Clemens Brentano: Ponce de Leon

 

 

Clemens Brentano

Ponce de Leon

Lustspiel in fünf Aufzügen

 

 

 

Clemens Brentano: Ponce de Leon. Lustspiel in fünf Aufzügen

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Diego Velázquez, Der Wasserverkäufer von Sevilla, 1620

 

ISBN 978-3-8430-8366-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8619-9308-7 (Broschiert)

ISBN 978-3-8619-9309-4 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden: 1801.

Erstdruck: Göttingen (Dieterich) 1804.

Uraufführung am 18.2.1814, Wien.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Clemens Brentano: Werke. Herausgegeben von Friedhelm Kemp, Band 1–4, München: Hanser, [1963–1968].

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Seiner Durchlaucht

dem Herzoge von Aremberg

 

Mein gnädigster Herr,

Cervantes führt in der Zuschrift seiner Novellen die Fehler an, welche in den Zuschriften der meisten Schriftsteller gefunden werden; indem ich diese Fehler zu vermeiden suchte, machte ich die Entdeckung eines ganz neuen, und nehme mir die Freiheit, Ihnen denselben seiner Ungemeinheit wegen mitzuteilen. Es ist nämlich der Fehler, jemanden ein Buch in einer Sprache, deren er nicht ganz mächtig ist, zuzuschreiben; doch, damit Sie mich nicht einer listigen Bescheidenheit beschuldigen können, indem ich das nur entdeckt zu haben vorgebe, dessen ich mich in diesen Zeilen selbst als Erfinder rühmen könnte, so nehme ich mir die Freiheit, Ihnen die Erlaubnis in das Gedächtnis zurückzurufen, welche Sie mir hierzu selbst erteilten. Als ich das letzte Mal die Ehre Ihrer Unterhaltung genoß, gaben Sie mir nämlich die Freiheit, mich in teutscher Sprache ausdrücken zu dürfen, sobald ich etwas zu sagen hätte, was ich nicht in französischer Sprache denken könne, und was mir allein eigen sei; in Rücksicht auf diese Erlaubnis allein wage ich es, Ihnen dieses Lustspiel zu überreichen, welches ich nicht in französischer Sprache denken konnte, und welches mir allein eigen war, bis auf diesen Augenblick, da ich so kühn bin, Ihnen ein Geschenk damit zu machen. Auch erinnere ich mich Ihrer Äußerung, daß den Teutschen Gewandtheit der Sprache und das Wortspiel fehle; ich war damals Ihrer Meinung entgegen und bin es noch; doch mit dem Verdruß, daß meine Arbeit, die Ihnen vielleicht ein Beweis für meine Behauptung[129] werden könnte, eben durch ihre Anlage dazu an Unverständlichkeit für Sie zunehmen dürfte. Ich unterstehe mich daher nur, Sie durch diese Zeilen versichern zu wollen, daß Ihr gütiges Interesse an mir immer einer der rührendsten Gewinne meines Lebens sein wird, und daß ich jene unter meinen künftigen Arbeiten vorzüglich lieben werde, die würdig sein dürfte, ein angenehmer Gegenstand Ihrer stillen Betrachtungen zu werden.

So nehmen Sie gütig nachfolgende Blätter als einen Beweis, daß ich Ihnen gern mit dem Meinigen ein Vergnügen zu machen wünschte, denn sie enthalten zu wenig, um Ihnen als Beweis der Ehrfurcht übergeben zu werden.

