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Gunther Rehfeld

Game Design und Produktion

Grundlagen, Anwendungen und Beispiele

2., aktualisierte Auflage

Autor:
Prof. Gunther Rehfeld, Department Medientechnik der HAW Hamburg

Herausgeber:
Ulrich Schmidt, HAW Hamburg

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Print-ISBN            978-3-446-46315-8
E-Book-ISBN       978-3-446-46367-7
E-Pub-ISBN         978-3-446-46645-6

Vorwort zur 2. Auflage

Seit dem Erscheinen des Buchs vor mehr als sechs Jahren hat sich an der technologischen Front einiges geändert. Anderes ist beim Alten geblieben. So sind VR (Virtual Reality) und AR (Augmented Reality) zurzeit in aller Munde. Zudem nimmt der Vertrieb von Spielen über digitale Plattformen wie Steam immer mehr Raum ein. Die Game-Engines werden immer komplexer, gleichzeitig aber auch effizienter und einfacher zu bedienen.

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Virtual Reality (VR) ist zurzeit ein viel diskutierter Trend.

Auf der anderen Seite ist das, was ein Spiel ausmacht, gleich geblieben. Die Grundlagen des Game Design werden sich ebenso wenig verändern wie der Prozess der Kreativität, der Umgang mit Spielelementen und -mechaniken, der Kern dessen, was eine gute Geschichte ausmacht etc. Sicherlich, immer neue Formate betreten den Markt. Oft als Moden, die jedoch nicht nur auf den Bereich von Games (Computerspielen) beschränkt sind. Ein Beispiel hierfür sind die sogenannten Exit- oder Escape-Games. Sie erfreuen sich zurzeit sowohl digital, als auch als analoge Formate einer großen Beliebtheit.

Nach wie vor treiben Games als gemeinschaftliche Interaktion die digitalen Märkte an. Multiplayer-Survival-Titel wie Ark:Survival Evolved (Studio Wildcard, 2017), Blockbuster wie Fortnite (Epic Games, 2017) bis hin zu Browser-Games sind immer wieder an den Spitzen der Charts zu finden. Nach wie vor erfreut sich Pokémon Go (Niantic, 2016) großer Beliebtheit. All diesen Titeln, wie auch den unzähligen Nachfolgern erfolgreicher Spiele (-Serien) ist eines gemeinsam: Zumeist haben sich die grundlegenden Mechaniken kaum geändert. Sie kommen in immer neuen Variationen, in neuen Settings, mit frischer Grafik unter Ausnutzung neuster Technologien daher. Nicht selten als mehr oder weniger gut gelungene Fortsetzungen.

Die wirklich interessanten Neuerungen finden sich auf dem sogenannten „Indie“ (Independent)-Markt. Eine Szene, die sich rasant entwickelt und mit immer wieder überraschenden, innovativen Ideen von sich reden macht. So mancher Entwickler schaffte es, durch tolle Spielideen bekannt zu werden. Titel wie „Thomas was Alone“ (Mike Bithell/Curve Digital/Bossa Studios 2013), „Baba is You“ (Arvi Teikari/Hempuli 2019), „Lost Ember“ (Mooneye Studios 2019) und viele mehr zeigen auf, dass es möglich ist als kleine Crew oder Einzelkämpfer innovative Spielideen an die Spielenden zu bringen. Manchmal sogar mit einem ansehnlichen ökonomischen Erfolg.

Für Autoren und kleine Entwickler bieten sich Indie-Treffs, Events1 und Webseiten wie https://itch.io/ an, um Spieler zu finden. Dort werden Ideen ausgetauscht und ausprobiert.

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Tolle Spiele brauchen keine aufwendige 3D-Grafik. Gerade im Independent-Bereich finden sich immer wieder einfache Spiele mit tollen Mechaniken wie „Thomas Was Alone“ (Mike Bithell/Curve Digital/Bossa Studios 2013).

Dass „Games“ und somit das „Spiel“ in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, zeigen zudem die mannigfaltigen Ansätze, sich spielerisch mit gesellschaftspolitischen Themen auseinanderzusetzen. Indie-Titel wie „Phone Story“ (Molleindustria 2012) oder „Papers Please“ (Lukas Pope 2013) begründeten eine Tradition, die sich mit „This War of Mine“ (11 bit studios 2014) fortsetzte.

Alles in allem ist festzustellen, dass im Bereich innovativer Spielideen und Mechaniken noch viel zu erwarten ist – nicht nur im digitalen Bereich, sondern speziell auch in Verbindung mit der analogen Welt. Die Grundlagen in Bezug zur Spiele-Entwicklung, dem Game Design, verändern sich ebenso wenig wie die Gesetze der Physik. Hingegen unterliegen Technologien, Werkzeuge, Vertriebs- bzw. Kommunikationswege sowie die Berufsfelder auch in Zukunft einem rasanten Wandel.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Ausdrucksform verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichstellung grundsätzlich für alle Geschlechter und Wesen. Die verkürzte Sprachform dient nur der einfacheren Lesbarkeit und beinhaltet keine Wertung.

