Hedwig Dohm: Der Frauen Natur und Recht

 

 

Hedwig Dohm

Der Frauen

Natur und Recht

Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen

 

 

 

Hedwig Dohm: Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Fotografie um 1870

 

ISBN 978-3-8430-8275-4

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9384-2 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9385-9 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Berlin (Wedekind & Schwieger) 1876.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Hedwig Dohm: Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen, Berlin: Wedekind & Schwieger, 1876.

 

Dieses Buch folgt in Rechtschreibung und Zeichensetzung obiger Textgrundlage. Die inkonsequente Zählung der Abschnitte wurde übernommen.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Die Eigenschaften der Frau

Bücher oder Aufsätze, welche Ideen propagiren, die ihren tour du monde noch nicht gemacht haben, laufen stets Gefahr (ich spreche aus eigenster Erfahrung), die willkürlichsten Oktroyirungen, Fälschungen und Entstellungen von böswilligen Kritikern zu erfahren.

Um mich vor solchen Falschmünzereien des Geistes zu schützen, stelle ich an den Anfang meiner Abhandlung einen Satz, der eigentlich an den Schluß derselben gehörte. Ich erkläre nämlich, daß ich in dem folgenden Aufsatz durchaus nicht behaupte, daß die Eigenschaften des Weibes identisch seien mit denen des Mannes. Im Gegentheil, ich spreche meine Ueberzeugung ausdrücklich dahin aus, daß ich an eine Verschiedenheit der männlichen und weiblichen Seele glaube.

Weil meine subjectiven Anschauungen aber auf diesem Gebiet nichts sind und nichts sein können, als Hypothesen oder Inspirationen, die einer genügend wissenschaftlichen oder empirischen Grundlage entbehren, so hüte ich mich, sie dem Publikum aufzudrängen.

Als ich den nachfolgenden Aufsatz beendet hatte, war ich einen Augenblick nahe daran, ihn in's Feuer zu werfen. Was wird durch solches Geschreibsel gefördert,[1] fragte ich mich, wen bekehrst du damit? Wahrscheinlich Niemand. Wenn ich ihn trotzdem nicht verbrannte, so hielt mich folgende Reflexion davon zurück: Ist diese Abhandlung, sagte ich mir, auch nur ein kleines Detailgefecht, ein unbedeutendes Geplänkel, so gilt es doch, wie meine früheren Schriften, dem Todfeinde des heutigen Menschengeschlechts, der Heuchelei. Der Heuchelei, die entweder die servile Magd einer Parademoral ist, die das Wort setzt an Stelle der That und die Zunge anstatt des Herzens, oder sie ist eine eiserne Maske, hinter der straflos alle Todsünden incognito begangen werden. Und ich sagte mir: wer auch nur die Haut dieser modernen Sündenschlange ritzt, der sollte stets, wenn er eines Buchhändlers oder eines Redakteurs habhaft werden kann, seine That drucken lassen. Kleine Vorpostengefechte müssen den großen Schlachten vorausgehen.[2]

 

Mann und Weib besitzen verschiedene moralische und geistige Eigenschaften, ihrer verschiedenen körperlichen Organisation entsprechend, auf Grund deren die Beziehungen der Geschlechter von der Zeit Eva's bis zur Gegenwart bestimmt worden sind.

Diesen oder ähnlichen Aussprüchen und Phrasen ist die Ehre zu Theil geworden, als Wahrheit und Grundprincip seit unvordenklichen Zeiten in Aller Munde zu leben und in den Geistern Aller zu wirken.

Zu untersuchen ob und inwieweit obiger Ausspruch auf Wahrheit beruhe, zu erforschen, ob die Eigenart des weiblichen Geschlechts, seine charakteristischen Eigenthümlichkeiten sich auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse heut schon bestimmen lassen, ist der Zweck dieses Aufsatzes.

Eine vorurtheilsfreie und erfolgreiche Untersuchung auf diesem Gebiete kann aber nur unternommen werden, indem wir den Nimbus des Alterthums an obiger Phrase völlig mißachten, und indem wir unsere Vorstellungen der schleppenden Gewänder der Tradition entkleiden. Erst wenn die Vernunft sich aller vergilbten Flittern kindischer Phantasien, alles morschen geistigen Gerümpels entledigt hat, erst dann vermag[3] sie ihre Fittige frei zu entfalten, entgegen dem Lichte der Wahrheit.

