Heinrich Heine: Almansor

 

 

Heinrich Heine

Almansor

Eine Tragödie

 

 

 

Heinrich Heine: Almansor. Eine Tragödie

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Unbekannter Künstler, Deckenbemalung in der Alhambra in Granada, 15. Jahrhundert

 

ISBN 978-3-8430-8076-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9859-5 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9860-1 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck in: Der Gesellschafter oder Blätter für Herz und Geist (Berlin), 5. Jg., November 1821.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Herausgegeben von Hans Kaufmann, 2. Auflage, Berlin und Weimar: Aufbau, 1972.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

Glaubt nicht, es sei so ganz und gar phantastisch

Das hübsche Lied, das ich euch freundlich biete!

Hört zu: es ist halb episch und halb drastisch,

Dazwischen blüht manch lyrisch zarte Blüte;

Romantisch ist der Stoff, die Form ist plastisch,

Das Ganze aber kam aus dem Gemüte;

Es kämpfen Christ und Moslem, Nord und Süden,

Die Liebe kommt am End' und macht den Frieden.[480]

 

Das Innere eines alten, verödeten Maurenschlosses

Durch die Seitenfenster fallen Strahlen der untergehenden Sonne. Almansor allein.

 

ALMANSOR.

Es ist der alte, liebe Boden noch,

Der wohlbekannte, buntgestickte Teppich,

Worauf der Väter heil'ger Fuß gewandelt!

Jetzt nagen Würmer an den seidnen Blumen,

Als wären sie des Spaniers Bundgenossen.

Es sind die alten, treuen Säulen noch,

Des stolzen Hauses stolze Marmorstützen,

Woran ich oft mich angelehnt als Knabe.

Oh, hätten unsre Gomeles und Ganzuls,

Abencerragen und hochmüt'ge Zegris

So treu, wie diese Säulen hier, getragen

Den Königsthron im leuchtenden Alhambra!

Es sind die alten, guten Mauern noch,

Die glattgetäfelten, die hübsch bemalten,

Die stets dem müden Wandrer Obdach gaben!

Gastlich geblieben sind die guten Mauern,

Doch ihre Gäste sind nur Eul' und Uhu.

 

Er geht ans Fenster.

 

Still bleibt's! Nur du, o Sonne, hörtest mich;

Mitleidig schickst du mir die letzten Strahlen,

Und streust mir Licht auf meinen dunkeln Pfad!

Du, güt'ge Sonne, hör mein dankbar Wort:

Entflieh auch du nach Mauritaniens Küste[481]

Und nach Arabiens ewig heitrer Flur; –

Oh, fürchte Don Fernand und seine Räte,

Die Haß geschworen allem schönen Lichte;

Oh, fürchte Doña Isabell, die Stolze,

Die im Gefunkel ihrer Diamanten

Allein zu glänzen glaubt, wenn Nacht ringsum;

Oh, flieh auch du den schlimmen span'schen Boden,

Wo schon gesunken deine Schwestersonne,

Die goldgetürmte, leuchtende Granada!

 

Geht vom Fenster.

 

Beklommen ist mein Herz, als habe sich

Der untergehnden Sonne Flammenball

Auf diese arme, schwache Brust gewälzt.

Wie morsche, glühnde Asche ist mein Leib,

Und unter meinen Füßen wankt der Boden.

So heimisch ist mir hier, und doch so ängstlich!

Das Lüftchen, das mir lind die Wange kühlt,

Haucht Grüße mir aus längstverschollner Zeit.

In jener Schatten wechselnder Bewegung

Seh ich die Märchen meiner Kinderjahre;

Sie regen sich, und nicken mir, und lächeln

Mit klugen Mienen, und verwundern sich,

Daß jetzt der alte Freund so bang, so fremd tut.

Dort schwankt hervor die liebe, tote Mutter,

Und schaut wehmütiglich besorgt, und weint,

Und winkt, und winkt mit ihrer weißen Hand.

