Einrichtung und Pflege von Kleinst-Meeresaquarien
Vorwort
Nano-Riffaquarien
Größe ist nicht alles
Die Welt im Kleinen – das Riffpfeiler-Nanoaquarium
Was ist ein Nano-Riffaquarium?
Im Kleinen das Große ausdrücken
Das Herz: Der zentrale Steinaufbau
Ein Brocken Lebendgestein
Populationsverschiebungen
Die Grenzen winziger Aquarien
Fische im Nanobecken
Das Aquarium
Silikonverklebte Glasbecken
Ganzglasaquarien
Acrylbecken
Komplettbecken aus Kunststoff
Die Größe
Wie klein darf es sein?
Wie belastbar ist ein Nano-Riffaquarium?
Wasserströmung, Gasaustausch und Filterung
Säulenförmiger Steinaufbau mit zentralem Luftheber
Dezentraler Luftheber
Nanobecken mit Außenfilter
Strömungspumpe und Topfaußenfilter
Heizung
Beleuchtung
Einrichtung
Steinaufbau und Bodengrund
Zuerst den Bodengrund
Jaubert-System im Nanobecken
Wasser aus eingefahrenem Riffbecken
Einlaufphase
Übersicht: Einrichten eines Nano-Riffaquariums
Befestigung von Korallenfragmenten
Die Erstausstattung mit Wirbellosen
Platzieren der Korallen
Aggressiv wachsende Arten meiden
Die Dunkelzone
Nicht sessile Wirbellose und Fische
Phosphat – Freund oder Feind?
Wartung und Pflege
Beschneiden von Korallen
Scheibenreinigung
Hände weg vom Bodengrund
Wie oft Scheiben reinigen?
Teilwasserwechsel
Füttern im Nano-Riffbecken
Was füttern?
Wie oft füttern?
Der Besatz
Lebendes Riffgestein
Algen zur Sauerstoffversorgung
Welche Tiere sind geeignet?
Schädlings-Nanobecken
Welche Tiere dürfen keinesfalls in ein Nano-Aquarium?
Empfehlenswerte Tiere für das Nano-Aquarium
Übersicht Wirbellose
Wurzelfüßer der Ordnung Foraminifera
Schwämme
Filtrierende Schwämme (Stamm Porifera)
Fotosynthetisch lebende Schwämme (Stamm Porifera)
Korallen und andere Nesseltiere
Röhrenkorallen
Gattung Clavularia (Familie Clavulariidae)
Gattung Knopia (Familie Clavulariidae)
Gattung Cervera (Familie Clavulariidae)
Unbeschriebene Röhrenkoralle (Familie Clavulariidae)
Zooxanthellate Hornkorallen
Gattung Briareum (Familie Briareidae, Scleraxonia-Gruppe)
Gorgonien (Familien Plexauridae und Gorgoniidae)
Azooxanthellate Hornkorallen (Familien Anthothelidae und Plexauridae)
Weichkorallen
Gattung Anthelia (Familie Xeniidae)
Gattung Sansibia (Familie Xeniidae)
Gattung Sarcothelia (Familie Xeniidae)
Gattung Acrossota (Familie Acrossotidae)
Gattung Nephthea (Familie Nephtheidae)
Gattung Litophyton (Familie Nephtheidae)
Gattung Capnella (Familie Nephtheidae)
Gattung Sinularia (Familie Alcyoniidae)
Gattung Sarcophyton (Familie Alcyoniidae)
Gattung Klyxum (Familie Alcyoniidae)
Gattung Rhytisma (Familie Alcyoniidae)
Krustenanemonen
Gattung Protopalythoa (Familie Zoanthidae)
Gattung Zoanthus (Familie Zoanthidae)
Unbeschriebene gelbe Krustenanemone
Scheibenanemonen
Gattung Discosoma (Familie Discosomatidae)
Gattung Rhodactis (Familie Discosomatidae)
Gattung Ricordea (Familie Ricordeidae)
Gattung Pseudocorynactis (Familie Corallimorphidae)
Hydrozoen und Scyphozoen
Cladonema-Arten (Familie Cladonemidae)
Nausithoe-Kranzqualle (Familie Nausithoidae)
Ohrenqualle Aurelia aurita (Familie Ulmaridae)
Weichtiere
Wurmschnecken (Familie Vermetidae)
Schnecken der Gattung Stomatella (Familie Trochidae)
Gehäuseschnecken der Gattung Euplica
Ringelwürmer
Lederröhrenwürmer (Familie Sabellidae)
Kalkröhrenwürmer (Familie Serpulidae)
Borstenwürmer (Ordnungen Amphinomida und Eunicida)
Muschelsammlerinnen (Ordnung Siponida, Familie Chaetopteridae)
Spaghettiwürmer (Ordnung Siponida, Familie Cirratulidae)
Spritzwürmer
Krebse
Gammariden (Familie Gammaridae)
Tanzgarnelen (Familie Rhynchocinetidae)
Rote Hawaii-Garnele (Halocaridina rubra)
Harlekingarnele, Hymenocera picta (Familie Gnathophyllidae)
Hummelgarnele, Gnathophyllum americanum (Familie Gnathophyllidae)
Scherengarnelen, Gattung Stenopus (Familie Stenopodidae)
Felsen- und Partnergarnelen (Familie Palaemonidae)
Porzellankrabben (Familie Porcellanidae)
Spinnenkrabben (Familie Majidae)
Einsiedlerkrebse
Gattungen Paguristes, Calcinus und Clibanarius (Familie Diogenidae)
Gattung Paguritta (Familie Paguridae)
Gattung Dardanus (Familie Diogenidae)
Knallkrebse, Gattung Alpheus (Familie Alpheidae)
Fangschreckenkrebse (Familien Protosquillidae, Pseudosquillidae u. a.)
