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© 2016 Jürgen Kraft
2. überarbeitete Auflage 2018
Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH
ISBN: 978-3-7528-0227-6
Mein vor einem Jahr erschienenes Buch „Der Heilzauberglaube unserer Altvorderen“ beschäftigte sich in erster Linie mit der keltischen, germanischen und slawischen Eisenzeit. Diese begann um ca. 800 v. u. Z. Den Heilzauberglauben dieser Geschichtsphase zu rekonstruieren, war schon ein großes Wagnis und eine enorme Herausforderung. Dabei ging ich neben verschiedenen anderen Quellen vom volksmedizinischen Glauben des ausgehenden Mittelalters und der Neuzeit aus und rekonstruierte anhand dessen den schamanischen Heilzauberglauben von vor 2000 Jahren.
Dieses Mal wage ich mich noch weiter in „unbekanntes Land“ – die Steinzeit. Auch hier gehe ich von der Hypothese aus, dass die Steinzeit „schamanisch“ war. Der Schamanismus wird oft als die älteste spirituelle (Heil-)Tradition beschrieben. Beweise dafür gibt es von der offiziellen wissenschaftlichen Forschung her wenige. Mit meiner Hypothese stehe ich nicht alleine da und sie ist auch nicht ganz neu. Verschiedene Archäologen wie z. B. Clottes und Lewis-Williams und andere Urgeschichtsforscher sehen das ähnlich. Mit Hilfe eines schamanischen Erklärungsmodells lässt sich vieles der alten Steinsetzungen, Malereien und Ritzungen einleuchtend erklären. Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Schamanismus-Hypothese in der Archäologie größeren Anklang findet als bisher. Ich möchte in diesem Buch diese Hypothese weiter ausbauen. Dafür habe ich in alten und neuen archäologischen Werken (siehe Anhang) recherchiert. Auch das Internet ist bei meinen Nachforschungen sehr hilfreich gewesen. Viele Ausgrabungen und deren Interpretationen der letzten 10 bis 20 Jahre sind noch kaum in Büchern zu finden.
Einige Modelle waren sehr hilfreich bei meiner Rekonstruktion. Der Autor Harry Eilenstein geht in seinem Buch „Die Entwicklung der indogermanischen Religionen“ davon aus, dass sich das Entwicklungsmodell von Sigmund Freud gut dazu eignet, um die Geschichte der Menschheit zu rekonstruieren (siehe Exkurs: Das Entwicklungsmodell von Sigmund Freud und die Geschichte der Menschheit).
Natürlich nutze ich auch wieder den reichen Wissensschatz des „Handwörterbuches des Deutschen Aberglaubens“ von Bächthold-Stäubli. Auf dieses Buch stütze ich mich besonders in den Kapiteln zu uralten Heilmethoden und den Kraft- und Totemtieren. Ich gehe wieder von der Hypothese aus, dass viele alte Glaubensvorstellungen noch sehr lange beibehalten wurden. Nicht weniges, vermute ich, stammt sogar noch aus der Bronze- und Jungsteinzeit und hat sich damit mehrere Jahrtausende gehalten. Dass dies eine gewagte Auffassung ist, ist mir klar und einigen Archäologen wird jetzt bestimmt richtig schwindelig. Die zwei vermutlich zentralen steinzeitlichen „Götter bzw. Geister“ finden sich ja z. B. auch heute noch, wenn auch mit anderen Namen. Die „Große Mutter“ findet sich z. B. in der christlichen Maria, wobei hier „dunklere Aspekte“ abgespalten wurden und heute eher noch im hebräischen Lilith-Mythos zu finden sind. Der „Gehörnte“ als Herr der Tiere und der Wildnis hat heute die Negativ-Rolle des Teufels bekommen. Aber es gibt ihn noch immer. Deswegen glaube ich auch, dass sich vieles aus dem steinzeitlichen schamanischen Glauben bis ins Mittelalter und die Neuzeit gehalten hat – wenn auch eher versteckt und nicht auf Anhieb sichtbar.
Entsprechend der Archetypen-Lehre C.G.Jungs wirken diese uralten „Götter“ immer noch in unseren unbewussten Schichten der Seele und beeinflussen nach wie vor unser Leben. Nach C.G.Jung sind Archetypen universelle Bilder, über welche wir an das uralte Wissen unserer Ahnen anschließen können. Deshalb scheint mir die Archetypenlehre ebenfalls eine hilfreiche Theorie für dieses Buch zu sein.
Was für einen Sinn macht es, sich mit der Steinzeit zu beschäftigen? Generell kann man vieles aus der Vergangenheit lernen. Für den Schamanismus ist die gute Beziehung zu den Ahnen, den Altvorderen und dem Land, auf dem man lebt, eine wichtige Grundhaltung. Die Ahnen und Altvorderen sind Lehrmeister und wichtige Helfer im Leben. Sie sind wie die Wurzeln eines Baumes, ohne die kein Baum überleben kann. Über die Ahnen bezieht man im Schamanismus Kraft aus der Vergangenheit für die Zukunft. Mit ihnen kann man auf der schamanischen Geistreise in Kontakt treten und an ihrer Kraft und ihrem Wissen teilhaben. Das gibt Halt und hilft einem, sich zu verwurzeln. Es hilft z. B. bei der Frage, welche heute viele Menschen beschäftigt: „Wo ist mein Platz?“
Unsere Ahnengeschichte reicht weit in die Vergangenheit. Im letzten Buch beschäftigte ich mich in erster Linie mit unseren mitteleuropäischen Altvorderen der Eisenzeit. Aber auch schon in der Jungsteinzeit lebten Vorfahren von uns hier in diesem Land. So soll dieses Buch auch dazu beitragen, tiefer in unsere Altvorderengeschichte einzutauchen und mehr zu erfahren über unsere uralten Vorfahren, welche Mitteleuropa und den Norden besiedelten. Das Buch soll helfen, unsere Wurzeln noch tiefer in den Erdboden unserer Mutterländer vordringen zu lassen.
