oder Wildtiere gehandelt hat. Daher werden weitere Indizien gesammelt, wie z. B. das Schlachtalter der Tiere, um zu überprüfen, ob dieses auf ein gezieltes Herdenmanagement im Hinblick auf ein langfristiges Herdenwachstum hinweist. So wurden bevorzugt junge männliche Tiere und ältere weibliche Tiere geschlachtet. Und auch ein hoher Anteil einer spezifischen Tierart am Tierknochenspektrum eines Fundplatzes wird in diese Richtung gedeutet. Ein weiteres wichtiges Argument für Domestikation ist die Entdeckung von Tierknochen einer Tierart außerhalb ihres natürlichen Habitats.
Erste Hinweise auf Rinderdomestikation (Verringerung des Sexualdimorphismus) stammen aus der der Zeit um 9000–7000 v. Chr. von Fundorten im mittleren Euphrattal (Halula, Dja’de/Syrien). Ähnlich alt (um 9000/8500 v. Chr.) sind die derzeit ältesten Belege für domestizierte Schafe und Ziegen. Erste Hinweise auf Schweinedomestikation datieren um 8300 v. Chr. und liegen aus dem ostanatolischen Raum vor (z. B. Cafer Höyük)11. All dies stellt wie auch bei der Pflanzendomestikation den Endpunkt einer Entwicklung dar, die bereits zwei Jahrtausende früher einsetzte und anfangs durch gezielte Jagdstrategien bzw. durch Wildtiermanagement gekennzeichnet ist, das kleinregional zu veränderten Zusammensetzungen der Altersstrukturen von Wildtierpopulationen führte.
Rückblickend geht mit den Anfängen der Nahrungsmittelproduktion und insbesondere mit dem Beginn des Getreideanbaus eine markante Veränderung in unserer Ernährung einher. Nun dominieren Getreide und Hülsenfrüchte den Speiseplan der frühen Bauern (zu Ernährung und Gesundheitszustand Kap. 8). Langfristig führte die Herausbildung früher Landwirtschaft auch zu Veränderungen in anderen Bereichen der Gesellschaft. So ermöglichten die Versorgung mit lokal verfügbaren, dichten und vorhersagbaren Nahrungsressourcen wie dem Getreide und die sich entwickelnde Vorratshaltung das ganzjährige Siedeln an einem Ort. Damit einher gingen demographische Veränderungen. Langfristig setzte ein Bevölkerungswachstum ein, das – wenn auch mit Einbrüchen und in Wellenbewegungen – bis heute andauert. So sind in Ohalo II) – als größte bekannte Siedlung in der Levante während der letzten Eiszeit – wie bereits vorangehend erwähnt insgesamt sechs Hüttengrundrisse belegt, deren gleichzeitige Nutzung nicht letztgültig bewiesen werden kann. Auch die Siedlungen des Natufien und des nachfolgenden PPN A bleiben in ihrer Ausdehnung meist noch unter 1 ha Fläche. Im ausgehenden PPN B entstanden schließlich Dörfer von bis zu 10 ha Fläche, für die mit mehr als 3 500 Einwohnern gerechnet wird – die sog. »Megasites«. Die Wohnbauten, die bis dahin in der Regel in Form von Rundhütten konstruiert worden waren, weisen nun einen rechteckigen Grundriss auf (
Abb. 2.2). An verschiedenen Fundorten konnten Steinfundamente dokumentiert werden, auf denen Mauern aus Steinen im Lehmverband oder aus Lehmziegeln errichtet wurden. Das dauerhafte Zusammenleben größerer Gruppen an einem Ort erforderte sicherlich die Entwicklung gewisser sozialer Regeln. Wie diese konkret ausgesehen haben, können wir nur erahnen. Im archäologischen Quellenmaterial fassen wir an verschiedenen Fundstellen die Errichtung von Gebäuden, die aufgrund ihrer Ausmaße (bis zu 20 m Durchmesser), ihrer Gestaltung (umlaufende Bänke, Stützpfeiler aus tonnenschweren Kalksteinen, die plastisch verziert waren,
Abb. 2.3) und des Fehlens von Feuerstellen und Mahlsteinen als Gemeinschaftsbauten angesprochen werden (z. B. Göbekli Tepe, Çayönü/beide Anatolien oder Jerf el Ahmar/Syrien). Umlaufende Bänke deuten auf eine Bedeutung als Versammlungsort hin, kleine, abgetrennte Abteile könnten auf eine Funktion zur gemeinschaftlichen Vorratshaltung hinweisen, Bestattungen in diesen belegen auch eine gewisse rituelle Funktion12.
