Hedwig Dohm: Die Antifeministen

 

 

Hedwig Dohm

Die Antifeministen

Ein Buch der Verteidigung

 

 

 

Hedwig Dohm: Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Lou Salomé, Paul Ree and Friedrich Nietzsche, Fotografie aus dem Atelier Jules Bonnet, 1882

 

ISBN 978-3-8430-8271-6

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9386-6 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9387-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Buchausgabe: Berlin (Ferdinand Dümmler) 1902.

Die Aufsätze erschienen zuerst seit 1897 in verschiedenen Periodika, darunter in der von Minna Cauer herausgegebenen Zeitschrift »Die Frauenbewegung«.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Hedwig Dohm: Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung, Berlin: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, 1902.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Einleitung

Das Buch »Die Antifeministen« besteht zum Teil aus Aufsätzen, die im Lauf der letzten fünf Jahre in verschiedenen Journalen zum Abdruck gelangt sind.

Es ist ein Buch der Verteidigung, nicht des Angriffs.

Man hat mir vorgeworfen, daß meine polemischen Aufsätze der Ausdruck eines Geschlechtskampfes seien, ein männerfeindliches Dreinhauen, unter dem Motto: nichts mit dem Mann, alles gegen den Mann.

Gegen welchen Mann? doch nur gegen denjenigen, der meine Entrechtung für alle Ewigkeit festhalten will, der das Weib nur als Durchgang zum eigentlichen Menschen – als Gebärerin des Mannes – gelten läßt.

Man hat meine Kampfesweise von Person zu Person als einen geschmacklosen Anachronismus bezeichnet, und als unwürdig, weil sie sich des Spottes bediene.

Ein Kampf von Person zu Person? Wieso?

Die von mir gewählten Vertreter des Antifeminismus kenne ich ja gar nicht. Es mögen charakter- und gemütvolle Persönlichkeiten, meinetwegen Menschen zum Verlieben sein, auch in ihren Schriften mag neben dem, was mich entrüstet, Gutes und Schönes stehen – das geht mich gar[1] nichts an. Ich wende mich nicht gegen Personen, sondern gegen Ideen, ich schreibe keine Kritiken, meine Feder ist nur mein Schild zur Abwehr der tödlichen Streiche, die man gegen mich als Weib führt.

Und wie sollte ich mich ehrerbietigen Ernstes befleißigen, Einwürfen gegenüber, die den Spott in unvergleichlicher Weise herausfordern.

Oder meint man: nie dürfe die schwache Frau über den starken Mann spotten, immer nur der starke Mann über die schwache Frau? Wäre das nicht, als schlügen große Jungen kleine Mädchen, und den kleinen Mädchen läge ob fein stillzuhalten? Haben nicht die Männer Jahrhunderte hindurch jeden auch noch so bescheidenen Anspruch der Frau mit Hohn und Spott zurückgewiesen? Bin ich nicht selbst, als ich vor 30 Jahren meine ersten Schriften in der Frauenfrage veröffentlichte, mit Hohn und Spott überschüttet worden!

Wie verfährt denn der Kritiker, der ein Drama oder ein Buch zerreißt? Und der Autor hat ihm nichts gethan. Nur sein Werk gefällt ihm nicht. Und satyrische Ausfälle – natürlich nur, wenn sie ihm zu Gebote stehen – sind seine Lieblingswaffen.

Männerfeindlich diese Form der Polemik? Und wäre ich den Männern liebevoll, bis an die Grenze des Erlaubten gesinnt – mich durch meine Gefühle bestechen lassen, wäre das nicht – weibisch?

