Für Hjördis, Mikkel, Bo, Fabio & Elisa.

So wie das Immergrün soll unsere Freundschaft blühn´.

Inhalt

Prolog

Hast du schon von Sverre gehört? Sverre ist ein Wichtel. Um genauer zu sein: ein Waldwichtel. Er lebt in einem Fliegenpilz. Dies schien ihm, als er in den Wald im Eggegebirge kam, der sicherste Ort von allen zu sein, um sich vor den Menschen versteckt zu halten.

Denn wie du sicherlich weißt, sind Fliegenpilze giftig und somit rührt sie auch kein Mensch an.

Dies dachte sich Sverre zumindest bei seinem Einzug in sein rotweißgepunktetes Zuhause. Das unscheinbare Wichtelhaus steht im Birkenwald.

Als geschickter Handwerker hat es sich Sverre in seinem Fliegenpilz richtig gemütlich gemacht - kleine Möbel gebaut und sogar Bettwäsche genäht.

Auch wenn es für Menschen augenscheinlich nach einem gewöhnlich großen Pilz aussieht, in den nie und nimmer eine Wohnung hineinpasst, so umgibt Sverre etwas Magisches, wie es alle Wichtel umgibt und deshalb kann Sverre im Pilz auch eine geräumige Stube haben.

Vielleicht findest du, dass Sverre ein außergewöhnlicher, ja vielleicht auch ein komischer Name ist, den du zuvor noch nicht gehört hast.

Aber, du musst wissen, Sverres Familie stammt weit oben aus dem Norden - aus Skandinavien. Seine Urgroßeltern haben als Weihnachtswichtel am Nordpol gearbeitet. Eines Tages sind sie mit der Familie ausgewandert, um ein schönes neues Fleckchen Erde kennenzulernen. Deshalb landete Sverre im Eggegebirge mitten im Teutoburger Wald. Hier lebt er jedoch nicht mit seiner Wichtelfamilie, sondern mit seinen fünf besten Tierfreunden zusammen. Die stelle ich dir später vor.

Sverres Familie ist tiefer in den Wald gezogen. Hinter dem Wurzelpfad in Richtung der Sumpfwiesen.

Dem kleinen Wichtel war es dort zu nass und kühl gewesen, deshalb beschloss er sich ein Pilzhaus im Birkenwald zu suchen.

Bestimmt sorgst du dich jetzt, dass Sverre ohne seine Familie wohnt. Das brauchst du aber nicht, denn Wichtel sind oft Eigenbrötler.

Die meisten von ihnen leben gerne für sich alleine, so wie auch Sverre. Wenn man also weiß, dass die Familie des kleinen Wichtels aus Skandinavien stammt, dann ist es keinesfalls komisch Sverre zu heißen. Dort oben im hohen Norden ist dies ein ganz gewöhnlicher Name, auch für kleine Wichtel.

Sverre ist ein winzig kleines Männchen, ungefähr zweihundertsiebenundfünfzig Jahre alt. In Wichteljahren gerechnet wäre er ungefähr so alt wie deine Eltern. Alle Wichtel haben Koboldohren, können sich unsichtbar machen und verfügen über geheime Zauberkräfte.

Zwei Dinge treffen auch auf Sverre zu: die Koboldohren und das Unsichtbarmachen. Dafür muss Sverre nur in seine linke Hosentasche greifen und seine kleine magische Schraube zwischen seinen Fingern drehen und schon ist er für eine Weile unsichtbar.

Nach seiner Zauberkraft hat Sverre lange gesucht.

Ob er sie je gefunden hat und welches Abenteuer er auf der Suche nach seiner geheimen Zauberkraft erlebt hat, davon will ich dir nun mehr erzählen.

1.
Auf zur Morgenrunde

Das Sonnenlicht blitzte durch die hohen Baumwipfel des Birkenwaldes und ließ die Tautropfen auf den Grashalmen vor Sverres Zuhause wie kleine, gläserne Zauberkugeln funkeln und blitzen. Sie kullerten langsam herab und landeten auf dem weichen Moosboden vor Sverres Fliegenpilz. Er liebte es im Spätsommer früh morgens durch das taufrische Gras und Moos zu laufen, um sich ein paar Kräuter für seinen Gutenmorgentee zu pflücken: Brennnesseln, Hagebutten und Kiefernsprossen. Während Sverre durch das Moos stapfte, traf er, wie beinahe jeden Morgen, seinen Freund Pep, das Eichhörnchen.

„Guten Morgen Sverre! Auch schon wach? Hast du gut

geschlafen? Ich bin in Eile. Der Winter kommt bald. Ich brauche noch mehr Vorräte. Machs´ gut. Bis später. Und grüß mir die anderen, wenn du sie siehst.“

Sverre konnte nicht einmal antworten, da war das flinke Eichhörnchen schon wieder in den Baumwipfeln des Birkenwaldes verschwunden.