Klein bleibende Krebse aus diversen Familien
Boxerkrabbe Lybia tessellata (Familie Xanthidae)
Stachelhäuter
Seesterne der Gattungen Nepanthia, Asterina und Diasterina (Familie Asterinidae)
Schlangensterne der Gattung Amphipholis (Familie Amphiuridae) u. a.
Manteltiere
Seescheiden (Unterstamm Tunicata)
Seescheiden-Nanoaquarium
Schwebenahrung für Seescheiden
Aquariengeeignete Seescheidenarten
Übersicht Korallenfische
Pelzgroppe, Gattung Caracanthus (Familie Caracanthidae)
Grundeln, Gattungen Gobiodon und Paragobiodon (Familie Gobiidae)
Lanzen-Symbiosegrundeln Gattung Stonogobiops (Familie Gobiidae)
Sattelgrundel Lotilia graciliosa (Familie Gobiidae)
Grundeln der Gattung Elacatinus (=Gobiosoma, Familie Gobiidae)
Gobys Gattungen Trimma und Eviota (Familie Gobiidae)
Gobys Gattung Priolepis (Family Gobiidae)
Catalina-Grundel Lythrypnus dalli (Familie Gobiidae)
Rote Prachtgrundel, Discordipinna griessingeri (Familie Gobiidae)
Kammzahn-Schleimfische, Gattung Ecsenius (Familie Blenniidae)
Hechtschleimfische der Gattung Emblemaria (Familie Chaenopsidae)
Pfeilblenny Lucayablennius zingaro (Familie Blenniidae)
Zwerghähnchen (Familie Trypterygiidae)
Plectranthias inermis (Familie Serranidae, Unterfamilie Anthiinae)
Blaustreifenseenadel Doryrhamphus excisus (Familie Syngnathidae)
Zostera-Seepferdchen Hippocampus zosterae (Familie Syngnathidae)
Literatur
Stichwortverzeichnis
Titelbild: Nano-Riffaquarium mit 6 Litern Inhalt
Hintergrund: Steinkoralle Euphyllia ancora Foto: A. Sever
Fotos und Grafiken ohne Quellenangabe vom Autor
Die in diesem Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse, Dosierungsanleitungen etc. wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt und sorgfältig überprüft. Da inhaltliche Fehler trotzdem nicht völlig auszuschließen sind, erfolgen diese Angaben ohne jegliche Verpflichtung des Verlages oder des Autors. Beide übernehmen keine Haftung für etwaige inhaltliche Unrichtigkeiten. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert oder vervielfältigt werden.
4. Auflage 2012
© Natur und Tier - Verlag GmbH
An der Kleimannbrücke 39/41,48157 Münster
Tel.: 0251-13339-0, Fax: 0251-13339-33
E-Mail: verlag@ms-verlag.de, Home: www.ms-verlag.de
eISBN 978-3-86659-334-3
Geschäftsführung: |
Matthias Schmidt |
Layout: |
Nick Nadolny |
Lektorat: |
Kriton Kunz |
Als ich vor sechs Jahren damit begann, kleine Nano-Riffaquarien zu gestalten – viel kleiner, als man sie bis dahin kannte –, und dazugehörige Techniken für Betrieb und Pflege entwickelte, hätte ich mir in meinen künsten Träumen nicht vorstellen können, dass dieses Buch so viel bewegen würde. Nur ausnahmsweise traf man damals jene Tiere im Fachhandel an, die typische Bewohner dieses Aquarientyps sind, eher zufällig. Heute ist es eigentlich ganz normal geworden, winzigste Trimma- oder Eviota-Gobiiden, Helcogramma-Dreiflosser oder die zauberhafte Griessinger-Grundel in „Nano-Verkaufsbecken“ zu finden, denn die Nachfrage nach diesen winzigen und ortsständigen Fischlein, die im herkömmlichen Riffaquarium kaum dauerhaft zu halten sind, ist groß. Nano-Meerwasseraquarien sind inzwischen ein regelrechter Trend.
