Heinrich Döring: Friedrich Schiller

 

 

Heinrich Döring

Friedrich Schiller

Eine Biographie

 

 

 

Heinrich Döring: Friedrich Schiller. Eine Biographie

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Anton Graff, Portrait von Friedrich Schiller, 1786-1791

 

ISBN 978-3-8430-8798-8

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8619-9429-9 (Broschiert)

ISBN 978-3-8619-9430-5 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Jena, Cotta, 1853

 

Dieses Buch folgt in Rechtschreibung und Zeichensetzung obiger Textgrundlage.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

Friedrich Schiller, mit seinen vollständigen Vornamen Johann Christoph Friedrich, später in den Adelstand erhoben, erblickte zu Marbach den 11. November 1759 das Licht der Welt, unter Verhältnissen, die der Entwicklung vorhandener Fähigkeiten und Geistesanlagen nicht besonders günstig, für die Gesundheit des Leibes und der Seele aber von günstigem Einfluß waren. Seinen Vater, Johann Caspar, geboren am 27. Oktober 1723 zu Bitterfeld, gestorben am 7. Sept. 1796 auf dem Herzogl. Würtembergischen Lustschlosse Solitude bei Stuttgart, schildern übereinstimmende Berichte als einen Biedermann von unbescholtenem Wandel und strenger Redlichkeit, weniger ausgezeichnet durch eine vielseitige Bildung, als durch eine große Gewandtheit im praktischen Leben. Als Wundarzt hatte er 1745 ein Bairisches Husarenregiment nach den Niederlanden begleitet, und war nach dem Aachner Frieden (1748) wieder nach Würtemberg zurückgekehrt, wo er als Fähndrich und Adjutant bei dem Regiment Prinz Louis angestellt, einigen Feldzügen des siebenjährigen Krieges beiwohnte. Durch Mäßigkeit blieb er verschont von den ansteckenden Seuchen, die in Böhmen das Regiment, bei dem er stand, hart heimsuchten. Neben der sorgsamen Pflege der Kranken vertrat der rastlos thätige Mann die Stelle eines Feldpredigers durch Vorlesen von Gebeten und durch Leitung des Gesanges. Später stand er bei einem andern Regiment in Hessen und Thüringen. In Ludwigsburg, wo er nach dem Hubertsburger Frieden im Quartier lag, gründete er, mit vorherrschendem Interesse an der Ökonomie, eine Baumschule, nach den Prinzipien, die er in spätern Jahren (1795) in einem von ihm herausgegebenen Werke: »die Baumzucht im Großen«, bekannt machte. Der Herzog Carl von Würtemberg fand sich dadurch veranlaßt, ihm mit dem Charakter eines Hauptmanns, die Aufsicht über die Anpflanzungen und Gartenanlagen auf einem seiner Lustschlösser, der Solitude bei Stuttgart, zu übertragen, wo er, von seinem Fürsten geachtet und geliebt von seinen Untergebenen, in rastloser Thätigkeit sein Leben beschloß. In einem noch erhaltnem Briefe dankte er mit frommer Rührung dem Ewigen, daß er ihm noch gegönnt, seines Sohnes Ruhm zu erleben.

Schiller's Mutter, Elisabeth Dorothea Kodweiß, die Tochter eines früher wohlhabenden, späterhin durch eine Überschwemmung des Neckars und andere Unglücksfälle verarmten Bürgers zu Marbach, war eine sanfte, anspruchslose und gutmüthige Hausfrau, ohne vielseitige Bildung, doch eine Freundin der religiösen Poesie, besonders der Gellert'schen Lieder. Von Gestalt war sie schlank, ohne eigentlich groß zu seyn, ihr Haar hochblond, beinahe röthlich, die Augen kränklich und meist etwas entzündet. Aus ihren durch Sonnenflecken etwas entstellten Zügen sprach Wohlwollen und Milde. Dem klaren und scharfen Verstande ihres Gatten gegenüber trat die innige Wärme des Gefühls, mit der sie an ihm und ihren Kindern hing, um so unverkennbarer hervor. Sie ward von ihnen tief betrauert, als sie im Mai 1802 ihre irdische Laufbahn beschloß.

