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Manuela Rösel

WENN LIEBEN IMMER WIEDER WEH TUT…

Partner in der Borderline-Beziehung

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eISBN: 978-3-939586-27-2

© 2020 Starks-Sture Verlag

Anna Starks-Sture

Sonnenstraße 12, D-80331 München

www.starks-sture-verlag.de

Umschlaggestaltung: Nadja Belg

Lektorat: Anne Meinberg

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„Was unsere Kindheit so glücklich machte,
war, dass wir sowohl genug Freiheit als auch
Geborgenheit hatten”
.

Astrid Lindgren, schwedische Schriftstellerin, 1907 – 2002

Über die Autorin

Die Autorin Manuela Rösel lebt und arbeitet als psychologische Beraterin in Berlin. Sie hat sich auf die Arbeit mit Menschen spezialisiert, die privat oder beruflich in Kontakt mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen stehen. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen Partner und Kinder von Betroffenen.

Darüber hinaus vermittelt sie als Dozentin und Referentin themenkonzentrierte Informationen, u. a. an amtliche Helfer, Sozialpädagogen, Verfahrenspfleger und Anwälte.

Die Erfahrungen ihrer täglichen Arbeit gibt sie seit 2006 authentisch und verständlich in ihren Büchern weiter.

In dem Bestseller „Wenn lieben weh tut“ (2006) zeigt sie kommunikative Möglichkeiten im Umgang mit der Störung auf. In „Wie der Falter in das Licht“ (2007) setzt sie sich überwiegend mit der Persönlichkeitsstruktur des Partners auseinander. Sie beleuchtet die Voraussetzungen und Hintergründe des Partners, der sich auf eine Borderline-Persönlichkeit einlässt.

Im deutschsprachigen Raum sind insbesondere ihre Bücher über Kinder, die in eine Borderline-Beziehung involviert sind, einmalig. Mit präziser Beobachtungsgabe zeigt sie in „Mit zerbrochenen Flügeln“ (2008) nicht nur das Erleben dieser Kinder auf, sondern auch die verhängnisvollen Konsequenzen für deren Entwicklung.

„Weil du mir gehörst“ (2011) beschreibt weiterführend Einfluss und Konsequenzen von borderline-typischen Verhaltensweisen auf Sorgerechts- und Umgangsstreitigkeiten, wobei auch gesellschaftliche Prozesse näher betrachtet werden.

Vor allem in der Auseinandersetzung Hilfe suchender Angehöriger mit amtlichen Einrichtungen, helfenden Institutionen und Beratungsstellen hat die Fehleinschätzung der Borderline-Störung für Angehörige oft tragische Auswirkungen. Psychologisch ungeschultem Personal und selbst Fachkräften fehlt oft das notwendige Wissen und Verstehen zum Einschätzen kritischer Situationen. Um sinnvoll helfen zu können, ist dies jedoch Voraussetzung.

In „Borderline verstehen“ (2012) ermöglicht Manuela Rösel auf der Basis der Transaktionsanalyse einen ganz besonderen und bisher beispiellosen Einblick in die Thematik „Borderline“ und leistet so einen wesentlichen Beitrag zum Verstehen eines scheinbar unverständlichen Phänomens.

Mit einem umfangreichen Repertoire an Büchern hilft die Autorin nicht nur Betroffenen und Angehörigen, Manuela Rösel hat sich mittlerweile auch einen festen Platz in der Fachwelt geschaffen.

Inhalt

Vorwort

1. DAS KONZEPT DER TRANSAKTIONSANALYSE

Wer bin ich?

Die Transaktionsanalyse

Ich-Zustände

Das Streicheln und seine Bedeutung

Lebensanschauungen

Die Analyse von Transaktionen

Spiele der Erwachsenen

Das Rabattmarkensammeln

2. DER „TYPISCHE“ PARTNER EINER BORDERLINE-PERSÖNLICHKEIT

DEN Borderliner gibt es nicht!

Das Profil des „typischen“ Partners

Bindung – ohne sie, sind wir leer …

Das verletzte Kind

Borderline-Beziehung und Selbstheilung

Der systemische Hintergrund des typischen Partners

3. DER TRANSAKTIONSANALYTISCHE HINTERGRUND DES TYPISCHEN PARTNERS

Die Lebensanschauung der Partner-Persönlichkeit

Die Anordnung der Ich-Zustände

Überlebensmechanismen

Die Übereinstimmung der Lebensanschauungen

4. DER TYPISCHE PARTNER IN DER BEZIEHUNG

Der Partner und sein Erleben im Beziehungsverlauf

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung und ihre Rolle in Borderline-Beziehungen

Täter und Opfer

Wenig hilfreich - das Helfersyndrom

Das Drama verstärken durch Co-Abhängigkeit

Das perfekte Pendant: „Co-Borderline“

Instabilität als ein Hauptmerkmal der Borderline-Störung

5. DIE PHASEN EINER BORDERLINE-BEZIEHUNG

Die Idealisierungsphase - Endlich angekommen

Die Nähe und Distanzphase – Die Achterbahnfahrt beginnt

Die entwertende Phase – Absturz ins Nichts

6. DIE SPIELE DES TYPISCHEN PARTNERS

Warum spielen wir?