Inspiriert worden war ich damals von den zauberhaften Süßwasseraquarien eines japanischen Freundes: Drei, fünf oder zehn Liter fassen die winzigen Becken, in denen Takashi Amano in Niigata mit Wasserpflanzen und Steinen einen kleinen Biotop einrichtet, das kleinste sogar nur einen Liter. So etwas müsste doch eigentlich auch in der Meerwasseraquaristik möglich sein, dachte ich mir. Doch wo ich auch immer über diese Idee sprach, erntete ich nur Kopfschütteln und ungläubiges Staunen. 100 Liter Volumen müsse ein Meeresaquarium haben, sonst kippe es biologisch, hieß es überall, unterhalb dieser Größenordnung sei die Meerwasseraquaristik einfach nicht praktizierbar. Aber ich hatte daran meine Zweifel. Ich ersann zunächst ein Konzept für ein „wartungsfreies“ Meerwasseraquarium herkömmlicher Größe in Säulenform, das mehrere Jahre lang ohne irgendwelche Pflegeeingriffe betrieben wurde, um zu zeigen, dass auch ohne aufwändige Technik und tägliche Pflege geht, wenn man die passenden Organismen im Aquarium hat. Dann „schrumpfte“ ich dieses Konzept experimentell zu beliebiger Größe und stellte fest, dass es biologisch durchaus stabil ist, wenn man einige Grundsätze beachtet.
Es gibt so viele winzige Meeresbewohner, die in einem Riffaquarium herkömmlicher Größe kaum zur Geltung kommen können, weil sie darin übersehen oder gefressen werden. In einem Miniaturaquarium von 10 oder 20 l Volumen dagegen würden sie im Mittelpunkt stehen, wären sie die „Stars“. Natürlich wäre ein solches Becken nichts für schwimmfreudige Fische und viele andere „normale“ Aquarienpfleglinge, das war mir von vornherein klar. Aber es musste doch machbar sein, ein winziges Artenbecken für sessile Wirbellose einzurichten und für kleine, besonders ortstreue Meerestiere, die nicht viel Bewegungsraum brauchen.
Also begann ich, mit dieser Idee herumzuexperimentieren und entwickelte, weil für so kleine Meerwasserbecken kaum passende Aquarientechnik existiert, aus der Not heraus eine spezielle Methode: Das Riffpfeiler-Nanoaquarium. Nur weniges von dem, was für größere Riffaquarien eingesetzt wird, kann für solche Mini-Becken verwendet werden. Pumpen oder Filter für ein Drei-Liter-Aquarium waren nicht zu finden. Auch die übliche Pflegeweise war bei einem so kleinen Becken vielfach nicht anwendbar. Greift man beispielsweise in ein drei oder sechs Liter fassendes Aquarium hinein, etwa um die Scheiben zu reinigen, dann läuft es möglicherweise über. Also musste ich mir in vielerlei Hinsicht etwas Neues einfallen lassen, um dieses und ähnliche Probleme zu lösen. Darum „bastelte“ ich mir ein Konzept für Nano-Riffaquarien unterhalb von 20 Litern Volumen zurecht, mit einer Filtertechnik, die speziell dafür geschaffen war, mit eigenen Methoden für das Einsetzen von Korallen oder Wartungsarbeiten wie den Teilwasserwechsel. Damit wurde natürlich die Nano-Riffaquaristik nicht begründet, aber unterhalb von 20 Litern Aquarienvolumen eine neue Form der Aquarienhaltung von Rifftieren geschaffen, die bisher so nicht bekannt gewesen war.
Allerdings ist diese Methode nicht unbedingt für den unerfahrenen Meerwasseraquaristik-Einsteiger geeignet, weil man einen so winzigen Biotop sehr gründlich beobachten muss, um bei Störungen sofort korrigierend eingreifen zu können, und das setzt ein gewisses Maß an Erfahrung voraus. Darum enthält dieses Buch nicht die „Grundlagen der Meeresaquaristik“, die einem wenig Erfahrenen beim Einstieg in dieses Hobby helfen würden, sondern setzt diese Kenntnisse voraus. Solches Grundlagenwissen habe ich beispielsweise im Buch „Riffaquaristik für Einsteiger“ vermittelt. In diesem Band dagegen konzentriere ich mich darauf, die Einrichtung und Pflege besonders kleiner Riffaquarien möglichst umfassend und geschlossen darzustellen.