Auch in diesem Buch werde ich mich in erster Linie wieder auf den mittel- und nordeuropäischen Raum konzentrieren. Bei den Höhlenmalereien werde ich allerdings auch nordspanische und südfranzösische Höhlen miteinbeziehen. Dies scheint mir sinnvoll, da Höhlenmalereien im kühlen und feuchten Mittel- und Nordeuropa leider nicht überlebt haben. Die steinzeitlichen Zeugnisse Frankreichs, Großbritanniens, Irlands, Skandinaviens, Mitteleuropas und Norditaliens bilden den Schwerpunkt meiner Recherchen.
Auch der Süden und Osten Europas hat natürlich beeindruckende steinzeitliche Bauwerke. Besonders hervorzuheben sind hier die jungsteinzeitlichen Bauten Portugals, Korsikas, Sardiniens und natürlich Maltas. Aber auch der Balkan ist reich an jungsteinzeitlichen Denkmälern und Kulturen wie z. B. die Vinca-Kultur. Ich habe mich entschlossen, für dieses Buch den Süden und Osten Europas erst einmal außen vor zu lassen, da es den Rahmen dieses Buches einfach sprengen würde. Vielleicht widme ich diesem europäischen Raum eines meiner nächsten Bücher.
In der schamanischen Vorstellung haben wir neben menschlichen auch Tiervorfahren und in der Tat belegt die Wissenschaft die Tatsache, dass sich der Mensch aus dem Tierreich heraus entwickelt hat. Dieses Buch widmet sich daher in einer umfassenden Darstellung uralter Kraft- und Totemtiere. Über Tiere verbinden sich Schamanen mit der Urheilkraft eines Landes. Tiere waren in alter Zeit eine wichtige Ressource im Leben der Menschen. Ohne Tiere wäre ein Überleben unmöglich gewesen. Im Schamanismus sind die Geister der Tiere wichtige Helfer und Verbündete und ohne diese ist schamanische Arbeit unmöglich. Die Verbindung zu Tieren unseres Kulturkreises stärkt die Verbindung zum Land. Deshalb habe ich mich auch nur auf Krafttiere konzentriert, welche hier leben oder vor 12.000 Jahren hier noch gelebt haben. Auch ausgestorbene Tiere wie das Mammut können immer noch Krafttiere sein. Der Geist des Mammut lebt immer noch in Europa, wie uns auch Markennamen immer noch zeigen. Es ist erstaunlich, welche Urkräfte solche alten Geisttiere noch haben.
Viele eigene Aquarelle vervollständigen die einzelnen Kapitel dieses Buches. In einer Reihe von Rekonstruktionen habe ich z. B. versucht, Steinkreise in ihrem ursprünglichen Zustand darzustellen. Bei vielen Bildern habe ich mich an originalen archäologischen Funden orientiert.
Ähnlich wie im vorherigen Buch habe ich kleine Geschichten aus der Alt-, Mittel- und Jungsteinzeit mit eingebaut. Diese sollen einen Einblick ins vorzeitliche Leben geben. Die Geschichten sind natürlich meine eigenen Interpretationen anhand von archäologischen Funden. Wie das Leben in der Steinzeit nun wirklich war, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.
Ich wünsche dem Leser nun viel Spaß beim Eintauchen in eine längst vergangene Zeit mit uralten Heilmethoden, archaischen Kraft- und Totemtieren, geheimnisvollen Ritualorten und magischen Symbolen.
Die Altsteinzeit ist die längste Epoche der menschlichen Geschichte. Sie beginnt ab ca. 2.000.000 Jahren v. u. Z. und endet in Mitteleuropa ab ca. 10.000 v. u. Z. Dann begann die Mittelsteinzeit. Nach Harry Eilenstein dachte der frühe Mensch in Assoziationen. Dieses Verhalten findet sich ebenfalls bei Kindern in der allerersten Entwicklungsphase nach Freud, der oralen Stufe (1.Lebensjahr). Den Tieren wurden in der Altsteinzeit Eigenschaften zugeordnet. So stand z. B. das Wisent, welches in großen Herden lebte, für die Fruchtbarkeit. Der Höhlenlöwe stand symbolisch für die Jagd und Stärke usw. Der Urmensch gebrauchte wie ein Baby einfache Assoziationen, um sich mitzuteilen. Für das Baby ist die Mutter die wichtigste Bezugsperson. Von daher verwundert es auch nicht, dass eine „Große Mutter“, welche vielfach in Figurinen abgebildet wurde, eine zentrale „Götter“-Figur war. Mütter waren deshalb wahrscheinlich das Zentrum eines Steinzeit-Clans und diese Sippen hatten wohl matriarchalische Strukturen. Das frühe Kind ist stark an den Eltern und den Ahnen orientiert. Der Familien- oder Clanverband war lebenswichtig. Von den Eltern und den Ahnen wurde alles gelernt und deshalb wurden sie verehrt. Innen und Außen wurden in der Altsteinzeit noch nicht unterschieden. Das Äußere war eine Erweiterung des Inneren und wurde nicht vom inneren Erleben getrennt. Deshalb konnten z. B. Krankheiten einfach dem Wasser übergeben werden. Oder das entstehende Bild eines vom Speer getroffenen Auerochsen tötete diesen augenblicklich während des Malens.
Ab ca. 5.500 v. u. Z. begann in Mitteleuropa die Jungsteinzeit. Die Jungsteinzeit kann der analen Phase (2.–3. Lebensjahr) zugeordnet werden. Die jungsteinzeitlichen Menschen dachten nach Harry Eilenstein in Analogien. Das Leben des Menschen wurde gleichnishaft mit dem Leben des Getreides verglichen. Das Getreide war im Neolithikum die wichtigste Nahrung und das ganze Leben organisierte sich um den Anbau und die Lagerung des „heiligen Korns“.
So wie das Getreide ausgesät wird, wird auch der Mensch gezeugt. Das Keimen des Getreides entspricht der Geburt eines Babys. Die Wachstumsphase des Korns steht analog zum Wachsen und Heranreifen des Menschen. Während der Ernte des Korns stirbt die Pflanze, so wie der Mensch am Ende seines Lebens dem Tod ins Auge schaut. Das Getreide wird gedroschen. Diesem entspricht analog das Zerstückeln der Toten, wie das in der Jungsteinzeit geschah und nach einer Exkarnation die Knochen dann in den Gräbern aufbewahrt wurden. Die Gräber und Totenhütten der Jungsteinzeit stehen wahrscheinlich symbolisch für den Aufenthalt in der Totenwelt. Ähnlich wurde das Getreide in Erntehütten und Tontöpfen gelagert, welche wahrscheinlich ähnlich wie Gräber heilige Orte waren und von magischen Symbolen und Geistern beschützt wurden. Wie bei der erneuten Aussat der Körner fand dann analog eine Wiedererzeugung und Wiedergeburt des Menschen statt. Ein neuer Wachstumszyklus begann.