Und auch den Vater seh ich dorten sitzen,

Auf grünem Sammetpolster, leise schlummernd.

 

Er steht sinnend. Es ist ganz dunkel geworden. Man sieht im Hintergrunde eine Gestalt, mit einer Fackel in der Hand, vorüberschreiten.

 

Welch Nebelbild kam dort vorbeigeflirrt?

War's nur ein Blendwerk, das mich toll umgaukelt?

War's nicht der alte Hassan, der dort ging?[482]

Vielleicht liegt Hassans toter Leib im Grab,

Und nur sein Geist noch wandelt hier als Wächter

Der Burg, die er im Leben treu gehütet?

Es rauscht und rollet dumpf, und immer näher,

Als stiegen meine Väter aus den Gräbern,

Um mir zum Gruß die Knochenhand zu reichen,

Zum Willkommkuß die weißen, kalten Lippen –

Sie kommen schon – Eu'r Grüßen könnt mich töten –

 

Mehrere Mauren stürzen hervor mit blanken Säbeln.

 

ERSTER MAURE.

Das könnte wohl geschehn!

ALMANSOR zieht sein Schwert aus der Scheide.

So komm hervor,

Du wunderreiches, blankes Amulett,

Und schütze mich vor solchen schlimmen Geistern!

ZWEITER MAURE.

Wie kömmst du, Fremdling, hier in unsre Burg?

ALMANSOR.

Ich geb die Frag' zurück, die Burg ist mein,

Und dieser Anwalt –

 

Zeigt sein Schwert. –

 

soll mein gutes Recht

Auf eure Haut mit roten Zügen schreiben.

ERSTER MAURE.

Ei! ei! wenn unser Anwalt Einspruch tut,

Ist seine Zunge nicht von Holz; fürwahr,

Metallvoll klirret seine Eisenstimme. –

 

Sie fechten.

 

ERSTER MAURE.

Ei! ei! dein Anwalt kommt ja recht in Hitze,

Und seine Rede sprühet Feuerfunken.

ALMANSOR.

Schweig nur, in deinem Blut soll er sie löschen.[483]

DRITTER MAURE.

Der Spaß geht bald zu End', ergib dich uns.

 

Hassan, in der linken Hand eine Fackel, in der rechten einen Säbel, stürzt wild herbei.

 

HASSAN.

Ho! ho! habt ihr den Alten ganz vergessen?

Blutrache, wißt ihr ja, ist mein Gewerbe,

Und mir gehört der dort, ich muß ihn töten.

 

Er sicht mit dem schon ermatteten Almansor; wie er ihn eben niederhauen will, erblickt er das Gesicht desselben beim Scheine der Fackel, und erschüttert stürzt er zu Almansors Füßen.

 

Allah! Es ist Almansor ben Abdullah!

ALMANSOR.

Das bin ich noch, und du bist Hassan noch;

Steh auf, du treuer Diener meines Hauses.

Ein nächtig Blendwerk hat uns hier verwirrt,

Und bald wär mir die Vaterburg zum Grab,

Die alte Wiege mir zum Sarg geworden.

ERSTER MAURE.

Du schienest Spanier durch Barett und Mantel,

Und unser Säbel nur bewillkommt Spanier.

HASSAN steht langsam auf und spricht mit strengem Tone.

Almansor ben Abdullah! steh mir Rede:

Wie kömmt dein Leib in diese span'sche Tracht?

Wer hat das edle Berberroß behängt

Mit dieser gleißend farb'gen Schlangenhaut?

Wirf ab die gift'ge Hülle, Sohn Abdullahs,

Tritt auf das Haupt der Schlange, edles Roß!

ALMANSOR lächelnd.

Du bist der alte Eifrer Hassan noch,

Und klebst noch fest an Farben und an Formen.

Die Schlangenhaut, die schützet wider Schlangen;[484]

So wie die Wolfsfellhülle schützt das Lamm,

Das wehrlos fromm die Waldungen durchstreift.

Trotz Hut und Mantel bin ich doch ein Moslem,

Denn in der Brust hier trag ich meinen Turban.