Danksagungen

Mein Dank gilt all denen, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben. Die Studierenden mit ihren Anregungen und spannenden Diskussionen haben mich oft inspiriert und motiviert, dieses Buch zu schreiben. Vor allem möchte ich mich aber bei den Praktikern für ihre Hilfestellung, dieses und jenes kritische Auge und ein paar Tipps bedanken. Besonders zu erwähnen wären da: Torben-Lennard Böge (XYRality) mit der fantastischen BA-Thesis zum Thema Balancing und dem kritischen Blick. Jan „Poki“ Müller-Michelis (Daedalic) für die Kommentare und Edna, Christoph Bruger (Goodgame Studios (jetzt Socialpoint), speziell zum Balancing), Sirko Rückmann (Fishlabs), Jan Richter (Bigpoint), Nick Prühs (slash games), Steffen Rühl (Nevigo), Jonas Hahn (Innogames, Hani TD) für Anregungen, Zitate und Kritik. Concept Arts, Level Designs aus der Praxis haben mir Daniel Thiele (freier Concept Artist), Murat Kaya (Bigpoint), Denis Rogic und das Team um die Threaks (Wolf Lang, Sebastian Bulas, Eric Graham, Steve Liesche), die Master-Teams der Spielprototypen Groundplay (Melanie Taylor, Daniel Marx, Susanne Helmhagen und Franziska Kerwien (Gewinner des Deutschen Computerspielpreises 2013 Kategorie „Bestes Nachwuchskonzept“)) und Chained (Jeanne Haberland, Moritz Meyer, Eugen Blatz, Sebastian Ludwig, Daniel Kiedrowski) sowie Clemens Kügler, aus dem BA Sebastian Heeschen und Nils Brodersen (Plyndring) zur Verfügung gestellt. Teamstärken übermittelten mir Tom Kersten (Producer Daedalic Entertainment) und Roman Salomon (Producer bei Bigpoint). Jens Begemann (Wooga) danke ich für die Slides.

Nicht zu vergessen sind all die Studierenden des Games Master der HAW Hamburg, von denen ich in spannenden Diskussionen immer wieder neue Aspekte des Game Design kennen lerne. Ein besonderer Dank gebührt zudem Prof. Ralf Hebecker, der aktiv den Games Master und speziell das GamesLab an der HAW Hamburg mit ausgebaut hat.

Meiner Frau Barbara sowie Emily und Juri, die mir viel über das Computerspiel und das Spielen an sich beigebracht haben, gilt mein besonderer Dank


1 Wie der Hamburger Indie Treff (http://www.indietreff.de/hamburg/) oder die „Indie Arena Booth“ im Rahmen der Gamescom in Köln (https://www.indiearenabooth.de/apply)