Auch in der analen Phase spielt die Mutter immer noch eine sehr zentrale Rolle für das Kind. Ähnlich finden wir auch in der Jungsteinzeit immer noch eine „Große Mutter“, welche in dieser Zeit wahrscheinlich mehr zu einer Erdmutter wurde. Durch den Ackerbau rückte die heilige Erde in den Mittelpunkt des Lebens. Die Erde gebar das Korn und genauso gebar auch die Erdmutter die Menschen. Sie wurde nach Harry Eilenstein megalisiert – also als riesig groß angesehen. Im Getreide steckte ebenfalls eine Gottheit – der riesige megalisierte Korngott. Ähnlich wie das Kind in der analen Phase zu sprechen lernt, entstand in der Jungsteinzeit die Grammatik und die einzelnen Wörter der Altsteinzeit wurden nun zu Sätzen zusammengefasst. So wie beim Kleinkind das magische Denken ausgeprägt ist, ist dieses Denken auch in der Jungsteinzeit vorherrschend. Das Kind beginnt zu unterscheiden zwischen dem, was es will und dem, was es nicht will. Es lernt „Nein!“ zu sagen und es lernt zwischen gut und böse zu unterscheiden. Im Neolithikum entwickelt sich das Besitzdenken. Ähnlich lernt das Kleinkind „meins“ und „deins“ zu unterscheiden.
In der nun folgenden Bronzezeit (ca. 2.000–800 v. u. Z.) entwickelte sich das Königtum. Das entspricht der phallischen Phase (3.-6.Lebensjahr), in welcher das Kleinkind lernt „Ich!“ zu sagen und sich zunehmend als den Mittelpunkt der Welt erlebt. In dieser Entwicklungsphase spielen nun auch die Väter zunehmend eine wichtige Rolle. Laut Freud ist es ein wichtiger Entwicklungsschritt, wenn sich das männliche Kind zunehmend mit dem Vater identifiziert. Ähnlich sollen sich auch die Mädchen mit ihrer Mutter identifizieren. Ab der Bronzezeit werden die Männer immer wichtiger in der Geschichte. Es entstehen Königtümer und überwiegend männliche Krieger verteidigen das Land, welches dem König gehört.
Die Eisenzeit (ab ca. 800 v. u. Z.) entspricht der Latenzzeit (6.–11./12. Lebensjahr). Dies ist die Zeit, in welcher die Kinder in die Schule kommen und lernen. Entsprechend wurde in der beginnenden Eisenzeit schnell sehr viel Neues gelernt und große Fortschritte gemacht. Aber es bedürfen auch viele Fehler der Korrektur. In der Schule wird der Lehrer für das Kind eine wichtige Bezugsperson. Ähnlich gab es in der Eisenzeit wichtige Menschheitslehrer wie Buddha, Lao-Tse, Konfuzius, Jesus, Mohammed usw.
So ab der Aufklärung sehe ich den Beginn einer neuen Phase der Menschheitsgeschichte. Die genitale Phase beginnt (ab dem 11./12. Lebensjahr). Die Menschheit befindet sich in der Pubertät. Sie ist dabei, erwachsen zu werden – aber sie ist es noch nicht. Die genitale Phase ist stark geprägt von der Identitätsfindung. Das sich entwickelnde Individuum und die Menschheit fragen sich: „Wer bin ich?“, „Was will ich?“ und „Wo will ich hin?“ Wie Pubertierende haben die Menschen ab der Aufklärung gegen die alten Götter und Werte rebelliert und sich von ihnen verabschiedet. Entsprechend haltlos manövrieren wir auch heute durch die Zeit.
In den letzten zwei Jahrzehnten sehe ich den langsamen Beginn der „Erwachsenen-Phase“. Die Menschheit versucht mehr und mehr, gemeinsam Lösungen für die großen Zeitprobleme wie z. B. Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Klimaveränderung usw. zu finden. Der Mensch lernt mehr und mehr, vorurteilsfrei miteinander zu kommunizieren und dabei dem Anderen seine Überzeugungen zu lassen, indem er entstehende zwischenmenschliche Probleme wertfrei angeht. Diese Phase wurde von Sigmund Freud nicht mehr beschrieben.
Die Steinzeit wird in archäologischen Kreisen in verschiedene Phasen eingeteilt. Ich möchte hier als erstes kurz darauf eingehen, da solch eine Einteilung hilfreich ist, um diese unendlich lange Zeit zu strukturieren.
Die Altsteinzeit, oder auch Paläolithikum genannt, hat verschiedene Phasen:
Im Oldowan verwendete der Urmensch schon einfache zurechtgeschlagene Geröllsteine, welche dann im Acheuléen komplex gearbeitet zu finden sind. Der Homo Erectus dieser Zeit nutzte verschiedene Faustkeile in vielen Variationen und stellte diese auch aus Elfenbein und Knochen her. In der Kulturstufe des Micoquien nutzte der vorzeitliche Mensch dann eher langgestreckte, asymmetrische Steinwerkzeuge. Das Moustérien war die Zeit des Neandertalers, welcher über zahlreiche Werkzeuge verfügte. Das Klima wurde in dieser Zeit kälter. Im Aurignacien erscheint der moderne Cro Magnon-Mensch in Europa und damit das erste künstlerische Schaffen. Aus dem Gravettien stammen die Frauenfigurinen, welche in vielfältiger Form in Europa gefunden wurden. Diese stellen möglicherweise eine Göttin dar. Im Solutréen finden wir das erste Mal Nadeln aus Knochen und Elfenbein. Das Magdalénien ist gekennzeichnet durch steigende Temperaturen und die Gletscher zogen sich unterbrochen von einer erneuten Eiszeit mehr und mehr zurück. Großes künstlerisches Schaffen (Höhlenmalereien) prägte diese Zeit, wahrscheinlich inspiriert durch spirituelles Erleben. Harpunen wurden erstmals bei der Jagd eingesetzt.