Hasse ich etwa den Löwen, gegen dessen Angriff ich mich wehre? Aber, weil ich ihn schön und königlich finde, kann ich mich doch nicht von ihm auffressen lassen.[2]

 

Die Frauenfrage in der Gegenwart ist eine akute geworden. Auf der einen Seite werden die Ansprüche immer radikaler, auf der anderen die Abwehr immer energischer. Letzteres ist erklärlich. Je dringender die Gefahr der Fraueninvasion in das Reich der Männer sich gestaltet, je geharnischter treten ihr die Bedrohten entgegen. Und sind ihre Waffen vom Zahn der Zeit schartig geworden, sie putzen sie blank mit der ethischen Phraseologie, die noch immer ihren Schriftsteller – wenn er vom Mittelschlag ist – nährt.

Weit entfernt zu verlangen oder zu wünschen, daß der Frauenbewegung jeder Kampf erspart bleibe, kann uns nichts willkommener sein, als unsere Kräfte mit dem Gegner zu messen. Überall und immer, wo nach den Gesetzen der Entwicklung eine neue Idee der alten zumutet: »ôte-toi, que je m'y mette«, ist der Kampf unausbleiblich, notwendig, ersprießlich. Er klärt die Meinungen, bringt flutende Bewegung in die Massen, verhindert auf der einen Seite die Stagnation, auf der andern allzu starke explosive Gärungen. Lessing sagt in einer seiner Abhandlungen, daß die Menschen noch über nichts in der Welt einig sein würden, wenn sie sich noch über nichts in der Welt gezankt hätten.

Unsere Feinde kommen uns von oben und von unten. Das heißt: sie begründen ihre Gegnerschaft entweder mit der geistigen und körperlichen Minderwertigkeit der Frau, oder sie decken sie mit der erhabenen Mission des Weibes als Priesterin des häuslichen Herdes, mit ihrer mimosenhaften Zartheit und ähnlichem Flügelschmuck. Die meisten aber wenden beide Kampfesarten zugleich an, des geflügelten Wortes eingedenk, daß doppelt angespannt nicht reißt. Sie befolgen dabei eine nicht zu billigende Taktik. Entweder[3] lesen sie die Schriften der Feministen nicht, oder sie geben sich den Anschein, sie nicht zu kennen, um sich des Versuches ihrer Widerlegung enthalten zu dürfen. Im wesentlichen besteht ihre Beweisführung – wenn wir von gelegentlichen ethischen und ästhetischen Gefühlsschaudern absehen – in Behauptungen. Und immer behaupten sie dasselbe – dasselbe. Der Tropfen höhlt den Stein, wieviel mehr das weiche Menschenhirn.

Solche unentwegt wiederholten Behauptungen wirken beinah wie die Riesenreklamen für irgend ein Mittel, die uns in großen Städten oft jahrelang von allen Mauern, Säulen, Zäunen entgegengrinsen, bis sie uns förmlich hypnotisieren und – fast gegen unsern Willen – kaufen wir.

Eine schlaue Taktik, die Begründungen und Widerlegungen der Frauenpartei zu ignorieren, denn – die Leute lesen in der Regel nur diejenigen Zeitungen, Journale, Bücher, die ihren Anschauungen entsprechen. Ließen sich unsere Gegner nun zu einer sachlichen Erörterung der Ideen der Frauenbewegung herbei, so würden damit diese Ideen zur Kenntnis ihrer Kreise gelangen, und wer steht dafür, daß nicht ein Funke aus diesem Revolutionsherd ein Schadenfeuer in schönen Seelen anrichtete, die auf konservative Gesinnung geaicht sind.[4]

 

Vier Kategorien der Antifeministen

Dem Ansturm gegen die Frauenbewegung liegen die verschiedensten Motive zugrunde. Sie klar zu stellen nehme ich vier Kategorien der Antifeministen an.

 
 

Über die Altgläubigen ist nicht viel zu sagen. Die Majorität aller Menschen gehört zu ihnen. Diese Vielen nennen die Gewohnheit ihre Amme, die sie von der Wiege bis zum Grabe sicher nährt.