 

Die Völker unterscheiden sich von einander durch bestimmte charakteristische Eigenschaften. Jede Nation hat ihr eigenthümliches Gepräge, sie hat eine Volksseele. Sind nun diese Völkereigenthümlichkeiten zu betrachten als Eigenschaften, die in der Natur des betreffenden Volkes organisch wurzeln? Sind sie in den Schooß des Volkes gesenkt als ein Keim, der, gleichviel unter welchem Himmelsstrich und unter welchen Verhältnissen, sich nach unumstößlichen Gesetzen, mit eherner Nothwendigkeit entwickeln mußte, so wie er sich entwickelt hat?

Keineswegs.

Der Glaube an die uranfänglich eingeborne Volksseele ist ein metaphysischer Aberglaube. Die Wissenschaft lehrt, daß die Eigenart eines Volkes erzeugt und bedingt wird durch Boden, Klima und Geschichte, durch die politischen und ökonomischen Zustände eines Landes.

Wer einen klaren Einblick in die allmähliche Entwickelung einer solchen Volksseele gewinnen will, der lese die Geschichte Spaniens und er wird ohne große[4] Schwierigkeit den Bedingungen folgen können, unter denen sich die Bigotterie und der Hochmuth, die Trägheit, die Sinnlichkeit und die Tapferkeit der Spanier entwickeln mußten. Die Spanier, ohne den Einfall der Saracenen und ihren achthundertjährigen Maurenkrieg, ohne die Inquisition, ohne die rauhen und unwegsamen Berge ihres Landes, ohne ihre verabscheuenswerthen Dynastien, wären nimmermehr die Spanier geworden, wie sie heut sich uns darstellen.

Die nationalen Eigenthümlichkeiten eines Volkes finden wir gleichmäßig unter seinen verschiedenen Klassen und Ständen verbreitet. An der Eitelkeit und Ruhmsucht des Franzosen participiren alle Bürger Frankreichs; dasselbe gilt von der Bedächtigkeit und dem Phlegma des Holländers, von der Selbstständigkeit, dem gesunden Menschenverstand und dem Freiheitssinn des Engländers u.s.w.

Bei gründlicherer und schärferer Beobachtung eines Volkes aber erkennen wir, daß außer diesen, allen Schichten der Bevölkerung gemeinsamen Eigenthümlichkeiten sich Stände und Klassen im Lauf der Zeit innere und äußere Eigenschaften erwerben, die sie von einander unterscheiden. Ja, der Satz wird aufgestellt, daß jede einzelne Berufsart die zu ihr gehörenden[5] Individuen mit einem bestimmten Charaktergepräge versieht.

Von so detaillirten Eigenschaftstheilungen wollen wir hier absehen und uns nur mit allgemeineren Kategorien beschäftigen.

So wären z.B. als kennzeichnende Eigenschaften des Aristokraten anzuführen: Stolz, reizbares Ehrgefühl, hohes Selbstbewußtsein, Uebermuth, Genußsucht u.s.w., während Züge von naturwüchsiger Kraft, von Rohheit und Maßlosigkeit charakterisirend für den Proletarier sind.

Haben wir nun derartige Eigenthümlichkeiten bestimmter Klassen und Stände als ein Charaktergepräge von Gottes Gnaden oder Ungnaden aufzufassen?

Durchaus nicht.

Der Mann aus dem indischen Volk, der demüthig den Fuß seines Herrn und Kaisers auf seinen Nacken setzt – laßt ihn, in Folge irgend eines wunderbaren Schicksals, als Fürst erzogen werden und umgekehrt den Fürsten als Sudra (Mann aus dem Volke) so würde eine Vertauschung der Füße und Nacken stattfinden, ohne irgend einen inneren oder äußeren Widerspruch von Seiten des Treters oder des Getretenen.

