Einleitung

Rechnen Sie damit, manipuliert zu werden: Das Phishing-Gleichgewicht

Im Lauf von mehr als hundert Jahren haben uns Psychologen verschiedenster Denkschulen, deren Vertreter von Sigmund Freud bis zu Daniel Kahneman reichen, gelehrt, dass die Menschen häufig Entscheidungen fällen, die nicht in ihrem Interesse sind. Um es schonungslos auszudrücken: Sie tun nicht, was wirklich gut für sie ist, und entscheiden sich nicht für das, was sie wirklich wollen. Solche schlechten Entscheidungen machen es möglich, dass sie als »Dumme« gephischt werden. Diese grundlegende Tatsache ist schon Thema der ersten Geschichte in der Bibel: Die Schlange verleitet die unschuldige Eva zu einer dummen Entscheidung, die sie sofort und für immer bereuen wird.34

Das Grundkonzept der Ökonomie besagt etwas ganz anderes. Gemeint ist die Vorstellung vom Marktgleichgewicht.35 Für unsere Erklärung dieses Konzepts wollen wir das klassische Beispiel der Schlange an der Supermarktkasse abwandeln.36 Wenn wir im Supermarkt an die Kasse kommen, brauchen wir normalerweise einen Moment, um uns zu entscheiden, in welcher Schlange wir uns anstellen sollen. Diese Entscheidung ist nicht ganz einfach, denn die Warteschlangen sind immer in etwa gleich lang – es besteht die Tendenz zur Herstellung eines Gleichgewichts. Dieses Gleichgewicht entsteht einfach, weil die Kunden, die an die Kasse kommen, die jeweils kürzeste Warteschlange wählen.

Das Gleichgewichtsprinzip, das wir an den Supermarktkassen beobachten können, gilt auch für die Wirtschaft im Allgemeinen. Wenn sich Unternehmer entscheiden, welchem Geschäft sie nachgehen sollen – und wo sie ihr bestehendes Geschäft ausweiten oder einschränken sollen –, wählen sie (wie die Supermarktkunden, die sich der Kasse nähern) die besten Chancen aus. Auch hier entsteht ein Gleichgewicht. Alle Gelegenheiten, ungewöhnlich hohe Gewinne zu erzielen, werden rasch ergriffen, was zu einer Situation führt, in der sich kaum noch solche Gelegenheiten bieten. Dieses Prinzip ist ein zentraler Bestandteil der Ökonomie.

Dasselbe Prinzip gilt auch für das Phischen nach »Dummen«. Das bedeutet, dass sich, wenn wir eine Schwachstelle haben – wenn man uns auf eine bestimmte Art für dumm verkaufen kann, um einen ungewöhnlich hohen Profit aus uns herauszuholen –, im Phishing-Gleichgewicht jemand finden wird, der diese Schwäche nutzen wird. Unter all den Geschäftsleuten, die im übertragenen Sinn an der Supermarktkasse eintreffen und sich umsehen, um zu entscheiden, in welches Geschäft sie ihr Kapital investieren sollen, wird es einige geben, die nach Gelegenheiten suchen, uns für dumm zu verkaufen, um einen außergewöhnlichen Profit zu erzielen. Und wenn sie eine solche Gewinnchance sehen, werden sie sich, um bei unserem Bild zu bleiben, für die entsprechende »Warteschlange« entscheiden.

So entsteht in Ökonomien ein Phishing-Gleichgewicht, in dem jede Chance auf einen ungewöhnlichen Profit genutzt wird. Um besser zu verstehen, wie das funktioniert, wollen wir uns drei »Fingerübungen« zuwenden, in denen wir das Konzept des Phishing-Gleichgewichts anwenden können.