Ihr untertänigster Diener,

(Clemens Brentano)[130]

 

Vorerinnerung

Dieses Lustspiel, welches im Sommer 1801 geschrieben ist, war durch einen Zufall während vierzehn Monaten außer meinen Händen. Da ich es nun wieder besitze, finde ich freilich meine Ansicht von dem, was ein Lustspiel überhaupt sein soll, sehr verändert; dennoch glaube ich, ohne den Vorwurf der Unbescheidenheit zu verdienen, einige Worte über meine damalige Absicht beifügen zu dürfen, und zwar um so mehr, da ich mich umsonst nach seiner Gattung umgesehen habe und beinahe fürchte, daß es allein stehen werde, was ich ihm jedoch, sollte es nicht meiner Unbelesenheit zugeschrieben werden können, keineswegs zum Verdienst anrechne. Ich strebte damals, das Komische und Edlere hauptsächlich in dem Mutwill unabhängiger, fröhlicher Menschen zu vereinigen, und um diesen Mutwill als Element in ihnen vorauszusetzen, habe ich ihre Sprache durchaus frei und mit sich selbst in jeder Hinsicht spielend gehalten. Ich hatte kein Muster vor mir als die Fröhlichkeit meines eigenen Herzens und der Freunde, deren es sich gern erfreut, und da ich mich nur erinnere, im Schauspielhause gelacht zu haben, wenn mich das Edle, Rührende oder Tragische als Parodie und das Komische als Unfähigkeit berührte, so wagte ich nicht, mein sehr einsames Lachen als ein Merkmal anzunehmen, dann ein Lustspiel geschrieben zu haben, wenn das, worüber ich lachen konnte, mir zum Muster geworden wäre. Wie weit wir aber von dem Komischen entfernt sind, ist mir vor einiger Zeit auf eine Art deutlich geworden, die für mich mit der ganz neuen Empfindung des tragischen Schreckens begleitet war. Ich sah nämlich die Aufführung des Axurs durch eine vorzügliche Truppe, und freute mich besonders auf das Zwischenspiel der komischen Masken. Meine Erwartung war um so gespannter, da ich den Bouffon der Gesellschaft als einen in seiner Abart sehr geschickten, ja oft frechen Spaßmacher kannte.

Aber wie fand ich mich getäuscht; der selige Harlekin tat vor meinen Augen ein Mirakel, und bestätigte meinen Glauben, daß er nicht gänzlich aus der Zahl der heiligen1 Märtyrer zu verwerfen[131] sei. Kaum hatte der profane Bouffon den freudigen bunten Ornat St. Harlekins angelegt, als ihn eine außerordentliche Traurigkeit überfiel, seine tölpelhafte Beweglichkeit erstarrte, er fühlte Blei an Händen und Füßen: er, der sich sonst in der Genügsamkeit seiner Gönner für einen Gott hielt, bekam zum ersten Mal atheistische Zweifel an dem Dasein eines Publikums, und stand als ein gräßliches Beispiel der Strafe des Himmels, ein wahrer Gegenstand christlichen Mitleids, vor den Augen aller frommen Zuschauer. So war die Geschichte dieses merkwürdigen Mirakels, welche ich allen Bouffons als warnendes Beispiel zur Bekehrung hierhersetze.

