Marianne Ehrmann: Amalie

 

 

Marianne Ehrmann

Amalie

Eine wahre Geschichte in Briefen

 

 

 

Marianne Ehrmann: Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Pierre-Auguste Renoir, Studie zweier Frauenköpfe, 1895

 

ISBN 978-3-7437-0291-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9474-0 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9475-7 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Anonym ohne Ort und Verlag [Bern (Hortin)] 1788.

Die ersten 18 Briefe sind, unwesentlich überarbeitet, identisch mit ihrer ersten Buchveröffentlichung »Müßige Stunden eines Frauenzimmers« (Frankfurt am Main 1784).

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Marianne Ehrmann: Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen, Band 1–2, o.O.u.V. [Bern: Hortin], 1788.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Amalie

Eine wahre Geschichte in Briefen.

Von der Verfasserin der Philosophie eines Weibs

Erster Band

Vorerrinnerung des Herausgebers.

Feinheit der Gedanken und Leichtigkeit des Ausdruks zeichneten von jeher die Schriften der Frauenzimmer aus, welche sich zu Selbstdenkerinnen emporgeschwungen hatten.

Auch diese Briefe tragen das Gepräge dieses karakteristischen Kennzeichens an sich, woran die Leser und Leserinnen der Geschichte Amaliens leicht das Frauenzimmer erkennen werden, das ihnen durch ihre so liebenswürdige Philosophie schon allzuwol bekannt[3] seyn wird, als daß ich nöthig hätte, meiner wenigen Beredsamkeit aufzubieten, um ihr Lobredner zu werden.

Das edle, jedem Wohlwollen offne Herz, der ausgebildete Verstand, der muntre, kühne Wiz dieser Denkerin, bedarf keiner Empfehlung an alle Die, welche Tugend und Geistesfähigkeiten zu schäzzen wissen; aber Schade ist es, daß bisher die Talenten dieser liebenswürdigen Schriftstellerin nicht allgemeiner bekannt geworden sind; da doch so manches Frauenzimmer im lieben Deutschland auf den Flügeln wohlwollender Freude zum Tempel des Ruhms emporgetragen wird, welcher vielleicht selbst vor der Höhe schwindelt!

Warum sollte es nicht Pflicht seyn, im Verborgenen schimmernde Talenten hervor ans Licht zu ziehen, damit auch Andre sich drob freuen, sich daran laben können; – damit sie blühen, diese verkannte Talenten, und Früchten tragen mögen zum Vortheile der Gesellschaft? –

Einen kleinen Theil dieser Pflicht glaube ich nach meinem wenigen Vermögen zu erfüllen, indem ich dem Publikum dies Werkchen vorlege, dessen unverkennbare Schönheiten das Zischen des Neides überstimmen werden, der so selten den Verdiensten eines denkenden Frauenzimmers Gerechtigkeit widerfahren läßt![4]

Es sind Briefe, die eine im Grunde wahre Geschichte enthalten; – Briefe, in welchen die feinsten Empfindungen mit den edelsten Grundsäzzen verwebt sind; – Briefe, deren natürlicher, ungeschminkter, launigter Ton, deren warmgefühlte Ausdrükke, und kühne, vorurtheilfreye Schreibart, sich den Lesern ebensowohl, als das Interessante der Geschichte selbst empfehlen werden.

Treffende Schilderungen von Situazionen – tiefe Blikke ins menschliche Herz – launigte Erzählungen – satirische Anmerkungen – kühne Ausfälle auf verjährte Vorurtheile wechseln mit der Sprache des Gefühls und der Leidenschaften ab, die mit ihren feinsten Schattirungen in diesen Briefen ausgemalt werden.

Unter die ersten Verdienste dieses Werkchens gehört auch die edle Freimüthigkeit, mit welcher unsre Denkerin die Thorheiten bekriegt, und dem verkappten Laster die Maske vom Gesichte reißt; nicht in heiliges Dunkel verhüllte Rechte tief eingewurzelter Vorurtheile, nicht Furcht vor dem Gekrächze blödsinniger Dummköpfe hält sie ab, die selbstgefühlte Wahrheit zu denken und zu schreiben; und jeder Denker wird mit innigem Vergnügen ein Werk lesen, das blos ein Kind der Natur ist, und als ein solches ohne künstlichen Wortprunk,[5] ohne gesuchten Schmuk, ohne Ziererei so geradehin sich jedem Freunde der Aufklärung empfiehlt, der den Kern nicht über der Schale vergessen, und an pedantischen Wortklaubereien hängen bleiben wird.

Wenn man schon gewöhnlich dem schönen Geschlechte das Denken untersagt, weil es Kopfweh machen soll, so glaube ich doch meine Leser versichern zu dürfen, daß selbst Männer von geübterem Nachdenken bei der Größe der Gedanken und Empfindungen dieser Schriftstellerin staunen, und, wenn ihre Eigenliebe es ihnen schon verbietet, ihre Früchte des Nachdenkens zu bewundern, doch den stillen Beifall nicht versagen werden.

Ich bin zu wenig von den Künsten gedungener Lohntrompeter unterrichtet, als daß ich es wagen wollte, durch meinen Posaunenton das laute Jubelgeschrei zu überstimmen, womit so manche, weniger denkende Frauenzimmer von gewissen Leuten ausgeschrieen werden, deren Stimme auch bei der besten Lunge doch am Ende heischer wird.

Ich schweige – dies Werk mag seine Verfasserin selbst empfehlen, und diese Wirkung wird es auch bei jedem Freunde des Nachdenkens hervorbringen, der geborgten Wiz von dem eigenthümlichen[6] Gedankenschwunge einer Schriftstellerin zu unterscheiden weis, die ohne auf das Prädikat einer Gelehrten Anspruch zu machen, vielleicht weiter denkt, als manche von hoher und tiefer Gelehrsamkeit strozzende Dame.

Genug davon! – Die Leser dieses Werks werden sicher mit mir darinne übereinstimmen, daß es unverantwortlich wäre, eine Schriftstellerin nicht aufzumuntern, deren erste Arbeiten uns noch so vieles für die Zukunft erwarten lassen.

Aber freylich ist es das gewöhnliche Loos der Frauenzimmer, die sich erkühnen, ihre Geistesprodukten dem Publikum vorzulegen, daß man ihnen die Ehre, Verfasserinnen zu seyn, rauben will, wenn ihre Arbeiten sich über das Mittelmäßige erheben, und sie mit lautem Spotte belohnt, wenn sie ihre Gedanken nicht gerade nach der einmal üblichen Form gemodelt haben; wenn ihre Schreibart nicht eben so fehlerfrey ist, als der Styl des Gelehrten, der seine Jugendjahre mit Silbenstechereien zugebracht hat.

Der Beifall der Denker wird der Verfasserin dieses Werks Reiz genug seyn, auch fernerhin der Lesewelt ihre Arbeiten aufzutischen.[7]

Mehr darf ich izt nicht sagen, und ich glaube schon zu viel gesagt zu haben, als daß ich mich nicht gefaßt machen sollte, mich mit den Abgesandten des Neides recht schriftstellerisch herumzubalgen, die wohl nicht unterlassen werden, auch dies Werk mit ihrem Gifte zu besudeln.