Passive Aggressivität im Spiel

Gerichtssaal

Warum nicht – ja aber …

Wenn du nicht wärst …

Ich versuche doch nur, dir zu helfen

Spiele abbrechen

7. RAUS AUS DEM DILEMMA

Der Partner als Therapeut

Haben Borderline-Beziehungen eine Chance?

Was bei Trennungen von einer Borderline-Persönlichkeit zu beachten ist

8. HILFE ZUR SELBSTHILFE

Trübungen aufheben und das Erwachsenen-Ich stärken

Dem inneren Kind gute Eltern sein

Imagination als Ressource

Vom Umgang mit inneren Konflikten

Schluss

Quellenverzeichnis und Literaturempfehlungen

Arbeitsmaterial

Vorwort

Seit meinem ersten Buch, „Wenn lieben weh tut“, sind mittlerweile einige Jahre vergangen. Die beeindruckende Resonanz auf dieses Buch und die Erfahrungen, die ich zwischenzeitlich in meiner praktischen Arbeit mit Partnern und Angehörigen von Borderline-Persönlichkeiten gewonnen habe, motivieren mich nun zu einer Fortsetzung.

In „Borderline verstehen“ setze ich mich mithilfe der Transaktionsanalyse mit den typischen Persönlichkeitsmerkmalen und Verhaltensweisen Betroffener auseinander. In „Wenn Lieben immer wieder weh tut“ stehen die Partner von Borderline-Persönlichkeiten und deren typische Wesensmerkmale im Mittelpunkt.

Dieses Buch beschäftigt sich somit vorrangig mit dem Persönlichkeitshintergrund der Menschen, die sich in einer Beziehung zu einer Borderline-Persönlichkeit befinden oder sich aus dieser gelöst haben bzw. lösen wollen. Unabhängig davon, ob Sie in Beziehung zu einem/r Betroffenen sind oder eine derartige Bindung hinter sich gelassen haben, können Sie Ihre Erfahrungen nur dann sinnvoll nutzen, wenn Sie selbstreflektierend eigene Anteile erkennen, verstehen und bearbeiten.

Menschen, die sich auf eine Borderline-Beziehung einlassen, werden mit instabilen, chaotischen und oft irrationalen Verhaltensweisen konfrontiert. Betroffene neigen dazu, in kritischen Phasen eigene emotionale Zustände auf enge Bezugspersonen zu übertragen, wobei diese in das Chaos der Störung mit hineingerissen werden. Es sind dennoch Persönlichkeitsanteile der Partner selbst, die ihnen tiefsten Schmerz verursachen.

Nur wenige Partner sind bereit, sich den eigenen Verhaltensmustern zu stellen und zu hinterfragen, warum gerade sie sich in eine solche Beziehung begeben haben. Die meisten Partner gehen davon aus, dass ihre „Borderliner“ und deren „schwierige Charaktere“ für den zerstörerischen Verlauf und das schmerzhafte Erleben in der Beziehung allein verantwortlich sind. Das geht häufig mit der Tendenz zur Wiederholung derartiger Beziehungen einher, was dazu führt, dass Lieben immer wieder weh tut.

Oft erfahren die Partner von Borderline-Persönlichkeiten erst nach einer solchen Bindung, und nur dann, wenn sie den Mut haben, sich einer tatsächlichen Verarbeitung zu stellen, dass sie mit eigenen Anteilen am destruktiven Beziehungsverlauf beteiligt waren. Ihre Anfälligkeit für Verschmelzung und Idealisierung, ihre Tendenz zur bedingungslosen Selbstaufgabe zeigen deutlich bedürftige kindliche Verhaltensmuster.

Die Voraussetzungen dafür und der oft eingeschränkte Zugang zur eigenen Persönlichkeit wurden bereits in ihren ursprünglichen Familiensystemen geschaffen. Jede Beziehung hat ihren Sinn, und jede zwischenmenschliche Begegnung öffnet auch immer die innere Welt der Beteiligten. Und so werden in Borderline-Beziehungen unweigerlich kindliche Verletzungen und verdrängte Traumata auf beiden Seiten reaktiviert. Mit den einst sinnvollen und hilfreichen Überlebensmechanismen der damaligen Kinder ist eine erwachsene Beziehungsebene im Heute aber nicht zu erreichen.

Ohne die Auseinandersetzung mit den eigenen kindlichen Wurzeln ist es Partnern kaum möglich, sowohl die Beziehung als auch eigene Anteile zu klären. Die Chance, die jeder Partner in oder nach einer Beziehung zu einer Borderline-Persönlichkeit erhält, ist die kritische Auseinandersetzung mit eigenen Beziehungsmustern und Verhaltensweisen. Erst diese Arbeit ermöglicht ihm, sich aus verschmelzenden Bindungen zu lösen, Wiederholungen symbiotisch geprägter Bindungen zu vermeiden und zu lernen, sich auf erfüllende erwachsene Beziehungen einzulassen

Wie auch in dem Vorgänger dieses Buches, „Borderline verstehen“, beinhaltet der erste Teil eine Einführung in die Theorie der Transaktionsanalyse. Dem Leser, der hier über keine Vorkenntnisse verfügt, wird so ermöglicht, die Erkenntnisse der Transaktionsanalyse in der Arbeit mit diesem Buch für sich zu nutzen. Ich erhoffe mir für Sie einen ersten Schritt, sich selbst besser zu verstehen, und den Kreislauf zwischen Selbstabwertung und Selbstaufgabe unterbrechen zu können.

