Seneca: Der rasende Herkules. Tragödie in fünf Akten
Übersetzt von Wenzel Alois Swoboda
Neuausgabe.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Peter Paul Rubens, Herkules, 1632
ISBN 978-3-8619-9552-4
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-9431-3 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-9432-0 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden um 53 n. Chr. Der Text folgt der Übersetzung von Wenzel Alois Swoboda.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
JUNO allein.
Des Donn'rers Schwester, – denn der Nahm' allein
Bleibt übrig mir – verließ ich Jupitern,
Deß Liebe immer mir entfremdet ist,
Verließ des reinen Aethers hohe Burg.
Ich lasse meinen Thron, vom Himmel ausgestoßen,
Den Dirnen. Erde, dich bewohn' ich nun;
Den Himmel füllt der Buhlerinnen Schaar. –
Dort schimmert an dem eis'gen Pol der Stern,
Der Arktos, der Argiver-Schiffe leitend;
Es leuchtet dort der tyrischen Europa
Entführer, wo der laue Lenz ersteht,
Der läng're Tage bringt, und dorten schweift
Der Atlantiden droh'nde Sternenherde,
Davor der Schiffer zagt, zerstreut umher.
Dort schreckt Orion mit gezücktem Schwerte
Die Götter selbst, hier schimmern goldighell
Des Perseus Sterne, hier der Tyndariden,
Der Zwillingsbrüder, leuchtendes Gestirn.
Und hier das Götterpaar, bey deß Geburt
Das schwanke Eiland fest gewurzelt stand.
Und Bacchus nicht allein mit seiner Mutter
Ging zu den Himmeln ein; damit das Maß
Der Schande voll sey, blinket der Kranz
Des Kreter-Mädchens hell im Sternenreih'n.
Doch Altes, längst Gescheh'nes klag' ich da! –
Wie oft hat nur das fluchbelad'ne Theben,
Dieß Land allein, an frechen Dirnen reich
Zur Mutter mich gemacht verhaßter Söhne?
Ha, steig' empor, nimm meinen Platz nur ein,
Alkmene! Auch dein Sohn, er schwinge, wie's
Verheißen ihm, zu Sternen sich empor!
Bey seiner Zeugung ward der Tag gehemmt,
Und Phöbus ging spät aus der Eos Meer'
Erst auf, und mußt' auf Jupiters Geheiß
Sein Strahlenhaupt im Ocean verbergen.
Mein Haß soll nicht so leicht hingeh'n. Es treibt
Zur Rache mich mein wild empörter Geist,
Mein Zorn weiß nichts vom Frieden, will nur Krieg.
Was Krieg? – Was Scheußliches die Erd' erzeugt,
Was Ungeheu'res, Grauses, Gräßliches,
Verderbendes die Luft, das Meer nur faßt,
Hat er bezwungen, längst sich unterworfen.
Er siegt, wird größer nur durch die Gefahr,
Und freuet meines Zornes sich sogar.
Zu seinem Ruhme kehrt er meinen Haß;
Und während ich ihm grausen Kampf gebiethe,
Beweis't er siegend sich als Sohn des Zeus.
Dort, wo des Tages Leuchte untergeht,
Und wo sie hell aus Meeresfluthen steigt,
Wo Phöbus ferner Aethiopen-Stämme
Mit heiß'rem Strahle bräunt, all überall
Wird seine nie besiegte Kraft gerühmt,
Und alle Welten preisen ihn als Gott.
Ich habe keine Ungeheu'r mehr;
Ja leichter ist's, dem Herkules zu thun,
Was ich geboth, als mir auf eine That
Zu sinnen. Freudig führt er alles aus.
Kein Schreckensauftrag des Tyrannen kann
Den Jüngling beugen. Was ihn zu verderben
Bestimmt, bezwang er, trägt er nun
Als Waffen. Seht, der Leu dient ihm zur Rüstung;
Der Hydra Gift macht seine Pfeife furchtbar.
Die Erde hat schon Raum nicht mehr für ihn;
Sieh', er durchbrach des Höllengottes Pforte
Bringt Siegeszeichen mit zur Oberwelt
Die dem bezwung'nen Herrscher er entnahm.
Ihm ist es an der Rückkehr nicht genug;
Ja er zerbrach des Schattenreichs Gesetze.
Ich sah, ich sah ihn selbst, wie er die Nacht
Der Unterwelt zerriß, den Dis bezwang
Und sich des Sieges vor dem Vater rühmte
Ob dessen Bruder. Warum führt er nicht,
Von Kettenlast gebeuget, ihn herauf,
Der durch das Loos mit Zeus sein Erbe theilte?
Was herrscht er nicht im Erebus, den er
Erobert? Was deckt er den Styx nicht auf?
Den Schatten ist die Bahn vom Abgrund offen
Zur Wiederkehr, und die Geheimnisse
Des grausen Todes sind jetzt offenbar.
