utb 5650
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basierend auf dem St. Galler
Management-Modell
Haupt Verlag
[4] Thomas Bieger, Prof. Dr., Ordentlicher Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Tourismus. Dekan der betriebswirtschaftlichen Abteilung der Universität St. Gallen (2003–2005). Rektor der Universität St. Gallen (2011–2020).
Samuel Heer, Dr., Lehrbeauftragter für Betriebswirtschaft und Handlungskompetenz an der Universität St. Gallen, Koordinator der BWL im Assessmentjahr.
Simon Kuster, M.A. HSG, Diplomierter Wirtschaftspädagoge, Doktorand am Institut für Systemisches Management und Public Governance, Universität St. Gallen.
Harald Tuckermann, Prof. Dr., Titularprofessor für Management, Vize-Direktor des Instituts für Systemisches Management und Public Governance, Universität St. Gallen.
Dieses Buch ist deckungsgleich mit der englischen Ausgabe
(An Introduction to Management Studies):
ISBN: 978-3-8252-5656-2 (Print),
ISBN: 978-3-8463-5656-2 (E-Book)
1. Auflage: 2021
utb-Bandnr.: 5650
ISBN: 978-3-8252-5650-0 (Print)
ISBN: 978-3-8463-5650-0 (E-Book)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Satz: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen
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[5] Managen als Aufgabe und Tätigkeit, Management als Institution und Managerinnen und Manager als Akteure üben eine Faszination aus. Positiv wird Management verbunden mit Gestaltung, Verantwortung, Wettbewerb und Erfolg. Negativ konnotiert sind Begriffe und Themen wie Missmanagement, überhöhte Managementgehälter oder fehlende Übernahme von Management-Verantwortung.
Heute zeichnen sich im Management insbesondere folgende Entwicklungen ab:
– Nicht nur in privatwirtschaftlichen Unternehmen, sondern auch in Organisationen der staatlichen Verwaltung, Vereinen, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen hält professionelles Management Einzug. Die Führungsverantwortlichen lassen sich entsprechend weiterbilden oder es werden Managerinnen und Manager von aussen rekrutiert.
– Lange wurde dabei die Debatte geführt, ob Management eine Wissenschaft, eine Profession oder gar eine Kunst ist, zu der man Talent hat oder eben nicht. Management scheint heute mit der erwähnten Entwicklung immer mehr zu einem eigentlichen Beruf zu werden, der sich durch alle Eigenschaften einer professionellen Gemeinschaft wie eigene Sprache, Habitus, Werte und Standards auszeichnet.
– Entsprechend finden heute vermehrt auch Wechsel im Management branchenübergreifend statt. Die Branche scheint dabei als Verankerung an Bedeutung zu verlieren bzw. überlagert zu werden.
– Management wird angesichts der zunehmenden Komplexität der globalen Wirtschaft, der Trends in der gesellschaftlichen und der Anforderungen der natürlichen Umwelt, des technologischen Wandels und der damit verbundenen zunehmenden Regulierung immer anspruchsvoller. Man spricht heute oft von einer «VUCA-Welt», die gekennzeichnet ist durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität.
– Der Ruf nach einem integrativen Management wird damit lauter. Diese Integration ist erforderlich in Bezug auf verschiedene Spannungsfelder und Dimensionen: Von den Anliegen verschiedener Anspruchsgruppen bis zu den verschiedenen Funktionen [6] im Unternehmen und den unterschiedlichen Zeithorizonten der organisationalen Entwicklung.
– Mit der Bedeutungszunahme von Management in allen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereichen sowie den zunehmend notwendigen Integrationsleistungen muss Management immer mehr Anforderungen der Verantwortung und Nachhaltigkeit wahrnehmen. Entsprechend lautet denn auch die Vision der Universität St. Gallen mit einer der grössten Managementfakultäten im deutschsprachigen Raum: Als führende Wirtschaftsuniversität setzen wir in Forschung und Lehre weltweit Massstäbe, indem wir integratives Denken, verantwortungsvolles Handeln und unternehmerischen Innovationsgeist in Wirtschaft und Gesellschaft fördern.