Für alle Andere bedarf es keiner Empfehlung, es empfiehlt sich selbst; und ich befürchte den Unwillen der Leser auf mich gezogen zu haben, da ich sie durch meine geschwäzzige Vorrede so lange von der Lektur des Werkes selbst abhielt.

Im Dezember 1787.

T. F. E.[8]

 

I. Brief
Amalie an Fanny

Beßte theuerste Freundin!

 

Wenn Du jenes gutherzige Mädchen bist, so öffne deinen Busen meinem Kummer. Seit einer Stunde! – Gott im Himmel! – Seit einer Stunde ist meine Mutter todt! – Diese theure, für mich so gütige Freundin ist nicht mehr! – O, fühle, wenn Du kannst, die Last dieses Schmerzens! Aber Du kannst unmöglich das mit mir fühlen, denn Du verlorst keine Mutter, keine Führerin, keine Beschüzzerin, wie ich! O Mutter! Mutter! Könnten Dich meine Thränen zurükrufen! Könntest Du sehen, wie dieser Verlust in mir tobt; wie er mir hineingreift in das Innerste meiner Seele; wie es mich drückt, dieses Andenken; wie es mich ängstigt; meine Leiden spannen sich auf den höchsten Grad der schwarzen Schwermuth! – O Fanny! Sage mir doch nie wieder, daß Enthusiasmus die Menschen glüklich mache! Matt und ohne Thränen überdenke ich meine Lage, finde nirgends Trost, und außer deinem Busen scheint mir alles hart und unbarmherzig! Die Menschen sagen immer, Luft müße man sich machen und seinen Brokken Elend wegseufzen. – Gut wäre dies – für mich besonders[9] gut! Aber sind doch die meisten Menschen zum wahren Antheil so ungeschikt, so hölzern! – Doch Du, meine Freundin, bist keine von diesen, Du bist nicht von der Alltagsgattung, dein Gefühl ist fein genug, um mich zu verstehen. O! ich erinnere mich noch recht gut, wie sich deine Thränen mit den meinigen mischten. Und wenn ich dann gleichwohl diese Thränen unter stärkern Herzensstößen herausweinte, so war mein Weinen doch nicht so bitter, weil Du mitweintest. Wahrhaftig es rollt diesen Augenblik etwas feuchtes aufs Papier! – o, Gott sey Dank, es ist eine Thräne! Jezt kommen sie, diese Erleichterungen meines schweren Herzens; ich will sie zu tausenden wegschluchzen, und dann sez ich meinen Brief weiter fort. – Um etwas ist es mir jezt leichter, doch freilich ist dieses Etwas nur wenig. Glaube mir, Fanny! auch bei kälterem Blute scheint mir der Verlust meiner Mutter gräßlich! Alles erinnert mich augenbliklich daran. Die Leere in unsern Zimmern, der Mangel meiner Mutter in allen Anlässen, ihre müßigen Kleidungsstükke! – Gott! Gott! ich habe sie verloren, sie kömmt nicht wieder, meine innigstgeliebte Mutter! Bis izt war ihr Tod für mich blos ein halbwahrer, dumpfer Gedanke, mein Gehirn war zu heiß, um seiner Ursache nachzudenken; aber jezt, liebe Mutter, erinnere ich mich, daß Unglük und Misvergnügen deine Mörder waren! Die Blüte deiner Jahre ist doch ein zu theurer Preis! – Nicht wahr, Fanny, Du kennst die Güte meines Vaters? Wehe uns armen Kindern, wenn sein verheiratheter Bruder fortfährt, auf den Sturz unsers Hauses anzutragen! Er ist ein verschwenderischer Heuchler, und mein Vater ist zu gut und zu leichtgläubig. Welch eine gefährliche Gabe ist doch ein gutes Herz! Wie oft muß es sich tretten lassen, und wie wenig bindet es sich an Erfahrung! Selten entwischt ein zu gutes Herz der Gefahr betrogen zu werden, und wenn es ihr entwischt, so[10] wirkt eigner Unwille kontrastmäßig auf seinen Hang zur verschwenderischen Gutheit; immer wird so ein Herz von Bösewichtern umgeben und bezaubert, und ehe sich der Betrug sonnenklar entwikkelt, bleibt solch ein Herz gewis hartnäkkig gut. Lebe wohl, gutes, liebes Mädchen, und bedaure deine arme

Amalie.[11]

 

II. Brief
Amalie an Fanny

Meine Beßte, Liebste!

 

Weist Du es wohl, daß der denkende Mensch weit mehr leidet, als der nichtdenkende? Der lezte fühlt weiter nichts als den ersten Streich des Unglüks, aber der erstre den ganzen Wiederhall. Die Grade unsres Gefühls mißt unsre Einbildungskraft ab, und wo der Tiefsinn mehr oder minder wirkt, da drükt er mehr oder weniger. – Enge Köpfe und steife Herzen sind arme, aber ruhige Geschenke. Das ist nun richtig, daß auch mit meiner Einbildung mein Kummer wächst. Jener unersättliche Oheim reißt unser Vermögen mit Riesenmacht ins Verderben. Vater, dacht ich lezthin, deine Güte ist Verschwendung, aber keine lasterhafte Verschwendung, möchte Dich der Himmel entschuldigen! – Weiter würd' ich noch gedacht haben, aber mein Herz war Wachs, Thränen rollten gewaltig auf meinen Busen. – Nun Mädchen! jezt wirst Du ausrufen, zu was all dein Jammern? Hast schon Recht, Fanny! Wenn nur die lokkende Hofnung kein so elender Trost wäre, so möcht ich mich an diesen Pfad allein halten; aber sich von dieser Heuchlerin[11] täuschen, und so oft täuschen lassen, das ist hart! Nicht wahr, Liebe! Glük und Unglük hat einen gewissen Lauf, und wen das leztre schlägt, der hat Stärke nöthig, seine Streiche auszuhalten? Denn es ist eine so hartnäkkige Schlange, die sich von einem Gliede zum andern windet, überall den Elenden verwundet und doch nicht tödtet. Wenn für mich eine so lange Reihe von Martern bestimmt wäre! – – Wie ich mich doch so eigensinnig in die Zukunft drängen möchte! Das Hineingukken ist eine Plage, die der melancholische Mensch überall mit sich schleppt; klein und rasch sind seine Erholungen, aber anhaltend und schwarz seine darauffolgende Leiden. O Fanny! mein Vater scheint gebeugt, und ich bin zu blöde, um ihm seinen Kummer abzuzärteln. Ich möchte ihm kein Geständnis ablokken, das ihm hart ankäme. Ach Mutter! – Warum bist Du hin, für uns alle hin? Mädchen! mir ahndet, und meine Ahndung ist gewis nicht ohne Grund. Mein Vater stekt in Schulden, und die rohen Menschen gaben ihm nur wenige Wochen Termin. Kein Ausweg ist vorhanden, keine nahe Rettung läßt sich blikken. Gott! wir sind im Elend!

Amalie.[12]

 

III. Brief
Fanny an Amalie

Liebe unglükliche Freundin!