Bei der Entwicklung der Techniken und der gesamten Konzeption dieser Mini-Aquarien – einschließlich der Frage, welche Tiere man darin artgerecht unterbringen kann –, habe ich die Unterstützung einiger sehr engagierter Freunde erhalten, die von diesem Thema ebenso fasziniert waren wie ich, wenngleich auch aus anderen Motiven. Die Verhaltensforscherin Prof. Dr. Ellen Thaler beispielsweise hielt in ähnlichen Mini-Becken bereits seit langer Zeit bestimmte Fischarten, um sie zu beobachten und ließ mir ihre Erfahrungen zugute kommen. Auch der Biologe Dr. Ingo Botho Reize verfügt über jahrzehntelange Erfahrung mit Miniaturaquarien und unterstützte mich bereitwillig mit Rat und Tat, wo immer es nötig war. Dr. Jochen Lohner trug neben vielen anderen hilfreichen Ratschlägen auch wesentlich zur Entwicklung des winzigen Riffpfeilers mit integriertem Luftheber bei, dem Kern meiner neuen Methode, und der japanische Aquarienfotograf Takashi Amano schließlich gab durch seine Arbeit mit kleinen Süßwasserbecken und auch seine fantastischen Fotos dieser Mini-Biotope ganz wesentlichen Anstoß zu dem, was zwischen diesen beiden Buchdeckeln zu finden ist.
Daniel Knop mit Fernsehjournalist Volker Arzt bei Dreharbeiten im Nano-Fotobecken (Knallkrebse Alpheus armatus mit Symbiosepartner Bartholomea annulata)
Auch andere Freunde, die nicht direkt mit der Materie befasst waren, haben mich durch die enorme Begeisterung, die sie für diese neue Form der Riffaquaristik entwickelten, dazu ermuntert, dieses Bändchen zu verfassen, etwa der Fernsehjournalist Volker Arzt oder mein Korallenfarm-Partner Hans Schwinn. Letztlich gilt dies auch für viele Leser der KORALLE-Ausgabe Nr. 14, in der ich erstmals über diese Methode berichtete, denn die Reaktionen waren überwältigend. Ihnen allen danke ich für das Interesse und die Unterstützung. Fehlendes Bildmaterial bekam ich von Dr. Phil Alderslade, Dr. Katharina Fabricius, Prof. Ellen Thaler, Rolf Hebbinghaus, Helmut Debelius, Dr. Peter Nahke und Scott Michael. KORALLE-Redakteurin Inken Krause, auf deren aquaristischen Werdegang dieses Buch sich unübersehbar ausgewirkt hat, wollte nun ihrerseits auf dieses Buch wirken und hat dankenswerterweise den Artenteil Korallenfische mit ihren Erfahrungen bereichert. Ihnen allen danke ich, ebenso wie meiner Frau Rosalinda, die meine aufwändige Aquaristik- und Fotoarbeit stets nach besten Kräften und mit viel Wohlwollen unterstützt. Ihr ist dieses Buch gewidmet.
Daniel Knop
Sinsheim und Manila, Herbst 2009
In einem Aquarium ist alles Lebendige voneinander abhängig. Das gilt in ganz besonderem Maß für ein sehr kleines Aquarium – das Paar Garnelen oder Fische, die grüne Kriechsprossalge und die Kleinstlebewesen, die für unser unbewaffnetes Auge verschwindend klein erscheinen oder gar unsichtbar sind. Sie alle leben in dem winzigen Glaskasten miteinander und voneinander, bilden einen Mikrokosmos mit geschlossenen Regelkreisen, in dem sich viele Organismen reproduzieren und vermehren. Genau das ist das Wunder der Natur, das uns auf sehr anschauliche Weise ein Gespür für die Sensibilität eines Ökosystems vermittelt. Und welche Zeit bräuchte dieses Gespür mehr als unsere, in der die Naturzerstörung so sehr ein Teil unseres Alltagslebens geworden ist!
Möglicherweise hilft gerade die Begeisterung für das Miteinander winziger Lebewesen im Nano-Riffbecken manchem Menschen dabei, einen engeren Bezug zur Natur zu bekommen. Ganz sicher aber trägt das Betrachten der winzigen Welt im Glas dazu bei, die Seele zu harmonisieren und den Geist zu entspannen. Bilanzen, Bürokratie oder Börsenkurse, vieles wird relativ, wenn man im Glasbecken auf dem Schreibtisch den unbändigen Lebenswillen eines winzigen Einsiedlerkrebses erlebt, wenn man täglich sieht, wie Schwamm und Weichkoralle um die Wette wachsen oder kleine Röhrenwürmer sich vermehren und ausbreiten, um einen neuen Lebensraum in Besitz zu nehmen. Nicht die Größe des Aquariums ist entscheidend oder die Zahl kostbarer Korallen und Fische. Das „Leben“ zu erleben ist das Abenteuer, und das hat überall Platz, auch im kleinsten Glas.
