Es gibt viele gute Kommunikationsmodelle, mit denen Sie ergründen können, was für ein Typ Sie sind. Die Ihnen erklären, wie Sie Ihre Kunden in Kommunikationstypen aufteilen und jeweils angemessen ansprechen können. Sie können natürlich auch anhand solcher Modelle die oder den richtigen Lebenspartner auswählen. Es gibt viele Möglichkeiten, dieses Wissen zu nutzen, und es gibt viele lustige Tests in Zeitschriften, viele gute Bücher über dieses Thema und sehr gute Trainer.
Warum also noch ein neues Modell auf den Markt werfen? Die Antwort ist zugleich einfach und komplex. Das Kommunikationsmodell, das ich Ihnen in diesem Buch vorstelle, basiert zwar auf demselben Grundstein wie alle anderen. Doch dann schlägt es nicht nur einen anderen Weg ein, sondern geht auch ein paar Schritte weiter als alle bisherigen. Das Fundament ist dasselbe, das Haus ein völlig anderes: Es ist das Modell der Elementaren Kommunikationstypen.
Die Grundlage bildet, wie bei allen anderen Modellen zur Ermittlung der Kommunikationstypen, die Vier-Säfte-Lehre von Hippokrates von Kos. Das war ein griechischer Arzt, der 460 bis 370 vor Christus gelebt hat. Später wurde seine Lehre dann auch die Vier-Elemente-Lehre genannt und noch später die Temperamenten-Lehre.
Wie das Modell auch genannt wird, der Grundgedanke ist meistens folgender: Es gibt vier Temperamente von Menschen, die sowohl deren Charakter als auch deren äußere Erscheinung beschreiben. In vielen Modellen werden die Temperamente Sanguiniker, Phlegmatiker, Melancholiker und Choleriker genannt. Wobei der Sanguiniker als heiter und aktiv beschrieben und mit dem Saft des Blutes in Verbindung gebracht wird. Der Phlegmatiker ist dagegen passiv und schwerfällig und wird mit dem Saft des Schleims verglichen. Melancholiker sind traurig und nachdenklich und wurden mit der schwarzen Gallenflüssigkeit assoziiert. Und der Choleriker ist reizbar und erregbar, mit dem Vergleich zur gelben Gallenflüssigkeit.
Da es bei den meisten Modellen nur ein Entweder-oder gibt, wünschen sich viele spontan, ein Sanguiniker zu sein. Denn wer möchte schon schwarze oder gelbe Gallenflüssigkeit oder sogar Schleim sein? Wenn Sie derartige Kommunikationsmodelle gelernt haben, um Ihre Kunden schneller zu erkennen und passend anzusprechen, dann haben Sie jeden Kunden in eine dieser vier Schubladen gesteckt. Und sobald Sie analysiert haben, ob Ihr Kunde Blut, Schleim, schwarze oder gelbe Gallenflüssigkeit ist, gibt es bei den meisten Regelwerken eine Vorlage, wie welcher Typ gerne angesprochen werden möchte.
Vor allem bei Telefonzentralen sehe ich immer wieder vier verschiedenfarbige Zettel herumfliegen, auf denen steht, welcher Kommunikationstyp Smalltalk braucht und welcher ihn nicht ausstehen kann, wer bewundert werden möchte und wer klare Ansagen braucht. Danach enden viele dieser Denkmodelle. Was ich schade finde, weil es der persönlichen Weiterentwicklung wenig Raum lässt. Einfach nur zu sagen: »Du bist, was du bist!«, das ist mir zu wenig. Kommunikation kann mehr. Mehr noch: Sie und ich können mehr – mit den Mitteln der Kommunikation.
Auf dem festen Sockel der Lehre des Hippokrates von Kos steht jede Theorie zur Ermittlung der Kommunikationstypen. Jedes individuelle Theoriegebäude mit seinen praktischen Anleitungen ruht auf diesem Fundament.
Bei meinem Modell der Elementaren Kommunikationstypen hat ein Clown das Erdgeschoss gestaltet, während ich mich im ersten und zweiten Stock ausgetobt habe, bis mein Modell ausgereift war.
Der Clown hieß Frieder Nögge und lebte von 1955 bis 2001. Er arbeitete nicht nur mit weiß geschminktem Gesicht und rot geschminkten Lippen, sondern auch als deutscher Bühnenkünstler und Schauspiellehrer. Er kreierte etwas ganz Besonderes, indem er die vier ursprünglichen Temperamente nahm und sie mit den Elementen Feuer, Erde, Wasser und Luft verglich. Darüber hinaus dachte sich Frieder Nögge sechs Gesten aus, die er immer in derselben Abfolge durchspielte und mit jedem einzelnen Element verband, um die unterschiedlichen Charaktere zu üben.