Fingerübung 1: Cinnabon®

Im Jahr 1985 gründeten Rich Komen und sein Sohn Greg in Seattle Cinnabon® Inc. mit einer Marketingstrategie. Sie eröffneten Läden, in denen »die besten Zimtrollen der Welt« gebacken würden.37 Der Duft von Zimt lockt die Kunden an wie Pheromone die Motten. Die Komens erzählen von »zahlreichen Reisen nach Indonesien«, deren Zweck es gewesen sei, »edlen Makara-Zimt zu erwerben«.38 Ein Cinnabon® wird mit Margarine gemacht, hat 880 Kalorien und ist mit einem Zuckerguss überzogen. Das Motto von Cinnabon® Inc. lautet: »Das Leben braucht eine Glasur«. Die Filialen wurden in Flughäfen und Einkaufszentren samt Plakaten und Mottos sorgfältig auf dem Weg von Menschen platziert, die für diesen Geruch und die Geschichte der besten Zimtrolle der Welt empfänglich waren und ein wenig Zeit hatten. Die Information über den hohen Kaloriengehalt war natürlich vorhanden, aber sie war nicht leicht zu finden. Cinnabon® war ein großer Erfolg, was nicht nur mit dem köstlichen Gebäck, sondern auch mit der Strategie der Komens zu tun hatte. Mittlerweile gibt es über 750 Cinnabon®-Bäckereien in mehr als 30 Ländern.39 Die meisten von uns betrachten es vermutlich als selbstverständlich, dass wir genau dort, wo wir auf unseren verspäteten Flug warten, zufällig auf einen solchen Laden stoßen. Aber wir übersehen, wie viel Arbeit und Sachkenntnis aufgewandt wurde, um unsere Augenblicke der Schwäche zu verstehen und eine Strategie zu entwickeln, um sie auszunutzen.

Kaum jemand betrachtet die Gegenwart von Cinnabon®, das unsere Bemühungen um eine gesunde Ernährung durchkreuzt, als natürliches Ergebnis eines Gleichgewichts auf dem freien Markt. Aber genau das ist es: Hätten Rich und Greg Komen unsere Schwäche nicht ausgenutzt, so wäre früher oder später jemand auf eine ähnliche – wenn auch mit einiger Sicherheit nicht identische – Idee gekommen. Das marktwirtschaftliche System nutzt unsere Schwächen automatisch aus.

Fingerübung 2: Fitness-Studios

Im Frühjahr 2000 studierten Stefano DellaVigna und Ulrike Malmendier in Harvard40 und belegten am MIT einen Kurs für Psychologische Ökonomie. Sie entschlossen sich, ein Beispiel für jene Art von schlechten Entscheidungen zu suchen, die der Untersuchungsgegenstand dieser neuen Disziplin waren. Sie fanden eines in ihrer Nachbarschaft: Fitness-Studios. Wir interessieren uns für Fitnesscenter, weil sie ein Beispiel für das Phischen nach »Dummen« sind. Aber sie sind auch an sich interessant: Im Jahr 2012 setzten Fitness-Studios in den Vereinigten Staaten 22 Milliarden Dollar um und hatten mehr als 50 Millionen Kunden.41

DellaVigna und Malmendier sammelten Daten über mehr als 7500 Fitness-Studios im Großraum Boston.42 Wenn angehende Sportskanonen zum ersten Mal ein Fitnesscenter betraten, waren sie übermäßig optimistisch in Bezug auf ihre Trainingspläne und unterzeichneten überteuerte Mitgliedschaftsverträge. Normalerweise konnten sie zwischen drei verschiedenen Zahlungsmethoden wählen: pro Besuch, monatlicher Vertrag mit automatischer Verlängerung, sofern nicht gekündigt wurde, oder Jahresmitgliedschaft. Die meisten Kunden, die keine finanzielle Unterstützung für das Training erhielten, hatten sich für den Monatsvertrag entschieden. Aber 80 Prozent von ihnen hätten weniger bezahlt, wenn sie jedes einzelne Training bezahlt hätten, und die Einbußen durch diese falsche Entscheidung waren beträchtlich: 600 Dollar im Jahr bei einer durchschnittlichen Zahlung von 1400 Dollar.43 Und wie zum Hohn legten die Fitness-Studios Mitgliedern, die kündigen wollten, obendrein Hindernisse in den Weg: Alle 83 Fitnesscenter in der Stichprobe, die eine automatische monatliche Verlängerung anboten, akzeptierten eine persönliche Kündigung, aber nur sieben gaben ihre Kunden die Möglichkeit, telefonisch zu kündigen. Nur 54 akzeptierten eine schriftliche Kündigung, und von diesen Studios verlangten 25 eine notarielle Beglaubigung des Kündigungsschreibens.44

Natürlich war es kein Zufall, dass die Fitness-Studios Mitgliedschaften anboten, bei denen die Kunden »dafür bezahlten, nicht ins Fitness-Studio zu gehen«.45 Da die Kunden bereit waren, Verträge zu unterschreiben, die einträglicher waren als einzelne Besuche, war im Phishing-Gleichgewicht zu erwarten, dass solche Verträge angeboten wurden. Andernfalls hätten sich die Fitness-Studios eine Chance entgehen lassen, Geld zu verdienen.