Inhalt

Titelei

Impressum

Inhalt

Vorwort zur 2. Auflage

1 Einleitung: Was ist und wie entsteht ein Spiel?

1.1 Was ist ein Spiel?

1.2 Welche Spiele gibt es und warum spielen Menschen sie?

1.3 Spaß und andere Motivationen

1.4 Wie entsteht ein Spiel?

2 Wie fängt man an? Spieler und Spielerfahrung

2.1 Wie finde ich Spielideen?

2.2 Selbst viel spielen

2.3 Kreativität

2.3.1 Recherche

2.3.2 Zielgruppen und Spielertypen

2.3.3 Marktanalyse und Forecasting

3 Phasen in der Spielentwicklung

3.1 Das Mission Statement

3.2 Vom Mission Statement zum Game Design-Dokument (GDD)

3.3 Teile eines Game Design-Dokuments

3.4 Das Producing und der Businessplan im GDD

3.5 Meta-Informationen

3.6 Iteratives Design

4 Spielelemente und Relationen

4.1 Das Spielziel und der Fokus

4.2 Die Spielelemente

4.3 Das Spielthema

4.4 Relationen und Spielregeln

4.5 Spielmechaniken

4.5.1 MDA: Mechaniken – Dynamiken – Ästhetik

4.5.2 Die Spieldynamik

4.5.3 Beispiele für Basismechaniken (soziale Mechaniken, Technologie und Story)

4.5.4 Spielrunden: Der „Game Loop“

4.5.5 Glück und Geschicklichkeit (Luck and Skill)

4.5.5.1 Luck – Glück und Zufall im Spiel

4.5.5.2 Skill – Geschick und Fähigkeit

4.5.6 Skill und Game Design

4.5.6.1 Strategische und taktische Entscheidungen

4.5.6.2 Herausforderungen: Die Spieler fordern

4.5.6.3 Wahlmöglichkeiten

4.5.6.4 Entscheidungen

4.5.6.5 Entscheidung als soziale Interaktion (Spieltheorie)

5 Der Spielraum: Level Design

5.1 Spielraum

5.2 Spielwelten und -bretter

5.3 Level, Maps, Arena, Spielbrett

5.4 Avatar: Spielerrepräsentation, NPCs

6 Fairness im Spiel: Balancing

6.1 Zwei Ebenen des Balancing

6.2 Balancing: Belohnung und Bestrafung

6.3 Multiplayer-Balancing

6.4 Balancing von Klassen

6.4.1 Spielökonomien

6.4.2 Fortschritt im Spiel

6.4.3 Numerische Relationen

6.4.4 Komplexität und Imbalance: Der Konter

6.4.5 Multiplayer und Matchmaking

6.5 Der 6. Sinn des Game Designers: Komplexität, Eleganz, Intuition

7 UI, Interaktion und Interface

7.1 Spielsteuerung und Interface

7.1.1 Interface: Inputdevices, Monitor und Sound

7.1.2 Usability-Testing und QA

8 Die Spielstory

8.1 Die subtile Erzählung – der Mood und das Symbol

8.2 Lineare Dramaturgie

8.2.1 Spannung und Rätsel

8.2.2 Helden und andere Mitspieler

8.2.3 Die Heldenreise

8.2.4 Andere Formen von Erzählungen

8.2.5 Interaktivität

8.3 Offene Spielwelten

9 Community

9.1 Support

9.2 Community Management

9.2.1 Pre-Launch-Kundengewinnung

9.2.2 Post-Launch

9.2.3 Game Design und Community

9.2.4 Aktives Management

9.2.5 Die soziale Struktur und der Aufbau der Community

10 Die Computerspielindustrie

10.1 Publisher und Developer

10.2 Monetarisierung

11 Berufsfelder

11.1 Programmierung

11.1.1 Software-Entwickler (Coder)

11.1.2 Technical Artist

11.2 Story

11.3 Produktion

11.3.1 Design und Concept Art

11.3.2 Modeling und Animation

11.3.3 Game und Level Design

11.3.4 Sound

11.4 Community, Management, Marketing und Analyse

12 Praxistipps

12.1 Beispiele von Teams

12.2 Engines und andere Tools für den Einstieg

Internetquellen

Bildnachweise

Übersicht über die genannten Games

Literatur

1 Einleitung: Was ist und wie entsteht ein Spiel?

Wir alle sind uns sicher, genau zu wissen, was ein Spiel ist. Man spürt es einfach, wenn man beginnt zu spielen. In dem Moment jedoch, in dem man herangehen möchte, Spiele zu entwickeln, bemerkt man plötzlich, dass es gar nicht so einfach ist. Das Spiel funktioniert einfach irgendwie nicht richtig, wird nicht, fühlt sich nicht gut oder fertig an oder bringt keinen Spaß. So verhält es sich in allen Bereichen des Lebens. Jeder Mensch, der Auto fährt, meint genau zu wissen, was ein Auto ist, wie man es lenkt etc. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass eine Person oder ein Team fähig wäre, ein Auto zu bauen. Genauso verhält es sich mit Spielen. Große Titel wie Assassins Creed sind ungefähr so komplex wie ein Auto. In den Teams arbeiten Hunderte von Spezialisten, um ein einmaliges Spielerlebnis zu kreieren, das ein anspruchsvolles Publikum lange unterhalten soll. Doch auch in den kleinen, einfach anmutenden Spielen steckt viel Erfahrung und Arbeit. Computerspiele, aber auch gewöhnliche Brettspiele zu entwickeln, ist ein ernstes Geschäft. Ein Geschäft, das man mit etwas Geduld und Fantasie lernen kann.

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„Wie wichtig es ist, als Game Designer gute Ideen zu haben, wird stark überschätzt. Gute Ideen hat jeder. Was Game Designer können, ist Ideen zu Spielsystemen runterzubrechen, die Spaß machen. Dort muss der Ehrgeiz liegen.“

(Jan Richter, Head of Game Design bei Bigpoint)

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Aus diesem Grund sollten Anfänger klein anfangen. Doch was für ein Spiel wollen wir entwickeln? Was gibt es für Spiele? Um uns dem anzunähern, drängt sich die grundlegende Frage auf:

1.1 Was ist ein Spiel?

In der Literatur finden wir einige Definitionen und Bedingungen, die erfüllt sein sollen, damit eine Situation oder ein Objekt als Spiel bezeichnet werden kann. Und schon haben wir das erste Problem. Es ist verdammt schwer, zu beschreiben, was ein Spiel ist, weil es so viele Formen und Eigenschaften gibt. Vom Fangen über das Cowboy- und Indianerspiel, Brett- und Gesellschaftsspiele, Computerspiele, Multiplayer-Spiele, Sportspiele, Schauspiel – wir könnten die Liste fast unendlich fortsetzen. Versuchen wir uns dem anzunähern, was ein Spiel ist.

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TIPP: Ich wohnte einmal einer Veranstaltung mit einem der Top-Game Designer bei, in der viele Studierende zugegen waren. Einer fragte den Designer auf Englisch, was man tun sollte, um ein guter Game Designer zu werden. Der Designer überlegte kurz und antwortete dann mit einem jovialen Lächeln auf den Lippen: „Read everything you can get a hold on“ – „Lies alles, was Du in die Finger bekommen kannst“. In den folgenden Jahren habe ich ähnliche Hinweise noch öfter von Profis vernommen. Das Zitat sagt nichts anderes aus, als dass Ideen für Spiele überall herumliegen. In der Literatur, in der Zeitung, auf der Straße, im Gespräch. Je größer das Wissen um Kultur (Geschichten, Märchen, Theater, Sagen, Serien, Filme, Soziologie, Philosophie . . .) ist, desto größer ist der Pool, aus dem kreative Köpfe schöpfen können.

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Die meisten sagen, Spiel sei das Gegenteil von Ernst. Spiel soll Spaß machen. Doch wenn man genauer schaut, ist die Sache nicht so einfach. Viele Spieler nehmen ihr Spiel sehr ernst1 und werden sauer, wenn man es verdirbt und es gibt ernste Sachen, die Spaß machen. Einer der wichtigsten Theoretiker des Spiels, Johan Huizinga, bezeichnet deswegen das Spiel als „heiligen Ernst“2. Gemeint ist hier die tiefe Versenkung und das Vergessen der Realität, an der man messen kann, dass ein Spiel wirklich gut und gelungen ist.

Diese Versenkung geschieht in einem Raum, auf einem Spielplatz und zu einem Zeitraum, der festlegt, wann das Spiel beginnt und endet. Huizinga spricht neben der Arena, dem Spieltisch und anderen Orten von einem Zauberkreis3. Nun wissen wir schon, wenn wir ein Spiel benötigen, brauchen wir einen Spielraum, -platz – also eine Arena, einen Level, eine Spielwelt, ein Spielbrett usw. Dazu Ruhe, also eine Zeit, in der wir möglichst ungestört spielen können, bis hin zu Zeiträumen, also Vorgaben, bis zu denen diese oder jene Aufgabe erledigt sein muss.

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Bild 1.1 Wie hier beim Schneckenrennen hat jedes Spiel einen Raum (hier die Rennstrecke), besteht aus Spielelementen (Gamebits), hat Regeln, mindestens ein Ziel und gibt dem Spieler Feedback über den Fortschritt. Zudem birgt es die Möglichkeit der Wiederholung in einem Hin und Her. Zudem muss es Spaß bringen und freiwillig stattfinden.