Die Altgläubigen sind diejenigen, die den Gedankeninhalt vergangener Jahrhunderte für alle Ewigkeit festzuhalten für ihre Pflicht erachten. Zum eisernen Bestand ihrer Argumentation gehört der liebe Gott und die Naturgesetze. In dem Jahrhundert der Naturwissenschaften, an deren Spitze die Entwicklungslehre steht, steifen diese Orthodoxen sich auf geoffenbarte Heiligkeiten und auf Naturgesetze, die die Wissenschaft nicht kennt. Ihr Hauptgrundsatz: Weil es[5] immer so war, muß es immer so bleiben. Sie treiben einen Gedanken-Ahnenkultus, die Taktik jener alten Spanier befolgend, die den toten Cid, aufrecht aufs Pferd gebunden, mit in die Schlacht führten, um mit dem Glauben an seine siegende Kraft den Feind zu schlagen.

Das Licht mancher Gestirne braucht Jahrhunderte, ehe es in unsern Sehkreis gelangt. Die Bewohner (wenn es solche gibt) unermeßlich weitentfernter Sterne würden vielleicht heutigen Tages – wenn ihre Augen oder Fernrohre bis zu uns reichten, Plato oder Christus über die Erde wandeln sehen.

Analoges im Geistesleben. Die Rückwärtsglaubenden sehen heut noch auf Erden Zustände, wie sie vor Jahrhunderten waren.

Über Institutionen, mögen sie durch Jahrhunderte oder Jahrtausende sich bewährt haben, wächst allmählich die fortschreitende Entwicklung hinaus. Ihr Inhalt schwindet. Aber durch lange Zeiträume hindurch erhalten sich noch die Formen, die keinen Inhalt mehr haben, und wirken fort. Nietzsche drückt das poetisch aus: »Buddha ist tot, aber wir müssen noch seine Schatten besiegen.«

So ist z.B. der Polterabend die letzte Reminiscenz des anfänglich wirklichen, später symbolischen Frauenraubes, der mit ungeheurem Getöse vor sich ging.

In der psychischen wie in der geistigen Welt ist alles in unaufhörlicher Bewegung. Kein Zustand ist bleibend, keine Substanz fest.

Und das ist der ungeheure Irrtum der Altgläubigen, daß sie sich diesem Gesetz der Bewegung verschließen.

Die Zeit ist unwiederbringlich hin, wo Königinnen und ihre Töchter spannen und webten und aufstehen mußten, wenn ein Mann ins Zimmer trat. Und nun zerbröckelt[6] auch langsam das Palladium der Antifeministen, die fünf inhaltsschweren Worte: die Frau gehört ins Haus.

Die Herrenrechtler unterscheiden sich von den Altgläubigen dadurch, daß sie weniger Gewicht auf den lieben Gott und seine Offenbarungen, als auf die realen, praktischen Unmöglichkeiten legen, die sich der Frauenemanzipation entgegenstellen. Sie pochen mehr auf ihre Rechte als auf die himmlischen.

Ich war an einem Sylvesterabend Ohrenzeuge, als so ein Herrenrechtler (er braute noch am Punsch) seine Frau, die mit dem Glockenschlag zwölf »Prosit Neujahr!« rief, zur Ruhe wies mit den Worten: »Ich habe hier zu bestimmen, wann Mitternacht ist.«

Der Herrenrechtler weigert dem Weib das Bürgerrecht, weil es als Weib und nicht als Mann geboren wurde.

Ach Gott, sie sollten doch mit ihrer Männlichkeit nicht so protzen. Wer weiß, ob nicht am Ende die ganze kleine Menschheit, wir Erdbewohner alle, nur Parias der Weltschöpfung sind, gegenüber anderen Geschöpfen auf höheren Sternen. Das Märchengedicht von der Riesentochter, die den pflügenden Bauer samt seinem Gespann für ein niedliches Spielzeug auf Rädern hält, das sie in ihrer Schürze mit nach Hause trägt, enthält eine hübsche, anregende Symbolik.

Der wirkliche Paria aber hatte gewiß auch Herrschergelüste und wollte wenigstens Oberparia sein, da machte er das Weib zum Unterparia.