In unserer hochzivilisierten Welt sind uns heute Technik und Elektronik so vertraut wie früheren Generationen die Wälder und Wiesen. In einer so sehr von Leistungsdruck, Effizienz und Erfolgsstreben beherrschten Zeit mag es ungewöhnlich und vielleicht auch wenig populär sein, vom „Wunder der Natur“ zu sprechen, denn die Technologie ist das „Wunder“ unserer Zeit. Und doch gibt es sie, diese Wunder der Natur, auch in unserem Alltag. Wir müssen sie nur wahrnehmen. Oft ist es die übersehene Blume am Wegesrand, oder die winzige Koralle, die im Aquarium unter einem Stein hervorwächst. Und wir können diese kleinen „Wunder“ auch in unseren Arbeitsalltag aufnehmen, nicht nur mit einem Blumentopf auf der Fensterbank des Büros, sondern auch mit einem Nano-Riffaquarium auf dem Schreibtisch, neben dem Computermonitor. Damit das Leben nicht nur Megahertz hat, sondern auch Herz.
Ist nicht mancher von uns geneigt, die Qualität eines Aquariums an seiner Größe zu messen, oder an der Zahl kostbarer Korallen und Fische, die darin leben? Wo ist sie, die bisweilen fast kindhafte Begeisterung des Aquarianers für das Unscheinbare, das winzige und meist übersehene Lebewesen, den Meerflohkrebs oder den einzelnen Korallenpolypen, der versucht, sich auf dem Substratgestein zu etablieren und zu einer großen Koralle heranzuwachsen? Das wirklich Faszinierende am Aquarium ist nicht die Frage, wie viele seltene oder prächtig-plakativ gefärbte Korallenfische darin umherschwimmen, wie viele Liter Wasser hineinpassen oder wie aufwändig die technischen Geräte zur Wasseraufbereitung sind. Oder wie viel Lärm sie machen. Das, was am Aquarium fasziniert, ist das Leben darin, besser formuliert, die Lebensvorgänge und alles, was die Organismen uns durch Verhalten und Interaktion über sich verraten. Der Wunsch, mehr über die Vorgänge in der Natur zu erfahren, war auch der Antrieb für die Entwicklung dessen, was wir heute als Aquarium bezeichnen. Blicken wir einmal zurück in das vorletzte Jahrhundert. Im Jahre 1857 schrieb E. A. ROßMÄßLER in seinem Buch „Das Süßwasser-Aquarium – Eine Anleitung zur Herstellung und Pflege desselben“: „Männer wie Swammerdam, Loewenhock, Réaumur, Schäffer, Tremblen, deren Namen auf bereits verwitternden Grabsteinen, aber in unerlöschlichem Glanze auf den Tafeln der Wissenschaft stehen, sind es, die wir als die ersten Erfinder, wenn auch die absichtslosen Erfinder unserer Aquarien nennen müssen. Alle echten Forscher, denen es nicht blos darum zu thun ist, getrocknete Mumien von Pflanzen und Thieren aufzuspeichern, um daran die Kennzeichen der äußeren Form zu studiren, denen das Leben die Hauptsache ist – alle pflegten seit den ältesten Zeiten der Naturforschung das zu erforschende Leben in ihrer nächsten Nähe, an ihren Arbeitstisch zu fesseln, um täglich und stündlich immer wieder die Wandlungen und Gestaltungen desselben belauschen zu können. Aus Küche und Vorrathskammer verschwundene Töpfe und Gläser und Flaschen und Büchsen entdeckte die mit Unrecht von der Hausfrau darob ausgescholtene Magd auf dem Studirthische ihres Herrn, gefüllt mit allerlei Gethier und rätselhaftem Wassergewächs. Das sind die Keime unserer heutigen Aquarien.“
„Riffpfeiler-Nanoaquarium“ (zentraler Luftheber im Lebendgestein), 20 x 15 x 15 cm, 6 Liter brutto (3 Liter netto), Standzeit 6 Monate, Beleuchtung Leuchtstofflampe Osram Lumilux 12 (8 Watt), besetzt mit diversen Weichkorallen, Krustenanemonen, Schwamm Collospongia auris, drei algenfressenden Schneckenarten, versch. Algen, einer Harlekingarnele (Hymenocera picta) u. v. a.