Doch bleiben wir mit unsern Beispielen in Europa. Setzen wir den Fall, daß eine Aristokratin und[6] eine Proletarierfrau ihre Säuglinge miteinander vertauschten. Der kleine Proletarier, in die Wiege des Fürsten gelegt und als Fürst auferzogen, wird nicht weniger hochmüthig, genußsüchtig, übermüthig und conservativ sich geberden als der geborne Fürst.

Der Fürst aber, in der Proletarierhütte groß geworden und lebenslang zu harter Arbeit verdammt, wird die Anschauungen seiner Berufsgenossen, er wird ihre Sitten, Denkweise und Wünsche theilen. Und schwerlich würde es jemals geschehen, daß der vertauschte Fürst, mit der Maurerkelle, dem Kehrbesen oder der Mistgabel in der Hand, sich vom göttlich aristokratischen Instinct getrieben, heimlich auf die Kreuzzeitung abonnirte, oder daß er bei Kümmel und Schwarzbrot auf das Wohl des Adels toastete und auf Rennpferde wettete. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß er, unbeirrt durch irgend eine Stimme des Bluts, für Gleichheit der Genüsse und Rechte aller Menschen schwärmen und socialdemokratischen Zuflüsterungen sein Ohr nicht verschließen würde.

Ebensowenig ist anzunehmen, daß der Proletarier, der in aristokratischer Umgebung erwachsen ist, zu einem demokratischen Flammenbrand entarte. Viel eher wird er auf seine Standesbrüder da unten als auf eine Schwefelbande schimpfen und seine kräftige Stülp-,[7] Stumpf- oder Kartoffelnase mit der Funktion eines Petroleumriechers betrauen. Und der Duft von Schnaps und Kartoffeln, den Fütterungsgegenständen seiner Geburtsgenossen wird nicht, wie der Kuhreigen in der Seele des Schweizers, sehnsüchtige Heimathsgefühle in ihm wachrufen nach der Proletarierhütte seiner Väter.

Brüder des Bluts werden nur Brüder im Geiste sein, wenn sie in derselben geistigen und physischen Atmosphäre großgezogen sind. »Macht denn das Blut den Vater?« sagt der weise Nathan. Viel weniger macht das Blut, außer in Novellen und Balladen, den Aristokraten oder den Proletarier. Nicht die Geburt, die Lebensatmosphäre ist es fast allein, die den Individuen ihr unvertilgbares Gepräge aufdrückt.

Wohlverstanden – ich spreche hier nur von Standes- oder Klasseneigenthümlichkeiten, nicht von individuellen Eigenschaften, wie Verstand und Dummheit, Gemeinheit und Edelsinn, Melancholie und Lustigkeit, die zum Theil auf Vererbung beruhen, und die wir auf der Höhe und in der Tiefe der menschlichen Gesellschaft so ziemlich gleichmäßig vertheilt finden, unter Geheimräthen und Kutschern, unter Tugendspiegeln und Dirnen, unter Gottesfürchtigen und Atheisten u.s.w.

Wie nun die Volksseele, wie die charakteristische[8] Eigenart der verschiedenen Klassen und Stände, der sogenannte Klassen- und Standesgeist, ein Resultat äußerer Bedingungen, gewisser socialer und geschichtlicher Zustände und Entwickelungen sind, so sind es auch sociale und historische Entwickelungen und Zustände, denen wesentliche Züge in der Eigenart der Frau ihren Ursprung verdanken. Stellen wir uns zur Klarlegung unsrer Aufgabe folgende Fragen:

 
 

1) Beschäftigen wir uns zuvörderst mit denjenigen Eigenschaften, welche die Frauen einem »on dit« zufolge haben sollen.

Wenn wir uns die Urtheile und Aussprüche vergegenwärtigen, die von Dichtern und Prosaikern, von Narren und Weisen, von Dummköpfen und erhabenen Denkern, von den ältesten Zeiten bis zum heutigen[9] Tage über Frauen gefällt worden sind und gefällt werden, so können wir uns eines tiefen Staunens nicht erwehren, eines Staunens über die unfaßlichen Widersprüche, die uns allerorten entgegentreten und verwirren.