Zu den Herrenrechtlern gehören die Charakterschwachen und Geistesdürftigen.

Die Charakterschwachen machen Front gegen die Frauenbewegung – aus Furcht. Sie haben immer Angst, von der Frau – besonders von ihrer eigenen – unterdrückt[7] zu werden. Weil sie sich heimlich ihrer Schwäche bewußt sind, betonen sie bei jeder Gelegenheit ihre Oberhoheit.

Die Motive derer, die das Pulver nicht erfunden haben, liegen zutage. Wenn die Frau nicht dümmer wäre als sie, wer wäre es denn?

Wenn der arme Schlucker auch von allen Männern über die Achsel angesehen wird, als Mann steht er doch über der größeren Hälfte des Menschengeschlechts – über den Frauen. Da spielt er die erste Geige, die eigentlich eine Pfeife ist, nach der das Weib zu tanzen hat. Er, der an Geist zu kurz Gekommene, ist es, der des Weibes völligen Mangel an Logik fett unterstreicht, mit dem triumphierenden Ausdruck, als plausche er lebenslang in logischen Wonnen.

Sein schönes Bewußtsein als Mann gleicht dem des Ariers dem Juden gegenüber. Ist er auch nichts, aber gar nichts anderes als ein Arier, so ist er doch wenigstens kein Jude, und er darf im Hinblick auf die hebräische Hakennase, auf seine Vivatnase (natürlich nur wenn er sie hat) stolz sein.

Die Herrenrechtler sind die Spottlustigen im Lande der Reaktion.

In einem Aufsatz, der mir vorliegt, malt so ein hoher Herr die Zeit aus, wo der Mann verdammt sein werde den Kochlöffel zu führen und die Kinder zu wiegen. Spaßig.

Ein Anderer vertraute mir einmal, er würde sich nie mit einer Ärztin verheiraten, aus Angst, sie könnte eines Tages seinen Gänsebraten mit einem Skalpell tranchieren. Ulkig. Ich riet ihm Vegetarier zu werden.

Und wollt Ihr wissen, wie der Herrenrechtler großgezogen wird?

Ich weiß ein Lied aus dem Büchelchen »Kinderwelt«, das ich unlängst in den Händen meiner kleinen Enkelin [8]fand.

 
Jungen und Mädchen.

Müller, Müller, mahl er!

Die Jungen kosten 'nen Taler

Die Mädchen kosten 'nen Taubendreck,

Die schupst man mit den Beinen weg.

 

Müller, Müller, mahl er!

Die Mädchen kriegen 'nen Taler,

Die Jungen kriegen 'n Reiterpferd,

Das ist wohl tausend Taler wert.

 

Der Herrenrechtler lacht. Ich nicht.

 

Kürzlich fiel mir eine Schrift in die Hand, in der ein Herrenrechtler sich lustig macht über die Frauenversammlungen, die, gleich den Parlamenten, als Rechte und Linke mit einander streiten.

Man braucht gerade kein Denker zu sein, um bemerkt zu haben, daß bei jeder sozialen oder politischen Bewegung eine Rechte und eine Linke sich bildet, – nicht als ein unvermeidliches Übel, sondern als ein notwendiger Faktor, ein Perpendikel, das in dem Uhrwerk der Kultur ein Vorgehen oder Nachgehen verhütet. Die Rechte im Parlament, ohne die Linke gedacht, würde einer chinesischen Mauer gleichen, undurchlässig für jede soziale Neugestaltung. Der Linken gegenüber verhütet die Rechte unter Umständen, daß Früchte vom Baum der Kultur gepflückt werden, ehe sie reif sind. Wenn also eine Frauenbewegung überhaupt zu existieren sich erlauben darf, so ist nichts einfacher und natürlicher, als daß alle Meinungsschattierungen eines rechten und linken Flügels in ihr zu Tage treten.

In der heutigen Frauenbewegung vertritt die Rechte[9] die praktische Seite, das augenblicklich Erreichbare. Die Linke zeigt die Ziele der Bewegung in der Zukunft.