Aber warum so klein? Ganz einfach: In der Meerwasseraquaristik spielt sich viel Faszinierendes im Kleinen ab, im normalen Aquarium kaum wahrnehmbar. Wie viele Foraminiferen der Gattung Homotrema haben Sie in Ihrem großen Riffaquarium? Was ist das überhaupt, eine Foraminifere? Wie sieht sie aus? Haben Sie überhaupt welche? Durch die Abwesenheit farbenprächtiger Korallenfische und die veränderten Größenverhältnisse schaut man im winzigen Nano-Riffaquarium einfach genauer hin. Lebewesen, die wir im Aquarium herkömmlicher Größe kaum bemerken, rücken mehr in den Mittelpunkt des Geschehens. Mehr noch, der eine große Borstenwurm, den wir in unserem nur wenige Liter Wasser fassenden Nanobecken vielleicht pflegen, kann zum Hauptdarsteller werden. Durch die Beschränkung wird das Wenige mehr. Es entsteht zwischen Aquarianer und Tier mehr Nähe, als das in einem großen Aquarium möglich wäre.
„Riffpfeiler-Nanoaquarium“ (zentraler Luftheber im Lebendgestein), 15 x 14 x 13 cm, 2,7 Liter brutto (1,4 Liter netto), Standzeit 4 Monate, Beleuchtung Leuchtstofflampe Osram Lumilux 12 (8 Watt), besetzt mit Scheibenanemonen, Krustenanemonen und der seltenen Porzellankrabbe Petrolisthes monodi
Langsam schiebt sich die Harlekingarnele nach oben über das poröse Riffgestein, der sonnenbestrahlten Kuppe des Riffpfeilers entgegen, vorbei an baumförmigen Weichkorallen, die sie an Größe überragen. Es „riecht“ nach Seestern, sie erkennt es ganz deutlich. Zwar kann sie durch ihre Facettenaugen noch nichts von einem solchen Leckerbissen erspähen, doch das hat nichts zu bedeuten – wie alle Harlekingarnelen orientiert sie sich vorwiegend über olfaktorische Sinne, eine Art Geruchswahrnehmung. Vor ihr bewegt sich etwas – doch das sind nur zwei Euplica-Gehäuseschnecken, die sich zufällig begegnet sind und nun ein merkwürdiges Paar bilden; die eine überkriecht gerade das Haus der anderen, die heftig schüttelnd versucht, den lästigen Artgenossen loszuwerden. Die Garnele lässt sich von dem Seesterngeruch weiterlocken, vorbei an dem gefräßigen Borstenwurm, der sein Vorderende neugierig aus dem Eingang seiner Steinhöhle streckt. Gerade huscht der Garnele ein kleiner Meerflohkrebs über den Weg, da ist der prächtige, dicke Gänsefuß-Seestern fast schon zum Greifen nah. Einen Satz nach vorn macht die Garnele noch, und – plötzlich greift etwas nach ihrem Bein! Ein Schreck und ein Ruck, doch nichts tut sich. Die Garnele zieht und zerrt, doch ihr Bein ist an den klebrigen Fangtentakeln einer kleinen Seeanemone hängen geblieben. Gerade hat sich die kleine Harlekingarnele fest dazu entschlossen, sich nach Krebsmanier von ihrem Bein zu trennen, um die Freiheit wieder zu erlangen – denn es würde ihr bald wieder nachwachsen – da nähert sich ein großer Glasstab und schiebt sie, kraftvoll aber vorsichtig, zur Seite, fort von der Seeanemone, und ein Mädchen schaut lächelnd durch die Oberfläche der drei Liter Meerwasser in das Aquarium hinein.
Zugegeben, diese Geschichte ist frei erfunden, und kaum eine Harlekingarnele wäre wohl so ungeschickt, wie hier dargestellt. Aber die Akteure dieser Geschichte existieren tatsächlich: die Harlekingarnele, die Zwerganemone, der Seestern, das Mädchen mit dem Glasstab, und natürlich das Nano-Riffaquarium mit drei Litern Meerwasser. Der Riffpfeiler besteht aus drei knapp faustgroßen Brocken Lebendgestein, die vertikal durchbohrt und mit Hilfe eines mittig stehenden Lufthebers aufeinander befestigt wurden. Im Zentrum der Kalksteinsäule steigt – von Luftblasen angetrieben – Wasser auf, um oben auszutreten. Rund um den Miniatur-Riffpfeiler herum sinkt dieses hochgeförderte Wasser wieder ab und erzeugt dabei eine fast laminare Wasserströmung. Das einzige technische Aggregat des Aquariums – der Luftheber – ist also im Inneren des Gesteins verborgen, und das ermöglicht einen rundum freien Blick auf die senkrechte Kalksteinwand. Darum steht das Aquarium auf einer Drehscheibe, sodass es in jede Position bewegt werden kann. Dieser „Riffpfeiler“ ist eine Welt für sich, winzig klein und doch ein vollständiges Ganzes. Er ist nicht ein Ausschnitt aus dem Riff, wie wir ihn bekommen, wenn wir die Steine im Aquarium gegen die hintere Scheibe anhäufen, sondern er repräsentiert das Ganze, das in sich Geschlossene.