Manuela Rösel, Berlin 2014

1.

DAS KONZEPT DER TRANSAKTI ONSA NALYSE

Wer bin ich?

Wer sich mit der eigenen Persönlichkeit auseinandersetzen möchte, kommt nicht darum herum, sich und seine Entwicklungsgeschichte genauer zu ergründen. Dabei heißt es tatsächlich, den Dingen auf den Grund zu gehen und auch den Mut zu haben, Dinge zu entdecken, die sich unter der Oberfläche verborgen unserem Bewusstsein weitgehend entzogen haben. Die meisten Menschen haben Angst davor, sich den schmerzhaften Details ihrer kindlichen Erfahrungen zu stellen. Sie nutzen die verschiedensten Verdrängungsmechanismen, um sich nicht mit der einst erlebten Hilflosigkeit, der Ohnmacht und dem Ausgeliefertsein der ersten Lebensjahre auseinandersetzen zu müssen. Dahinter steht aber nicht nur die Angst, sich mit den einst erlebten Verletzungen zu konfrontieren, sondern die oft noch bedrohlichere Erkenntnis, von den Eltern nicht geliebt worden zu sein. Als Kind überleben wir in destruktiven Familien oft nur, weil wir uns die Illusion erhalten, dass die Eltern gut und richtig sind, aber mit uns selbst etwas nicht stimmt. Sich selbst kann ein Kind ändern, seine Eltern aber nicht. Ihnen ist es bedingungslos ausgeliefert. Sich an der ersehnten Liebe der Eltern festzuhalten und diese nicht infrage zu stellen, wird dann oft zum Strohhalm, der vor dem Ertrinken rettet. Viele Menschen halten ein Leben lang an diesem Strohhalm fest und leugnen jede erlebte Realität, um die Eltern nicht infrage stellen zu müssen. Bei einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte kann sich jedoch eine Konfrontation mit den Eltern ergeben, was neue Schmerzen und Ängste, Enttäuschungen und unendlich viel Trauer mit sich bringen kann. Verständlicherweise macht es den meisten Menschen erhebliche Angst, diesen Weg zu gehen. Sie haben einst gelernt zu verleugnen, um zu überleben, andere Mechanismen stehen ihnen auch im Jetzt oft nicht zur Verfügung.

Wenn wir uns aber weigern, unsere verinnerlichten kindlichen Wunden zu betrachten und zu versorgen, wird das Leben deutliche Signale senden. Schwierige Beziehungen, Depressionen oder körperliche Erkrankungen zeigen mehr als deutlich, dass es etwas zu hinterfragen gibt.

Beziehungen haben vor allem die Aufgabe, uns mit uns selbst in Berührung zu bringen. Wir geraten nie an den falschen Partner, sondern suchen uns zielsicher Bezugspersonen, die uns in unserem innersten Wesen berühren. Denn genau das wollen wir – berührt und gesehen werden. Wenn wir aber tief in uns offene und nicht verheilte Wunden tragen, können Berührungen nur schmerzen. Jede Beziehung trägt ein Entwicklungspotenzial in sich, und es liegt an uns, ob wir es nutzen, um vorwärtszukommen, oder ob wir es ignorieren und auf den nächsten Impuls des Lebens warten, der uns noch eindringlicher mit unseren alten Wunden konfrontiert.

Im Kontakt mit einem Menschen, den wir lieben, kommen wir vor allem zunächst mit uns selbst in Berührung. Erst wenn wir mit uns im Reinen sind, können wir uns auch auf andere einlassen. Wenn wir in unseren ersten Lebensjahren nicht das Glück hatten, bedingungslos geliebt zu werden, und damit auch lieben zu lernen, müssen wir uns unsere Liebesfähigkeit hart erarbeiten. Und so geraten wir unvermeidlich immer wieder an einen Partner, der dafür sorgt, dass wir spüren, was da noch heilungssuchend in uns ist und schon lange an die Oberfläche wollte.

Wenn Sie dieses Buch in den Händen halten, kann es sein, dass Sie sich in einer Beziehung wiedergefunden haben, die Sie verwirrt, ängstigt und tief verunsichert. Vielleicht haben Sie den Eindruck, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben. Eventuell finden Sie sich in missbräuchlichen und gewaltvollen Situationen wieder, die in Ihnen Hilflosigkeit und Ohnmacht auslösen. Sind Sie mit einem derartigen Erleben vertraut? Warum sind gerade Sie an so einen Partner geraten? Akzeptieren Sie diese Beziehung als eine weitere Strafe des Lebens, oder könnten Sie sich vorstellen, in ihr eine Chance für Ihr Leben zu sehen?