Das vorliegende Buch ist deshalb nicht eine Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, die primär auf funktionalen Grundlagen aufbaut, sondern eine Einführung in das Management, das die spezifischen Herausforderungen, Spannungsfelder und Aufgaben eines integrativen Management-Ansatzes thematisiert. Das Buch baut dabei auf die Tradition der St. Galler Management-Modelle, die Studierenden bereits über viele Generationen eine geistige Landkarte für die Einordnung und Bearbeitung von Management-Herausforderungen liefern.
Dieses Buch stellt eine der Pflichtlektüren aller Erstsemestrigen im Assessmentjahr an der Universität St. Gallen dar und ergänzt damit das Lehrbuch Das Marketingkonzept im St. Galler Management-Modell, das sich mit der Wertschöpfung als Ziel- und Handlungsobjekt des Managements und mit der Gestaltung der Wertschöpfungskette befasst. Das vorliegende Buch beleuchtet die Management- und Unterstützungsprozesse, die jede Organisation in einer geeigneten Form braucht. Zudem wird Management in die organisationale Umwelt und die gesellschaftlichen Ansprüche eingebettet.
Der vorliegende Text entstand während der COVID-19-Pandemie dank digitalem Teamwork. Ziel war es, die Online-Vorlesungen um einen Grundlagentext für das Selbststudium zu ergänzen. Da es sich um ein einführendes Lehrbuch handelt, sind einzelne Themen aus Gründen der didaktischen Übersicht vereinfacht dargestellt und nur mit den wesentlichsten Literaturbezügen versehen. Das Buch liegt in deutscher und englischer Fassung vor, wobei der englische Text primär eine Übersetzung des deutschen darstellt.
[7] Das Buch ist in sechs Kapitel gegliedert, welche den sechs Vorlesungsmodulen mit je zwei Hauptthemen entsprechen:
1. Integratives Management und Management-Modelle
2. Entscheidungen und Kommunikation
3. Strategie und Entwicklungsmodi
4. Struktur und Kultur
5. Führung und Governance
6. Umwelt und Interaktionsthemen
Jedes Kapitel enthält ein kurzes Fallbeispiel mit Einstiegsfragen. Diese Fallbeispiele weisen alle einen Bezug zur Universität St. Gallen auf, indem sie z. B. von Alumni gegründet oder geleitet werden. Jedes dieser Unternehmen durchläuft Herausforderungen, Höhen und Tiefen. Die Kurzfallstudien bieten keine umfassende Beleuchtung aller Facetten dieser Unternehmen, sondern liefern Illustrationsmaterial für eine Diskussion spezifischer fachlicher Aspekte.
Dank der knappen Form, den praktischen Beispielen und aktuellen Bezügen eignet sich das Buch auch als «Refresher» für Führungspersönlichkeiten oder als Einführung für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger ins Management.
Das Autorenteam dankt den mehr als 20 Dozierenden, die den Unterricht in Betriebswirtschaftslehre im Assessmentjahr der Universität St. Gallen mit ihren Übungsgruppen begleiten und immer wieder wichtige Inputs liefern. Es dankt den Vorreitern, welche die Vorlesungsreihe früher betreut und wesentliche Elemente beigetragen sowie Inspiration geliefert haben, Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm und Prof. Dr. Kuno Schedler. Ein grosses Dankeschön geht zudem an Margareta Brugger und Greta Gillet für die Bearbeitung des Manuskripts, an Barbara Bieger und Jay Binneweg für das aufmerksame Lektorat, sowie an Mark Kyburz für die sorgfältige Editierung der englischen Fassung.
Bieger, Heer, Kuster, Tuckermann
St. Gallen, Juli 2021
[13] On wird 2010 gegründet, um das Laufgefühl zu revolutionieren. Am Anfang steht eine radikale Idee: Weiche Landungen gefolgt von explosiven Abstössen. Die drei Gründer verbindet die Liebe zum Laufsport. Der ehemalige Profisportler und dreifache Duathlon-Weltmeister sowie mehrfache Ironman-Gewinner Olivier Bernhard trifft mit dem Traum von Laufschuhen für das perfekte Laufgefühl auf den Schweizer ETH-Ingenieur David Allemann und den HSG-Absolventen Caspar Coppetti. Die drei sind getrieben von der Mission «ein von Schweizer Ingenieurskunst geprägtes Produktsortiment zu entwickeln» (vgl. on-running.com). Die Laufschuhe basieren auf einer eigenentwickelten, patentierten Technologie, der sogenannten «Cloud-Technology».