Fingerübung Nr. 3:
Die Vorlieben des Affen auf der Schulter

Welche Probleme ein Gleichgewicht auf einem vollkommen freien Markt verursacht, können wir uns besser vorstellen, indem wir eine Metapher für ein solches Phishing-Gleichgewicht heranziehen. Dem Ökonomen Keith Chen und den Psychologen Venkat Lakshminarayanan und Laurie Santos ist es gelungen, Kapuzineraffen beizubringen, wie sie Geld verwenden können, um Handel zu treiben.46 Hier haben wir ein bemerkenswertes Beispiel für den Beginn einer freien Marktwirtschaft: Die Affen lernten Preise und zu erwartende Gewinne einzuschätzen und tauschten sogar Sex gegen Geld.47

Wir wollen in Gedanken über die bereits durchgeführten Experimente hinausgehen. Nehmen wir an, wir geben den Kapuzineraffen die Möglichkeit, mit Menschen Handel zu treiben. Wir gestehen einer großen Affenpopulation ein beträchtliches Einkommen zu und erlauben ihnen, als Kunden bei gewinnorientierten, von Menschen geführten Unternehmen einzukaufen, ohne sie durch Vorschriften zu schützen. Es ist zu erwarten, dass der freie Markt mit seiner Vorliebe für den Profit alles bereitstellen wird, was die Affen kaufen wollen. Also wird ein wirtschaftliches Gleichgewicht mit Angeboten entstehen, die den sonderbaren Vorlieben der Kapuzineraffen entsprechen. Dieser Überfluss gibt den Affen die Möglichkeit zu wählen, aber das, was sie wählen können, ist etwas ganz anderes als das, was sie glücklich macht. Wir wissen bereits von Chen, Lakshminarayanan und Santos, dass die Affen mit Marshmallow gefüllte Fruchtgummirollen lieben.48 Kapuzineraffen sind nur begrenzt in der Lage, Versuchungen zu widerstehen. Es ist anzunehmen, dass sie bald unter Angst, Ernährungsstörungen, Erschöpfung, Suchtverhalten und Streitlust leiden würden.

Damit sind wir beim Zweck dieses Gedankenexperiments. Wir sehen, was es uns über den Menschen verrät. Wir haben das Verhalten der Affen so analysiert, als hätten sie zwei Arten von dem, was die Ökonomen als »Präferenzen« bezeichnen. Die erste Art von »Präferenz« wäre jene, die den Kapuzineraffen zu einer Entscheidung bewegt, die gut für ihn ist. Die zweite Art von »Präferenz« – die Vorliebe für Fruchtgummi – ist jene, die sein tatsächliches Verhalten steuert. Natürlich sind Menschen klüger als Affen. Aber wir können unser Verhalten genauso betrachten: Wir können uns vorstellen, dass wir wie die Kapuzineraffen zwei verschiedene Arten von Präferenzen haben: solche, die wirklich gut für uns sind, die jedoch wie bei den Kapuzineraffen nicht immer die Grundlage für unsere Entscheidungen sind. Die zweite Art von Präferenzen sind jene, die entscheiden, wie wir tatsächlich unsere Entscheidungen fällen. Und diese Entscheidungen sind möglicherweise nicht »gut für uns.«

Die Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Präferenzen und das Beispiel der Kapuzineraffen liefern ein lehrreiches Bild: Wir können uns unsere Wirtschaft so vorstellen, dass wir alle einen Affen auf der Schulter sitzen haben, wenn wir einkaufen gehen oder wirtschaftliche Entscheidungen fällen. Diese Affen auf unseren Schultern sind die Präferenzen, die von den Verkäufern seit Ewigkeiten ausgenutzt werden. Aufgrund dieser Schwächen entsprechen viele unserer Entscheidungen nicht dem, was wir »wirklich wollen«; anders ausgedrückt, sie weichen von dem ab, was gut für uns ist. Im Allgemeinen wissen wir nicht, dass wir einen Affen auf der Schulter sitzen haben. Daher entsteht in Ermangelung bestimmter Beschränkungen der Marktkräfte ein wirtschaftliches Gleichgewicht, in dem im Wesentlichen die Affen auf unseren Schultern die Entscheidungen fällen.