Aus der oben angeführten Ansicht entstand nun vorliegendes Lustspiel, ich zweifle gänzlich, daß es etwas Komisches enthalte, da mir bis jetzt das Komische nicht vor Augen gekommen ist und ich daher mit einigem Recht vermuten darf, das Komische müsse entweder unsrer edlen Zeit nicht würdig oder unsre edle Zeit das Komische selbst sein. Ich möchte beinahe das Letztere fürchten; da in diesen Zeiten die Künste und besonders die dramatische nützlich dazu angehalten werden, unsre Begierden nach allem, was uns fehlt, nach Häuslichkeit und andern guten Eigenschaften, durch schlechte Schilderung dieser Bedürfnisse zu trösten, so müssen wir selbst von dem Komischen im höchsten Grade durchdrungen sein, weil wir es von der Kunst nicht verlangen, wir müssen selbst der einzige Gegenstand des Komischen sein, weil es unser Gegenstand nicht mehr sein zu dürfen scheint. Das Komische wäre auf diese Weise nur noch im Zuschauer zu finden, und diesen auf das Theater zu bringen, würde ihm selbst wohl nicht gefallen, da er seinen ernsthaften Platz unten bezahlt hat, damit er oben spielen sehe, und auch nach neuen Erfahrungen die Dinge, wie sie sein sollen, zu hoch schätzt, um sich an einem Dinge, wie er selbst eines ist, nicht zu ärgern. Der fromme Mann also, welcher in der Bitte um das tägliche Brot Gott auch um das Komische bittet und für beides am Abend danken kann, ist nur jener Gesegnete, der sich den Zuschauer und das Schauspiel zusammen nimmt, um über beide zu lachen. Ich wage es nicht, mich solcher Gaben zu rühmen, und sähe es daher für das einzige Mittel an, dem Komischen wieder auf die Bühne zu helfen, wenn man nach[132] und nach das im Zuschauer gebundene Komische zu befreien und der Tugend von dem Theater wieder in die honetten Familien zu helfen suchte. Das erstere wäre eine Aufgabe für Dichter, an dem letztern arbeiteten die Moraltheologen längst, doch vergebens; denn das Ganze muß, wie die Einrichtung eines verschobenen Gelenks durch einen geschickten Wundarzt, auf einen Ruck vor sich gehen, weil, solange die Tugend auf der Bühne sich aufhält, der Moraltheologe im Parterre sitzt und also selbst komisch ist. Um so mehr wäre jene Auswechselung zu wünschen, da man durch Erfahrung übereingekommen zu sein scheint, die Tugend bei dem Schauspieler nicht suchen und bei dem Bürger kaum finden zu dürfen; aber so wohlfeil jener auch die Tugend hergeben würde, so sehr wäre zu fürchten, der Zuschauer möge seine Untugend in einem für die geringe Gage des Schauspielers zu hohen Preise halten, besonders da er sich damit schmeichelt, alles, was er bis jetzt hinter den Lichtern gesehen, ziemlich unecht und abgenutzt gefunden zu haben, wie er auch wohl weiß, daß das Sprüchwort: hinter das Licht geführt werden, daher abzuleiten ist. Doch hier kann der unparteiische Richter ihm nicht ganz recht geben, weil uns der Gesichtspunkt verloren gegangen ist, aus welchem wir bestimmen könnten, ob der Schauspieler oder der Zuschauer hinter dem Lichte stehe; so viel ist aber gewiß, daß der Souffleur auf dem Indifferenzpunkte sitzt, und daß nur der das Komische dieser Unentschiedenheit belachen kann, der über den Schauspieler und den Zuschauer zugleich lacht. – Da es, wie gesagt, meine Absicht bei diesem Lustspiele war, das Lustige in dem Mutwill schöner Menschen zu schildern, ich dies sogar in einigen häuslichen Szenen so zu zeichnen gesucht und das für den Leser so anzügliche Komische ganz unterlassen habe, so wird er das Ganze, wenngleich etwas fremdartig, doch nicht für seinen Geschmack beleidigend finden. Ich sprach hier von dem Leser, und nicht von dem Zuschauer, da ich fürchte, die Aufführung, sollte sie irgend ein Theater wagen, werde nicht ganz gelingen; um so mehr, da dies Schauspiel bei der Art seiner Sprache durch die Beschneidung einer fremden Hand das elendeste Bruchstück werden müßte. Ich denke mit Zittern an die Leseproben einer Schauspieler-Gesellschaft, denen ich in der letzten Zeit[133] oft beiwohnte; der Directeur und Bouffon hielten dicke Rötelstifte in der Hand, und strichen die Schauspiele durch; der erste nannte es edler – Zusammenstreichen, der zweite richtiger – Umarbeiten. Wenn ich es jenen Werken etwas gönnte und daher meine Schadenfreude eine ähnliche Strafe verdienen möchte, so erbiete ich mich hier, doch dies Lustspiel auf Begehren irgend eines Theaters für die Aufführung selbst zusammenzustreichen oder umzuarbeiten.