In diesem Raum findet das Spiel statt. Und das ist nun für die Praxis der Spielentwicklung sehr wichtig – genau wie das Stattfinden eines Hin und Her. Hin und her bedeutet, es passiert immer das Gleiche, oft jedoch bei jedem Durchgang anders. Ein Wiederholen, wie das Spiel, einen Ball immer wieder mit der Hand auf den Boden prallen zu lassen und dabei zu zählen, wie oft man es schafft4. Oder das versunkene Betrachten der gleichmäßig an ein Ufer plätschernden Wellen. Wiederholtes Hin und Her finden wir beim Tennisball, der immer wieder anders hin und her geschlagen wird, beim Fußball, bei den abwechselnden Zügen in Brettspielen, der Abfolge der Quests und Level in Computerspielen oder den Spielrunden, die in einem gleichmäßigen Rhythmus das Spiel vorantreiben.

Dieses Hin und Her hat eine Bedingung. Sie braucht im wahrsten Sinne des Wortes Spielraum. Gadamer5 schildert diesen am Beispiel des Rades. Ein Rad, das fest auf der Achse sitzt, kann sich nicht bewegen. Es blockiert, sitzt fest, nichts geht mehr voran. In dem Moment, wo es im wahrsten Sinne kein „Spiel“ mehr gibt, weil der Spielraum verschwunden ist, hört das Spiel auf und es wird ernst. Der Alltag kehrt zurück. Im Spielraum, zwischen den Elementen des Spiels (hier Achse und Rad) findet die Bewegung statt, können sich die Spielzüge entfalten.

Wie der Spielraum gestaltet, beschaffen ist, regeln die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Bewegungen. Beim Tennis legen die Linien auf dem Platz, das Netz, die Kraft und Geschicklichkeit der Spieler, sowie die Beschaffenheit des Balls etc. den Spielraum fest, in dem sich der Ball bewegen kann. Dazu kommen die Regeln, die den Verlauf des Spiels vorschreiben und definieren, wann wer gewonnen hat. Regeln sind somit ein weiteres Element, ohne das kein Spiel auskommt. Sie können von der Beschaffenheit der Spielelemente abhängig sein und sich in ihnen zeigen oder stillschweigend vereinbart werden. Sie können als Computercode bestimmen, wie sich die Elemente im Computerspiel verhalten, ohne dass der Spieler sie bewusst bemerkt; oft sind sie jedoch irgendwo in einem Regelbuch, den Spielregeln, festgeschrieben. Auf die Spielregeln werden wir im Detail in Abschn. 4.4 eingehen.

Zusammengefasst hat Johan Huizinga „Spiel“ folgendermaßen beschrieben, wobei er einen Fokus auf die Freiwilligkeit legt, die wir hier als selbstverständlich hinnehmen. Denn, wenn man zum Spiel gezwungen wird, ist es kein Spiel mehr, und unfreiwillige Mitspieler werden schnell zu Spielverderbern: „Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.“ 6

In unserem Rahmen geht es um das geregelte Spiel und nicht um das, was ich meditatives Spiel nenne. Ein Beispiel hierfür wäre z. B. die beschauliche Betrachtung des Spiels der Wellen am Ufer. Beim geregelten Spiel gibt es zwei weitere wichtige Dinge, die in keinem Game Design fehlen dürfen und auf die wir später im Detail eingehen werden. Das Spielziel steht zumeist direkt am Anfang der Regeln. Im bekannten „avoid missing ball for highscore“ 7 für den Spielklassiker Pong fallen Spielziel und Regeln direkt zusammen. Auf dem Weg zum Spielziel sollte der Spieler immer wissen, wie sein Status ist. Er braucht z. B. Informationen darüber, ob er dran ist, was für Züge er machen kann oder wie viele Punkte ihm noch zum Sieg fehlen. Diese Informationen, die immer aktualisiert werden, bezeichnet man neudeutsch als Feedback8.

1.2 Welche Spiele gibt es und warum spielen Menschen sie?

Auch die Frage danach, was für Spiele es gibt, also die Frage Spiele einzuordnen und zu kategorisieren, wird unterschiedlich beantwortet und hängt eng damit zusammen, warum Menschen spielen. Die meisten Spiele entstehen einfach, weil jemand etwas sieht und die Idee dazu hat, ohne darüber nachzudenken und zu wissen, warum das eigentlich interessant ist oder Spaß macht. Ein Beispiel finden wir in der Geschichte der Computerspiele.

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Bild 1.2 Klassische Multi User Dungeons (MUD) und auch Zork können noch heute in Originalform im Browser z. B. auf iFiction.org gespielt werden. Beispielscreens aus „Adventure“.

In den 80er Jahren entwickelten sich Online-Textabenteuer, sogenannte Multi User Dungeons (MUDs), in denen viele Spieler viel Zeit verbrachten. Irgendwann begannen die Spieler in Foren darüber zu debattieren, was denn MUDs eigentlich seien, ob Spiele, Sport, Freizeitbeschäftigungen oder Unterhaltung oder, und hier wird es interessant, warum sie überhaupt Zeit in diesen virtuellen Welten verbringen9. Aus dieser Diskussion heraus entwickelte sich einer der für Game Designer wichtigsten Aufsätze von Richard Bartle, „Hearts, Clubs, Diamonds, Spades: Players who suit MUDs“10.

In dem Aufsatz wurden vier Spielformen bzw. Spieltypen ausgemacht, die sich in diesen Vorläufern von Multiplayer-Browsergames oder auch MMOs11 herumtrieben – und deren Motivation zu spielen (siehe Kasten). Interessant ist der „Bartle-Test“12, in dem man herausfinden kann, was für ein Spieltyp man selber ist.