Das Gründungsteam, das sich durch einen starken Zusammenhalt auszeichnet, positioniert sich mit einem innovativen Produkt in einem globalen Wachstumsmarkt, dem Markt für Laufschuhe. Dieser wird auf ein Marktvolumen von USD 20 Mia. pro Jahr eingeschätzt (Müller, 2015). Dabei verfolgt die Unternehmung eine Wachstumsstrategie durch Marktdurchdringung in europäischen Ländern und Marktentwicklung mit der laufenden Erschliessung von neuen Ländern, zuerst mit einer Niederlassung in Portland, Oregon (USA). Weitere Zielgebiete sind Australien, Lateinamerika und asiatische Länder. Zur Sortimentserweiterung wird 2016 mit einer ersten Kleidungskollektion gestartet. Ziel ist – wie bei den Schuhen – Kleider anzubieten, die sich nicht nach saisonalen Modetrends richten. Grundsätzlich soll der Fokus auf Schuhe jedoch bewahrt werden (Iseli, 2017).
Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Zürich-West. Die indirekte Distribution läuft über eigene Tochtergesellschaften, welche den Fachhandel betreuen. Die Endkunden werden über die unabhängigen Fachgeschäfte in den jeweiligen Ländern bedient. Die Preisgestaltung orientiert sich am Ziel einer Premium-Positionierung und richtet sich im Rahmen derselben nach den Zielmärkten. So sind die Schuhe in den USA etwas günstiger als in der Schweiz.
Die Geschäftsprozesse des Unternehmens sind stark auf Outsourcing und langfristige Kooperationen ausgerichtet. Design und Entwicklung finden weitgehend im Hauptsitz in Zürich statt. Die Produktion der Schuhe erfolgt durch ausgewählte Partnerunternehmen in Vietnam. Die Logistik wird von [14] Leistungspartnern erbracht und ist daher sehr skalierbar. Wichtig ist die kontinuierliche Leistungsinnovation. So wurden seit dem Urmodell «On Cloud» viele neue Produkte entwickelt, z. B. mit dem «Cloudflash» der «schnellste On aller Zeiten». Ausserdem wurden, um auch neue Trends aufzunehmen, spezialisierte Schuhe für Trail-Running entwickelt. Das Unternehmen profitiert zudem davon, dass Sneakers zu Schuhen des täglichen Bedarfs werden.
Das ganze Unternehmen wird durch eine sportliche, kreative Kultur geprägt. So gibt es keine fixen Büros und Kontakte werden oft im Rahmen von sportlichen Events gepflegt. Wichtig sind die Mitarbeitenden-Versammlungen, bei denen die Gründer selbst auftreten (Ruschmann, 2018). Das Unternehmen pflegt seine Anspruchsgruppen stark über persönlichen Austausch. Mitarbeitende müssen zur Unternehmenskultur passen und werden auch über die erwähnten Mitarbeitenden-Versammlungen auf die gemeinsame Vision eingeschworen. Zu den Abnehmerinnen und Abnehmern, den Fachhändlern auf der ganzen Welt, pflegen die Mitarbeitenden und auch die Gründer einen persönlichen Kontakt. Ein Beispiel dafür ist die Organisation gemeinsamer Läufe wie des in London veranstalteten «Run to Switzerland», bei dem Londonerinnen und Londoner eingeladen wurden, gemeinsam in die Schweizer Botschaft zu joggen. Eine weitere wichtige Anspruchsgruppe sind die Produzenten in Vietnam, die sorgfältig ausgewählt werden und an die hohe Qualitätsansprüche gestellt werden. Die Unternehmung hat heute einen Kreis prominenter Aktionäre und Aktionärinnen (Ruschmann, 2018), wozu auch Roger Federer gehört.