Wer sind Sie? Was macht Sie aus? Über welche Informationen des Lebens verfügen Sie, und wie setzen Sie diese ein? Was macht Ihr Ich aus? Was ist in ihm enthalten, und wie wirkt sich dieser Inhalt auf Ihre Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung aus?

Das Konzept der Transaktionsanalyse bietet eine hilfreiche Möglichkeit, sich selbst und andere besser zu verstehen und auch konstruktiver mit Auseinandersetzungen und Konflikten umzugehen. Der Begriff an sich mag zunächst kompliziert erscheinen, vielleicht auch wenig Lust darauf machen, sich auf dieses theoretische Konstrukt einzulassen. Doch mit jedem Schritt der Auseinandersetzung mit den Details dieser klar strukturierten und logischen Methode wird das Konzept verständlicher.

Eine Transaktion ist ein Vorgang, bei dem etwas ausgetauscht wird: Ich gebe dir, und du gibst mir – fertig ist die Transaktion. Wann immer zwei Menschen aufeinandertreffen, gehen sie in den Austausch. Selbst wenn wir es vermeiden, den anderen anzusprechen oder anzusehen, vermitteln wir damit etwas. Watzlawick, ein bekannter Kommunikationsforscher, sagte dazu: „Man kann nicht nicht kommunizieren“.

Die Transaktionsanalyse bietet vielfältige Aha-Erlebnisse des Ergründens und Verstehens der eigenen Person, der Personen, mit denen wir in Kontakt sind, und der Klärung dieser Kontakte, die sich ebenso individuell und vielfältig gestalten wie die beteiligten Personen. Für Partner von Borderline-Persönlichkeiten ergeben sich viele Chancen, das eigene Verhalten und das des Partners zu verstehen und so scheinbar unerklärliche Verhaltensweisen auf beiden Seiten nachvollziehbar zu machen.

Die Transaktionsanalyse

Das Basiskonzept der Transaktionsanalyse bezieht sich auf Freud, der in seinem psychoanalytischen Modell davon ausgeht, dass jeder Mensch über drei Persönlichkeitsanteile verfügt. Dabei existieren in jeder Persönlichkeit ein

1. ÜBER–ICH

(enthält Einstellungen, die von anderen beeinflusst worden sind), ein

2. ICH

(nimmt wahr und entscheidet) und ein

3. ES

(alle inneren und unbewussten Antriebe und Gefühle).

Der amerikanische Psychiater Eric Berne (1910–1970) entwickelte aus dieser Theorie heraus sein transaktionsanalytisches Modell und bereicherte die Psychotherapie damit um ein Konzept, das sich im Wesentlichen darauf konzentriert, jeden Menschen in seiner Veränderung und Entwicklung zu fördern. Dabei geht er davon aus, dass jeder Mensch von Grund auf gut ist, die Fähigkeit besitzt, zu denken, neue Entscheidungen zu treffen, sein Leben zu ändern und so in der Lage ist, sein Schicksal zu beeinflussen.

Auslösend für die Arbeit Bernes waren Versuche des Neurochirurgen Wilder Penfield, der bei seinen Patienten während einer Gehirnoperation Experimente durchführte. Da die Patienten während des Eingriffs bei völligem Bewusstsein waren, konnte er deren direkte Reaktion beobachten. Er reizte mithilfe einer elektrischen Sonde die Großhirnrinde des Schläfenlappens und gelangte zu der Erkenntnis, dass es möglich sei, durch diese elektrischen Reize konkrete Erinnerungen auszulösen. Wurde dieser Reiz nach einiger Zeit wiederholt, wurde die gleiche Erinnerung erneut ausgelöst. Demzufolge war es möglich, durch einen äußeren Impuls eine einzelne und konkrete Erinnerung und nicht eine Verbindung verschiedener Erinnerungen auszulösen.

Aber die Versuchspersonen erinnerten sich nicht nur an eine vergangene Situation, sondern erlebten diese im Prinzip noch einmal. Für sie wurde im Moment der Reizung die Erinnerung Realität, da alle Gefühle, die ursprünglich einmal in dieser Situation erlebt worden sind, reaktiviert wurden. Als Erinnerung konnte dieses Erleben jedoch erst dann erkannt werden, wenn es vorbei war. Penfield schloss daraus, dass ein erlebtes Ereignis und jedes dazugehörige Gefühl im Gehirn unauflösbar miteinander verbunden sind, sodass keines von beiden ohne das andere reaktiviert werden kann.

