Friedrich Hebbel: Gyges und sein Ring

 

 

Friedrich Hebbel

Gyges und sein Ring

Eine Tragödie in fünf Akten

 

 

 

Friedrich Hebbel: Gyges und sein Ring. Eine Tragödie in fünf Akten

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Benozzo Gozzoli, Die Nachtwache des Hirten, 15. Jahrhundert

 

ISBN 978-3-8430-8748-3

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9912-7 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9913-4 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Wien (Tendler und Comp.) 1856. Uraufführung am 25.4.1889 in Wien.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Friedrich Hebbel: Werke. Herausgegeben von Gerhard Fricke, Werner Keller und Karl Pörnbacher, Band 1–5, München: Hanser, 1963.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

Einen Regenbogen, der, minder grell, als die Sonne,

Strahlt in gedämpftem Licht, spannte ich über das Bild;

Aber er sollte nur funkeln und nimmer als Brücke dem Schicksal

Dienen, denn dieses entsteigt einzig der menschlichen Brust.

 

 

 

Personen

Kandaules, König von Lydien.

 

Rhodope, seine Gemahlin.

 

Gyges, ein Grieche.

 

Lesbia,

Hero, Sklavinnen.

 

Thoas,

Karna, Sklaven.

 

Volk.

 

Die Handlung ist vorgeschichtlich und mythisch; sie ereignet sich innerhalb eines Zeitraums von zwei Mal vierundzwanzig Stunden.[8]

 

Erster Akt

Halle.

Kandaules und Gyges treten auf. Kandaules schnallt sich das Schwert um, Thoas folgt mit dem Diadem.

 

KANDAULES.

Heut sollst du sehn, was Lydien vermag! –

Ich weiß, ihr Griechen, wenn auch unterwürfig,

Weil ihr nicht anders könnt, tragt knirschend nur

Das alte Joch und spottet eurer Herrn.

Auch wird nicht leicht was auf der Welt erfunden,

Das ihr nicht gleich verbessert: wärs auch nur

Der Kranz, den ihr hinzufügt, einerlei,

Ihr drückt ihn drauf und habt das Ding gemacht!

THOAS reicht ihm das Diadem.

KANDAULES.

Das neue Diadem! Was soll mir dies?

Hast du dich auch vielleicht im Schwert vergriffen?

Ja, beim Herakles, dessen Fest wir feiern!

Ei, Thoas, wirst du kindisch vor der Zeit?

THOAS.

Ich dachte –

KANDAULES.

Was?

THOAS.

Seit fünf Jahrhunderten

Erschien kein König anders bei den Spielen,

Die dein gewaltger Ahn gestiftet hat,

Und als du es das letzte Mal versuchtest,

Die alten Heiligtümer zu verdrängen,

Da stand das Volk entsetzt und staunend da

Und murrte, wie noch nie!

KANDAULES.

Nun meinst du denn,

Ich hätts mir merken und mich bessern sollen,

Nicht wahr?

THOAS.

O Herr, nicht ohne einen Schauder

Berühre ich dies Diadem, und nie

Hab ich dies Schwert am Griff noch angefaßt,

Das alle Herakliden einmal schwangen.

Doch deinen neuen Schmuck betracht ich ganz,

Wie jedes andre Ding, das glänzt und schimmert,

Und das man hat, wenn mans bezahlen kann.[9]

Nicht an Hephästos brauche ich dabei

Zu denken, der dem göttlichen Achill

Die Waffen schmiedete, und in dem Feuer,

Worin er Zeus die Donnerkeile stählt,

Auch nicht an Thetis, die durch ihre Töchter

Ihm Perlen und Korallen fischen ließ,

Damit es an der Zierde nicht gebreche:

Ich kenn den Mann ja, der das Schwert geliefert,

Und jenen, der das Diadem gefügt!

KANDAULES.

Nun, Gyges?

THOAS.

Herr, die Treue spricht aus mir,

Bin ich zu kühn, so bin ichs deinetwegen!

Und glaube mir: die vielen Tausende,

Die hier zusammenströmen, wenn sie auch

In feinrer Wolle gehn und leckrer essen,

Sind ganz so törigt oder fromm, wie ich.