 

Marburg, im Januar 1803[134]

 

Fußnoten

 

1 Er wurde, wie bekannt, in der Christenverfolgung unter Gottscheds Regierung zu Leipzig durch die Räuberin auf dem Theater verbrannt.

 

Personen

Don Sarmiento, Obrister bei der Armee in den Niederlanden

 

Don Felix, sein Sohn in Sevilla

 

Isidora,

Melanie, seine Töchter auf seinem Gut, drei Stunden von Sevilla

 

Juanna, seine Schwester, ihre Aufseherin

 

Don Gabriel Ponce de Leon,

Fernand de Aquilar, junge Edelleute in Sevilla, Felix' Freunde

 

Valerio de Campaceo, armer Bürger in Sevilla

 

Valeria, seine Tochter

 

Porporino, sein Findelsohn

 

Isabella, in Saragossa adelige Witwe

 

Lucilla, ihre Tochter in Sevilla bei ihrer Tante, Felix' Geliebte

 

Perez, Hausmeister auf dem Gute Sarmientos

 

Alonso, Schulmeister

 

Ein Pfeifer, ein Geiger, mehrere Musikanten, Diener

 

Die Szene wechselt; erster und zweiter Akt in Sevilla, dritter, vierter und fünfter auf dem Gute.

 

Der erste Akt: Von Dämmerung bis Mitternacht.

 

Der zweite Akt: Folgender Tag, Morgen bis Mittag.

 

Der dritte Akt: Nachmittag bis Mitternacht desselben Tags.

 

Der vierte Akt: Nachmittag des folgenden Tags bis Mitternacht.

 

Der fünfte Akt: Morgen des folgenden Tags bis Mittag.[135]

 

Erster Akt

Erster Auftritt

Abend, ein Licht.

Eine kleine bürgerliche Stube in Valerios Haus mit einem Kamin. Ponce, in einer reichen venetianischen Maske, schwarz mit Brillant-Knöpfen, steht auf einem Tabouret; Valeria, die ihn geputzt hat, kniet vor ihm und zupft ihm die Schleifen an den Schuhen und Beinkleidern zurecht. Ponce ist durch und durch launig, kalt, und gut in dieser Szene zu nehmen.

 

VALERIA sieht an ihm in die Höhe, und nickt. Ponce?

PONCE. Und? – Wird es bald ein Ende? Man darf euch Mädchen nur unter die Hände kommen, so wird man gleich oder nimmer fertig.

VALERIA. Nimmer, meiner Liebe zu dir wird nimmer ein Ende, ich könnte mein Leben damit zubringen, dich zu putzen – ach! und ich würde nicht fertig. –

PONCE. Putze lieber einmal das Licht.

VALERIA sie tut es. Du hast recht, so kann ich dich noch besser bewundern, du bist doch gut, daß du das sagst. –

PONCE. Ich bitte dich, stelle dir nichts zu Großmütiges von mir vor; es war der bloßen Dunkelheit wegen, und damit ich schneller von dem dummen Stühlchen herunterkomme. Nun bin ich gut genug?

VALERIA. O wie bist du! – Du bist ordentlich zu gut für den Ball, Beleuchtet ihn. steige nur herunter.

PONCE. Zu gut für den Ball, zu gut für mich, zu gut für die ganze Welt. Er setzt sich. Mache nur den Mantel fertig; es ist Zeit, daß ich gehe.

VALERIA näht an dem Mantel. Zu gut für die ganze Welt? Ponce, ich bin auch auf der Welt.

PONCE O ja! aber höre, erzähle mir etwas anders. VALERIA. Du hast recht, du hörst das schon so lange, ich weiß auch gar nichts mehr als von dieser Liebe. Doch – erwartet Ihr Don Felix noch auf dem Balle?

PONCE. Aquilar hat den Ball angestellt, damit Felix Lucillen gleich bei seiner Ankunft bequem sprechen kann, denn er ist[136] ein sehr bequemer Liebhaber. Lucillen wird er aber nicht finden; Gott weiß, was ihre Tante bewogen hat, sie zurückzuhalten. Bist du bald fertig?