Aus diesen Erkenntnissen heraus entwickelten nun Berne und Harris (Schüler von Berne und Gründer sowie Präsident des Instituts für Transaktions-Analyse) ihr transaktions-analytisches Modell. Dies besagt, dass von Geburt an jedes Erleben und jedes damit verbundene Gefühl originalgetreu wie auf einem Tonbandgerät im Gehirn unauslöschlich aufgezeichnet werden, und demzufolge auch jederzeit wiedergegeben werden können. So erklärt sich nicht nur das Wiedererleben noch bewusster Erinnerungen, auch das ins Unterbewusste verdrängte Erleben kann wieder bewusst und erlebbar werden. Diese Erkenntnis deckt sich mit der grundlegenden Aussage der Psychologin Alice Miller, die in ihren zahlreichen Büchern zur Thematik der Kindesmisshandlung und ihrer Folgen immer wieder eindrucksvoll darauf hinweist, dass jede Missachtung und Misshandlung des Kindes unauslöschlich von diesem – mit den entsprechenden Konsequenzen für dessen Leben – abgespeichert werden, und dies vor allem in den ersten vier Lebensjahren, auch wenn es oft kaum einen bewussten Zugang zu den Erfahrungen dieser wichtigsten und prägendsten Lebenszeit eines Menschen gibt.

Sowohl Penfield als auch Harris gehen davon aus, dass die Reizgebung der während der Operation verwendeten elektrischen Sonde im Alltag durch verschiedenste situationsgebundene Reize ersetzt werden kann. Diese Reize, die man auch als Trigger bezeichnet, verbinden die augenblickliche Situation mit einer zurückliegenden emotionalen Erfahrung. Die getriggerte Person überträgt den emotionalen Zustand der Vergangenheit in eine reale Situation und vermischt ihr Erleben aus dem Damals mit dem Hier und Jetzt.

Marion war 4 Jahre alt, als sie einen neuen Stiefpapa bekam. Anfangs war er sehr lieb zu ihr, doch mit der Zeit trank er immer öfter Alkohol. Dann schrie er sie oft an und schlug sie mitunter auch, ohne dass sie verstehen konnte, was sie falsch gemacht hatte. Sie hatte furchtbare Angst, wenn er nach Schnaps roch, lallte oder durch die Wohnung torkelte. Noch als erwachsene Frau spürte sie den Drang, sich zu verstecken oder wegzulaufen, wenn sie betrunkenen Menschen begegnete. Der Geruch von Alkohol oder unkoordinierte Bewegungen anderer erzeugten Panik in ihr.

Die Facetten des einstmals ängstigenden Erlebens (Alkoholgeruch, Schreien …) reaktivieren die damals erlebten Gefühle und damit auch die damaligen Reaktionen (Weglaufen, Verstecken …). Für Marion war der Geruch von Alkohol ein Trigger, der sie automatisch immer wieder mit dem einst Erlebten konfrontierte. Häufig läuft das Wiedererleben aber unbewusst ab, sodass als Konsequenz eines derartigen Empfindens oft nur schwer zuzuordnende Gefühle übrigbleiben.

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Dieses reaktivierende emotionale Erleben spielt in Borderline-Beziehungen auf beiden Seiten eine maßgebliche Rolle. Die Hintergründe beider Persönlichkeiten, die in wesentlichen Bereichen ihrer Struktur gemeinsame Merkmale aufweisen, begegnen sich auf einer Ebene, in der die Personen nicht in der Lage sind, Konflikte zu lösen. Im Gegenteil, Eskalation und Zerstörung, sowohl der Beziehung als auch der involvierten Personen, werden häufig noch forciert. Um diesen Vorgang genauer zu betrachten und so letztendlich auch Möglichkeiten zu finden, den destruktiven Mustern zu begegnen, ist es hilfreich, wenn wir uns zunächst einmal mit den Persönlichkeitsbereichen auseinandersetzen, die jeder Mensch in sich trägt. In der Transaktionsanalyse werden sie als Ich-Zustände bezeichnet.

Ich-Zustände

Ich-Zustände kennzeichnen sich durch drei verschiedene Ebenen, die sich an dem von Freud geschaffenen Konstrukt des Über-Ich, Ich und Es orientieren. Die Persönlichkeitsstruktur jedes Menschen beinhaltet zahlreiche individuelle Informationen und Fähigkeiten, die sich diesen drei Ebenen zuordnen lassen. Das Wechselspiel dieser Informationen, sowohl im Kontakt mit sich selbst als auch im Kontakt mit anderen, macht unsere Individualität aus und kennzeichnet unsere Kommunikation nach innen und nach außen. Die Inhalte und das Zusammenspiel unserer Ich-Zustände sind die Basis unserer Lebens- und Erlebensfähigkeit. Sie entscheiden letztendlich über unsere Fähigkeit oder Unfähigkeit, unser Leben zu gestalten.

Das Kind-Ich (Die Auseinandersetzung mit inneren Reizen)

Im Kind-Ich (KI) sammelt ein Mensch alle emotionalen innerlich erlebten Erfahrungen, die er durch von außen verursachte Ereignisse macht.

Wenn ein Kind geboren wird, verfügt es noch über keinerlei sprachliche Möglichkeiten. Es ist aber in der Lage, Emotionen zu spüren und diese nach außen auch mitzuteilen. Es schreit, wenn es Hunger oder Angst hat, es kann seine Bedürfnisse zeigen und sich so auch aktiv für sein Überleben einsetzen. Ein Kind ist bei Weitem nicht so hilflos, wie es auf den ersten Blick scheint. Zwar existiert es in Abhängigkeit zu seinen versorgenden Bezugspersonen, aber es ist vom ersten Augenblick seines Lebens an in der Lage, zu fühlen und wird somit mit der wichtigsten Anlage für selbstfürsorgliches Handeln geboren.