Die Mittelsteinzeit oder das Mesolithikum (vor 11.500 Jahren bis 7.500 Jahren) ist charakterisiert vom Übergang der Jäger- und Sammlerkultur zu sesshaften Ackerbauern. Es wurde wärmer und Wälder verdrängten die offenen Tundren. Die Tiere der Tundren zogen nach Norden oder suchten in den Bergen neuen Lebensraum. Die Speerschleuder der Altsteinzeit war in den Wäldern nicht mehr effizient genug und es entwickelte sich Pfeil und Bogen. Man baute die ersten Siedlungen und lebte vom Fischfang und der Jagd. Die ersten Boote tauchten auf.
In der Jungsteinzeit oder dem Neolithikum (vor 7.500 Jahren bis 4.000 Jahren) wurden die Menschen sesshaft. Dies war wahrscheinlich bedingt durch die Erwärmung und neues Land, geschaffen durch den Rückzug der Gletscher. Gerste, Einkorn, Emmer, Weizen, Erbsen und Linsen wurden angebaut und Schafe, Ziegen, Schweine und Rinder domestiziert. Die Bevölkerung wuchs rapide und die Landwirtschaft war mehr und mehr in der Lage, diese zu ernähren. Ganggräber, Menhire und Steinkreise wurden erbaut und zeugen vom spirituellen Glauben der ackerbautreibenden Völker.
Der Schamanismus ist alt, besser gesagt uralt. Der Glaube an die Geister einer anderen Welt mag schon sehr früh in der Menschheitsgeschichte entstanden sein. In den Träumen der frühen Menschen tauchte diese Welt jede Nacht auf. Im Traum wurden ferne Welten aufgesucht, mit Tieren gekämpft, Heldenreisen durchgeführt und auch den Toten des Clans begegnet. Wachte man morgens auf, so war diese Welt wieder fort und nur die Erinnerung an die Nachtreise blieb noch eine Zeit lang präsent.
Menschen aus der Steinzeit werden auch ähnliche Erlebnisse in anderen „veränderten Bewusstseinszuständen“ gehabt haben. Ekstatisches Tanzen und Singen, aber auch das Nutzen bewusstseinserweiternder Pflanzen half in diese Welt zu gelangen, in die man sonst nur im Traum kommen konnte. Schamanische Techniken, um in einen veränderten Bewusstseinszustand zu gelangen, entstanden. Die Urzeitclans nutzten dazu neben den oben erwähnten Methoden sicher auch die ersten Musikinstrumente, intensive Schmerzempfindungen und die sensorische Deprivation, also den Entzug jedweder Lichtreize und Geräusche.
Der Homo Sapiens, welcher vor 40.000 Jahren laut der „Out-of-Africa-Theorie“ aus dem schwarzen Kontinent in Europa einwanderte, ist unser direkter Vorfahre und uns damit in seinen geistigen Fähigkeiten sehr ähnlich. Jean Clottes und David Lewis-Williams gehen aufgrund dieser Ähnlichkeit davon aus, dass der eingewanderte Homo Sapiens veränderte Bewusstseinszustände nutzte, um mit der anderen Welt zu kommunizieren. Aufgrund neuer Funde verändert sich im Moment aber auch das Bild vom Neandertaler. Wahrscheinlich war auch er in der Lage, sein Bewusstsein zu verändern. Zur Stützung ihrer Theorie ziehen die beiden oben genannten Archäologen die neuropsychologische Forschung heran, welche drei Phasen der Trance unterscheidet:
- In Trancephase 1 | tauchen geometrische Figuren auf. Diese werden als Zickzacklinien, Gitterfiguren, Punkte und mäandernde Linien gesehen. Sie leuchten farblich auf, werden bisweilen größer und verkleinern sich dann wieder, um wieder an Größe zuzunehmen. Schließlich können sich alle geometrischen Muster miteinander vermischen. |
- In Trancephase 2 | deutet der in Trance Befindliche diese Muster aus Phase 1, allerdings meist unbewusst. Je nach Kultur und gefühlsmäßiger Verfassung werden diese Bilder individuell interpretiert. |
- In Trancephase 3 | fühlt sich der in Trance befindliche Mensch in einen Tunnel gezogen, durch welchen er meist hindurch schwebt. Er bewegt sich in Richtung auf einen Ausgang, von welchem strahlendes Licht ausgeht. Die Wände des Tunnels sind übersät von geometrischen Mustern, Menschen, Tieren oder auch anderen Wesenheiten. Verlässt er dann den Tunnel, hat er das Gefühl, durch eine andere Welt zu fliegen und sich in ein Tier verwandeln zu können. |
So ähnlich schildern auch heute noch Schamanen ihre Geistreisen in eine andere Welt. Interessant ist sicherlich, dass die geometrischen Muster, Tiergeister und Mischwesen zwischen Mensch und Tier als Motive überwiegend in den steinzeitlichen Höhlen zu finden sind. Der Großteil der Höhlenmalereien besteht aus Tieren, begleitet von roten und schwarzen Punkten, Strichen, Rechtecken und anderen geometrischen Figuren. Mischwesen, wenn auch nicht so häufig, sind ebenso in den Höhlen zu finden.
Nach Clottes und Lewis-Williams haben steinzeitliche Schamanen ihre Tranceerfahrungen auf die Wände der prähistorischen Höhlen gemalt. Die Malereien zeigen weder Landschaften noch Gegenstände des täglichen Bedarfs, Größenverhältnisse der Tiere zueinander wurden nicht berücksichtigt und die Tiere scheinen in der Luft zu schweben, ohne Verbindung zu einem Untergrund. Auch diese Tatsachen bestätigen die Trancehypothese von Clottes und Lewis-Williams.
Schon vor diesen beiden Wissenschaftlern gingen auch Mircea Eliade, Weston La Barre und John Halifax davon aus, dass die Steinzeit schamanisch war.