Nur seiner guten Natur und der sorgsamen Pflege seiner Mutter hatte es Schiller zu verdanken, daß er bei seiner zarten Körperconstitution nicht den krampfhaften Zufällen unterlag, die ihn bei den gewöhnlichen Kinderkrankheiten hart heimsuchten. Seine Geistesanlagen entwickelten sich früh in einer regen Wißbegierde, die seine Eltern mit den mannichfachsten Fragen bestürmte. Die Bibel war seit seinem fünften Jahre seine Lieblingslectüre, und mit gespannter Aufmerksamkeit horchte er, wenn der Vater, wie es seine Gewohnheit war, das Morgen- und Abendgebet im Familienkreise laut sprach. Bis zu Thränen ward er gerührt, als einst auf einem Spaziergange seine Mutter ihm das Osterfeiertags-Evangelium erklärte und ihm erzählte, wie Jesus mit zweien seiner Jünger nach Emmaus gewandert sei. Mit der Liebe für alles Große und Schöne verband er Gehorsam gegen seine Eltern und Verträglichkeit mit seinen Geschwistern und Gespielen. Zwei Jahre älter als er, war seine Schwester Elisabeth Christophine Friedericke, späterhin mit dem Bibliothekar Reinwald in Meiningen verheirathet. Eine zweite Schwester, Dorothea Luise ward nach ihm 1767 geboren und nachher die Gattin des Stadtpfarrers Frankh zu Möckmühl im Würtembergischen. Eine dritte Schwester, Nanette mit Namen, starb bereits in ihrem achtzehnten Lebensjahre.

Von Schwäbisch Gmünd, wohin er von dem Herzog von Würtemberg als Werbeofficier gesandt worden war, begab sich Schillers Vater 1765 nach Lorch, einem Würtembergischen Grenzdorfe. Zu dem Unterricht, den der sechsjährige Knabe dort im Lesen und Schreiben erhielt, traten späterhin auch die Elemente der lateinischen und griechischen Sprache. Den Namen seines ersten Lehrers, des Pfarrers Moser in Lorch, verewigte Schiller später in seinen »Räubern«. An dem Sohne jenes Geistlichen, Carl Moser, erhielt er zugleich seinen ersten Jugendfreund, der nachher zugleich mit ihm die lateinische Schule zu Ludwigsburg besuchte. Damals scheint die späterhin nicht ohne innern Kampf unterdrückte Neigung Schillers zum geistlichen Stande zuerst erwacht zu seyn. Nach der Erzählung seiner ältern Schwester stieg er mit einer schwarzen Schürze und einem Käppchen auf einen Stuhl, und recitirte auswendig gelernte Sprüche, mitunter auch wohl Stellen aus den von ihm angehörten Predigten des Pfarrers Moser.

Für die Schönheiten der Natur war Schiller ganz besonders empfänglich. Ein religiöses und historisches Interesse zugleich hatten für ihn die in einem Kloster bei Lorch befindlichen Gräber der Hohenstauffen. Der Weg nach jenem Kloster war sein Lieblingsspaziergang. Immer blieb ihm für die Gegend von Lorch eine große Anhänglichkeit. Als er späterhin die Karlsschule in Stuttgart verlassen, besuchte er, von seiner Schwester Christophine begleitet, noch einmal alle seine Lieblingsplätze. Seine Liebe zur Natur war so groß, daß er sich oft durch einen schönen Sommertag, unbekümmert um seine Unterrichtsstunden, in's Freie locken ließ. Einen solchen Fehltritt zu verheimlichen, war er zu gewissenhaft; er gestand ihn vielmehr offen. Am wenigsten harmonirte mit seines Vaters Ansichten Schillers ideale Liberalität, womit er, der vom Eigenthum kaum einen Begriff hatte, einzelne Kleidungsstücke und die unentbehrlichsten Schulbücher an Dürftige verschenkte. Die väterlichen Züchtigungen, die ihn deßhalb trafen, würde er noch härter empfunden haben, wenn nicht seine Schwester Christophine mit seltener Aufopferung sich als eine Mitschuldige bekannt, und dadurch die Strafe auf sich selbst gelenkt hätte. Auch die sanfte und zur Verzeihung geneigte Mutter trat durch ihre Fürsprache bei dem Vater in solchen Fällen vermittelnd ein.