VALERIA hängt ihm das venetianische Mäntelchen um. Hier – wie bist du nun schön, und wie durch und durch maskiert – die Locken verstellen dich und verschönern dich – ach!

PONCE. Was fehlt?

VALERIA. Wenn nun eine andre die Reihen so mit dir durchfliegt und deinem Herzen so nahe ist, und ich bin es nicht, – o! ich möchte auch auf diesem Balle sein, nur sehen, wie du tanzest und alle Augen dir nachgehen; nur in einem Winkelchen möchte ich stehen und für mich sagen: Der Schatz in seinem Herzen ist mein, alle die Edelsteine auf seinem Wamse sind nicht mein, aber er, er selbst ist mein.

PONCE. Was liegt dir daran, wenn ich andern gefalle? Sei zufrieden, wenn ich dir gefalle.

VALERIA. Du mir – und Valeria, wem?

PONCE. Natürlich jedem, der schöne Mädchen liebt, und also – Er küßt sie.

VALERIA umfaßt ihn. Du liebst mich – o Ponce, was wird das werden, daß ich mich nicht vor diesem Putze fürchte, den ich so sorgsam ordne und dann nicht schone, dich zu umarmen. – Du schweigst?

PONCE windet sich los. Mache fort, Liebe, ich muß weg.

VALERIA. Dieser Putz ist eine Maske, Ponce, du liebst mich nicht, du hast dich nur maskiert, und ich habe geholfen, mich selbst zu betrügen.

PONCE. Gut dann – ich liebe dich, weil du mich so hübsch maskierst.

VALERIA traurig. Ach, und ich maskierte dich, weil ich dich so sehr liebe.

PONCE. Sei ruhig, Liebe, ich kann ja nicht mit dir gerührt werden, Masken können ja nicht weinen.

VALERIA. Aber ihre Kälte kann weinen machen – Wendet sich weg.

PONCE umfaßt sie. Wie bist du nun, läßt du mich da stehen! Wo ist der Spiegel, ich will sehen, wie du mich so hübsch geputzt hast, und dich – ja, und dich loben.[137]

VALERIA. Ich habe keinen Spiegel mehr, der Vater hat ihn mir zerschlagen.

PONCE. Ei! so will ich mich in deinen Augen spiegeln.

VALERIA. Die sind trübe, und die Tränen sind dein.

PONCE. Mein? So gieb mir sie wieder – Küßt ihr die Augen. Warum hat der Vater denn deinen Spiegel zerschlagen?

VALERIA. Er sagt, ich studiere immer Mienen vor dem Spiegel, um dir zu gefallen, und zerschlug ihn letzthin. Da er gehört hatte, Porporino sei in den Krieg, weil ich ihn nicht mehr so sehr liebte, nahm er den Spiegel, brachte ihn vor mich und sagte: Wie siehest du aus, wenn du an den Ponce denkst? Da sah ich treuherzig hinein, und er mit, und als er sah, wie ich so selig hineinsah Sie sieht freundlich nach Ponce. – sieh, so sah ich hinein – da warf er den Spiegel an den Boden und sagte: So zertrümmre das Gesicht, das du für den Ponce machst, und wenn du es noch lange machst, wird es dir auch gehen wie dem Spiegel. Ist das wahr, Ponce?

PONCE. Dein Vater soll ein sehr exemplarischer Mensch sein, und ich halte viel auf seine Wahrheit.

VALERIA. Ponce, du bist boshaft, oder ich sehr unglücklich.

PONCE. Du bist ja nicht von Glas, du wirst nicht zerbrechen. Hast du denn kein Stückchen von dem exemplarischen Spiegel mehr? Es ist ja ein wahrer Beichtspiegel; ich möchte gern sehen, wie ich geraten bin.