Lange Zeit hielt sich auch die Hypothese von Henri Breuil, welcher die Bilder in den Höhlen der Sympathetischen Magie zuordnete. Seiner Auffassung nach wurde hier Jagdmagie betrieben. Im Sympathieglauben geht man davon aus, dass ein Bild oder auch eine Puppe in Verbindung zum dargestellten Menschen oder Tier steht. Über ein Bild oder die Behandlung einer Puppe kann ein Objekt beeinflusst und auch kontrolliert werden. Die vielen Pflanzenfresser der Höhlenbilder waren bevorzugtes Jagdwild der Steinzeitmenschen. An eine Höhlenwand bildlich gebannt, konnten diese in der sympathetischen Vorstellung auch gejagt und erlegt werden. Pfeile und Speere auf den Tierbildern, die ab und zu zu sehen sind, bestätigten diese Theorie. Die Raubtiere, welche für den Urmenschen gefährlich waren, sollten dagegen gebannt, von den Wohnplätzen ferngehalten und mit Vernichtungsmagie getötet werden. Fruchtbarkeitszauber wurde betrieben, indem trächtige weibliche Pflanzenfresser dargestellt wurden. Viele Malereien zeigen im Vergleich zum Kopf größere Körper, welche runder und scheinbar trächtig gemalt wurden. Das jagdbare Wild sollte sich vermehren und dies wurde sympathetisch bewirkt, indem trächtige Tiere gezeichnet wurden.
Die Mischwesen weisen eindeutig in Richtung Schamanismus. Die Verwandlung in ein Tier ist eine der grundlegenden Fähigkeiten eines Schamanen und auch bei normalen Menschen ein Erleben in der Trancephase 3. In tiefer Trance hat der Schamane das Gefühl, eins mit seinem Krafttier zu sein, welches ihm Heilkräfte und andere Fähigkeiten, wie z. B. die Zukunftsvorausschau, verleiht. Auch heute noch schmücken sich Schamanen verschiedenster Kulturen mit Tierattributen. Häufig tragen sie bei ihren Seancen Tierfelle, Hirschgeweihe oder Vogelfedern auf dem Kopf. Das hilft dem Schamanen, eins zu werden mit dem gerufenen Tiergeist und damit an seiner Kraft teilzuhaben.
Im Core-Schamanismus nach Michael Harner findet sich der Tunnel der Trancephase 3 bei der schamanischen Reise in die Untere Welt. Der schamanisch Praktizierende kann hier über einen Tunnel, welcher nach unten führt, in diese Welt gelangen. Diese ist bevölkert von Tier- und Steingeistern. Neben der Unteren Welt gibt es im Core-Schamanismus noch eine Mittlere und Obere Welt. Auch diese können vom Schamanen in Trance aufgesucht werden. Diese gängige Topographie der Anderen Welt ist auch bei verschiedenen noch heute lebenden indigenen Völkern anzutreffen.
Die altsteinzeitlichen Höhlen verkörperten wahrscheinlich in der realen Welt den Einstieg in diese unterirdische Geisterwelt (der Unteren Welt). Indem man die Höhle aufsuchte, konnten z. B. Initianten ihre Tiergeister finden und an ihrer Kraft teilhaben. Dabei wurden sie an die Höhlenwand gemalt. Die Kinderfußabdrücke in einigen Höhlen könnten die Hypothese stützen, dass die Höhlen u.a. ein Initiationsort für angehende Schamanen war.
Ob die Steinzeitmenschen neben der Unteren Welt auch die Obere Welt aufsuchten, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die schamanische Mittlere und Untere Welt war ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach bekannt.
Vogelmotive, welche u.a. einen Aufstieg in die Obere Welt symbolisieren können, finden wir eher selten, wie z. B. die Kleinplastik eines Vogels aus Elfenbein vom Hohlen Fels in Deutschland oder der als Schamanenstab interpretierte Strich mit einem Vogel, der neben dem Vogelkopfschamanen von Lascaux/Frankreich abgebildet ist. Ähnliche Schamanenstäbe kann man heute noch in Sibirien finden.
Vielleicht wurden auch die freiliegenden Kultplätze von besonderen Felsen und Abris, welche ebenfalls mit Tierdarstellungen versehen sind, zur Reise in die Obere Welt genutzt. Während die Höhlen eher für Unterweltsreisen zur Verfügung standen.
Michael Harner selbst begab sich 1982 zur Kraftsuche in eine Höhle im Shenandoah Valley in Virginia, welche von Indianern zur Visionssuche genutzt wurde. Entsprechend der Überlieferung der Paviotso-Indianer musste er allein die Nacht dort verbringen und durfte erst nach der Morgendämmerung wieder herauskommen. Bis Mitternacht schlief er entsprechend der Überlieferung, dann aß er etwas (etwas, was auch Tiere mögen) und dann wartete er. Nach einiger Zeit vernahm er eine Tierherde vom Eingang her, welche auf ihn zustürmte. Es war eine Pferdeherde und dann tauchte noch eine Bisonherde auf. Danach kam vom Eingang her eine von ihm als mächtig erlebte Kraft, die schließlich auf ihn überging.
Bei dieser Kraftsuche hatten sich also zwei Tiergeister gezeigt – in paläolithischen Zeiten Europas wären diese dann wahrscheinlich an die Höhlenwand gemalt worden. Sensorische Deprivation ist, wie wir hier sehen, eine gute Möglichkeit, einen veränderten Bewusstseinszustand auszulösen. Dies wurde mit Sicherheit in der Altsteinzeit in den Höhlen beabsichtigt herbeigeführt.
Nachweise für die typische tranceerzeugende Trommel des Schamanismus fehlen oder sie sind über die Jahrtausende vergangen, ohne Spuren zu hinterlassen. Wobei der Homo Sapiens und davor der Neandertaler sicher schon Rhythmen erzeugte, indem er mit Stöcken oder Knochen auf hohle Baumstämme oder Tierschulterknochen klopfte. Musik- und Mundbögen, wie sie auch heute noch von einigen Indigenen genutzt werden, gab es aber wahrscheinlich schon. Der Wisentschamane in der Höhle Les Trois Frères/ Frankreich (siehe Abb. S. 185) hält laut Deutung von Archäologen solch einen Musikbogen in der Hand. Diese wurden also wahrscheinlich schon im Jungpaläotithikum zur Tranceerzeugung in den Höhlen genutzt.