In Ludwigsburg, wohin Schillers Vater 1768 versetzt worden war, sah der neunjährige Knabe zum ersten Mal ein Theater. Mächtig war der Eindruck, den die dargestellten Stücke mit ihren prachtvollen Dekorationen und Aufzügen von Pferden, künstlichen Elephanten, Löwen u.s.w., in dem Opern- und Balletgeschmack der damaligen Zeit, in Schillers Seele zurückließen. Alle seine jugendlichen Spiele bezogen sich auf die Bühne und ihre Darstellungen. Er entwarf selbst Pläne zu Trauerspielen, und mit Puppen, die er sich aus Papier geschnitten, führte er einzelne Scenen auf.

Noch in anderer Weise äußerte sich sein Gefühl für Poesie um diese Zeit. Mit einem seiner Jugendfreunde, dem nachherigen Physikus Elwert in Cannstadt, bestand er, nicht ohne Furcht vor der ihm angedrohten harten Strafe seines strengen Lehrers, zu dessen voller Zufriedenheit das Schulexamen. Als Belohnung seines Fleißes erhielt er vier Kreuzer, die er mit seinem Freunde zu einer Schüssel saurer Milch auf dem benachbarten Hartenecker Schlößchen verwenden wollte. Dort war indeß keine Milch vorhanden, und erst in Neckarweihingen, wohin er mit seinem Freunde gewandert war, erhielten Beide die ersehnte Labung. Schiller fühlte sich so begeistert, daß er auf einer Anhöhe, von welcher man Harteneck und Neckarweihingen überschauen konnte, in einer pathetischen Ergießung über den erstgenannten Ort seinen Fluch, über den letzten aber seinen feierlichen Segen aussprach.

In der lateinischen Schule zu Ludwigsburg beschränkte sich Schillers Unterricht fast nur auf die Erlernung der Sprache, von welcher jene Lehranstalt den Namen führte. Im Griechischen kam er kaum über die ersten Elemente hinaus. Daß er dem Virgil, Horaz und andern römischen Dichtern keinen sonderlichen Geschmack abgewinnen konnte, lag wohl an der trocknen Erklärungsmethode, die Schillers Gemüth nicht ergreifen konnte. Sein Fleiß jedoch erwarb ihm bald das Lob eines der ersten Schüler in seiner Classe. Er genügte selbst den strengen Anforderungen seines Lehrers Jahn, der zwar ein tüchtiger Philolog, aber zugleich ein Mann von finsterem Charakter war, und durch seinen Jähzorn, als Schiller später bei ihm Kost und Wohnung hatte, seinem Charakter eine schiefe Richtung gab. Er ward schüchtern und zurückgezogen. Auch sein Vater ließ keine Gelegenheit unbenutzt, ihn zum Fleiß zu ermuntern, und er empfand im vollen Maße die väterliche Strenge, wenn er außer der Schulzeit unbeschäftigt war oder im Garten spielte. Merkwürdig war es, wie sich seine Schüchternheit mitunter bis zum Muthwillen steigerte. Bei Spielen, wo es wild herging, gab er fast immer den Ton an, und wußte sich durch seine Furchtlosigkeit bei seinen Schulkameraden in Respect zu setzen. Nie aber lag den kleinen Neckereien, mit denen er sich wohl bisweilen selbst an erwachsene Personen wagte, eine bösartige Absicht zum Grunde. Er hatte daher unter seinen Jugendgespielen kaum einen, der ihm übel wollte. Verhältnißmäßig klein war jedoch der Kreis von Freunden, zu denen er mit der ganzen Innigkeit seines Gefühls sich hingezogen fühlte.

Noch immer war ihm eine Vorliebe für den geistlichen Stand geblieben, den auch sein Vater sehr achtete, weil er sich von dieser Laufbahn seines Sohnes eine ehrenvolle Existenz versprach. Die mehrmaligen Prüfungen in dem Stuttgarter Gymnasium, die dem Eintritt in die Klosterschulen vorangingen, hatte Schiller, nach noch erhaltenen Zeugnissen, rühmlich bestanden. Die Stimmung seines Gemüths und der Gang seiner Phantasie waren religiös geblieben. Dafür sprach unter Anderem sein elfter poetischer Versuch, ein an seine Eltern gerichteter Neujahrswunsch in Versen vom Jahr 1768. Verloren ging ein Gedicht religiösen Inhalts, welches er am Tage seiner Confirmation, wahrscheinlich im Jahr 1770, niederschrieb, als seine Mutter, die ihn auf der Straße umherlaufen sah, ihm Vorwürfe machte über seine Gleichgültigkeit gegen die Handlung des folgenden Tages. Erhalten hat sich dagegen ein in lateinischer Prosa geschriebener Neujahrswunsch an seinen Vater vom Jahr 1771.