Das angeblich optimale Gleichgewicht des freien Marktes

Im Herzen der Wirtschaftstheorie verbirgt sich eine möglicherweise überraschende Erkenntnis. Im Jahr 1776 schrieb der Vater der Ökonomie, Adam Smith, in seinem Werk The Wealth of Nations, dass jeder Mensch, indem er sein eigenes Interesse verfolge, auf einem freien Markt auch zum Gemeinwohl beitrage.49 Es dauerte mehr als ein Jahrhundert, bis die Welt diese Aussage richtig verstand. In der modernen ökonomischen Theorie, die den Wirtschaftsstudenten schon im Grundstudium vermittelt wird, ist das Wettbewerbsgleichgewicht auf einem freien Markt »pareto-optimal«.50 Daher ist es, wenn eine Marktwirtschaft einmal im Gleichgewicht ist, nicht mehr möglich, das wirtschaftliche Wohlergehen aller Marktteilnehmer zu verbessern. Jeder Eingriff wird die Lage irgendeines Akteurs verschlechtern. Für die Volkswirtschaftsstudenten wird diese Erkenntnis in einen eleganten mathematischen Lehrsatz übersetzt: So wird der optimale Zustand des freien Markts zu einer bedeutsamen wissenschaftlichen Erkenntnis erhoben.51

Natürlich ist in der Theorie Platz für einige Faktoren, die das Gleichgewicht auf dem freien Markt verzerren können. Dazu zählen wirtschaftliche Aktivitäten einer Person, die sich direkt auf eine andere Person auswirken (sogenannte »externe Effekte« oder »Externalitäten«), sowie eine ungleiche Einkommensverteilung. Und natürlich wissen die Ökonomen seit langem, dass große Unternehmen den umfassenden Wettbewerb auf dem Markt beeinträchtigen können.52 Aber wenn man von diesen schädlichen Faktoren absieht, wäre es nach Ansicht vieler Ökonomen dumm, in die Abläufe auf dem freien Markt einzugreifen.

Diese Vorstellung lässt jedoch gravierende Probleme außer Acht. Diesen Problemen widmen wir uns in diesem Buch. Wenn der Markt vollkommen frei ist, haben die Akteure nicht nur die Freiheit der Wahl, sondern auch die Freiheit zum Phishen. Das Gleichgewicht ist nach Adam Smith weiterhin optimal, aber es ist nicht optimal, gemessen an dem, was wir wirklich wollen. Vielmehr ist es ein optimales Gleichgewicht, gemessen an der Befriedigung der Bedürfnisse, die uns vom Affen auf unserer Schulter eingeflüstert werden. Und das bringt sowohl für uns selbst als auch für den Affen zahlreiche Probleme mit sich.

Die herkömmliche Wirtschaftswissenschaft lässt dies außer Acht, weil die meisten Ökonomen davon ausgehen, dass die Menschen im Grunde wissen, was sie wollen. Wenn man so denkt, bringt es wenig, zu untersuchen, ob die Wünsche, die man uns einredet, dem entsprechen, was wir wirklich wollen. Aber die Ökonomie lässt die Psychologie, die sich mit dem Einfluss des Affen auf unserer Schulter beschäftigt, links liegen.

Eine Ausnahme ist die Verhaltensökonomie, die sich seit 40 Jahren eingehend mit der Beziehung zwischen Psychologie und wirtschaftlichem Handeln beschäftigt. Diese Disziplin beleuchtet, welche Folgen es für uns hat, dass der Affe auf unserer Schulter sitzt. Aber sonderbarerweise haben die Verhaltensökonomen (soweit wir wissen) ihre Erkenntnisse nie mit Adam Smith’ grundlegender Vorstellung von der unsichtbaren Hand des Marktes verknüpft. Vielleicht war der Zusammenhang einfach zu offenkundig. Nur ein Kind – oder ein Idiot – würde darauf hinweisen und erwarten, dass das irgendwen interessiert. Aber wie wir sehen werden, hat diese Beobachtung, so offenkundig sie scheinen mag, bedeutsame Konsequenzen. Um es mit Adam Smith zu sagen: Es wird sich jemand finden, der von der unsichtbaren Hand des Marktes gesteuert diese eingeflüsterten Bedürfnisse aus Eigeninteresse befriedigen wird.