 

Wenn es Mittel gäbe, einen so tiefen Gram, wie der deinige ist, zu lindern, dann hätt ich Dich gewis nicht so lange warten lassen, was hätt ich Dir wohl mitten in deinem[12] Jammer sagen sollen? Es gehört eine gewisse Kunst dazu, Unglükliche zu trösten, und Du sagtest mir schon selbst, daß ich hiezu sehr ungeschikt wäre. Ich habe Dich also im Innern bedauert und viele stille Thränen für Dich verweint. Wenn ich schon nicht, wie Du, alles exzeßmäßig fühle, so fühle ich doch gewis tief, sehr tief. Tröste Dich, beßte Amalie, tröste Dich über den Verlust deiner Mutter, überdenke das menschliche Schiksal, und sieh zu, ob dieses Opfer nicht eine Folge der Menschlichkeit sey? Wahr ist es, die Natur empört sich, wenn ein so theurer Theil sich in Nichts verwandelt, wenn es aber so seyn will, so seyn muß, warum soll denn ein Mensch gegen eine unabänderliche Bestimmung rasen? Ja, Freundin! Enthusiasmus macht glüklich, wenn er nicht überstimmt wird, und Du besonders, liebes Kind! Du räumst ihm nur im Tragischen einen Plaz ein; deine Einbildung wird mehr dein Tirann als dein Wohlthäter. Beßtes Mädchen, suche Dich gelassener zu stimmen; vielleicht ist es noch Zeit, wenn Du anders deine Heftigkeit nicht schon zu stark gezögelt hast. Und dann, meine Liebe, wo ist dein Zutrauen auf die Vorsicht? Willst Du nicht lernen groß denken und im Elend sich fest an Den halten, der die Thränen der Unglüklichen zu belohnen weis; an Den, der uns retten kann, wenn wir es verdienen gerettet zu seyn? Dein Vater, Du und deine Schwester sind bedaurungswürdig. Es ist eine grausame Gabe um ein gutes Herz; es läßt sich so leicht bis zum Leichtsinn heruntertäuschen. Doch, liebes Mädchen, es ist einmal dein Vater; ehre seine Würde und beweine seine Handlungen. Ich kenne dein Herz, beßte Amalie, es ist so edel gestimmt, es schlägt so rein, glaube deiner Freundin, es kann nicht unbelohnt bleiben. – Nein es kann nicht! Gutes Mädchen! Wie edel ist nicht dein Kummer über einen innerlichen Vorwurf deines Vaters! Du duldest so viel, und bist doch noch[13] so sanft, so äußerst gutherzig. Amalie! Dein Gefühl hat einen Werth, der sich nicht bestimmen läßt, weil es so selten unter Kindern zu finden ist. All dein Unglük muß Dich doch weniger drükken, wenn Du denkst, mein Herz verehrt ihn dennoch, Den – der mir das Leben gab. Fahre fort, Freundin, so zu handeln, ich will Dich ewig verehren und nie aufhören zu seyn, deine theuerste

Fanny.[14]

 

IV. Brief
An Fanny

Theures Mädchen!

 

Was mit uns vorgeht, verdient aller Menschen Mitleid. Mein Vater weint, und seine Tochter badet sich in seinen Thränen. Die fühllosen Gläubiger! Die garstigen Menschen! Ich weis es freylich schon, daß die bestimmte Zeit vorbei ist. Man schreit um Geld, und Freunde entfernen sich. Welch ein Anblik! – Wie barbarisch muß der Vorwurf an meines Vaters Herzen nagen! Seine Liebkosungen gleichen einer freudigen Verzweiflung. Er flieht mich zuweilen! – Ja, ja, er flieht! Ha! – Das schröklichste, was er mir thun kann! Du gütige, sanfte Stimme des Bluts, häng dich an ihn, reiß ihn mit Gewalt an den Busen seiner Tochter hin, laß es ihm nicht fühlen, laß ihm seine Schuld nicht fühlen! Man sagt mir, er würde seinen Aufenthalt ändern, wenn es wahr wäre! wenn er sich von seinem Bruder losrisse! wenn er es thäte! – O Gott! leite sein Herz! Wie gerne, wie warm, wie zärtlich sollte er von mir seine Tage verlängern sehen! Sein Alter wäre für mich ein[14] Heiligthum, daß ich ohne Aufhören küssen und verehren würde. Mit der sorgfältigsten Aufmerksamkeit würde ich seiner pflegen, dem unbedeutendsten seiner Wünsche zuvorkommen, um ihn der möglichsten Ruhe genießen zu lassen. Kein Elend dürfte sich zu unserer Oekonomie drängen; ich würde eine gute Hausmutter machen, alles so mäßig einzurichten suchen als möglich, nicht prahlen und doch glüklich seyn. Sein gutes Herz würd ich geizig an mich ziehen, und sein Bruder sollt und könnt es sodann nicht weiter aussaugen. Ich würde ihn aufzuraffen suchen, und mitten im muthwilligsten Scherze wollt' ich ihm Freudenthränen ablokken, ihm um den Hals fallen und sagen: Vater! wir sind so glüklich! – – Wie gefällt Dir mein Ideal? meinst Du wohl, daß es wahr werden könnte? Du glaubst nicht, was ich mir oft für himmlische Situazionen zu schaffen weis? O wenn doch nur einige wahr würden! Wie leicht lies sich hernach aller Gram wegdenken! Lebe wohl, und sey meiner Zärtlichkeit gewis.

Amalie.[15]

 

V. Brief
An Fanny

Liebe, gute Fanny! unsre Abreise ist nach Verfluß einiger Tage festgesezt. Freue Dich! Das ist nun seit zwei Jahren der erste Brief, den ich Dir mit leichtem Herzen schreibe. Mein Gefühl ist also der Freude noch offen? Aber wenn mein Ausschnaufen nur ein Anschein von Erholung wäre, und wenn sich alles das bald wieder ins Trübe zöge! Unglükliche sind doch gegen alles mistrauisch! – Mein Vater überließ einen Theil seiner Güter den Gläubigern, und der Ueberrest ist für seine noch übrigen Tage bestimmt! Klein und rasch ist diese[15] Erholung! Doch, wenn er sich von diesem Wuste losreißt, so kann uns kein hülfloses Elend drohen. Glüklicher Entschluß, der Himmel hat dich gezeugt! Jezt scheint mir der gute Mann nicht mehr so finster, seine Zärtlichkeit wirkt übernatürlich auf mein Herz. Er zürnt nicht mehr, und fährt mich auch nicht mehr so hizig an. Wenn schon mein ganzes Wesen ihm zu lebhaft scheint, so lächelt er und zankt nicht. Mich dünkt es, als ob er sich über meine Haspelei freute, und, wenn ich mich nicht irre, so sieht er meine Lebhaftigkeit für eine gute Grundlage an. Mehrmal nennt er mich einen kleinen Husar, und ich säume gar nicht, diesen Namen zu verdienen. Zu Dir im Vertrauen! Oft dacht ich bei mir selbst: ein wakrer Junge möchte ich gar zu gerne seyn! Das ist ein Wunsch, den ich beständig im Kopf herumjage und dessen Grund ich kaum angeben kann. Wenn ich mich oft so selbsten frage: warum? dann bleibt meine Antwort über dem Zwang unsres Geschlechts stehen. Kann etwas Unbemerkteres auf der Welt seyn, als ein Weibergeschöpf, und giebt es was Elenderes, wenn sie zu stark bemerkt wird? Sind wir nicht ein wahres Schlachtopfer eines gewissen Vorurtheils, und ist dieses Vorurtheil bei unsrer Erziehung nicht nöthig um unsre Eitelkeit zu schrökken und der Männer Herrschsucht ihr Opfer zu bringen? Das ist doch allerliebst! Was uns zum Laster angerechnet wird, das ziert ihre Freiheit, und wenn es ihnen gleichwohl keinen Ruhm macht, so bestraft oder beschnarcht sie doch Niemand darüber, am wenigsten aber sie sich selbsten untereinander. Sie reizen uns zu Fehltritten, wir geben ihnen Gehör, und wenn es alsdann fehlschlägt, so fällt die ganze Last nur auf uns. Sie nennen uns schwach, und wir sind doch in gewissen Fällen weit stärker als sie. Ueberhaupt finde ich sie in vielen Stükken äußerst ungerecht, und gäbe es unter uns nicht so viele leere, hirnlose Puppen, ich würde die erste[16] Rebellin werden, alle andere zur gesunden Vernunft aufzuhezzen. Daß man uns so fad erzieht, und daß sich so wenige von uns auszeichnen und zu regieren wissen, das mag wohl die Ursache eines so strengen Gesezzes seyn; und da haben die Männer Recht. Denn dumme Weiber sind oft aus Nothwendigkeit tugendhaft, und gescheide Weiber schweifen aus Eitelkeit aus. Bei einem andern Anlaß ein Mehreres über diesen Punkt. Gute Nacht, Liebe!