Sverre lächelte und schaute seinem Freund hinterher.

Pfeifend setzte er sich mit dem dampfenden Tee vor sein Fliegenpilzhaus und beobachtete die ersten tanzenden Schmetterlinge vor seiner Haustür.

Der kleine Wichtel schnappte sich seinen selbstgebauten Bollerwagen und begann seine tägliche Runde durch den Wald.

Zuerst machte er sich auf den Weg zu seinem Freund Mengo, dem Wolf. Sverre durchstreifte den Fichtenwald, der hinter dem Birkenwald liegt.

Am Wegesrand sammelte er Nüsse und Beeren.

Am liebsten pflückte er Holunderbeeren. Daraus macht Sverre sein Lieblingsgetränk: Holunderbeerensaft.

Den lagert er ein, damit er bis zum nächsten Sommer genügend davon hat, um beim wöchentlichen Freundetreff davon zu trinken.

Doch langsam gingen die Holunderbeeren zu Neige und Sverre überlegte, woher er neue Beeren bekommen könnte. Mitten in seinen Gedanken, hört er eine bekannte Stimme.

Hoch über ihm flog Jaro, der Mäusebussard. Mit seinen prächtigen Schwingen schwebte er herab, um direkt vor den Füßen des kleinen Wichtels zu landen.

„Sverre, mein Freund! Du glaubst nicht, was ich heute auf meinem Rundflug über den Wald entdeckt habe.“

„Nicht zufällig einen Holunderbusch? Ich muss dringend meinen Holunderbeerenvorrat auffüllen, wenn wir weiterhin beim Freundetreff Saft zu meinen Nussschnecken schlürfen wollen“, erklärte der kleine Wichtel.

Der Mäusebussard kam zu keiner Antwort, da sich von hinten Mengo auf sie stürzte. Natürlich nur zum Spaß. Mengo war weit und breit der beste Anschleicher, den sie kannten.

Du musst wissen, dass Mengo zusammen mit seinem Wolfsrudel in einem anderen Waldrevier jagt.

Mengo ist ein besonderer Wolf, der seine freie Zeit gerne ohne sein Rudel und hauptsächlich am Sturmbaum verbringt.

Der Sturmbaum ist ein entwurzelter Baum, der bei einem heftigen Sturm vor fünf Jahren einfach so umgepustet wurde.

Er knickte um wie ein Streichholz. Seitdem hat der Wolf dort sein zweites Zuhause. Nur hin und wieder besucht Mengo sein Wolfsrudel, um auf die Jagd zu gehen.

Hier im Wald am Sturmbaum tut Mengo keinem Tier etwas zu Leide. Im Gegenteil: Er ist, genauso wie Sverre, mit den Tieren befreundet.

Sverre lachte und rückte seine Zipfelmütze zurecht:

„Mengo, du kannst es einfach nicht lassen.“ Mengo lachte: „Nein, ich muss in Übung bleiben und Hilja kann ich ja wohl schlecht einen Schrecken einjagen, dann spricht sie wieder wochenlang nicht mit mir.“

Sverre plauderte eine Weile gemeinsam mit Jaro und Mengo.

„Freunde, ich muss weiter. Die Sonne steht bald schon weit oben am Himmel, da werde ich keine Mäuse mehr finden“, sagte Jaro.

„Lass es bloß nicht Pep wissen, dass du seine Nagerfreunde jagst“, antwortete Sverre.

Jaro breitete seine Flügel aus und schwang sie auf und ab. Er glitt durch die dichten Fichten, wie der Majestät des Waldes, bis Mengo und Sverre ihn hoch oben am Himmel verschwinden sahen.

„Wohin heute, kleiner Freund?“, fragte Mengo.

„Ich halte Ausschau nach den letzten Holunderbeeren für dieses Jahr. Die Sträucher am Birkenwald habe ich alle leer gepflückt. Ich versuche mein Glück nun in der Lichtung des Waldes. Oder gibt es etwa welche am Sturmbaum?“, entgegnete Sverre.

„Am Sturmbaum kannst du lange suchen. Da findest du neben meinem Unterschlupf nur noch mehr entwurzelte Bäume. Komm mit Sverre, ich kenne eine Abkürzung“, schlug Mengo vor. Der kleine Wichtel und Mengo wanderten den schmalen Pfad rechts neben dem Sturmbaum hinab und erreichten schließlich die Lichtung des Waldes, auf der Hilja, das Reh, frische Blatttriebe fraß.

Mengo gab Sverre ein Zeichen. Daraufhin griff der kleine Wichtel in seine linke Hosentasche, drehte seine Schraube zwischen seinen Fingern und wurde sofort unsichtbar.

„Sverre, Mengo, ihr wart so laut, ich konnte euch schon einen Kilometer im Voraus hören“, spottete Hilja.

Mengo umkreiste das Reh und schaute Hilja dabei tief in die Augen.