Nach allen diesen Auslassungen erscheint das Weib als ein Potpourri der allerentgegengesetztesten Eigenschaften, als ein Kaleidoscop, das, je nachdem man es schüttelt, jede beliebige Charakternüance in Form und Farbe zu Tage fördert. Der Grundstoff dieser weiblichen Seelen scheint nach dem Dafürhalten der kritisirenden Menge ein chaotischer Nebel, aus dem willkürlich der Schöpfermund des Mannes jeder von ihm beliebten Eigenschaft sein »Werde« zuruft.

Wenn eine statistische Controlle darüber zu führen wäre, wie oft z.B. einerseits die Frau als sanftes, keusches, schüchternes Wesen gepriesen, und andrerseits als zanksüchtig, impertinent und in Sinnlichkeit befangen getadelt worden ist, so würden sich diese entgegengesetzten Urtheile der Zahl nach wahrscheinlich die Waage halten.

Das Weib ziehe den Mann in eine niedere Sphäre des Lebens herab – heißt es hier – und dort: sie umschwebe mit poetischem Hauch den häuslichen Heerd und den Gatten. Hier plaidirt eine Gruppe rechtschaffener[10] Männer dafür, daß die Frau nur für die körperliche Nachwelt geschaffen sei, eine Anschauung, aus der man folgern sollte, daß das mit einer robusten Körperlichkeit ausgestattete Weib die Incarnation des Frauenthums darstelle. Dagegen aber protestiren alle jene Herren poetischen Kalibers, die uns die wahre Frau als ein äthergleiches Wesen schildern, das sie am liebsten mit Mondstrahlen, Aeolsharfen, Musik, Blüthenstaub, Lilienblättern u.s.w. vergleichen: Der einen Partei scheint das passendste Lokal zur Conservirung echter Weiblichkeit – ein Piedestal, der andern – Küche und Kinderstube. Wie also und was, meine Herren, lebendige und verstorbene, sind die Frauen nach Ihrer Meinung?

Sie sind Sphynxe, Undinen, Märchen, Räthsel, Mysterien.

Sie sind flach, trivial, hausbacken.

Sie sind Elfen, Feen, Pucks, Engel.

Sie sind Drachen, böse Sieben, Xantippen, Dämonen, Vampyre.

Sie sind schüchtern, sanft, zart.

Sie sind dreist, geschwätzig, klatschsüchtig.

Sie sind harmlos, einfach, sinnig, naiv.

Sie sind von raffinirter Berechnung, listig, intrigant.[11]

Sie sind keusch, sparsam, schamhaft.

Sie sind leichtfertig, putzsüchtig, üppig.

Diese Blumenlese von Widersprüchen könnte leicht bis in's Unendliche fortgeführt werden.

Wie die Meinungen über die Frauen entstehen und was sie bedingt, darüber gibt uns ein französischer Schriftsteller einen Fingerzeig, indem er uns folgende kleine Rede hält: »Einer meiner Freunde«, so erzählt er, »berauscht vom Duft der ersten Jugendblüthe, hatte in seinem Debütanten-Enthusiasmus folgenden Gedanken, dessen geringster Fehler der Mangel an Neuheit ist, niedergeschrieben: ›Niemals wird man von den Frauen so viel Gutes sagen können, als sie verdienen.‹« – Der Gedanke eines glücklichen Mannes.

Einige Jahre später hatte dieser originelle Denker Grund, oder glaubte ihn zu haben, sich über die Frauen zu beklagen. Voll Zorn strich er ein Wort seines Satzes aus, ersetzte es durch ein anderes und die Fassung seiner Sentenz lautete: »Niemals wird man von den Frauen so viel Böses sagen können, als sie verdienen.« – Der Gedanke eines unglücklichen Mannes.