Dem Clown ging es dabei nicht um die richtige Kundenansprache, sondern darum, alles und jeden auf der Bühne spielen und parodieren zu können. Das war für ihn der Sinn und Zweck hinter den Gesten. Und deshalb sind sie für uns auch so wertvoll.
Die Gesten lauten:
– Deuten,
– Innenraum,
– Zweifel,
– Antipathie,
– Sympathie und
– Neutral.
Diese sechs Gesten spielte er extrem und groß, wie wir es von einem Clown erwarten. Wenn er deutete, dann reckte er seinen Arm so weit nach vorne, dass er am Ende nur noch auf einem Bein stand und selbst dort ganz weit vorn auf den Zehenspitzen. Bei der Innenraum-Geste zog er sich in sich selbst zurück und machte gar keine Bewegung mehr. Beim Zweifeln hüpfte er von einem Fuß auf den anderen und schaute immer wieder von links nach rechts. Den Rest können Sie sich vorstellen.
Dieses Vorgehen bildete die Basis zur klassischen Konditionierung. Das ist die Technik, mit der viele Schauspieler Rollen einüben, die ihrem eigentlichen Naturell widersprechen. Sie dient dazu, eigene Verhaltensreflexe zu überwinden und durch andere zu ersetzen, die der Rolle entsprechen. Nur beim Üben machte Nögge die Gesten so groß. Später reichte es, wenn er an ein Element und eine Geste dachte, und schon hatte er die passende Stimmung in seinem Körper, in der Mimik und in der Stimme. Frieder Nögge führte eine Kleinkunstschule in Stuttgart und lehrte die vier Elemente in Kombination mit den sechs Gesten. Dort lernte sie auch die Schauspielerin Deirdre Goodman, und von ihr lernte sie mein Schauspiellehrer Jens Richter, der sie mir wiederum bei meinem Gesangsstudium in Hamburg beibrachte. Da Nögge nie ein erklärendes Sachbuch über die Elemente und Gesten geschrieben hat, gibt es bisher keine Literatur darüber.
Ich habe dieses Modell gelernt, damit ich melancholisch eine Liebesballade singen konnte, ohne selbst einen Kloß im Hals zu haben. Hätte ich an etwas Trauriges gedacht, um in die entsprechende Stimmung zu kommen, hätte das genau dazu geführt. Mit diesem Modell schaffte ich es also, mich traurig zu fühlen, ohne traurig zu sein. Ich schaffte es, mich fröhlich zu fühlen, ohne fröhlich zu sein. Eine wichtige Kompetenz für professionelle Bühnenpräsenz.
Nachdem ich im Anschluss an mein Studium jahrelang im Radio gearbeitet habe, fing ich an, Seminare zu geben. Und ich erlebte immer wieder, dass Mitarbeiter und Führungskräfte an ihren Emotionen scheiterten. Entweder, weil ihre Mimik wie ein offenes Buch war und jeder ihnen sofort ihre Stimmungslage ansehen und an der Stimme hören konnte. Oder weil sie aus gewohnten Kommunikationsmustern einfach nicht ausbrechen konnten und immer wieder an sich selbst scheiterten. Ich entwickelte daher das Modell von Frieder Nögge weiter und machte daraus ein Kommunikationsmodell. Mit dessen Hilfe lernten meine Teilnehmer, ihre Emotionen in wichtigen Situationen im Griff zu haben, ohne dabei ihre Authentizität zu verlieren. So albern sich manche Teilnehmer am Anfang auch vorkamen, umso begeisterter waren sie am Ende regelmäßig. Noch heute rufen mich Führungskräfte aus der ganzen Welt an und erzählen mir, wie gerne sie immer noch mit den Elementen arbeiten, selbst wenn das Training schon zehn Jahre her ist. Es ist ein machtvolles Werkzeug. Und in diesem Buch erfahren Sie, wie es funktioniert.
Vielleicht haben Sie sich schon gefragt, wie ich von Authentizität schreiben kann, wenn meine Theorie doch in hohem Maße von den Geheimnissen der Schauspielerei zehrt. Eine berechtigte Frage.
