Herr Stegmann hält das Pappmodell des neuen, autarken, umweltfreundlichen Hauses in beiden Händen. Er steht mit hochrotem Kopf breitbeinig über dem Papierkorb und überlegt, ob er es einfach dort reinfallen lässt. Am liebsten würde er es gegen die Wand knallen. Am meisten ärgert er sich, dass er den Bau des Modells an Frau Winter delegiert hat. An diese stumpfsinnige Melancholikerin, die mehr damit beschäftigt ist, über die Ungerechtigkeiten in der Welt nachzudenken, als mal so ein simples Pappmodell nach seinen Wünschen anzufertigen. Dabei hat er ihr doch genau erklärt, wie sie es machen soll, was die wichtigsten Bausteine sind und warum es für die Präsentation heute perfekt sein muss.
Er hat es ihr erklärt. Haarklein.
Warum macht sie dann alles falsch? Entweder ist sie zu blöd für diesen Job, oder sie hat ihm nicht zugehört, was auf dasselbe hinausläuft.
Oder war er vielleicht doch nicht in der Lage, es ausreichend zu erklären?
Er überlegt kurz, während das Pappmodell noch immer über dem Papierkorb schwebt.
Nein. Er hat es gut erklärt. An ihm liegt es nicht.
Doch nun hat er ein Problem. In fünf Stunden soll er Herrn Kraft und seinem Beraterteam dieses neue Modell präsentieren. Auf PowerPoint wollte er verzichten, weil er immer mit dem blöden Klicken und gleichzeitigen Reden und dem Erstellen der Folien völlig überfordert ist. Deswegen kam er auf die grandiose Idee, das fertige Modell im Mini-Format vorzuführen. Keine wirklich neue Idee, okay, aber etwas anderes ist ihm nicht eingefallen. Nur warum hat er diese Aufgabe delegiert? Warum hat er es nicht gleich selbst gemacht? Warum kann Frau Winter nicht einmal die Dramen des Lebens vergessen und vernünftig arbeiten?
Er stellt das Pappmodell mit Wucht auf den Schreibtisch. Dort lässt es die Unordnung noch ein wenig chaotischer aussehen. Stegmann seufzt tief und setzt sich auf seinen Schreibtischstuhl.
Was jetzt?
Ja, was jetzt? Der arme Herr Stegmann kann einem leidtun. Er hat zwei tolle Superhelden in hoher Ausprägung in sich, doch er lebt leider eher ihre Schwächen aus als ihre Stärken. Die Elemente Luft und Feuer sind stark ausgeprägt bei Herrn Stegmann. Großartige Superhelden: die Luftfrau und der Feuermann.
Luft ist sehr kreativ. Auch der Smalltalk ist eindeutig eine ihrer Stärken. Diese kleinen oberflächlichen Gespräche liegen ihr.
Das mit der Kreativität bekommt Herr Stegmann auch super hin. Dafür winkt bald die Beförderung. Doch den Smalltalk mag er gar nicht, obwohl es eine Stärke ist, die in ihm steckt. Auf Frau Winter hat er dagegen ohne Punkt und Komma eingeredet und sie damit völlig überfordert. Frau Winter bräuchte eine komplett andere Ansprache, und der Sprechdurchfall von Herrn Stegmann hilft ihr kein Stück, weswegen sie seine Aufgaben auch nicht korrekt umsetzt. Diese unklaren Ansagen sind in der Tat eine Schwäche von der Luft.
Vom Feuer lebt Herr Stegmann eher die cholerischen Wutanfälle aus und nicht die Kunst, andere zu begeistern, den Funken bei einer Präsentation förmlich überspringen zu lassen. Auch diese Stärke schlummert in ihm, doch er ist sich dessen überhaupt nicht bewusst.
Das Element Wasser lebt er so gut wie gar nicht aus, weswegen ihm auch Gespräche mit Frau Winter schwerfallen, die im beruflichen Alltag definitiv stark Wasser ist. Solange er nicht ihre Sprache spricht bzw. die passende Ansprechhaltung findet, wird sie ihn weiterhin falsch verstehen.