»Eine theoretische Leistung ist um so besser, je vollständiger sie alle, auch die letzten und entferntesten Konsequenzen des in ihr entwickelten Prinzips zieht. Eine praktische Leistung ist um so mächtiger, je mehr sie sich auf den ersten Punkt konzentriert, aus dem alles weitere folgt.« (Lassalle.)

Der praktische Egoist betrachtet die Frauenemanzipation vom Standpunkt der Vorteile oder Nachteile, die ihm daraus erwachsen könnten. Er – der Geschäftsantifeminist – fürchtet von ihr die Konkurrenz beim Broterwerb, sieht aber zugleich in der Erwerbsfrau die Zerstörerin seiner häuslichen Behaglichkeit.

Was? sie will Griechisch oder Mathematik treiben? Wozu? was habe ich davon?

Freilich – indessen – eine Entlastung von unversorgten Tanten, Schwägerinnen, Cousinen und sonstigem Parasitenvolk ist auch nicht ohne. Eröffnen wir ihr also so viel Erwerbsquellen, als zur Sicherung unseres Geldbeutels dienen.

Der typische Fall eines solchen Egoisten schwebt mir vor. Ein alter Dichter war's, – er ist nun lange tot – der durch seine begeisterten patriotischen Gesänge sich Freunde und Bewunderer erwarb, und der außerdem den Ruf eines edlen und reinen Menschen genoß. Das stimmte vielleicht bis zu dem Punkt, wo das Weib in Frage kam. Er hatte eine Frau und zwei Töchter. Die ältere war ein ungewöhnlich begabtes und reizvolles Geschöpf. Dienstboten um sich zu sehen, hätte die feinen Nerven des Dichters verletzt. Auch glaubte er bei seinen geringen Mitteln das Geld besser zum Ankauf von Büchern als zur Entlohnung von Dienstmädchen anwenden zu können.[10]

Er ließ die Töchter nichts lernen. Die drei Frauen bildeten sein Dienstpersonal und verrichteten jedwede Arbeit im Hause, auch die niedrigste. Jahre nach dem Tode des Dichters sah ich die begabte Tochter einmal wieder: ein kümmerliches, verhutzeltes Weibchen, die sich mühselig mit der Unterstützung früherer Freunde ihres Vaters durchbrachte.

Ich haßte diesen alten Dichter mit dem rosigen Gesicht, den blauen, treuen Augen und der hohen Dichterstirn.

Die Ritter der mater dolorosa gebärden sich teils als Schutzengel, die ihre Götterhände über das gequälte Weib halten, teils als Cerberusse, die der Unberufenen, die sich in ihr Gehöft wagt, gefährlich die Zähne zeigen.

Zur Illustrierung dieser Gruppe werde ich hervorragende Vertreter derselben wählen und meine Ansichten an ihre Auffassungen der Frauenfrage knüpfen.

Trotzdem wird man mir vorwerfen, ich hätte Nichtigkeiten aus unbeträchtlichen Schriften beigebracht, die keiner Widerlegung wert wären. Die Tatsache ist richtig, der Vorwurf unverdient. Es wäre mir recht gewesen, gewichtigere Gründe bekämpfen zu dürfen. Nichts hätte mir ferner gelegen, als sie unterschlagen zu wollen. Ich habe keine solchen Gründe gefunden, nie und nirgends.1

Man nenne mir den Schriftsteller, das Buch, die Broschüre, das die Gegnerschaft mit Geist, Logik und Gerechtigkeit vertritt, und ich will es eifrig und vorurteilslos studieren.[11]

 

Fußnoten

 

1 Den einzigen Einwand, der nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist, und der auf der Mutterschaft beruht, werde ich an anderer Stelle ausführlich behandeln.

 

Zwei Altgläubige

(Als Illustrationsprobe.)