Amalie.[17]

 

VI. Brief
An Amalie

Lose Freundin, schon wieder kein Mittelweg! Wie reimen sich wohl deine leztern Briefe mit den übrigen? – Meine Lage ist anders, also auch andere Briefe: wirst Du sagen. Ja ja! Aber lauter, lauter Extreme in allen Sachen. Doch um deine Briefe zu beantworten: Dein Vater hat also seinen Wohnort geändert? Nu, das mag gut gehen, nur wünscht ich, daß er recht weit wegzöge! Doch was nüzt mein Wunsch? Es wird doch gehen, wie es gehen muß, und wir Menschen wissen meistens zum Voraus, daß wir für Nichts wünschen, und doch wünschen wir. Er mag schon Recht haben, daß in Dir zu viel Feur braust. Mädchen, Mädchen! sieh zu und mach es mir nach, sonst wirst Du bald stürmischer, als ein junger Bursche; und Du weißt, wie gram die meisten Geschöpfe bei unsrer Zeit einer Amazonin sind. – Kleine Närrin! wie kömmst Du auf den Einfall: ich möchte ein Junge seyn! Glaubst Du wohl, daß die Männer so gar vielen Vorzug vor uns haben? Du hast Recht, sie können freier handeln als wir, aber im Gegentheil sezzen sie sich auch mehreren Zufällen aus. Ihr Leben[17] steht bei ihnen beständig auf der Waagschale; ein Streit, ein Krieg – und weg ist es. Es ist nun einmal so eingeführt, daß wir auf dieser Weltbühne als zerschiedene Geschöpfe agiren müßen. Kann es wohl anders seyn? Man legt uns Zwang an; aber es giebt würdige Weiber, für die kein Zwang bestimmt ist; Zwang ist nur für armselige, blöde, widerspenstige Weiber, die sich an Kleinigkeiten binden und große Pflichten verabsäumen, weil sie in allen Stükken aus Dummheit maschinenmäßig nachhandeln müßen. Ein ungebildetes Weib ist das schlimmste Geschöpf auf Erden; ein Ding, daß der Menschheit zur Last herumwandelt; ein Geschöpf voll Eigensinn und Hochmuth; eine Kreatur, die alles, was um sie ist, fast zu Tode martert. Wenn ein Weib boshaft ist, so ist sie es in einem Grade, wozu kein Mann gelangen kann. Siehst Du, Freundin, so ist unser Geschlecht bestellt. Glaubst Du also wohl, daß solche Geschöpfe keinen Zwang nöthig haben? Was würde wohl aus einer menschlichen Gesellschaft werden, wenn man einen solchen Haufen (denn auszeichnen thun sich nicht viele) wenn man sie nach ihrer blöden Einsicht und ihrer Dummheit angemeßen handeln ließe? – Meine Amalie! es ist so schon recht! bleib du immer ein Mädchen, kannst dessentwegen doch männlich denken! Lebe wohl und schlafe wohl!

Fanny.[18]

 

VII. Brief
An Fanny

Das Abschiednehmen ist doch eine unnüzze aber traurige Sache. Liebe hat bis daher von mir noch keinen Tribut gefodert; aber ebendeswegen, weil sie mich so lange durchschlüpfen[18] lies, schnürt sie mich jezt bis zur Tirannei. Wenn ich nur in diesem Fache mich zu mäßigen wüßte! Aber es reißt so gewaltig an meinem Herzen und drükt so stark in meinem Kopfe, daß ich selbst nicht weis, ob es mich zum Weinen oder zum Seufzen zwingen will. Wenn ich so nacheinander meine Wünsche untersuche, dann gehen sie wie Lauffeuer straks zu Dem hin, der mir gefällt, und wenn sie dort sind – diese Wünsche, und ich mit ihnen, dann ist es mir wohl. – Du glaubst es nicht, Beßte, das ist ein so namenloser Hang, den ich nicht Laster, aber auch nicht Tugend nennen kann. Jezt wieder auf das Abschiednehmen! – Ich stehe mit einem Jungen in Bekanntschaft, ich möchte mich gerne bereden, daß er mir gut wäre, aber gegen meine Zärtlichkeit, gegen meine Wärme ist es ausgemacht, ist er ein wahrer Hakstok. Ich versuche alles, um ihn recht oft zu sehen; aber so zornig bin ich, wenn ich mich an den verzweifelten Kontrast seiner Kaltblütigkeit erinnere. Warum fühlt er nicht auch meine Unruhe? Warum ist er nicht auch eifersüchtig, wenn andere Herrchen mich reizend finden? Seine Seele ist so gedankenlos, so einbildungsleer, wenn ich so im Taumel von Zufriedenheit recht unschuldig und doch wie Glut an seiner Seite sizze. Ich sollte also fortfahren ihn zu lieben? Mich quält es ja doch, und ich finde kein wahres Mitleid. – Halt, Amalie, wirst Du denken, Du fiengst deinen Brief mit Abschiednehmen an, und nun ist Liebe dein Thema! Vielleicht hast du Recht! aber wer plaudert denn nicht gerne von Liebe, besonders wem sie noch so fremd ist? – Alle, Alle müßen opfern, nur ist diese Einbildung ohne Ende so verschieden. Gestern um diese Stunde sah ich ihn das leztemal, ich weinte, eins, zwei, drei Thränchen, und er – er zupfte indessen an seinen Manschetten. Pfui, pfui! dacht ich, meine Zärtlichkeit ist übel angerannt. – Adieu Monsieur, und husch zur[19] Thür hinaus. Ich schreibe Dir bald wieder. Lebe wohl! –

Amalie.[20]

 