Ich will hier keine Verantwortung verteilen, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass Herr Stegmann dies ändern könnte, wenn er es ändern wollte. Und zwar ohne sich zu verbiegen und ohne Schauspielerei.
Auch zum vierten Element Erde hat er kaum einen Bezug. Schade, denn Erde kann sachliche Inhalte sehr schlüssig präsentieren und erklären und ist der Weltmeister in Konflikten, um nur einige Stärken zu nennen.
Kein Problem, Herr Stegmann kann auch mit zwei Superhelden glücklich werden und eine gute Führungskraft abgeben. Dafür wäre es allerdings wichtig, sich aller Stärken bewusst zu werden, die schon in ihm schlummern. Und natürlich auch aller Schwächen, damit er in so einer Situation bewusst einem anderen Superhelden die Führung übergeben kann.
Bei seinem Wutanfall hätte es ihm schon sehr geholfen, wenn er bewusst in das Element Luft gegangen wäre. Luft bringt mehr Leichtigkeit. Luft ermöglicht das Querdenken. Luft steigert die Kreativität, die er für die Neuerstellung der Präsentation definitiv braucht. Luft schmollt mal kurz wie ein kleines Kind, aber dann sprüht es wieder vor Ideen, Leichtigkeit und Lebenswillen. Es wäre ein Leichtes, dieses Element zu aktivieren, um aus dem Feuer rauszukommen, welches ihm bei Konflikten überhaupt nicht hilft. Bei der Präsentation hingegen könnte das Feuer ihm helfen, damit er sowohl ohne PowerPoint als auch ohne Papp-Haus begeistern und überzeugen kann.
Das alles sind authentische Facetten von Herrn Stegmanns Persönlichkeit, die er im Moment leider noch nicht auslebt, weil er sich dieser Stärken überhaupt nicht bewusst ist.
Bevor ich Ihnen erkläre, wie Sie ganz leicht von einem Element und somit von einer Emotion bzw. einer Stärke zur anderen kommen, schauen wir uns erst einmal die Elemente im Einzelnen an. Sie dürfen während des Lesens gerne überlegen, welche Elemente wohl in welcher Ausprägung in Ihnen schlummern. Und lassen Sie sich dabei nicht irritieren, wenn Sie sich nur in ein paar Facetten eines Elements wiederfinden. Selbst ein paar kleine Facetten zeigen deutlich, dass Sie dieses Element nutzen. Wer vor lauter Wut ein Papp-Haus gegen die Wand knallen kann, der kann auch bei einer Präsentation begeistern. Beides ist Feuer. Es ist ein Element, das nur darauf wartet, voll ausgelebt zu werden. Es wäre doch schade, wenn Herr Stegmann und Sie auch weiterhin nur die Kehrseite der Medaille ausleben würden.
Bei den Beschreibungen der Elemente werde ich mich nur auf jeweils ein Element konzentrieren. Ich mache also nur die Schublade Erde oder die Schublade Wasser oder die Schublade Feuer oder die Schublade Luft auf. Und dann werde ich nur über das reden, was in dieser einen Schublade drin ist, damit Sie einen guten Eindruck von diesem einen Element bekommen.
Da wir alle mehrere Elemente im täglichen Leben nutzen, brauchen Sie keinen Respekt davor zu haben, in so einer Schublade zu versinken. Wenn die Erde keinen Smalltalk mag, dann gehen Sie später einfach in das Element Luft und bekommen es mit Leichtigkeit hin. Wenn das Wasser mal wieder in einem Problem ertrinkt, dann wechseln Sie in Erde, um sich mit den sachlichen Fakten über Wasser zu halten und eine Lösung zu suchen. Es steckt alles in Ihnen. Und wie Sie den Schritt vom einen ins andere schaffen, zeigen ich Ihnen später.