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Spielertypen und -motivation nach Bartle13

In den frühen Zeiten der MUDs haben das Verhalten und die Motivationen der Spieler in Online-Textwelten Richard Bartle motiviert, die Spieler in vier Gruppen zu klassifizieren:

Image       Die Explorer, deren Hauptmotivation in der Entdeckung der Erkundung der Spielwelt liegt.

Image       Die Killer, die im Wettkampf (Agon) mit allen Mitteln andere schlagen und überwinden wollen. Sie legen einen streng agonistischen Spielstil an den Tag.

Image       Die Socialiser, bei denen Kommunikation im Vordergrund steht und die sich somit für Interaktion zwischen Spielern und Geschichten interessieren.

Image       Die Achiever, die ebenfalls agonistisch versuchen, möglichst viel zu erreichen, indem sie im Level aufsteigen, Ranglisten anführen etc.

Die Kategorisierung von Bartle wurde schon mehrmals überarbeitet. Sie stellt jedoch einen fundierten Anhaltspunkt für die Einschätzung der Spielmotivation in offenen Welten dar. Wichtig ist zu beachten, dass ein Spieler nicht nur den einen ausgeprägten Aspekt auslebt. Die meisten verfolgen je nach Tageslaune andere Ziele. Ein Achiever möchte z. B. über seine Erfolge auch „socialisen“, sich also austauschen.

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Wir sehen also, dass ein Spiel von den unterschiedlichsten Menschen ganz unterschiedlich gepielt werden kann. Daher gibt es die unterschiedlichsten Spielformen und spielerischen Aktivitäten. Ein weiterer wichtiger Theoretiker des Spiels, Roger Caillois, hat eine oft zitierte Tabelle entwickelt, in der er versucht hat, die ihm bekannten Formen des Spiels in eine Ordnung zu bringen. Wenn wir diese Ordnung genau betrachten, können wir ein beliebiges Spiel nehmen und versuchen herauszufinden, welche Spielprinzipien und somit auch Motivationen wir in diesem vorfinden. Ein Beispiel wäre das MMO World of Warcraft. Hier finden wir Agon, den Wettkampf in den Arenen und auf den Schlachtfeldern, und Mimikry, das Rollenspiel bei der Erstellung des Charakters und bei der Lenkung eines Avatars, den wir durch eine fantastische Welt steuern. Dann haben wir noch Alea, den Glückspielaspekt, zum Beispiel in der Wahrscheinlichkeit, dass ein geschlagener Gegner einen besonders tollen Gegenstand fallen lässt (dropt). Ilinx, den Schwindel, finden wir weniger, eher bei rasanten Flügen mit dem Netherdrachen. Vertigo steht eher bei Rennspielen wie Mario Kart oder Need for Speed im Zentrum des Spiels, auf gleicher Höhe wie Agon, der Wettkampf.14

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Tabelle 1.1 Kategorisierung nach Caillois

AGON (Wettkampf)

ALEA (Glücksspiel)

MIMIKRY (Rollenspiel)

ILINX (Schwindel/Rausch)

PAIDIA
Tumult Agitation übertriebenes Lachen

Drachensteigen Solitaire Patiencen Kreuzworträtsel


LUDUS


Regelloser Wettkampf (Wettlauf, ringen, Athletik)

Boxen, Billard, Fechten, Dame, Fuß-ball, Schach Sportwettbewerbe im Allgemeinen


Auszählreime Kopf oder Zahl

Sportwette (organisiert)
Roulette
Einfache, komplexe und fortlaufende Lotterien


Nachahmung und Illusionsspiele von Kindern, Verkleidung, Waffenspiele, Maskenspiele

Theater Alle Formen von Schauspielen


Drehspiele von Kindern, reiten, schaukeln Tanz

Volador Reisende Schausteller (Sensation) Skifahren Klettern Balancieren

Roger Caillois‚ Kategorisierung in freier Übersetzung: Paidia auf der linken Seite ist das freie/ungeregelte Spiel, wie es in seiner Spontanität im kindlichen Spiel vorkommt. Auf dieser Ebene ist auch das Glückspiel zu finden. Ludus auf der anderen Seite ist das geregelte Spiel, das eher skillorientiert ist. Dazwischen finden sich in jeder seiner Kategorien alle Stufen. Beim Wettkampf (Agon) finden wir am oberen Ende das wilde Raufen oder den unorganisierten, spontanen Wettlauf von Kindern ohne klares Ziel. Die Olympischen Spiele mit ihrer minutiösen Messung und Regelung, genauso wie die organisierten Fußball-Ligen entsprechen dem Aspekt des Ludus, dem geregelten Spiel. Hier kommt es eher auf die Fähigkeiten (Skills) der Spieler an.14

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Wenn wir die Kategorisierung von Callois genau betrachten, fehlen jedoch viele mögliche Spielformen, die wir in heutigen Computer-, Brettspielen oder auch im freiem Spiel kennen. Ein Beispiel wären die Spiele, in denen es um das Sortieren von Dingen, also um die Ordnung geht, wie z. B. bei Rommé. Zuordnung finden wir in vielen Casual Games wie z. B. Bejeweled oder Tetris, bei denen geordnete Steine erkannt und auf die richtige Art und Weise manipuliert werden müssen. Aufbauspiele wie SimCity oder Farmville könnte man als Rollenspiel bezeichnen, da man so tut, als ob man Bürgermeister oder Bauer ist. Strenggenommen böte sich hier aber der Begriff der Simulation an.