Wir werden die herkömmliche Wirtschaftstheorie also nur geringfügig abwandeln (indem wir auf den Unterschied zwischen dem Optimum, gemessen an unseren wirklichen Wünschen, und dem Optimum, gemessen an unseren eingeflüsterten Wünschen hinweisen). Aber diese geringfügige Abwandlung der Wirtschaftstheorie hat erhebliche Auswirkungen auf unser Leben. Denn sie zeigt uns, dass wir, indem wir den Menschen frei wählen lassen – diese Freiheit ist zum Beispiel für Milton und Rose Friedman eine Grundvoraussetzung guter Politik –, erhebliche wirtschaftliche Probleme heraufbeschwören.53

Die Psychologie und der Affe auf der Schulter

Die Psychologie befasst sich nicht nur mit der Frage, warum Menschen »dysfunktionale« Entscheidungen fällen. Sie beschreibt auch die Funktionsweise des gesunden menschlichen Verstands. Aber ein Großteil der psychologischen Forschung ist Entscheidungen gewidmet, mit denen sich Menschen nicht das verschaffen, was sie wirklich wollen, sondern das, was sie zu wollen glauben. Ein Beispiel dafür ist das Einsatzgebiet jener Psychologie, die Mitte des 20. Jahrhunderts praktiziert wurde. Damals beruhte die Psychologie im Wesentlichen auf Freud, insbesondere auf seinen durch Experimente bestätigten Erkenntnissen zum Einfluss des Unterbewusstseins auf unsere Entscheidungen. Vance Packard beschrieb in seinem 1957 erschienenen Buch Hidden Persuaders*. die Marketing- und Werbeexperten als »verborgene Überzeuger«: Diese Leute manipulieren unser Unterbewusstsein. Die Autoren erinnern sich noch an eines der Beispiele, die Packard vor mehr als einem Jahrhundert nannte: Die Hersteller von Kuchenmischungen gingen auf den Wunsch der Hausfrauen nach Kreativität ein, indem sie vorschrieben, ein Ei unterzurühren, das vollkommen überflüssig war. Ein weiteres Beispiel war das der Versicherungsgesellschaften, die dem Wunsch nach Unsterblichkeit Rechnung trugen, indem sie in der Werbung einen verstorbenen Vater auf Familienfotos zeigten, die nach seinem Tod entstanden waren.54

Der Psychologe und Marketingexperte Robert Cialdini liefert in einem Buch zahlreiche beeindruckende Beispiele für kognitive Verzerrung.55 Seiner »Liste« zufolge sind wir anfällig für Betrug, weil wir Geschenke und Gefälligkeiten erwidern wollen, weil wir nett zu Menschen sein wollen, die wir mögen, weil wir Autoritäten nicht widersprechen wollen, weil wir dazu neigen, uns in unserem Verhalten nach anderen zu richten, weil wir uns um konsequente Entscheidungen bemühen und weil wir eine Abneigung gegen Verluste haben.56 Cialdini erklärt, dass jede dieser Neigungen mit einem gewöhnlichen Verkäufertrick ausgenutzt werden kann. Als Beispiel beschreibt Cialdini, wie sein Bruder Richard sein Studium finanzierte: Er kaufte jede Woche zwei oder drei Gebrauchtwagen, die in der Lokalzeitung annonciert wurden. Er reinigte die Autos und bot sie wieder zum Verkauf an. Sein Trick bestand darin, die »Verlustabneigung« der Menschen zu nutzen. Anders als es die meisten von uns tun würden, lud Richard die potentiellen Käufer nicht zu unterschiedlichen Zeiten zur Besichtigung eines Autos ein. Stattdessen achtete er darauf, dass sich die Besichtigungstermine überschnitten. Unabhängig davon, wie viel das angebotene Auto tatsächlich wert war, mussten die Interessenten nun fürchten, dass sie das Auto an den anderen potentiellen Käufer verlieren würden.57

Informations-»Dummköpfe«

Ein Großteil des Phishing beruht auf einer anderen Methode: Man gibt uns falsche oder irreführende Informationen. Hier spielen die Phischer mit dem, was ihre Kunden zu bekommen glauben. Es gibt zwei Arten, Geld zu verdienen. Da ist zunächst die anständige Art: Man gibt dem Kunden etwas, das für ihn einen Dollar wert ist, und produziert es für weniger. Und es gibt die unanständige Art: Man gibt dem Kunden falsche Information oder verleitet ihn dazu, einen falschen Schluss zu ziehen. Er denkt, etwas zu bekommen, das einen Dollar wert ist, obwohl es in Wahrheit weniger wert ist.