1. Ein Amazonentöter.

Die Kampfesart unserer Gegner hat naturgemäß im Lauf der Jahrzehnte ihre Physiognomie geändert. Fern liegt die Zeit, wo die ersten Symptome der Bewegung mit gröbsten Späßen, gelegentlich auch mit Zoten – abgefertigt wurden. Ich will nicht auf Hans Sachs zurückgreifen, der empfiehlt, ungehorsame Weiber windelweich zu prügeln. Aber auch noch vor 25 Jahren deckten hervorragende Wissenschaftler ihren Bedarf an Gründen mit Harlekins-Einfällen. Man nahm eben die Sache noch nicht ernst.

Wie man damals argumentierte, möchte selbst unsern heutigen Gegnern ein Lächeln abgewinnen. Jene Amazonentöter, die vor 25 Jahren an der Spitze unserer Gegner standen, dürften heut kaum noch im Train mitmarschieren.

Ich kann mir nicht versagen, dem Leser eine kleine Blütenlese aus dem dicken, dicken Buch eines solchen altgläubigen Gelehrten zu bieten.

Der heitere Herr ist nicht der erste beste. Auf dem Titelblatt lesen wir: »Doktor der Medizin und Chirurgie, legaler Direktor der L. L. Akademie, Mitglied gelehrter Gesellschaften u.s.w.« Und wir lesen, daß dieses Mitglied[12] in sechs Sprachen 284 Bücher studiert hat, um die Hinrichtung der weiblichen Revolutionshorde gründlich besorgen zu können.

Ich nenne seinen Namen nicht. Ich bin zwar nicht Spiritistin genug, um an die Rachegeister Verstorbener zu glauben, aber – man kann nicht wissen.

Jedenfalls muß der Amazonentöter in der litterarisch wissenschaftlichen Welt in hohem Ansehen gestanden haben. In den verschiedensten Büchern habe ich ihn als beweiskräftigen Gewährsmann citiert gefunden.

Ein Kapitel des Buches ist den Verbrechen der Frauen gewidmet. Er weiß ein Heilmittel gegen diese Kalamität: »Zur Verhütung des Verbrechens bei den Frauen gehört weiter nichts als die Schaffung natürlicher Lebensverhältnisse, die Beseitigung von Elend und Üppigkeit, von Emanzipation und Sklaverei, von Verwahrlosung und raffinierter Hyperzivilisation.«

Weiter nichts??

Könnte nicht auch die Männerwelt von diesem Heilmittel profitieren? Ja, täusche ich mich, oder wäre mit der Anwendung dieses Mittels (wo ist die Apotheke, in der es hergestellt wird?) nicht überhaupt die ganze, große, soziale Frage mit einem Schlage gelöst?

Von der physischen Natur des Weibes.

Er führt die Phrenologie ins Gefecht. Absehend von der Gepflogenheit, Herz und Gehirn zu prüfen, prüft er nur Stirn, Augen, Nase, Haar der Frau.

»Es bekümmert ihn, daß bisweilen auch bei Frauen eine senkrechte Stirnfalte vorkommt, die bekanntlich Denkkraft und Energie bekundet.« Denkkraft und Energie! die Kainszeichen der Emanzipierten! Ihn überläuft eine Gänsehaut.

Gott sei Dank, kann die ominöse Stirnfalte beseitigt[13] werden. »Solche Frauen können mit Liebe und Gemütsruhe leicht regiert, und es kann die Tiefe ihrer senkrechten Stirnfalten immer mehr vermindert werden.« Wir atmen auf.

Die Augen der Frau. »Feinfühlende, gemütvolle Frauen haben nicht einerlei Farbe der Augen (ach!) sondern es kommen deren Augen mehr in Form und Glanz überein.« Ja?