On kann anhand zentraler Elemente des St. Galler Management-Modells (SGMM) folgendermassen beschrieben werden (siehe Abbildung 1-1 für eine Übersicht über die Aufgabenperspektive des SGMM):
– Umweltsphären: V. a. die technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Umwelt sind relevant, z. B. mit Blick auf die Entwicklung von Kaufkraft in den Zielländern und den Trend zum Laufsport.
– Anspruchsgruppen: Im Vordergrund stehen vor allem Mitarbeitende sowie Endkunden, also Läuferinnen und Läufer, und direkte Kunden, also die Fachhändler. Ausserdem sind auch die Leistungspartner für Produktion und Logistik und die Finanzgeber (Aktionäre und Aktionärinnen) wichtige Anspruchsgruppen.
– [15] Interaktionsthemen: Hier geht es um die Wechselbeziehungen zwischen dem Unternehmen und anderen Akteuren wie den Produktionspartnern in Vietnam. Wichtige Themen sind die laufenden Innovationen sowie die ökologisch und sozial verträgliche Produktion.
– Prozesse: Disruption und Differenzierung geschieht in allen Bereichen der Value Chain – von Produkt über Produktion zu Marketing, Vertrieb und Organisationsform. Entsprechend verläuft auch die Strukturierung des Wertschöpfungsprozesses mit Produktentwicklung im Unternehmen unter Einbezug von Produktionspartnern, Outsourcing von Produktion und Logistik, Distribution im Sinne von Generalimport und Marktentwicklung durch eigene Tochtergesellschaften sowie Detailhandel über bestehende Fachhändlernetze.
– Ordnungsmomente: Die organisationale Wertschöpfung wird durch verschiedene «Kräfte» wie Governance, Strategie, Struktur und Kultur geordnet. In einem Start-up ist die Corporate Governance typischerweise noch nicht so ausgeprägt. Im Fall von On besteht sie hauptsächlich aus einem starken Gründerteam mit einem klaren «Purpose». Die Strategie von On fokussiert auf innovative Laufschuhe und allenfalls direkt damit verbundene Produkte wie Kleider. Wachstum geschieht über Marktpenetration und Marktentwicklung sowie Sortimentserweiterung. Die Struktur basiert auf einer flachen und schlanken Organisation mit Aufbauorganisation entsprechend der Wertkette. Die Unternehmung ist geprägt von einer innovativen und sportlichen Kultur.
– Entwicklungsmodi: Laufende Optimierung und Weiterentwicklung basierend u. a. auf einer konsequenten Internationalisierung (bedingt durch den kleinen Heimmarkt Schweiz) sowie Skalierbarkeit von Systemen und Prozessen.
Die Fallstudie ist ohne Beteiligung von On auf der Basis von allgemein zugänglichen Quellen entstanden und dient zur Illustration von Zusammenhängen im St. Galler Management-Modell.
– On wird 2010 in Zürich gegründet.
– Die Unternehmung hat heute rund 1000 Mitarbeitende aus 50 Ländern, etwa 40 % davon in Zürich (in der ausgelagerten Produktion und Logistik kommen nochmals ca. 5000 Personen dazu).
– Die Organisation hat eine sehr internationale Ausrichtung: Nur 5 % des Absatzes erfolgt in der Schweiz; die grössten Märkte sind die USA, Deutschland, Japan, Grossbritannien, Schweiz, Österreich und China.
– On ist eine der am schnellsten wachsende Sportmarken der Welt; im Schnitt betrug das Umsatzwachstum seit 2010 rund 85 % pro Jahr.
A. Welches sind die wichtigsten Aufgaben des Managements von On in der beschriebenen Phase des Wachstums?
B. Stellen Sie in einem System die Abhängigkeiten von und Wirkungen auf Umweltsphären und Anspruchsgruppen von On dar.
[17] Die Managementlehre ist eine handlungsorientierte Wissenschaft, die sich mit der Führung und Gestaltung von zweckorientierten soziotechnischen Systemen befasst. Wegen ihres starken Praxisbezugs weist die Managementlehre Berührungspunkte mit verschiedensten Disziplinen wie Ökonomie, Rechtswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Ethik, Informatik und Ingenieurwissenschaften auf. Im Begriff «Management» stecken die lateinischen Wörter «manus» (Hand) und «agere» (führen). Bei «Management» geht es letztlich um zielgerichtetes Führungshandeln. Gleichzeitig steht «das Management» aber auch für eine Gemeinschaft von Führungspersonen einer Organisation.