HASSAN.

Gelobt sei Allah! Allah sei gelobt!

Legt euch zur Ruhe, Brüder, ich will wachen;

Verjüngt hat plötzlich sich der alte Hassan.

 

Die Mauren gehn ab.

 

ALMANSOR.

Wer sind die Männer, die du Brüder nanntest?

HASSAN.

Es sind die Reste jener treuen Diener,

Die Allah noch in diesem Land besitzt.

Ach! ihre Zahl ist g'ring, und täglich schmilzt sie;

Derweil die Zahl der Schelme täglich anschwillt.

ALMANSOR.

Wie tief bist du gesunken! O Granada!

HASSAN.

Wohl sinken muß die Stadt, wo Doppelfeinde,

Wo drinnen Zwietracht, draußen Arglist wüten.

Oh! Fluch der Nacht, wo diese Weiberarglist

Mit Männerhabsucht süß gebuhlt. Oh! Fluch

Der Nacht, wo das Verderben von Granada

In solcher Glutumarmung ward beraten;

Oh! Fluch der Nacht, wo einst ins Brautbett stieg

Don Ferdinand zu Doña Isabella!

Wo solches Paar der Zwietracht Funken schürt,

Da flackert bald in Flammen auf das Haus.

Nicht durch den Speer des kräftigen Leoners,

Nicht durch des stolzen Aragoniers Lanze,

Nicht nur das Schwert kastil'scher Ritterschaft –

Nur durch Granada selber fiel Granada![485]

Wenn der Erzeuger meuchelt seine Kinder,

Die wehrlos eignen Kinder in der Wiege,

Und wenn der Sohn die frevelhafte Rechte

Entgegenballt dem heil'gen Haupt des Vaters,

Und wenn der Bruder, auf des Bruders Leiche,

Des Thrones blut'ge Stufen frech erklimmt,

Und wenn des Reiches pflichtvergeßne Großen

Ehrlos der Fahne ihres Erbfeinds folgen:

Dann fliehn mit schamverhüllten Angesichtern

Die Engel, die der Hauptstadt Tore hüten,

Und siegreich ziehen ein der Feinde Scharen.

ALMANSOR.

Ich denke noch des unheilschwangern Tags;

Ich stand am Tor des Schlosses unten, plötzlich

Sprengt rasch einher, auf schwarzem Roß, ein Reiter.

Wild, und verstörten Blicks, und atemlos

Fragt' er nach Vater. Schnell die Trepp' hinauf –

Und in des Vaters offne Arme sank er.

Da sah ich erst, es war der gute Aly –

HASSAN bitter.

Der gute Aly!

ALMANSOR.

»Aly, sprich, was bringst du?«

Sprach schnell mein Vater. – Oh, da stürzten Bäche

Blutdunkler Tränen über Alys Wangen,

Und schluchzend sprach er: »In Granada haben

Don Ferdinand und Isabell den Einzug

Gehalten, unterm Schalle der Drommeten,

Und König Boabdil hat ihnen kniend

Die Schlüssel überreicht auf goldnem Becken,

Und auf Alhambras Turm steht aufgepflanzt

Kastiliens Fahne und Mendozas Kreuz.«

HASSAN hält sich die Augen zu.

Oh! eine Gnade nur verlang ich, Allah!

Lösch aus in meinem Hirn dies Bild des Greuels![486]

ALMANSOR.

Noch schwebt mir's vor, wie dieser Botschaft Blitz

In jedem Mund die Zunge kalt gelähmt.

Bleich, stumm und stieren Blickes stand mein Vater,

Die Arme hingen lang und schlaff herab,

Die Knie schlotterten, und wie er hinsank,

Erhub sich Weiberjammer und Geheul.

HASSAN.

Lösch aus in meinem Hirn dies Bild des Greuels!

ALMANSOR.

Da schloß mich an sein Herz der gute Aly;

Hielt mir besorgt die nassen Augen zu,

Um mir des Jammers Anblick zu verbergen,