Abb. 2.3: Rundbau mit T-förmigen Stützpfeilern am Göbekli Tepe/Anatolien.
Bestattungen sind Spiegel ritueller Praxis, werden in der Archäologie jedoch häufig auch als Indikator für soziale Strukturen in prähistorischen Gesellschaften gewertet. Markante Unterschiede in der Menge oder Qualität von Beigaben zwischen Bestattungen werden z. B. nicht selten als Hinweis auf soziale Unterschiede oder gar hierarchische Gesellschaftsstrukturen interpretiert. Dabei wird diese Interpretation durchaus kritisch gesehen u. a. mit dem Verweis, dass die Totenausstattung durch die noch lebenden Mitglieder einer Gemeinschaft erfolgt und daher auch mit anderen Bedeutungen aufgeladen sein kann. Denkbar ist u. a., dass weniger die soziale Stellung der toten Person zu deren Lebzeiten repräsentiert sein sollte als vielmehr die soziale Stellung der Bestattenden, um nur ein Beispiel zu nennen.
Für die von uns betrachtete Region und Zeit gilt generell, dass die Bestattungsrituale, soweit sie Spuren im archäologischen Fundmaterial hinterlassen haben, im Lauf der Zeit komplexer werden. So sind für das Natufien Einzel- und Mehrfachbestattungen (mehrere Tote wurden gleichzeitig bestattet) in Rücken- oder Hockerlage (die bestattete Person liegt auf einer Körperseite mit angezogenen Beinen) in aufgelassenen Häusern oder eigens angelegten Grabgruben typisch. Einzelne Befunde mit mehreren Bestattungen werden auch als Kollektivgräber (mehrere Tote wurden mit gewissem zeitlichem Abstand nacheinander bestattet) interpretiert (z. B. Azraq 18/Jordanien)13. In den Siedlungen finden sich zudem immer wieder menschliche Skelette oder Teile davon, die scheinbar mit anderen Abfällen entsorgt worden sind. Auch wenn einzelne Knochen als Reste von älteren Bestattungen interpretiert werden können, die durch die Anlage von Gruben zerstört wurden, wird für vollständige Skelette durchaus überlegt, ob diese Toten absichtlich in dieser Form »bestattet« wurden. Sollte dies zutreffen, wäre zu diskutieren, ob sich hier erste soziale Differenzen widerspiegeln14.
Generell kann festgehalten werden, dass die Gesamtzahl der archäologisch dokumentierten Bestattungen so gering ist, dass es bislang nicht möglich ist, zeittypische Bestattungspraktiken zu beschreiben. Neben den bereits genannten Bestattungsformen kann schon ab dem Natufien die sekundäre Entnahme von Schädeln beobachtet werden (z. B. Hayonim Cave, Nahal Oren, Ain Mallaha in Israel), allerdings nur vereinzelt. Hierbei wird der Schädel nach der Bestattung und wohl auch nach der Verwesung entnommen. Diese Praxis gewinnt im Lauf des PPN, vor allem im PPN B, immer mehr an Bedeutung, ebenso wie die Praxis, die Schädel mit Gips oder einem Kalkgemisch zu überziehen und zu modellieren. Hierfür wurden die entnommenen Schädel entfleischt, geglättet und schließlich plastisch übermodelliert. Man nimmt an, dass sie möglicherweise auch zur Schau gestellt wurden ( Abb. 2.4). Schließlich wurden sie erneut deponiert, teilweise im Verbund mit mehreren Schädeln, wie wiederholt entdeckte Schädelnester zeigen. Diese Praxis wird als Hinweis auf eine beginnende Ahnenverehrung gewertet und im Zusammenhang mit der Entwicklung von gewissen Erbschaftsregeln gesehen. In diese Richtung werden auch menschliche Ganzkörperstatuen interpretiert, die aus einem Gemisch von gebranntem Kalk und Lehm hergestellt wurden und in Ain Ghazal/Jordanien (Ende PPN B) entdeckt wurden (
Abb. 2.5). Zudem könnten die Ortskonstanz der Häuser sowie Installationen zur Vorratshaltung innerhalb der Wohngebäude auf die Entwicklung von Privateigentum hindeuten15.