Die fülligen Venusfigurinen, welche überwiegend aus dem Gravettien (vor ca. 29.000–20.000 Jahren) der jüngeren Altsteinzeit stammen, finden sich über ganz Europa verteilt. Mit ihren ausgeprägten Vulven und ihren meist üppigen Körperformen waren sie nach Maria Gambutas und Ina Mahlstedt Symbole für Mutter Erde. So wie die Vulva das Leben hervorbrachte, erneuerte auch die Erde jedes Frühjahr erneut das Leben, indem die Pflanzen sprossen und die Tiere ihren Nachwuchs zur Welt brachten. Der Schamanismus ist eine „Erdreligion“. Die Erde, auf der die Menschen leben, bildet in diesem Glauben die Grundlage allen Lebens und die Garantie, dass der Familienclan sich weiter in der Zeit fortsetzt. Die Tiere und Pflanzen, von denen der Urzeitmensch lebte, wurden von Mutter Erde hervorgebracht. Die Verehrung der Erde als Mutter ist auch heute noch in indigenen schamanischen Gesellschaften zu finden.
Der Schamanismus überlebte die Altsteinzeit und wurde weitergelebt in der Mittel- und der Jungsteinzeit. Während der Schamane in der Altsteinzeit seine magischen Riten und Seancen noch eigenständig ausführte, entwickelte sich die Rolle des Schamanen in der Jungsteinzeit in Richtung eines Schamanenpriesters, welcher in organisierteren Kulten seinen Aufgaben nachging.
Die aus der Mittelsteinzeit (Mesolithikum) stammenden Rothirschgeweihe mit Schädeldach und zwei Löchern aus dem Erftal bei Bedburg/Deutschland werden als schamanischer Kopfschmuck interpretiert. Ebenso die gefundene Hirschschädelmaske aus Hohen Viechelen in Mecklenburg/ Deutschland. Diese wurden anscheinend mitsamt Fell und Hirschohren von mittelsteinzeitlichen Schamanen bei ihren Seancen getragen.
Mit Schwirrhölzern wurde im Mesolithikum musiziert und Tanz bezeugt eine Geweihaxt mit einem eingravierten Tänzer, gefunden in Eckernförde/ Deutschland.
In der Jungsteinzeit (Neolithikum) veränderten sich mit dem zunehmenden Sesshaftwerden der europäischen Völker auch die schamanischen Glaubensvorstellungen. Die Erde rückte noch mehr in den Mittelpunkt, denn von ihrer Fruchtbarkeit hing mehr und mehr das Überleben ab. Wilde Tiere wurden immer weniger gejagt oder sie wurden domestiziert, wie z.B. Pferde, Rinder, Ziegen, Schafe, Hunde, Katzen, Schweine usw. Auch diese mussten durch Landwirtschaft mit ernährt werden.
Die Jäger und Sammler der Altsteinzeit und Mittelsteinzeit waren dagegen von Tieren abhängig. Ihnen folgten sie auf ihren Wanderungen und sie ernährten sich überwiegend von Gejagtem. Tiere wurden als übernatürliche Wesen verehrt. Es gab wahrscheinlich so etwas wie einen „Herrn der Tiere“ – der Gehörnte Gott. Tiergeister und Krafttiere waren Helfer im Leben und die Clans fühlten sich zu bestimmten Tieren hingezogen und glaubten sogar, von ihnen abzustammen.
Das Sesshaftwerden war ein mehrere tausend Jahre währender Prozess. Die paläolithische Erdmutter wurde als Göttin nun wahrscheinlich zunehmend in den jetzt entstehenden großen Erdgrabanlagen/Ganggräbern verehrt, welche ihren Schoß verkörperten. Dem zeugungspotenten „gehörnten Gott“ wurde möglicherweise in den phallusförmigen Menhiren gehuldigt. Die altsteinzeitlichen Ritualhöhlen und Abris verloren ihre Bedeutung. Man schuf mehr und mehr heilige Orte bei den Wohnsiedlungen in Form von Steinkreisen, Grabhügeln und Kreisgrabenanlagen aus Holz.
Die Äcker, welche ursprünglich in den Überschwemmungsgebieten der Flüsse lagen, waren heilig verehrtes Land, welches mit den ersten landwirtschaftlichen Werkzeugen bearbeitet wurde. Keile, Äxte, Beile und Geweihhacken wurden wahrscheinlich zu Attributen des potenten Gottes, welcher in die Erde eindrang und mit dem eingebrachten Samen das Erdreich befruchtete und dafür sorgte, dass das Land Früchte trug. So wurde der wilde „Rentier- und Hirschgehörnte“ mehr und mehr zum Stiergott mit kleineren Hörnern und der Stier zum Symbol der fruchtbaren Zeugungskraft.
Symbole der Jungsteinzeit wie Winkel, Rauten und Zickzacklinien finden sich vielfältig auf Stelen, Menhiren, Großsteingräbern und Kultgefäßen. Wie wir gesehen haben, tauchen diese in Phase 1 der Trance auf. Sie wurden jetzt nicht mehr auf die Höhlenwände gemalt, sondern auf die neuen Kultgegenstände. Rauten, Winkel, Zickzacklinien, Spiralen und Mäander werden auch von Menschen, die halluzinogene Pilze einnehmen, in ihrer Trance wahrgenommen. Möglicherweise waren „Zauberpilze“ im Neolithikum Symbole der anderen Welt und wurden als heilig verehrt. Wahrscheinlich gab es Kulte, in denen die Einnahme von Zauberpilzen zum Ritual gehörte. Psylocibinhaltige Pilze wuchsen mit Vorliebe auf dem Dung domestizierter Tiere. Diese dürften sich nach Terence KcKenna mit dem Sesshaftwerden verbreitet und wohl kultische Verehrung erlangt haben.