Der Hunger eines neugeborenen Kindes existiert dabei nicht nur auf der physischen Ebene. Sein ausgeprägter Lebenswille braucht und sucht beständig Informationen, die es zum Über- und Weiterleben dringend benötigt. Säuglinge zeichnen sich durch eine unglaubliche Fähigkeit aus, Informationen aufzunehmen und abzuspeichern. Die überlebenswichtigsten Informationen der ersten Lebensmonate sind dabei die Reaktionen der Bezugspersonen auf das erlebte und gezeigte Gefühl des Kindes.

Ein Neugeborenes kennt weder das Gefühl des Hungers, noch Angst oder Verlassensein. Es spürt aber, dass diese Gefühle auf bedrohliche Defizite hinweisen und reagiert instinktiv mit Schreien. Damit macht es nicht nur auf seine Not aufmerksam, sondern sucht gleichzeitig nach Anerkennung, Bestätigung und so auch nach Orientierung. Seine Existenz ist davon abhängig, zu erfahren, was es tun kann, wenn es sich als bedürftig erlebt. Jeder, der sich einmal einem schreienden Säugling zuwendet, wird instinktiv die eigene Mimik und Intonation dem kindlichen Erleben anpassen. Erst die liebevolle Reaktion einer Mutter vermittelt dem Kind, dass es sowohl in seinem Gefühl und seinem Bedürfnis als auch in dessen Ausdruck richtig ist. Eine stabile und zugewandte Spiegelung wird für den kleinen Menschen zum Fundament seines (Über-) Lebens.

Im Kind-Ich werden alle emotionalen inneren Erfahrungen gesammelt, denen ein Kind in seinen ersten Lebensjahren ausgesetzt ist. Alles, was es durch seine Sinne wahrnimmt und innerlich emotional verarbeitet, speichert es unlöschbar in sich ab. Es erfährt defizitäre Gefühle (Angst, Hunger, Unsicherheit, Frustration …), aber auch wohltuende Gefühle, die sich aus der Befriedigung seiner Bedürfnisse ergeben (sicher, geborgen, satt, sauber …). Es lernt, sich an den Reaktionen seiner Bezugspersonen zu orientieren: Wie bekomme ich Gefühle, die sich angenehm anfühlen, und wie vermeide ich die Gefühle, die mir unangenehm sind? So verfügt der kleine Mensch über ein geniales Überlebenssystem. Er ist in der Lage, seine Verhaltensweisen auf die Absicherung seiner Existenz auszurichten. Er weint, wenn er ängstlich oder hungrig ist, und lernt aus der Reaktion seiner Bezugspersonen, ob sein Verhalten dem Zweck der eigenen Bedürfnisbefriedigung dienlich war oder nicht. In diesem Zusammenhang lernt er, innerlich auf Ereignisse von außen zu reagieren und jede Information, die damit verbunden ist, zur weiteren Lebensabsicherung abzuspeichern.

Das Kind-Ich unterteilt sich in drei unterschiedliche Bereiche, deren Verhaltensweisen sich sehr typisch zuordnen lassen. Es beinhaltet ein angepasstes Kind-Ich, ein rebellisches und ein freies Kind-Ich, wobei sich jedem dieser Zustände sowohl positive (+) als auch negative (-) Verhaltensweisen zuordnen lassen.

Positiv (+) sind dabei jene Verhaltensweisen, die zur Befriedigung von Bedürfnissen führen und das Leben eines Menschen bereichern. Sie zeichnen sich durch den Aufbau oder Erhalt zwischenmenschlicher Bindung aus, da die Benachteiligung oder die Schädigung eines anderen Menschen ausgeschlossen sind. Den eigenen Hunger zu stillen, indem einem anderen Menschen die Nahrung vorenthalten oder entzogen wird, führt sicher nicht zu einer sozialen Bindung. Nahrung jedoch mit anderen zu teilen, stärkt sowohl das eigene Ich als auch das der anderen und der Gemeinschaft.

Grundsätzlich ist jeder Mensch von Geburt an ausgeprägt biophil, das bedeutet, dass es zu seinen grundlegenden Bedürfnissen gehört, zum Leben anderer erfüllend beizutragen. Erst im Prozess der Erziehung, in dem Kinder nur allzu oft Missachtung und Misshandlungen ausgesetzt werden, verlieren sie zu einem Teil oder sogar gänzlich ihre biophile Veranlagung. Die aus den kindlichen Verletzungen entstandenen natürlichen Empfindungen (Wut, Ärger, Frustration …) konnten sie nicht ausleben. Misshandelte Kinder lernen, ihre Gefühle zu verleugnen, um sich vor weiteren Übergriffen der Eltern zu schützen. Wenn sie überleben wollen, sind sie gezwungen, ihren emotionalen Tod zu akzeptieren. Sie haben keine Chance zu lernen, mit ihren emotionalen Anteilen für sich und andere hilfreich umzugehen. Im Gegenteil, sie lernten im Umgang mit der Erwachsenenwelt, dass es lebensnotwendig ist, Bedürfnisse und Gefühle zu leugnen oder ihnen nur verdeckt zu entsprechen. Mit dem Verlust der emotionalen Bindung zu sich selbst geht auch jede Fähigkeit für emotionale Bindungen zu anderen verloren. In der Konsequenz kommt es dabei zu den negativen (-) Kind-Ich-Verhaltensweisen, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie die eigene Lebendigkeit und das soziale Miteinander behindern und stören. Das Verhalten aus negativen Ich-Zuständen wirkt sich daher auch negativ auf die Bindungsfähigkeit aus, die für uns Menschen als soziale Wesen eine große Rolle spielt. Ein Mensch, der vorrangig aus seinen negativen Ich-Zuständen agiert, untergräbt damit nicht nur seine Bindungen, sondern auch seine eigene Lebensqualität.