VIII. Brief
An Amalie

Nicht wahr, liebes Mädchen, wie sich meine Laune Troz meinem Flegma nach der deinigen stimmt, da ich sonst jeden deiner Briefe nicht so geschwind beantwortete? Aber nun siehst Du, daß ich Dir schon zum zweiten Male keine Antwort schuldig bleibe. Freilich ist das Abschiednehmen eine unnüzze Sache und ein Zeremoniel, wider welches alle empfindsame Herzen protestiren sollten. Doch zu was Wichtigerm! Gott helfe Dir! Du dauerst mich, denn Liebe ist für ein Herz, wie das deinige, eine gefährliche Sache. Ich erschrak, als ich die Ausdrükke, die Dir deine erhizte Einbildungskraft eingab, überlas. Mädchen, Du hast viele Anlagen zu einer unglüklichen Schwärmerin. Wenn ich Dir rathen darf, so schränke deine Einbildungskraft mehr ein, wenn sie Dir so feurig von Liebe vorschmeichelt; und thust Du das nicht, so glaube mir, Du wirst gewis noch elend. Sei nicht böse über meine Einwendung; ich kenne Dich, und nie würde ich Dir so nahereden, wenn ich nicht wüßte, daß dein zukünftiges Loos aus Träumen bestehen könnte. Wahr ist es, jezt lachest, jezt tändelst Du noch; deine Seele ist nur obenhin berührt, Leichtsinn und Unerfahrenheit laßen Dir und deinem Kopfe nicht so vielen Raum übrig, um Dich unzufrieden und taub zu machen. Findest Du aber einmal Den, der sich in dein Herz schleicht, Den, worauf sich dein Eigensinn steif angeheftet hat, dann magst Du Acht haben, was aus Dir werden wird! Du bist keine gemeine Seele, die ohne Kopf[20] lieben wird; deine Eigenliebe wird sich stark ins Spiel mischen, Du wirst Gegenliebe fodern, und vielleicht von einem Menschen, den der Zufall zu ungeschikt geschaffen hat, um deine Eitelkeit zu nähren. Das wird Dich aufbringen, und doch! wenn Du vielleicht schon zu stark hingerißen bist, so wirst Du leiden, und dennoch mit Dem nicht brechen, der Dich von der Weiber Lieblingsseite zu küzzeln weis. Nun wird sich noch Eifersucht, Furcht, Wünsche, und was weis ich alles, dazu gesellen; dann merk auf, wie Dirs um das Herz seyn wird? – Du wirst Dir Ideale in deinem Liebling schaffen, und findest Du Dich in etwas getäuscht, so wirst Du murren und üble Laune bekommen. Dein Stolz wird sich empören, Du wirst keinen Anbeter nach deinen Schimären stimmen wollen; widerspricht er Dir, so wirst Du toll werden; dann wird es Zank absezzen, und nach diesem Maulhenkerei, und nach diesem Thränen, Schwermuth, und so kann es sich leicht fügen, daß Du Dich schlaflose Nächte hindurch mit deiner Todfeindin, mit der Liebe, herumbalgest. Morgen sag ich Dir noch mehr, magst sauer oder süß drein sehen, mußt es doch wissen. Lebe wohl!

Fanny.[21]

 

IX. Brief
An Fanny

Theure Fanny! Wir kamen in W** glüklich an. Der Graf empfieng uns sehr gut. Mein Vater ist jezt heiterer als jemals. Die Reise und das Losseyn von seinem Bruder machten ihn munter. Meine Hausgeschäfte sind häufig, alles liegt mir jezt auf dem Halse. Doch Kleinigkeiten für ein williges Mädchen! Mein Schwesterchen wächst recht artig heran, sie ist der Liebling meines Vaters, und da[21] er mir nebst dem auch noch ziemlich wohl will, so kann ich die häufigen Liebkosungen an sie leicht ertragen. – Nun für Dich ein Reisehistörchen: Wir kamen in F*** Abends in einer ehrbaren, saubern Schenke an; ein halbreifer Junge empfieng uns an der Treppe. Mein Vater hatte Louisen an der Hand und gieng der Stube zu, ich hintendrein, und das an der Seite besagten Kerlchens. Seine emsige Bedienung, sein: Mademoiselle schaffen sie nicht? machten mich lachen. Mein Vater merkte den Eifer dieses Jungen nicht, weil er sich eben mit Fremden in ein Gespräch eingelaßen hatte; aber stelle Dir nur vor: Der Flegel machte sich dieser Gelegenheit zu Nuzze und wich nie von meiner Seite. Er that sein Möglichstes, aber mit dem half es bei mir nichts. Halte mich ja nicht etwa für spröde! aber lies zuvor die Schilderung dieser drolligten Kreatur: Ein junger müßiger Held, mit glattem Kinn, ohne Gehirn, kraftlos und ungeschikt in seinen Ausdrükken und im Hut verliebt wie eine Kazze. Du weist, daß ich der Liebe gar nicht feind bin; aber da hieß es: Mein Herr! Sie sind zu gütig! – ich wünschte Ihnen eben so viele Vorsicht, – und so weiter. Aber Mademoiselle, können sie mir verdenken, wenn ich in Sie rasend verliebt bin? – Ich könnte unmöglich rasende Leute entschuldigen. – So haben sie denn kein Herz? O ja, sagte ich, und das ein recht zärtliches. Nun wenn das so ist, warum denn? jezt fiel ich ihm in die Rede: Das Warum und das Darum sind keine Sachen für Sie. – Sie wollen also meine Pein? Sie wollen, daß ich – Hier haben Sie mein Riechfläschchen, wenn Sie es nicht mehr ausstehen können. Lose Schöne! schrie er aus, wie schalkhaft sind Sie nicht! und Sie mein Herr! wie unerträglich sind Sie nicht! Ich? ich? – fragte er betroffen; bin doch gegen Sie mit keinem zweideutigen Worte aufgetretten! Das hätten sie noch wagen sollen, um ganz[22] ihre Schwäche von einem Mädchen bestrafen zu laßen! – O diese Strafe wäre ja süß. Noch hatte er den halben Gedanken im Munde, als der Papa rief: Amalie! nimm deine Schwester bei der Hand, wir gehen zu Bette. Und das thaten wir auch, schliefen so ziemlich wohl, stunden wieder früh auf, und nun giengs weiter nach W** zu. – Bleibe mir gut, Beßte! Du weist wie sehr ich bin

Deine Amalie.[23]

 