Organisationen sind eingebettet in eine vielgestaltige Umwelt und konfrontiert mit Ansprüchen unterschiedlichster Stakeholder. Innerhalb von Organisationen findet eine arbeitsteilige und funktional ausdifferenzierte Wertschöpfung statt. Aufgabe des Managements ist es, die organisationale Wertschöpfung angesichts einer sich laufend verändernden Umwelt in der kurzen und langen Frist optimal zu konfigurieren und dabei auch die eigene Management-Tätigkeit stets kritisch zu hinterfragen. Damit dies gelingt, ist ein integrativer Ansatz nötig (s. Kap. 1.4).
Das Management-Verständnis an der Universität St. Gallen (HSG) ist seit Jahrzehnten von einer integrativen Sicht geprägt. Das St. Galler Management-Modell (SGMM) dient bereits über viele Generationen als geistige Landkarte für die akademische und praktische Auseinandersetzung mit Management in und von Organisationen (s. Kap. 1.3). Trotz der kontinuierlichen Evolution des SGMM können drei beständige Hauptelemente identifiziert werden: Umwelt, Organisation, Management. In der aktuellen Version des SGMM (Rüegg-Stürm & Grand, 2020) werden diese Elemente (u. a.) anhand folgender Schlüsselkategorien gegliedert und ausdetailliert:
Aufgabenperspektive:
– Umwelt: Umweltsphären, Stakeholder, Interaktionsthemen
– Organisation: Prozesse, Ordnungsmomente, Entwicklungsmodi
Praxisperspektive:
– Management: Wertschöpfung, Orientierungsrahmen, Management-Praxis
[18] Abbildung 1-1: Aktuelles St. Galler Management-Modell, Aufgabenperspektive
Quelle: Rüegg-Stürm und Grand (2020)
Das einleitende Fallbeispiel (s. Kap. 1.1) beleuchtet die Schlüsselkategorien der Aufgabenperspektive (Abbildung 1-1) exemplarisch. Nachfolgend werden diese Bestandteile von Umwelt und Organisation kurz vorgestellt, sodass sie für die weitere Auseinandersetzung mit Management als Repertoire zur Verfügung stehen. In den anschliessenden Kapiteln wird die Aufgabenperspektive auch um ausgewählte Konzepte und Vokabular der Praxisperspektive (Abbildung 6-1) ergänzt (für eine umfassende Betrachtung des aktuellen SGMM: Rüegg-Stürm & Grand, 2020).
Die aktuelle Version des SGMM betont, dass Organisationen in eine Umwelt (s. Kap. 6.3.1) eingebettet sind, die sie selbst definieren. Beispielhaft können mit Gesellschaft, Natur, Technologie und Wirtschaft vier sogenannte Umweltsphären angeführt werden (Abbildung 1-1). Alle diese Sphären unterscheiden sich und Unternehmen nehmen auf diese in ihrer individuellen Weise Bezug. Das heisst auch, dass Unternehmen [19] durch diese Umweltsphären beeinflusst werden und sie umgekehrt selbst beeinflussen. So führt eine Innovation in der Umweltsphäre Technologie (z. B. die Entwicklung eines neuen Produktionsverfahrens) für das Unternehmen zum Zwang, seine eigene Produktion umzustellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wenn dadurch z. B. Arbeitsplätze reduziert werden und andere Ausbildungsprofile von Mitarbeitenden erforderlich sind, dann hat dies wiederum eine Rückwirkung auf die gesellschaftliche Umwelt des Unternehmens. Organisationen brauchen ihre Umwelt, um daraus Ressourcen für die Leistungen zu erschliessen, die diese Organisationen erbringen. Aus dem erschlossenen Zugang zur Umwelt können sich auch nachhaltige Wettbewerbsvorteile entwickeln. Insofern bietet die Umwelt mit den verschiedenen Umweltsphären Möglichkeitsräume für das Unternehmen, aus denen sich Chancen und Gefahren ergeben. So erleichtert z. B. die Nähe zu einer Forschungseinrichtung die Innovationstätigkeit und Rekrutierung von Mitarbeitenden.