Abb. 2.4: Menschenschädel vom Fundort Jericho, der mit Gips übermodelliert wurde. Im Bereich der Augenhöhlen wurden Muscheln eingesetzt.
Abb. 2.5: Menschengestaltige Statuen, hergestellt aus einem Gemisch aus gebranntem Kalk und Lehm vom Fundort Ain Ghazal/Jordanien.
Eine damit verbundene Herausbildung einer hierarchisch gegliederten Gesellschaftsstruktur ist hingegen umstritten. Während von der einen Seite die Bedeutung der »Megasites« als überörtliche Zentren des Handels und Handwerks und als Wohnort einer politischen und religiösen Elite betont wird, weist die andere Seite darauf hin, dass eindeutige Hinweise auf eine soziale Differenzierung, wie z. B. deutliche Beigabenunterschiede zwischen den Bestattungen, im archäologischen Quellenmaterial fehlen16. Möglicherweise hätten wir heute eine klarere Antwort auf diese Fragen, wenn die Besiedlung der meisten Megasites am Ende des PPN B nicht abrupt geendet hätte (nur einige wenige Siedlungen bestehen in stark verringerter Größe fort), sondern bruchlos weiterbestanden hätte. So bleibt nur festzuhalten, dass die vorangehend beschriebenen Prozesse insbesondere im Bereich der südlichen Levante ihr Ende fanden. Lediglich in Südostanatolien bestanden einzelne Siedlungen weiter (z. B. Çayönü). Als mögliche Ursachen für diesen »Kollaps« werden soziale Probleme bzw. Unruhen, aber auch Klimaveränderung und Umweltzerstörung diskutiert17. Im archäologischen Quellenmaterial fassen wir nun eine teilweise Rückkehr der Menschen zu einer mobilen Lebensweise als nomadische Viehhirten. Ein anderes Bild zeigen dagegen die archäologischen Quellen in Zentralanatolien.
Während der südostanatolische Raum Teil des Fruchtbaren Halbmondes und damit der vorangehend beschriebenen Entwicklungen ist, setzt die Besiedlung durch sesshafte Bevölkerungsgruppen in den weiter westlich gelegenen Regionen wie Zentralanatolien nach derzeitigem Kenntnisstand erst zur Zeit des PPN B ein. Ein bereits seit einigen Jahren intensiv untersuchter Fundort ist Aşıklı Höyük in Kappadokien. Dort errichteten Menschen um die Mitte des 9. Jahrtausends v. Chr. mehrere Rundhütten, die um einen Hofplatz gruppiert waren. Die darauffolgende Besiedlungsphase ist hingegen durch eine große Zahl rechteckiger Häuser gekennzeichnet, die aus Lehmziegeln errichtet und dicht aneinandergesetzt waren. Sie bestanden aus ein bis zwei, selten drei Räumen von ca. 3 x 4 m Fläche, der Zugang wird über das Dach rekonstruiert. Die Wände waren innen und außen mit weißer Tonerde verputzt und teilweise mit farbigem Putz bedeckt. Im Innenraum fanden sich Feuerstellen. Unter den Fußböden konnten wiederholt Bestattungen dokumentiert werden. Die Toten waren mit angehockten Beinen in geflochtene Matten gewickelt worden, teilweise mit Ocker bestrichen und mit Beigaben wie Schmuck aus Stein, Tierzähnen oder Kupfer- bzw. Malachitperlen ausgestattet worden18.