Dein Haupt und dieser Reif, das sind für sie,

Trau deinem Knecht, zwei Hälften eines Ganzen,

Und ebenso dein Arm und dieses Schwert.

KANDAULES.

Das denken alle?

THOAS.

Ja, bei meinem Kopf!

KANDAULES.

So darfs nicht länger bleiben! Nimm denn hin

Und tu, was ich gebot.

THOAS mit dem alten Schmuck ab.

GYGES.

Du tatst ihm weh.

KANDAULES.

Ich weiß, doch sprich: wie hätt ichs ändern können?

Wahr ist, was er gesagt! Hier gilt der König

Nur seiner Krone wegen und die Krone

Des Rostes wegen. Weh dem, der sie scheuert,

Je blanker, um so leichter an Gewicht.

Allein, was hilfts, wenn man sich nun einmal

So weit vergaß, weil mans nicht mehr ertrug,

Bloß durch den angestammten Schmuck zu glänzen,

Zu gelten, wie geprägte Münzen gelten,

Die keiner wägt, und mit den Statuen,

Die in geweihten Tempelnischen stehn,

Die schnöde Unverletzlichkeit zu teilen:

Man kann doch nicht zurück?[10]

THOAS kommt mit dem neuen Schmuck.

KANDAULES.

So ist es recht!

 

Er setzt das Diadem auf.

 

Das sitzt! Und alles, was mein Königreich

Im Schacht der Berge und im Grund des Meeres

An Perlen und Kleinodien nur liefert,

Nicht mehr, noch weniger, ist hier vereint:

Der Edelstein, den man bei uns nicht findet,

Und wär er noch so schön, ist streng verbannt,

Doch freilich ließ ich auch für den noch Platz,

Den man in hundert Jahren erst entdeckt. –

Begreifst du nun?

 

Zu Gyges.

 

Das andre eignet sich

Für einen Riesenkopf, wie eure Bildner

Ihn meinem Ahnherrn wohl zu geben pflegen,

Wenn er im Löwenfell mit plumper Keule

Von eines Brunnens moos'gem Rand herab

Die Kinder euch erschrecken helfen soll.

 

Er gürtet sich das Schwert um.

 

Dies Schwert ist etwas leichter, wie das alte,

Doch dafür kann mans schwingen, wenn man muß,

Und nicht bloß draußen, unterm freien Himmel,

Wo die Giganten sich mit Felsen werfen,

 

Er ziehts und schwingts.

 

Nein, auch in menschlich engem Raum, wie hier!

Drum Thoas, spar dir ja die dritte Rede,

Die zweite hört ich heut!

THOAS.

Vergib mir, Herr!

Doch weißt du: nicht die jungen Glieder sinds,

In denen sich ein Wittrungswechsel meldet,

Die alten Knochen spüren ihn zuerst!

 

Ab.

 

GYGES.

Er geht betrübt.

KANDAULES.

Gewiß, er siehts nicht gern,

Daß jetzt der nächste Donnerkeil mich trifft,

Und das steht fest für ihn, es wäre denn,

Daß mich die Erde früher schon verschlänge,[11]

Wenn nicht der Minotaurus gar erscheint! –

So sind sie, denke darum aber nicht

Gering von ihnen! Nun, noch heute wirst du

Sie spielen sehn!

GYGES.

Und wünsche, mitzuspielen.

KANDAULES.

Wie, Gyges?

GYGES.

Herr, ich bitte dich darum!

KANDAULES.

Nein, nein, du sollst an meiner Seite sitzen,

Damit ein jeder sieht, wie ich dich ehre,

Und wie ich will, daß man dich ehren soll.

GYGES.

Wenn du mich ehrst, so schlägst du mirs nicht ab.

KANDAULES.

Du weißt nicht, was du tust! Kennst du die Lyder?

Ihr Griechen seid ein kluges Volk, ihr laßt

Die andern alle spinnen und ihr webt.

Das gibt ein Netz, wovon kein einzger Faden

Euch selbst gehört, und das doch euer ist!

Wie leicht wärs zugezogen und wie rasch

Die ganze Welt gefangen, wenn der Arm

Des Fischers nur ein wenig stärker wäre,

Der es regieren soll. Da aber fehlts!