VALERIA. Gut geraten, und ungeraten – in meiner Kammer steht am Fenster ein Stückchen Spiegel.

PONCE. In deiner Kammer? Ich mochte wohl manchmal drinne sein.

VALERIA beleidigt. Pfui, Ponce.

PONCE. Sei zufrieden, ich will nachsehen.

VALERIA faßt ihn bei der Hand. Ich will dich führen, du findest dich nicht.

PONCE. Noch einmal, wer euch Mädchen in die Hände fällt, wird nimmer fertig.

VALERIA. Noch einmal, ich finde meiner Liebe kein Ende.

PONCE. Ich will allein suchen – bleibe. Ab.[138]

 

Zweiter Auftritt

VALERIA. Ich finde meiner Liebe kein Ende, ach! und er will allein suchen.

 

Dritter Auftritt

Valeria. Valerio hat den Arm voll Mäntel.

 

VALERIO. Guten Abend, Mädchen, was sinnest du wieder? Du hast ein gutes Leben, ich weiß nicht wohin vor Arbeit zu dem Balle; da habe ich die Mäntel für die Tänzer, daß sich die Wildfänge nicht erkälten.

VALERIA die in Gedanken stand. Lieber Vater, ich habe die Fackeln schon alle hintragen lassen; wenn nun die Mäntel dort sind, habt Ihr Ruhe.

VALERIO. Hilf mir die Nummern an die Mäntel heften.

VALERIA. Dieser ist für Ponce, Nummer eins, er hat ein samtnes Futter im Kragen, und ich habe ihn auch schon einmal angehabt.

VALERIO. Wo ist dann dieser Ponce? Ich glaubte, du maskiertest ihn.

VALERIA. Er ist oben in der Stube.

VALERIO. Allein? – Sieht ihr in die Augen. Da haben wir es – gehe doch zu ihm, Valerchen.

VALERIA. Er will mich nicht.

VALERIO. Er will dich nicht? So jage ihn – du hast wieder geweint. Der Ponce ist mir ein seltsamer Gast, und hat eine komische Manier, sich lieben zu lassen. Valerchen, nimm mir deine Augen in acht, es sind die Augen deiner Mutter, und dein bestes Erbstück – nimm sie in acht, und jage den Ponce.

VALERIA. Ich liebe ihn.

VALERIO. So jage ich euch alle beide.

VALERIA. Mich jagen? Vater, das geht nicht.

VALERIO. Es wird schon gehen, wenn ich es jage.

VALERIA. Wer wird Euch dann aus dem dicken Buche vorlesen, von dem Maurenkrieg?

VALERIO. Das mußt du mir zur Strafe erst so oft vorlesen, bis ich es auswendig kann.[139]

VALERIA. Wer wird Euch die Halskrausen machen, die Euch nimmer recht sind?

VALERIO. Ich werde mich nach der Mode kleiden; da kann ich sie kaufen, und im Sommer brauche ich gar keine.

VALERIA. Wer wird vor Euch gehen, stehen, Euch grüßen und Euch singen wie die liebe selige Mutter.

VALERIO. Ja, wegen des Gehens, Stehens und Singens – da hast du recht; geschwinde, mache mir so etwas, sonst jage ich dich.

VALERIA legt die Mäntel weg, geht zierlich in der Stube auf und ab, und singt.

O böse Sklaverei!

O wär ich wieder frei!

Kein Blicken, kein Winken, kein Scherzen,

Kein Äugeln, kein Locken, kein Herzen

Soll, wird je mein Herzelein flott,

Mich wieder berücken, umstricken – bei Gott!

VALERIO. Gut, Gott gebe, daß es wahr werde; du mußt nur ein wenig mehr schnarren, deine Mutter schnarrte allerliebst.[140]

 

Vierter Auftritt

Ponce maskiert, mit dem Federhut auf.

 

PONCE. Guten Abend, Papa! Habt Ihr Euch etwas singen lassen? Nun, Mädchen, du hast artig gesungen, und vorhin ebenso artig geweint. Will sie küssen. Adieu.