Behalten Sie das im Hinterkopf, wenn ich Ihnen nun in typischer Schubladendenken-Manier die einzelnen Elemente vorstelle. Über diese extrem fokussierte Vorstellung, was in jeder einzelnen Schublade drin ist, können Sie erstens leichter entscheiden, welche der Elemente Sie schon leben. Zweitens bekommen Sie über diese überzogene und klischeehafte Vorstellung sofort ein klares Bild von jedem Element. Je stärker diese Bilder sind, desto leichter können Sie sich daran erinnern und das Bild immer dann aktivieren, wenn Sie Hilfe von diesem Superhelden brauchen.
Auch wenn das Leben eine große Grauzone ist, so ist es lerntechnisch schlau, im ersten Schritt mit Klischees und übertriebenen bildhaften Vorstellungen zu arbeiten. Und genau damit fange ich jetzt an.
In meiner Kindheit habe ich viele Erde-Männer getroffen, die als Landwirte gearbeitet haben. Sie kamen mit ihrem Trecker vorbeigefahren, hielten an, setzten sich mit meinem Vater auf die Bank, tranken ein Bier und einen Korn und beantworteten alle Fragen so wortkarg wie möglich. Fragte mein Vater: »Und? Wie geht es?«, dann kam gerne mit einem neutralen Gesichtsausdruck die Antwort: »Ja, muss ja. Die Kartoffeln bekommen grade zu wenig Wasser. Das vertrocknet alles auf den Feldern, wenn es nicht bald wieder regnet.« Oder: »Ja, muss ja. Es ist trocken, und wir können die Ernte ohne Unterbrechung reinholen.« Es spielte keine Rolle, ob der Antwortende glücklich oder traurig war, der neutrale Gesichtsausdruck blieb derselbe.
Wobei Erde auch ein Meister des trockenen Humors ist. Fragte meine Mutter den Landwirt Reinhard, wie es ihm gerade ging, dann meinte er häufig: »Nicht so gut. Die Rinder wurden alle am Hals operiert.« Meine Mutter schaute ihn dann ganz bekümmert an und fragte: »Echt? Und? Haben sie es überlebt?« – »Nein. Alle gestorben.« Sprach's mit neutralem Gesichtsausdruck und hielt sein Glas hin, um noch einen Korn eingeschenkt zu bekommen.
Erst ein paar Jahre später hat meine Mutter dann endlich verstanden, dass mit der Halsoperation die Schlachtung gemeint war. Für Reinhard muss es innerlich ein Fest gewesen sein, meine Mutter so hinters Licht zu führen, doch an seinem Gesichtsausdruck war das nicht zu erkennen.
Ähnliches berichtet die Glücksexpertin Maike van den Boom von den Finnen. Sie bereiste für ihr Buch Wo geht's denn hier zum Glück? die 13 glücklichsten Länder der Welt – darunter auch Finnland. Was manchen wundern mag, denn für ihre Fröhlichkeit sind die Finnen ja nicht unbedingt bekannt. Auch die Autorin kam ins Zweifeln, als sie einen jungen Finnen vor laufender Kamera befragte: Sind Sie glücklich? Ihr Gesprächspartner schaute mit Pokerface in die Kamera und meinte: »Ja.« Als er auch nach einer quälend langen Pause nichts mehr hinzufügte, fragte Maike, wie glücklich er sich einschätzen würde auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 total unglücklich sei und eine 10 mega-glücklich bedeuten würde. Wieder schaute der junge Mann neutral in die Kamera, überlegte kurz und meinte: »8,4.« Was im internationalen Vergleich übrigens eine sehr hohe Zahl ist, an welche die meisten Deutschen nicht heranreichen. Trotzdem verzog der junge Mann dabei keine Miene. Als die Autorin die Aufnahme später einem Fernsehsender zeigte, erklärte ihr der Redakteur, das könne man so nicht senden. Der junge Mann sehe schließlich kein bisschen glücklich aus.