In diesem Buch werden wir eine Vielzahl solcher Beispiele beschreiben, vor allem aus dem Bereich der Finanzen. Die Finanzoptimisten glauben, in komplexen finanziellen Transaktionen gehe es darum, die Risiken und erwarteten Erträge möglichst gerecht auf Marktteilnehmer mit unterschiedlichen Vorlieben zu verteilen, so wie bei Kindern, die Murmeln und Fußballkarten tauschen. Die Theorie besagt, die Menschen seien klug, vor allem im Finanzsektor. Und um die Finanzmärkte zu regulieren, lässt man sie sich am besten selbst regulieren. Ein bemerkenswertes Beispiel für die Anwendung dieses Mantras auf die Politik ist der Commodity Futures Modernization Act, mit dem im Jahr 2000 grünes Licht für den Handel mit außergewöhnlich komplexen Finanzprodukten gegeben wurde. Der amerikanische Staat überließ es den Märkten, sich selbst zu beaufsichtigen. Aber das Mantra wird nicht wahr, nur weil wir es ständig wiederholen.

Eine weitere Methode, im Finanzsektor Geld zu verdienen, besteht darin, den Leuten nicht zu verkaufen, was sie wirklich wollen. Erinnern wir uns an den beliebten Zaubertrick: Der Zauberer legt eine Münze unter einen von drei Bechern, die er herumschiebt und schließlich umdreht:58 Die Münze ist verschwunden. Aber wo ist sie? Voilà: Sie ist in der Hand des Zauberers. Genau dasselbe passiert in komplizierten Finanztransaktionen: Wir kaufen ein Wertpapier, mit dem wir einen Anspruch auf die Münze erwerben, die zum Vorschein kommen wird, wenn die Becher umgedreht werden. Aber im Wirbel der komplexen Finanztransaktionen wechselt die Münze irgendwie in die Hand des Zauberers – und wenn die Becher umgedreht werden, stehen wir mit leeren Händen da. Wir werden uns in drei Kapiteln dieses Buches mit Finanzmanipulationen beschäftigen und viele Tricks erklären, mit denen der Finanzmagier die Münze aus den auf dem Tisch umherflitzenden Bechern holt. Wir werden über Manöver wie durchtriebene Finanzbuchhaltung und übertrieben optimistische Ratings sprechen. In diesen Fällen wissen die Leute, was sie wollen, aber durch schlaue Manipulation der Information wird ihnen suggeriert, dass sie bekommen, was sie wollen, obwohl man ihnen etwas vollkommen anderes gibt. Abschließend werden wir feststellen, dass es Zauberer geben wird, solange man mit solchen Zaubertricks Geld verdienen kann. Das liegt in der Natur des wirtschaftlichen Gleichgewichts. Und es ist der wesentliche Grund dafür, dass die Finanzmärkte genau überwacht werden müssen.

Aber wir eilen unserer Geschichte ein wenig voraus.

Theorie und Praxis

Bisher haben wir die Theorie des Phishing-Gleichgewichts aufgestellt und mit einigen Beispielen illustriert. Diese Theorie besagt, dass im realen Marktgleichgewicht sehr viel nach »Dummen« gephischt wird. Das Gleichgewicht ergibt sich aus demselben Grund, der dafür sorgt, dass die Schlangen an verschiedenen Supermarktkassen selten unterschiedlich lang sind: Die aufeinander folgenden Kunden wählen jene Schlange aus, die ihnen am kürzesten scheint. Auf einem Markt, auf dem Wettbewerb herrscht, nutzen die Phischer ihre Chancen, »Dumme« hinters Licht zu führen, um Profit zu machen. Wir wenden uns nun dem restlichen Buch zu, in dem wir anhand zahlreicher Beispiele zeigen werden, warum dieses Prinzip eine wichtige Rolle in unserem Leben spielt.

Welche Richtung wir von hier aus einschlagen:
Ein Überblick über Phishing for Fools

Das Buch ist in diese Einleitung und drei Teile gegliedert.

EINLEITUNG: DAS PHISHING-GLEICHGEWICHT. Diese Einleitung dient vor allem dazu, das Konzept des Phishing-Gleichgewichts und die daraus folgende Unvermeidlichkeit des Phischens zu erklären. Um noch einmal auf das Beispiel von Cinnabon® zurückzugreifen, bedeutet diese Unvermeidlichkeit, dass in Abwesenheit der Komens irgendjemand anders ihren Platz eingenommen hätte. Selbstverständlich gilt das, was für die Komens gilt, in jedem Phishing-Gleichgewicht: Wird eine Profitchance nicht von einem Akteur wahrgenommen, so wird ein anderer sie nutzen.


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