VALERIA. Laß mich, das erste konnte ich besser.

VALERIO. Du sollst aber das erste verlernen, und das zweite besser begreifen.

PONCE. Brav, Papa, gebt ihr Unterricht! Ihr seid einer von denen, die sich mit dem Zuhörer in die Sache teilen; wenn Ihr singt, weinen die Leute.

VALERIO. Richtig – bleibt noch ein wenig da, ich will Euch ein Liedchen singen, daß Ihr weinen sollt; doch Ihr seid ein böser Sohn, Ihr hättet Eurem Vater kein Gehör gegeben, wäre er gleich ein Musikant gewesen und hätte es nötig gehabt.[140]

PONCE abgehend. Und Euer Ohr ist so lang; Er macht einen großen Schritt nach der Türe. ja, der Ton eines Sängers, der eine Glasblaserlunge hat, könnte der Quere hinein. Er macht eine geschmackvolle Verbeugung. Gute Nacht beisammen.[141]

 

Fünfter Auftritt

Vorige ohne Ponce.

Kleine Pause.

 

VALERIO. Was denkst du von dem Menschen?

VALERIA. Daß er so eitel ist, als er schön ist; und war er nicht sehr schön, als er seine Verbeugung machte?

VALERIO. Und was willst du, daß er von dir denke?

VALERIA. Daß ich ihn liebe.

VALERIO. Da schlägst du deinem Vater nicht nach; meines ist einfacher, ich denke, er fühlt so gut Prügel, als er sich fühlt, und wünsche, er möge wissen, daß ich sie so gut gebe, als er sie fühlt.

VALERIA schmeichelnd. Ich schlage Euch nicht nach – Väterchen, laßt mich die Mäntel auf den Ball tragen.

VALERIO ironisch. Töchterchen, das geht nicht an! Siehst du, die Nachtluft, und du mußt doch auch dein Ruhestündchen haben; ich will das schon machen, was würden die Leute sagen? Nein, ich bin kein Barbar.

VALERIA. Ihr spottet meiner? Sagt lieber nein, Vater, Ihr wißt, ich will nur sehen, wie Ponce tanzt.

VALERIO. Ja, das weiß ich, und darum sollst du nicht, – grade weil ich den ganzen Tanz müde bin. –

VALERIA. Geht doch mit, Vater.

VALERIO. Ja, mitgehen und zusehen, wie du armer Schelm verzwatzlen möchtest, weil du der Schicklichkeit halben bei mir stehen bleiben müßtest. Ich kann nicht mitgehen, es ist mir nichts fataler, als die Liebe zu stören; also bleibe zu Haus! Ja, wenn Porporino hier wäre!

VALERIA. So wäre es um nichts besser.

VALERIO. Um dich wäre es besser, denn er wäre um dich, und er ist besser für dich als Ponce, und um ihn wäre es besser, denn wenn du ihn gleich nicht mehr liebst wie ehedem, so[141] schießt du ihn doch nicht tot, was ihm leicht in Flandern geschehen kann.

VALERIA. Ihr meint auch gleich das Schlimmste! Habt Geduld mit mir, es wird alles wieder gut werden, laßt mich auf den Ball, ich bitte Euch!

VALERIO es klingelt. Ein Stückchen Weg kannst du allein hingehen, aber weiter nicht, das heißt, bis an die Haustüre, hörst du! Es klingelte, mache die Türe auf – nimm das Licht mit, daß du nicht fällst.

VALERIA. Dann laßt Ihr mich aber auf den Ball, nicht wahr, Väterchen? Ab.[142]

 

Sechster Auftritt

VALERIO. Es ist nichts drückender als die verwickelten Gefühle! Da habe ich das Mädchen lieb, und den Porporino, und meine Ruhe, und meine Ruhe läßt mir keine Ruhe.