In Deutschland war es nahezu unbekannt, das winzige Riffaquarium mit einem Volumen von 20, 40 oder 60 Litern. Erst die Berichte in der Zeitschrift KORALLE (KNOP 2002a & b, REIZE 2002, THALER 2002) haben diese winzigen Meerwasserbiotope in Deutschland in den Mittelpunkt aquaristischen Interesses gerückt. In den USA dagegen findet man oft Riffbecken dieser Größe, gewöhnlich als „nano reef“ bezeichnet. Zugegeben, nicht immer ist dabei der Besatz so ausgewählt, dass man sich auch bei kritischer Betrachtung zufrieden zurücklehnen mag – hier kann durchaus noch manches verbessert werden. Doch liebevoll werden diese Becken gepflegt und sogar im Internet ausgestellt – wer über eine Suchmaschine das Web nach dem Begriff „nano reef“ durchforstet, kann eine Fülle von Websites begeisterter Kleinstaquarienbesitzer finden.
Detailgenau werden die winzigen marinen Biotope porträtiert, in Bild und Text vorgestellt, meist auch nicht ganz ohne Stolz. Dabei muss Sparsamkeit durchaus nicht der Grund für die Wahl eines so kleinen Aquariums sein. Bisweilen scheint es sich um eine Gemeinde überzeugter Nanoaquarien-Freunde zu handeln, eine Gruppe von Minimalisten, die ganz bewusst die Beschränkung auf das geringe Volumen suchen, nach dem Motto „weniger ist mehr“. Oft ist das winzige Riffaquarium auch eine Ergänzung des großen Riffbeckens, und man pflegt im kleinen die eine oder andere marine Kostbarkeit, in einer Art Mini-Artenaquarium. Das meiste dessen, was ein solches Becken erfordert, ist beim Meerwasseraquarianer ohnehin vorhanden. Und was fehlen mag, kann nicht viel kosten.
Doch der Aquarientyp, der in diesem Buch vorgestellt werden soll, liegt noch deutlich unterhalb der Größe dessen, was in Nordamerika als „nano reef“ bezeichnet wird und ist insofern durchaus etwas Neues. 20 Liter Volumen stellen dabei schon fast die obere Grenze dar, es darf auch die Hälfte oder nur ein Viertel sein. Eigentlich hätte ich für diesen Aquarientyp, zu dem ich durch die Süßwasseraquarien meines japanischen Freundes Takashi Amano angeregt worden bin, einen neuen Begriff erfinden sollen. Aber Bezeichnungen wie Nano-, Micro-, Pico- oder Miniriff werden in den USA bereits seit langer Zeit verwendet, und zwar ohne einheitliche Größenzuordnung, denn dafür scheint dort jeder seine eigenen Regeln aufzustellen. Darum würde es wenig Sinn machen, einen neuen Begriff zu schaffen, der sich an der Größe orientiert. Eher schon an dem ungewöhnlichen zentralen Steinaufbau mit dem zentralen Luftheber, denn der war vorher nicht bekannt.
Angeregt zu dieser Konstruktion wurde ich durch zwei Dinge: Zunächst war da die Gestaltung japanischer Riffaquarien, die meist versucht, anstelle eines Ausschnittes aus dem Riff etwas Ganzes in seiner natürlichen Gesamtheit darzustellen. Dahinter stehen der Zen-Buddhismus mit seiner Philosophie und das Bestreben der Japaner, die Welt des Großen im Kleinen auszudrücken. Das weckte in mir den Wunsch, einen Riffpfeiler im Aquarium nachzustellen, ähnlich wie ich ihn aus dem Vorriff im Indopazifik kannte, mit sessilen Wirbellosen, Garnelen, Fischen, Würmern, Schnecken und zahllosen anderen Tieren, eine Art „Insel des Lebens“, die sich aus dem flachen, korallensandbedeckten Boden erhebt. An keiner Stelle sollte dieser „Riffpfeiler“ Kontakt mit einer Aquarienscheibe haben. Dann könnte man das Aquarium auch von allen Seiten aus betrachten. Das ist der erste Teil der Geschichte. Der zweite geht auf den säulenförmigen Steinaufbau eines Röhrenaquariums zurück, das ich vor Jahren zu experimentellen Zwecken konstruierte – mit einem Luftheber im Zentrum (KNOP 1998, 2001). Dieser zentrale Luftheber gelangte nun in dem kleinen Becken zu neuen Ehren, denn das Riffpfeiler-Nanoaquarium war im Grunde genommen nichts anderes als eine massiv geschrumpfte Version des ursprünglichen Röhrenaquariums.