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ÜBUNG: Finden Sie weitere Spielprinzipien, die von Callois nicht abgedeckt werden und die Sie in Ihnen bekannten Spielen finden.15

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1.3 Spaß und andere Motivationen

In seinem Buch „Theory of Fun“ (Theorie des Spaßes, der Freude, des Vergnügens) kommt der Game Designer Raph Koster16, als er sich die Frage stellt, um was es sich bei Spielen handelt, zu dem Schluss, dass es bei allen Spielen darum geht, Muster zu erkennen. Er sagt: „Games are puzzles to solve, just like everything else we encounter in life.“17 Er stellt Spiele also als Rätsel dar, wie alles, dem wir in der Welt begegnen. Dann unterscheidet er das „Enträtseln der Welt“ von Spielen darin, dass die „stakes“, also Wetteinsätze, die Risiken, die Rätsel zu lösen in Spielen geringer sind als im realen Leben. In seinem Sinne kann man das Argument weiterspinnen und sagen, Rätsel fordern uns auf zu lernen, sie befriedigen unsere Neugierde. Wenn wir Spiele designen, die nicht neugierig machen, kein Rätsel enthalten, sind sie für uns langweilig, uninteressant.

Raph Koster bezeichnet Spiele als formale Systeme, die Muster (patterns) bilden. Es ist ein zutiefst menschlicher Trieb, Muster zu suchen, zu erkennen und zu lösen. Das Lösen dieser Rätsel oder Erkennen von Mustern wird durch die Ausschüttung von Hormonen18 wie Endorphinen19 oder Dopamin20 belohnt. Das Wahrnehmen von Mustern kennen wir aus dem realen Leben, wir machen es immer und überall. Wenn wir zum Beispiel im Sommer auf der Wiese liegen und das Spiel der Wolken betrachten, suchen wir schon fast automatisch Formen, also Muster, die wir kennen bzw. die Dingen ähnlich sind. Das Gleiche passiert zumeist Kindern, wenn sie verträumt Schatten oder dunkles Gebüsch betrachten. Oft sehen auch noch Erwachsene dann unscharf gruselige Figuren. Beim genauen Hinsehen entdeckt man, dass es sich doch nur um Blätter und Äste oder Wolken handelt. Wenn wir rational denken oder ein Muster erkannt, also gelernt haben, wird es, wie Raph Koster sagt, oft langweilig. Dies kann man auch bei Spielen beobachten, zum Beispiel bei Tic-Tac-Toe (Drei gewinnt). Zuerst bringt es viel Spaß, aber dann, wenn die Spieler wissen, welche Strategien zum Sieg führen und derjenige, der den zweiten Zug macht, zumindest ein Unentschieden erreicht, sinkt die Motivation zu spielen sehr stark ab.

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Bild 1.3 Der Mensch wird vom menschlichen Belohnungszentrum für das Erkennen von Mustern (Strukturen, engl. „patterns“) belohnt. Diese Routinen sind so tief in uns verwurzelt, dass wir z. B. in Wolken oft Dinge sehen, die wir kennen. Dies lehrt uns zwischen Gefährlichem und Angenehmem zu unterscheiden. Concept Artists wie Murat Kaya (Bigpoint) nutzen diese Fähigkeit z. B. bei der Verwendung von Entwurfstools wie Alchemy (www.alchemy.org) (re.).

Die Motivation (siehe auch Abschn. 4.5.2) zu spielen, besteht demnach darin, etwas zu entdecken. Ein Trieb von uns Menschen, der tief in uns verwurzelt ist. Ein komplexes Belohnungssystem treibt jeden Menschen gewissermaßen an, spielerisch zu handeln. Daraus kann man ersehen, dass Spiele eine spezielle Form von Handlung darstellen: Probehandeln oder besser Simulationen. Wir probieren Dinge in der realen Welt oder Gedanken aus (simulieren sie). Dadurch werden Muster entdeckt, ohne dass wir ein wirkliches Risiko eingehen. Daher sind Spiele eng mit dem Lernen verbunden. Die Motivation zu spielen sinkt, wenn wir das Rätsel gelöst, das Ziel erreicht oder die Sache erlernt haben, schnell ab. Somit ist es eine der Hauptaufgaben von Game Designern, Spiele zu schaffen, die auf der einen Seite möglichst einfach zu verstehen sind, wenige einfache Regeln haben, auf der anderen Seite jedoch unendlich viele Möglichkeiten auf unterschiedlichen Stufen zu handeln bieten. Games, die „easy to learn hard to master“ (einfach zu lernen, schwer zu meistern) sind, gehören zu den erfolgreichsten Spieltypen der Kulturgeschichte. Man denke an Schach und Go, deren einfache Regeln schon Kinder begreifen, die auf der anderen Seite jedoch hochkomplex sind, da sie unendliche viele Züge und Gegenzüge erlauben.

Eine nicht zu unterschätzende Motivation zu spielen, ist der soziale Charakter des Spiels. Dies kann man schon beim Betrachten des Begriffs des Brettspiels sehen, das im Alltag oft als Gesellschaftsspiel bezeichnet wird. Schon die ersten Computerspiele21 wie z. B. Tennis for Two22 von Higinbotham (1958) oder SpaceWar! von Steve Russell (1962) können getrost als die ersten Multiplayer-Spiele bezeichnet werden, die auf einem Computer gespielt werden konnten. Oder noch besser: Das erste Computerspiel überhaupt war ein Multiplayer-Spiel. Tennis for Two amüsierte über mehrere Jahre zu jedem Tag der Offenen Tür eines unheimlichen Atomforschungslabors die neugierigen Besucher. Auch bei weiteren Vorläufern wie SpaceWar! und Pong, das als erstes Konsolenspiel fürs Wohnzimmer zwei Controller hatte (wie alle erfolgreichen Konsolen, die folgten), handelte es sich um Spiele für zwei Spieler. Die folgenden Arcade-Automaten in den Spielhallen wie Pac Man, Donkey Kong, Space Invaders konnten zumeist nur von einzelnen Spielern bedient werden. Doch die Kommunikation fand über Highscores und Geschichten rund um erfolgreiche Spielerlebnisse statt. Die coolsten Spieler gehörten einfach dazu, wie in der Guppe von Rollenspielern, die als eingeschworene Gemeinschaft gemeinsam Abenteuer bestehen und noch Jahre danach über die besten Erlebnisse Geschichten erzählen.