Die Nase. »Der Mann mit wohlgeformter Nase soll eine Frau mit gleicher oder ähnlicher Nasenform sich wählen, (wäre dem Mann mit mißgeformter Nase nicht erst recht eine Frau mit schöner Nase vonnöten, schon der armen Kinder wegen?) damit die gegenseitige Verständigung größer, das Leben somit glücklicher, gemütlicher werde.«

Die Ehefrage eine Nasenfrage! Der Herr hat Cyrano von Bergerac vorgeahnt, dem die Nase das Herz brach.

Die Sache ist aber wieder gar nicht so schlimm. Das Mitglied gelehrter Gesellschaften weiß das Heilmittel gegen weibliche Nasenentartung. Er weiß, wie »jene Konstitution des weiblichen Geschlechts sich erzielen läßt, die teilweise (vorsichtig dieses ›teilweise‹) durch eine gut oder schön geformte Nase sich ausdrückt, nicht nur durch passende Auswahl des Ehegatten, sondern auch durch Tilgung von Elend, Roheit, Sittenlosigkeit, durch Bannung der Üppigkeit, Schwelgerei und Ausartung.«

Ja, banne du nur!

Man sieht, es ist dasselbe Heilmittel wie gegen die Verbrechen der Frau.

Das Haar. »Im allgemeinen entscheidet die Farbe des Haupthaares noch nicht darüber, (also doch zuweilen?) ob man es mit einer guten oder bösen, nobel oder pöbelhaft angelegten Weibsperson zu thun habe, aber man kann immerhin annehmen, daß die Heftigkeit in Produktion von[14] Gedanken, Gefühlen, Trieben, Leidenschaften (sind das gute oder pöbelhafte Qualitäten?) mit dem Dunklerwerden des Haares wachse, daß im großen und ganzen die dunklen mit rasch dahinbrausenden, die hellen mit langsam fließenden Gewässern verglichen werden können.«

Seite 126 aber desavouiert Seite 123: »Ein Weib mit schwarzem Haar pflegt mächtige Leidenschaften zu beherbergen. Man darf indessen nicht glauben, daß die Leidenschaften gerade mit dem Hellerwerden des Kopfhaares sich vermindern.«

Wo in aller Welt kommen denn nun all die weiblich sanften Frauen her, die doch ihren Geschlechtscharakter repräsentieren sollen!?

»Weichheit des Haares«, fährt er fort, »gehört entschieden zu den Zeichen der Weiblichkeit, und ein gefühlvoller, naturfrischer Mann wird zumeist instinktmäßig eine Frau mit weichem Kopfhaar sich erwählen.«

Wie aber kommt der Mann hinter die Beschaffenheit des Haares? Ein Spielen mit den Locken unbescholtener Jungfrauen ist für junge Männer nicht statthaft, und sich hinter den Friseur des Fräuleins zu stecken, ist teils wenig gentlemanlike, teils haben die Fräuleins gar keinen Friseur.

Fein zieht sich der Gelehrte aus der Klemme. »Instinktmäßig« erkennt der gefühlvolle, naturfrische Mann die Qualität des weiblichen Schopfes.

Ein Bedenken! Könnte es nicht vorkommen, daß ein lieblich Kind in all seiner Unschuld die strafbaren Borsten des Vaters ererbte? Müßte nicht mithin, um beglückende Ehen zu erzielen, den Männern mit struppigem Haarwuchs die Ehe verboten werden? Und müßte nicht ein gleiches Verbot an alle melancholischen Väter ergehen? Der Autor[15] nämlich hält es »für eine der wichtigsten Aufgaben der Nationalerziehung, das melancholische Temperament, insbesondere bei Frauen immer mehr und mehr auszutilgen.«

Wie wär's, wenn dieser heitere Herr, bei dem das melancholische Temperament bereits ausgetilgt ist, mit einem Federstrich die Vererbung für null und nichtig erklärte? Es kostet ihm ja auch nur einen Federstrich, der Frau den Verstand fortzudekretieren.

Und hiermit wären wir von dem Exterieur zum Interieur der Frau gelangt, und können dem Sturmlauf des Akademie-Direktors gegen den Verstand der Frau beiwohnen.