Die Bewohner von Aşıklı Höyük deckten ihren Fleischbedarf durch Jagd, wobei im Tierknochenspektrum im Lauf der Zeit Schaf und Ziege an Bedeutung gewannen. Deren Altersstruktur und Herdenzusammensetzung deutet auf ein frühes Management durch den Menschen hin. Dies wird durch Dungfunde innerhalb der Siedlung bestätigt19. Darüber hinaus ist die Nutzung von domestiziertem Getreide (Einkorn, Emmer, Hartweizen) dokumentiert, das jedoch zu diesem Zeitpunkt noch eine untergeordnete Rolle für die Ernährung spielte20.
In der ebenfalls in Zentralanatolien gelegenen Siedlung von Çatal Höyük, die in der zweiten Hälfte des 7. Jahrtausends v. Chr. gegründet wurde, lässt sich hingegen eine deutlich intensivere Nutzung von Kulturpflanzen belegen. Darüber hinaus ist die Haltung domestizierter Schafe und Ziegen dokumentiert. Eine weitere Neuerung, die u. a. in Çatal Höyük fassbar wird und deren Auftreten insbesondere im europäischen Raum die Anfänge des Neolithikums markiert, ist die Keramikproduktion. Sie leitet das sog. keramische Neolithikum (Pottery Neolithic) ein. Als möglicher Grund für diese Innovation wird u. a. eine veränderte Speisenzubereitung diskutiert, da die meisten Keramikgefäße, die wir z. B. aus Çatal Höyük kennen, offenbar in erster Linie zum Kochen verwendet worden waren21.
Da die Funde und Befunde in Aşıklı Höyük und Çatal Höyük sowohl Parallelen als auch Unterschiede (z. B. Architektur) zu den Siedlungen im Fruchtbaren Halbmond aufweisen, stellt sich die Frage, wie sich die neue Lebens- und Wirtschaftsweise nach Westen verbreitet hat. Aufgrund fehlender Nachweise für eine Besiedlung durch mobile Wildbeuter in den unmittelbar vorangehenden Jahrtausenden wurde die Neolithisierung bislang mit der Einwanderung Landwirtschaft betreibender Gruppen aus dem Fruchtbaren Halbmond erklärt. Das dort dokumentierte Bevölkerungswachstum und der Abbruch der Besiedlung am Ende des PPN B (Abwanderung?) untermauerten dieses Erklärungsmodell. Mittlerweile liegen jedoch auch aus dem zentralanatolischen Raum vereinzelt Belege für eine epipaläolithische, zeitlich vorangehende Besiedlung durch Wildbeutergruppen vor, wie z. B. am Fundort Pınarbaşı in der Konya-Ebene22. Dort konnten in einem Abri dünne Nutzungshorizonte sowie eine Bestattung dokumentiert werden, die eine vorneolithische Besiedlung belegen. Die identifizierten Rohmaterialien wie Obsidian, die aus einem Umkreis von bis zu 150 km stammen, deuten auf sehr mobile Gruppen hin, die diesen Ort wiederholt aufsuchten, um Wildrinder und Equiden zu jagen und Fische aus einem nahegelegenen See zu fangen. Im 9. Jahrtausend v. Chr. entstand an dessen Ufer schließlich eine kontinuierlich belegte Siedlung, in deren unteren Schichten Hüttenreste in Form großer ovaler und verputzter Eintiefungen dokumentiert wurden, für die Aufbauten aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk rekonstruiert werden. Zudem fanden sich sechs Gräber, in denen die Toten mit Ocker bestreut und mit Pfeilspitzen bestattet wurden. Dies spiegelt ältere Traditionen wider, die die kontinuierliche Entwicklung vom Epipaläolithikum ins Neolithikum in Zentralanatolien ebenfalls untermauern23. Es ist daher durchaus zu diskutieren, welche Rolle der Transfer von Ideen, getragen von mobilen Wildbeutergruppen, für die Ausbreitung der frühen Nahrungsmittelproduktion gespielt hat.