Seinen Plan, sich dem geistlichen Stande zu widmen, durchkreuzte der Wille des Herzogs von Würtemberg. Es war eine fürstliche Gnade, die Schillers Vater nicht ablehnen konnte, als der Herzog, vielleicht durch günstige Zeugnisse der Lehrer Schillers bestimmt, sich geneigt zeigte, ihn in das auf der Solitude bei Stuttgart errichtete Lehr- und Erziehungsinstitut aufzunehmen, welches bisher meist nur Söhne von Adlichen zu Zöglingen gehabt hatte. Für Schillers Vater war der Antrag des Herzogs auch noch von einer andern Seite lockend. Schiller sollte dort auf herzogliche Kosten unterrichtet werden. Die Wahl seines Lebensberufs blieb ihm freigestellt. Auch für eine künftige vorteilhafte Anstellung versprach der Herzog zu sorgen. Diese vortheilhaften Aussichten machten jedoch auf Schillers Eltern einen ganz andern Eindruck, als der Herzog erwartet haben mochte. Dem geistlichen Stande konnte sich Schiller nicht mehr widmen, da er in der neuen Pflanzschule, die eine völlig militärische Einrichtung hatte, nicht dazu vorbereitet werden konnte. Nicht beleidigt durch eine Vorstellung, die Schiller's Vater an den Herzog zu richten und dessen Antrag abzulehnen wagte, verlangte der Fürst die Wahl eines andern Standes. Der Theologie zu entsagen, scheint Schillern nicht leicht geworden zu seyn. Daß er durch die Nähe des Instituts mit seinen Eltern in Berührung blieb und sie jeden Sonntag wenigstens sprechen konnte, war ein Trost, der ihm den Entschluß erleichterte, sich der Jurisprudenz zu widmen. Im Januar 1773 trat er in das neue Institut. Er stand damals in seinem vierzehnten Lebensjahre.

Wie Schillers Vater die Gnade des Herzogs zu schätzen wußte, zeigt ein noch erhaltenes Schreiben aus Ludwigsburg vom 10. Januar 1773 an den Oberstwachtmeister v. Seeger, dem die Oberaufsicht über das neue Institut, nach dessen Stifter die Karlsschule genannt, übertragen worden war. Erhalten hat sich auch noch ein mit der Unterschrift von Schillers Vater und mit dessen Siegel versehener Revers, den er nach der Aufnahme seines Sohnes in die Karlsschule ausstellen mußte. Dieser Revers fällt in eine spätere Zeit. Er ist aus Ludwigsburg vom 23. September 1774 datirt.

Eine Schilderung der innern Einrichtung und der Erziehungsmethode des neuen Instituts, welchem Schiller jetzt angehörte, muß vorangeschickt werden, um dem Gange seiner weitern Ausbildung folgen zu können. Die gesammten Zöglinge, in zwei Classen abgetheilt, bewohnten ein großes, aus vier Flügeln bestehendes Casernengebäude. Die adliche Classe bestand meist aus adlichen Offizierssöhnen, die bürgerliche größtenteils aus Soldatenkindern. Jene hießen Cavaliere, diese Eleven. Als später die Zahl der Zöglinge bis auf dreihundert gestiegen war, wurden die beiden Classen halbjährlich von dem Herzog selbst in dem sogenannten Rangirsaal gemustert und in drei Abtheilungen getrennt, von denen die erste aus den funfzig größten Köpfen, und die beiden andern ebenfalls aus funfzig Köpfen bestanden. Jede dieser Abtheilungen hatte ihren besondern Schlafsaal, und stand anfangs unter der Aufsicht von Sergeanten, späterhin unter einem Capitain oder Lieutnant. Die Direction des Ganzen war einem Obristen, damals, als Schiller in das Institut eintrat, dem Obristwachtmeister v. Seeger übertragen. Dem Militärdienst widmete sich fast ausschließlich die erste Classe jener Lehranstalt, die sogenannten Cavaliere. Die Eleven erhielten den erforderlichen Unterricht, um sich zu Künstlern und Handwerkern, Malern, Architekten, Musikern u.s.w. zu bilden. Fast auf alle wissenschaftlichen Zweige, die Theologie ausgenommen, erstreckte sich nach und nach der Unterricht des Instituts. Man hatte die Einrichtung getroffen, die Zöglinge nach den verschiedenen Lehrgegenständen in vier und zwanzig Divisionen zu theilen. In der ersten Division befanden sich die Juristen, in der zweiten die Militärpersonen, in der dritten die Kameralisten u.s.w. So bot die Karlsschule, indem sie das ganze Unterrichtswesen umfaßte, hinreichende Mittel dar zu einer universellen Bildung.