Die geringe Größe von nur wenigen Litern wählte ich, weil man, wie oben erwähnt, seinen Aquarientieren um so näher kommt, je kleiner das Becken ist. Das einzelne Meerflohkrebschen mag im großen Riffaquarium Nebensache sein und ein unbeachtetes Dasein fristen, doch in einem winzigen Riffpfeiler-Nanobecken mit nur wenigen Litern Inhalt ist es einer der Hauptakteure, denn hier nimmt man ganz elementare Lebensvorgänge intensiver wahr und schult seinen Blick für das scheinbar Belanglose, den kleinen Hydroidpolypen, der versucht, seine Tentakelkrone zwischen drei Krustenanemonen emporzurecken, oder den winzigen Röhrenwurm, der sich anstrengt, sich nicht von einem Schwamm überwachsen zu lassen. Je kleiner das Aquarium, um so deutlicher wird jede einzelne Lebensäußerung wahrnehmbar.
Durch einen zentral platzierten Luftheber ist die Ausnutzung der erzeugten Wasserströmung optimal, sodass nur eine relativ geringe Luftmenge benötigt wird. Läge der Heber stattdessen in einer Ecke des Beckens, dann müsste weitaus mehr Luft zugeführt werden, um in der diagonal entgegengesetzten Ecke des Beckens noch eine ausreichende Wasserbewegung zu erzeugen, wie ich in zahlreichen Vergleichsversuchen mit identischen Glasbecken herausfand. Mehr Luftblasen bedeuten zugleich auch mehr salziges Spritzwasser und lautere Geräusche. So aber finden Gasaustausch und Beschleunigung des Aquarienwassers im Verborgenen und zudem noch planktonschonend statt, im Innern des Steinblockes, in dem die Luftblasen sich aufwärts bewegen und die darüber liegende Wassersäule nach oben drücken. Da der Steinaufbau aus miteinander verbundenen Lebendgesteinsbrocken besteht, ist er einteilig und kann leicht aus dem Aquarium herausgenommen werden, um Korallen daran zu befestigen oder irgendwelche Pflegearbeiten durchzuführen. Selbst ein Teilwasserwechsel oder eine schonende Bodengrundreinigung sind auf diese Weise sehr leicht durchführbar.
Ein sehr reizvoller Weg, ein interessantes Riffpfeiler-Nanobecken einzurichten, ist es, einen frisch importierten lebenden Stein zu verwenden. Dieser sollte in gutem Zustand sein, sodass der Aufwuchs nicht zu sehr durch den Transport geschädigt ist. Man erkennt das am besten an Schwämmen, die sich nicht auflösen, sondern noch intakt sind. Auch der Geruch, den der Stein hat, wenn man ihn aus dem Wasser nimmt, verrät viel über den Zustand seiner Bewohner, denn er darf nicht faulig riechen. Ein solcher Stein wird, wie in einem späteren Kapitel erläutert, mit einer Standfläche und einer zentralen Bohrung versehen. Das ist alles, was wir brauchen. Nehmen wir das Aquarium nun mit Bodengrund und Wasser aus einem eingefahrenen Riffbecken in Betrieb, allein mit Hilfe des Lufthebers, dann werden auf der Oberfläche des Steines – abhängig von Besiedlung und Zustand – bald zahlreiche verschiedene marine Organismen erscheinen. Ich habe in Nanobecken auf diese Weise nicht nur Schwämme beobachtet, sondern beispielsweise auch blaue Seescheiden, die sich in größerer Zahl entwickelten und monatelang überlebten. Interessanterweise war das Gestein ohne Wasser von Indonesien nach Deutschland transportiert worden, und die ersten Seescheiden begannen erst nach rund zwei Wochen auf dem Gestein emporzuwachsen. Noch viele Wochen später kamen neue hinzu. Ein solches Riffpfeiler-Nanobecken gleicht einer „aquaristischen Wundertüte“, denn niemand weiß, was sich darin alles entwickeln wird. Die Abwesenheit von Fischen in einem solchen Becken ist das, was vielen Organismen erst eine Überlebenschance gibt, und die Wasserbewegung mit dem zentralen Luftheber macht das System absolut plankton- bzw. larvenfreundlich.
Der Fachhandel bietet inzwischen auch kleine Aquarien mit gebogener Frontscheibe an.
ClavulariaOBERTRONS