Diese Aspekte sind auch und aufgrund jüngerer Forschungsergebnisse ganz besonders für den ägäischen Raum relevant ( Abb. 2.6). Dort treten ab der Mitte und in der zweiten Hälfte des 7. Jahrtausends v. Chr. ebenfalls erste Belege für Kulturpflanzennutzung und Haustierhaltung auf (z. B. auf Knossos/Kreta, in Thessalien/Griechenland oder in Westanatolien). Lange Zeit wurde auch für deren Entstehung eine Einwanderung aus den weiter östlich gelegenen Regionen diskutiert. In jüngerer Zeit mehren sich jedoch wie bereits für Aşıklı Höyük und Çatal Höyük die Belege für die Existenz mobiler Wildbeutergruppen, die in dieser Region nicht nur die Ressourcen auf dem griechischen Festland, sondern auch auf den ägäischen Inseln nutzten. Dies setzt gewisse nautische Kenntnisse voraus. Darüber hinaus spiegelt die räumliche Verbreitung spezifischer Rohmaterialien – wie Obsidian (vulkanisches Glas aus dem durch Schlagtechniken schneidende Werkzeuge hergestellt wurden) von der Insel Melos – die Existenz weiträumiger Netzwerke. Es ist daher durchaus vorstellbar, dass die Kenntnisse zur frühen Landwirtschaft über diese bereits zuvor existierenden, die Ägäis überspannenden Netzwerke vermittelt wurden. Genetische Analysen an einzelnen neolithischen Individuen zeigen wiederum große Ähnlichkeiten zwischen Individuen aus der Marmara-Region/Türkei, Nordgriechenland und dem südlichen Zentralanatolien, wobei derzeit unklar ist, wie die gesamte räumliche Verteilung dieser genetischen Muster zu rekonstruieren ist. Südgriechenland scheint sich hingegen genetisch hiervon zu unterscheiden. Dies wird dahingehend interpretiert, dass die Neolithisierung dieser Regionen auf der Ausbreitung bäuerlicher Gruppen aus weiter östlich gelegenen Regionen (zentrales und südliches Anatolien) basierte, aber unterschiedliche Routen nahm. Dabei – so die Idee – könnten die bereits bestehenden Netzwerke diesen Prozess gefördert haben24.
Ein vollwertiges Neolithikum mit dorfähnlichen Siedlungen, deren Bewohner von Landwirtschaft lebten und die von Beginn an Keramik produzierten, fassen wir schließlich in Thessalien um 6450/6300 v. Chr. (z. B. Argissa Magoula, Gediki, Sesklo). Ab dem Ende des 7. Jahrtausends v. Chr. werden auch in den angrenzenden Regionen wie im griechischen Makedonien und Thrakien zahlreiche neue Siedlungen gegründet, zu Beginn des 6. Jahrtausends v. Chr. schließlich auch auf der griechischen Halbinsel Peloponnes.
Die weitere Ausbreitung erfolgte grob in zwei westwärts gerichteten Strömungen – nach Nordosten in den südosteuropäischen Raum hinein bis nach Mitteleuropa und entlang der nördlichen Mittelmeerküste bis nach Südfrankreich und auf die Iberische Halbinsel. Dieser Prozess verlief nach heutigen Erkenntnissen sehr schnell. Betrachtet man die Ausbreitung über die Balkanhalbinsel nach Mitteleuropa hinein, so treten gleichzeitig mit der Aufsiedlung des ägäischen Raumes um 6000 v. Chr. die ältesten neolithischen
Abb. 2.6: Zeitlich differenzierte Kartierung der Ausbreitung der nahrungsmittelproduzierenden Wirtschaftsweise vom Fruchtbaren Halbmond bis Nordwesteuropa.