Der Schlafmohn und das schwarze Bilsenkraut wurden nachweislich als Heilmittel angebaut. Diese psychoaktiven Pflanzen wurden bestimmt auch zur Tranceerzeugung in den jahreszeitlichen Ritualen und Festen eingesetzt. Die berauschende Wirkung blieb sicherlich nicht unentdeckt. Möglicherweise wurde bei bestimmten Zeremonien die ganze Stammesgemeinschaft in Trance versetzt, um mit den Göttern und Geistern in Verbindung zu treten und diese Verbindung zu stärken. Ganze Schlafmohn- und Bilsenkrautfelder ermöglichten im Gegensatz zu früher, wo diese nur einzeln zu finden waren, Trance- und Rauscherlebnisse für viele Menschen in den großen Ritualarealen, wie z. B. der Holzpalisadenanlage von Goseck/Deutschland.
Dazu wurde Musik gemacht. Die ersten gefundenen europäischen Trommeln stammen aus dem Jahr 3.500 v. u. Z. und wurden in Sachsen-Anhalt/ Deutschland gefunden. Diese gab es bestimmt schon lange vorher und Flöten und Schwirrhölzer gab es ja schon zur Altsteinzeit. Ein Schamane leitete die Zeremonien, welche durch rituelle Gesänge und Tänze ergänzt wurden. Allein durch Tanz, Musik und Gesang können Tranceerlebnisse geschaffen werden. Es müssen also nicht zwangsläufig psychoaktive Pflanzen eingesetzt worden sein. Vielleicht hatten auch nur der Schamanenpriester und seine Helfer dieses Vorrecht. Psychoaktive Pflanzen werden auch heute noch in einigen indigenen schamanischen Kulturen zur Tranceerzeugung genutzt. Terence McKenna geht von der Hypothese aus, dass sich das erste spirituelle Erleben durch die Verwendung von tranceerzeugenden Pflanzen entwickelte. Er sieht halluzinogene Pflanzen wie z. B. psylocibinhaltige Pilze als uralte Kulturbringer.
Große Ganggräber wurden ab 4.800 v. u. Z. in den atlantischen Gebieten Europas geschaffen. Diese und die vielen Menhire und Steinkreise werden mit einem ausgeprägten Ahnenkult in Verbindung gebracht. Im Schamanismus spielen die Ahnen eine wichtige Rolle als Helfer in dieser und der anderen Welt. Die Toten wurden anständig beerdigt und ihnen wurden Opfergaben dargebracht. Man fürchtete sich scheinbar, genauso wie in viel späterer Zeit auch, vor ihrer Macht als „Wiedergänger“ und „Nachzehrer“. Im Schamanismus werden die Ahnen verehrt und eine gute Beziehung zu ihnen aufrecht erhalten. Bisweilen entschieden sich Verstorbene auch freiwillig, die lebenden Familienmitglieder zu beschützen und blieben „erdgebunden“ – was ihnen vielleicht damals besondere Verehrung einbrachte.
Die vielen großen Steingräber stehen selbst nach 5.000 und mehr Jahren immer noch in der Landschaft. Für ihren Bau haben sich die jungsteinzeitlichen Stammesgemeinschaften viel Mühe gegeben. Von den Wohnungen der damaligen Zeit ist dagegen kaum etwas übrig. Der Tod war im jungsteinzeitlichen Glauben die Voraussetzung für Leben. Man bereitete sich wahrscheinlich schon zu Lebzeiten auf den Tod vor – er gehörte zum Leben dazu. Möglicherweise war er in diesen alten Gemeinschaften das wichtigste Ereignis im Leben eines Menschen und man fürchtete sich nicht vor ihm, wie das heute der Fall ist. Im Schamanismus finden die Toten ihren Platz in der Totenwelt. Dies ist eine der vielen Welten der Schamanen in der anderen Realität. Schamanen kommunizieren mit den Verstorbenen und häufig ist ihre Aufgabe das Geleiten der Seele des Verstorbenen in diese Totenwelt. Verstorbene, welchen den Weg nicht hinüber fanden, wurden als Verursacher von Krankheit und Unglück angesehen. Ein ehrenvolles Begräbnis in den mächtigen Großsteingräbern half den Verstorbenen, ihren Weg zu finden. Möglicherweise symbolisierten die Gräber der damaligen Zeit die Totenwelt der Nichtalltäglichen Wirklichkeit. Vielleicht fand vor der endgültigen Bestattung der Knochen, welche häufig Schnittspuren zeigen, auch eine Exkarnation auf Holzgestellen unter freiem Himmel statt.
Die Überlegungen und Tatsachen dieses Kapitels weisen darauf hin, dass der Schamanismus sehr wahrscheinlich schon in der Steinzeit existierte und den spirituellen Glauben der damaligen Zeit wesentlich prägte.
Vor allem während der Altsteinzeit dürften „Tiergötter“ und Clantiere in der Welt der Urmenschen das Numinöse und Göttliche repräsentiert haben. Wenn wir die Tiere anschauen, welche an die Wände der Höhlen gemalt wurden, stellt man fest, dass es doch eher die großen und beeindruckenden Tiere sind, welche hier bildlich wiedergegeben wurden. In erster Linie wurden Mammuts, Wollnashörner, (Riesen)Hirsche, Auerochsen, Rentiere, Höhlenlöwen und Pferde abgebildet. Diese wurden verehrt, weil sie sich erfolgreich behaupteten und vor allem Fähigkeiten besaßen, welche der Urmensch nicht hatte. Die Riesenkraft eines Mammuts, die Schnelligkeit eines Wildpferdes oder die Potenz eines Auerochsen wurden bestimmt sehr bewundert. Diese übermenschlichen Tiere wurden beobachtet und man lernte von ihnen. Waren Tiere krank oder verletzt, dann sah man, dass sie bestimmte Kräuter aßen, sich im Schlamm wälzten, sich gegenseitig ableckten oder bestimmte Steine aufsuchten, um sich an ihnen zu reiben. Der frühe Mensch lernte von den Tieren und so sind wohl die allerersten Heilmethoden entstanden – von Tieren abgeschaut, welche das Numinöse und Heilige repräsentierten.