Doch er, der Schatten dunkle Haft zersprengend,
Er triumphiert jetzt über mich, und schleppt
Mit stolzer Hand den Höllenhund durch Argos
Und seine Städte all'! Ich sah den Tag,
Als er den Cerberus gewahrt, sich trüben,
Ich sah die Sonn' erblassen. Ja mich selbst
Ergriff ein Schauer, als die Drillingshäupter
Ich sah des Ungethüms, das er bezwang,
Und zagte selbst, daß ich es ihm gebothen.
Doch klag' ich da um allzu kleines Leid.
Dem Himmel droht Gefahr, daß er den Thron
Der Götter nicht erstürme, der den Abgrund
Bezwang, daß er dem Vater nicht sein Zepter
Entreiße. Friedlich gehet dieser nicht
Zum Himmel ein, wie Bacchus, er erzwingt
Durch Trümmer sich die Bahn, und wird gewaltig
Im öden Reich der Welten herrschen wollen. –
Auf die erprobte Kraft ist er so stolz;
Er hat erkannt, den Himmel, den er trug,
Den könne wohl auch seine Stärke zwingen.
Er lud das Weltgebäude auf sein Haupt,
Und die endlose ungeheu're Wucht
Vermochte nicht, die Schultern nur zu rücken,
Und unbewegt auf Herkul's Halse lag
Der Pol. Die Sterne und den Himmel trug
Sein Nacken ungebeugt, sammt mir, die hassend
Ihn niederdrücken wollte. Ha er will
Empor sich zu den Göttern schwingen. Auf!
Mein Zorn, ermanne dich, zermalme ihn,
Den Kühnen, der so Großes wagt zu sinnen!
Auf, kämpfe selbst mit ihm, zerreiße ihn
Mit eig'ner Hand, was überlässest du
Die Rache Andern? Fort mit wilden Thieren,
Eurystheus lasse ab, auf neue Müh'n
Für ihn zu sinnen. – Die Titanen, die
Das Reich des Zeus zu stürmen wagten, laß
Nun los auf ihn; des Aetna Höhlen öffne;
Der Dorer Pflanzland thu' sich zitternd auf,
Der Riese spring' empor, und schreckend rage
Sein Hals, frey von der schweren Haft, hervor!
Der Mond erzeuge neue Ungeheuer! –
Ha! die hat er schon alle ja besiegt.
Wie? Suchst du einen Feind, der dem Alciden
Sich stelle? Keiner ist es denn – Er selbst.
Wohlan, er kriege mit sich selbst. – Herbey,
Vom tiefsten Schlund des Tartarus herbey,
Ihr Eumeniden! Flammen sprüh' das Haar,
In grimmen Händen schwinget Schlangengeißeln! –
Ha, geh' nun Stolzer, streb' empor zum Sitz
Der Himmlischen, verschmäh' der Menschheit Loos!
Glaubst du schon, Uebermüthiger, dem Styx,
Dem Tod entfloh'n zu seyn? – Jetzt zeig' ich dir
Des Todes Schrecken erst. Ich stürze dich
Hinab zur tiefsten Nacht, weit unter der
Verdammten Qualensitz hinab. Ich führe
Der Zwietracht Göttinn dort, wo wiederhallt
Die Felsenkluft von gellendem Gezänk,
Herauf, und reiße Alles, was im Abgrund
Des Hades sich noch bergen mag, hervor.
Herauf, du schwarzer Frevel, und du, Wuth,
Die unnatürlich leckt ihr eig'nes Blut!
Du Wahnsinn, und Verzweiflung, die du wider
Dich selber wüthest, alle kommt herbey,
Ihr sollt die Diener meiner Rache seyn! –
Auf denn, des Hades Dienerinnen, schwingt
Der Fackel Gluth! Megära, führe du
Den Reihen an, vom Schlangenhaar umgraus't,
Raff' einen glühen Brand vom Leichenfeuer,
Frisch auf, und rächt die Schmach des Styx an ihm!
Erschüttert seine Brust, und heiß're Gluth
Schürt an in seinem Geist! Daß sinnlos der
Alcide rase, Wuth ihn ganz erfülle,
Muß ich, die Juno, selbst erst rasen. Ha!
Warum entbrennest du noch nicht in Wuth?
Auf mich, ihr Schwestern, schwinget eure Fackeln,
Auf mich zuerst, auf daß ich rase; denn
Ein Werk, stiefmütterlichen Hasses werth,
Beginn' ich nun. – Geändert ist mein Plan. –
Er soll die Kinder wiederseh'n, gesund
Und wohl sie treffen, das ist nun mein Wunsch;
Er kehre sieghaft heim. Gekommen ist
Der Tag, an dem mich Herkul's Kraft erfreut.
Er soll mich überwinden, und sich selbst,