Siedlungen in den Gebieten der heutigen Staaten Bulgarien, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro, Bosnien, Serbien, Rumänien und Ungarn auf. Allen gemein sind der dorfähnliche Charakter der Siedlungen, die Herstellung von Keramik und eine agrarische Wirtschaftsweise. Regional lassen sich jedoch Unterschiede fassen. So handelt es sich in manchen Regionen um Flachsiedlungen (z. B. Strumatal/Bulglarien, Körös-Region/Ungarn), in anderen dagegen um Siedlungshügel, sog. Tellsiedlungen (z. B. Thessalien, Thrakien). Auch die Bauweise der Häuser – in der Regel unterschiedliche Formen von Lehm-Flechtwerk-Architektur – variiert regional, u. a. abhängig vom lokal verfügbaren Baumaterial und dem spezifischen Naturraum. Der Einfluss des Naturraums könnte auch die regionalen Unterschiede in der Bedeutung verschiedener Haustierarten erklären. Allerdings lässt sich im Lauf des Neolithikums generell eine zunehmende Bedeutung der Rinderhaltung beobachten. Noch immer umstritten ist, wie die Keramik des frühesten Neolithikums ausgesehen hat. Die für Griechenland aber auch angrenzende Regionen diskutierte Idee, dass es ein akeramisches (keramikloses) Neolithikum gegeben haben könnte und damit eine mit dem Vorderen Orient und Zentralanatolien direkt vergleichbare Entwicklung des Neolithikums, ist mittlerweile weitgehend widerlegt25. Weiterhin wird dagegen diskutiert, ob es sich bei der ältesten Keramik um monochrome, also einfarbige, oder um bemalte Ware gehandelt hat und welche Szenarien hinter dem Auftreten der mit Eindruckdekor verzierten Keramik (hierfür werden mit unterschiedlichen Instrumenten Muster in den noch formbaren Ton eingedrückt) stehen könnten. Generell basieren viele Ideen und Modelle zur Neolithisierung Südosteuropas auf typologischen Vergleichen und der impliziten Annahme, dass die meisten oder gar alle Neuerungen aus dem Vorderen Orient und der Türkei gekommen sein müssen. Viele dieser Fragen werden sich jedoch erst dann letztgültig beantworten lassen, wenn von den zahlreichen frühneolithischen Fundstellen ausreichend qualitätvolle Radiocarbondaten vorliegen, die eine verlässliche Einschätzung der zeitlichen Entwicklung verschiedener Merkmale erlauben. Darüber hinaus fehlen in vielen Regionen Südosteuropas Belege für eine vorneolithische Besiedlung, was lange Zeit als Hinweis auf eine Neolithisierung durch Kolonisation aus östlich benachbarten Regionen gewertet wurde. Wie jüngere Forschungsergebnisse aus dem ägäischen Raum zeigen, ist jedoch nicht auszuschließen, dass dieses Bild weniger die Realität widerspiegelt als vielmehr eine Forschungslücke, die es in Zukunft zu schließen gilt. Großräumig betrachtet deuten die regionalen Unterschiede darauf hin, dass es in Südosteuropa keine singuläre Route von Südost nach Nordwest gegeben hat, sondern mit vielen Routen gerechnet werden muss, über die die Ausbreitung der neuen Wirtschafts- und Lebensweise verlaufen ist. Als Träger können wir uns kleine, mobile Gruppen vorstellen, die miteinander interagierten und sich gegenseitig beeinflussten26.