Der Schlüssel zur Beziehung mit der Umwelt oder den jeweiligen Umweltsphären sind die Anspruchsgruppen (s. Kap. 6.3.2). Stakeholder oder Anspruchsgruppen sind Akteure (z. B. Individuen oder Organisationen), die in der Umwelt tätig sind und über die Beziehung mit der Organisation einen eigenen Anspruch an diese stellen. Die Mitwirkung von Anspruchsgruppen (z. B. Mitarbeitende, Kunden, Kapitalgeber, Lieferanten oder auch der Staat) ist für das Überleben des Unternehmens erforderlich. Wichtigste Aufgabe des Managements ist es, den Zusammenhalt der Anspruchsgruppen zu sichern (vgl. Bleicher, 1991) und dabei auch Zielkonflikte zwischen den Anspruchsgruppen zu moderieren. Wenn z. B. in einer Krisensituation wie einer Pandemie das Unternehmen wirtschaftlich unter Druck gerät, muss das Management entscheiden, wie weit es den Ansprüchen der Mitarbeitenden auf Erhalt der Arbeitsplätze entgegenkommen kann, ohne dabei andere Ansprüche (z. B. von Lieferanten, die an der Zahlungsfähigkeit interessiert sind) allzu stark zu gefährden. Weil die Anspruchsgruppen in ihre jeweilige Umweltsphäre eingebettet sind, repräsentieren sie diese. Umweltverbände stehen für die natürliche Umwelt; Kapitalgeber, Lieferanten und Kunden für die wirtschaftliche Umwelt; der Staat und die Medien für die gesellschaftliche Umwelt. Für eine Organisation dienen entsprechende Beziehungen dazu, über die Anspruchsgruppen die notwendigen Ressourcen zu erschliessen. Dank Medienarbeit kann die eigene Reputation gestärkt werden, dank Beziehungen zu Investoren wird finanzielles Kapital erschlossen. Gute Kundenbeziehungen sind wesentlich für den [20] Verkauf der Produkte und Dienstleistungen und stabile Kontakte zu Zulieferern sind zentral für die zuverlässige Bereitstellung von Komponenten dieser Produkte und Dienstleistungen.
Interaktionsthemen (s. Kap. 6.3) sind die Themen, die eine Organisation mit ihren Anspruchsgruppen verhandelt, und betreffen deren Wechselbeziehung zu den jeweiligen Umweltsphären. So geht es um natürliche Ressourcen, wenn ein Unternehmen ein Ausbauprojekt verfolgt und dafür mehr Land braucht. Es geht um Normen oder Werte, wenn mit Mitarbeitenden über Führungsprinzipien und die zukünftige strategische Ausrichtung verhandelt wird. Um die Anliegen und Interessen des Staates im Verhältnis zu Kapitalgebern geht es bei Themen wie einer Aktienrechtsrevision, bei der die Stimmrechte einzelner Aktionärskategorien neu geregelt werden.
Prozesse können als eine Abfolge von Aktivitäten definiert werden (s. Kap. 1.5.2). Im Zentrum einer Unternehmung stehen als primäre Prozesse die Geschäftsprozesse (s. auch Bieger, 2019). Die Geschäftsprozesse beinhalten Leistungserstellungsprozesse (die eigentliche Produktion des Unternehmens), Leistungsinnovationsprozesse und Kundenprozesse, bestehend aus Kundenakquise-, Kundenbindungs- und Reputationsprozessen. Die Managementprozesse beinhalten die Prozesse, die zur Steuerung des «Systems» Unternehmen und seiner Beziehungen zur Umwelt dienen. Diese erfordern Kompetenzen und Techniken der Kommunikation und Entscheidungsfindung (s. Kap. 2.2). Unterstützungsprozesse sind Funktionen, die indirekt Geschäftsprozesse unterstützen (z. B. Prozesse des Finanzmanagements und des Personalwesens).