Sich in Trance zu versetzen und auf schamanische Seelenreise zu gehen, könnte durch das Sich-Hineinversetzen in Tiere entdeckt worden sein. Durch Tiertänze in Trance versetzt, lernte man in eine andere Welt zu schauen. Tiere und Ahnen, welche einem hier begegneten, sprachen zum Urmenschen und er erkannte die Weisheit der Geister der anderen Welt. Das zufällige Ausprobieren von bewusstseinserweiternden Pflanzen könnte ebenso das Sehen in eine andere Welt begünstigt haben.
Die schamanische Reise in Trance war mit Sicherheit eine Methode, um Informationen zu Heilmöglichkeiten zu bekommen. Bestimme Geisttiere und wahrscheinlich auch die Ahnen flüsterten den ersten Schamanen Heilgeheimnisse zu. Diese wurden ausprobiert und bei Erfolg beibehalten und an die nächste Schamanengeneration weitergegeben.
Für den Steinzeitmenschen des Paläolithikums war es für eine erfolgreiche Jagd wichtig, sich in das Beutetier hineinzuversetzen. Sich zu bewegen, zu schnüffeln, zu fressen, zu rennen und zu schauen wie das Jagdtier, half dem Urmenschen, dieses in seinem Verhalten zu verstehen. Das Hineinschlüpfen in die Haut eines Tieres war möglicherweise eine wichtige Fähigkeit, um erfolgreich zu jagen und zu überleben. Ich gehe davon aus, dass der Urmensch von Kleinkind an Gestaltwandel übte. Dies half ihm dabei, viel über Tiere zu erfahren. Bestimmt hat er sich auch in andere Menschen, in Pflanzen, Bäume oder gar Steine hineinversetzt. Man kann so vieles über andere Lebewesen erfahren und das konnte überlebenswichtig sein in der Welt von damals. Wer sich in ein Tier hineinversetzt, sieht die Natur durch ganz andere Augen. Er erlangt so Wissen und Weisheit der Natur. Bestimmt konnte sich der Urmensch auch gut tarnen und unsichtbar machen, wenn er sich in bestimmte Tiere hineinversetzte. Manche Tiere wie z. B. der Fuchs beherrschen diese Fähigkeit besonders gut.
Das Tragen von Hirschfellen und -geweihen, Bärenhäuten, Wolfsfellen oder Vogelfedern half dabei, eins mit einem Tier zu werden. Aus der Steinzeit gefundene Hirschgeweihe mit Löchern in den Hirschschädeln weisen darauf hin, dass der Urmensch sich in Tiere verwandelte. Solche alten Ritualobjekte wurden in El Juyo/Nordspanien, England und Deutschland entdeckt. Diese mögen hilfreich beim Tarnen gewesen sein, beim Heranschleichen an Tiere und bei Tiertänzen, wie wir sie heute noch von indigenen Völkern her kennen. Und natürlich sind Schamanen dafür bekannt, sich in ein Tier hineinzuversetzen, an seiner Kraft teilzuhaben und mit dieser Kraft zu heilen, die Zukunft zu prophezeien oder Seelen zurückzuholen.
Tiere, wie z. B. Bären kennen viele Heilpflanzen. Fühlt man sich in den Bären ein und verschmilzt mit ihm, dann kann einem die Fähigkeit verliehen werden, die richtigen Heilpflanzen zu finden und anzuwenden. Dem Urmensch stand somit eine Fähigkeit zur Verfügung, vieles direkt von der Natur zu erlernen. Er lernte auch die Stimmen der Tiere, wie das Zwitschern der verschiedenen Vögel, das Wiehern der Pferde oder das Schnauben der Wisente. Diese Fähigkeiten halfen ihm, immer erfolgreicher zu werden und er erlangte damit auch das Gefühl der Einheit mit der Natur. Der Steinzeitmensch fühlte sich anders als wir zivilisierten Menschen eins mit der ihm umgebenden Welt. So verstand er mit Sicherheit die Stimmen der Vögel, welche ihn z. B. vor einem nahenden Höhlenlöwen warnten. In Kommunikation mit der Natur lernte er alles, was er brauchte, um zu überleben. Hatte er eine Frage, dann sprach er sie aus oder dachte sie sich und achtete auf die Zeichen der Umgebung. Das Wehen des Windes, der Geruch eines Tieres, das Knacken eines Strauches und das Zwitschern eines Vogels gab ihm die Antwort, die er suchte.
Tiere hatten für den Steinzeitmenschen übernatürliche Kräfte. Diese Kraft war spürbar, wenn man sich in ein Tier hineinfühlte und eins mit ihm wurde. Diese Kraft war auch gleichzeitig eine große heilende Kraft. Nach den Krafttiertänzen mit meiner Trommelgruppe spürten alle Teilnehmenden diese Kraft, welche oft mehrere Tage anhielt. Das dürfte auch dem Urmenschen nicht entgangen sein. Tiertänze dürften alte steinzeitliche Rituale, ja vielleicht sogar Heilrituale gewesen sein. Zum Tiertanz wurden vom Schamanen die Tiergeister aus den verschiedenen Himmelsrichtungen herbeigerufen. Ein großes Feuer, das Räuchern von Eiszeitreliktpflanzen wie dem Sumpfporst auf heißen Steinen, uralte Gesänge des Clans und die ersten Rhythmusinstrumente führten in eine Trance hinein. Man begann zu tanzen und wurde nach einiger Zeit vom Tiergeist besetzt. Dieser drang durch den Nacken in den Menschen ein. Dann begannen die Urmenschen wie ihre Tiergeister zu brüllen, zu springen, sich zu bewegen und zum Tier zu werden. Irgendwann war man in ekstatischer Trance und war ganz das Tier und spürte die Kraft, die Stärke und das uralte Wissen des Tiergeistes. Man konnte um Heilung bitten und das Tier konnte diese gewähren. Nach einer gewissen Zeit verabschiedete sich der Tiergeist oder der Mensch bat den Geist, den Körper zu verlassen. Im Schamanismus geht man davon aus, dass auch die Tiergeister von einer solchen Verschmelzung profitieren und gerne in einen Körper schlüpfen, um materielle Form anzunehmen. Im Gestaltwandel liegt großes Heilpotential und dies dürfte der Steinzeitmensch schon früh in Erfahrung gebracht haben. Nicht umsonst konnten sich diese uralten Heilrituale bis in unsere Zeit hinüberretten.