Genau an diesem Punkt habe ich mich vom Nögge-Modell verabschiedet. Ich bin der festen Meinung, dass wir alle jedes Element in uns haben. Sonst könnte auch der beste Schauspieler sie nicht überzeugend spielen. Wir leben sie nur nicht alle vier im selben Maße aus. Hinter der Floskel »Der hat auch gute Seiten« zum Beispiel steckt derselbe Gedanke: Wir alle tragen unterschiedliche Facetten in uns, die wir je nach Situation oder Lust und Laune hervorblitzen lassen. Mal freiwillig, mal unfreiwillig.
Ich stelle mir gerne vor, dass jedes Element ein Superheld ist, der mir hilft, wenn ich nicht weiterweiß. Ich fühle mich ausgenutzt? Dann kommt ein Superheld geflogen und setzt Grenzen. Ich fühle mich unsicher? Dann steht wie aus dem Nichts ein Superheld hinter mir und gibt mir Rückendeckung. Mir fehlen die Worte? Dann sitzt auf einmal ein Superheld neben mir und reicht mit einen Spickzettel. Ich fühle mich unendlich traurig? Dann reicht mir ein Superheld ein Taschentuch und nimmt mich tröstend in den Arm.
Jeder einzelne Superheld hat seine Stärken. Wie bei den Fantastischen Vier aus der Marvel-Comicreihe. Da gibt es Mr. Fantastic, der sich gummiartig verbiegen und verlängern kann. Die Unsichtbare kann um sich herum ein Kraftfeld erzeugen, das Geschosse abwehrt. Die Menschliche Fackel kann das Feuer kontrollieren, und Das Ding ist ein machtvolles Ungetüm aus Stein. Jeder dieser Superhelden hat seine individuelle Stärke, und gemeinsam sind sie in den Comics unschlagbar.
Natürlich hat auch jeder Superheld seine Schwächen. Deswegen sind sie allein verletzlich, weil sie dann vom Gegner genau dort angegriffen werden, wo es wehtut. Sind sie allerdings zusammen, dann gleichen die anderen diese Schwäche aus.
Wir tragen all diese Superhelden in uns. Und wie stark wir sind, in jeder beliebigen Situation, hängt allein davon ab, ob wir im richtigen Moment den richtigen davon zum Vorschein kommen lassen und einsetzen können.
Unsere Freundeskreise sind häufig ähnlich zusammengesetzt, ohne dass uns das bewusst wäre. Ich habe eine tolle Freundin, mit der ich immer jede Menge Blödsinn anstelle. Nach einem Tag mit ihr habe ich vor Lachen Bauchschmerzen. Dann habe ich eine Freundin, die ich immer anrufe, wenn ich traurig bin und emotional total im Eimer. Ein anderer Freund ist immer da, wenn ich mal zwei starke Arme brauche. Und dann habe ich noch einen Freund, der so viel Präsenz hat, dass ich von seinem Licht etwas abbekomme, wenn ich mit ihm eine Feier betrete. Mit der lustigen Freundin kann ich nicht so gut über meine melancholischen Tiefs reden, und mit der emotionalen Freundin fällt das Pferdestehlen schwer, weil sie dafür kein Verständnis hat. So gibt es für viele Facetten in mir die passenden Freunde und Bekannten, und alle zusammen bilden ein unschlagbares Isabel-Team, mit dem ich mich sicher und geborgen fühle.
Und genau so ein Team hat jeder von uns in sich. Wenn wir die vier Superhelden in uns zu koordinieren wissen, können wir auch allein stark sein – ein ganzer Kerl oder eine ganze Frau.
Ich verabschiede mich bei den Elementaren Kommunikationstypen somit vom Schubladendenken und entscheide mich: für alle. So wie ich es im Laden machen würde, wenn ich vier großartige Kleider sehe und auf keines verzichten will. Wenn ich sie mir leisten kann, dann nehme ich alle vier, denn jedes Kleid wird für ein anderes Event perfekt sein. Wenn sie günstig genug sind, warum soll ich mich dann entscheiden?
Auch bei den Superhelden bzw. den Elementen müssen Sie keine Entscheidung fällen. Da gibt es den Erde-Supermann, die Luft-Superfrau, den Feuer-Supermann und die Wasser-Superfrau, und Sie haben alle vier Superhelden in sich. Eine Führungskraft ist vielleicht im Büro eher trocken, sachlich und kurz angebunden und somit typisch Erde. Doch wenn ihr Team einen Termin nicht einhalten kann, dann geht sie cholerisch in die Luft und wird zum Feuer. Wobei sie zu Hause ganz entzückend mit dem kleinen Ziehsohn aus der ersten Ehe ihres Mannes mit der Modelleisenbahn spielt, für ihn in Kindersprache vor sich hin brabbelt und dabei komplett Luft ist. Und wenn sie den entscheidenden Anruf bekommt, dass ihr Vater nach langer Krankheit gestorben ist, dann wird sie ganz weich, traurig, nachdenklich und landet im Wasser.