„Ach, Mengo, hör auf, ich weiß, du jagst längst nicht mehr nach mir, sondern in deinem Jagdrevier abseits des Sturmbaumes.“

„Na und? Deswegen kann ich dich doch trotzdem umzingeln“, entgegnete Mengo grinsend.

„Und du, Sverre,“ sprach Hilja an den Wichtel gerichtet, „du kannst mit deinem Wichtelunsichtbarkeitszauber kaum auffälliger sein, wenn dein Bollerwagen noch am Wegesrand steht.“

Sverre wurde langsam wieder sichtbar und schmunzelte über Mengo und Hilja.

Er schaute sich um und schlenderte entlang der vielen Büsche. Vergebens suchte er zwischen den vielen Sträuchern nach Holunderbeeren.

Sverre machte sich weiter auf den Weg zum Bachlauf.

Durch die Bäume konnte er den Bach zwar noch nicht sehen, aber das Rauschen bereits hören. Eiskalt war sein Wasser und im Hochsommer genau das Richtige, um kleine müde Wichtelfüße zu kühlen.

„Sverre, mein Freund, hast du mir einen Leckerbissen mitgebracht?“

Das war Wido, der gähnte und sich streckte.

Der Waschbär lugte aus seiner Baumhöhle oben im

Kastanienbaum hervor. Sverre warf ihm eine Brombeere zu und lauschte Widos nächtlichen Geschichten von der Menschensiedlung am Waldrand, nahe des Holunderweges.

„Holunderweg? Dort muss es doch eine Menge Holunderbeeren geben“, überlegte Sverre laut.

„Na klar, noch haben die Menschen nicht alle Beeren geerntet“, berichtete Wido.

„Gut zu wissen“, entgegnete Sverre.

Er schmiss dem Waschbären noch eine weitere Brombeere zu und verabschiedete sich mit den Worten:

„Wido, ich muss los. Wir sehen uns morgen, wie immer bei mir zum Freundetreff.“

„Prima, ich freue mich! Aber vorher haue ich mich noch eine Runde aufs Ohr.“ Wido gähnte und rieb sich die Augen.

Sverre machte sich auf den Heimweg zu seinem Fliegenpilz. Dort angekommen begann er sofort mit seiner Arbeit. Fleißig, wie alle Wichtel, kocht, wäscht und handwerkt er den lieben langen Tag.

Neben seinen Handwerkskünsten backt er am liebsten seine berühmten Nussschnecken.

Als es langsam Abend wurde, machte Sverre es sich auf seiner kleinen Holzbank vor dem Haus gemütlich und wartete auf seinen Freund Jaro. Der Mäusebussard stattete ihm stets vor der Abenddämmerung noch einen Besuch ab.

Jaro berichtete ihm von den neuesten Neuigkeiten aus dem Wald.

„Sverre, was schaust du so betrübt? Sind dir etwa deine Nussschnecken angebrannt?“, fragte Jaro besorgt.

„Ach, nichts…es ist nur…ich wüsste so gerne, welche

Zauberkraft in mir steckt. Jeder Wichtel hat eine geheime Zauberkraft, nur ich nicht“, sagte Sverre bedrückt. „Sverre, sei nicht traurig!“, versuchte Jaro ihn aufzumuntern.

„Komm, steig auf, ich zeig dir, wie zauberhaft unser schöner Wald bei Abendlicht ist. Kopf hoch, eines Tages wirst du sie kennen, deine geheime Zauberkraft.“

Jaro breitete seine Schwingen aus. Sverre kletterte auf seinen Rücken, hielt sich im Gefieder fest und schon stieg der Mäusebussard in die Lüfte.

Weit oben über dem Birkenwald segelten die beiden Freunde durch die Lüfte: „Siehst du Sverre, wie zauberhaft unser Zuhause ist…?“

2.
Freundetreff am Fliegenpilz

Am nächsten Morgen stand der kleine Wichtel, wie immer, früh auf.

Heute war ein besonderer Tag: der Freundetreff. An diesem Tag drehte Sverre keine Runde durch den Wald, weil er den ganzen Vormittag damit beschäftigt war, seine berühmten Nussschnecken zu backen.

Sverre besitzt ein sehr altes Buch seiner Urgroßmutter, von der ich dir bereits erzählt habe. Die, die weit oben im Norden bei den Weihnachtswichteln gewohnt und gearbeitet hat.

Dieses Buch ist für Sverre wie ein wertvoller Schatz. Denn darin befinden sich lauter Rezepte. Auch das Rezept für Sverres Leibspeise. Das Buch unterscheidet sich auf den ersten Blick von keinem anderen Buch in Sverres Regal. Doch wenn du genau hinschaust, erkennst du eine grüne Welle außen auf dem Umschlag.

Die hat Sverre drauf gemalt, damit er das Buch schneller finden kann.

Du fragst dich sicherlich, warum man eine grüne Welle auf ein Koch- und Backbuch malt.