Dem Kind-Ich eines Menschen lassen sich unter anderem Neugier, Spontaneität, Kreativität und Lust zuordnen. Jede emotionale Ausdrucksform, wie Freude oder Angst, aber auch „Eingeschnappt sein“, Rache (wie du mir, so ich dir) oder Rebellion (nun erst recht nicht) kommen aus dem Kind-Ich. Im Anhang der „Transaktionsanalyse“ finden Sie eine Auflistung typischer Merkmale, die sich den einzelnen Ich-Zuständen zuordnen lassen.

Laut Harris sind die Erfahrungen der ersten fünf bis sechs Lebensjahre maßgeblich für den Dateninformationsgehalt im Kind-Ich. In dieser Zeit hat das Kind bereits alle Gefühle erlebt und „aufgezeichnet“. In der weiteren Konfrontation des Kindes mit der Welt – in etwa ab der Schulfähigkeit – verstärken sich die bereits erfahrenen Impulse dann nur noch. Die in den ersten Lebensjahren „aufgezeichneten“ Gefühle werden später in den sich immer wiederholenden Ereignissen reaktiviert. Das heißt, dass in jedem emotionalen Erleben jenseits dieser ersten Lebensjahre auch immer das erste, ursprüngliche Erleben dieser Emotion mit aktiviert wird (Trigger). Ein kleiner Mensch, der – zum Beispiel als Reaktion auf seine Wut – von seiner Mutter ignoriert und isoliert wurde, wird in seinem späteren Erwachsenenleben nicht adäquat mit Wutgefühlen umgehen können. Unbewusst wird er diese mit der Gefahr der Isolation und dem Gefühl der Angst, verlassen zu werden verbinden. Da Verlassen werden für ein kleines Kind auch immer eine existenzielle Gefahr bedeutet, kann der Umgang mit Wutgefühlen im späteren Erwachsenenleben so für ihn zum Existenzkampf ausarten. Wut zu haben, bedeutet in seinem inneren Erleben, in existenzieller Gefahr zu sein – eine häufige Ursache für die Angst vieler Menschen, ihre Wut auszudrücken. Oft wird dann aus den negativen Ich-Zustandsbereichen reagiert (leugnen, rebellieren, bewerten, verurteilen, angreifen …), sodass sowohl die Verantwortung für das eigene Gefühl als auch die ursächliche verinnerlichte Bedrohung abgewehrt werden können.

In den nachfolgenden Tabellen finden Sie die typischen allgemeinen Verhaltensweisen, körpersprachliche Merkmale oder Intonationen der Kind-Ich-Zustände. Mit ihrer Hilfe können Sie Ihren eigenen Ich-Zustand in Interaktionen identifizieren oder auch die Position Ihrer Bezugspersonen besser wahrnehmen. Auch die Identifikation von Triggern und den daraus resultierenden eigenen automatischen Reaktionen ist mit Hilfe dieser Listen möglich. So können unpassende kindliche Verhaltensmuster ganz bewusst verändert werden.

Erkennen von ICH-Zuständen - Angepasstes Kindheits-ICH

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Erkennen von ICH-Zuständen - Rebellisches Kindheits-ICH

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Erkennen von ICH-Zuständen - Freies Kindheits-ICH

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Das Eltern-Ich (Die Auseinandersetzung mit äußeren Reizen)

Im Eltern-Ich (EL) werden gänzlich ungeprüft alle äußeren Ereignisse gesammelt, die von einem Kind in Konfrontation mit seiner Umwelt hingenommen oder ihm aufgezwungen werden.

Für ein Kind sind Eltern allmächtig. Alles, was es von ihnen wahrnimmt, ist unangreifbar, wahr und richtig. Im Eltern-Ich vereinen sich das sogenannte kritische Eltern-Ich sowie das fürsorgliche Eltern-Ich. Beide besitzen ebenso negative wie positive Anteile, die sich genauso hemmend oder förderlich auf das Leben und Erleben eines Menschen auswirken wie beim Kind-Ich. Das negativ kritische Eltern-Ich (-kEL) neigt dazu, andere herabzusetzen und zu entmutigen. Es weist andere zurecht, bewertet, verbietet, zeigt sich autoritär, anmaßend und rechthaberisch. Im positiv kritischen Eltern-Ich (+kEL), setzt es hingegen Grenzen zum Wohle anderer und der eigenen Person.