Kein Wunder, dass heute kaum ein neuer Titel ohne Multiplayerfeatures auf den Markt kommt. Ganz zu schweigen von den Millionen Spielern von ESport-Games wie z. B. Starcraft II oder LOL (League of Legends), den Angeboten der Arenakämpfe und Duelle in MMOs und den sich bis auf das Messer in Echtzeit oder Runden bekämpfenden Browsergame-Spielern. Die meisten organisieren sich in Clans und Gilden, unterhalten Blogs oder posten ihre tollsten Erlebnisse auf Videoportalen oder in sozialen Netzwerken.

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Bild 1.4 Soziales Spiel: Fortnite (Epic Games, 2017), eines der erfolgreichsten Multiplayer-Games, beruht auf dem klassischen Spielprinzip „Battle Royale“, ergänzt durch eigene Mechaniken.

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ÜBUNG: Schreiben Sie 10 Gründe (Motivationen) auf, warum Sie spielen. Was ist für Sie der gewichtigste Grund und wie können Sie ihn befriedigen? Schreiben Sie auch, welche Motivation Sie am wenigsten nachvollziehen können. Mit welchem Spiel kann dieses Bedürfnis nachvollzogen werden? (Bedenken Sie, professionelle Game Designer designen nicht nur Spiele, die sie mögen, sondern auch Spiele für gänzlich andere Zielgruppen mit ganz anderen Interessen und Motivationen).

Schreiben Sie 10 Emotionen auf, die Sie beim Spielen schon erlebt haben.

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1.4 Wie entsteht ein Spiel?

Spiele können aus allen Dingen und zu jeder Zeit aus einer spielerischen Situation des Alltags entstehen. Kinder entdecken einen Stock, sehen in ihm die Begrenzung eines Spielfelds, ein Hindernis, eine Waffe, einen Löffel zum Umrühren oder was auch immer. Im kommunikativen Spiel kommt in dem Moment, in welchem sich die Mitspieler auf die Umdeutung eines Gegenstandes einigen, die Spielhandlung mit dem Spielobjekt zustande.

Wenn jedoch ein Spiel entwickelt werden soll, das für andere Menschen oder sogar für den Verkauf bestimmt ist, stellt sich die Situation anders dar. In diesem Moment gibt es viele Herangehensweisen, aus denen viele weitere Fragen folgen. Soll ein sogenanntes Brett- oder Gesellschaftsspiel entwickelt werden? Oder geht es gar darum, ein digitales Spiel, ein sogenanntes Computerspiel bzw. Game, zu erstellen? Wer hat was für Fähigkeiten und wie entsteht ein Spiel in einer ernsthaft betriebenen, gewinnorientierten Firma?

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Ich glaube nicht an den Game Designer der im stillen Kämmerchen das perfekte Design produziert. Gutes Game Design entsteht im Dialog: Erst mit einem anderen Designer, dann mit Team, dann mit dem Spieler.“

(Jan Richter, Head of Game Design, Bigpoint)

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Uns geht es um Spiele, die nicht einfach nur so entstehen, sondern geplant umgesetzt werden. Dies geschieht im professionellen Umfeld, zum Teil in großen Teams und mit einem hohen finanziellen Aufwand.

Wenn es um das Erfinden und die Entwicklung von Spielen geht, dem sogenannten Game Design, ist viel zu planen und zu beachten. Wir haben gesehen, dass Spiel und spielen an sich nicht von den Materialien (Spielsteine, Computerprogramme) abhängig sind, sondern grundsätzliche Eigenschaften besitzen, die allen Spielen gemein sind. Dazu gehören die Spielmechaniken und Regeln, die Orte und Zeiten, an denen diese Spiele verfügbar sind. Dies sagt wiederum etwas über die Spielkultur aus, die auf den ersten Blick nichts mit dem Spiel zu tun hat, aber eng mit seinem Design verknüpft ist: Wann und wo gespielt werden kann, wie alt die Spieler sind, welches Geschlecht sie haben und was vielleicht am wichtigsten ist: Wer was für Spiele mag.

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Bild 1.5 Kinder haben die Fähigkeit, spontan Dinge, die ihnen begegnen, zu neuen Spielen zu kombinieren. Diesen natürlichen Prozess für das Game Design zu kultivieren und zu strukturieren, ist die Grundlage der Spielentwicklung.

Sucht man einen Einstieg in die Spielentwicklung, ist es demnach sehr wichtig, dass man sich viele Spiele anschaut und selber spielt. Egal, was für Spiele, denn alle Spiele bringen dem Neugierigen, der genau schaut, neue Aspekte des Game Designs bei. Das kann man auch daran sehen, dass Spielformen, die wir aus dem Kinderspiel kennen, wie das Verkleiden, also das Rollenspiel (Mimikry bei Callois)23, auch in Computerspielen eine gewichtige Rolle spielt. Bei jedem Spiel kann man Grundmotivationen entdecken, warum Menschen spielen: Seien es, als weitere Beispiele, der Wettkampf (Agon bei Callois) in all seinen Ausprägungen, die Lust, etwas ohne realweltliches Ziel zu bauen, sich schnell und geschickt zu bewegen, einen Parcour zu meistern oder sein Glück in die Waagschale zu werfen (Alea bei Callois). Somit liegt es auf der Hand, sich am Anfang mit den grundlegenden Motivationen und Mechaniken von analogen Spielen auseinanderzusetzen. Den Begriff der Mechaniken oder Spielmechaniken werden wir später genauer untersuchen.