X. Brief
An Amalie

Vermuthlich mußt Du, meine Liebe, deinen lezten Brief, den ich Dir heute auch beantworten werde, abgeschikt haben, ehe Du meine leztre Antwort erhieltest. Ich sagte Dir rund heraus, wie es Dir gehen könnte, wenn Du Dich einmal im Ernste vergaftest. Freilich kannst Du mir entgegenschreien: Freundin! nicht Allen muß es so gehen! Laß sehen, armes Kind, was Du allenfalls einzuwenden hast. O, schon höre ich Dich widersprechen! Wenn ich liebe, so werde ich aus Simpathie und nicht aus Eigensinn lieben. Gut, meine Beßte, muß ich Dir sagen, können wir uns nicht täuschen? Glaubt nicht oft ein enthusiastischer Kopf, daß er da oder dort Simpathie erhascht habe? Laß ihn nur wieder kälter werden, diesen Kopf; laß ihn seinen Abgott, den er sich nach seiner ganzen glühenden Hizze so schuf, wie es ihm gefiel, noch einmal, laß ihn denselben mit kaltem Blute und kritischer Menschenkenntniß untersuchen, dann gieb Acht, ob es noch Simpathie ist! Glaubst du denn, daß die Menschen so leicht und so oft simpathisiren? Ist nicht der größte Menschentheil so sehr verdorben, daß man unter einer großen Zahl Geschöpfe wenige wahre Menschen findet?[23] und wird nicht ein gutes, gefühlvolles Herz zehnmal betrogen, ehe es das Glük hat, eine andere gute Seele zu finden? Es giebt gleichdenkende Menschen, aber selten oder nie findet man sie. Sey mistrauisch, liebes Mädchen, ich bitte Dich, wenn Du dein Herz keinen Mishandlungen aussezzen willst. Ich mag Dir nun keine Silbe mehr weiter zureden, Du möchtest sonst Ekkel bekommen, und das mag ich nicht; also zu deiner Reisebeschreibung: Du bist ein näkkisches Ding! Wenn Du deine Avanturen alle so komisch behandeln könntest, dann würde ich weniger Sorge haben; aber nicht allemal wird deine Kritik über deine Neigung siegen; so lang dein Herz noch gesund bleibt, und deine Einbildung nicht verstimmt wird, so hast Du nichts zu fürchten; wenn Dich aber einmal wizzige, galante schöne Herrchens, statt solchen halbreifen Jungen, verfolgen werden, wie wird es dann aussehen? Es giebt Männer, die unser Geschlecht so gut kennen, und die uns tändelnd zur Liebe zu reizen wißen. Du bist offenherzig und empfindsam, Du hast Menschen gesehen aber sie nicht studiert, und was braucht es mehr, um deine Leichtglaubigkeit zu täuschen? Der Himmel bewahre Dich vor solchen Ruhestörern! Sey aufrichtig gegen mich, und Du wirst finden, daß Dich niemand mehr liebt als deine

Fanny.[24]

 

XI. Brief
An Fanny

Beßte! Ich möchte Dir von uns Neuigkeiten sagen, und weis doch keine. Bisher geht alles im alten Trabe fort, und außer deiner Amalie giebts in unserm Hause nichts Abentheuerliches. Du kennst ja meinen Oheim in K**? er ist ein seelenguter Mann! Von ihm erhielt ich zwei schöne Kopfzeuge,[24] die mir aber mein Vater recht sehr verbitterte. Ihm will die alte Mode durchaus nicht aus dem Kopfe, und ich habe mich ganz in die neue vergaft. Wir Mädchen haben ja unsern besondern Abgott, ich kann eben nicht sagen, daß ich ihm eigensinnig durchaus alles opfern will; aber eitel bin ich doch, wie wir alle sind. Die Männer sind es mit einem gelindern Ueberzug, und wir sind es in Kindereien. Wenn doch dieser Vater nur suchte, meine Eitelkeit mit gelindern Mitteln zu bändigen! Aber so raschweg, alles, was nicht erst großmuttermäßig aussieht, zu verbieten, das schmerzt. Vorhin gieng ich nie so oft zum Spiegel, aber seit mein Vater mir es so macht, bespiegle ich meine altfränkische Haube so oft, und sinne auf Alles, um ihn zu bewegen, daß er mich einen andern Puz tragen läßt. Mein Oheim weis auch schon, daß eine ziemliche Porzion Eitelkeit in mir stekt; aber er zankt nicht in seinen Briefen, er lärmt nicht, vielmehr sucht er sie auf Nachahmung und Ehrgeiz festzusezzen; und wenn ich mein Herz recht untersuche, so ist es mehr auf das Ernsthafte, Nüzliche, als auf das Lächerliche angewandt. Es wird sich zeigen. – Wenn Du, meine Liebe, wißen könntest, was für eine Menge avantürische Hofnungen mir durch den Kopf kreuzen, Du würdest lachen. Sollten das wohl Ahndungen von einer besondern Zukunft seyn? Das wollen wir uns von heute in acht Jahren sagen können. Noch Eins! Ich bin eben so faul nicht, wie Du Dir vorstellest; meine Tagesordnung scheint mir doch so ziemlich wohl eingerichtet und vollständig. Aufstehen und ankleiden, in die Kirche gehen, und nach diesem hurtig im Hause herumhüpfen und anordnen, so wird es Abend, ehe ich mir es versehe. Dann heißt es meinem Vater vorlesen, eins mit ihm in Karten spielen, hernach auf mein Zimmer, noch eins lesen, und ins Bett. Du kennst ja den jungen B***, den mein Vater vor zwei Jahren nach Mainz schikte? Er bildet sich treflich und schreibt wakkere Briefe.[25] Und wenn er ja gleichwohl ein Kind von jenem vielgeliebten Bruder meines Vaters ist, so zeichnet er sich doch aus. Mein Vater liebt ihn unaussprechlich, ich bin ihm auch recht gut; und da meine Brüder todt sind, so wünsch ich einen Ersaz in ihm. Wie lebst denn Du? Steht es gut um deine Gesundheit? – Bist du noch immer so flegmatisch? Wie glüklich bist Du nicht mit deinem ruhigen Temperament! Ich liebe Dich gewis feurig, glaube es deiner

Amalie.[26]

 

XII. Brief
An Fanny

Gutes Mädchen! So hat doch nichts eine Dauer. Schon wiederum Auftritte, die mein Vater mit mir durchlebte, und nun laufen Nachrichten ein, die uns schon wieder drohen. Mir scheint es natürlich was man sagt. Stelle Dir nur einen Mann vor, wie sein Bruder ist, der durch üble Kinderzucht alles in Abgrund liefert; einen Mann, der auf der Haut meines Vaters ruhig forttrommelte, und nun fehlt ihm Lezteres; er ist blos sich selbst und der Verschwendung seiner Kinder überlassen. Der Aufwand ist gros, die Stüzze ist weg; also wohin? wo aus? Das mag die Vorsicht wißen, ich nicht. Himmel! wenn dieser Bruder uns samt seinem Anhang wieder – Nein, ich mag es nicht ausdenken! Wie! eine solche Last sollte uns wieder aufs neue drükken? Klein ist jezt unser Aufwand, aber doch hinlänglich. Ja, weis Gott! wenn er größer würde, so wäre bitteres Elend unser Ziel! O Freundin! wir sollten darben? Kennst Du was Grausamers? Es schrekt mich der blose Anblik, wenn ich Andere in solch einer bedaurungswürdigen Lage sehe; wie schwer würde mich erst die Erfahrung selbst drükken! Der[26] Philosoph schränkt seine Wünsche ein, aber was Natur und Gesellschaft fodert, an das wird er sich doch nicht wagen. Seitdem wir Menschen so viele Bedürfniße haben, seitdem sind wir auch unglüklicher. Es ist ja Alles so unregelmäßig ausgetheilt, der Schurke ist reich und der Rechtschaffene arm, und doch reich, aber nur in seinem Herzen. Der Mensch muß dem Interesse nachjagen, weil er dazu gezwungen wird. Meinetwegen möchte man Alles versuchen, um ehrlicher Weise Geld zu gewinnen, wenn nur die Menschen es wieder für andere Menschen verwendeten; aber wer hat mehr Geld als viele Menschen? und wer ist hartherziger als eben diese? Höre doch noch was! Mein Vetter in Mainz schreibt mir vieles artiges Zeugs. Der Lose, wie er meiner Eitelkeit küzzelt! er nennt mich ein erhabnes Mädchen; er schwört mir Liebe, Freundschaft und Treue zu. Was meinst Du wohl? Sind denn die Männer so gutherzig wie wir? Dies Geschlecht ist noch für mich ein Räthsel. Möchte es immer eins bleiben! aber ich zweifle. Mein Gefühl wächst, und ich wünsche mir bald ein solches Unthier. Mein Herz, mein Enthusiasmus, Alles in mir ist zum Lieben geschaffen. Oft, wenn ich einsam bin, fühle ich mich so leer, so öde, überdies so wünschvoll, und Thränen sind gemeiniglich das Ende meiner Schwärmerei. Wie nöthig hätte ich jezt den Rath meiner Mutter! Aber ach! Freundin! – Du mußt sie seyn; nicht wahr, Du willst?