 

Siebenter Auftritt

Valeria leuchtet der Stube herein, Sarmiento folgt ihr als Automate maskiert; er trägt einen bunten Mantel, chinesischen Spitzhut, einen Trichter in der Maske, setzt sich.

 

VALERIA beleuchtet ihn. Eine Maske, Vater, ihre Stimme erschreckte mich beinah; seht, mit einem Trichter – ein Wahrsager.

VALERIO. Setzt Euch, laßt Euch nieder, schöne Maske, – was steht Euch zu Diensten?

SARMIENTO. Du – denn du stehst und ich sitze.

VALERIO. Ha! Ihr seid witzig; soll ich Euch etwas in den Trichter gießen?

SARMIENTO. Wie du mir eintrichterst, werde ich dir austrichtern.

VALERIO. Hörst du, Mädchen? Der lustige Patron!

VALERIA. Ja, er antwortet recht schnell, macht es auch so; sagt, darf ich nach dem Ball?

VALERIO. Schon gut, lasse uns erst hier unsre Maskerade genießen. Lustiger, gewandter Mann mit dem umgewandten Trichter, nun – ja – was wollt ich denn gleich sagen?[142]

SARMIENTO. Was du nicht wußtest, ehrlicher, lustiger Valerio de Campaceo.

VALERIA. Vater, vergeßt mich nicht.

VALERIO. Gleich, ich will ihm nur erst eine Frage setzen, die er mir schuldig bleiben soll. So sagt mir denn, was ich vergessen habe; seht, hier über das Kamin möchte ich gerne eine Sentenz schreiben; nun hatte ich zwar sonst eine, jetzt aber habe ich sie vergessen.

SARMIENTO. Bene bibere et laetari.

VALERIO verwundert. Bene bibere et laetari – recht – recht, Ihr seid ein Hexenmeister; sagt, woher wißt Ihr das? Ihr müßt ein alter Bekannter sein – es sind doch nun achtzehn Jahre her, daß ich es vergaß.

SARMIENTO. Armer Valerio! seit achtzehn Jahren nicht gut getrunken und nicht gefreut?

VALERIA. Lieber Vater, nun habt Ihr Euren Spruch, daß Ihr zufrieden seid; gebt mir den meinen auch so – soll ich gehn?

VALERIO. Gehe, Kind, hole deinen Spruch, wo ich den meinen holte.

VALERIA. Mein lieber Freund, heute ist ein Ball, auf welchem ein Mann ist, den ich liebe, und ich möchte ihn gern tanzen sehn – darf ich hingehn? –

SARMIENTO. Dein Vater und ich gehen auch mit.

VALERIA. Habt Ihr gehört, Vater? – Wie das Orakel klug spricht!

VALERIO. Was dir so recht gelegen kömmt, nennst du klug – was willst du denn vorstellen? –

VALERIA. Seht, ich habe wohl gewußt, daß Ihr mirs noch zugeben würdet, und habe mir schon eine Maske als Kolombine zurecht gemacht. Ich werde Euch gefallen. Ab.[143]

 

Achter Auftritt

Vorige ohne Valeria.

 

VALERIO rückt einen Stuhl vor Sarmiento, und setzt sich dicht vor ihn. Es muß nun herauskommen, wer Ihr seid. Daß Ihr mein Sprüchlein wußtet und so vertraut tut, macht mich sehr ungeduldig. Wart Ihr nicht zu Saragossa?

SARMIENTO. Da war ich.[143]

VALERIO. Ja, wart Ihr nicht einmal Türmerjunge? Seid Ihr nicht? nu –

SARMIENTO. Cotala bin ich nicht, der dich lehrte nüchtern zu werden.

VALERIO. Cotala, Cotala, den kennt Ihr auch! Das ist wunderbar – O, Ihr seid der jüngre Bruder der Fähnrichs – Wie hieß er doch gleich? – Fadrique – Fadrique?

SARMIENTO. Fadrique Ramiro bin ich nicht, der die schöne, gute Schwester hatte.