Viel später, als seine Seele alle die Stadien, die im Leben der meisten Männer unausbleiblich sind, durchlaufen hatte, nahm er seinen Satz wieder auf,[12] um abermals einige Worte auszulöschen und andere hinzuzufügen, und sein Gedanke erhielt folgende Prägung: »Man wird niemals von den Frauen so viel Gutes und so viel Schlechtes sagen können, als sie verdienen.«

Die Männer, indem sie von den Eigenschaften der Frauen sprechen, haben gewiß alle Recht. Ganz gewiß gibt es Frauen, die nur für die körperliche Nachwelt da sind, es gibt geschwätzige, sanfte, intrigante, blutgierige, grausame Weiber, es gibt unter den Frauen: Aeolsharfen, Engel, Teufel, Sphynxe, Tugendspiegel und Drachen. Unsere männlichen Psychologen begehen nur den Irrthum, daß sie entweder individuelle Eigenschaften, wie sie ihnen an den einzelnen Exemplaren ihrer weiblichen Bekanntschaften aufgefallen sind, für den Geschlechtscharakter des Weibes halten, oder daß sie wenigstens den Charakter einzelner Frauenklassen auf das ganze Geschlecht übertragen.

In der That unterscheiden sich die Frauen in gewissen Grundzügen ihres Charakters, gerade wie die Männer, je nach ihrer Lebenslage, ihrer Klasse und ihrer Erziehung.

Eigenthümlichkeiten aber, die einer speciellen Lage ihren Ursprung verdanken, bilden mitnichten den weiblichen Geschlechtscharakter.

Wenn man Neigung zum Dulden, Sanftmuth,[13] Passivität, Unterwürfigkeit, Gehorsam und ähnliche Charakterzüge als weibliche Eigenart bezeichnet, so schreibt sich diese Charakteristik möglicherweise aus dem barbarischen Mittelalter her, wo allerdings die Frau dieser Eigenschaften zu ihrer Existenz bedurfte; denn in den Zeiten, als das Faustrecht herrschte, hatte die Frau, die nicht zu Kreuze kroch, die angenehme Aussicht, ersäuft, gestäupt, zu Boden geschlagen oder in Burgverließen zu Tode gehungert zu werden. Wenn mir einer sagte: Gehorche oder ich breche dir das Genick! o wie geschwind würde ich gehorchen.

Wenn die Frau, und wäre sie die verwegenste ihres Geschlechtes in ihrer Rebellion gegen den Mann, einige Male seine schwere Hand gefühlt hat, so bleibt ihr nur eine Wahl: Märtyrer- oder Duckmäuserthum. Das Dienstmädchen, das in großen Städten von früher Jugend an in der Welt herumgestoßen ward, und zwischen Ostern und Michaeli in steter Wanderschaft von einer Herrschaft zur anderen begriffen ist, hat seinen Charakter im Strom der Welt gebildet und ist meist höchst impertinent, dreist und anspruchsvoll. Schüchterne und sanfte Köchinnen sind so selten wie schüchterne Lieutenants. Dagegen besteht der Geschlechtscharakter eines Mädchens aus dem Bürgerstande (in Deutschland) allerdings, wie es die herkömmliche conventionelle[14] Erziehung mit sich bringt, vorzugsweise in Schüchternheit, Unbeholfenheit, Zurückhaltung und Passivität.

Das Salonleben producirt träge, intrigante, graciöse, putzsüchtige und nervöse Individuen, die »demi monde« üppige, herzlose, verschwenderische und raffinirte Exemplare der Weiblichkeit. –

Dieser Einfluß der socialen Stellung der Frau auf ihre Charakterbildung wird meistens ignorirt und man führt die Art und Weise ihres Denkens, Handelns und Fühlens auf einen angebornen Geschlechtscharakter zurück.

So sagt z.B. ein Schriftsteller (wenn ich nicht irre, Klemm in seiner »Geschichte der Frauen«) »Auch beim Selbstmord zeigt sich der Unterschied der Geschlechter. Die Männer gebrauchten zu allen Zeiten vornehmlich ihre Waffen, Schwert, Dolch; sie erstechen sich, schneiden sich die Gurgel ab und nach Erfindung des Pulvers die Feuerwaffe. Die Frauen dagegen hängen sich auf oder springen in's Wasser.«

Der Schriftsteller sieht in diesen verschiedenen Formen der Selbstmorde ein Hervorbrechen männlicher und weiblicher Eigenart.