Eine zweite große Ausbreitungsroute der lebensmittelproduzierenden Wirtschaftsweise verlief über das Mittelmeer bis auf die Iberische Halbinsel. Im archäologischen Quellenmaterial fällt vor allem auf, dass die Keramik dieser frühbäuerlichen Gruppen aufgrund der charakteristischen Abdruckverzierung (u. a. Abdrücke, die mit dem Rand der Cardium-Muschel in den noch formbaren Ton gemacht wurden) deutlich anders aussieht als die der frühbäuerlichen Gruppen auf der Balkanhalbinsel und im Karpatenbecken. Sie werden daher in der Literatur unter dem Oberbegriff der »Impressakulturen« zusammengefasst. Dabei handelt es sich nicht um ein homogenes großräumiges Phänomen, sondern um verschiedene Keramikgruppen, hinter denen unterschiedliche Akteure standen. So lässt sich ab etwa 6100 v. Chr. eine flachbodige, flächig verzierte Keramik entlang der adriatischen Küste fassen, um 5700 v. Chr. eine Furchenstich-verzierte Keramik (Ritzverzierung, bei deren Erzeugung das Verzierungsinstrument auf und ab bewegt wird, so dass eine Ritzlinie entsteht, die in ihrem Verlauf wiederholt eingetieft ist) in Südfrankreich und ab 5500/5400 v. Chr. eine rundbodige, mit plastisch aufgelegten Tonlinsen verzierte Keramik entlang der spanischen und französischen Mittelmeerküste (sog. Cardial franco-ibérique). Da die Funde überwiegend aus Höhlenfundstellen stammen, die im Kontext von Viehwirtschaft und Jagdzügen lediglich saisonal genutzt wurden, ist über die Lebens- und Wirtschaftsweise dieser Gruppen bislang weit weniger bekannt, als über die frühen Bauern in Südost- und Mitteleuropa. Es deutet sich jedoch an, dass die bislang dokumentierten Freilandfundstellen gezielt auf leicht zu bearbeitenden Böden errichtet wurden. Zudem liegen sie häufig in der Nähe von Seen und Mooren (z. B. La Draga/Spanien)27.
Wie Detailstudien in den letzten Jahren zeigen konnten, wurden die Anfänge der Nahrungsmittelproduktion von unterschiedlichen Akteuren getragen. So weisen z. B. Kontinuitäten bei der Art und Weise der Herstellung von Steinwerkzeugen darauf hin, dass auch Gruppen von in diesen Regionen noch lebenden Wildbeutern eine Rolle gespielt haben, indem sie die neue Wirtschaftsweise übernahmen und in ihre alltäglichen Praktiken integrierten. Die »Erfindung« und Ausbreitung der Nahrungsmittelproduktion wirkten sich in jedem Fall nachhaltig auf die weitere Entwicklung menschlicher Gesellschaften aus, nicht nur in Europa. Denn wir sehen vergleichbare Prozesse auch im archäologischen Quellenmaterial in anderen Teilen der Welt.
Die Anfänge der Nahrungsmittelproduktion Europas liegen im Vorderen Orient. Global gesehen haben sich Kulturpflanzenanbau und Haustierhaltung jedoch unabhängig voneinander in mehreren Regionen der Welt entwickelt, allerdings zu unterschiedlichen Zeiten und auf Basis anderer Domestikate ( Abb. 3.1 und
3.2). Dabei war das Bild lange Zeit verzerrt, da aufgrund der schwierigen Erhaltungsbedingungen sowie aufgrund der generell schlechten Erhaltung von Knollengewächsen Aussagen zur frühen Domestikation gerade in den tropischen Regionen schwierig waren. In den letzten Jahren haben sich die Methoden zur Analyse von mikrofossilen Merkmalen domestizierter Arten wie Phytolithe und Stärkereste jedoch deutlich verbessert. Dadurch ist es nun möglich, ein detaillierteres und sicherlich auch stimmigeres Bild zu zeichnen1.
In Nordamerika sind die östlichen USA als Erstdomestikationszentrum zu nennen. Hier wurden Sumpfholunder (Iva annua), Gänsefuß, Gartenkürbis (Cucurbita pepo) und die Sonnenblume domestiziert. Dahingehende Belege sind die Größenzunahme von Kernen beim Kürbis und von Früchten beim Sumpfholunder und bei der Sonnenblume sowie eine dünnere Samenschale beim Gänsefuß. Sumpfholunder wurde bereits 6000 v. Chr. intensiv genutzt, dies zeigen Nachweise aus verschiedenen Fundstellen. Der älteste Domestikationsbeleg dieser Pflanze stammt aus Napoleon Hollow/Illinois und datiert um 2000 v. Chr.2, wobei mit einem Domestikationsbeginn um 2400 v. Chr. gerechnet wird3456