Amalie.[27]

 

XIII. Brief
An Fanny

Daß doch meine Ahndungen fast immer eintreffen müßen! Begreife, wenn Du kannst, liebes Mädchen, meinen wirklichen[27] Zustand. Vor wenigen Wochen kam der Bruder meines Vaters mit acht Kindern hier an; mein Vater vergaß bei diesem Anblikke, Folgen und Zukunft, nahm sie auf, und nun ist unser Schiksal gänzlich in des Himmels Händen. Ja, Freundin! wäre auch diese Last unsern ökonomischen Umständen angemessen, so würde doch eine solche pöbelhafte Gesellschaft für mich Zuchthausstrafe seyn. Fünf Mädchen und drei Buben, lauter grobe, boshafte Kinder, die kurzweg Kontraste von meiner Erziehung sind. Kreaturen, die zur Plage andrer guten Menschen in der Gesellschaft herumirren. Geschöpfe, die ohne Grundsäzze erzogen wurden, und im Unflate aufwachsen. Mancher Plage kann man, wenn man sie vorsieht, ausweichen; aber dummen, bösen Menschen, die täglich um uns sind, wie ist es möglich diesen auszuweichen? Ach Fanny! wie bitter ist doch die Jugend deiner Amalie! Mein Leben besteht aus zu manchfaltigem Verdruß, als daß in mir nicht verschiedne Wünsche entstehen sollten. Ich liebe meinen Vater, aber ich würde seine Kniee weit feuriger umfassen, wenn er sich von den Unwürdigen loszureißen suchte; aber sein gutes Herz läßt ihn nicht; geduldig stürzt er sich in sein eigenes Verderben, und ist ungehalten, wenn ihn seine Tochter deswegen ahndet. So ganz von Gram übertäubt fiel mir lezthin ein, weg – weit weg von diesem Hause! – Undankbare! Deinen Vater kannst du verlassen? – Gott kennt mein Herz, es ist nicht Undank; es ist eine volle Seele, die alles dieses nicht länger erträgt. Ueberdenke nur, Freundin! wie gräslich mir alle die Ausschweifungen, alle die unsinnigen Schwärmereien meiner Vettern und Basen auffallen müßen. Keine Ordnung, keine Ehre, keine Tugend läßt sich in der geringsten Handlung blikken. Meinem Vater selbst muß es heimlich über diese zügellose Kinder ekkeln. Unser Haus gleicht einem Zuchthause, in dem man alle Gattungen von Gebrechen antrift; nur bin ich unter diesen Tollen[28] am meisten zu bedauren; denn ich muß das werden aus Gram, was die andern aus Leichtsinn sind. Wahrhaftig, meine Beßte, ich fühle mich ganz am Rande des Trostes. Ich ehre die Vorsicht, aber wenn der Mensch sich selbst gedankenlos stürzt, dann verdient er ja diese Vorsicht nicht. Und was thut denn mein Vater anders, als aus seinen Kindern Elend zögeln? Meinem Oheim zu K*** werde ich schreiben; der soll reden, der muß reden, sonst ist er mein Oheim nicht. Schlafe wohl! Es schlägt zwei Uhr, und noch versagt mir die Natur ihren Zoll.

Amalie.[29]

 

XIV. Brief
An Amalie

Liebe Freundin! Dein Schiksal ist wirklich wider Dich, und besonders in Rüksicht deiner wirklichen Lage. Schon freute ich mich über deine Ruhe, schon dachte ich, es wird beßer werden, denn sie sind fort von Dem, der sie zu Grunde richten wollte. O Freundin! wie oft täuschen wir Menschen uns doch, und freuen uns über ein Nichts! Das ist gerade der Fall, wenn ich auf Dich zurüksehe; ich möchte Dich so gerne gründlich trösten: aber finde ich wohl hinlänglichen Trost, um Dich zu beruhigen? Ich will thun was mir möglich ist. Wahr ist es, das ungeschliffene Betragen deiner Basen ist und muß für Dich auffallend seyn. Denn deine Bildung und ihre Ungezogenheit sind zu starke Widersprüche, als daß Du dadurch nicht solltest gekränkt werden. Doch was ist zu thun? Aendern wirst und kannst Du sie nicht; dulde sie, so lange es dein Schiksal fodert, beruhige Dich mit einem edlen Stolz, der Dich weit über sie wegsezzen muß. Es giebt Geschöpfe in der Welt, die man nicht einmal einer[29] Verachtung würdiget, und Verachtung ist doch der lezte Grad, mit dem man einen Beleidiger strafen kann. Deine Basen verdienen Mitleid, aber ihre Eltern verdienen Verachtung, denn ihr Betragen ist eine blose Folge ihrer Erziehung. Strafbar sind jene Eltern, die ein so wichtiges Werk versäumen, wovon unser ganzes Leben abhängt; aber noch unglüklicher sind ihre Kinder, wenn sie ein Opfer der dummen Nachläßigkeit ihrer Eltern werden müßen. Dein Vater ist sehr bedaurungswürdig, und ihr armen Kinder seyd es mit ihm. Siehst du, Freundin, daß zu gut nicht gut ist? Ein allzu guter Mensch ohne Ueberlegung gleicht einem trägen Insekte, das sich aus Schlafsucht tretten läßt, ohne seinen Untergang zu fühlen. Nie muß man über Andern sich selbst vergessen. Die Menschheit selbst bürdet uns keine Pflicht auf, wenn sie auf Unkosten unsers eigenen Wohls geht. Es giebt auch blöde Menschen, die man für gut ausgiebt, und im Grunde sind sie es nicht. Ihre Wohlthaten verschwenden sie mehr aus Schwachheit als aus überzeugter Güte. Jede Wohlthat muß ihren Endzwek haben; aber bei solchen Menschen kann sie keinen haben, weil sie sie ohne Vernunft so oft unwürdig verschwenden. Das ist wirklich der Zustand deines Vaters, er macht sich und seine Kinder elend, thut Gutes aus Unbesonnenheit, und nährt das Laster, weil es über seine Schwachheit siegt. Traue auf Den, der die Quelle deines Kummers einsehen muß. Ich bin zu sehr über deinen Gram gerührt, als daß ich Dir mehr sagen könnte. Schreibe mir bald wieder, nie soll es an mir fehlen, Dir ewig zu sagen, daß ich Dich mit Thränen in den Augen heute verlasse. Lebe wohl, Amalie!