»Das Weib urteilt nur auf Grund von Schein und Schale... Bei denkkräftigen Männern werden die Ergebnisse ihres Nachdenkens weder durch das Gemüt beeinflußt noch erschüttert. (Diese Gletscher!) Frauen werden nie im stande sein, die Gedanken von der Herrschaft der Gefühle auch nur für Augenblicke zu befreien« u.s.w.

Als mildernder Umstand für das, was der Amazonentöter sagt und nicht sagen sollte, mag gelten, daß es einsichtslose Mütter gibt, die sich nicht scheuen ihre geistige Geringfügigkeit auf die Söhne zu vererben.

»Während in dem männlichen Gehirn das Wahrgenommene sich mehr seiner Innerlichkeit nach ausdrückt, beschäftigt sich das Weib fast ausschließlich mit dem äußeren Kern, mit Kleidungsstücken, Haartracht, Ringen, Uhrketten und anderen langweiligen Anhängseln.«

Ob der Herr seine Frauenkenntnis den Gefilden von Neuseeland und Zentralafrika verdankt? Nein, denn er fährt fort: »Alle gesitteten Länder zusammengenommen, kann man sagen, daß den Frauen aller Stände mit wenigen Ausnahmen, ein Mann mit großen, goldenen Achselstücken und großer Feldschärpe (die Portiers vor den Palästen z.B.)[16] weit lieber und willkommener sei, als der beste und edelste Philosoph von Weltruf.«

Daß er eben erst die Innerlichkeit des Mannes auf den Schild erhoben, hindert ihn nicht, gleich darauf zu behaupten: »Zahllos sind die Jungfrauen und Weiber, welche guter Wahl von Kleidungsstücken und Putzsachen die Eroberung von Ehegatten verdanken, von Anbetern, deren Feuer manchmal in geradem Verhältnis steht zu dem Putz der Herzensdame.« Na, er muß es ja wissen als Mann.

Bildung der Frau. »Alle Geistesbildung der Frau muß auf Tugend hinauslaufen, und darf Weisheit nicht erzielen wollen.«

Weisheit als Gegensatz der Tugend! Heiliger Sokrates.

Auf eine Tugend, die goldene Achselstücke dem edelsten Menschen vorzieht, – mit Erlaubnis – pfeife ich.

Aus dem Kapitel der Liebe. »Frauen sind mehr unglücklicher Liebe zugänglich als der Mann.« Der heitere Herr hält das Universalmittel bereit.

»Das Weib muß so erzogen werden, daß unglückliche Liebe verhängnisvolle Wirkungen nicht auszuüben vermag ... Hierzu gehören feste Grundsätze, es gehört dazu jene wahre Moral der Selbstlosigkeit, der Einsicht, der Verzeihung und der Herzensgröße, welche allein imstande ist, Schmerzen zu stillen und den Verstand vor Verwirrung zu bewahren.«

Wie wär's, wenn man die Erreger der unglücklichen Liebe in den Zivilstand versetzte, sie der goldenen Achselstücke und der großen Feldschärpe beraubte, womit ihnen der Boden für das Brechen weiblicher Herzen entzogen würde.

»Um mehr legitime Ehen zu erzielen, muß man den Geschlechtstrieb eng an den Heiratstrieb knüpfen.«[17]

Ja, knüpfe Du nur!

Gibt's überhaupt einen Heiratstrieb?

Er bleibt uns diesmal das Heilmittel schuldig. Da wüßte ich nun wieder eins: eine solide Mitgift und die Knüpfung der beiden Triebe ginge glatt von statten.

Vom Sterben der Frau. Er führt einen Schriftsteller (Sauvergne) an, der da sagt: daß die Frauen im allgemeinen besser zu sterben wissen, als die Männer.

»Ohne Zweifel, weil ihre geistigen Fähigkeiten insofern unvollständiger sind, als ihnen das Vermögen abgeht, so wie wir trostlose Theorieen über die Zerstörungen des Organismus auszuspinnen.«