Oh, doch. Nur in Erde-Manier. Bei einem großen Unternehmen wurde mal eine Dame in mein Kommunikationsseminar geschickt, weil sie sich zu wenig der Blümchensprache bediente. Sie saß vor mir und sprach unglaublich klar und kam sehr schnell auf den Punkt. Dies wird bei Männern häufig nicht nur akzeptiert, sondern auch als Stärke angesehen. Nur war diese Dame eindeutig eine Frau und von denen wurde in diesem Unternehmen mehr Weichheit erwartet. Daher sollte sie lieblicher, weicher und einfühlsamer mit ihrem Team reden. Sie sah mich mit bittendem Blick an und bat mich, ihr zu zeigen, wie sie häufiger um den heißen Brei herum reden könne, damit sie als weiblicher und weicher wahrgenommen werden könne. Diese Frau war und ist weiblich. Nur schnörkellos, klar und direkt im Erde-Kostüm.
Was assoziieren wir mit Erde? Fruchtbare Muttererde, Wüste, wenig Emotionen, eine solide deutsche Eiche, Souveränität, Bewegungslosigkeit, Sachlichkeit, Stärke, Garten, Sturheit, etc. Sehr widersprüchliche Aspekte, und doch ist das alles wahr und gehört zum Konzept der Erde dazu. Ihnen fallen bestimmt noch viele weitere Assoziationen ein; vor allem, wenn Sie jemanden kennen, der Erde ist.
Ob nun Mann oder Frau: Nach der Erde sehnen wir uns alle. Er kommt und hilft uns in jeder Situation. Er stellt sich zwischen uns und das Problem, und allein dadurch wird alles gut. Er ist ein Rudelführer, der Ruhe ausstrahlt und Souveränität. Sie ist die Chefin, die sich bei einer erhitzten Diskussion in einem Meeting die ganze Zeit zurücklehnt und nur die Beobachterin spielt. Bis zu dem Moment, wo sie aufsteht, was alle anderen verstummen lässt, und kurz sagt: »Vorschlag A fand ich gut, das machen wir. Was der Meyer gesagt hat, geht im Moment noch nicht, aber da sollten wir am Ball bleiben. Und alles andere können Sie in die Tonne treten.« Sprach's und verließ den Konferenzraum. Sie ist keine Frau vieler Worte, weil für sie in solchen Situationen auch kein ausschweifender Wortsalat angebracht ist.
Er ist der Nachbar, mit dem man – wortkarg – Pferde stehlen kann. Der immer da ist und immer zur Stelle, wenn Not am Mann ist. Mit diesem Freund können Sie zusammen schweigen, bis der Arzt kommt. Es mag langweilig aussehen, aber der Erde-Supermann langweilt sich nicht. Er denkt nach oder genießt auch mal die Leere im Kopf. Denn Leere schafft Ordnung.
Was ich persönlich übrigens gut nachvollziehen kann. Je minimalistischer Sie leben, desto leichter fällt es, den Überblick zu behalten. Ich besitze zum Bespiel kaum Gegenstände. Jeder, der meine Wohnung zum ersten Mal betritt, fragt mich, ob ich gerade eingezogen bin oder schon alles für den nächsten Umzug eingepackt habe. Ich besitze keine Schränke, weil ich nichts besitze, was ich da reinstellen könnte. Im Schlafzimmer gibt es ein Bett und eine Kommode. Im Wohnzimmer ein Sofa mit einem Couchtisch und noch einen Esstisch mit zwei Stühlen. Im Badezimmer nur zwei kleine spanische Nachttische und im Flur: gar nichts. Dadurch ist ein Frühjahrsputz sehr simpel und schnell erledigt. Wenn ich etwas nicht finden kann, gibt es nur wenige Suchmöglichkeiten. Ist meine Kommode voll, sortiere ich aus und verschenke einiges. Ich empfinde meine Wohnung so als sehr gemütlich, und die Ordnung verschafft meinem Kopf Ruhe, da nirgendwo Putz- oder Aufräumbaustellen auf mich warten.
Diese minimalistische Ordnung genießt die Erde auch im Kopf. Schön aufgeräumte Gedanken, solide in Schubladen verpackt, und wenige störende Emotionen.
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