Dagegen steigt in meiner Seele ein kühner Gedanke auf. Sollte es nicht einige Berechtigung haben, die von den Männern vorzugsweise gewählten Todesarten[15] auf den Umstand zurückzuführen, daß dieses Geschlecht von jeher in der Führung der Waffen geübt ward und Waffen besitzt, während das sich ersäufende und sich hängende Geschlecht der Frauen mit der Handhabung dieser Mordinstrumente nicht vertraut ist?

Wir haben gehört, welchen Charakter die Frauen nach der Meinung der Männer besitzen, das heißt, wir haben in Erfahrung gebracht, daß, wo es sich um weibliche Eigenschaften handelt, die Männer ein unentwirrbares Knäuel widerspruchsvoller Meinungen produciren.

Ganz anders aber verhalten sie sich, wenn sie von denjenigen Eigenschaften sprechen, die Frauen haben sollen und haben müßten, und die, ihrer Meinung nach, den von der Natur gewollten Frauen-Typus veranschaulichen. Hier begegnen wir einer überraschenden Uebereinstimmung der Männer aller Zeiten, aller Völker, Klassen und Stände.

 

2) Die Frau soll sein nach dem Verdikt der Männer: Sanft, liebevoll, weich, fügsam, bescheiden, receptiv, passiv, keusch, sittsam, aufopferungsvoll, schüchtern, unschuldig u.s.w.

Die Männer sind, wie wir gesehen haben, weit entfernt zu behaupten, daß die Frauen diese Eigenschaften besitzen.[16]

Die Wirklichkeit ist zu handgreiflich, um sie wegzuleugnen, und am Ende lassen sich doch alle energischen, heftigen, selbstständigen, leidenschaftlichen, klugen Frauen nicht ohne weiteres unserm Gesichtskreis entrücken.

Was bestimmt nun also die Männer, jene angeführten Eigenschaften, die ihrer empirischen Wahrnehmung nicht entsprechen, für den eigentlichen Charakter des Weibes zu halten?

Am nächsten liegt folgender Gedanke: Weil diese Eigenschaften ihnen am meisten an den Frauen gefallen, darum möchten sie dieselben als universelle Eigenschaften des ganzen Geschlechts anerkannt wissen.

Kein Gedanke, keine Annahme ist falscher als diese.

Der naivste der Männer blicke um sich! Er blicke empor zur Höhe der Gesellschaft, er blicke hinab in ihre Tiefe und versuche, offenen Auges selbst zu schauen. Sind es wirklich die bescheidenen, weichen, fügsamen, passiven, schüchternen, aufopferungsvollen, unschuldigen, weiblichen Individuen, die von jeher die Herzen der Männer am ehesten gewonnen haben und noch heut gewinnen?

Nein – es sind die koketten, die pikanten und amüsanten, die leidenschaftlichen, dreisten und entgegenkommenden, die lustigen, die parfümirten und intriganten Frauen. Die stärkste Waffe der Frauen, den Männern gegenüber, ist die Zunge. Selbst Schönheit[17] steht erst in zweiter Linie. Spricht die Frau Bosheit, so findet der Mann sie pikant, plaudert sie triviales Zeug, so erscheint sie ihm gemüthlich und behaglich; spricht sie Dummheiten so ist sie naiv, Heftigkeit nennt er Temperament. (Das alles natürlich nur so lange sie jung ist.) Ja, ich glaube, der Wahrheit nicht zu nahe zu treten, wenn ich sage, daß im allgemeinen die Frauen in dem Maße den Männern mehr gefallen, als sie weniger mit den sogenannten weiblichen Eigenschaften ausgestattet sind.

Ich will aber widerrufen und mich sofort bekehren von dem Augenblicke an, wo ich gewahr werde, daß in unsern Gesellschaften, auf unsern Bällen und in Familienkreisen die Herrenwelt sich um die einfachen, bescheidenen, zurückhaltenden, passiven, schlicht gekleideten jungen Mädchen drängt, während die koketten, medisanten, pikanten, leidenschaftlichen, eleganten, dreisten jungen Damen verlassen in den Ecken umherstehen. Bis jetzt bin ich stets Zeuge vom Gegentheil gewesen. Oftmals kommen Fälle vor, wo sich die Männer sogar ihrer Vorliebe für unwissende Frauen und für solche, die zäh an der weiblichen Sphäre kleben, entäußern.