Ihr könnt durch keine Kunst die Nervenstränge

Uns aus dem Leibe haspeln, darum stellen

Wir uns viel blinder, als wir wirklich sind,

Und gehn zu unsrem eignen Spaß hinein:

Ein kleiner Ruck macht uns ja wieder frei.

GYGES.

Wir feiern diese Spiele auch.

KANDAULES.

Ja, ja!

So unter euch! Da ringt der Dorier

Mit dem Jonier, und mischt am Ende

Gar der Böotier sich mit hinein,

So glaubt ihr, Ares selber schaue zu

Und merke sich mit Schaudern jeden Streich.

Gyges, und wenn du alle Preise dort

Errungen hättest, warnen müßt ich dich,

Hier auch nur um den letzten mitzukämpfen.

Denn wild und blutig ging es immer her,

Doch würbest du, der Grieche und mein Günstling,

Auch nur um einen Zweig der Silberpappel,[12]

Wie man sie heut zu Tausenden verstreut:

Du kämst mit deinem Leben nicht davon.

GYGES.

Nun habe ich dein Ja, du kannst mirs jetzt

Nicht länger vorenthalten!

KANDAULES.

Nimmst dus so?

Dann muß ich schweigen!

GYGES.

Herr, ich kam nicht bloß,

Zu bitten!

 

Er zieht einen Ring hervor.

 

Nimm! Es ist ein Königsring!

Du siehst ihn an, du findest nichts an ihm,

Du staunst, daß ich ihn dir zu bieten wage,

Du wirst ihn nehmen, wie vom Kind die Blume,

Nur um die arme Einfalt nicht zu kränken,

Die dir sie brach, nicht, weil sie dir gefällt.

Unscheinbar ist er, das ist wahr, und schlicht,

Und dennoch kannst du für dein Königreich

Ihn dir nicht kaufen, noch ihn mit Gewalt

Trotz aller deiner Macht, dem Träger rauben,

Wenn er ihn dir nicht willig reichen will.

Trägst du ihn so,

 

Mit Zeichen und Gebärden.

 

daß das Metall nach vorn

Zu sitzen kommt, so ist er bloß ein Schmuck,

Vielleicht auch keiner, aber drehst du ihn

So weit herum, daß dieser kleine Stein,

Der dunkelrote, um sich blitzen kann,

So bist du plötzlich unsichtbar und schreitest,

Wie Götter in der Wolke, durch die Welt.

Darum verschmäh ihn nicht, denn noch einmal:

Es ist ein Königsring, und diesen Tag

Ersah ich längst, ihn dir zu übergeben,

Du bist der einzge, der ihn tragen darf!

KANDAULES.

Von unerhörten Dingen kam auch uns

Die Kunde zu, man sprach von einem Weibe,

Medea hieß sie, welche Künste trieb,

Die selbst den Mond herab zur Erde zogen,

Doch nie vernahm ich noch von diesem Ring.[13]

Woher denn hast du ihn?

GYGES.

Aus einem Grabe,

Aus einem Grabe in Thessalien!

KANDAULES.

Du hast ein Grab erbrochen und entweiht?

GYGES.

Nein, König, nein! Erbrochen fand ichs vor!

Ich kroch nur bloß hinein, um mich vor Räubern

Zu bergen, die in großer Überzahl

Mir auf der Fährte waren und mich hetzten,

Als ich in abenteuerlichem Triebe

Das öde Waldgebirge jüngst durchstrich.

Die Aschenkrüge waren umgestoßen,

Die Scherben lagen traurig durcheinander,

Und in dem falben Strahl der Abendsonne,

Der durch die Ritzen des Gemäuers drang,

Sah ich ein Wölkchen blassen Staubes schweben,

Das vor mir aufstieg, als der letzte Rest

Der Toten, und so seltsam mich bewegte,

Daß ich, um meinesgleichen, meine Väter

Vielleicht, nicht unwillkürlich einzuatmen,

Den Odem lange anhielt in der Brust.

KANDAULES.

Nun? Und die Räuber?

GYGES.

Hatten meine Spur

Verloren, wie's mir schien, denn fern und ferner

Verhallten ihre Stimmen, und ich glaubte

Mich schon gesichert, wenn ich auch noch nicht

Mein dämmriges Asyl verließ. Als ich

Nun so auf meinen Knieen kauerte,

Erblickte ich auf einmal diesen Ring,