Vorherrschend war in diesem künstlich zusammengesetzten Staate die militärische Form. Das Commando: »Marsch!« führte die Zöglinge in den Speisesaal, wo ihnen ein »Halt!« zugerufen ward. Auf das Commando: »Front!« wandten sie sich gegen den Tisch, hoben hier, als der Ruf: »Zum Gebet!« ertönte, die gefalteten Hände bis zum Munde empor, und rückten auf ein gegebenes Zeichen die Stühle mit einem donnerähnlichen Geräusch zum Tische. Auf ähnliche Weise zogen sie in gleichmäßigem Tempo nach den Hörsälen. Das Verhältniß der Lehrer zu ihren Schülern war ordonanzmäßig. An die militärische Form des Instituts wurden die Zöglinge schon durch ihre Kleidung erinnert. Nach der Beschreibung, die ein Jugendfreund Schillers, v. Scharffenstein, davon entworfen, trugen die Offizierssöhne gewöhnlich hellblaue Westen von Commißtuch, Kragen und Ärmelaufschläge von schwarzem Plüsch, und Beinkleider von weißem Tuch. Unter dem kleinen Hute sahen an jeder Seite des Kopfes zwei ungepuderte Papilloten hervor. Lange falsche Zöpfe, nach einem bestimmten Maße, wurden von allen Zöglingen getragen. In dieser wunderlichen Kleidung nahm sich Schiller vor vielen Andern höchst seltsam aus, in seiner langen hagern Gestalt, in dem bleichen Gesicht und den fast immer etwas entzündeten Augen.

Noch schwerer, als der Körperzwang, dem er sich unterworfen sah, lastete auf ihm der Druck des Geistes. Die strenge Form und Regel in jenem Institut vertrug sich nicht mit der leisesten Freiheitsäußerung. Strenge Verleugnung seiner selbst, das Ersticken hervorstechender Talente, die nicht in den Erziehungsplan paßten, vor Allem aber die Niederbeugung des eigenen Willens, waren die Grundsätze, deren Befolgung die Karlsschule unbedingt verlangte. Seinen tiefen Unmuth über diesen Zwang sprach Schiller in mehreren Briefen an seinen Jugendfreund Carl Moser aus. Selbst den Trost freundschaftlicher Mittheilung mußte er entbehren. Überall scharf beobachtet, durften die Zöglinge ohne einen Grund, der den Inspectoren genügte, sich nicht aus einem Schlafsaal in den andern begeben. Das Puder- und Waschzimmer, eine abgelegene Allee im Garten, ein Durchgang im Hofe u.s.w. mußte das Local darbieten, wo Schiller einzelnen Vertrauten Proben seiner Gedichte oder später Scenen aus seinen »Räubern« mittheilen konnte, doch nicht selten unterbrochen ward, wenn der ausgestellte Vorposten das verabredete Zeichen gab.

Zu der Erinnerung an die Freiheit, die er im elterlichen Hause genossen, trat noch für Schiller das drückende Gefühl der Einsamkeit. Seine Natur war nicht geeignet, sich Andern zu nähern. Unter den dreihundert Zöglingen der Karlsschule hatte er nur wenig Freunde im strengsten Sinne des Wortes. Nicht ausgezeichnetes Talent, wohl aber Herzensgüte und Charakterfestigkeit mußte der besitzen, an den er sich anschloß. Mit zurückschreckender Kälte behandelte er Individuen von schwankendem, niedrigem und bösartigem Charakter, und suchte sich ihrem Umgange möglichst zu entziehen. Ein Glück war es für ihn, daß er in der Karlsschule bald nach seinem Eintritt mehrere gleichgesinnte Jünglinge fand, die sich zugleich lebhaft für die Dichtkunst interessirten. Zu seinen Freunden gehörten vor allen v. Hoven, später Medicinalrath in Nürnberg, der nachherige Bibliothekar Petersen in Stuttgart, v. Scharffenstein, späterhin General in würtembergischen Diensten, der Bildhauer Dannecker und der Tonkünstler Zumsteg.