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Natürliches Spiel

Jeder hat als Kind Spiele gestaltet oder zumindest umgestaltet. Spontan, ohne nachzudenken sehen Kinder Dinge und untersuchen sie spielerisch. Mehrere Kinder entscheiden dann zumeist spontan was man z. B. mit einigen Stoffen und Dingen oder Lego tun kann. Schon entsteht ein Rollenspiel. Ohne große Mühe, manchmal mit kurzen Diskussionen, werden Rollen verteilt und Regeln aufgestellt. Sobald es Probleme gibt, weil jemand mit der Rolle im Spiel nicht einverstanden ist oder das Spiel langweilig wird, werden die Regeln verändert und an die Bedürfnisse angepasst. Dieser Prozess wiederholt sich immer wieder (siehe Abschn. 2.1.6). Kein Kind hat dabei theoretische Überlegungen angestellt und Theorien aufgestellt. Auch als Game Designer kann man so spontan an das Design von Spielen herangehen. Man nehme irgendetwas aus seiner Umgebung, mit dem man gerade zu tun hat, und entwickle daraus, am besten im Team, ein kleines Spiel. Je komplizierter Games werden, und die meisten Computerspiele, so einfach sie erscheinen, beruhen auf komplizierten Programmen, desto mehr muss man planen und testen. Dies bedeutet, wenn man gezielt und geplant Spiele entwickeln möchte, ist es hilfreich, sich dem Thema der Spielentwicklung theoretisch zu nähern. Die Regeln und Hilfestellungen, die solche Theorien darstellen, sind nichts anderes als Hinweise und Tipps, die man, um wirklich kreativ zu werden, nutzen, aber auch ignorieren sollte.

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ÜBUNG Ideenfindung: Schauen Sie sich um und entwickeln Sie mit den erstbesten drei Gegenständen, die Ihnen auffallen, ein kleines Spiel. Egal, wie primitiv oder unklar es erscheint. Ein Zettel und ein Stift, die neben dem Buch liegen, beinhalten z. B. Spielideen wie das Ratespiel Die Montagsmaler, dessen Grundmechanismus Teil vom erfolgreichen Gesellschafts-Spiel Activity ist.

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1 Denken Sie mal an Skatspieler, die sehr ernst dabei sind und noch ernster (über)reagieren, wenn man verrät, welche Karten sie auf der Hand haben. Oder die Profi-Schachspieler, die keine Störung dulden, MMO-Teilnehmer, die in einem Raid sind und jemand macht einen Fehler und versaut es etc.

2 Huizinga 2001, S. 27 ff.

3 Ebenda, S. 18

4 Ich folge hier den Gedanken des Philosophen Hans-Georg Gadamer (Gadamer 1977, S. 29 ff.), der das Spiel wunderbar beschreibt. Auch Johan Huizinga spricht in Homo Ludens (Huizinga 2001, S. 18) von Auf und Nieder und andere wie der frühe Philosoph Heraklit (vergl. Nietzsche 1878, S. 153) betonen dieses Prinzip.

5 Gadamer 1977, S. 30

6 Huizinga 2001, S. 37

7 Vgl. Barton, Loguidice (2009)

8 Das deutsche Wort Rückkoppelung klingt im Bezug auf Spiele komisch und wird im Umfeld von Computern nicht verwendet.

9 Vgl. Bartle 1996

10 Ebenda

11 Massive Multiplayer Online Game – eine digitale Welt in der viele Spieler parallel zusammen spielen.

12 Zu finden auf GamerDNA: http://www.gamerdna.com/quizzes/bartle-test-of-gamer-psychology (zuletzt aufgerufen 22. 06. 2012)

13 Vgl. Bartle 1996

14 Callois 1958, S. 36 (Übersetzung durch den Autor)

15 Antwort: Zerstören, Sammeln, Konstruieren und Kombinieren

16 Koster 2005, 34 ff.

17 Ebenda, S. 34

18 Wie die Gefühle bzw. Emotionen wie Furcht, Freude, Anspannung, Entspannung etc. ausgelöst werden, ist nicht vollends geklärt, da es sich um ein sehr komplexes Zusammenspiel von Erregungen der Nervensysteme in Gehirn(regionen) und den Eingeweiden (viszeral) bzw. Drüsen handelt. Vergleiche hierzu z. B. Ledoux, 2001, S. 143 zum „Opiatsystem des Gehirns“ und S. 314 ff. bezüglich der ungeklärten Komplexität. Diese wird auch sehr schön auf der Website http://www.gehirn-atlas.de/belohnungssystem.html dargestellt.

19 Die Wirkung von Endorphinen ist noch nicht genau geklärt. Sie werden in Stresssituationen, bei Hunger und bei Schmerz ausgeschüttet und scheinen das Sexualleben zu steuern. Sie können die Dopaminproduktion (s. u.) anregen.

20 Oft wird Dopamin als Glückshormon bezeichnet, das uns in ein glückliches Gefühl versetzt, wenn es durch einen Reiz (oft schon die Erwartung eines Reizes, wie die Freude auf das Weihnachtsfest oder die Aufregung, dass der Wettkampf losgeht) ausgeschüttet wird. Das heißt, es kann stark motivierend, antreibend auf Menschen wirken.

21 Bezüglich des Streits über das erste Computerspiel vgl. Geschichtsbücher zu Videogames wie:
Steven Pooles, Trigger Happy (Poole 2000), Kents History of Video Games (Kent 2001), Mertens und Meißners Wir waren Space Invaders (Mertens, Meißner 2004) oder Stöckers Nerd Attack (Stöcker 2011) sowie Quellen im Internet.

22 Ein schöner Film über „Tennis for Two“ ist hier zu finden: http://www.youtube.com/watch?v=s2E9iSQfGdg (verifiziert 08.03.2013)

23 Siehe Callois Spielformen in Abschnitt 1.2

2 Wie fängt man an? Spieler und Spielerfahrung