Fanny.[30]

 

XV. Brief
An Fanny

Ich schrieb Dir lange nicht, Beßte, und würde es jezt noch nicht thun, wenn Du nicht ein so gutes Geschöpf wärest. Es muß Dir ja über meinen Ton ekkeln; doch nur mein Schiksal und deine Güte sind Anlas zu meinen Klagen. Ich könnte es nicht allein ertragen, wenn ich es auch nicht mittheilen dürfte. Oft weine ich so in einem Winkel und umfasse eine Säule oder einen Fensterstok und bilde mir ein, er nehme Antheil an meinen Leiden. Könnten wir uns nicht mittheilen, wir wären weit unglüklicher; das ist so etwas, worinn wir fühlen, wie gut unser Schöpfer ist. Stelle Dir nur vor, liebe Freundin, ein neuer Mischmasch von Unordnungen nimmt jeden Tag in unserm Hause seinen Anfang, und endet nicht eher, bis diese Kreaturen sich genug herumgebalgt haben. Ihre Spötteleien, ihre Bosheiten, ihre Tollheiten sind mir unerträglich, sind Sachen, worüber ich den Verstand verlieren möchte. Selbst mein Vater, ihr Wohlthäter, dient öfters zum Gegenstand ihrer Ungezogenheit; kurz, wo ich nur immer hinsehe, sehe ich nichts, als garstige, unflätige Herzen, Kinder, die im Zorne Gottes müßen geschaffen seyn; wie schröklich bange ist mir für meine arme Schwester! Gott im Himmel! was könnte wohl aus einem so zarten Kinde bei einem solchen Beispiele werden? Das Mädchen muß um sie seyn, ich kann es nicht ändern. O könnte ich das, Fanny, könnte ich das! heute noch würde ich sie mir alle vom Halse schaffen; aber Du weißt es, Freundin, ich kann es nicht, gar nicht, denn mein Vater verbot mir die geringste Anmerkung über diesen Punkt und drohete mir dabei so fürchterlich, daß ich es nun nicht mehr wage, meine Thränen an seinem Busen zu verweinen. Auch dieser Trost ist für mich nicht[31] mehr; ich zittre jezt mehr als je vor seinen Blikken und verberge meinen Kummer, der so tief in meiner Seele herumschleicht. Glaube mir, Freundin, jezt schon fangen wir alle an die Folgen einer solchen Last zu fühlen, denn es geht so abgekürzt in unsrer Oekonomie zu, als ob sie schon an Mangel gränzte. Mein Vater sucht es zu verbergen, aber für mich nüzzen solche Kunstgriffe nichts; denn ich allein, vor allen Andern, überrechne unsre Ausgaben, und jammere gewis nicht um des blosen Schattens willen. Könnte mein Gram uns retten, so hättest Du, meine Liebe, heute gewis den lezten Abriß unsers Elends. Lebe wohl! Denke doch an deine

Amalie.[32]

 

XVI. Brief
An Fanny

Liebe Fanny! Siehe doch, wie geschwind das Menschenschiksal sich ändert! Du weißt, wie sehr ich mich hinwegsehnte, und schon heute erhältst Du diesen Brief aus meiner Vaterstadt. Geschäfte, die Niemand anders besorgen konnte, bestimmen mich hieher. Meinen Vater verlies ich unter tausend Thränen, und ohne seinen Willen wäre ich gewis nicht fort. Er selbst fand es nöthig, ich sah es auch ein, und so reiste ich in Gesellschaft seines Bruders und eines seiner Söhnen ab. Müde bin ich noch ziemlich, denn wir mußten die Reise aus Geldmangel zu Fuße machen. Es war ein kleiner Spaziergang von dreißig Meilen, schlechter Weg und eine hartherzige Gesellschaft dazu. Das Leztere besonders fiel mir schwer, sehr schwer; auch mein Herz empfand eine solche Demüthigung; aber dennoch überhüpfte meine Jugend diese Epoche mit einer Art von Leichtigkeit. Meine Begleiter waren,[32] wie gesagt, hartherzig und unartig; oft verdoppelten sie ihre Schritte, ließen mich stundenlang in den fürchterlichen Gegenden zurük, und dann mußte ich sie athemlos einholen. Ja, Freundin, so muß ich mein Schiksal nachschleppen. Ich gewöhne mich nach und nach an verschiedene Arten von Unbequemlichkeiten, und lerne recht fleißig Sachen ertragen, die nur für Unglükliche bestimmt sind; zum Glükke, daß mein Körper dauerhaft ist, sonst müßte ein Mädchen von meinem Alter gewis unterliegen. Tausend Dank meiner Mutter, daß sie mich ohne Weibersucht erzog. Wenn mich auf dieser Reise meine Einbildung gemartert hätte, wenn ich über ein rohes Lüftchen, über eine Erhizzung, einen Jammer, aus Gewohnheit, andern Leuten zur Last angestimmt hätte, da Fanny, wäre es mir gewis übel ergangen! aber geduldig, wie ein Schulfrazze, mußten mich meine Beine fortschleppen; fort hieß es, und so kamen wir hier an. Ein Vetter und eine Base nahmen mich in ihr Haus auf. Mit Nächstem etwas weitläufiger von dieser Base. Für jezt schlaf wohl, recht wohl! Ich bin

Deine Amalie.[33]

 

XVII. Brief
An Fanny

Beßte, theuerste Freundin! Wieder ein neuer Auftritt, und für mich ganz neu. Meine Base, die Thörin, ist auf mich eifersüchtig. Was wird mein Vater sagen, wenn ihm das tolle Weib im Taumel ihrer Leidenschaft schreibt? Doch er kennt mich, wird nichts schlimmes glauben. Gewis, Freundin, ich bin unschuldig. Ich konnte ja die kleinen Gefälligkeiten ihres Mannes nicht mit Gewalt von mir abwenden. Oft stund mir der Schweis auf der Stirne, wenn er so[33] auf mich lauerte und nach jeder Gelegenheit haschte, um mir seinen Eifer zu zeigen. Bis jezt kann ich Dir in Rüksicht seiner keinen Bescheid geben, denn wenn er nicht dringender wird, so mag es noch immer hingehen. Indessen kümmert mich doch diese Avantüre, denn zu was ist wohl eine eifersüchtige Frau nicht fähig? Ich wünschte Dich bei mir, um von Dir zu lernen, wie man dergleichen Auftritte mit Vernunft ausharren muß. Jezt noch ein Bischen von meinen hiesigen Verrichtungen: Du weist, daß meine Mutter ein Vermögen hinterlies, so für uns Kinder in Verwahr genommen worden. Du kannst leicht denken, wie es aussehen mag, da mein Vater schon seit zwei Jahren keine Rechnung von unserm Vormunde erzwingen kann. Stelle Dir vor, ich bin hier, um meinen rohen, fühllosen Vormund zur Gewissenhaftigkeit zu zwingen, und das mag wohl eine nicht kleine Unternehmung seyn, denn mein Vormund sieht einem geizigen Advokaten ähnlich, der unter dem Schein der Rechtschaffenheit seinen Beutel spikt. – Er empfieng mich mit einer Staatsmine die an Barbarei gränzt. In wenig Tagen mehr von diesem Toffe. – Jezt rufen mich Geschäften. Lebe wohl, meine Fanny!

Deine Amalie.[34]

 

XVIII. Brief
An Amalie

Nicht wahr, meine Beßte, meine Kleinmuth, die Du in meinem lezten Briefe magst bemerkt haben, war Ursache, daß Du mir so lange nicht schriebst? – Vergieb mir, ich bitte Dich! – Es war Liebe zu Dir, die mir auf einmal das Herz brach und mich zur armseligsten Philosophin machte. Es giebt gewiße Augenblikke wo man fühlt, daß[34][35][36]