Mit seinem trüben Schicksal versöhnte ihn einigermaßen die humane Behandlung des Majors v. Wolf, unter dessen Oberaufsicht er stand. Ohne von der Würde eines Vorgesetzten sich etwas zu vergeben, verschaffte jener feingebildete und zartfühlende Mann dem aufkeimenden Talente Schillers neue Nahrung, indem er ihm zu der Bekanntschaft mit den ausgezeichneten Geisteswerken verhalf, was jedoch nicht ohne Beseitigung mancher Hindernisse geschehen konnte, da deutsche Bücher in der Karlsschule als eine Art von Contrebande galten. Groß war Schillers Freude, als ihm ein Zufall Klopstocks Oden und den Messias verschaffte. Sein eignes poetisches Talent ward durch jene Dichtungen, die in seinem religiös gestimmten Gemüth leicht Anklang fanden, mächtig angeregt. Von allen andern Zerstreuungen geschieden, kehrte er in seiner klösterlichen Einsamkeit immer wieder zu seinem Lieblingsdichter Klopstock zurück, dessen Anschauungen, Bilder, Gefühle und Gedanken er sich allmälig aneignete. Jene Gattung der Poesie nährte Schillers Empfänglichkeit für das Große und Erhabene. Aber auch die Neigung zum geistlichen Stande ward wieder in ihm rege durch Klopstocks Dichtungen. In der Bibel fand er den Stoff zu einem epischen Gedicht, Moses, das sich leider nicht erhalten hat.

Einen fast noch tiefern und bleibendern Eindruck auf Schillers empfängliches Gemüth machten die erhabenen, rührenden und erschütternden Scenen in Gerstenbergs Ugolino. Noch in spätern Jahren schätzte er dieß Trauerspiel sehr, dessen Mittheilung er 1773 einem Freunde verdankte. Völlig abgelenkt von der lyrischen und epischen Poesie ward Schiller, als er bald nachher Goethe's Götz von Berlichingen kennen lernte. Dies Ritterschauspiel führte ihn mit hinreißender Gewalt der tragischen Laufbahn entgegen. Durch die Wielandsche Übersetzung Shakspeare's, die ihm sein Freund v. Hoven verschaffte, ward er mit diesem großen Dramatiker bekannt. Eine Stelle aus Shakspeare's Werken, die sein Lehrer Abel einst in einer Unterrichtsstunde mittheilte, soll ihn zuerst für den großen Britten begeistert haben. In spätern Jahren gestand er jedoch, daß sein moralisches Gefühl, vielleicht auch die Vorliebe für Klopstocks Poesie, ihn lange verhindert habe, Shakspeare gerecht zu würdigen. Er gestand offen, daß ihn die Kälte und Unempfindlichkeit empört habe, die dem Britten erlaubte, im höchsten Pathos zu scherzen, und die erschütternden Scenen im Hamlet, im König Lear und Macbeth durch einen Narren zu stören. Immer mehr erkaltete in ihm die Vorliebe für Shakspeare. Neuere deutsche Dichter verdrängten ihn, besonders Lessing in seiner Emilia Galotti und Leisewitz in dem Trauerspiel Julius von Tarent. Mehrere Briefe an seinen Jugendfreund Carl Moser bewiesen, wie ihn die strenge Disciplin der Karlsschule erbitterte, die durch ihre Fesseln ihn nöthigte, jenen Geistesgenuß als etwas Strafbares zu betrachten. Er fühlte, wie er in einem seiner Briefe äußerte, jenem Zwange gegenüber, in seinem Herzen eine ganz andere Welt, als die, die ihn umgab. »So lange sich mein Geist frei erheben kann«, schrieb er unter andern, »wird er sich in keine Fesseln schmiegen.« In solcher Stimmung gab es Fälle, wo sein Unmuth, den er bei Irrungen mit seinen Vorgesetzten meist durch einen witzigen oder sarkastischen Einfalt beschwichtigt hatte, sehr lebhaft hervorbrach. Mit der Äußerung: er müsse bei der Wahl seiner Studien seinen freien Willen haben, warf er einst, als er unter dem Vorwande der Krankheit auf seinem Zimmer geblieben war, ein ihm aufgedrungenes Pensum dem Überbringer vor die Füße. Für diesen Trotz ward er einige Zeit degradirt und lernte einsehen, daß in solchen Fällen die Inspectoren doch weiter mit ihrem Willen reichten, als er mit dem seinigen.