Das fürsorgliche Eltern-Ich hat ebenso zwei Seiten. Im negativen Sinn (-fEL) ist es entmutigend, es traut dem anderen nichts zu, zeigt sich überfürsorglich, nimmt Verantwortung ab und verhält sich damit übergriffig. Eine typische Grundaussage ist: „Gib mal her, ich mach das für dich“, womit dem Empfänger der Botschaft auch immer eine Unfähigkeit (du bist nicht o.k.) suggeriert wird. Das eigene Ich aber wird aufgewertet (ich bin o.k., denn ich kann das). Das positive Eltern-Ich (+fEL) hingegen beschützt, tröstet, ermutigt und unterstützt, ohne dabei Verantwortung abzunehmen und den anderen abzuwerten.

Wer aus den negativen Anteilen des Eltern-Ichs kommuniziert, versucht, im Grunde sich selbst auf Kosten des anderen aufzuwerten. Sowohl herabsetzende Kritik als auch übergriffige Fürsorge dienen letztendlich dazu, die eigene Person aufzuwerten und wirken sich schädigend auf die Zielperson und die Beziehung zu dieser aus. In den positiven Bereichen bleibt das eigene O.K. ebenso bestehen wie das der Bezugsperson (ich bin o.k. – du bist auch o.k.). Es entsteht kein O.K.-Ungleichgewicht, so dass die Kommunikationspartner in Kontakt bleiben können, da sie einander nicht als bedrohlich erleben.

Alles, was ein Kind an Informationen durch seine Eltern, erwachsene Bezugspersonen oder auch durch gesellschaftliche Impulse (Beobachtungen der Welt im Alltag) erfährt, sammelt es in seinem Eltern-Ich: So also funktioniert das Leben. Im Gegensatz zum Kind-Ich, das ausschließlich innere Erfahrungen sammelt (Gefühle), speichert das Eltern-Ich nur äußere Erfahrungen (Glaubenssätze, Dogmen, Regeln …) ab. Auch diese Periode umfasst in etwa die ersten fünf bis sechs Lebensjahre und läuft parallel zu der Datenerfassung im Kind-Ich ab. Sämtliche hier erfassten Informationen werden original aufgenommen und vom Kind weder korrigiert noch infrage gestellt. Aus seiner Abhängigkeit, seiner Unfähigkeit, Zusammenhänge zu erfassen und sich sprachlich auseinanderzusetzen, ist es ihm unmöglich, Wahrgenommenes infrage zu stellen oder es zu korrigieren. Es speichert alles Erfahrene ungefiltert ab.

Diese Zeilen lesen Sie als Erwachsener und somit auch aus dessen erfahrener und distanzierter Emotionalität heraus. Stellen Sie sich aber einmal vor, wie ein zwei oder drei Jahre altes Kind die Welt erlebt. Monster im Fernsehen sind real, eine Treppenstufe ist halb so hoch wie man selbst, der schreiende Vater ist ein übergroßer, mächtiger Gott, und wenn niemand kommt, obwohl man schreit, bleibt nur noch das Sterben. Das bildet die Basis unseres heutigen Erwachsenen-Erlebens. Kinder erleben die Welt grundsätzlich anders. Insofern glaube ich, dass wir, wollen wir unser inneres Kind verstehen lernen, uns auch verständnisvoll und liebevoll auf dessen Erleben einlassen sollten.

Im Eltern-Ich sind sämtliche Verbote, Regeln, Normen und Glaubenssätze abgespeichert. Was tut man, und was tut man nicht? Wofür werde ich akzeptiert und wofür nicht? Dabei werden vorgelebte und nichtsprachliche Informationen genauso registriert wie ausgesprochene Vorschriften und Ermahnungen. Körpersprachliche Signale, Intonation und Mimik der Bezugsperson vermitteln dem Kind schon in seinen ersten Lebensmonaten, was in Ordnung (o.k.) ist und was nicht. Durch seine Eltern erhält ein Kind lebensnotwendige Informationen über die sozialen Strukturen seiner Umwelt, über Normen, die es einhalten muss, um angenommen zu werden und über Regeln, die es davor bewahren, ausgestoßen zu werden. Die im Eltern-Ich aufgezeichneten und nicht infrage gestellten Informationen sind für das Leben des Kindes richtungweisend: „Ohne Fleiß keinen Preis; „Alle Männer sind schlecht“; „Traue keiner Frau“; „Brave Kinder sind nie wütend“ usw. Alle diese Glaubenssätze werden als unzweifelhafte Wahrheiten aufgezeichnet. Sie wirken ein ganzes Leben lang und haben erst dann eine Chance verändert zu werden, wenn sie aus dem Erwachsenen-Ich bewusst hinterfragt werden. Ein Kind ist dazu allerdings nicht in der Lage. Eltern-Ich-Informationen sind, einmal aufgenommen, niemals wieder löschbar, so wie auch jede andere erlebte Erfahrung.