Auch wenn Sie noch zweifeln: Lösen Sie sich von dem Vorurteil, dass Sie etwas vorspielen sollen. Vertrauen Sie darauf, dass Sie jeden Superhelden in sich haben und deswegen auch aktivieren können. Wenn Sie etwas aktivieren, das schon in Ihnen ist, dann hat das mit Schauspielerei nichts mehr zu tun, und Sie bleiben bei einem authentischen Auftreten. Schon früher wurde die Temperamenten-Lehre als Persönlichkeitsmodell aufgefasst, und genau das ist sie auch.
Sie können an Ihrer Persönlichkeit arbeiten, indem Sie Ihre eigenen Stärken bewusster wahrnehmen und aktivieren. Natürlich nur, wenn Sie wollen. Sie können dieses Buch aus reinem Interesse lesen oder es nutzen, um sich weiterzuentwickeln, indem Sie sich noch besser kennenlernen. Und Sie können jederzeit bei anderen die richtige Ansprechhaltung finden. Sowohl privat als auch beruflich.
Wie schon angedeutet, hat jeder Superheld auch seine schwache Seite. Der Feuer-Supermann kann zum Beispiel begeistern, indem er den Funken überspringen lässt. Er kann aber auch bei einem cholerischen Anfall alles um sich herum niedermachen und nur noch verbrannte Erde hinterlassen. Die Luft-Superfrau ist sehr kreativ, hält jedoch leider auch unberechenbar ihr Meinungs-Fähnchen in den Wind und wird dadurch zum Luftikus, den keiner zu fassen bekommt. Der Erde-Supermann kann mit seiner ruhigen Art komplizierte, sachliche Zusammenhänge perfekt auf den Punkt bringen, doch er ist des Smalltalks unfähig, weil ihn solche Banalitäten wie das Wetter nicht interessieren. Und die Wasser-Superfrau bringt die Tiefe, die Weisheit und die Gefühle in Projekte und Gespräche. Das ist großartig. Allerdings ist sie dafür auch für viele der emotionale Abfalleimer und wird mit Problemen anderer Leute zugeschüttet, weil sie kein Stoppzeichen kennt.
Falls Sie sich in einer der obigen Beschreibungen wiedererkannt haben und sich nun fragen, ob Sie im falschen Körper geboren sind: Keine Sorge, alles in Ordnung. Ich habe die Riege der Superhelden deshalb in zwei Männer und zwei Frauen unterteilt, weil die Elemente Feuer und Erde die traditionell männlich assoziierten Anteile in uns verkörpern und die Luft sowie das Wasser die traditionell weiblich besetzten Anteile symbolisieren. Das bedeutet aber nicht, dass die Damen nur Wasser oder Luft sein können oder die Herren ausschließlich zu den männlichen Elementen greifen. Herrn Stegmann zum Beispiel lebt, wie Sie im nächsten Kapitel erkennen werden, bisher ein weibliches und ein männliches Element aus. Die Unterteilung nach Geschlechtern ist somit eine Unterteilung in die weiblichen und männlichen Anteile, die wir alle in uns haben.
Kein Superheld ist besser als der andere. Und am stärksten sind alle vier zusammen. Wobei es – mindestens für den Anfang – auch völlig ausreicht, wenn Sie zwei oder drei der Superhelden aktiv mit ihren Stärken nutzen. Wir wollen ja nicht gleich übertreiben. Es geht nicht darum, perfekt zu werden, sondern darum, sich selbst noch besser kennenzulernen, optimal auf andere zuzugehen und mit ihnen zu kommunizieren.
Fassen wir noch einmal zusammen: Wir haben alle Stärken in uns, von denen wir bisher dachten, dass nur andere sie hätten. Wir können unsere Stimmung wechseln und dabei authentisch bleiben. Und ganz wichtig ist, dass kein Superheld besser ist als der andere. Jeder hat seine Stärken und Schwächen.
Sie entscheiden aus dem Bauch heraus, mit welchen Helden Sie sich am wohlsten fühlen, und leben bewusst deren Stärken aus. Bei den früheren Modellen gab es häufig schon Antipathien zum Beispiel aufgrund der Bezeichnung »schwarze Galle«.
Ab sofort sind Schubladen passé, und Sie können bewusst von einer in die andere springen. Denn: Sie können auch anders.