Weil sich die Umwelt selbst fortlaufend weiterentwickelt, sind auch die Organisationen permanent gefordert. Bei den Entwicklungsmodi (s. Kap. 3.7) wird grob zwischen zwei Typen organisationaler Veränderung unterschieden: Beim Modus der Optimierung wird der laufende Betrieb kontinuierlich verbessert, beim Modus der Erneuerung wird der Status Quo grundsätzlich in Frage gestellt. Optimierung bedeutet Verbesserung im Rahmen bestehender Strukturen, während Erneuerung auch die Veränderung dieser Strukturen beinhaltet. Eine Produktionslinie in der Automobilindustrie kann z. B. in Bezug auf Durchlaufzeiten schrittweise durch die feinere Abstimmung der einzelnen Fertigungsschritte (Schleifen, [21] Kleben, Lackieren, usw.) verbessert werden. Sie kann aber nur mit einem erheblichen finanziellen und zeitlichen Aufwand grundsätzlich und tiefgreifend verändert werden, z. B. auf eine neue Antriebstechnologie wie Elektroantrieb angepasst und umgestellt werden. Häufig geschehen Wechsel zwischen diesen beiden Modi. Wenn ein Wertschöpfungssystem neu konfiguriert wurde (Erneuerung), braucht es nachfolgend eine Phase der Optimierung und dafür strukturelle Stabilität. Im Management laufen die beiden Modi oft parallel. Es gilt, Entscheide zur Optimierung und gleichzeitig zur Infragestellung des Bestehenden zu treffen.
Die Ordnungsmomente sichern die notwendige Grundordnung in Form einer Governance, einer durch die Strategie vorgegebenen Entwicklungsrichtung, einer auf die Umsetzung der Strategie ausgerichteten Organisationsform und eines durch die Kultur definierten Normen- und Wertsystems.
– Die Governance (s. Kap. 5.6) stellt die Voraussetzungen für Management- und Strategiefähigkeit durch eine geeignete Zwecksetzung der Unternehmung, durch Managementressourcen, eine Kompetenzordnung und Prozesse sicher. Die Governance regelt Rollen, Rechte und Pflichten des Managements und legt die normative Ausrichtung, also Vision und Mission einer Organisation, fest (Rüegg-Stürm & Grand, 2020).
– Eine Strategie (s. Kap. 3.2) kann nur erstellt werden, wenn klar ist, was der langfristige Zweck einer Organisation ist. Bei einer Sportinfrastrukturstätte sollte z. B. klar sein, ob sie ein Gesundheits- oder ein Freizeitunternehmen ist. Das definiert die Suchfelder für die Strategie (z. B. für neue Produkte). Ziel der Strategie ist die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Dazu werden strategische Erfolgspositionen innerhalb des Unternehmens («insideout», z. B. Kernkompetenzen) oder ausserhalb («outside-in», z. B. Marktpositionierungen) erschlossen.
– Die Struktur (s. Kap. 4.2) einer Organisation hat sich nach den strategischen Erfolgspositionen auszurichten, entsprechend denen die Prozesse zu definieren und mit dem Ziel der optimalen Unterstützung der Strategie zu gestalten sind (vgl. Osterloh & Frost, 1996). Definiert ein Unternehmen etwa als zentrale strategische Erfolgsposition die Fähigkeit, Serviceprozesse möglichst optimal an Kundenbedürfnisse anzupassen, dann stehen kundenorientierte Dienstleistungsprozesse im Vordergrund und die Organisation hat sich als primäres Ordnungskriterium nach [22] Kundengruppen auszurichten, möglicherweise indem die Hauptabteilungen nach Kundengruppen definiert werden.
– Zwischen Struktur und Kultur (s. Kap. 4.6) gibt es eine Wechselbeziehung. So führt eine stark hierarchische Organisation zu einer Kontrollkultur, die ihrerseits wieder auf die Funktion der Organisation zurückspielt. Die Kultur muss wiederum konsistent oder mindestens kompatibel sein mit dem Unternehmenszweck.
Aus diesen Überlegungen und der Logik des SGMM folgend, lässt sich eine Liste (Abbildung 1-2) von Grundaufgaben des Managements ableiten, die in jeder Organisation zu erfüllen sind.
Abbildung 1-2: Grundaufgaben des Managements
Quelle: angelehnt an Rüegg-Stürm und Grand (2020)